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S<strong>in</strong>d sie geflohen? Wurden sie vertrieben? Es war<br />

am 15. Mai 1948, unmittelbar nach der Proklamation<br />

des israelischen Staates durch Ben Gurion. Die<br />

arabischen E<strong>in</strong>he<strong>im</strong>ischen, die ursprünglich <strong>im</strong> heutigen<br />

Staatsgebiet Israel gewohnt hatten, also <strong>im</strong> Israel<br />

<strong>in</strong>nerhalb der Grenzen von 1967, diese Bewohner<br />

hatten aufgrund massiven Druckes fluchtartig<br />

ihre Häuser verlassen. Die Nachricht von Massakern<br />

wie <strong>in</strong> Deir Yass<strong>in</strong> löste die panikartige Flucht<br />

von etlichen 100.000 Menschen <strong>im</strong> ehemals britischen<br />

Mandatsgebiet aus.<br />

Die Hoffnung auf Rückkehr war von Anfang an<br />

außerordentlich stark. Die arabische Bevölkerung <strong>im</strong><br />

Nahen Osten begeht bis heute jährlich <strong>im</strong> April/<br />

Mai, e<strong>in</strong>en Tag nach den Unabhängigkeitsfeiern der<br />

jüdischen Bevölkerung, den Tag “An-Nakba”, die<br />

schreckliche Katastrophe, und er<strong>in</strong>nert damit an die<br />

faktische Vertreibung von drei Vierteln der arabischen<br />

Bevölkerung aus dem späteren Israel. Symbol<br />

dieses Tages ist der Hausschlüssel, den die arabischen<br />

Bewohner mitgenommen hatten, <strong>in</strong> der sicheren<br />

Annahme, später zurückzukehren. Sie kamen <strong>in</strong><br />

Lager, aber sie kamen nie zurück. So entstand das<br />

Flüchtl<strong>in</strong>gsproblem des Nahen Ostens.<br />

Die Gedenktage <strong>in</strong> den Monaten April/Mai stehen<br />

für die Dramatik des jüdischen beziehungsweise<br />

des arabischen Selbstverständnisses: Erst der Shoah-<br />

Gedenktag mit Sirenengeheul und kollektiver jüdi-<br />

evangelische aspekte 3/2009 35<br />

Spektrum<br />

Die vielen Gesichter<br />

der Wahrheit<br />

Das Drama <strong>in</strong> Israel/Paläst<strong>in</strong>a<br />

von Mart<strong>in</strong> Reyer<br />

Wem <strong>im</strong>mer der Frieden <strong>im</strong> Nahen Osten am Herzen liegt,<br />

der sollte ke<strong>in</strong>e flammenden Appelle unterschreiben, son-<br />

dern die Betroffenen selber zu Wort kommen lassen, und<br />

zwar beide Seiten. Der sollte dafür Sorge tragen, dass beide<br />

Seiten diese ihre ureigene Angelegenheit mite<strong>in</strong>ander regeln<br />

können.


Spektrum<br />

36<br />

scher Trauer, dann der israelische Unabhängigkeitstag<br />

mit demonstrativem Gedröhn von Kampfflugzeugen<br />

über Jerusalem und fröhlich-festlichen Gartenparties<br />

oder Familienausflügen – und dann An-<br />

Nakba, der Trauertag, nur für Araber.<br />

Und das alles <strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>em Staat Israel! Gut<br />

e<strong>in</strong>e Million der ungefähr sieben Millionen Israelis<br />

s<strong>in</strong>d Araber. Auch dies ist e<strong>in</strong>e Ersche<strong>in</strong>ungsform<br />

des Nahost-Konflikts: Die e<strong>in</strong>en trauern – und die<br />

anderen feiern.<br />

Wenn man heute auf der Autobahn von Tel Aviv<br />

nach Jerusalem fährt, dann kann man längs der<br />

Straße seltsame langgestreckte flache Hügel erkennen.<br />

Das s<strong>in</strong>d ehemalige arabische Dörfer, die zerstört,<br />

aber nie mehr aufgebaut wurden. Und <strong>im</strong><br />

Kontrast dazu steht die mondäne Weltstadt Tel Aviv.<br />

Es gibt viele Gegensätze <strong>in</strong> diesem Land, aber<br />

der Antagonismus zwischen den arabischen Dorf-<br />

Überresten und der Tel Aviver Skyl<strong>in</strong>e gehört zu den<br />

schmerzhaftesten. Das ist e<strong>in</strong> Land, aber mit zwei<br />

Bevölkerungen, mit zwei Geschichten und demzufolge<br />

mit zwei Wahrheiten.<br />

Jeder ist <strong>im</strong> Recht: Für die Araber ist es die angestammte<br />

He<strong>im</strong>at, die Weiden und Olivenha<strong>in</strong>e der<br />

Väter, die Basis ihrer Hoffnungen. Und für die Juden<br />

ist es das biblisch verheißene Land ihrer Väter, ihre<br />

He<strong>im</strong>statt, von den Völkern der Welt garantiert, der<br />

e<strong>in</strong>zige Ort auf dieser Erde, an dem sie ohne Gefahr<br />

jüdisch leben können. Und e<strong>in</strong> Staat wie Iran, der<br />

Israels Existenzrecht bestreitet, wird zu Recht von<br />

der Staatengeme<strong>in</strong>schaft geächtet. Diese Isolierung<br />

spürt jetzt auch die Hamas.<br />

Natürlich kennt man <strong>in</strong> Israel die Gedenktage<br />

“der Anderen”. Man n<strong>im</strong>mt sie wahr, aber mit zusammengebissenen<br />

Zähnen.<br />

In me<strong>in</strong>er Zeit als Propst <strong>in</strong> Jerusalem war ich<br />

Teil beider Seiten, trauerte mit am Shoah-Gedenktag,<br />

erwies me<strong>in</strong>e Referenz zur Unabhängigkeit und<br />

zeigte me<strong>in</strong> Beileid an Nakba. Und gerade als Deutscher<br />

litt ich darunter, wie def<strong>in</strong>itiv unvere<strong>in</strong>bar<br />

beide Wahrheiten <strong>im</strong> doch “Heiligen” Land gegene<strong>in</strong>ander<br />

standen.<br />

E<strong>in</strong> israelischer Freund erzählte mir e<strong>in</strong> Gleichnis:<br />

“Stell dir vor, de<strong>in</strong> Haus brennt und du hast ke<strong>in</strong>en<br />

Rettungsweg mehr. Da spr<strong>in</strong>gst du aus dem<br />

Fenster. Aber unglücklicherweise geht unten e<strong>in</strong>er<br />

vorbei, auf den du <strong>im</strong> Fallen triffst – Wer hat<br />

schuld?”<br />

Der Nahost-Konflikt ist <strong>in</strong> der Tat e<strong>in</strong>e der wenigen<br />

Konstellationen, <strong>in</strong> der es ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n macht,<br />

die Vergangenheit aufzuarbeiten. Denn da liegt die<br />

Lösung nicht. Im Gegenteil: Für jede identifizierte<br />

evangelische aspekte 3/2009<br />

Ursache f<strong>in</strong>det sich wiederum e<strong>in</strong>e weitere Bed<strong>in</strong>gung,<br />

bis wir endlich bei Abraham landen, der zwar<br />

als e<strong>in</strong> Fremder <strong>im</strong> Lande wohnte, aber doch mit der<br />

göttlichen Verheißung. “Und vielleicht ist es ja der<br />

Wille des Ewigen,” so me<strong>in</strong> jüdischer Freund, “dass<br />

hier zwei Völker zu e<strong>in</strong>em Frieden f<strong>in</strong>den sollen,<br />

der auf die Zukunft h<strong>in</strong> ausgerichtet ist.”<br />

In persönlichen Gesprächen mit Juden und Arabern<br />

habe ich mich <strong>im</strong>mer wieder von dem Leid der<br />

e<strong>in</strong>en oder der anderen konfrontieren lassen. Und<br />

ich habe zugehört und nachgefragt und wieder<br />

zugehört. Ke<strong>in</strong> E<strong>in</strong>wand – ke<strong>in</strong> Aber. Ausreden lassen.<br />

Und dann, am Ende e<strong>in</strong>es langen, oft mühseligen<br />

Dialogs, trat e<strong>in</strong>e neue Erkenntnis zutage. Nicht<br />

neu <strong>in</strong> dem S<strong>in</strong>ne, dass sie noch nie da gewesen sei,<br />

sondern neu, weil sie jetzt zugelassen werden konnte:<br />

die E<strong>in</strong>sicht, dass auch die andern <strong>in</strong> ihrer Existenz<br />

bedroht s<strong>in</strong>d.<br />

Diesen diskursiven Prozess des Klagens, des<br />

E<strong>in</strong>ander-Erzählens, den gilt es auszuhalten. Ganz<br />

egal, wie kämpferisch er auch beg<strong>in</strong>nen mag. Ganz<br />

egal, welche Wahlergebnisse <strong>in</strong> der Politik zur Zeit<br />

auch die Außenstehenden irritieren. Der Friedensprozess<br />

<strong>im</strong> Nahen Osten ist eben nicht <strong>in</strong> erster<br />

L<strong>in</strong>ie e<strong>in</strong>e Frage der E<strong>in</strong>flussnahme von außen, sondern<br />

die elementare Angelegenheit der beiden Völker<br />

<strong>in</strong> dem e<strong>in</strong>en Staat Israel. Araber und Israeli <strong>in</strong><br />

der Region s<strong>in</strong>d zu klug, um sich <strong>in</strong> wie auch <strong>im</strong>mer<br />

geartete Stellvertreterkriege h<strong>in</strong>e<strong>in</strong>locken zu lassen.<br />

Politische oder militärische Maßnahmen von außen<br />

werden nur neues Unrecht provozieren und die<br />

Menschen <strong>in</strong> neues Leid stürzen.<br />

Wem <strong>im</strong>mer der Frieden <strong>im</strong> Nahen Osten am<br />

Herzen liegt, ob als Christ, als Tourist, als Politiker<br />

oder als Kulturschaffender, der sollte ke<strong>in</strong>e flammenden<br />

Appelle unterschreiben, sondern die Betroffenen<br />

selber zu Wort kommen lassen, und zwar<br />

beide Seiten. Der sollte dafür Sorge tragen, dass<br />

beide Seiten diese ihre ureigene Angelegenheit mite<strong>in</strong>ander<br />

regeln können. Zugegeben, manchmal<br />

gehen ihre Klagen bis an die Grenzen des Zumutbaren.<br />

Aber es ist dieses Wahrnehmen und Ernstnehmen,<br />

das <strong>im</strong> Heiligen Land die Türen zu e<strong>in</strong>em wenigstens<br />

erträglichen Mite<strong>in</strong>ander öffnen kann.<br />

E<strong>in</strong>er solchen arabisch-jüdischen Verständigung<br />

<strong>in</strong>nerhalb des Staates Israel kann dann e<strong>in</strong>e Verständigung<br />

mit e<strong>in</strong>em zukünftigen Paläst<strong>in</strong>enserstaat auf<br />

der Westbank folgen. Die Chancen dafür stehen gut. ó<br />

Mart<strong>in</strong> Reyer war von 2001 bis 2006 Propst und<br />

Repräsentant der <strong>Evangelische</strong>n Kirche Deutschlands<br />

<strong>in</strong> Jerusalem.

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