Es ist ein Ros entsprungen - Evangelische Pfarrgemeinde Graz ...
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Ein alter, verwitterter Baumstumpf: <strong>ein</strong>mal war<br />
er Teil <strong>ein</strong>es großen Baumes, hat <strong>ein</strong>e grüne<br />
Krone getragen, Früchte hervorgebracht, Schatten<br />
gespendet. Dann wurde er geschlagen, das<br />
Holz verwertet, Möbel daraus gebaut, Futtertröge<br />
für das Vieh. Die Reste wurden verheizt,<br />
gaben den Menschen Wärme, <strong>Es</strong>sen konnte<br />
zubereitet werden. Er hatte s<strong>ein</strong>e Zeit, nun <strong>ist</strong><br />
nichts mehr da. Fast nichts mehr: nur mehr der<br />
Stumpf. Sch<strong>ein</strong>bar leblos, übriggeblieben …<br />
Und dann wächst daraus <strong>ein</strong> junger Trieb: kl<strong>ein</strong>,<br />
zart und gefährdet. <strong>Es</strong> entfaltet sich neues<br />
Leben gerade dort, wo das Leben sich zurückgezogen<br />
hatte. Dort, wo alles zu Ende schien.<br />
Manchmal gibt es das, draußen in der Natur.<br />
Aus <strong>ein</strong>em Stück toten Holz wächst <strong>ein</strong>e neue<br />
Pflanze.<br />
Ein wunderschönes Bild.<br />
Aber im Leben?<br />
Da muss ich akzeptieren, dass es Dinge gibt,<br />
die vorbei sind.<br />
Da sagt mir m<strong>ein</strong>e Erfahrung, dass etwas, aus<br />
dem sich das Leben zurückgezogen hat, nicht<br />
wieder zu blühen anfängt.<br />
In diesen Gedanken höre ich m<strong>ein</strong>en Realitätssinn.<br />
Aus dieser Skepsis spricht m<strong>ein</strong> resigniertes<br />
Herz.<br />
Das <strong>ist</strong> der Blick aufs Leben, der die Dinge sieht,<br />
wie sie eben sind.<br />
Unsere Bibel aber <strong>ist</strong> voll mit Hoffnungsbildern,<br />
die ganz und gar nicht resigniert sind. Mit großen<br />
Visionen laden sie uns <strong>ein</strong>, über die „Dinge<br />
wie sie sind“ hinaus zu sehen, zu träumen. Sie<br />
erzählen von Bildern, die jede Erfahrung sprengen<br />
und die aus k<strong>ein</strong>er Realität ableitbar sind.<br />
<strong>Es</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Ros</strong> <strong>entsprungen</strong><br />
Das Weihnachtsgeschehen „Gott wird Mensch“<br />
<strong>ist</strong> so <strong>ein</strong> großartiges Bild des Träumens; Eine<br />
junge Frau aus ärmlichen Verhältnissen bringt<br />
<strong>ein</strong> Kind zur Welt, das k<strong>ein</strong>en anderen Platz hat<br />
als <strong>ein</strong>e Futterkrippe. Und doch steht dieses<br />
Neugeborene in s<strong>ein</strong>er ganzen Armut in der<br />
großen Tradition des König David.<br />
Längst gibt es dessen Königshaus nicht mehr,<br />
<strong>ist</strong> das Land von <strong>ein</strong>er fremden Großmacht<br />
besetzt – der alte Baum <strong>ist</strong> gefällt. Und doch<br />
wächst dort neues Leben, <strong>ein</strong> neuer Trieb. „<strong>Es</strong><br />
wird <strong>ein</strong> Zweig hervorgehen …“<br />
„<strong>Es</strong> <strong>ist</strong> <strong>ein</strong> <strong>Ros</strong> <strong>entsprungen</strong> aus <strong>ein</strong>er Wurzel<br />
zart …<br />
Und hat <strong>ein</strong> Blüml<strong>ein</strong> bracht mitten im kalten<br />
Winter“<br />
So singen wir in <strong>ein</strong>em alten Weihnachtslied<br />
und drücken damit das Weihnachtsgeschehen<br />
aus: Gott wird Mensch.<br />
Eine Blume, <strong>ein</strong>e <strong>Ros</strong>e mitten im kalten Winter.<br />
Nicht im Glashaus gewachsen, nicht aus warmen<br />
Ländern importiert, sondern in der Kälte<br />
des Winters beginnt sie zu blühen.<br />
Solche Geschichten und Bilder machen uns<br />
Mut, weiter als die Wirklichkeit zu sehen, weiter<br />
zu träumen, weiter zu hoffen, als der Realitätssinn<br />
es erlaubt.<br />
Gott <strong>ist</strong> nicht von unserer Realität hier zu trennen,<br />
<strong>ist</strong> ganz hier, in all dem, wie Menschen<br />
leben.<br />
Weihnachten rührt an unsere Sehnsucht, dass<br />
das Leben noch ganz anders s<strong>ein</strong> könnte, als<br />
es <strong>ist</strong>.<br />
Daher versuchen wir jedes Jahr aufs Neue in<br />
der Weihnachtszeit <strong>ein</strong> wenig anders mit<strong>ein</strong>ander<br />
zu leben. Familien kommen in den unterschiedlichsten<br />
Konstellationen, in ihrem bunten<br />
Patchworkdas<strong>ein</strong> zusammen – versuchen es<br />
mit<strong>ein</strong>ander, auch wenn es schwierig <strong>ist</strong>.<br />
Über die Generationen hinweg versuchen wir<br />
<strong>ein</strong>ander wahrzunehmen: die Traditionen und<br />
Wünsche der Alten und die Bedürfnisse der<br />
Jungen – auch wenn man sonst nicht viel von<br />
<strong>ein</strong>ander hört.<br />
Wir spenden mehr als sonst im Jahr für Menschen,<br />
die in Armut leben.<br />
In den Betrieben und Schulen feiern Menschen<br />
2<br />
mit<strong>ein</strong>ander, auch wenn sie den Rest des Jahres<br />
in ihren Rollen <strong>ein</strong>fach Chefin und Mitarbeiter<br />
sind.<br />
Weihnachten rührt an unsere Sehnsucht, dass<br />
das Leben noch ganz anders s<strong>ein</strong> könnte, als<br />
es <strong>ist</strong>.<br />
Deshalb schmerzt dieses Fest auch viele in<br />
besonderer Weise: Dann, wenn sie von ihren<br />
Liebsten verlassen wurden, wenn die Familie<br />
zerstritten <strong>ist</strong>, wenn die Einsamkeit besonders<br />
deutlich wird, weil jeder s<strong>ein</strong>en Interessen nachgeht<br />
und die Frage: Wer wird mit mir feiern?<br />
unbeantwortet bleibt. Sie werden an all das<br />
erinnert, was nie in Erfüllung gegangen <strong>ist</strong>.<br />
Und doch:<br />
Weihnachten rührt an unsere Sehnsucht, dass<br />
das Leben noch ganz anders s<strong>ein</strong> könnte, als<br />
es <strong>ist</strong>.<br />
Gegen allen Realitätssinn wächst aus Totem<br />
<strong>ein</strong> neuer Zweig – und manchmal erblüht <strong>ein</strong>e<br />
<strong>Ros</strong>e mitten im Winter.<br />
Ihre Pfarrerin Ulrike Frank-Schlamberger<br />
Heilige Nacht<br />
Am Tor steht <strong>ein</strong> Engel<br />
und lächelt dich an:<br />
„Möchten Sie <strong>ein</strong>en Blick<br />
in den Himmel werfen?<br />
Wir haben Tag der offenen Tür.<br />
Der Hausherr <strong>ist</strong> gerade unterwegs.<br />
Er <strong>ist</strong> Mensch geworden.<br />
Wir bauen nämlich unser Terrain aus.<br />
<strong>Es</strong> wird reichen bis an die Enden der Erde.“<br />
(Tina Willms)