Aphorismen und Varianten Zur Storik - Gerhard Theuerkauf
Aphorismen und Varianten Zur Storik - Gerhard Theuerkauf
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Stichwortverzeichnis:<br />
<strong>Aphorismen</strong> <strong>und</strong> <strong>Varianten</strong><br />
<strong>Zur</strong> <strong>Storik</strong><br />
Alltag alphabetisch Anderes Angst Aphorismus Assoziation Aufhebung Ausrichtung<br />
Baum Beginn Begriff Beschreibung Beziehungsmuster Bild Blätter Brücke<br />
Chaos chronologisch<br />
Dauer Delta Demut Denkweisen Diskontinuität Diskurs<br />
[AVR]<br />
Entgrenzen entlegen Entrichten Entrichtung Entsprechung Erwerb Erzählung Explosion<br />
Feuer Flanieren Flucht Fluss Flussregion Freiheit Frieden Fülle<br />
Gegenwart Gegenwarten Gerechtigkeit Geschichte Geschichtsbewusstsein<br />
Geschichtswissenschaft Gesellschaft Glück<br />
Historik Hoffnung Humanität<br />
Internet<br />
Kanalisierung Komplexion Komplexität Konstruieren Kreis Kreuzfahrt Kreuzweg<br />
Labyrinth<br />
Mehrdimensionalität Metabegriff Metapher mirabilia Mitleiden möglich Mondialität<br />
Nahen Natur Not<br />
Ordnung Orient Orientbild<br />
Pflanze<br />
Quelle<br />
ratlos Reduktion Reflexivität retractationes Richtung<br />
Sachverhalt Scheitern Schwermut Sinn Skizze Sonnenuntergang Spatium Spur <strong>Storik</strong><br />
Streben stromaufwärts Strudel Strukturierungsmittel Subsistenz Synchronie System<br />
Tier Traum<br />
Überstehen Überstieg unbekannt Unschärfe unvollendbar<br />
Variabilität Variante Verfassung Verfügungsgewalt Vergleich Verhaltensnorm<br />
Verhaltensweise Versuch Vielheit virtuell Vorbild<br />
Wandel Weg Welt Weltbild Welten Wesen Widerstehen wirklich Wirtschaft<br />
Zeit Zickzack Zufall Zweifel Zweigen<br />
Verweisungen auf Artikel / Dateien finden sich größtenteils im<br />
Register (RGR).<br />
Auf einige Stichwörter aus diesem Register wird im Folgenden verwiesen.<br />
Verweisungen auf Stichwörter mit angehängtem Schrägstrich:<br />
mit Slash (/) : Stichwort in AVR, zum Beispiel: Aphorismus/;<br />
mit Backslash (\): Stichwort im Register, zum Beispiel: Etymologie\.<br />
Einige Anmerkungen sind aus den Artikeln ausgegliedert <strong>und</strong> an den Schluss dieser Datei gestellt.<br />
6.1
A#<br />
• Alltag-A<br />
Alltag sei die Gesamtheit der Lagen, die sich über längere Zeit (mehr als ein Jahr) oder<br />
regelmäßig (mindestens jährlich wiederkehrend) für viele Menschen ergeben - Lagen, die<br />
in ihrem engeren Lebensraum zu orten sind, in Reisen als Lebensform sich darstellen<br />
oder als Beziehungen in Zweier- oder Kleingruppen erscheinen.<br />
Einige Stichwörter zur Geschichte des Alltags:<br />
Alltag <strong>und</strong> Gesellschaft. - Subsistenz: Auskömmliches Dasein <strong>und</strong> Not; Arbeit <strong>und</strong><br />
Nichtarbeit; Spielräume des Verhaltens; Wohnen <strong>und</strong> Reisen. - Individuum: Nahrung <strong>und</strong><br />
Kleidung; Lebensalter, Krankheit, Sterben; Stimmungen, Gedanken, Mentalitäten;<br />
Geschlechtstypisches Verhalten, Zweierbeziehungen. - Kleingruppe: Familie <strong>und</strong><br />
Haushalt; Wirtschaft <strong>und</strong> Betriebsform; Wirtschaft <strong>und</strong> Verfassung; Religiosität <strong>und</strong><br />
Wissenschaft. - Längsschnitte, Gesellschaft - Kleingruppe - Individuum.<br />
• Alltag-B<br />
Subsistenz_A; Not/; Arbeit_S2; Verhaltensnorm/; Verhaltensnorm_S1;<br />
Arbeiten_GH; Stadt-A_LS; Reisen_GF; Individuum\; EHW; Verhaltensweise-A/;<br />
Mentalität\; Traum/; TGF; Kleingruppe\; Wirtschaft_GF<br />
Nicht-alltäglich<br />
Weil Alltag an die fragile Enge des Raumes <strong>und</strong> der Zeit geb<strong>und</strong>en ist, brechen umso<br />
leichter die Makrostukturen des weiten Raumes <strong>und</strong> der langen Zeit in den Alltag ein,<br />
bleibt er der Natur <strong>und</strong> der Gesellschaft ausgeliefert. •<br />
In dem Maße, in dem Alltag in einen nicht-alltäglichen Zusammenhang eingefügt wird,<br />
verliert er seine Alltäglichkeit.<br />
Verfügungsgewalt_A; Natur/<br />
6.2
• alphabetisch<br />
Eine alphabetische Ordnung von Texten sucht die Systematik <strong>und</strong> Chronologie der<br />
Darstellungsweise zu mildern.<br />
chronologisch/<br />
“der geschätzte Anblätterer möge mir verzeihen, aber eine Übersicht über meine<br />
Absichten bin ich noch nicht zu geben imstande (was weiß ich, was mir gleich /in den<br />
nächsten Tagen <strong>und</strong> Jahren/ alles einfällt)”.*<br />
* Gerstl_s, 59/139.<br />
Eine Alternative zur alphabetischen Ordnung wäre die Nummerierung von Bemerkungen.*<br />
• Anderes<br />
* Beispiele: Wittgenstein_u, Seel_t.<br />
Das Eine <strong>und</strong> das Andere<br />
Der Mensch findet das Eine <strong>und</strong> sucht das Andere. Das Eine scheint ihm bekannt, aber<br />
nicht vertraut. Das Andere scheint ihm fremd oder gar entlegen. Ohne das Andere wäre<br />
nicht das Eine.*<br />
* Zu Alterität: Becker_a.<br />
Eine Methode, das Andere zu suchen, ist das Eine abzuwandeln - im Grenzfall bis zu<br />
dessen Gegensatz oder Aufhebung.<br />
• Angst<br />
das eine<br />
eines<br />
anderes<br />
das andere<br />
einander.<br />
Angst: Verhalten im Grenzbereich Virtualität - Chaos.<br />
Die Weite der Welt dringt bedrohlich auf den Menschen ein.<br />
6.3
• Aphorismus<br />
Aus einem Aphorismus können <strong>Varianten</strong> der Welt / der Geschichte erwachsen.* •<br />
“Denkkrümel”.**<br />
* AVR; VBM. ** Gerstl_l (Untertitel); Gerstl_p, 59-62, 84f.<br />
• Assoziation-A<br />
Assoziationen, ausgelöst durch:<br />
zeitliche / räumliche / sachliche Nähe,<br />
bildhafte Ähnlichkeit,<br />
lautliche Verwandtschaft / Ähnlichkeit.*<br />
* Etymologie im Sinne der modernen Sprachwissenschaft <strong>und</strong> im Sinne<br />
mittelalterlicher Etymologie; Etymologie\.<br />
Beispiele für Assoziations-Felder Ausrichtung-B/ Entrichtung-C/ Entrichtung-D/;<br />
Arbeit_S2; FBwelt_ES; <strong>Storik</strong>-C/<br />
6.4
• Assoziation-B<br />
Der Funke, der zwischen zwei scheinbar völlig verschiedenen Gedankenströmen<br />
überspringt - ermöglicht durch ein Medium, an dem beide teilhaben.<br />
Entsprechung/<br />
Assoziationen kommen beispielsweise zustande:<br />
• durch Verweisung:<br />
zwei Sachverhalte (A <strong>und</strong> B) stimmen teilweise überein;<br />
zwischen ihnen vermittelt ein Medium (M+), das Gemeinsamkeiten zwischen A <strong>und</strong> B<br />
erkennen lässt.<br />
• durch Abgrenzung:<br />
zwei Sachverhalte (A <strong>und</strong> B) weichen teilweise voneinander ab;<br />
zwischen ihnen vermittelt ein Medium (M-), das Unterschiede zwischen A <strong>und</strong> B erkennen<br />
lässt.<br />
• durch Verweisung <strong>und</strong> Abgrenzung:<br />
zwei Sachverhalte (A <strong>und</strong> B) sind auf gemeinsame / unterschiedliche Art auf eine<br />
Entlegenheit (E) bezogen;<br />
zwischen A <strong>und</strong> / oder B einerseits, E andererseits vermitteln Medien (M± M±’ M±’’), die<br />
Gemeinsamkeiten / Unterschiede der Beziehungen zwischen A <strong>und</strong> / oder B einerseits, E<br />
andererseits erkennen lassen.<br />
• Aufhebung<br />
Aufhebung von Widersprüchen / Paradoxien:<br />
durch Reflexivität: Negation der Negation;<br />
durch Komplementarität;<br />
durch Perspektivenwechsel.<br />
<strong>Zur</strong> Lösung von Paradoxien vgl. japanisch kôan, mondô / hossen.<br />
6.5
• Ausrichtung-A<br />
Ausrichtung / Ausgerichtetsein, auf Ziele gerichtete Strukturen <strong>und</strong> Vorgänge, als ein<br />
wesentliches Merkmal der Ablösung aus dem Chaos, der Entstehung von Welt /<br />
Geschichte.*<br />
* Zu <strong>Varianten</strong> der Ausrichtung unter räumlichen Aspekten: Stephan Günzel (Hg.),<br />
Lexikon der Raumphilosophie, 2012. •<br />
Mit dem Ausrichten / Ausgerichtetwerden entstehen Zeit-Räume / Spatien.<br />
Spatium/ •<br />
Ausrichtung geht einher mit der Komplexion von Sachverhalten.<br />
Komplexion/ Komplexität/<br />
• Ausrichtung-B<br />
Formen / Gestalten der Ausrichtung<br />
Serie,<br />
Faser,*<br />
Strahl;<br />
Energie / Energiefelder / Elektromagnetismus;<br />
Energie zu Materie,<br />
gasförmige zu flüssiger Materie,<br />
flüssige zu fester Materie,<br />
amorphe zu kristallinen Körpern;<br />
(Ober)Flächen;<br />
Geräte für Lebewesen.<br />
Dinge - Menschen TGF-4<br />
* “Es läuft ein Etwas durch den ganzen Faden, nämlich das lückenlose Übergreifen<br />
der Fasern. Das ist aber auch alles. Die Identitäten sind ins Rutschen gekommen.”<br />
Friederike Roth, Ordnungsträume. Eine Erzählung, 1979, 37.<br />
Weltbild_S3<br />
6.6
• Ausrichtung-C<br />
Ausrichtung - Entrichtung<br />
Versuche der Annäherung an die Beschreibung des Chaos:<br />
Annäherung durch Extrapolation <strong>und</strong> Negation;<br />
vgl. Versuche der Annäherung an die Beschreibung Gottes zum Beispiel durch Meister<br />
Eckhart oder Nikolaus von Kues.<br />
Denkweisen-C/<br />
Andeutungen der Ausrichtung / des Weges aus dem Chaos:<br />
in den mythischen Beschreibungen des Weltanfangs <strong>und</strong> des Weltendes, auch den damit<br />
verb<strong>und</strong>enen Vorstellungen von Kreisläufen.<br />
B#<br />
• Baum<br />
• Beginn<br />
Entrichtung/<br />
Aber die Menschen •<br />
Die Erde greift er<br />
<strong>und</strong> den Himmel; •<br />
aber die Menschen<br />
übergeht sein Stamm.<br />
Jenseits des Beginns ruhen ungeschieden Hoffen <strong>und</strong> Verzagen, Erfolg <strong>und</strong> Scheitern. •<br />
Auch jenseits des Endes?<br />
6.7
• Begriff<br />
Begriffe sind von unterschiedlicher Komplexität. Auch ein einfacher Begriff ist im<br />
Verhältnis zu den meisten Namen komplex. Der Name einer Menschengruppe (zum<br />
Beispiel “die Engländer”) mag komplexer sein als der eines einzelnen Menschen. Der<br />
Begriff “Tisch” bezeichnet mehr als nur den einen Tisch, der gerade vor Augen steht. Der<br />
Möglichkeit nach sind in ihm alle Tische enthalten - welcher Form <strong>und</strong> Farbe auch immer.<br />
Andererseits sieht der Begriff “Tisch”, wenn er einen Tisch, der gerade vor Augen steht,<br />
bezeichnet, von seinen Besonderheiten ab - etwa hinsichtlich der Form: r<strong>und</strong> oder eckig,<br />
hinsichtlich der Farbe: weiß oder braun.<br />
Maßgeblich für die Komplexität eines einfachen Begriffs sind die Zahl <strong>und</strong> die<br />
Qualitätsunterschiede seiner Merkmale. Daher ist der Begriff “Möbel” weniger komplex als<br />
der Begriff “Tisch”. Denn “Möbel” umgreift auch alle Tische. Damit dies möglich ist,<br />
müssen die Zahl <strong>und</strong> die Qualitätsunterschiede der Merkmale des Begriffs “Möbel”<br />
geringer sein als die des Begriffs “Tisch”. Ein Tisch ist ein Möbel, das eine in ihren<br />
Dimensionen für menschliche Tätigkeiten geeignete Fläche, die durch Stützen gehalten<br />
wird, aufweist. Ein Möbel, ein bewegliches Stück, das für Wohn- oder Arbeitsräume von<br />
Menschen bestimmt ist, muss weder eine Tischfläche noch deren Stützen aufweisen.<br />
Oberbegriffe sind von geringerer Komplexität als die ihnen zugeordneten Unterbegriffe.<br />
Der Oberbegriff “Möbel” ist von geringerer Komplexität als die ihm zugeordneten<br />
Unterbegriffe “Tisch” <strong>und</strong> “Stuhl”. Der Begriff “Möbel” bezieht sich auf mehr Sachverhalte<br />
als der Begriff “Tisch” oder “Stuhl”. Dies ist die Folge der geringeren Komplexität des<br />
Oberbegriffs “Möbel”. Die Begriffe “Tisch” <strong>und</strong> “Stuhl” dagegen sind gleichrangig <strong>und</strong><br />
daher von ähnlicher Komplexität.<br />
• Beschreibung<br />
Beschreibung als Darstellungsform der Geschichtswissenschaft<br />
Die historische Beschreibung bietet nicht in erster Linie eine chronologische Folge von<br />
Ereignissen, sondern stellt überwiegend Zustände dar - Situationen von langer Dauer,<br />
zum Beispiel kulturelle / soziale Verhältnisse, wie sie über Jahrh<strong>und</strong>erte bestanden. Der<br />
Stoff ist nach sachlichen Gesichtspunkten <strong>und</strong> insofern systematisch gegliedert.<br />
Werturteile <strong>und</strong> Reflexionen über kausale Zusammenhänge sind möglich. Langfristige<br />
kulturelle / soziale Wandlungen bilden den Rahmen einer solchen Zustandsbeschreibung<br />
<strong>und</strong> können in die Darstellung einbezogen sein.*<br />
* semiotisch_03.<br />
6.8
• Beziehungsmuster<br />
Beziehungsmuster sind Gruppen von Beziehungen / Strukturen, die als Entsprechungen /<br />
Analogien förderlich sind, Welt / Geschichte zu konstruieren.<br />
• Bild<br />
Bild - Text<br />
BZM_ES; Beziehungsmuster\<br />
Bilder / Abbildungen - Formen, Farben, ihre Beziehungen - als veranschaulichende <strong>und</strong><br />
ergänzende Parallelen zu Texten. •<br />
Bild <strong>und</strong> Text / Anschauung <strong>und</strong> Aussage ergänzen sich.<br />
Assoziation/; Einführung_91, 204ff.; Verzeichnis der Abbildungen<br />
Bild als Vorstellung Geschichtsbild\ Orientbild/ Weltbild/ Metapher/ Variante-D/<br />
virtuell-C/ Vorbild/ Wesen/<br />
• Blätter-A<br />
Individuelle Gestalt<br />
Jeder Baum ist eine individuelle Gestalt seiner Art. Ist auch jedes Blatt eines Baumes eine<br />
individuelle Gestalt? Bäume einer Art scheinen der Komplexion ihrer Gestalt fähiger als<br />
die Blätter eines Baumes. •<br />
Anders Georg Christoph Lichtenberg: “Wir sind alle Blätter an einem Baum, keins dem<br />
andern ähnlich, das eine symmetrisch, das andere nicht, <strong>und</strong> doch gleich wichtig dem<br />
Gantzen. Diese Allegorie könte durchgeführt werden.”<br />
* Lichtenberg_a, F 625.<br />
6.9
• Blätter-B<br />
Linde - Platane - Esche<br />
Der holsteinische Bauer Gottschalk* schaute am Ende der neunziger Jahre des 12.<br />
Jahrh<strong>und</strong>erts in einer Vision eine Linde, die mit Schuhen besetzt war. Schuhe brauchte er,<br />
um ein vor ihm liegendes Dornengestrüpp zu durchqueren. Von den zwei Geistlichen, die<br />
Berichte über diese Vision aufgezeichnet haben, nimmt der eine die Beschreibung des<br />
Baumes als einer Linde unkommentiert hin; der andere aber setzt hinzu: die Blätter dieses<br />
Baumes seien breit wie die einer Platane.** Platanen sind zu dieser Zeit in Deutschland<br />
nicht vorhanden; noch Luther übersetzt “Platane” mit “Kastanie”. Die Platane war allein<br />
aus der literarischen, nicht zuletzt biblischen Überlieferung bekannt, eher einem<br />
Geistlichen als einem Bauern. Warum ist ein Geistlicher daran interessiert, die Blätter<br />
einer “Linde”, die jedermann vertraut ist, nachdrücklich als “breit” zu charakterisieren?<br />
Dahinter dürfte der Verdacht stehen, der Bauer könnte einer dämonischen Vorspiegelung<br />
erlegen sein; in ihr hätte ein Baum Platz, der aus der heidnischen Überlieferung als<br />
Weltesche (altnordisch Yggdrasil) bekannt ist. Die Esche hat schmale Blätter. Gegen sie<br />
wurde das Blatt der Linde durch den Vergleich mit dem der Platane abgegrenzt.<br />
* Kolonisation_LS; Land_LB.<br />
** Godeschalcus <strong>und</strong> Visio Godeschalci, hg. v. Erwin Assmann (Quellen <strong>und</strong><br />
Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 74), 1979, hier A, c. 3; vgl. B,<br />
c. 4.<br />
• Brücke-A<br />
Brückenbau über einen Fluss<br />
Das Queren eines Flusses ist ohne eine Brücke möglich: durch Schwimmen / Fliegen,<br />
durch die Nutzung einer Furt, mithilfe eines Bootes oder einer Fähre. •<br />
Eine Brücke, die einen Fluss überquert, erleichtert <strong>und</strong> intensiviert die Kommunikation<br />
zwischen seinen Ufern: Furten <strong>und</strong> Fähren werden entbehrlich; Gütertransporte über den<br />
Fluss sind ohne Umladen möglich. •<br />
Es bleibt das Risiko, dass die Brücke einstürzt.<br />
Brücke\<br />
6.10
• Brücke-B<br />
Überbrückung<br />
Zwischen möglichen Ursprüngen <strong>und</strong> Zielen eines geschichtlichen Verlaufs besteht eine<br />
Mehrzahl möglicher Überbrückungen. Manche von ihnen werden aktualisiert, andere<br />
nicht; manche scheinen aktualisierbar, andere nicht. Das Nebeneinander einer Mehrzahl<br />
möglicher Überbrückungen zwischen Ursprüngen <strong>und</strong> Zielen eines geschichtlichen<br />
Verlaufs nimmt ihm seine Eindeutigkeit, belässt ihm eine begrenzte Vielfalt von <strong>Varianten</strong>.<br />
Gegenwarten/ Mehrdimensionalität/ Variante/; Geschichten_GV<br />
Eine andere Vorstellung: Von einem Ursprung zu möglichen Zielen - oder: von möglichen<br />
Ursprüngen zu einem Ziel.<br />
• Brücke-C<br />
Denkweisen/ entlegen/; ADW; aktualisierbar_GV; TGF-5; Überstehen-B_S1<br />
Brückenbau: Bogen <strong>und</strong> Zickzack<br />
Die Verwendung von Bogenformen wie auch die Führung im Zickzack oder in einer ihm<br />
verwandten Kreuz-(X-)form mildert die gerade Linie des Weges <strong>und</strong> stabilisiert den<br />
Brückenbau.*<br />
C#<br />
• Chaos<br />
* Sven Bardua, Brückenmetropole Hamburg, 2009, 8f., 13, 19, 24, 26, 43, 84-87,<br />
103-105, 113, 117, 120, 150, 154, 162, 171f., 175, 186.<br />
Zickzack/<br />
Chaos ist die Fülle der Möglichkeiten.*<br />
* Nikolaus von Kues, De docta ignorantia 2, c. 8 <strong>und</strong> 3, c. 10 (Nikolaus-K_p 1 §§<br />
134 u. 241): “chaos [...] fuisse rerum possibilitatem”; “in ipsum tenebrosum chaos<br />
merae possibilitatis”. Diese Andeutungen Nikolaus’ beziehen sich allein auf den<br />
Zustand vor der Erschaffung der Welt. Vgl. TGF-5G: Jenseits des siebten Tages.<br />
Im Chaos sind alle Möglichkeiten gleichwertig.<br />
6.11
• chronologisch<br />
Eine historische Darstellung, die eindimensional hauptsächlich chronologische<br />
Zusammenhänge herstellt, verfällt im Verborgenen einer Systematik.<br />
D#<br />
• Dauer<br />
alphabetisch/. <strong>Zur</strong> Kausalität Lichtenberg_a, J 735, J 1279, J 1315;<br />
Wittgenstein_t, n. 5.136, 6.3.<br />
Lange Dauer<br />
Nicht nur die Darstellung von Ereignissen oder von Abläufen, die kurze Zeit währen,<br />
sondern auch die Beschreibung von Zuständen langer Dauer erfordert eine Geschichte in<br />
<strong>Varianten</strong>. Einmalige Ereignisse spornen wegen ihrer scheinbaren Kurzlebigkeit die<br />
Phantasie an, näher zu bedenken, wie es hätte anders verlaufen können. Zustände langer<br />
Dauer, über Jahrzehnte, Jahrh<strong>und</strong>erte oder Jahrtausende scheinbar gleichförmig, sind -<br />
großflächig gesehen - von den kurzlebigen Ereignissen nur graduell unterschieden. Vor<br />
allem aber ist die historische Darstellung vergangener Ereignisse <strong>und</strong> vergangener<br />
Zustände methodisch gleicher Art. Der Historiker verfolgt, indem er sie darstellt,<br />
Absichten. Er will etwa zeigen, dass eine vergangene Epoche gegenüber seiner Gegen-<br />
wart Eigenarten aufweist, durch die sich jene von dieser unterscheidet; oder dass zu allen<br />
Zeiten die Gr<strong>und</strong>gegebenheiten, die das Geschehen bestimmenden Faktoren, die<br />
gleichen waren. In beiden Fällen scheint es methodisch sinnvoll <strong>und</strong> verlockend, auch die<br />
Darstellung vergangener Zustände daraufhin zu prüfen, wieweit sie sich einer Geschichte<br />
in <strong>Varianten</strong> öffnen lasse.<br />
6.12
• Delta<br />
Das Delta ist schon immer da.<br />
Vorausgesetzt: ein Fluss mit mehreren Quellen, mindestens einem Stromspaltungsgebiet<br />
<strong>und</strong> mehreren Mündungen. •<br />
Von einem Quelldelta zu einem Mündungsdelta.*<br />
* Zu Quelle(n) <strong>und</strong> Mündungen am Beispiel der Donau: Hedwig Heger (Hg.), Die<br />
Donau, 2008, 3ff., 156ff. - Vgl. Indus_AS.<br />
Die Raute () eines Stromspaltungsgebietes als ein doppeltes Delta ().<br />
Delta: Vielfalt vor dem Anfang / nach dem Ende eines Stromes. •<br />
Quelldelta <strong>und</strong> Mündungsdelta, durch den Strom verb<strong>und</strong>en, durch Atmosphäre <strong>und</strong><br />
Gr<strong>und</strong>wasser gleichsam in eine Ellipse eingefügt. Die Zweigungsbereiche dieser Delten<br />
als Brennpunkte der Ellipse?<br />
• Demut<br />
TGF-5D mit BLD02<br />
Meiden: die hochmütige Gewalttat des Verstehens.*<br />
* Einführung_91, 80. <strong>Zur</strong> Problematik des Verstehens Wittgenstein_u <strong>und</strong> entlegen/<br />
Die Virtualität der Welt / der Geschichte, ihre Unschärfe <strong>und</strong> das Geheimnis des Chaos In<br />
Demut erahnen.<br />
Chaos/ Unschärfe/ virtuell/ •<br />
Geduld ist ein Aspekt der Demut.<br />
“The only wisdom we can hope to acquire<br />
Is the wisdom of humility: humility is endless.”*<br />
* T. S. Eliot, Four Quartets.<br />
Der heilige Ansgar fürchtete den Hochmut des tugendhaften Lebens.*<br />
* VAnskarii, c. 35; Einführung_91, 172ff. - <strong>Zur</strong> demütigen Tapferkeit Lion<br />
Feuchtwanger, Exil, Kap. 3/15. Vgl. Glück/.<br />
6.13
#<br />
• Denkweisen-A<br />
Denk- <strong>und</strong> Darstellungsweisen<br />
Denkweisen sind auf menschliche Verhaltensweise(n) <strong>und</strong> Sprache(n) bezogen.<br />
Die Beschreibung von Denkweisen bedient sich zeit-räumlicher Metaphern.<br />
Verhaltensweise-A/ Sprache\ Spatium/ Metapher/<br />
Denkweisen entstehen aus dem Zusammenhang der Welt, in dem sich der denkende<br />
Mensch befindet. Für die <strong>Storik</strong> / für eine Geschichte in <strong>Varianten</strong> geht es zunächst<br />
darum, die angemessenen Denkweisen zu entdecken <strong>und</strong> zu entwickeln. Aus den<br />
Denkweisen erwachsen Darstellungsweisen. Insofern überlagern sich Denk- <strong>und</strong><br />
Darstellungsweisen. Die aus den Darstellungsweisen hervorgehenden ausgeprägten<br />
Darstellungsformen zu beschreiben, verbleibt der historischen Topik.<br />
Historik-A/ <strong>Storik</strong>-A/; MKT<br />
• Denkweisen-B<br />
Metapher - Metabegriff - Diskurs<br />
Eine Metapher verwurzelt Vorstellungen in der vorgef<strong>und</strong>enen Anschaulichkeit.<br />
Ein Metabegriff verknüpft Begriffe zu Gefügen.<br />
Der Diskurs reiht eine Folge aufeinander bezogener Vorstellungen / Sätze:<br />
als Monolog, als Gespräch mehrerer Personen;<br />
als Wandlung eines vorgegebenen Textes / Motivs über längere Zeit.<br />
Metapher/ Metabegriff/ Diskurs/ Fülle/; Metapher_AD<br />
• Denkweisen-C<br />
Sich dem Unbekannten nähern:<br />
das Bekannte extrapolieren / vom Bekannten aus sich vortasten;<br />
das Bekannte negieren.<br />
Anderes/ Ausrichtung-C/ Nahen/ Streben/; aktualisierbar_GV; Geschichten_GV;<br />
MKT; TGF-4E<br />
6.14
• Denkweisen-D<br />
Geschichte - Einbeziehung von Verhaltensnormen<br />
Geschichte ist nicht allein, was ist oder als Seiendes / Gewesenes wahrgenommen wird.<br />
Geschichte ist auch, was sein soll oder als Seinsollendes wahrgenommen oder gefordert<br />
wird.<br />
Subsistenz <strong>und</strong> Überstieg als wahrgenommene oder geforderte Verhaltensnormen.<br />
Geschichtswissenschaft-C/ Verhaltensnorm/; Subsistenz_A; Überstieg_A; LRT<br />
• Denkweisen-E<br />
Sektorales <strong>und</strong> exzentrisches Denken<br />
Der Mensch verhält sich maßvoll exzentrisch.<br />
TGF-4E<br />
M1, der von der Plattform eines Turmes ins Weite blickt, sieht nicht das gesamte Bild,<br />
sondern jeweils nur einen Sektor. Er kann aus mehreren Sektoren, die er gesehen hat, ein<br />
umfassenderes Bild oder ein Gesamtbild zu gewinnen suchen - indem er die Sektoren<br />
addiert oder assoziiert. Sein Standort auf der Plattform des Turmes ist das Zentrum, auf<br />
das alle gesehenen Sektoren bezogen werden.<br />
M2, der sich abseits des Turmes befindet <strong>und</strong> zu ihm hin blickt, sieht ihn als einen Teil<br />
seines Blickfeldes, innerhalb eines Sektors. Er kann seinen Blick auf den Turm richten,<br />
aber sein, des Betrachters, Standort verhält sich zum Turm exzentrisch.<br />
Vereinfacht auf vier Blickrichtungen <strong>und</strong> die ihnen entsprechenden Sektoren, ließen sich<br />
die skizzierten Situationen an dem Buchstaben X verdeutlichen. In seinem Zentrum<br />
kreuzen sich zwei Schrägbalken; oder: In ihm treffen sich vier Linien aus verschiedenen<br />
Richtungen; oder: Von ihm gehen vier Linien in verschiedene Richtungen aus. Die Winkel<br />
zwischen den Linien öffnen das X: nach oben, nach unten <strong>und</strong> zu den Seiten. M1, der sich<br />
im Zentrum des X befindet, kann von dort in mehrere Richtungen blicken. M2, der sich<br />
abseits des X befindet, kann nur in einer Richtung auf das Zentrum des X blicken; er<br />
könnte diese Richtungen vervielfachen, wenn er das X umkreiste. Die Bilder, die M1 <strong>und</strong><br />
M2 auf diese Weise gewönnen <strong>und</strong> die sich in ihrem Bewusstsein durch zu vergleichende<br />
Strukturen <strong>und</strong> durch Verweisungen <strong>und</strong> Abgrenzungen zwischen Nachbarschaften<br />
verbinden könnten, näherten sich dem der Region X.*<br />
* Zum Begriff Region am Beispiel Hamburgs Region_GH.<br />
6.15
Die Standorte der Betrachter M1 <strong>und</strong> M2 ließen sich als die Brennpunkte einer Ellipse<br />
auffassen. Exzentrizität entspräche der variierenden Konzentration auf einen der<br />
Brennpunkte - wobei jeweils ein Brennpunkt zum Zentrum, der andere Teil eines<br />
betrachteten Sektors wird.<br />
Der Turm könnte ein System sein, in dessen Zentrum sich M1 befindet, rings um sich<br />
Sektoren als Teile seiner Umwelt erblickend. Für den abseits vom Turm stehenden M2<br />
kann zwar der Turm auch ein System sein, aber dieser Mensch befindet sich außerhalb<br />
dessen, in mindestens einem anderen System. Der Turm ist für M2 Teil einer Umwelt.<br />
Diese sektorale oder exzentrische Denkweise bleibt - trotz möglicher Additionen,<br />
Assoziationen, Überlagerungen - notwendig aspekthaft.<br />
Assoziation/ Delta\ System/ Zweigen\; FBwelt_ES; TGF-1E/2F<br />
Beispiele zu Exzentrizität exzentrisch-H_GH; vgl. exzentrisch-M_BM<br />
• Denkweisen-F<br />
Spiraliges / umschleichendes Denken<br />
Das lineare Denken orientiert sich an Logik <strong>und</strong> Chronologie. Das spiralige Denken<br />
umschleicht das Thema wie eine Wildkatze die Maus.* Verzicht auf den direkten Zugriff,<br />
aber nicht auf das Finden; vorsichtiges Hinlenken auf das Ziel.<br />
* Tschuang-tse / Chuang-tzu, Dichtung <strong>und</strong> Weisheit, übers. v. Hans O. H. Stange,<br />
1936 (Insel-Bücherei 499), 6 u. 58; Hermann Hesse, Die Morgenlandfahrt;** VBM.<br />
** Anmerkung am Ende dieser Datei.<br />
• Denkweisen-G<br />
Gitter: Mehrdimensionalität - Beziehungsmuster<br />
Eine mehrdimensionale Denkweise zu veranschaulichen, mag die Vorstellung des Gitters<br />
dienen. Das Gitter wird durch mehrere Linien gebildet, die sich in mindestens zwei<br />
Dimensionen erstrecken. Zwischen den Schnittpunkten der Linien entstehen Felder. Im<br />
Grenzfall, wenn alle Linien, die in einer Dimension verlaufen, voneinander gleich weit<br />
entfernt sind <strong>und</strong> wenn die Linien, die in verschiedenen Dimensionen verlaufen, sich<br />
rechtwinklig schneiden, entsteht ein schachbrettartiges Muster.<br />
Das Denken kann sich entlang einer Linie bewegen, von einer Linie zu einer anderen<br />
abbiegen, die Dimension wechseln oder von einer Linie zu einer anderen springen. Oder<br />
es kann von einem Feld des Gitters zu benachbarten fortschreiten - ohne oder mit<br />
6.16
Richtungswechsel - oder von einem Feld zu einem entfernteren springen, gleichsam wie<br />
von einer Insel zu einer anderen Insel.<br />
Bei diesen Sprüngen können Beziehungsmuster erkennbar werden, vergleichbar den<br />
Bewegungsmöglichkeiten der Figuren im Schachspiel.<br />
Beziehungsmuster/ •<br />
Stellt man sich das Bewusstsein eines oder mehrerer Menschen als begrenzt<br />
aufnahmefähig vor, so ist deren Geschichtsbewusstsein einer begrenzten Schreibfläche<br />
vergleichbar, die nur eine begrenzte Zahl von Zeichen aufnimmt. Diese Zeichen lassen<br />
sich durch andere Zeichen überschreiben. Die Schreibfläche enthält dann also zwei<br />
Texte, die wie zwei Gitter übereinander liegen <strong>und</strong> beide lesbar sind. Die beiden Texte<br />
können völlig verschieden sein; aber es ist auch vorstellbar, dass sie sich aufeinander<br />
beziehen oder sich zu einem dritten Text verbinden lassen, wie zwei sich überlagernde<br />
Muster ein neues Muster ergeben. So kann hinter zwei sich überlagernden Geschichten -<br />
mehr oder weniger scharf - eine dritte Geschichte erkennbar werden.<br />
Eine verfälschte Urk<strong>und</strong>e ist als eine Überlagerung zweier Gitter zu begreifen: der echten<br />
Teile <strong>und</strong> der gefälschten.<br />
Urk<strong>und</strong>enfälschung_S2<br />
Überlagerungen sind Beziehungen zwischen parallelen Aussagen über ähnliche<br />
Sachverhalte; diese Aussagen liegen übereinander wie Gitter oder wie die Schriften eines<br />
Palimpsests. Die sich überlagernden Muster sind nicht völlig beliebig.<br />
Man denke zum Beispiel an Aussagen über Baumwelt <strong>und</strong> Flusswelt, die sich auf das<br />
Zweigen - Verzweigen <strong>und</strong> Entzweigen - richten.<br />
Baum\ Fluss\ Delta\ Zweigen\; FBwelt_ES; Metapher_AD; Zweigen_ES<br />
• Denkweisen-H<br />
Flanierendes Denken / Gedankennetze<br />
Assoziative Verknüpfung von Gedankenfasern / -fäden zu einem Netz.<br />
In dem Gedankennetz können sich verschiedene Denkweisen verknüpfen, kreuzen,<br />
überlagern.*<br />
* Anmerkung am Ende dieser Datei.<br />
Flanieren/ Kreuzfahrt/ Netz\ Zickzack/; TGF<br />
6.17
• Denkweisen-J<br />
Flanierendes <strong>und</strong> konstruierendes Denken<br />
Das flanierende <strong>und</strong> das konstruierende Denken haben gemeinsam, dass sie<br />
Beziehungen zwischen Sachverhalten knüpfen. Je vielfältiger <strong>und</strong> dichter mehrere<br />
Sachverhalte aufeinander bezogen werden, desto deutlicher entsteht ein Netz von<br />
Beziehungen. Dieses mag zunächst gestaltlos scheinen, kann sich aber dem Denkenden<br />
allmählich als Gestalt, als ein Beziehungsmuster zeigen.<br />
Das flanierende <strong>und</strong> das konstruierende Denken unterscheiden sich hinsichtlich der<br />
Ursprünge, Verläufe <strong>und</strong> Ziele. Das Konstruieren geht von klar benennbaren <strong>und</strong><br />
begrenzbaren Ursprüngen aus <strong>und</strong> strebt so beschaffene Ziele an. Die Verläufe des<br />
Konstruierens erscheinen dementsprechend typischerweise klar umrissen <strong>und</strong> geradlinig.<br />
Das Flanieren ist mehrdeutiger als das Konstruieren. Es bleibt geöffnet für ein Spektrum<br />
von Ursprüngen <strong>und</strong> Zielen, die nicht notwendig klar benannt oder begrenzt werden<br />
müssen. Durch sich wandelnde / abgewandelte Ursprünge <strong>und</strong> Ziele können die Verläufe<br />
des Flanierens gebrochen sein. Sie erscheinen typischerweise nicht als ein Bündel<br />
gerader Linien, sondern als ein Gefüge unregelmäßiger Figuren. Im Nachhinein mag<br />
flanierendes Denken - mithilfe konstruierenden Denkens - ein regelmäßigeres Muster<br />
erkennen lassen.<br />
Mehr als das konstruierende bedarf das flanierende Denken vielfältiger Darstellungs-<br />
weisen.<br />
Konstruieren/; TGF-1A<br />
• Denkweisen-K<br />
System - Einbeziehung der Subsistenz<br />
Ein System als ein Modell der Beschreibung von Verhaltensweisen / Verhaltensnormen,<br />
Diskursen, Zeit-Räumen / Räumen - auch ihrer Brüche.<br />
Metaphern des Fließens <strong>und</strong> Wachsens lassen Entsprechungen zu Welt / Geschichte<br />
erkennen.<br />
6.18
Dieses Bild der Kontinuität - einschließlich ihrer Wandlungen <strong>und</strong> Abwandlungen - wird<br />
modifiziert:<br />
durch Vorstellungen der Diskontinuität / Brüchigkeit der Welt / Geschichte ( System/);<br />
durch Leitbilder der Gerechtigkeit / des Mitleidens mit Lebewesen <strong>und</strong> der Ökologie / des<br />
Hegens der Natur ( Subsistenz_A).<br />
Metapher_AD; Mitleiden_AD<br />
• Denkweisen-L<br />
Entzeitlichung - Enträumlichung<br />
Die Vorstellungen Zeit <strong>und</strong> Raum sind nicht gleichwertig. Zeit erstreckt sich im Raum.<br />
Raum kann zeitlos bestehen.<br />
Phasen der Entzeitlichung:<br />
Die Vorstellung der Zeit geht ein in die Vorstellung des Zeit-Raums.<br />
Der Zeit-Raum wird zu gegenwärtigem oder zeitlosem / ewigem Raum.<br />
Enträumlichung:<br />
Die Vorstellung des Raumes ist mit der Vorstellung von Richtungen verb<strong>und</strong>en.<br />
Die Vorstellung des Raumes wird reduziert, indem Ausrichtungen zu Entrichtungen<br />
werden.<br />
Spatium/ Entrichtung/<br />
• Diskontinuität<br />
Diskontinuität <strong>und</strong> Kontinuität sind nicht gleichwertig. Diskontinuität setzt Kontinuität<br />
voraus. Brüche setzen Zusammenhänge voraus. •<br />
Gleichwohl ermöglicht die Sprache, Diskontinuität <strong>und</strong> Kontinuität als einen konträren<br />
Gegensatz herauszustellen.<br />
• Diskurs<br />
Metapher_AD<br />
Sich mit Diskursen zu befassen, deren Entstehung Jahrh<strong>und</strong>erte oder Jahrtausende<br />
zurückliegt, ergibt eine perspektivische Verschiebung, die das Bewusstsein des Lesers<br />
bereichert.<br />
Denkweisen-B/ Geschichte-D/ Quelle/ Diskurs\; Mehrdimensionalität_ES;<br />
Einführung_91, 29f.<br />
6.19
E#<br />
• Entgrenzen<br />
Die Freude an der Grenze kann in die Hoffnung auf die Entgrenzung münden.<br />
• entlegen<br />
Entlegen sind die fernen Randbereiche eines weiten Raumes.* •<br />
Entlegen ist ein Ziel, das offen, aber nicht beliebig ist.**<br />
* TGF-3B.<br />
** TGF-1B; Musil_m, 32: “[...] als ob die vier Wände stillstünden, <strong>und</strong> das<br />
Unheimliche ist bloß, daß die Wände fahren, ohne daß man es merkt, <strong>und</strong> ihre<br />
Schienen vorauswerfen, wie lange, tastend gekrümmte Fäden, ohne daß man weiß<br />
wohin.”<br />
Das Entlegene begegnet uns nicht, es bleibt am Rande; allenfalls zieht es wie das<br />
Exotische Sehnsüchte <strong>und</strong> Erwartungen auf sich. Das Fremde begegnet uns <strong>und</strong> wird<br />
nicht verstanden - solange es als “fremd” erscheint.*<br />
* Zum Verstehen: Demut/ Geschichte-D/; <strong>Zur</strong> interkulturellen Hermeneutik:<br />
Schmidt_f, Becker_a.<br />
• Entrichten<br />
Entrichten / Entrichtung<br />
Das Wort “entrichten” ist in seiner üblichen Bedeutung ([eine Abgabe] leisten) enger als<br />
“ausrichten”, das unter anderen Bedeutungen (wie “veranstalten”) auch die Nähe zu<br />
“Richtung” (“gerade richten”) klarer behalten hat. In Analogie zu “ausrichten” (“gerade<br />
richten”) kann “entrichten” mit der Bedeutung “eine Ausrichtung aufheben” belegt werden.*<br />
* Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 3/3: “entrichten” auch in der (älteren)<br />
Bedeutung: “aus der richte, fuge, ordnung bringen”.<br />
Ausrichtung/ Entrichtung/<br />
• Entrichtung-A<br />
Entrichtung / Entrichtetsein, als ein wesentliches Merkmal des Aufgehens im Chaos, des<br />
Vergehens von Welt / Geschichte.<br />
Entrichtung geht einher mit der Reduktion von Sachverhalten. •<br />
Mit dem Entrichten / Entrichtetwerden schwinden alle Zeit-Räume / Spatien.<br />
6.20
• Entrichtung-B<br />
Entrichtung - Chaos<br />
Die Welt / Geschichte besteht in der Ausrichtung / dem Ausgerichtetsein. Das<br />
Entrichtetsein ist in seinen Anfängen / Ansätzen, als Entrichtetwerden, der menschlichen<br />
Erfahrung zugänglich. Daher ist es von ihm aus möglich, das Chaos - als zugleich<br />
gegenwärtig <strong>und</strong> entlegen - zu erahnen.<br />
Grenzbereiche des Chaos <strong>und</strong> Grenzbereiche der Virtualität berühren <strong>und</strong> überlagern<br />
sich. Nur insoweit sind Grenzbereiche des Chaos, solange es nicht erkennbar in<br />
Aktualisierbarkeiten <strong>und</strong> Aktualitäten einbricht, zu erahnen.<br />
Denkweisen-C/<br />
• Entrichtung-C<br />
Andeutungen / Erahnungen des Chaos in der Weitung / Entgrenzung der Welt<br />
• Glück, Angst<br />
Angst/ Glück/<br />
• Entspannung<br />
• Schwindel, Bewusstlosigkeit<br />
Strudel/<br />
• Traum<br />
Traum/<br />
• Rausch / Ekstase / Orgasmus<br />
• Vergehen von Wesen / Sterben von Lebewesen<br />
• Vernetzung<br />
• flanierendes Denken<br />
Denkweisen-G/; TGF-1A<br />
• Strukturalismus - Semiotik<br />
Beziehung\ Zeichen\<br />
• Aufhebung von Widersprüchen / Paradoxien<br />
Aufhebung/<br />
• Meditation<br />
Entrichtung-C/; Geschichten_GV; TGF-5<br />
• schwebender Staub<br />
TGF-5H<br />
• Vervielfachung der Richtungen<br />
Entrichtung-D/ Richtung/<br />
6.21
• Entrichtung-D<br />
Mehrdimensionalität ist auf Entrichtung angelegt.<br />
Beispiele für Mehrdimensionalität / Vervielfachung der Richtungen:<br />
• Richtungswechsel<br />
mit einer einzigen Richtung vereinbar nur: Zickzack oder Spirale;<br />
kreuz <strong>und</strong> quer: mindestens zwei, eher mehr als zwei Richtungen.<br />
Denkweisen/ Strudel/<br />
• Verflüchtigung von Körpern:<br />
kristallin zu amorph, fest zu flüssig, flüssig zu gasförmig,*<br />
Materie zu ungerichteter Energie.<br />
* “Gas” <strong>und</strong> “Chaos” sind etymologisch verwandt.<br />
Explosion/ Feuer/<br />
• brechende Fasern<br />
Ausrichtung-B/<br />
• wellige Fläche / Oberfläche eines Gewässers:<br />
vom Fließen <strong>und</strong> vom Wind leicht in verschiedene Richtungen bewegt;<br />
dem Blick entzogen: die Bewegung in die <strong>und</strong> aus der Tiefe.<br />
Strudel/ Denkweisen/ Entsprechung/; TGF-1G<br />
• Energiefelder / Elektromagnetismus<br />
• Kreisform, Bogenform<br />
Kreis/ Brücke-C/<br />
• Doppelgesichter:<br />
Janus, der römische Gott der Türen <strong>und</strong> Tore;<br />
Aker, der ägyptische Gott der Erde / der Unterwelt.<br />
• zwei Himmelsrichtungen: Bamberg*<br />
* Frutolf von Michelsberg, Chronik z.J. 1001.<br />
• vier Himmelsrichtungen:<br />
das himmlische Jerusalem, mit vier mal drei Stadttoren;*<br />
* Johannesoffenbarung 21,12-13; vgl. Denkweisen-E/.<br />
das indische Symbol der Doppel-Vajra;<br />
die fünf transzendenten Buddhas:<br />
zugeordnet den vier Himmelsrichtungen <strong>und</strong> dem Zentrum (der Mittleren Weltgegend);<br />
der Buddha des Zentrums, Vairocana, auch mit vier Gesichtern, entsprechend den vier<br />
Himmelsrichtungen, dargestellt - wie Brahmâ.<br />
• vier - acht - sechzehn ... Richtungen (viele oder alle Richtungen denken): Windrose;<br />
Rosen-, Lotosblüte.<br />
Richtung/<br />
6.22
• Entsprechung<br />
Eine Entsprechung / Analogie ist eine Beziehung zwischen Sachverhalten, die einander<br />
ähnlich sind.<br />
Ähnlichkeit schließt ein, dass es auch Unterschiede zwischen diesen Sachverhalten gibt.<br />
Sachverhalte, die einander entsprechen oder durch Assoziationen verknüpft werden,<br />
können verglichen werden.*<br />
Verglichen werden Sachverhalte anhand der Aussagen über sie, also anhand von<br />
Darstellungen <strong>und</strong> Beurteilungen der Sachverhalte.<br />
* Zu Analogie <strong>und</strong> Vergleich: Droysen, Gr<strong>und</strong>riß der Historik (gedruckte Fassung<br />
von 1882), §§ 25 u. 39.<br />
Der Vergleich ist nur aspekthaft möglich. Mehrere berücksichtigte Aspekte können<br />
gebündelt oder vernetzt werden. Aspekte, die in einem Vergleich zwischen zwei<br />
Sachverhalten berücksichtigt werden, müssen auf ein Drittes als ein Medium - eine Regel<br />
oder eine Kategorie - bezogen sein.<br />
Assoziation-B/<br />
Ein Sonderfall des Vergleichs ist die Behandlung kontroverser Themen in der<br />
Geschichtswissenschaft. Allerdings erfasst die Beschränkung auf Kontroversen die<br />
Probleme einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> nur sehr fragmentarisch.<br />
• Erwerb<br />
Vergleich/<br />
Jeder Erwerb<br />
bedroht den Bestand des Erworbenen,<br />
bedroht den Bestand des Erwerbenden.<br />
“jeder f<strong>und</strong><br />
von verlust bedroht”*<br />
* Gerstl_l, 11.<br />
6.23
• Erzählung-A<br />
“Erzähle, was du gesehen hast.” Das heißt nicht: beschreibe das Gesehene, sondern:<br />
erzähle den Ablauf deines Sehens, oder: beschreibe die Erinnerung an dein Sehen.<br />
• Erzählung-B<br />
Erzählung als Darstellungsform der Geschichtswissenschaft<br />
Die Gr<strong>und</strong>form ist die chronologisch reihende Erzählung ausgewählter Ereignisse. Typisch<br />
ist die Reihung nach Jahren (vgl. die Quellensorte “Annales”). Die politische Geschichte<br />
im engeren Sinne, die auf militärische <strong>und</strong> diplomatische Ereignisse konzentriert ist,<br />
bevorzugt diese Darstellungsform. Jedoch ist es möglich, die chronologische Folge zu<br />
durchbrechen, im Vor- oder Rückblick Zusammenhängendes darzustellen. In den Diskurs<br />
können auch stillschweigend - durch eine entsprechende Stoff- <strong>und</strong> Wortwahl -<br />
Wertungen <strong>und</strong> kausale Zusammenhänge eingefügt werden. Exkurshaft sind auch in<br />
einer chronologisch geordneten Darstellung Beschreibungen oder Erörterungen möglich.<br />
Biographien können zwar von der chronologischen Folge des Lebens nicht absehen,<br />
ermöglichen aber auch, Lebenssituationen <strong>und</strong> Hintergründe beschreibend darzustellen.*<br />
Narrative Strukturen sind auch in anderen Sorten historischer Darstellung nicht<br />
ungewöhnlich; denn es fällt dem Historiker schwer, von Zeitfolgen völlig abzusehen.**<br />
* <strong>Zur</strong> Autobiographie Variante-D/. ** semiotisch_03.<br />
• Explosion<br />
Explosion - Implosion<br />
Explosion / Implosion leitet von der Welt auf das Chaos hin.<br />
F#<br />
• Feuer<br />
Feuer leitet von der Welt auf das Chaos hin.<br />
6.24
• Flanieren<br />
Flanieren / Spazieren als zeitlich getönter Gang durch einen Raum - nicht allein einen<br />
städtischen Raum -, verb<strong>und</strong>en mit der Offenheit des Flaneurs für Assoziationen, die Zeit<br />
<strong>und</strong> Raum aufheben.<br />
Der Flaneur wird als ein einsamer Spaziergänger* verstanden; ist er auch auf die (große)<br />
Stadt bezogen, umgreift der Raum, in dem er flaniert, nicht allein die Stadt <strong>und</strong> die<br />
Vielzahl ihrer Menschen, sondern auch ländlichen Raum <strong>und</strong> seine Menschenleere.**<br />
* “promeneur solitaire et pensif”; Charles Baudelaire, Les foules, in: Petits poèmes<br />
en prose (Le Spleen de Paris). Dagegen auf die Stadt <strong>und</strong> ihre Menschenmenge<br />
konzentriert: Edgar Allan Poe, The Man of the Crowd. Vgl. Benjamin_p, bes. 307,<br />
363, 524ff. sowie desselben Abhandlungen über Baudelaire <strong>und</strong> Rezension “Die<br />
Wiederkehr des Flaneurs” - zu Franz Hessel, Spazieren in Berlin (1929), dieses<br />
Buch neu aufgelegt <strong>und</strong> um die Rezension Benjamins ergänzt unter dem Titel “Ein<br />
Flaneur in Berlin” (1984).<br />
** Die Analogie Stadt - Landschaft bedenkt Franz Hessel in seinem Nachwort zu<br />
“Spazieren in Berlin”; sie wird auch von Walter Benjamin in seiner Rezension<br />
hervorgehoben. Vgl. Benjamin_p, 525, 528-531, 545f., 557.<br />
Der Flaneur sucht nicht; er beginnt zu finden.<br />
Denkweisen-G/ Labyrinth/ Spatium/ Weg/; Flusswelt_BM; TGF; VBM<br />
“ich übe mich im spazierengehen<br />
in den vernünftigen grenzen<br />
mal umsehen<br />
mal brillen wechseln<br />
meine schritte bilden ein muster<br />
mit der zeit gehe ich genauer.”*<br />
• Flucht<br />
* Gerstl_n, 157: schritte.<br />
Der Ursprung der Flucht ist bekannter als ihr Ziel.<br />
6.25
• Fluss-A<br />
• Fluss-B<br />
Fluss - Baum<br />
Flusswelt ist auch Baumwelt:<br />
Flussaue - Auenwald / Bruchwald.<br />
TGF-1/5 mit BLD01 <strong>und</strong> BLD03<br />
Aber die Städte •<br />
Die Quellen flieht er,<br />
sucht die Meere; •<br />
aber die Städte<br />
achtet er gering.<br />
Zum Eingebettetsein des Flusses in das Gr<strong>und</strong>wasser vergleiche man das Erwachsen<br />
eines Zitterpappeln-/Espen-Waldes aus einem gemeinsamen Wurzelwerk.*<br />
* Heinrich_b, 195f.; Schreier_b, 76ff.; Art. “Wurzelbrut” in: Lexikon_b, 569. Vgl.<br />
David Suzuki / Wayne Grady, Der Baum, 2012, 92ff.; Peter Wohlleben, Der Wald,<br />
2013, 62f.<br />
FBwelt_ES<br />
• Flussregion-A<br />
Eine Flussregion ist: ein Fluss <strong>und</strong> seine Nebenflüsse, vernetzt auch durch Landstraßen<br />
<strong>und</strong> Kanäle, gegliedert in Landschaften <strong>und</strong> Siedlungsräume.<br />
Zweigen_ES; Flusswelt_ES<br />
Elbregion ONM<br />
• Flussregion-B<br />
Menschliche Aspekte der Flussregionen sind zum Beispiel: Fischerei, Mühlen,<br />
Schiffbarkeit, Brücken, Häfen, Kanalisierung, Flussregulierung, Schleusen, Stauwehre,<br />
Stauseen, Deiche, Leinpfade, Landstraßen, Siedlungen;<br />
Erosion von Flussbetten, Vergiftung / Verschmutzung von Gewässern,<br />
Überschwemmungen durch menschliches Einwirken.<br />
Brücke-A/ Flussschiff_BM; Flusswelt_ES; Schiffbarkeit_BM; Schifffahrt_BM<br />
6.26
• Freiheit-A<br />
Freiheit ist ein Minimum an (politischem, rechtlichem, sozialem, ökonomischem <strong>und</strong><br />
geistigem) Zwang <strong>und</strong> ein Maximum an Selbstbestimmung eines Jeden bei einem<br />
Höchstmaß an (politischer, rechtlicher, sozialer <strong>und</strong> ökonomischer) Gleichheit.<br />
“Freiheit” erscheint im Mittelalter in einer Vielzahl von Schattierungen, bezeichnet<br />
Freiheiten von bestimmten Leistungen, kann bestimmte Privilegien von Personen oder<br />
Menschengruppen meinen, kommt daher oft im Plural vor, als “Freiheiten”, <strong>und</strong> erscheint<br />
konkretisiert auf bestimmte soziale Gruppen: auf Bauern <strong>und</strong> Adlige, auf Stadtbürger <strong>und</strong><br />
Universitäten. Es ist ein weiter Weg zu einem abstrakteren Begriff der Freiheit.*<br />
* semiotisch_03.<br />
Verfassung/ Metabegriff/ Privileg\; Subsistenz_A; Verfügungsgewalt_A;<br />
Kolonisation_LS; Lüneburger_97<br />
• Freiheit-B<br />
Freiheit besteht in Können, nicht in Tun.<br />
Freiheit besteht in Aktualisierbarkeit, nicht in Aktualisierung.<br />
• Frieden<br />
Kanalisierung/; aktualisierbar_GV; Reisen_GF<br />
Frieden ist ein Minimum an physischer Gewalt <strong>und</strong> ein Maximum an Freiheit eines Jeden.<br />
Frieden zu wahren, wird in den Fürstenspiegeln des Mittelalters als eine zentrale Aufgabe<br />
des Herrschers genannt. Aber es bleibt im mittelalterlichen Herrschaftsverband die<br />
Diskrepanz zwischen dem biblischen “Friede auf Erden” <strong>und</strong> der Realität der Fehde, auch<br />
der legitimen Fehde. Gottesfrieden <strong>und</strong> Landfrieden wirken in zeitlicher <strong>und</strong> räumlicher<br />
Begrenzung der Friedlosigkeit entgegen.*<br />
* semiotisch_03.<br />
Freiheit/ Verfassung/ Landfrieden\ Metabegriff/; Frieden_S3; Subsistenz_A;<br />
Verfügungsgewalt_A<br />
6.27
• Fülle<br />
Fülle der Baum- <strong>und</strong> Flusswelt<br />
Baum- <strong>und</strong> Flusswelt weisen auf Welt / Geschichte als eine Fülle, an welcher der Mensch<br />
teilhat. Auch das Wort <strong>Storik</strong> schließt übrigens die Assoziation der Fülle ein.*<br />
* <strong>Storik</strong>-C/<br />
Bäume zeigen diese Fülle nicht nur in der Vielfalt ihrer Gestalten, sondern auch <strong>und</strong> vor<br />
allem periodisch, jährlich in der Überfülle ihrer Blätter <strong>und</strong> Früchte. Farben, Düfte <strong>und</strong><br />
Frische locken. Baum wie Wald können sich netzhaft ins Kosmische dehnen.<br />
Auch Flüsse samt ihren Auen können vielfältig gestaltet sein. Periodisch schwankt ihre<br />
Wasserführung; sie wird im Grenzfall zur Episode. Der wasserreiche Fluss <strong>und</strong> ihn<br />
umgebende Auen, reich an Feuchtigkeit, haben eigene Farben <strong>und</strong> Düfte. Mythenhaft ins<br />
Jenseits erstreckt, aus dem Himmel herabstürzend oder in der Unterwelt verlaufend, einer<br />
anderen Welt angehörend, steigern Flüsse sich ins Religiös-Kosmische.<br />
Flusswelt_ES<br />
Aber auch: Bäume können verdorren <strong>und</strong> verrotten. Flüssen kann es an Wasser<br />
mangeln.<br />
Bäume <strong>und</strong> Flüsse weisen über sich hinaus auf Baum- <strong>und</strong> Flusswelt, auf eine ihnen<br />
eigene Aura <strong>und</strong> auf mit <strong>und</strong> in ihr lebende Tiere <strong>und</strong> Pflanzen. An dieser Welt hat der<br />
Mensch sinnenhaft teil; sie geht auch in sein Denken <strong>und</strong> sein Darstellen der Welt /<br />
Geschichte ein.<br />
FBwelt_ES; Zweigen_ES; Baum\ Fluss\; TGF-4C<br />
6.28
G#<br />
• Gegenwart-A<br />
Virtualität der Gegenwart<br />
Die Gegenwart umschließt als ein Neben- <strong>und</strong> Ineinander von Möglichkeiten <strong>und</strong><br />
Wirklichkeiten, was in der Zeit im Nacheinander entfaltet wird. •<br />
Als in einem Raum der Wirklichkeiten sind in der Gegenwart die Wirklichkeiten /<br />
Geschehnisse der Vergangenheit <strong>und</strong> die Möglichkeiten der Zukunft aufgehoben.<br />
Als ein Raum der Möglichkeiten ist die Gegenwart sowohl mit der Erinnerung der<br />
Vergangenheiten* als auch mit dem Erahnen oder dem Wollen der Zukünfte verb<strong>und</strong>en. •<br />
“Das perfide, unfaßbare Jetzt mäandert, einem ektoplasmischen Wabern gleich, aus allen<br />
Ecken <strong>und</strong> Enden <strong>und</strong> fließt unkontrollierbar wie ein Gas in sämtliche Richtungen des<br />
Daseins, dabei die unwiderrufliche Einzigartigkeit jedes seiner Augenblicke außer Acht<br />
lassend [...].”**<br />
* Droysen, Gr<strong>und</strong>riß der Historik (erste vollständige handschriftliche Fassung von<br />
1857/1858), § 4: “Der endliche Geist hat nur das Hier <strong>und</strong> Jetzt; aber seine<br />
Gegenwart umleuchtet er sich mit einer Welt von Erinnerungen.”<br />
** Christian Kracht, Imperium, 2012, 203.<br />
Denkweisen/ möglich/ Spatium/ Synchronie/; Bedingungen_ES;<br />
Gegenwarten_GV; SK1; semiotisch_03<br />
6.29
• Gegenwart-B<br />
enthaltene - verschüttete - verbleibende Möglichkeiten<br />
Die in einer jeweiligen Gegenwart enthaltenen vielen Möglichkeiten lassen die Gegenwart<br />
als Virtualität erscheinen, nämlich - zunächst noch <strong>und</strong>efiniert - angelegt auf eine Vielzahl<br />
künftiger Verläufe.<br />
Die in einer jeweiligen Gegenwart angelegten Möglichkeiten künftiger Verläufe sind jedoch<br />
nicht völlig beliebig. Durch Entscheidungen, die Menschen schon getroffen haben, <strong>und</strong><br />
durch Ereignisse, die bereits geschehen sind, werden manche künftigen Möglichkeiten<br />
verschüttet oder wird ihre Verwirklichung erschwert.<br />
Kanalisierung/<br />
Die in der Virtualität der jeweiligen Gegenwart verbleibenden Möglichkeiten sind also<br />
diejenigen, die unter Berücksichtigung schon getroffener Entscheidungen <strong>und</strong> schon<br />
geschehener Ereignisse noch verwirklicht werden können.<br />
Die Offenheit von Möglichkeiten zu ihren Verwirklichungen, die Ungewissheit, ob<br />
Möglichkeiten verwirklicht werden, schafft Raum für Abwandlungen der Vergangenheiten<br />
<strong>und</strong> Zukünfte, für Variationen der Geschichte. Durch diese Offenheit wird Geschichte in<br />
ihrer jeweiligen Gegenwart zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong>.<br />
möglich/ Unschärfe/; ADW; aktualisierbar_GV<br />
6.30
• Gegenwarten<br />
Gegenwarten als Widerlager von Geschichten.<br />
Geschichten als Brücken zwischen Gegenwarten.<br />
Brücke-B/<br />
Gegenwarten: Zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> Gegenwarten_GV<br />
Geschichte stellt sich als eine Serie von Gegenwarten dar, deren Ausgänge ungewiss<br />
sind. Zwar gibt es die geschehene Geschichte; aber sie entbindet den Historiker nicht von<br />
der Aufgabe, auch die möglichen Verzweigungen, die in einer jeweiligen Gegenwart<br />
enthalten sind, <strong>und</strong> die Verwirklichbarkeit dieser Möglichkeiten zu bedenken. Es geht<br />
dabei nicht um das Korrigieren der geschehenen Geschichte, sondern um das<br />
Offenhalten oder <strong>Zur</strong>ückweisen von Möglichkeiten, die in vergangenen Gegenwarten<br />
enthalten waren <strong>und</strong> die, weil alle Geschichte letztendlich allein in unserer Gegenwart<br />
besteht, als - mehr oder weniger verwirklichbare - Möglichkeiten auch in unserer<br />
Gegenwart enthalten bleiben.<br />
Vergleich/ Welten-A/; ADW; aktualisierbar_GV; TGF-5<br />
• Gerechtigkeit<br />
Spielräume der Gerechtigkeit im Spektrum Subsistenz - Verfügungsgewalt.<br />
Subsistenz_A; Verfügungsgewalt_A; Land_61; Lex_68<br />
Aktualisierung der Gerechtigkeit als Aufgabe des Menschen <strong>und</strong> des Staates.<br />
Der Rechtsstaat ist nicht durch die Dominanz von Juristen, sondern durch die<br />
höchstmögliche Aktualisierung der Gerechtigkeit bestimmt.<br />
Denkweisen-D/ Denkweisen-K/ Mitleiden/; ADW; vollkommen_S3<br />
6.31
#<br />
• Geschichte-A<br />
<strong>Varianten</strong> der Begriffe Geschichte - Geschichten<br />
• Geschichte als Darstellungsform:<br />
Geschichte als eine Darstellungsform fiktiver Sachverhalte (poetische Erzählung);<br />
Geschichte als eine Darstellungsform geschichtlicher - aktualer <strong>und</strong> virtueller -<br />
Sachverhalte (historische Erzählung);<br />
Erzählung-B/; aktualisierbar_GV; Kind_LR<br />
• Geschichte(n) als methodisch objektivierte, historische Sachverhalte. •<br />
Die Welt / die Geschichte als ein Meer aus Geschichten (mare historiarum).*<br />
Aus dem Meer der Geschichten, ihrer unsäglichen Zahl, werden einige ans Licht gehoben.<br />
Geschichten als Anschauungen der Welt.<br />
* Rechtsaufzeichnungen_98. Vgl. Gregor von Tours - 2.Mose 14,21-22 nach- <strong>und</strong><br />
weiterdenkend: Die irdische Welt, allegorisch als ein Meer verstanden <strong>und</strong> vielfach<br />
geteilt, könnten nicht alle Menschen auf einem einzigen Wege durchqueren, um<br />
zum ewigen Leben zu gelangen (Historiae 1, c. 10).<br />
Ausrichtung/ Denkweisen/ Kreuzfahrt/ Synchronie/; TGF-3<br />
• Geschichte-B<br />
Anfang / Ende der Geschichte, Geschichte in <strong>Varianten</strong> - Chaos<br />
Der Anfang der Geschichte verliert sich in Vor-Geschichte <strong>und</strong> Chaos.<br />
Das Ende der Geschichte verliert sich in Nach-Geschichte <strong>und</strong> Chaos.<br />
Um die aktuale <strong>und</strong> virtuelle Geschichte bleibt das Chaos gegenwärtig;<br />
sie ist näherungsweise als Geschichte in <strong>Varianten</strong> darstellbar, die Geschichte virtueller<br />
Sachverhalte einbeziehend.<br />
Ausrichtung/ Beginn/ Chaos/ Demut/ Entrichtung/ Näherung\ Ordnung/<br />
Unschärfe/ Variante/ virtuell/ Welt-B/; aktualisierbar_GV; Ausrichtung_ES;<br />
Geschichten_GV; SK1<br />
6.32
• Geschichte-C<br />
unbeachtete Geschichte<br />
Unbeachtet bleibt das Geschehen, das zu Geschichte werden könnte, wenn der Mensch<br />
so in sich gekehrt ist, dass sein Bewusstsein das Geschehen nicht aufnimmt. Achtlos /<br />
unwissend verschließt sich der Mensch; der Überschwang des Glücks oder der<br />
Verzweiflung kann ihn für das Geschehen erblinden lassen.<br />
Unbeachtet bleibt das Geschehen, das zu Geschichte werden könnte, wenn sich das<br />
menschliche Bewusstsein zielstrebig ausschließlich auf ein Jenseits richtet. Das Diesseits<br />
als Jammertal oder die Welt als Samsâra wird dabei für nichtig erachtet.*<br />
* Leiris, Journal, zum 17.9.1935.<br />
Schwermut/<br />
Jedoch gibt es eine vermittelnde Form menschlichen Verhaltens, die eine konstruierende<br />
Verarbeitung des diesseitigen Geschehens als Vorbereitung auf das Entsagen zulässt:<br />
Züge der dargestellten Geschichte werden nach <strong>und</strong> nach als unwesentlich bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
insofern nichtig.<br />
Komplexion/ Reduktion/; Geschichten_GV<br />
• Geschichte-D<br />
Aus der Geschichte lernen?<br />
Aus der Geschichte ist nichts über ihren Fortgang in die Zukunft zu lernen; wohl aber<br />
bereichert das Geschichtsstudium den, der sich ihm auf die rechte Art zuwendet, durch<br />
die Einsicht in Vielfalt <strong>und</strong> Unterschiedlichkeit der Welt - wie man Ähnliches, immer die<br />
rechte Art der Auffassung vorausgesetzt, auch durch Reisen in ferne Länder oder durch<br />
den Umgang mit Menschen verschiedenster Charaktere <strong>und</strong> Erfahrungen erreichen mag.<br />
Die rechte Ausgangslage zu solchen Einsichten ist: sich nicht durch Vorurteile einzu-<br />
engen, für das Unbekannte <strong>und</strong> Unerwartete offen zu sein, jeder Überheblichkeit zu<br />
entsagen, allem mit Demut zu begegnen.*<br />
* Vgl. über “philosophische Sek<strong>und</strong>ärtugenden”: Schmidt_f, 293.<br />
Demut/ Diskurs/ Sinn/ Zufall/; Funktionär_S3<br />
Geschichte in <strong>Varianten</strong> <strong>Storik</strong>/ Variante/<br />
6.33
• Geschichtsbewusstsein<br />
Das menschliche Bewusstsein verarbeitet das Geschehen zu Geschichte durch: Erinnern,<br />
Vergessen, Erahnen, Planen. Das Erinnern wendet sich bereits vorhandenem Geschehen<br />
zu. Das Vergessen wendet sich von ihm ab oder missachtet es. Das Erahnen richtet sich<br />
auf Geschehen, das in der Zukunft eintreten könnte oder eintreten wird. Das Planen<br />
richtet sich ebenfalls auf die Zukunft <strong>und</strong> sucht das Eintreten von Geschehen durch<br />
menschliches Handeln zu beeinflussen.<br />
Erinnern, Vergessen, Erahnen <strong>und</strong> Planen müssen nicht allein von Menschen getragen<br />
sein, die an dem Geschehen unmittelbar mitwirken, sondern können auch von Menschen<br />
vollbracht werden, die mittelbar an dem Geschehen teilhaben, indem sie das Erinnern,<br />
Vergessen, Erahnen <strong>und</strong> Planen anderer Menschen nachvollziehen / interpretieren.<br />
• Geschichtswissenschaft-A<br />
Geschichtswissenschaft - Geschichtsbewusstsein<br />
Der Mensch hat die Chance, über Geschichtsbewusstsein zu verfügen.<br />
Geschichtswissenschaft ist methodisch geläutertes, reflektiertes Geschichtsbewusstsein.<br />
6.34
• Geschichtswissenschaft-B<br />
Geschichtswissenschaft: Historische Wissenschaften<br />
Die Geschichtswissenschaft steht im Zusammenhang der Geschichtswissenschaften / der<br />
Historischen Wissenschaften (zum Beispiel: Wirtschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte,<br />
Kunstgeschichte, Literaturgeschichte, Sprachgeschichte, Philosophiegeschichte,<br />
Naturgeschichte / Geschichte der Naturwissenschaften) <strong>und</strong> in Beziehung zu den<br />
systematischen Wissenschaften (zum Beispiel: Wirtschaftswissenschaft, Rechts-<br />
wissenschaft, Kunstwissenschaft, Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Philosophie,<br />
Naturwissenschaften).<br />
• Geschichtswissenschaft-C<br />
Geschichtswissenschaft: Methodik<br />
Geschichtswissenschaft ermittelt methodisch Geschichte <strong>und</strong> stellt sie methodisch dar.<br />
Geschichtswissenschaft hebt sich aus Geschichtsbewusstsein hervor <strong>und</strong> sondert sich<br />
von ihm ab durch das Bemühen um methodisches Vorgehen.<br />
Methodisch vorgehen bedeutet: in Kenntnis der geschichtlichen <strong>und</strong> historischen<br />
Möglichkeiten Geschichte <strong>und</strong> historische Darstellungen eingrenzen.<br />
Geschichte methodisch ermitteln heißt: in Kenntnis der möglichen Aussagen über einen<br />
geschichtlichen Sachverhalt wahrscheinliche Aussagen eingrenzen.<br />
Geschichte methodisch darstellen heißt: in Kenntnis der möglichen Darstellungsformen<br />
geschichtliche Sachverhalte darstellen, einige Formen oder eine Form der Darstellung<br />
verwenden.<br />
Geschichtswissenschaft befasst sich mit dem Spektrum von den aktualisierten bis zu den<br />
virtuellen Sachverhalten. Aus der Perspektive der <strong>Storik</strong> liegt der Schwerpunkt auf der<br />
Aktualisierbarkeit. •<br />
Geschichtswissenschaft muss auch bedenken, wie es gewesen sein könnte. Sie ist nicht<br />
der Büttel des Erfolgs.<br />
Geschichtswissenschaft hat nicht allein die Geschichte des Menschen zum Gegenstand.<br />
Natur/<br />
6.35
• Gesellschaft<br />
Verborgene Sozialtheorie<br />
Gesellschaft, die locker aus einigen Blöcken menschlicher Verhaltensweisen gefügte<br />
Gesamtheit menschlichen Verhaltens in einem gegebenen Raum <strong>und</strong> in einer gegebenen<br />
Zeit, kann in Theorien ausdrücklich erfasst werden, zum Beispiel durch mittelalterliche<br />
Schriften zur politischen Theorie. Gesellschaft kann aber auch durch Meinungen <strong>und</strong><br />
Aussagen strukturiert erscheinen, die vereinzelt <strong>und</strong> punktuell gesellschaftliche<br />
Verhältnisse erfassen <strong>und</strong> sich aus der Sicht des heutigen Historikers zu Bruchstücken<br />
eines Mosaiks zusammenfügen. In den farbigen Fragmenten dieses Mosaiks wird ein<br />
Gefüge von Hypothesen <strong>und</strong> Dichotomien erkennbar, treten die Umrisse einer<br />
verborgenen Gesellschaftstheorie ans Licht. Auf diesem Wege können Stadt- <strong>und</strong><br />
Landesbeschreibungen als Quellen der Sozialgeschichte genutzt werden. Eine<br />
verborgene Gesellschaftstheorie zu erschließen, ist nicht nur ein Beitrag zur<br />
Geistesgeschichte, sondern lässt auch Rückschlüsse auf den sozialen Ort des Autors zu,<br />
dem diese verborgene Gesellschaftstheorie zuzurechnen ist. •<br />
Eine verborgene Sozialtheorie ist die von einem Autor gehegte, in seinen Aussagen zu<br />
einzelnen Sachverhalten sich äußernde, als Theorie nicht explizierte, aber als<br />
Gedankengefüge oder gar als Theorie explizierbare Summe von Prinzipien, gemäß denen<br />
die Aussagen einer Beschreibung ausgewählt <strong>und</strong> geordnet werden. Am Beispiel von<br />
Städten haben vor allem literatursoziologisch ausgerichtete Philologen ihr Augenmerk auf<br />
verwandte Fragestellungen gerichtet.*<br />
• Glück<br />
* Accipe_83.<br />
Wirtschaft_GF<br />
Glück / Glücksgefühl / Glückseligkeit: Verhalten im Grenzbereich Virtualität - Chaos.<br />
Ein Mensch öffnet sich zur Weite der Welt.<br />
“ein auf demütige Weise glücklicher Mensch”.*<br />
* Judith Hermann, Alice, 2009, 146. Vgl. Demut/<br />
6.36
H#<br />
• Historik-A<br />
Die Historik bedenkt die Methoden der Geschichtswissenschaft.<br />
Das methodische Vorgehen des Historikers geht von einer Semiosphäre aus, die sich aus<br />
überlieferten historischen Quellen <strong>und</strong> aus einem in der jeweiligen Gegenwart eines<br />
Historikers wurzelnden Vorverständnis speist, in das auch Bezüge zu Geschichtstheorien<br />
<strong>und</strong> Erwartungen an die Zukunft eingeschlossen sind. •<br />
Regelhaft mündet die Strukturierung der gewonnenen Geschichtskenntnisse in den<br />
Diskurs einer Geschichtsdarstellung ein.<br />
Geschichtswissenschaft/; Bedingungen_ES; SK1; semiotisch_03<br />
Die Historik befasst sich besonders mit der Geschichtstheorie, der historischen<br />
Quellenk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der historischen Topik. •<br />
Die historische Topik hat zum Gegenstand die Darstellungs- <strong>und</strong> Vermittlungsformen der<br />
Geschichtswissenschaft.<br />
<strong>Storik</strong>/ Denkweisen/; VBM<br />
6.37
• Historik-B<br />
<strong>Zur</strong> Verbreitung des Wortes “Historik” hat vor allem Johann Gustav Droysen beigetragen;<br />
sein “Gr<strong>und</strong>riß der Historik”, zuerst Jena 1858, gehört zu den Vorlesungen über<br />
“Enzyklopädie <strong>und</strong> Methodologie der Geschichte”, die er zwischen 1857 <strong>und</strong> 1883<br />
gehalten hat; unter dem Titel “Historik” sind sie zuerst 1937 herausgegeben worden <strong>und</strong><br />
seit 1977 in erweiterter Edition erschienen.* Droysen hat dem Begriff “Historik” neben dem<br />
formalen, methodologischen einen materialen, geschichtstheoretischen Aspekt gegeben:<br />
Geschichte als Auffassung des “Kosmos der sittlichen Welt” <strong>und</strong> ihres Fortschreitens.**<br />
*1937 von Rudolf Hübner; 1977-2007 von Peter Leyh <strong>und</strong> Horst Walter Blanke.<br />
** besonders in dem zweiten Teil der Historik, der “Systematik”; Droysen, Gr<strong>und</strong>riß<br />
der Historik (gedruckte Fassung von 1882), §§ 45 u. 48.<br />
Seit etwa 1970 wurde der Ausdruck “Historik” häufiger gebraucht, teilweise mit einem<br />
Schwerpunkt auf Geschichtstheorie; Beispiele aus einem Jahrzehnt: 1969 Hans-Walter<br />
Hedinger, “Subjektivität <strong>und</strong> Geschichtswissenschaft. Gr<strong>und</strong>züge einer Historik”, von<br />
demselben: 1974 Artikel “Historik” in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3; 1971<br />
Alfred Schmidt, Geschichte <strong>und</strong> Struktur. Fragen einer marxistischen Historik; ebenfalls<br />
1971 Ausschreibung einer Professur an der Universität Bielefeld für “Allgemeine<br />
Geschichte (H4) mit besonderer Berücksichtigung der Historik (Theorie der Geschichte,<br />
Methodenlehre, didaktische Probleme)”; 1972ff. Vorlesungen an der Universität Münster<br />
über “Historik (Theorie <strong>und</strong> Geschichte der Geschichtswissenschaft, Quellenk<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />
Methodologie der mittleren <strong>und</strong> neueren Geschichte)”; 1976 Jörn Rüsen, Für eine<br />
erneuerte Historik. Studien zur Theorie der Geschichtswissenschaft, vgl. den<br />
Sammelband “Seminar: Geschichte <strong>und</strong> Theorie. Umrisse einer Historik”, hg. v. Hans<br />
Michael Baumgartner u. Jörn Rüsen; 1977ff. Buchreihe “Theorie der Geschichte. Beiträge<br />
zur Historik”.<br />
6.38
• Hoffnung<br />
Hoffnung auf Subsistenz, Hoffnung auf ein besseres, auf ein gutes, auf ein erträgliches<br />
Dasein als eine mächtige Antriebskraft der meisten Lebewesen, also auch der<br />
Geschichte. •<br />
Ausgestaltet auch als religiöse Hoffnung.<br />
Liebe: Hoffen auf das Du <strong>und</strong> auf das Wir.<br />
Glaube: Hoffen auf natürliche / kosmische Fügung.<br />
Was geschieht, wenn die “Hoffnung auf Hoffnung”* erlischt? Widerstehen, Verzweifeln,<br />
Verzagen, auch: Verfallen bis zum Sterben.<br />
* Ernst Weiß, Georg Letham, Kap. 1/12, 3/3 [zuerst 1931].<br />
Die Hoffnung auf Aktualisierbarkeit gilt mehr als die Hoffnung auf Aktualisierung.<br />
Aktualisierbarkeit kennt kein Scheitern.<br />
• Humanität-A<br />
Beschreibung der Humanität<br />
• Humanität-B<br />
Humanität - Mondialität<br />
Beschreibung der Beschaffenheit eines oder mehrerer Menschen<br />
in verallgemeinernder Absicht,<br />
im Hinblick auf mehrere, viele, alle Menschen. •<br />
Verhalten - Emotionalität - Rationalität.<br />
Sprache - Kultur. •<br />
Beziehungen zu Energie <strong>und</strong> Materie,<br />
zu Lebewesen (Tieren <strong>und</strong> Pflanzen).<br />
Variabilität.<br />
Mondialität/<br />
Komplexion der Humanität durch Steigerung ihrer Beziehung zu Mondialität in Richtung<br />
auf Menschheit / Welt.<br />
6.39
• Humanität-C<br />
Mensch - Tier - Barbar<br />
Der Mensch, der sich kulturell hochstehend wähnt, grenzt sich im Hochmut seiner<br />
Humanität gegen andere Menschen ab, die er tiefer stehen sieht, gar als Barbaren oder<br />
den Tieren nahe.* Das Christentum begünstigt die Abgrenzung der Humanität gegen<br />
Tiere.** Dass Tiere Predigten der heiligen Franz von Assisi <strong>und</strong> Antonius von Padua<br />
lauschen, wie einst dem Gesang Orpheus’, bleibt eine ebendeshalb immer wieder<br />
beachtete Besonderheit.<br />
* Beispiele Christentum-A_S2; Humanität-E_S3.<br />
** Unter den Heiligen finden sich auch Patrone für Menschen, die mit Tieren<br />
umgehen.<br />
• Humanität-D<br />
Mensch - Tier: Instinkt<br />
Das Tier hat dem Menschen den ausgeprägten Instinkt voraus.<br />
Der Mensch als ein instinktarmes / instinktloses Tier.<br />
Tier/ Verhaltensweise-B/ Wesen/<br />
6.40
I# J#<br />
• Internet-A<br />
Virtuelle Zeichenwelt<br />
Das Internet ermöglicht eine virtuelle Zeichenwelt. Verb<strong>und</strong>en werden auch Zeichen <strong>und</strong><br />
Zeichenfolgen, die ursprünglich nicht zusammengehören, zum Beispiel in Suchmaschinen<br />
durch das Auslassen von Textpassagen <strong>und</strong> durch das fragmentarische Lesen von<br />
Websites oder Website-Anhängen. •<br />
Der elektronische Text kann laufend verändert werden; dessen aufeinander folgende<br />
<strong>Varianten</strong> können gleichzeitig bestehen - gespeichert <strong>und</strong> ungelöscht.<br />
• Internet-B<br />
Internet <strong>und</strong> Buchdruck<br />
Für ein Geschichtsbild, das nicht abgeschlossen, sondern in der Verfertigung begriffen ist,<br />
mag es angemessen scheinen, nicht primär den gedruckten Text anzustreben, sondern<br />
die offenere <strong>und</strong> vorläufigere Form des elektronischen Textes zu verwenden.<br />
Als Beleg für eine Behauptung eine gedruckte Veröffentlichung anzugeben, verleiht dem<br />
Beleg eine höhere Statik, als eine Website anzuführen. Jene kann in deutlich<br />
unterschiedenen, veränderten Auflagen erscheinen; diese kann laufend verändert, gar<br />
völlig eingestellt werden. Die Argumentation mit Behauptungen in Websites befindet sich<br />
näher an der Variabilität des mündlichen Diskurses.<br />
6.41
K#<br />
• Kanalisierung-A<br />
Aus der Fülle beliebiger <strong>Varianten</strong> entfallen einige durch das Geschehene. Die so<br />
kanalisierte oder reduzierte Fülle schränkt die Variabilität der Vergangenheit ein. Diese<br />
Einschränkungen setzen auch Bedingungen für die Zukunft, schränken also auch deren<br />
Variabilität ein.<br />
Gegenwart-B/<br />
“die tat ist der tod<br />
aller möglichen alternativen”*<br />
* Gerstl_p, 84.<br />
• Kanalisierung-B<br />
Der jeweils gegenwärtigen Menschheit bleibt gegenüber den geschehenen Vergangen-<br />
heiten nur, sie fort- oder abzusetzen, sie zu belassen oder umzudeuten. Darüber hinaus<br />
verheißen Freiheiten allein die Zukünfte.<br />
“So werden uns die Lebens-Bahnen, wie die Ideen, vom Zufall angewiesen; nur das Fort-<br />
<strong>und</strong> Absetzen der einen wie der andern bleibt der Willkür freigestellt.”*<br />
* Jean Paul, Flegeljahre. In: Sämtliche Werke 1/2, hg. v. Norbert Miller, 4., korr.<br />
Aufl. 1987, 615.<br />
Indem der Zufall als gegeben angenommen oder abgelehnt wird, reduziert er Komplexität.<br />
Damit nähert er sich einer Notwendigkeit, die dem Annehmenden oder Ablehnenden<br />
eingegeben ist.<br />
Unschärfe/<br />
6.42
• Komplexion<br />
Komplexion ist die Mehrung / Steigerung der Komplexität eines Sachverhalts. •<br />
Bei der Komplexion eines Sachverhalts sind unter anderem zu bedenken: Ähnlichkeiten<br />
<strong>und</strong> Unterschiede, Verweisungen <strong>und</strong> Abgrenzungen, Nahen <strong>und</strong> Fernen.<br />
Entsprechung/ Nahen/ System/ Vergleich/<br />
Komplexion <strong>und</strong> Reduktion verhalten sich zueinander wie Einatmen <strong>und</strong> Ausatmen. Sie<br />
sind Korrelate / Entsprechungen <strong>und</strong> Kompensationen / Ausgleichungen - so im<br />
Jahreszyklus der Bäume, im Entstehen <strong>und</strong> Vergehen von Lebewesen.<br />
Ausrichtung-A/ Reduktion-B/<br />
• Komplexität<br />
Komplexität eines Sachverhalts<br />
Sachverhalte sind hinsichtlich ihrer inneren Struktur <strong>und</strong> ihrer äußeren Beziehungen nach<br />
dem Grad ihrer aktualen <strong>und</strong> potentialen Vielfalt / Komplexität zu unterscheiden. Einfache,<br />
enge Sachverhalte (Sachverhalte geringer Komplexität) sind in der Regel mit größerer<br />
Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit vorzustellen. Komplexe, weite Sachverhalte<br />
(Sachverhalte hoher Komplexität) sind mit geringerer Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit<br />
vorzustellen. Die Beziehungen zwischen komplexen Sachverhalten sind in der Regel als<br />
hochgradig komplex vorstellbar. Die Beziehungen zwischen einfachen Sachverhalten <strong>und</strong><br />
die Beziehungen zwischen einfachen <strong>und</strong> komplexen Sachverhalten lassen sich in ihrer<br />
Komplexität steigern.<br />
Grade der Komplexität verschiedener Sachverhalte sind durch Vergleich zu ermitteln.<br />
Komplexität eines Sachverhalts ist nicht eine einmalig bestimmbare Eigenschaft; sondern<br />
Komplexität ist gemäß den Absichten <strong>und</strong> der Reflexion dessen, der die Komplexität prüft<br />
<strong>und</strong> gegebenenfalls die Komplexion vornimmt, zu bestimmen. Zum Beispiel ist eine große<br />
Stadt nicht schlechthin komplexer als eine ländliche Siedlung, kann das Anblicken <strong>und</strong><br />
Bedenken eines Baumes durch einen Menschen unterschiedliche Komplexität<br />
hervorbringen.<br />
Begriff/ Mehrdimensionalität/ Metabegriff/ System/; Stadt-A_LS; Baumwelt_ES<br />
Mehrung / Steigerung der Komplexität eines Sachverhalts Komplexion/<br />
Minderung / Senkung der Komplexität eines Sachverhalts Reduktion/<br />
6.43
• Konstruieren<br />
Das Konstruieren / konstruierende Denken verbindet Aussagen über Elemente <strong>und</strong> über<br />
deren Beziehungen. Das Konstruieren wählt aus der Fülle möglicher / aussagbarer<br />
Elemente <strong>und</strong> Beziehungen <strong>und</strong> fügt die ausgewählten zu einem Konstrukt / einer Gestalt<br />
zusammen. Dadurch werden innerhalb der Welt / der Geschichte Grenzen <strong>und</strong><br />
Schwerpunkte gesetzt.<br />
Die Gestalt besteht in der Gegenwärtigkeit ihrer Konstruktion, ohne die Kenntnis künftiger<br />
Gestaltung.<br />
Das Konstruieren erfordert zusätzliche, dem jeweiligen Vorhaben angemessene Regeln.<br />
• Kreis-A<br />
Denkweisen_J/<br />
Kreis - Entrichtung<br />
Der Kreis befindet sich näher bei der Entrichtung als die Ellipse. Das eine Zentrum des<br />
Kreises reduziert die Ausrichtung; der Kreisbogen biegt in sich selbst zurück, wendet sich<br />
gleichmäßig in alle Richtungen der Ebene, in der er sich befindet. •<br />
Die Ellipse wird im Grenzfall zur Linie.<br />
• Kreis-B<br />
Kreis - Ellipse VBM<br />
Kreislauf Ausrichtung-C/ Entrichtung-D/; Geschichten_GV<br />
Kreisbewegung - Ausrichtung<br />
Aber der Kreis hat auch eine Affinität zur Ausrichtung - nämlich in der Kreisbewegung,<br />
insoweit sie mit einer Ausrichtung verb<strong>und</strong>en erscheint. In der Mechanik vermittelt eine<br />
Pleuelstange zwischen einer rotierenden <strong>und</strong> einer geradlinigen Bewegung. Die<br />
Kreisbewegung eines Wagenrades, einer Schiffsschraube oder eines Propellers,<br />
zusammen mit dem Widerstand / der Trägheit der Unterlage / der Umgebung<br />
(Straßendecke, Schienen / Wasser, Luft) erzeugt den Schub einer gerichteten Bewegung.<br />
6.44
• Kreuzfahrt<br />
Welt / Geschichte lässt sich als ein weites Meer vorstellen, das nur durch Kreuzfahrten zu<br />
erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nicht völlig zu erschließen ist. Kreuzfahrten, Fahrten kreuz <strong>und</strong> quer, weder<br />
planlos noch ohne Regeln, bleiben notwendig Bruchstücke gegenüber der Weite des<br />
Meeres. Die Wege der Erk<strong>und</strong>ung führen auf das Ziel der Erschließung einer Fläche hin,<br />
werden dieses Ziel aber nicht erreichen. Kreuzfahrten erschließen Regionen des Meeres;<br />
das Meer als Ganzes aber bleibt im Ungewissen. Welt / Geschichte darzustellen, gleicht<br />
Kreuzfahrten auf einem weiten Meer.<br />
• Kreuzweg<br />
Kreuzweg - Möglichkeiten<br />
Mehr noch als eine Abzweigung zur Linken oder zur Rechten fordert ein Kreuzweg eine<br />
Entscheidung. Eine einfache Abzweigung lässt, wenn die Möglichkeit der Umkehr außer<br />
Betracht bleibt, dem Gehenden nur zwei Möglichkeiten: geradeaus zu gehen oder<br />
abzubiegen. Eine Kreuzung, in der sich zwei Wege überschneiden, bietet außer der<br />
Möglichkeit der Umkehr drei Möglichkeiten: geradeaus zu gehen, links oder rechts<br />
abzubiegen. So mag der Kreuzweg ein Symbol der Entscheidung sein: aus vielen<br />
Möglichkeiten des Suchens oder Findens einige oder eine auszuwählen. Eine Folge von<br />
Kreuzwegen, denen der Gehende über längere Zeit begegnet, erfordert eine Folge von<br />
Entscheidungen, <strong>und</strong> jede von ihnen verringert die Zahl der verbleibenden Möglichkeiten<br />
um das Vielfache - entsprechend der Zahl der so ausgeklammerten Kreuzwege <strong>und</strong><br />
Möglichkeiten. Beispiel Kreuzweg_ES.<br />
6.45
L#<br />
• Labyrinth<br />
Ein Labyrinth, das sich nur dem Flanierenden zu erschließen beginnt.<br />
M#<br />
Flanieren/<br />
• Mehrdimensionalität<br />
Mehrdimensionalität geschichtlicher Sachverhalte<br />
Nicht selten lassen geschichtliche Sachverhalte eine Mehrdimensionalität / Komplexität<br />
erkennen, die leicht zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> hinführen kann.<br />
Beispiele ASP; ESP; SKZ.<br />
6.46
• Metabegriff<br />
Metabegriff / Metazeichen<br />
Metabegriffe übersteigen andere Begriffe, indem sie sie bündeln. Metabegriffe sind,<br />
obwohl ihnen andere Begriffe zuzuordnen sind, nicht als Oberbegriffe aufzufassen.<br />
Metabegriffe sind durch ihre Beziehungen zu zahlreichen Begriffen von unterschiedlicher<br />
Qualität in komplexe Strukturen eingeb<strong>und</strong>en. Über-, Unter- <strong>und</strong> Gleichordnung<br />
vermischen sich in diesen Strukturen.<br />
Begriff/ Denkweisen-B/<br />
Eine besondere Bedeutung für die Historiographie kommt solchen Begriffen zu, die eine<br />
größere Zahl von geschichtlichen Sachverhalten aufeinander zu beziehen <strong>und</strong><br />
zusammenzufassen ermöglichen. Es handelt sich um komplexe Zeichen, die sich<br />
syntaktisch auf andere Zeichen beziehen lassen, um Metazeichen. Zu ihnen gehören<br />
zentrale Begriffe von Geschichtsdarstellungen wie Frieden <strong>und</strong> Freiheit, Herrschaft,<br />
Genossenschaft <strong>und</strong> Stände, Reich <strong>und</strong> Staat, Schichten <strong>und</strong> Klassen. Scheinbar sind<br />
dies Begriffe, die über lange Zeiträume hin einsetzbar sind. Die historische Semantik aber<br />
lässt die Unschärfe <strong>und</strong> Interpretierbarkeit dieser Begriffe deutlich werden.<br />
Freiheit/ Frieden/; Metabegriffe_S3; Stadt-A_LS<br />
Eine andere Gruppe von Metabegriffen, welche der Historiographie unentbehrlich<br />
scheinen, sind die Epochenbezeichnungen.<br />
Eine Gruppe von Metabegriffen, welche in der Historiographie in Auswahl bereitwillig<br />
rezipiert worden sind, bilden die Idealtypen, wie sie Max Weber um 1900 entwickelt <strong>und</strong><br />
Otto Hintze in den 1920er Jahren an einigen Beispielen ausgestaltet hat, unter anderem<br />
am Begriff Feudalismus.*<br />
* semiotisch_03; Lehnswesen_64; Lehnrecht_89.<br />
Metabegriffe können auch zur Kompensation unerfüllter Hoffnungen beitragen.<br />
Metabegriffe_S3<br />
6.47
• Metapher<br />
Verwendete Metaphern<br />
Die im vorliegenden Projekt verwendeten Metaphern weisen auf Variabilität <strong>und</strong><br />
Naturbezogenheit, dehnen sie aber nicht ins unendlich Weite, sondern fordern<br />
Begrenzungen.* Die Ellipse ist in ihrer Form variabel, aber nicht von beliebiger Gestalt.<br />
Andere Bilder, die häufiger aufgenommen werden, sind Flusswelten <strong>und</strong> Baumwelten<br />
entnommen.<br />
• mirabilia<br />
* <strong>Zur</strong> Metaphorik im Allgemeinen: Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der<br />
philosophischen Metaphern, 3., erw. Aufl. 2011<br />
Baum/ Denkweisen-B/ Ellipse/ Fluss/; FBwelt_ES; Metapher_AD; Weg_ES;<br />
Zweigen_ES; TGF<br />
mirabilia mischen W<strong>und</strong>erbares <strong>und</strong> Seltsames / Beachtenswertes / Staunenswertes,<br />
auch Anstößiges - immer verstanden aus der jeweiligen Sicht dessen, der mirabilia<br />
berichtet. W<strong>und</strong>erbar bedeutet: das, worüber man sich w<strong>und</strong>ern kann; zu denken ist in<br />
solchen Zusammenhängen nicht - mindestens nicht in erster Linie - an W<strong>und</strong>er Gottes.<br />
Verhaltensweisen\ Wesen\; Einführung_91<br />
Der poetische Reiz des nicht Glaubhaften.<br />
• Mitleiden<br />
Mitleid(en) gleichgestellter Menschen - die demütige Variante.<br />
Mitleid(en) von oben herab, wie ein Almosen - die hochmütige Variante.*<br />
* Kritisch zu der hochmütigen Variante: Augustin, Confessiones 3, c. 2,3;<br />
Lichtenberg_a, F 1204.<br />
Der Mensch als leidendes <strong>und</strong> mitleidendes Wesen. Linderung / Minimierung des Leidens<br />
als Ziel solidarischen Handelns.<br />
Mitleiden verwoben mit der Hoffnung auf Überstehen.<br />
6.48
• möglich<br />
Welt / Geschichte besteht in Wirklichkeiten <strong>und</strong> in Möglichkeiten.<br />
Entsprechend dem Grad, in dem Möglichkeiten aktualisierbar erscheinen, ist die Grenze<br />
zwischen Möglichkeiten <strong>und</strong> Wirklichkeiten durchlässig. •<br />
Die Offenheit einer Möglichkeit zu ihrer Verwirklichung schafft Raum für Abwandlungen,<br />
für Variationen der Welt / Geschichte. •<br />
Durch diese Offenheit wird Welt / Geschichte in einer jeweiligen Gegenwart zu einer Welt /<br />
Geschichte in <strong>Varianten</strong>, zu virtuellen Welten / Geschichten. •<br />
“Wirklichkeit ist in Wirklichkeit Möglichkeit: eine sich ständig verändernde Konstellation<br />
von Gelegenheiten, die eintreten <strong>und</strong> ausbleiben, ergriffen <strong>und</strong> nicht ergriffen werden.<br />
[...]”*<br />
* Seel_t, nr. 27; vgl. ebd. nr. 122.<br />
• Mondialität<br />
Beschreibung der Mondialität<br />
Beschreibung der Beschaffenheit eines Teils der irdischen Welt<br />
in verallgemeinernder Absicht,<br />
im Hinblick auf mehrere, viele, alle Teile der irdischen Welt.<br />
Auch im Hinblick auf mehrere, viele, alle möglichen Welten? •<br />
Endlichkeit - Entlegenheiten.<br />
Dimensionen - Raum <strong>und</strong> Zeit.<br />
Energie <strong>und</strong> Materie - Lebewesen.<br />
Variabilität.<br />
Humanität/<br />
6.49
N#<br />
• Nahen<br />
Nahen <strong>und</strong> Fernen<br />
“nahen” wird hier in der Bedeutung “sich nähern” oder “angenähert werden”,<br />
“fernen” in der Bedeutung “sich entfernen” oder “entfernt werden” gebraucht.*<br />
* Zu “nahen” vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 13/2. Zu “fernen” vgl. ebd. 3/7;<br />
Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch 3, 200: “vërren”.<br />
Nahen <strong>und</strong> Fernen kann bezogen sein:<br />
auf einen Ursprung,<br />
auf den Standort eines Betrachters,<br />
auf ein Ziel.<br />
TGF-3A<br />
In einem System kann Nahen als Verweisung, Fernen als Abgrenzung erscheinen.<br />
• Natur-A<br />
System/<br />
Natur - Kosmos<br />
Natur <strong>und</strong> Kosmos werden primär unter nichtmenschlichem Aspekt verstanden; Natur als<br />
die Beschaffenheit der Erde, Kosmos als die Beschaffenheit der außerirdischen Welt.<br />
Natur\ •<br />
Natur als Umwelt des Menschen bleibt durchlässig zu Natur in kosmisch-göttlichen<br />
Zusammenhängen. Religiosität übersteigt die Kategorie des Menschlichen, indem sie<br />
Mensch <strong>und</strong> Natur in einen Kosmos einfügt oder auf Gott als Grenzbegriff bezieht - zum<br />
Beispiel:<br />
Ein zorniger Gott straft Sünden der Menschen. Diese beobachten ängstlich außer-<br />
gewöhnliche Naturerscheinungen als Zeichen göttlichen Zorns, ordnen sich demütig unter<br />
die Allmacht Gottes, suchen ihn durch Reue <strong>und</strong> Buße zu besänftigen.* •<br />
Aber im göttlichen Kontext kann auch die Diesseitigkeit des Menschen akzentuiert<br />
werden: Natur ist durch Arbeit zu gestalten <strong>und</strong> wirkt Heil des Menschen.**<br />
* Gregor von Tours, Historiae; Thietmar von Merseburg, Chronicon.<br />
Frutolf-M_GF.<br />
** Walahfrid Strabo, Liber de cultura hortorum (Buch über den Gartenbau).<br />
Natur-D_S3<br />
6.50
• Natur-B<br />
Natur - Mensch<br />
Der Mensch, einerseits in die Natur eingeb<strong>und</strong>en, andererseits versuchend, sich aus ihr<br />
auszugrenzen, bringt in seinen Konstruktionen die Unterscheidung, ja den Gegensatz von<br />
Mensch <strong>und</strong> Natur hervor. Diese Unterscheidung / dieser Gegensatz soll durch<br />
Verweisungen zwischen Mensch <strong>und</strong> Natur eingeschränkt werden.<br />
Zwischen natürlichen (nichtmenschlichen) Gegebenheiten <strong>und</strong> menschlichen Sach-<br />
verhalten bestehen Strukturähnlichkeiten. Diese lassen sich für die Darstellung<br />
menschlicher Welt(en) / Geschichte(n) nutzen.<br />
“Eine noch höhere Gattung der Geschichte wäre nun die, wo mit der Staats- <strong>und</strong><br />
Geistesgeschichte des Menschen auch die Naturgeschichte des Menschen <strong>und</strong> der Erde<br />
<strong>und</strong> Natur verb<strong>und</strong>en wäre.”*<br />
• Natur-C<br />
* Friedrich Schlegel, Fragmente zur Geschichte <strong>und</strong> Politik, T. 1, hg. v. Ernst<br />
Behler, 1995 (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe 20), 292 Nr. 8; Hervorhebung<br />
durch F. Schlegel;<br />
Verfügungsgewalt-G_S3.<br />
Zauber / Magie - Technik<br />
Die kunstfertige Nutzung der Natur, ihrer Stoffe <strong>und</strong> Kräfte, durch den Menschen bewegt<br />
sich im Spektrum Magie - Technik. Die Grenze verfließt zum Beispiel in den Bereichen der<br />
Alchemie <strong>und</strong> der Medizin.<br />
Schadenszauber_ML; Mergie\<br />
In das Bewusstsein des modernen Naturwissenschaftlers / Technikers mag sich leicht<br />
Hochmut mischen, als sei er ein Zauberer, der über die Natur verfügen kann. Umso<br />
herber die Enttäuschung, wenn die Natur sich der naturwissenschaftlichen Erklärung<br />
entzieht, menschliche Bändigungsversuche <strong>und</strong> Schutzvorkehrungen zunichtewerden<br />
lässt, wenn technische Vorhaben scheitern.<br />
• Not<br />
Not / Armut als das Fehlen der Subsistenz.<br />
6.51
O#<br />
• Ordnung<br />
Ordnung - Unordnung<br />
die Welt: “eine große Unordnung mit Pausen aus Ordnung”;<br />
“Inseln relativer Ordnung in einem Meer der Unordnung”;<br />
“die - gleichzeitig bestehende - Unordnung der Ordnung <strong>und</strong> Ordnung der Unordnung”.*<br />
“Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.”**<br />
• Orient<br />
* Gerstl_s, 73f./150. ** Wittgenstein_t, n. 5.634.<br />
“Okzident” - “Orient” (“Abendland” - “Morgenland”) ist ein Begriffspaar abendländischer<br />
Tradition. “Orient” ist also aus abendländischer Sicht gesehen. •<br />
Okzident oder Abendland als Gegenbegriff zu Orient könnte das gesamte Europa,<br />
einschließlich Osteuropas, umfassen. Ausgehend von der Mittelalterlichen Geschichte,<br />
empfiehlt es sich, “Okzident” oder “Abendland” <strong>und</strong> “Europa” zu unterscheiden. Europa<br />
umfasst auch den griechisch-orthodoxen Bereich; der Okzident oder das Abendland<br />
dagegen meint den römisch-christlichen, den lateinischsprachigen Teil Europas. •<br />
Überlagerungen “Europas” <strong>und</strong> des “Orients” ergeben sich im südlichen <strong>und</strong> östlichen<br />
Europa während des Mittelalters vor allem durch das Vordringen der Muslime, der<br />
Mongolen <strong>und</strong> der osmanischen Türken.<br />
Europa_S2<br />
• Orientbild<br />
Orientbilder sind Aspekte der Weltbilder des Okzidents.<br />
Orientbilder lassen sich als mögliche Gefüge / Systeme von Aussagen beschreiben.<br />
Orientbild\ System/ Weltbild/<br />
6.52
P#<br />
• Pflanze<br />
Pflanzliche Metamorphosen<br />
Das Wuchern <strong>und</strong> Ranken einer Pflanze - die Metamorphose der Pflanze in sich -<br />
begünstigt die Vorstellung, sie könne Gestalten anderer Lebewesen, auch tierische <strong>und</strong><br />
menschliche Formen, einbeziehen - oder tierhafte / menschliche Gestalten könnten in<br />
pflanzliche Formen übergehen.<br />
Baum-Geister; Baumstämme in Analogie zu menschlicher Gestalt; das Laub der Bäume,<br />
Wesen verbergend.<br />
Metamorphose als die Verwandlung einer Pflanze in tierhafte oder menschliche Gestalt.<br />
Überlagerung / Verflechtung pflanzlicher mit tierhaften oder menschlichen Formen zu<br />
einem synchronen Bild.<br />
Einbeziehung lebloser Dinge in pflanzliche Metamorphosen.<br />
Q#<br />
• Quelle-A<br />
Tier/ Unschärfe/; Baumwelt_ES; TGF-2/4<br />
Quelle - Tatsache<br />
Die Begriffe “historische Quelle” <strong>und</strong> “geschichtliche Tatsache” müssen eng gefasst<br />
werden, damit für deren Interpretation die Spielräume weit geöffnet bleiben. •<br />
Historische Quellen sind “alle Zeichen <strong>und</strong> Gegenstände, aus denen geschichtliche<br />
Tatsachen methodisch erschlossen werden können”. •<br />
Geschichtliche Tatsachen sind “Sachverhalte, die für Menschen unbestreitbar oder<br />
unbestritten gegeben sind”.*<br />
* Einführung_91, 15f.; VBM.<br />
6.53
• Quelle-B<br />
Text - Quelle<br />
Ein Text, der aus alter Zeit überkommen ist, aber bisher von niemandem als<br />
Geschichtsquelle verwendet wurde, besteht potential als Geschichtsquelle. In einer<br />
späteren Gegenwart kann er als solche aktualisiert werden.* Seine historische<br />
Interpretation kann für diese Gegenwart Geschichte abwandeln.<br />
R#<br />
• ratlos<br />
* semiotisch_03.<br />
Diskurs/; Bedingungen_ES; Urk<strong>und</strong>enfälschung_S2<br />
Ratlosigkeit: Verhalten im Grenzbereich Virtualität - Aktualisierbarkeit / Aktualisierung.<br />
• Reduktion-A<br />
Reduktion der Komplexität eines Sachverhalts<br />
Reduktion ist die Minderung / Senkung der Komplexität eines Sachverhalts.<br />
Die der Welt / der Geschichte immanente Reduktion hat den Zweck, die übergroße Fülle<br />
eines Sachverhalts auf ein begreif- <strong>und</strong> darstellbares Maß einzuschränken. •<br />
Die der Welt / der Geschichte transzendente Reduktion bedenkt die Entlegenheiten<br />
jenseits eines Sachverhalts.<br />
• Reduktion-B<br />
Leeren der Welt / Meditation<br />
Die Annäherung an das Chaos erfordert, die Komplexität der Welt methodisch zu<br />
reduzieren.<br />
Diese Reduktion setzt die methodische Komplexion voraus.<br />
Die nahende Leere bleibt eine durch Möglichkeiten gefüllte Leere.<br />
6.54
• Reflexivität<br />
Ein Sachverhalt / eine Struktur bezieht sich auf sich selbst. •<br />
Ein Versuch, in der Flucht der Erscheinungen einen ruhenden Bezugspunkt zu schaffen,<br />
sich eines Rückhalts zu vergewissern.<br />
• retractationes<br />
Auf dem Rückweg begegnet er den Spuren seines Hinweges. Sie zu verstehen, bedarf es<br />
der Spurenlese.*<br />
* Augustin, Retractationes (um 427).<br />
NBM-1<br />
• Richtung<br />
Die Ausrichtung / das Ausgerichtetsein auf ein Ziel wird durch das Bedenken vieler / aller<br />
Himmelsrichtungen aufgehoben: der Charme der Windrose <strong>und</strong> ihrer Kommentierung,<br />
offene Weite.<br />
S#<br />
Ausrichtung/ Entrichtung-D/; TGF-5H<br />
• Sachverhalt<br />
Sachverhalte sind Beschaffenheiten von Lebewesen oder Gegenständen.<br />
Verhaltensweisen gehören zu den Beschaffenheiten mindestens der Lebewesen.<br />
Sachverhalte sind durch Menschen wahrgenommen oder wahrnehmbar (intuitiver Aspekt),<br />
erkannt oder erkennbar (begrifflicher Aspekt), ausgesagt oder aussagbar (sprachlicher<br />
Aspekt).<br />
Eine Aussage ist eine sprachliche Äußerung über einen Sachverhalt.<br />
• Scheitern<br />
Scheitern lässt höhere Weisheit erhoffen als Erfolg.<br />
6.55
• Schwermut<br />
Schwermut / Melancholie ist auf die Gegenwart (<strong>und</strong> die Zukunft) bezogen, Trauer auf die<br />
Vergangenheit. Gegensatz zu Freude / Sichfreuen auf ... / über ....<br />
• Sinn<br />
Sinn der Geschichte<br />
Die historischen Methoden haben bevorzugt das Ziel, Sachverhalte möglichst genau <strong>und</strong><br />
eindeutig zu erfassen - auch in ihren Beziehungen zueinander. Dies gelingt leichter, wenn<br />
es sich um einfache Sachverhalte handelt. Je komplexer Sachverhalte sind, desto weniger<br />
eindeutig sind sie zu bestimmen. Der einfache Sachverhalt ist in höherem Maße auf eine<br />
einzige Wirklichkeit zu beziehen, der komplexe Sachverhalt umgreift mehrere<br />
Wirklichkeiten <strong>und</strong> Möglichkeiten. Solange das Ziel der historischen Methoden ist, einen<br />
Sachverhalt mit höchster Eindeutigkeit zu erfassen, tendieren die historischen Methoden<br />
dazu, Komplexität zugunsten der Einfachheit eines Sachverhalts auszublenden.<br />
Traditionell beruht die Darstellung von Geschichte auf der - der Welt immanenten -<br />
Reduktion ihrer Komplexität. Die Virtualität der Welt <strong>und</strong> ihre Offenheit zu Chaos werden<br />
umgeformt zu Ordnung oder zu Sinnhaftigkeit der Geschichte.<br />
• Skizze<br />
Skizze als sprachliche Darstellungsform<br />
Eine lockere Form der Darstellung, an die nicht die Ansprüche einer Erzählung / einer<br />
Beschreibung / eines Versuchs zu stellen sind. Eine Sorte der Skizze ist die Verknüpfung<br />
von Assoziationen.<br />
Assoziation/ <strong>Storik</strong>-C/ unvollendbar/; FBwelt_ES; MKT; SKZ; TGF; VBM<br />
6.56
• Sonnenuntergang<br />
Sonnenuntergang - Sonnenaufgang<br />
Die Vorstellung, die Sonne gehe auf oder unter, ist eine subjektive Vorstellung des<br />
irdischen Beobachters - leichter von einem Weltbild her, das die Erde als Scheibe sieht,<br />
als von der Vorstellung der Erde als Kugel her zu realisieren.* Deshalb kehren auch<br />
neuzeitliche Autoren, deren kosmologische Kenntnisse außer Frage stehen, bisweilen zu<br />
der Vorstellung der Scheibe zurück - <strong>und</strong> es zeigt sich, dass diese Vorstellung die<br />
Phantasie anregen kann, indem sie den Zugang zu einer Welt eröffnet, die tiefer als die<br />
Erde hinabreicht.** Man denke auch an Japan als das “Land der aufgehenden Sonne”,<br />
auch an die Mitteilung Johannes’ von Plano Carpini über das Getöse, welches der<br />
Sonnenaufgang im äußersten Osten der irdischen Welt verursache,*** <strong>und</strong> an die<br />
altägyptischen Vorstellungen von der Nachtfahrt der Sonne.****<br />
• Spatium<br />
* “Der Mensch, der an die Erde glaubt als an die feststehende Scheibe unterm<br />
Himmel, der sieht <strong>und</strong> glaubt Aufgang <strong>und</strong> Untergang - <strong>und</strong> alle, fast alle Menschen<br />
glauben an die feste Scheibe! Die Sterne selbst wissen kein Auf <strong>und</strong> Unter.”<br />
(Hermann Hesse, Klingsors letzter Sommer). Erdgestalt-A_S1.<br />
** Beispiele: Anmerkung am Ende dieser Datei.<br />
*** Menestò_p, 263 (5, c. 16); Schmieder_p, 68.<br />
**** Erik Hornung, Die Nachtfahrt der Sonne. Eine altägyptische Beschreibung des<br />
Jenseits, 2. Aufl. 2005.<br />
Spatien sind Zeit-Räume, das heißt: zugleich Zeiten <strong>und</strong> Räume, gesehen / konstruiert<br />
aus der Sicht einer jeweiligen menschlichen Gegenwart <strong>und</strong> Gesellschaft.<br />
• Spur<br />
Ein genutzter Weg prägt sich der Erdoberfläche ein. Sie könnte, ihn umgreifend <strong>und</strong><br />
überwuchernd, seine Spuren vernichten. Überreste würden dennoch bleiben.<br />
6.57
#<br />
• <strong>Storik</strong>-A<br />
Die Historik, zumal die historische Topik, wird von mir auf die “<strong>Storik</strong>” konzentriert.<br />
Die <strong>Storik</strong> bedenkt die Methoden einer Geschichte in <strong>Varianten</strong>. Es geht um die für sie<br />
erforderlichen Denkweisen <strong>und</strong> um die aus ihnen erwachsenden Darstellungsweisen.<br />
• <strong>Storik</strong>-B<br />
Denkweisen/ Historik/ Variante/; SK1; ADW; VBM; NBM<br />
Die Versuche zur <strong>Storik</strong>, als Beiträge zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong>, mischen<br />
ausgearbeitete Texte mit Skizzen <strong>und</strong> Fragmenten. Diese Mischung entspricht einem<br />
Geschichtsbild, das nicht abgeschlossen, sondern in der Verfertigung begriffen ist - <strong>und</strong><br />
dies nicht allein für ein Menschenleben oder eine Generation.<br />
•<strong>Storik</strong>-C<br />
unvollendbar/; VBM; NBM<br />
Einige Assoziationen zu “<strong>Storik</strong>” zur Erläuterung dieses Begriffs<br />
• Geschichte<br />
Historik<br />
englisch “story”: Geschichte, Artikel, Märchen.<br />
Historik/ Geschichte-A/<br />
• Überlagerung<br />
englisch “story”: Stockwerk<br />
französisch “store”: Rollo, durchsichtige Gardine<br />
lateinisch “storea / storia”: (aus Stroh, Binsen) geflochtene Decke.<br />
Denkweisen-G/<br />
• Fülle<br />
englisch “store”: Lager, Kaufhaus, Menge, Fülle<br />
(mittelhochdeutsch stôre / storje: Menge, Gedränge, Auflauf).<br />
Fülle/<br />
• Wertung<br />
englisch “to set ... store by ...”: ... Wert legen auf ...<br />
Konstruieren/<br />
6.58
• Streben<br />
Streben - Warten<br />
Streben nach ... (dem Bekannten, dem Gesetzten, dem Vorgestellten).<br />
Warten auf ... (das Unbekannte).<br />
• stromaufwärts<br />
Fließen: Ein Fluss fließt bisweilen stromaufwärts (oder: zugleich stromab- <strong>und</strong> -aufwärts).<br />
Beispiele: die Unterelbe bei Flut; die Alster unterhalb der Fuhlsbüttler Schleuse bei<br />
sommerlicher Trockenheit. Man denke auch an die Bildung von Strudeln.<br />
• Strudel<br />
Strudel / Wirbel - Spirale<br />
Strudel, wie sie zum Beispiel an den Köpfen von Buhnen entstehen - gefährlich auch für<br />
geübte Schwimmer. •<br />
Strudel als Inbegriff vieler Richtungen (nicht: der Richtungslosigkeit).<br />
Spirale als eine geometrische Ordnung des Strudels.<br />
Eine Sonderform der Spirale: wachsende Ringe.<br />
Ein Stein, ins Wasser geworfen, erzeugt scheinbar / oberflächlich wachsende Ringe von<br />
Wellen. Was aber spielt sich unter der Wasseroberfläche ab?<br />
6.59
• Strukturierungsmittel<br />
Durch Zeichen als Kommunikationsmittel werden Beziehungen zwischen Menschen oder<br />
zwischen Menschen <strong>und</strong> Natur / Kosmos aufgebaut <strong>und</strong> dabei zugleich Verweisungen <strong>und</strong><br />
Abgrenzungen, Kommunikation <strong>und</strong> Segregation, bewirkt. Die Zeichen sind<br />
Kommunikations- <strong>und</strong> Segregationsmittel, das heißt Strukturierungsmittel.*<br />
* Einführung_91, 103ff.; semiotisch_03.<br />
Zeichen sind gestuft vom einfachen Ding als Gegenstand / Objekt bis zum komplexen<br />
Zeichengefüge.<br />
Sprachen <strong>und</strong> Techniken als Strukturierungsmittel Verfügungsgewalt-G_S3<br />
Indem ein Ding für Lebewesen als Gegenstand erscheint, wird es zeichenhaft <strong>und</strong> kann<br />
als Strukturierungsmittel dienen.*<br />
* Fels_12.<br />
Beispiele für Dinge als Strukturierungsmittel:<br />
eine Erdscholle als Symbol bei der Übergabe eines Gr<strong>und</strong>stücks;<br />
ein Stein als Grenzstein;<br />
ein gegen jemanden geworfener Stein;<br />
ein gegen jemanden gezücktes Schwert;<br />
ein Geschenk / ein Almosen;<br />
ein Zahlungsmittel;<br />
ein Handelsgut.*<br />
* Agrargeschichte_S2.<br />
6.60
#<br />
• Subsistenz-A<br />
Subsistenz als wirtschaftlich-politische Lage<br />
Subsistenz ist eine wirtschaftlich-politische Lage, die ein auskömmliches Dasein <strong>und</strong> eine<br />
angemessene Selbstbestimmung von Menschen erfordert.<br />
Subsistenz als das auskömmliche, weniger zu Verfügungsgewalt (wirtschaftlichem<br />
Reichtum / politischer Macht) als zu Not / Armut geöffnete Dasein eines oder mehrerer<br />
Menschen; Subsistenz als das Erhaltens- <strong>und</strong> Gewinnenswerte, Not / Armut als das<br />
Einzuschränkende.<br />
Subsistenz als die aktualisierte <strong>und</strong> aktualisierbare Fähigkeit des Menschen, einzeln <strong>und</strong><br />
in Kleingruppen ohne Not zu leben, Makrostrukturen zu beeinflussen, Beziehungen nach<br />
seinem Ermessen <strong>und</strong> in Verantwortung gegenüber den anderen Menschen auf- <strong>und</strong><br />
abzubauen.<br />
Subsistenz ist eingeschränkt durch ihre Angemessenheit im Hinblick auf die Existenz<br />
anderer Wesen - nicht allein der Menschen.<br />
6.61
• Subsistenz-B<br />
Subsistenz / Subsistenztheorie<br />
Die Aktualisierbarkeit <strong>und</strong> Aktualisierung der Subsistenz, als einer Kategorie der<br />
sozialgeschichtlichen Beschreibung, könnte geeignet sein, als ein Maßstab einer<br />
Beurteilung von Verfassungen zu dienen.*<br />
* Denkweisen-K/ Verfassung/<br />
Subsistenz als wirtschaftlich-politische Lage ist im Spektrum Not - Verfügungsgewalt zu<br />
sehen <strong>und</strong> mit den Kategorien des Alltags zu konkretisieren.*<br />
* Alltag-A/.<br />
Subsistenz ist der aktualisierte Unterstand, der Überstieg ermöglicht.*<br />
Aspekte der Subsistenz in diesem Sinne sind: Freiheit <strong>und</strong> Frieden, Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />
Würde.**<br />
* Überstieg_A. ** Freiheit/ Frieden/ Gerechtigkeit/<br />
Subsistenz aufzubauen, zu erhalten, wiederherzustellen, erfordert ein Handeln, das aus<br />
Demut <strong>und</strong> Mitleiden erwächst. Verfügungsgewalt hat diesem Handeln zu dienen.<br />
Subsistenz-C_S3; Verfügungsgewalt_A; Humanität/ Demut/ Mitleiden/<br />
Subsistenz als Kategorie der Humanität weist auf Unterstand <strong>und</strong> Überstieg <strong>und</strong> -<br />
menschliche Verhältnisse übergreifend, Tiere, Pflanzen <strong>und</strong> Dinge einbeziehend - auf<br />
Mergie.*<br />
* Überstieg-C/; NBM-3.<br />
6.62
• Synchronie<br />
Es ist auch an historische Darstellungen zu denken, welche die übliche chronologische<br />
Achse der Geschichtsdarstellung preisgeben <strong>und</strong> das Einbezogensein der Vergangenheit<br />
<strong>und</strong> der Erwartungen an die Zukunft in die Gegenwart, also die Synchronie der Welt,<br />
betonen.* Alle Geschichten haben teil an mindestens einer Gegenwart. In ihrer<br />
Synchronie gehen sie auf; jedoch bleibt die Variabilität der Geschichten als Möglichkeit<br />
bestehen.<br />
* semiotisch_03.<br />
“Gleichaltrig uns ist alles, was wir denken.”*<br />
• System<br />
* Oskar Loerke, Die Erschaffung der Insel.<br />
System / Gefüge / Systemtheorie<br />
Das System ist ein Konstrukt, das geeignet ist, Komplexität, Komplexion <strong>und</strong> Reduktion<br />
darzustellen.<br />
Ein System soll bestimmt sein durch:<br />
die Verweisungen im System,<br />
die Abgrenzungen im System,<br />
die Abgrenzungen gegen die Umwelt des Systems,<br />
die Verweisungen auf die Umwelt des Systems,<br />
die Verweisungen auf Entlegenheiten,<br />
die systemsetzenden Werturteile.<br />
Letztlich durch die systemsetzenden Werturteile zeigt sich das System als Einheit, <strong>und</strong><br />
zwar als eine konstruierte <strong>und</strong> konstruierbare Einheit.<br />
Ein System ist durch eine Grenze von seiner Umwelt geschieden. Eine unendliche Welt ist<br />
kein System. In seinem Inneren ist ein System durch Verweisungen zu einer Einheit<br />
verb<strong>und</strong>en, durch Abgrenzungen in seiner Geschlossenheit beschränkt. Auch die<br />
Außengrenzen des Systems werden durch Verweisungen, die aus dem System in seine<br />
Umwelt <strong>und</strong> aus ihr in das System verlaufen, durchbrochen <strong>und</strong> aufgelockert.<br />
6.63
Entlegenheiten sind nicht mit dem System verknüpft, können aber erahnbar sein <strong>und</strong><br />
insofern zur Sinnstiftung des Systems beitragen. Entlegenheiten lassen sich vom System<br />
her nicht abwandeln. Aber Abwandlungen des Systems können sich der Entlegenheiten<br />
bedienen. •<br />
Entlegenheit schließt eine Distanz ein. Daher kann <strong>und</strong> muss sich ein System nicht von<br />
Entlegenem abgrenzen. Umwelt ist dem zugehörigen System nahe <strong>und</strong> muss daher von<br />
ihm abgegrenzt sein.<br />
entlegen/ Überstieg-C/<br />
Abgrenzungen <strong>und</strong> Verweisungen Humanität-C/ Komplexion/ Natur-B/<br />
Strukturierungsmittel/<br />
Der Verdeutlichung der Abgrenzungen, Verweisungen <strong>und</strong> Entlegenheiten können auch<br />
die Vorstellungen von Ausrichtung <strong>und</strong> Entrichtung dienen, die das Verhältnis Welt /<br />
Geschichte zu Chaos andeuten sollen.<br />
Ausrichtung/ Entrichtung/<br />
Das System ist ein konstruierter oder konstruierbarer Sachverhalt. •<br />
Abgegrenzte Bereiche innerhalb eines Systems können als seine Elemente oder<br />
Teilsysteme beschrieben werden. •<br />
Das System kann eine einzelne Person oder mehrere Menschen / Menschengruppen,<br />
auch Tiere, Pflanzen, Materie / Energie sowie Strukturierungen durch Kommunikation <strong>und</strong><br />
Segregation einbeziehen.<br />
Die Einheit des Systems stellt sich als beschränkt <strong>und</strong> zerstörbar dar.*<br />
* Beziehung\ Denkweisen-K/ Komplexion/ Konstruieren/ Nahen/ Orientbild/<br />
Strukturierungsmittel/ Überstieg-C/ Verhaltensweise/ Wandel-B/ Weltbild/ Welten/;<br />
Agrargeschichte_S2; Arbeiten_GH; exzentrisch-H_GH; GVN; LBS; Metapher_AD;<br />
Stadt-A_LS; Weltchronistik_S2; Bedingungen_77; Accipe_83; Stadt_87;<br />
Stadtbeschreibungen_88; Aufstände_89; Einführung_91; semiotisch_03. •<br />
Der vorstehende systemtheoretische Aufriss ist angeregt durch Schriften von Niklas<br />
Luhmann, ist aber von mir, besonders für die Darstellung mittelalterlicher<br />
Geschichte, abgewandelt. •<br />
Natur als nichtmenschliche Natur / als Umwelt des Menschen Natur\<br />
6.64
T#<br />
• Tier<br />
Tiergestaltige Götter <strong>und</strong> Menschen (einschließlich der Mischformen mit tierhaften<br />
Anteilen):<br />
Es fällt Menschen schwer, sich “Gott” als ein abstraktes Wesen vorzustellen - daher wird<br />
eine Zwischenwelt, die der Engel / Boten <strong>und</strong> der Heiligen, ausgestaltet.<br />
Die Pluralität tiergestaltiger Götter - wie in Altägypten <strong>und</strong> im Hinduismus - scheint eine<br />
Form der Konkretisierung, welche Tiere als Lebewesen - auch Tierhaftes am Menschen -<br />
ernst nimmt.* •<br />
Philosophen, die sich Haustiere hielten, konnten die personalen Eigenheiten von Tieren<br />
deutlicher bedenken - etwa Arthur Schopenhauer <strong>und</strong> Jacques Derrida.<br />
* Humanität-C/; Tiere_ML; vgl. tierhaft_AS.<br />
Die erahnte Durchlässigkeit zwischen Mensch <strong>und</strong> Tier, auch genetisch zu verstehen, der<br />
Übergang in Form der Verwandlung, erscheint in der sagen- <strong>und</strong> märchenhaften Tradition:<br />
bedrohlich für die Humanität (z. B. Werwolf), die menschliche Existenz vernichtend (z. B.<br />
Vampir) oder auf Erlösung aus der tierhaften Existenz gerichtet (z. B. Prinz als Frosch).<br />
Pflanze/; TGF-2D<br />
Der Mensch hat mit dem Tier (<strong>und</strong> der Pflanze?) das Leiden gemeinsam.*<br />
• Traum<br />
* Seel_t, nr. 103.<br />
Durch Schlaf <strong>und</strong> Traum reduzieren Lebewesen die Ausrichtung der Welt, in welche sie<br />
eingeb<strong>und</strong>en sind, <strong>und</strong> nähern sich dem Chaos. Träume verknüpfen verfremdend: das<br />
scheinbar Nahe <strong>und</strong> Ferne, das scheinbar Erinnerte, Vergessene, Erahnte.*<br />
Insofern sind Träume (französisch “rêves”) einer Welt Kehrseite (spanisch “revés”).<br />
* Seel_t, nr. 206, 229.<br />
6.65
U#<br />
• Überstehen-A<br />
Überstehen - Übersteigen - Vergehen<br />
Das irdische Leben, nicht nur das menschliche, ist hingeordnet auf das Überstehen. Nur<br />
wenn es gelingt, Nöte <strong>und</strong> Krisen zu überstehen, ihre Existenzbedrohung abzuwenden,<br />
dauert das irdische Leben fort.<br />
Mitleiden/<br />
Darüber hinaus ist das irdische Leben auf die Erfüllung bestimmter Formen <strong>und</strong> auf die<br />
Erreichung bestimmter Ziele angelegt. Diese sind gattungs-/artspezifisch <strong>und</strong> können in<br />
unterschiedlichem Maße, mehr oder weniger vollkommen, verwirklicht werden. Dieses<br />
Streben, Formen zu erfüllen oder Ziele zu erreichen, wird hier als Überstieg / Übersteigen<br />
bezeichnet - Übersteigen nämlich eines unteren oder mittleren Standes.<br />
Überstieg/<br />
Schließlich ist das irdische Leben durch sein Hingeordnetsein auf das Vergehen<br />
bestimmt. Das Vergehen folgt nicht auf das Leben; sondern das Leben hat allezeit Anteil<br />
am Vergehen, wie dieses an jenem.<br />
Überstehen_SK<br />
• Überstieg-A<br />
Überstieg / Übersteigen* - Stufungen<br />
Bei der Ausgestaltung von Möglichkeiten** entstehen Stufungen des Verhaltens - im<br />
Bereich der Materie / Energie, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen.<br />
* “-stieg” kann “-steigen” bedeuten; vgl. Aufstieg, Abstieg.<br />
** GVN.<br />
6.66
• Überstieg-B<br />
Überstieg / Transzendieren<br />
Wesen übersteigen, indem sie danach streben, Formen zu erfüllen oder Ziele zu<br />
erreichen, für begrenzte Zeit einen unteren oder mittleren Stand. •<br />
Diese Formen <strong>und</strong> Ziele sind gattungs-/artspezifisch.<br />
Subsistenz-B/; Überstieg-E_S3<br />
Übersteigern ist depravierter Überstieg.<br />
• Überstieg-C<br />
Überstieg <strong>und</strong> Unterstand<br />
Versuche des Überstiegs / Übersteigens sind dem Wogen eines Meeres zu vergleichen.<br />
Die den Meeresspiegel übersteigenden Wellen fallen auf ihn als den Unterstand zurück -<br />
können ihn sogar unterschreiten. •<br />
Aber auch, um die Metapher der Richtung zu erweitern: Versuche des Überstiegs /<br />
Übersteigens sind einer spezifischen Art des HInaufsteigens oder des Hinabsteigens, des<br />
Auf- oder des Eintauchens zu vergleichen.<br />
Mergie\;* NBM-3<br />
* Zu der Wortbildung “Mergie” vgl. “Materie / Energie” <strong>und</strong> lateinisch mergere,<br />
emergere, immergere.<br />
Aus Systemen folgt der Überstieg Verweisungen auf deren Umwelt, kann sich auch an<br />
Entlegenheiten ausrichten. •<br />
Der erschwerte Durchstieg, gleichsam das Durchqueren eines Nadelöhrs, kann eine Form<br />
des Überstiegs sein.<br />
TGF-3F<br />
6.67
• Überstieg-D<br />
Überstieg / Übersteigen - Wertungen<br />
Mindestens für Lebewesen / Menschen ist regelhaft ein Überstieg erforderlich, der durch<br />
Unterstand / Subsistenz* eingeschränkt / gezügelt ist - durch Verhaltensmuster, welche<br />
das Überstehen der Gattung / Art sichern.<br />
* Vgl. NBM-3.<br />
In den höchsten erreichten / erreichbaren, derart eingeschränkten / gezügelten Stufen des<br />
Überstiegs mag für einige Zeit sichtbar werden, was Vollkommenheit der Lebewesen /<br />
Menschen bedeuten könnte.<br />
vollkommen_S3<br />
• unbekannt<br />
Das Unbekannte: ein Gesang feiner als der eines Sommergoldhähnchens. Ihn<br />
wahrzunehmen, bedarf der Achtsamkeit.<br />
6.68
• Unschärfe-A<br />
unscharf betrachten<br />
Die Unschärfe des Betrachtens<br />
ist<br />
die Unschärfe des Betrachteten<br />
ist<br />
Zweigen_ES<br />
die Unschärfe des Betrachters.<br />
Die Unschärfe des Baumes wie des Flusses<br />
besteht in seinen Beschaffenheiten<br />
besteht in deren Wirkung auf den Betrachter.<br />
Das Blickfeld des Menschen<br />
erzeugt<br />
Schärfe <strong>und</strong> Unschärfe.<br />
Das Überstehen zu sichern<br />
erfordert Konzentration auf die Schärfe<br />
erfordert Beachtung der Unschärfe.<br />
6.69
• Unschärfe-B<br />
Wahrscheinlichkeiten<br />
In der Wahrscheinlichkeit, mit der eine von mehreren Möglichkeiten eines Geschehens /<br />
der Entscheidung eines Lebewesens aktualisiert werden wird, kann Unschärfe bleiben.<br />
Ding<br />
Ein Stein auf der Kippe - unentschieden, ob er am Rande eines Abhangs liegen bleibt<br />
oder ihn hinabstürzt. Es mag ein Spielraum bleiben, welche der Möglichkeiten aktualisiert<br />
wird.<br />
Fluss<br />
Ein Fluss, auf Hindernisse stoßend - unentschieden, wie er sie umgeht. Es mag ein<br />
Spielraum bleiben, wie er sie umgehen wird.<br />
Baum<br />
Sprießende Wurzeln <strong>und</strong> Zweige eines Baumes - unentschieden, in welche Richtung<br />
genau sie sich bewegen werden. Es mag ein Spielraum bleiben, wie er welche<br />
Ressourcen (Licht <strong>und</strong> Luft, Feuchtigkeit <strong>und</strong> Nährstoffe) nutzen wird.<br />
Tier<br />
Ein Tier auf der Jagd - unentschieden, ob es dem einen oder dem anderen erjagbaren<br />
Tier folgt. Es mag ein Spielraum bleiben, welchem der Tiere es nachsetzen wird. -<br />
Buridans Esel müsste nicht verhungern.<br />
Mensch<br />
Erst recht der Mensch: hin <strong>und</strong> her denkend zwischen Möglichkeiten, die sich nicht als<br />
Wahrscheinlichkeiten errechnen lassen. Er mag sich zwischen etwa gleich wichtigen,<br />
gleich gewichtigen Alternativen entscheiden.*<br />
* Zum widerwilligen Handeln vgl. französisch “à contrecœur”.<br />
Bei etwa gleich gewichtigen Alternativen / bei Wahrscheinlichkeiten um 50% / bei einem<br />
Entweder - Oder lassen die Unschärfen des Geschehens / der Entscheidung die Welt /<br />
die Geschichte unkalkulierbar werden.*<br />
* TGF-1B/4B.<br />
6.70
Man vergleiche zu diesen Vermutungen über Makrostrukturen: im Bereich der<br />
Mikrostrukturen die Vorstellungen der Quantenmechanik.<br />
MKT: Vorbemerkung; Geschichten_GV<br />
Die Welt / Geschichte erscheint nicht schlechthin durch eindeutige Ursachen oder Ziele<br />
bestimmt; sondern sie ist zu Ungewissheiten geöffnet.<br />
Der Mensch, der planend handelt oder konstruierend denkt, setzt Regeln voraus, die<br />
sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit gelten oder zu gelten scheinen, zum Beispiel die<br />
Wirksamkeit von Prinzipien der Triviallogik, die Geltung naturwissenschaftlicher Gesetze,<br />
das Funktionieren kausaler Zusammenhänge. Aber Ordnungen, welche diese Regeln<br />
übersteigen <strong>und</strong> umgreifen, können durch sie nicht gewährleistet werden. Diese<br />
Diskrepanz zwischen Regeln <strong>und</strong> vorauszusetzenden Ordnungen zeigt sich darin, dass<br />
Regeln in ihren Grenzbereichen, sowohl in Mikro- als auch in Makrostrukturen, unscharf<br />
werden.<br />
Allerdings scheinen diese Ungewissheiten <strong>und</strong> Unschärfen nicht beliebig zu sein, sondern<br />
sich innerhalb eines Bereichs von Rahmenbedingungen zu bewegen, welche dieser Welt /<br />
Geschichte eigen sind - wie die Äste eines Baumes, die Ströme eines Flusses.<br />
In einer anderen Welt gelten diese Rahmenbedingungen nicht oder nicht notwendig; im<br />
Chaos sind sie hinfällig.<br />
6.71
• unvollendbar<br />
Es gibt Werke, die unvollendbar sind. Je mehr ein Autor seine Welt insgesamt zu<br />
beschreiben versucht, desto wahrscheinlicher ist die Unvollendbarkeit seines Werkes.*<br />
Beispiele für derartige Werke, die dennoch vollendet wurden, sind etwa: Augustins Schrift<br />
über den Gottesstaat (“De civitate Dei”); die Göttliche Komödie (“La divina commedia”)<br />
von Dante Alighieri; Arthur Schopenhauer, “Die Welt als Wille <strong>und</strong> Vorstellung”. Im 20.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert - wohl nicht nur wegen dessen politischer Schrecknisse - mehren sich<br />
unvollendete Werke dieser Art, zum Beispiel: Walter Benjamins “Passagen-Werk”, die<br />
“Philosophischen Untersuchungen” von Ludwig Wittgenstein, auch der Roman “Der Mann<br />
ohne Eigenschaften” von Robert Musil.<br />
* Leiris, Journal, zum 26.9.1966.<br />
Die Welt scheint sich zunehmend in vielfältige Fragmente zu zersetzen, in Aspekte einer<br />
Landschaft, die nur noch in einer “Menge von Landschaftskizzen”* darzustellen ist. •<br />
Auch das Unvollendbare / Unvollendete kann auf seine Art vollendet sein. Die Würde des<br />
Fragments. •<br />
“nur wer die unattraktivität des fragmentarischen wählt, scheint mir noch glaubwürdig”.**<br />
V#<br />
* Wittgenstein_u, 566, 742.<br />
** Gerstl_n, 148. Vgl. Walter Erhart, Wolfgang Koeppen. Das Scheitern moderner<br />
Literatur, 2012.<br />
• Variabilität<br />
Variabilität geschichtlicher Sachverhalte<br />
Die Variabilität wächst, je komplexer der geschichtliche Sachverhalt ist. Die Variabilität<br />
eng umrissener Ereignisse ist unter Umständen auf eine Alternative beschränkt: Eintreten<br />
oder Nichteintreten des Ereignisses. Bei komplexen Sachverhalten ist zu unterscheiden<br />
zwischen <strong>Varianten</strong>, deren Eintreten mehr oder weniger wahrscheinlich, aus der Sicht der<br />
jeweiligen Gegenwart mehr oder weniger aktualisierbar ist. Zu bedenken ist aber auch:<br />
Das Unwahrscheinliche kann aktualisiert werden.<br />
Kanalisierung-A/ Synchronie/; Humanität-A/ Mondialität/; GVN<br />
6.72
• Variante-A<br />
Variationen / Abwandlungen der Geschichte beruhen auf Reflexionen über Sachverhalte<br />
hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Wirklichkeiten <strong>und</strong> Möglichkeiten <strong>und</strong> zielen auf eine<br />
Geschichte in <strong>Varianten</strong>.*<br />
* Zu “Variation”: Seel_t, nr. 50.<br />
Anderes/<br />
• Variante-B<br />
Geschichte besteht in Geschichten. Die hohe, beliebig große, wenn auch nicht notwendig<br />
unendliche Zahl der <strong>Varianten</strong> lässt Geschichte als eine Vielfalt aufeinander bezogener<br />
Geschichten erscheinen. •<br />
Die Geschichte ist nicht eindimensional. Geschichte ist, Geschichten sind in <strong>Varianten</strong><br />
ihrer Verläufe darstellbar. Das Denken in einer Mehrzahl historischer <strong>Varianten</strong> stellt die<br />
Eindimensionalität geschichtlicher Verläufe methodisch in Frage. Jenseits der darge-<br />
stellten Geschichte liegt noch viel Neuland darstellbarer Geschichten.*<br />
* Bedingungen_77; semiotisch_03. Zu den narrativen Aspekten der<br />
Darstellungsweise: Paul Ricœur, a) Temps et récit / Zeit <strong>und</strong> Erzählung, 1-3,<br />
1983-1985 / 1988-1991; b) Soi-même comme un autre / Das Selbst als ein<br />
Anderer, 1990 / 1996; Schmidt_f, 73ff.<br />
Eine Geschichte in <strong>Varianten</strong> bezieht viele Darstellungsformen <strong>und</strong> -möglichkeiten ein.<br />
Geschichten sind nicht allein als Erzählungen darstellbar. •<br />
In einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> überlagern sich aktuale / aktualisierte Geschichte <strong>und</strong><br />
aktualisierbare / virtuelle Geschichten.<br />
Die <strong>Varianten</strong> der Geschichte bestehen nicht nur in der Vielfalt ihrer Wandlungen <strong>und</strong><br />
Abwandlungen, sondern auch in der Spannweite, die über sie hinausführt: zu<br />
Entlegenheiten der Geschichte.<br />
entlegen/<br />
6.73
• Variante-C<br />
Die Feinheit der Mikrostrukturen, die Bedeutung der Mikrogeschichten für die Makro-<br />
geschichte zu erkennen, erfordert Achtsamkeit.<br />
“Immer mehr erscheint mir das, was für das Eigentliche gehalten wird, als das<br />
Uneigentliche. Fragwürdig geworden ist mir die Möglichkeit der Unterscheidbarkeit<br />
zwischen Eigentlichem <strong>und</strong> Uneigentlichem - als spiele das Eigentliche sich in einer<br />
Fußnote ab [...].”*<br />
* Friederike Roth, Ordnungsträume. Eine Erzählung, 1979, 20.<br />
Geschichte “entsteht nicht von einem Zentrum her, sondern von der Peripherie. Aus<br />
kleinen Ursachen. Wahrscheinlich gehört gar nicht so viel dazu, wie man glaubt, um aus<br />
dem gotischen Menschen oder dem antiken Griechen den modernen Zivilisations-<br />
menschen zu machen. Denn das menschliche Wesen ist ebenso leicht der<br />
Menschenfresserei fähig wie der Kritik der reinen Vernunft; es kann mit den gleichen<br />
Überzeugungen <strong>und</strong> Eigenschaften beides schaffen, wenn die Umstände danach sind,<br />
<strong>und</strong> sehr großen äußeren Unterschieden entsprechen dabei sehr kleine innere.”*<br />
* Musil_m, 360f. [zuerst 1930]; vollkommen_S3.<br />
• Variante-D<br />
<strong>Varianten</strong> einer Autobiographie<br />
Wie ein Maler Selbstbildnisse, so kann ein Schriftsteller seine Autobiographie in <strong>Varianten</strong><br />
hervorbringen. Beispiele sind Schriften von Michel Leiris* <strong>und</strong> Jean Paul.**<br />
* Michel Leiris, a) L’âge d’homme, Paris 1939, 2., erw. Aufl. Paris 1946, b) Journal<br />
1922-1989, éd. Jean Jamin, Paris 1992, c) La règle du jeu, 1-4: Biffures / Fourbis /<br />
Fibrilles / Frêle Bruit, Paris 1948-1976;<br />
deutsche Übersetzungen: a) Mannesalter, übers. v. Kurt Leonhard, 1963 / 1975, 5.<br />
Aufl. 1994 (Bibliothek Suhrkamp 427);<br />
b) Tagebücher 1922-1989, übers. v. Elfriede Friesenbiller / Chantal Niebisch, Graz /<br />
Wien 1996; c) Die Spielregel, 1-4: Streichungen / Krempel / Fibrillen / Wehlaut,<br />
übers. v. Hans Therre, 1982-1999.<br />
** Jean Paul, Lebenserschreibung. Veröffentlichte <strong>und</strong> nachgelassene<br />
autobiographische Schriften, hg. v. Helmut Pfotenhauer / Thomas Meißner, 2004.<br />
6.74
• Variante-E<br />
Mathematisierte <strong>Varianten</strong><br />
In der Musik <strong>und</strong> in der bildenden Kunst sind auch Variationen von mathematischer<br />
Genauigkeit möglich. Variationen der Welt / Geschichte lassen eine solche Genauigkeit<br />
nur in engen Grenzen zu, zum Beispiel bei statistischen Erwägungen,* ansatzweise auch<br />
in dialektischen Konstruktionen.** Eine Mathematisierung der Welt / Geschichte<br />
insgesamt scheint nicht möglich.<br />
* Beispiel: Kolonisation_LS: Überlegungen zu “Bewegung”.<br />
** Beispiel: Weltchronistik_S2.<br />
• Verfassung<br />
Verfassung als das menschliche Verhalten von langer Dauer zu Sozialstrukturen - als<br />
Gesellschaft unter dem Aspekt der langen Dauer:<br />
insofern es Sozialstrukturen beibehält oder verändert, Freiheiten mehrt oder mindert,<br />
Friedenschancen senkt oder steigert.<br />
Verfassung als die angemessene Ausgestaltung der Subsistenz <strong>und</strong> der Verfügungs-<br />
gewalt.<br />
Subsistenz_A; Verfügungsgewalt-B/<br />
6.75
#<br />
• Verfügungsgewalt-A<br />
Verfügungsgewalt ist das wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Verhalten von Menschen, insofern<br />
es die Subsistenz übersteigt.<br />
Verfügungsgewalt ist die Subsistenz übersteigende Chance,<br />
Erträge zu nutzen <strong>und</strong> Verhaltensweisen zu beeinflussen,<br />
nämlich:<br />
menschliche Leistungen <strong>und</strong> / oder wirtschaftliche Güter zu nutzen <strong>und</strong> insoweit<br />
Verhaltensweisen von Menschen zu beeinflussen<br />
oder:<br />
Verhaltensweisen von Menschen zu beeinflussen <strong>und</strong> insoweit menschliche Leistungen<br />
<strong>und</strong> / oder wirtschaftliche Güter zu nutzen.<br />
Subsistenz_A; Verfügungsgewalt_A<br />
• Verfügungsgewalt-B<br />
Verfügungsgewalt - Wertungen<br />
Verfügungsgewalt muss im Hinblick auf die Existenz anderer Wesen (nicht allein der<br />
Menschen) angemessen sein.<br />
Träger von Verfügungsgewalt müssen sich als Mit-Wirkende <strong>und</strong> Teil-Habende verstehen.<br />
Demut ist der Angemessenheit der Verfügungsgewalt förderlich.<br />
Demut/ Verfassung/<br />
6.76
• Verfügungsgewalt-C<br />
Verfügungsgewalt über Verfügungsgewalt (reflexive Verfügungsgewalt)<br />
Verfügungsgewalt über Verfügungsgewalt ist die Verfügungsgewalt übersteigende<br />
Chance,<br />
Verhaltensweisen von Trägern von Verfügungsgewalt koordinierend zu beeinflussen <strong>und</strong><br />
insoweit an den Erträgen der menschlichen Leistungen<br />
<strong>und</strong> / oder<br />
an wirtschaftlichen Gütern, die von diesen Trägern von Verfügungsgewalt genutzt werden,<br />
teilzuhaben.<br />
Reflexive Verfügungsgewalt sollte im Hinblick auf die Existenz anderer Träger von<br />
Verfügungsgewalt angemessen sein. Missbräuchlich erworbene / genutzte reflexive<br />
Verfügungsgewalt kann von den ihr Unterworfenen unverhältnismäßíg hohe Leistungen<br />
erzwingen; dies kann Verlust der Verfügungsgewalt <strong>und</strong> der Subsistenz nach sich ziehen.<br />
Gerechtigkeit/ Reflexivität/; Verfügungsgewalt-D_S1<br />
6.77
• Vergleich<br />
Vergleichende Darstellung<br />
Die Beschreibung eines Sachverhalts enthält immer auch Elemente eines Vergleichs.<br />
Dessen Anteil ist unterschiedlich ausgeprägt.<br />
• Vergleichende Darstellung mehrerer Gegenwarten / Spatien<br />
Für Gegenwarten werden die folgenden Abkürzungen verwendet:<br />
G1: die Gegenwart des Betrachters der Geschichte;<br />
G2, G3 ..., Gn: frühere, damals als Gegenwarten verstandene oder verstehbare Spatien.<br />
Werden die Spatien G2 <strong>und</strong> G3 in einer Darstellung aufeinander bezogen, ist dies ein<br />
Vergleich zwischen G2 <strong>und</strong> G3 mit Rückbezug auf G1.<br />
Der Rückbezug auf G1 beruht auf der - meist stillschweigenden - Verwendung von<br />
Kategorien, die sich aus dem gedanklich-sprachlichen Kontext des Geschichtsbetrachters<br />
ergeben. Methodisch ausgestaltet wird dieser Kontext im bewussten Einsatz von<br />
Konstruktionen / Theorien.*<br />
* Entsprechung/ System/.<br />
In den Vergleich zwischen G2 <strong>und</strong> G3 einbezogen werden kann auch das Spatium<br />
zwischen G2 <strong>und</strong> G3; es erscheint insofern analog einer Gegenwart.*<br />
* Beispiel: Sachsenrecht_91.<br />
Auch das Spatium zwischen G1 <strong>und</strong> G2 oder G3 kann in den Vergleich einbezogen<br />
werden; es erscheint als Ausdehnung von G1 oder analog einer zusätzlichen Gegenwart.*<br />
* Beispiel: Aufstände_89; vgl. Gedenken-A_S2.<br />
• Darstellung eines Spatiums (vorausgesetzt: vergleichende Einbeziehung anderer<br />
Spatien)<br />
Wird allein das Spatium G2 dargestellt, ist dies zwar kein methodischer Vergleich mit<br />
einem anderen Spatium; aber mindestens wirkt G1 ein, regelmäßig sind auch andere<br />
Spatien im Blick, sind also Elemente eines Vergleichs vorausgesetzt.<br />
Die Komplexität des Spatiums G2, seine aktuale oder potentiale Vielfalt kann von G1 aus<br />
bewusst thematisiert werden.* Auch Unschärfen der Überlieferung können von G1 aus zur<br />
Komplexion genutzt werden.**<br />
* Beispiele Wirtschaft_GF. ** Beispiel: Prozess_80; vgl. Regalien_LE.<br />
6.78
• Aussagen über weite Spatien (aufgr<strong>und</strong> des Vergleichs mehrerer Spatien)<br />
Den Vergleichen nahe stehen Aussagen, die weite Spatien, auch den Gesamtverlauf der<br />
Geschichte zum Gegenstand haben. Diese Aussagen berücksichtigen aspekthaft<br />
Meinungen des Aussagenden über mehrere Spatien, in jedem Falle auch über G1 - <strong>und</strong><br />
können extrapolierend Zukünfte einbeziehen.*<br />
* Bedingungen_ES.<br />
All diese Strukturbeschreibungen <strong>und</strong> -vergleiche berücksichtigen, um praktikabel zu<br />
bleiben, aus der Vielzahl der möglichen <strong>Varianten</strong> von Sachverhalten nur einige wenige,<br />
blenden also die Skala der <strong>Varianten</strong> aus.* Die Auswahl der <strong>Varianten</strong> wirft Licht <strong>und</strong><br />
Schatten auf G1, auf die Gegenwart des jeweiligen Betrachters der Geschichte.<br />
* Vgl. Gerstl_s, 7/96.<br />
Assoziation/ Entsprechung/ Komplexität/ Metapher/; ESP; SKZ; Zweigen_AD<br />
• Verhaltensnorm<br />
Menschliche Verhaltensweisen - Verhaltensnormen - Rechtsnormen<br />
Menschliche Verhaltensweisen werden durch Verhaltensnormen überhöht. Rechtsnormen<br />
sind gerichtsfähige Verhaltensnormen.<br />
Zwischen Verhaltensweisen <strong>und</strong> Verhaltensnormen besteht ein schwer durchschaubares<br />
Geflecht von Aktualität <strong>und</strong> Virtualität. Zu vermuten ist: Verhaltensnormen sind umso<br />
virtueller, je weniger sie kontrolliert oder kontrollierbar sind; <strong>und</strong>: Verhaltensnormen sind<br />
umso virtueller, je abstrakter sie begründet werden - zum Beispiel durch Rückgriff auf ius<br />
gentium - ius naturale - ius divinum oder auf Weltbilder.<br />
6.79
• Verhaltensweise-A<br />
Verhaltensweisen - Gesellschaftsformen - Mentalitäten<br />
Verhaltensweisen sind Tun <strong>und</strong> Unterlassen, Erleiden, Fühlen <strong>und</strong> Denken.<br />
Soziale Verhaltensweisen sind Verhaltensweisen zwischen Individuen oder<br />
gesellschaftlichen Gruppen.<br />
Eine Gesellschaftsform ist ein Aspekt einer Gesellschaft, zum Beispiel Handel,<br />
Wissenschaft, Stadt. Gesellschaftsformen lassen sich als Gefüge / Systeme sozialer<br />
Verhaltensweisen beschreiben.<br />
Mentalitäten sind Dispositionen der Verhaltensweisen von Individuen oder<br />
gesellschaftlichen Gruppen: lang dauernde Neigungen, einem bestimmten Tun oder<br />
Unterlassen, Fühlen oder Denken zu folgen.<br />
Menschliche Verhaltensweisen werden durch Verhaltensnormen überhöht.<br />
Menschliche Mentalitäten <strong>und</strong> Verhaltensnormen sind in Weltbilder einbezogen.<br />
• Verhaltensweise-B<br />
Verhaltensweisen / Sitten<br />
Als Verhalten wird nicht allein menschliches Verhalten, sondern auch das Verhalten<br />
natürlicher (nichtmenschlicher) Wesen verstanden.<br />
menschliche Verhaltensweisen - von Völkern, Menschengruppen, einzelnen Menschen;<br />
menschlich-tierhafte Verhaltensweisen;<br />
menschlich-pflanzliche Verhaltensweisen.<br />
Wesen/ Natur/; Einführung_91<br />
6.80
• Versuch-A<br />
Versuch / Essai / Essay als Darstellungsform<br />
Der Versuch als Darstellungsform kann sich weiter von zeit-räumlichen Vorgaben<br />
entfernen als die Erzählung <strong>und</strong> die Beschreibung. Er erfordert eine Eleganz der<br />
Darstellung <strong>und</strong> ist besonders geeignet, offene Probleme darzustellen <strong>und</strong> scheinbar<br />
Divergierendes in einen Zusammenhang zu bringen. Größere erzählende <strong>und</strong><br />
beschreibende Passagen sind mit der Eleganz des Versuchs nicht vereinbar.*<br />
* semiotisch_03.<br />
Ein Versuch ist das Suchen nach einer Sichtweise mit dem Risiko des Scheiterns. Das<br />
Ziel der Sichtweise übersteigt eng begrenzte Gegenstände, auch wenn sie ein<br />
Ausgangspunkt des Denkens sein können. Die Weite der Welt ist der Kontext des<br />
Versuchs; er ist ein Vehikel räumlicher <strong>und</strong> zeitlicher Diskontinuität.<br />
Ein Versuch behandelt eine Thematik mehr hinweisend als abschließend; er erfordert ein<br />
sprachliches Niveau, das präzise <strong>und</strong> elegant wirkt.<br />
Der Versuch kann eine oder mehrere Sichtweisen einer Thematik darstellen; er ist eine<br />
offene Darstellungsform, besonders vernetzt mit der Subjektivität des Autors, der ihn<br />
hervorbringt.<br />
• Versuch-B<br />
Versuch - Beschreibung - Erzählung<br />
Die Welt / Geschichte ist ein Meer von Möglichkeiten. Es erstreckt sich in viele<br />
Richtungen. Eine einzige Darstellungsform reicht nicht aus, die Weite <strong>und</strong> Tiefe dieses<br />
Meeres zu begreifen. Eher könnten drei Formen historischer Darstellung mit Erfolg<br />
zusammenwirken: Erzählung, Beschreibung <strong>und</strong> Versuch / Essai / Essay (im Folgenden:<br />
E, B <strong>und</strong> V).<br />
E wendet sich der Geschichte in ihrer zeitlichen Erstreckung zu. Sie kann sich der Vielfalt<br />
geschichtlicher Verläufe durch eine Vervielfachung des Erzählens anzupassen suchen,<br />
durch <strong>Varianten</strong> der Geschichtserzählung. Geschichte als ein Meer von Geschichten<br />
gliedert sich so in Flüsse, die dem Meer zustreben. Flüsse sind begrenzt <strong>und</strong> ermöglichen<br />
Grenzüberschreitungen. Letzlich sind Themen historischen Erzählens aktualisierte<br />
Geschichte(n).<br />
6.81
Dagegen sind B <strong>und</strong> V geeignet, Möglichkeiten auch in ihrer Unwahrscheinlichkeit<br />
darzustellen. B wendet sich der Geschichte in ihrer Räumlichkeit <strong>und</strong> Gleichzeitigkeit zu.<br />
Der Vielfalt der Möglichkeiten kann sich B durch Variationen des Beschreibens anpassen,<br />
durch <strong>Varianten</strong> der Geschichtsbeschreibung. Geschichte als ein Meer möglicher<br />
Strukturen gliedert sich in Aktualisierbarkeiten. Ausgewählt werden sie In ihrer<br />
Gleichzeitigkeit aufgenommen. Letztlich sind Themen historischen Beschreibens<br />
aktualisierbare Strukturen.<br />
V kann In höchstem Maße Möglichkeiten - mehr oder weniger aktualisierbare - darstellen.<br />
V wendet sich der Welt / Geschichte als einem Meer möglicher Beziehungen zu. Gleich<br />
einem tauchfähigen Schiff durchkreuzt er den Ozean in seiner Vielfalt. Geschichte als ein<br />
Meer möglicher Beziehungen erscheint wie von Strahlen durchzogen. Sie erhellen nicht<br />
das ganze Meer, strukturieren es gleichwohl - quer zu E <strong>und</strong> B. Auch wenn <strong>Varianten</strong> der<br />
Versuche sich dem Meer der Möglichkeiten nähern, bleiben die Versuche dem subjektiven<br />
Willen <strong>und</strong> Urteil des Autors ausgeliefert.<br />
E, B <strong>und</strong> V erhellen dieselbe Welt / Geschichte. Sie können aufeinander bezogen sein. B<br />
öffnet sich zur zeitlichen Erstreckung von E, indem sie Wirken <strong>und</strong> Bewirktsein von<br />
Strukturen im Blick behält. V lässt die Wahrscheinlichkeiten, die E <strong>und</strong> B eröffnen, nicht<br />
außer Acht, öffnet sie aber entschlossener noch als B zu Möglichkeiten. Im<br />
Zusammenwirken von E, B <strong>und</strong> V kann Welt / Geschichte umso deutlicher als ein Meer<br />
von Möglichkeiten dargestellt werden: in E durchzogen von flusshaft verlaufenden<br />
Zeitstrukturen, in B kristallhaft hingeordnet auf Raumzentren, in V durchglüht von<br />
Strahlen, die sich auch durch Flüsse <strong>und</strong> Kristalle ziehen.<br />
• Vielheit<br />
Erzählung/ Beschreibung/ Versuch-A/<br />
Vielheit - Einheit<br />
Mehrere Bäume können zusammenwachsen - oberirdisch, durch ihre Stämme oder<br />
Zweige, unterirdisch durch ihre Wurzeln.<br />
6.82
• virtuell-A<br />
“virtuell” weist auf das begriffliche Spektrum der Möglichkeiten: “aktualisierbar” - “potential”<br />
- sowie, dieses überlappend: “fiktiv”.<br />
(aktualisierbar = verwirklichbar, potential = möglich, fiktiv = erdacht / imaginär).<br />
• virtuell-B<br />
aktualisierbar\ möglich\ virtuell\ wirklich/<br />
Vom Chaos zur Virtualität / Aktualisierbarkeit<br />
Virtuelle Welten / Geschichten schweben zwischen der aktualen Welt / Geschichte <strong>und</strong><br />
dem Chaos.<br />
Virtuelle Welten / Geschichten gehen aus dem Chaos hervor, indem ausgewählte<br />
Möglichkeiten durch Ausrichtung aktualisierbar werden; sinken in das Chaos zurück,<br />
indem aktualisierbare Möglichkeiten durch Entrichtung vergehen.<br />
Chaos/ Ausrichtung/ Entrichtung/<br />
Die virtuelle Geschichte wird vom Chaos begleitet: Ungewissheiten, Gefahren, Abstürze. •<br />
Virtuelle Welten / Geschichten sind endlich.<br />
Die Aktualisierung von Möglichkeiten bringt vergängliche Wesen / sterbliche Lebewesen<br />
hervor.<br />
Wesen/; Geschichten_GV<br />
Fortpflanzungsserien von Lebewesen verzögern die Rückkehr der Welt / Geschichte in<br />
das Chaos; auch die Gattungen der Lebewesen sind vergänglich.<br />
6.83
• virtuell-C<br />
Geschichten eines virtuellen Sachverhalts darzustellen, bedeutet: ihn methodisch<br />
hinsichtlich seiner Aktualisierbarkeit abzuwandeln. Geschichten eines virtuellen<br />
Sachverhalts bleiben virtuelle Geschichten.<br />
Allegorien weisen auf virtuelle Welten / Geschichten.<br />
• virtuell-D<br />
Lebewesen - Virtualität<br />
Lebewesen wenden sich vom Chaos ab, der virtuellen <strong>und</strong> aktualen Welt zu. Dies<br />
geschieht in ihrem Interesse; die Welt hat dieses Interesse nicht, sie bleibt dem Chaos<br />
geöffnet.<br />
• Vorbild<br />
Am Rande bleibt, wieweit Aussagen eines Autors <strong>und</strong> die ihnen zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />
Prinzipien auf sprachlichen oder literarischen Vorbildern beruhen. Vielmehr ist zu<br />
vermuten, dass ein Autor solchen Vorbildern regelmäßig nur so weit folgt, wie er ihre<br />
Aussagen als seine Aussagen zu tragen bereit ist.*<br />
* Accipe_83.<br />
6.84
W#<br />
• Wandel-A<br />
Wandel - Wandlungen<br />
Welt(en) als Geschichte(n) zu begreifen, bedeutet: sie als Wandel / Wandlungen<br />
aufzufassen.<br />
Wandel in seiner Vielfalt - als Wandlungen - zu begreifen, bedeutet: Wandel in seinen<br />
Abwandlungen / Variationen zu erfassen. •<br />
Insofern sind Wandlungen gleich Abwandlungen.<br />
• Wandel-B<br />
Lösung von Widersprüchen<br />
Ein Sonderfall einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> ist die Lösung widersprüchlicher Aussagen.<br />
Für den Fall, dass in einem sozialen System A <strong>und</strong> B sich ausschließen (A B), einen<br />
Widerspruch bilden, ist dieser so aussagbar: “A ist (tut, hat) B” - “A ist (tut, hat) nicht B”.<br />
Dieser Widerspruch lässt mehrere Lösungen zu - zum Beispiel der Widerspruch “A ist B” -<br />
“A ist nicht B” die folgenden Lösungen: Lösung 1 - die Aufspaltung von A: “A ist teils B,<br />
teils nicht B”; Lösung 2 - die Vereinigung von B <strong>und</strong> nicht-B: “A ist B <strong>und</strong> nicht B”; Lösung<br />
3 - die Entscheidung für eine Alternative, verb<strong>und</strong>en mit der Setzung eines neuen<br />
Systems: “A ist B oder nicht B” zu “A’ ist B” oder “A’ ist nicht B”. Insofern ist sozialer<br />
Wandel als Lösung sozialer Widersprüche beschreibbar.*<br />
* Bedingungen_77.<br />
Weltchronistik_S2<br />
6.85
• Weg-A<br />
Weg: Anfang - Ende<br />
Dem Weg für sich sind Anfang <strong>und</strong> Ende eins.<br />
Anders der werdende Fluss, der werdende Baum.<br />
Anfang <strong>und</strong> Ende des Weges sind allein aus der Sicht des Benutzers zu unterscheiden.<br />
• Weg-B<br />
Weg - Erinnerung<br />
Ein unbekannter Weg, auch ein scheinbarer Irrweg, prägt sich dem Bewusstsein anders<br />
ein als ein gewohnter, vertrauter Weg. Jener fordert Aufmerksamkeit; diesem genügen<br />
Reflexe.<br />
• Welt-A<br />
Eine “Welt” umgreift die Menschen als Einzelne <strong>und</strong> in ihren Gesamtheiten sowie die<br />
außermenschliche Welt: die Natur, die irdische Welt, den sie umschließenden Kosmos.<br />
• Welt-B<br />
Welt als Wandel / Wandlungen<br />
Sobald eine Welt sich aus dem Chaos löst, in die Schwebelage zwischen Chaos <strong>und</strong><br />
Virtualität gerät, wandelt sie sich <strong>und</strong> hat Geschichte(n).<br />
6.86
• Weltbild<br />
Ein “Weltbild” sind die Meinungen / Vorstellungen eines oder mehrerer Menschen über<br />
eine Welt. •<br />
Ein “Weltbild” ist aussagbare oder ausgesagte Welt, also eine Welt, wie sie für einen oder<br />
mehrere Menschen besteht <strong>und</strong> mittels ihrer Sprache aussagbar oder ausgesagt ist. •<br />
Weltbilder lassen sich als mögliche Gefüge / Systeme sprachlicher Aussagen darstellen.<br />
Entweder existieren diese Aussagen bereits, oder Sachverhalte sind als Aussagen<br />
darstellbar. Der Zugang zu Weltbildern führt regelmäßig über menschliche Aussagen.<br />
Aussagen, die Aspekte von Weltbildern betreffen, lassen sich zu Gruppen / Feldern<br />
verbinden. Diese sind miteinander zu verknüpfen, fügen sich aber nicht zu einer Totalität.<br />
Ein Weltbild bleibt notwendig fragmentarisch; in ihm bestehen Widersprüche; sie<br />
bestimmen seine Eigenart mit.*<br />
* Indem der hier verwendete Begriff “Weltbild” das Fragmentarische <strong>und</strong><br />
Widersprüchliche zulässt, ist er von dem Weltbild-Begriff unterschieden, von dem<br />
sich zum Beispiel Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken II, 2012, 19,<br />
abgrenzt; dieser Begriff erfasst das Ganze mit dem “Wahrheit beanspruchenden<br />
Charakter einer Weltdeutung”.<br />
• Welten-A<br />
Eine Gegenwart saugt alle Vergangenheiten <strong>und</strong> alle Zukünfte in sich auf.<br />
In jeder Gegenwart kreuzen sich mehrere Welten.<br />
Eine Geschichte befindet sich in Analogie zu Gestalten ihrer Welt; zum Beispiel zu<br />
architektonischen <strong>und</strong> natürlichen Räumen, zum Zweigen eines Baumes oder eines<br />
Flusses, zu mathematischen <strong>und</strong> musikalischen Figuren, zu theoretischen <strong>und</strong> religiösen<br />
Diskursen, zu Kreuzungen mehrerer Welten.<br />
Eine Welt, als System verstanden, bleibt auf Entlegenheiten bezogen, ermöglicht also<br />
andere Welten. •<br />
“Wenn die Substantzen Eigenschafften besitzen die sich andern vergegenwärtigen<br />
lassen, so können wir zugleich Glieder in verschiedenen Welten seyn ohne uns jedoch in<br />
mehr als einer bewußt zu seyn, denn Eigenschafften der Substantzen sind so zu reden<br />
durchdringlich. So können wir sterben <strong>und</strong> in einer andern Welt fortleben.”*<br />
* Lichtenberg_a, A 83. Vgl. Leiris, Journal, zum 7.10.1924.<br />
6.87
• Welten-B<br />
Welt - Chaos<br />
Was aus der Sicht einer Welt als Chaos erscheint, mag eine andere Welt sein, mit<br />
anderen Gründen <strong>und</strong> anderen Beziehungen.<br />
• Wesen<br />
Chaos/<br />
Wesen / Gestalten<br />
• Widerstehen<br />
menschliche Wesen / Abwandlungen menschlicher Gestalten •<br />
menschlich-tierhafte Wesen •<br />
menschlich-pflanzliche Wesen •<br />
menschlich-dingliche Wesen •<br />
bildliche Andeutungen des Göttlichen Tier/ •<br />
Wesen\<br />
Widerstehen der Energie, der Materie: gegen das Stehen, das Fließen, den Druck.<br />
Widerstehen der Lebewesen als Individuen: Eigensinn.<br />
Widerstehen als Sichwenden gegen die Ziele anderer um eigener Ziele willen.<br />
• wirklich<br />
Wirklichkeiten werden durch das begriffliche Spektrum “aktual” / “aktualisiert” bis<br />
“aktualisierbar” bezeichnet.<br />
(aktual = wirklich, aktualisiert = verwirklicht, aktualisierbar = verwirklichbar).<br />
wirklich / aktual wirklich\<br />
• Wirtschaft<br />
Wirtschaft als das menschliche Verhalten zu materiellen Gütern: insofern es sie erzeugt<br />
oder vernichtet, verteilt oder speichert, nutzt oder zurückweist.<br />
6.88
Z#<br />
• Zeit<br />
Gest<strong>und</strong>ete / verlorene Zeit<br />
Zeit\<br />
• Zickzack<br />
“Es kommen härtere Tage.<br />
Die auf Widerruf gest<strong>und</strong>ete Zeit<br />
wird sichtbar am Horizont.”*<br />
“Achtet die Zwischenzeit hoch. Denn die Zeit ist das Leben<br />
Auch die verlorene, nirgends verzeichnete<br />
Diese vor allem.”**<br />
* Ingeborg Bachmann, Die gest<strong>und</strong>ete Zeit.<br />
** Marie Luise Kaschnitz, Große Wanderschaft 14.<br />
Der Zickzack-Flug eines Insekts eröffnet ihm neue Wege.<br />
6.89
• Zufall<br />
“Zufall” <strong>und</strong> “Notwendigkeit” sind nur dem Maß des menschlichen Begreifens, nicht aber<br />
der Welt angemessen. Die Weite der Welt verleiht dem Zufall Aspekte des Notwendigen<br />
<strong>und</strong> belässt der Notwendigkeit Elemente eines Spiels, eines nach Regeln verlaufenden<br />
Zufalls.*<br />
* “Auch der Zufall ist nicht unergründlich, er hat seine Regelmäßigkeit.” Karl<br />
Immermann, Die Epigonen, Buch 1, Kap. 11.<br />
“Der wirkliche Regisseur unseres Lebens ist der Zufall.” Pascal Mercier, Nachtzug<br />
nach Lissabon, Kap. 11.<br />
Der Zufall ist ein Indiz der virtuellen Geschichte. •<br />
Er leitet den Menschen an, aus seinen Zeit- <strong>und</strong> Raumkategorien in die Zeit- <strong>und</strong><br />
Raumlosigkeit zurückzukehren.*<br />
*“[...] es gibt keinen plan<br />
man kann auch keinen machen<br />
zufällig zerstört der zufall<br />
dies <strong>und</strong> das [...]”. Gerstl_l, 24.<br />
Das Eintreten des Zufalls für notwendig zu halten, erfordert Achtsamkeit.<br />
• Zweifel<br />
Ausrichtung/ Kanalisierung-B/ Spatium/ unbekannt/; Geschichten_GV; TGF-3;<br />
Kurt Wuchterl, Kontingenz oder das Andere der Vernunft. Zum Verhältnis von<br />
Philosophie, Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religion, 2011.<br />
Zweifel: ein Katalysator, Neues zu denken.<br />
NBM-2<br />
• Zweigen<br />
Zweigen - Verzweigen - Entzweigen<br />
Verzweigen <strong>und</strong> Entzweigen entsprechen einander. Sie sind aufgehoben im Zweigen. •<br />
Fließen <strong>und</strong> Zweigen - Geschichte in <strong>Varianten</strong> Denkweisen/; Zweigen_ES<br />
“Der Garten der Pfade, die sich verzweigen”<br />
(Jorge Luis Borges).<br />
6.90
##<br />
Weitere Anmerkungen<br />
#<br />
zu Denkweisen-F/ <strong>und</strong> Denkweisen-H/<br />
Wittgenstein_u, 207f.: “Dieser Gegenstand zwingt uns, das Gedankengebiet kreuz <strong>und</strong><br />
quer, nach allen Richtungen hin zu durchreisen; dass die Gedanken in ihm in einem<br />
verwickelten Netz von Beziehungen zueinander stehen.” Vgl. ebd., 566.<br />
Erich Fried, Was bleibt?:<br />
“[...] <strong>und</strong> dann <strong>und</strong> wann zu verknüpfen<br />
einige treibende<br />
lange Gedankenfäden<br />
Strophen von Hölderlin<br />
mit der Marseillaise<br />
Sätze von Hegel <strong>und</strong> Marx<br />
oder Bloch <strong>und</strong> Schönberg<br />
mit dem Herbstwind herüber vom nahen Wald [...].”<br />
Zu Zielbewusstsein - Umwege Hermann Hesse, Die Morgenlandfahrt, Kap. 5: “[...] den<br />
Umwegen, Einkreisungen <strong>und</strong> Zickzackgängen, mit denen er [Leo] sich seinem Ziel<br />
näherte”.<br />
Vgl. auch das Prinzip der Wiederaufnahme / reprise in Romanen von Alain Robbe-Grillet.<br />
#<br />
zu Sonnenuntergang/: Beispiele neuzeitlicher Autoren<br />
Paul Fleming, Auf Herrn Johann Friedrich Schröters <strong>und</strong> Marien Magdalenen Weinmans<br />
Hochzeit. An das Frauenzimmer <strong>und</strong> Gesellschaft:<br />
“Bis der Gott der güldnen Gluten,<br />
der die braunen Mohren brennt,<br />
in die hesperischen Fluten<br />
freigelassnes Zügels rennt [...]”<br />
Joseph von Eichendorff, Der wandernde Musikant /3:<br />
“Die Sonne uns im Dunklen läßt,<br />
Im Meere sich zu spülen [...]”.<br />
6.91
Heinrich Heine, Sonnenuntergang (Die Nordsee 1/2):<br />
“Die glühend rote Sonne steigt<br />
Hinab ins weitaufschauernde,<br />
Silbergraue Weltenmeer [...].<br />
Aber der trotzige Sonnengott [...]<br />
unerbittlich eilt er hinab<br />
In sein flutenkaltes Witwerbett.”<br />
Diese Datei wurde zuletzt am 02.08.2013 geändert.<br />
© <strong>Gerhard</strong> <strong>Theuerkauf</strong><br />
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