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Aphorismen und Varianten Zur Storik - Gerhard Theuerkauf

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Stichwortverzeichnis:<br />

<strong>Aphorismen</strong> <strong>und</strong> <strong>Varianten</strong><br />

<strong>Zur</strong> <strong>Storik</strong><br />

Alltag alphabetisch Anderes Angst Aphorismus Assoziation Aufhebung Ausrichtung<br />

Baum Beginn Begriff Beschreibung Beziehungsmuster Bild Blätter Brücke<br />

Chaos chronologisch<br />

Dauer Delta Demut Denkweisen Diskontinuität Diskurs<br />

[AVR]<br />

Entgrenzen entlegen Entrichten Entrichtung Entsprechung Erwerb Erzählung Explosion<br />

Feuer Flanieren Flucht Fluss Flussregion Freiheit Frieden Fülle<br />

Gegenwart Gegenwarten Gerechtigkeit Geschichte Geschichtsbewusstsein<br />

Geschichtswissenschaft Gesellschaft Glück<br />

Historik Hoffnung Humanität<br />

Internet<br />

Kanalisierung Komplexion Komplexität Konstruieren Kreis Kreuzfahrt Kreuzweg<br />

Labyrinth<br />

Mehrdimensionalität Metabegriff Metapher mirabilia Mitleiden möglich Mondialität<br />

Nahen Natur Not<br />

Ordnung Orient Orientbild<br />

Pflanze<br />

Quelle<br />

ratlos Reduktion Reflexivität retractationes Richtung<br />

Sachverhalt Scheitern Schwermut Sinn Skizze Sonnenuntergang Spatium Spur <strong>Storik</strong><br />

Streben stromaufwärts Strudel Strukturierungsmittel Subsistenz Synchronie System<br />

Tier Traum<br />

Überstehen Überstieg unbekannt Unschärfe unvollendbar<br />

Variabilität Variante Verfassung Verfügungsgewalt Vergleich Verhaltensnorm<br />

Verhaltensweise Versuch Vielheit virtuell Vorbild<br />

Wandel Weg Welt Weltbild Welten Wesen Widerstehen wirklich Wirtschaft<br />

Zeit Zickzack Zufall Zweifel Zweigen<br />

Verweisungen auf Artikel / Dateien finden sich größtenteils im<br />

Register (RGR).<br />

Auf einige Stichwörter aus diesem Register wird im Folgenden verwiesen.<br />

Verweisungen auf Stichwörter mit angehängtem Schrägstrich:<br />

mit Slash (/) : Stichwort in AVR, zum Beispiel: Aphorismus/;<br />

mit Backslash (\): Stichwort im Register, zum Beispiel: Etymologie\.<br />

Einige Anmerkungen sind aus den Artikeln ausgegliedert <strong>und</strong> an den Schluss dieser Datei gestellt.<br />

6.1


A#<br />

• Alltag-A<br />

Alltag sei die Gesamtheit der Lagen, die sich über längere Zeit (mehr als ein Jahr) oder<br />

regelmäßig (mindestens jährlich wiederkehrend) für viele Menschen ergeben - Lagen, die<br />

in ihrem engeren Lebensraum zu orten sind, in Reisen als Lebensform sich darstellen<br />

oder als Beziehungen in Zweier- oder Kleingruppen erscheinen.<br />

Einige Stichwörter zur Geschichte des Alltags:<br />

Alltag <strong>und</strong> Gesellschaft. - Subsistenz: Auskömmliches Dasein <strong>und</strong> Not; Arbeit <strong>und</strong><br />

Nichtarbeit; Spielräume des Verhaltens; Wohnen <strong>und</strong> Reisen. - Individuum: Nahrung <strong>und</strong><br />

Kleidung; Lebensalter, Krankheit, Sterben; Stimmungen, Gedanken, Mentalitäten;<br />

Geschlechtstypisches Verhalten, Zweierbeziehungen. - Kleingruppe: Familie <strong>und</strong><br />

Haushalt; Wirtschaft <strong>und</strong> Betriebsform; Wirtschaft <strong>und</strong> Verfassung; Religiosität <strong>und</strong><br />

Wissenschaft. - Längsschnitte, Gesellschaft - Kleingruppe - Individuum.<br />

• Alltag-B<br />

Subsistenz_A; Not/; Arbeit_S2; Verhaltensnorm/; Verhaltensnorm_S1;<br />

Arbeiten_GH; Stadt-A_LS; Reisen_GF; Individuum\; EHW; Verhaltensweise-A/;<br />

Mentalität\; Traum/; TGF; Kleingruppe\; Wirtschaft_GF<br />

Nicht-alltäglich<br />

Weil Alltag an die fragile Enge des Raumes <strong>und</strong> der Zeit geb<strong>und</strong>en ist, brechen umso<br />

leichter die Makrostukturen des weiten Raumes <strong>und</strong> der langen Zeit in den Alltag ein,<br />

bleibt er der Natur <strong>und</strong> der Gesellschaft ausgeliefert. •<br />

In dem Maße, in dem Alltag in einen nicht-alltäglichen Zusammenhang eingefügt wird,<br />

verliert er seine Alltäglichkeit.<br />

Verfügungsgewalt_A; Natur/<br />

6.2


• alphabetisch<br />

Eine alphabetische Ordnung von Texten sucht die Systematik <strong>und</strong> Chronologie der<br />

Darstellungsweise zu mildern.<br />

chronologisch/<br />

“der geschätzte Anblätterer möge mir verzeihen, aber eine Übersicht über meine<br />

Absichten bin ich noch nicht zu geben imstande (was weiß ich, was mir gleich /in den<br />

nächsten Tagen <strong>und</strong> Jahren/ alles einfällt)”.*<br />

* Gerstl_s, 59/139.<br />

Eine Alternative zur alphabetischen Ordnung wäre die Nummerierung von Bemerkungen.*<br />

• Anderes<br />

* Beispiele: Wittgenstein_u, Seel_t.<br />

Das Eine <strong>und</strong> das Andere<br />

Der Mensch findet das Eine <strong>und</strong> sucht das Andere. Das Eine scheint ihm bekannt, aber<br />

nicht vertraut. Das Andere scheint ihm fremd oder gar entlegen. Ohne das Andere wäre<br />

nicht das Eine.*<br />

* Zu Alterität: Becker_a.<br />

Eine Methode, das Andere zu suchen, ist das Eine abzuwandeln - im Grenzfall bis zu<br />

dessen Gegensatz oder Aufhebung.<br />

• Angst<br />

das eine<br />

eines<br />

anderes<br />

das andere<br />

einander.<br />

Angst: Verhalten im Grenzbereich Virtualität - Chaos.<br />

Die Weite der Welt dringt bedrohlich auf den Menschen ein.<br />

6.3


• Aphorismus<br />

Aus einem Aphorismus können <strong>Varianten</strong> der Welt / der Geschichte erwachsen.* •<br />

“Denkkrümel”.**<br />

* AVR; VBM. ** Gerstl_l (Untertitel); Gerstl_p, 59-62, 84f.<br />

• Assoziation-A<br />

Assoziationen, ausgelöst durch:<br />

zeitliche / räumliche / sachliche Nähe,<br />

bildhafte Ähnlichkeit,<br />

lautliche Verwandtschaft / Ähnlichkeit.*<br />

* Etymologie im Sinne der modernen Sprachwissenschaft <strong>und</strong> im Sinne<br />

mittelalterlicher Etymologie; Etymologie\.<br />

Beispiele für Assoziations-Felder Ausrichtung-B/ Entrichtung-C/ Entrichtung-D/;<br />

Arbeit_S2; FBwelt_ES; <strong>Storik</strong>-C/<br />

6.4


• Assoziation-B<br />

Der Funke, der zwischen zwei scheinbar völlig verschiedenen Gedankenströmen<br />

überspringt - ermöglicht durch ein Medium, an dem beide teilhaben.<br />

Entsprechung/<br />

Assoziationen kommen beispielsweise zustande:<br />

• durch Verweisung:<br />

zwei Sachverhalte (A <strong>und</strong> B) stimmen teilweise überein;<br />

zwischen ihnen vermittelt ein Medium (M+), das Gemeinsamkeiten zwischen A <strong>und</strong> B<br />

erkennen lässt.<br />

• durch Abgrenzung:<br />

zwei Sachverhalte (A <strong>und</strong> B) weichen teilweise voneinander ab;<br />

zwischen ihnen vermittelt ein Medium (M-), das Unterschiede zwischen A <strong>und</strong> B erkennen<br />

lässt.<br />

• durch Verweisung <strong>und</strong> Abgrenzung:<br />

zwei Sachverhalte (A <strong>und</strong> B) sind auf gemeinsame / unterschiedliche Art auf eine<br />

Entlegenheit (E) bezogen;<br />

zwischen A <strong>und</strong> / oder B einerseits, E andererseits vermitteln Medien (M± M±’ M±’’), die<br />

Gemeinsamkeiten / Unterschiede der Beziehungen zwischen A <strong>und</strong> / oder B einerseits, E<br />

andererseits erkennen lassen.<br />

• Aufhebung<br />

Aufhebung von Widersprüchen / Paradoxien:<br />

durch Reflexivität: Negation der Negation;<br />

durch Komplementarität;<br />

durch Perspektivenwechsel.<br />

<strong>Zur</strong> Lösung von Paradoxien vgl. japanisch kôan, mondô / hossen.<br />

6.5


• Ausrichtung-A<br />

Ausrichtung / Ausgerichtetsein, auf Ziele gerichtete Strukturen <strong>und</strong> Vorgänge, als ein<br />

wesentliches Merkmal der Ablösung aus dem Chaos, der Entstehung von Welt /<br />

Geschichte.*<br />

* Zu <strong>Varianten</strong> der Ausrichtung unter räumlichen Aspekten: Stephan Günzel (Hg.),<br />

Lexikon der Raumphilosophie, 2012. •<br />

Mit dem Ausrichten / Ausgerichtetwerden entstehen Zeit-Räume / Spatien.<br />

Spatium/ •<br />

Ausrichtung geht einher mit der Komplexion von Sachverhalten.<br />

Komplexion/ Komplexität/<br />

• Ausrichtung-B<br />

Formen / Gestalten der Ausrichtung<br />

Serie,<br />

Faser,*<br />

Strahl;<br />

Energie / Energiefelder / Elektromagnetismus;<br />

Energie zu Materie,<br />

gasförmige zu flüssiger Materie,<br />

flüssige zu fester Materie,<br />

amorphe zu kristallinen Körpern;<br />

(Ober)Flächen;<br />

Geräte für Lebewesen.<br />

Dinge - Menschen TGF-4<br />

* “Es läuft ein Etwas durch den ganzen Faden, nämlich das lückenlose Übergreifen<br />

der Fasern. Das ist aber auch alles. Die Identitäten sind ins Rutschen gekommen.”<br />

Friederike Roth, Ordnungsträume. Eine Erzählung, 1979, 37.<br />

Weltbild_S3<br />

6.6


• Ausrichtung-C<br />

Ausrichtung - Entrichtung<br />

Versuche der Annäherung an die Beschreibung des Chaos:<br />

Annäherung durch Extrapolation <strong>und</strong> Negation;<br />

vgl. Versuche der Annäherung an die Beschreibung Gottes zum Beispiel durch Meister<br />

Eckhart oder Nikolaus von Kues.<br />

Denkweisen-C/<br />

Andeutungen der Ausrichtung / des Weges aus dem Chaos:<br />

in den mythischen Beschreibungen des Weltanfangs <strong>und</strong> des Weltendes, auch den damit<br />

verb<strong>und</strong>enen Vorstellungen von Kreisläufen.<br />

B#<br />

• Baum<br />

• Beginn<br />

Entrichtung/<br />

Aber die Menschen •<br />

Die Erde greift er<br />

<strong>und</strong> den Himmel; •<br />

aber die Menschen<br />

übergeht sein Stamm.<br />

Jenseits des Beginns ruhen ungeschieden Hoffen <strong>und</strong> Verzagen, Erfolg <strong>und</strong> Scheitern. •<br />

Auch jenseits des Endes?<br />

6.7


• Begriff<br />

Begriffe sind von unterschiedlicher Komplexität. Auch ein einfacher Begriff ist im<br />

Verhältnis zu den meisten Namen komplex. Der Name einer Menschengruppe (zum<br />

Beispiel “die Engländer”) mag komplexer sein als der eines einzelnen Menschen. Der<br />

Begriff “Tisch” bezeichnet mehr als nur den einen Tisch, der gerade vor Augen steht. Der<br />

Möglichkeit nach sind in ihm alle Tische enthalten - welcher Form <strong>und</strong> Farbe auch immer.<br />

Andererseits sieht der Begriff “Tisch”, wenn er einen Tisch, der gerade vor Augen steht,<br />

bezeichnet, von seinen Besonderheiten ab - etwa hinsichtlich der Form: r<strong>und</strong> oder eckig,<br />

hinsichtlich der Farbe: weiß oder braun.<br />

Maßgeblich für die Komplexität eines einfachen Begriffs sind die Zahl <strong>und</strong> die<br />

Qualitätsunterschiede seiner Merkmale. Daher ist der Begriff “Möbel” weniger komplex als<br />

der Begriff “Tisch”. Denn “Möbel” umgreift auch alle Tische. Damit dies möglich ist,<br />

müssen die Zahl <strong>und</strong> die Qualitätsunterschiede der Merkmale des Begriffs “Möbel”<br />

geringer sein als die des Begriffs “Tisch”. Ein Tisch ist ein Möbel, das eine in ihren<br />

Dimensionen für menschliche Tätigkeiten geeignete Fläche, die durch Stützen gehalten<br />

wird, aufweist. Ein Möbel, ein bewegliches Stück, das für Wohn- oder Arbeitsräume von<br />

Menschen bestimmt ist, muss weder eine Tischfläche noch deren Stützen aufweisen.<br />

Oberbegriffe sind von geringerer Komplexität als die ihnen zugeordneten Unterbegriffe.<br />

Der Oberbegriff “Möbel” ist von geringerer Komplexität als die ihm zugeordneten<br />

Unterbegriffe “Tisch” <strong>und</strong> “Stuhl”. Der Begriff “Möbel” bezieht sich auf mehr Sachverhalte<br />

als der Begriff “Tisch” oder “Stuhl”. Dies ist die Folge der geringeren Komplexität des<br />

Oberbegriffs “Möbel”. Die Begriffe “Tisch” <strong>und</strong> “Stuhl” dagegen sind gleichrangig <strong>und</strong><br />

daher von ähnlicher Komplexität.<br />

• Beschreibung<br />

Beschreibung als Darstellungsform der Geschichtswissenschaft<br />

Die historische Beschreibung bietet nicht in erster Linie eine chronologische Folge von<br />

Ereignissen, sondern stellt überwiegend Zustände dar - Situationen von langer Dauer,<br />

zum Beispiel kulturelle / soziale Verhältnisse, wie sie über Jahrh<strong>und</strong>erte bestanden. Der<br />

Stoff ist nach sachlichen Gesichtspunkten <strong>und</strong> insofern systematisch gegliedert.<br />

Werturteile <strong>und</strong> Reflexionen über kausale Zusammenhänge sind möglich. Langfristige<br />

kulturelle / soziale Wandlungen bilden den Rahmen einer solchen Zustandsbeschreibung<br />

<strong>und</strong> können in die Darstellung einbezogen sein.*<br />

* semiotisch_03.<br />

6.8


• Beziehungsmuster<br />

Beziehungsmuster sind Gruppen von Beziehungen / Strukturen, die als Entsprechungen /<br />

Analogien förderlich sind, Welt / Geschichte zu konstruieren.<br />

• Bild<br />

Bild - Text<br />

BZM_ES; Beziehungsmuster\<br />

Bilder / Abbildungen - Formen, Farben, ihre Beziehungen - als veranschaulichende <strong>und</strong><br />

ergänzende Parallelen zu Texten. •<br />

Bild <strong>und</strong> Text / Anschauung <strong>und</strong> Aussage ergänzen sich.<br />

Assoziation/; Einführung_91, 204ff.; Verzeichnis der Abbildungen<br />

Bild als Vorstellung Geschichtsbild\ Orientbild/ Weltbild/ Metapher/ Variante-D/<br />

virtuell-C/ Vorbild/ Wesen/<br />

• Blätter-A<br />

Individuelle Gestalt<br />

Jeder Baum ist eine individuelle Gestalt seiner Art. Ist auch jedes Blatt eines Baumes eine<br />

individuelle Gestalt? Bäume einer Art scheinen der Komplexion ihrer Gestalt fähiger als<br />

die Blätter eines Baumes. •<br />

Anders Georg Christoph Lichtenberg: “Wir sind alle Blätter an einem Baum, keins dem<br />

andern ähnlich, das eine symmetrisch, das andere nicht, <strong>und</strong> doch gleich wichtig dem<br />

Gantzen. Diese Allegorie könte durchgeführt werden.”<br />

* Lichtenberg_a, F 625.<br />

6.9


• Blätter-B<br />

Linde - Platane - Esche<br />

Der holsteinische Bauer Gottschalk* schaute am Ende der neunziger Jahre des 12.<br />

Jahrh<strong>und</strong>erts in einer Vision eine Linde, die mit Schuhen besetzt war. Schuhe brauchte er,<br />

um ein vor ihm liegendes Dornengestrüpp zu durchqueren. Von den zwei Geistlichen, die<br />

Berichte über diese Vision aufgezeichnet haben, nimmt der eine die Beschreibung des<br />

Baumes als einer Linde unkommentiert hin; der andere aber setzt hinzu: die Blätter dieses<br />

Baumes seien breit wie die einer Platane.** Platanen sind zu dieser Zeit in Deutschland<br />

nicht vorhanden; noch Luther übersetzt “Platane” mit “Kastanie”. Die Platane war allein<br />

aus der literarischen, nicht zuletzt biblischen Überlieferung bekannt, eher einem<br />

Geistlichen als einem Bauern. Warum ist ein Geistlicher daran interessiert, die Blätter<br />

einer “Linde”, die jedermann vertraut ist, nachdrücklich als “breit” zu charakterisieren?<br />

Dahinter dürfte der Verdacht stehen, der Bauer könnte einer dämonischen Vorspiegelung<br />

erlegen sein; in ihr hätte ein Baum Platz, der aus der heidnischen Überlieferung als<br />

Weltesche (altnordisch Yggdrasil) bekannt ist. Die Esche hat schmale Blätter. Gegen sie<br />

wurde das Blatt der Linde durch den Vergleich mit dem der Platane abgegrenzt.<br />

* Kolonisation_LS; Land_LB.<br />

** Godeschalcus <strong>und</strong> Visio Godeschalci, hg. v. Erwin Assmann (Quellen <strong>und</strong><br />

Forschungen zur Geschichte Schleswig-Holsteins 74), 1979, hier A, c. 3; vgl. B,<br />

c. 4.<br />

• Brücke-A<br />

Brückenbau über einen Fluss<br />

Das Queren eines Flusses ist ohne eine Brücke möglich: durch Schwimmen / Fliegen,<br />

durch die Nutzung einer Furt, mithilfe eines Bootes oder einer Fähre. •<br />

Eine Brücke, die einen Fluss überquert, erleichtert <strong>und</strong> intensiviert die Kommunikation<br />

zwischen seinen Ufern: Furten <strong>und</strong> Fähren werden entbehrlich; Gütertransporte über den<br />

Fluss sind ohne Umladen möglich. •<br />

Es bleibt das Risiko, dass die Brücke einstürzt.<br />

Brücke\<br />

6.10


• Brücke-B<br />

Überbrückung<br />

Zwischen möglichen Ursprüngen <strong>und</strong> Zielen eines geschichtlichen Verlaufs besteht eine<br />

Mehrzahl möglicher Überbrückungen. Manche von ihnen werden aktualisiert, andere<br />

nicht; manche scheinen aktualisierbar, andere nicht. Das Nebeneinander einer Mehrzahl<br />

möglicher Überbrückungen zwischen Ursprüngen <strong>und</strong> Zielen eines geschichtlichen<br />

Verlaufs nimmt ihm seine Eindeutigkeit, belässt ihm eine begrenzte Vielfalt von <strong>Varianten</strong>.<br />

Gegenwarten/ Mehrdimensionalität/ Variante/; Geschichten_GV<br />

Eine andere Vorstellung: Von einem Ursprung zu möglichen Zielen - oder: von möglichen<br />

Ursprüngen zu einem Ziel.<br />

• Brücke-C<br />

Denkweisen/ entlegen/; ADW; aktualisierbar_GV; TGF-5; Überstehen-B_S1<br />

Brückenbau: Bogen <strong>und</strong> Zickzack<br />

Die Verwendung von Bogenformen wie auch die Führung im Zickzack oder in einer ihm<br />

verwandten Kreuz-(X-)form mildert die gerade Linie des Weges <strong>und</strong> stabilisiert den<br />

Brückenbau.*<br />

C#<br />

• Chaos<br />

* Sven Bardua, Brückenmetropole Hamburg, 2009, 8f., 13, 19, 24, 26, 43, 84-87,<br />

103-105, 113, 117, 120, 150, 154, 162, 171f., 175, 186.<br />

Zickzack/<br />

Chaos ist die Fülle der Möglichkeiten.*<br />

* Nikolaus von Kues, De docta ignorantia 2, c. 8 <strong>und</strong> 3, c. 10 (Nikolaus-K_p 1 §§<br />

134 u. 241): “chaos [...] fuisse rerum possibilitatem”; “in ipsum tenebrosum chaos<br />

merae possibilitatis”. Diese Andeutungen Nikolaus’ beziehen sich allein auf den<br />

Zustand vor der Erschaffung der Welt. Vgl. TGF-5G: Jenseits des siebten Tages.<br />

Im Chaos sind alle Möglichkeiten gleichwertig.<br />

6.11


• chronologisch<br />

Eine historische Darstellung, die eindimensional hauptsächlich chronologische<br />

Zusammenhänge herstellt, verfällt im Verborgenen einer Systematik.<br />

D#<br />

• Dauer<br />

alphabetisch/. <strong>Zur</strong> Kausalität Lichtenberg_a, J 735, J 1279, J 1315;<br />

Wittgenstein_t, n. 5.136, 6.3.<br />

Lange Dauer<br />

Nicht nur die Darstellung von Ereignissen oder von Abläufen, die kurze Zeit währen,<br />

sondern auch die Beschreibung von Zuständen langer Dauer erfordert eine Geschichte in<br />

<strong>Varianten</strong>. Einmalige Ereignisse spornen wegen ihrer scheinbaren Kurzlebigkeit die<br />

Phantasie an, näher zu bedenken, wie es hätte anders verlaufen können. Zustände langer<br />

Dauer, über Jahrzehnte, Jahrh<strong>und</strong>erte oder Jahrtausende scheinbar gleichförmig, sind -<br />

großflächig gesehen - von den kurzlebigen Ereignissen nur graduell unterschieden. Vor<br />

allem aber ist die historische Darstellung vergangener Ereignisse <strong>und</strong> vergangener<br />

Zustände methodisch gleicher Art. Der Historiker verfolgt, indem er sie darstellt,<br />

Absichten. Er will etwa zeigen, dass eine vergangene Epoche gegenüber seiner Gegen-<br />

wart Eigenarten aufweist, durch die sich jene von dieser unterscheidet; oder dass zu allen<br />

Zeiten die Gr<strong>und</strong>gegebenheiten, die das Geschehen bestimmenden Faktoren, die<br />

gleichen waren. In beiden Fällen scheint es methodisch sinnvoll <strong>und</strong> verlockend, auch die<br />

Darstellung vergangener Zustände daraufhin zu prüfen, wieweit sie sich einer Geschichte<br />

in <strong>Varianten</strong> öffnen lasse.<br />

6.12


• Delta<br />

Das Delta ist schon immer da.<br />

Vorausgesetzt: ein Fluss mit mehreren Quellen, mindestens einem Stromspaltungsgebiet<br />

<strong>und</strong> mehreren Mündungen. •<br />

Von einem Quelldelta zu einem Mündungsdelta.*<br />

* Zu Quelle(n) <strong>und</strong> Mündungen am Beispiel der Donau: Hedwig Heger (Hg.), Die<br />

Donau, 2008, 3ff., 156ff. - Vgl. Indus_AS.<br />

Die Raute () eines Stromspaltungsgebietes als ein doppeltes Delta ().<br />

Delta: Vielfalt vor dem Anfang / nach dem Ende eines Stromes. •<br />

Quelldelta <strong>und</strong> Mündungsdelta, durch den Strom verb<strong>und</strong>en, durch Atmosphäre <strong>und</strong><br />

Gr<strong>und</strong>wasser gleichsam in eine Ellipse eingefügt. Die Zweigungsbereiche dieser Delten<br />

als Brennpunkte der Ellipse?<br />

• Demut<br />

TGF-5D mit BLD02<br />

Meiden: die hochmütige Gewalttat des Verstehens.*<br />

* Einführung_91, 80. <strong>Zur</strong> Problematik des Verstehens Wittgenstein_u <strong>und</strong> entlegen/<br />

Die Virtualität der Welt / der Geschichte, ihre Unschärfe <strong>und</strong> das Geheimnis des Chaos In<br />

Demut erahnen.<br />

Chaos/ Unschärfe/ virtuell/ •<br />

Geduld ist ein Aspekt der Demut.<br />

“The only wisdom we can hope to acquire<br />

Is the wisdom of humility: humility is endless.”*<br />

* T. S. Eliot, Four Quartets.<br />

Der heilige Ansgar fürchtete den Hochmut des tugendhaften Lebens.*<br />

* VAnskarii, c. 35; Einführung_91, 172ff. - <strong>Zur</strong> demütigen Tapferkeit Lion<br />

Feuchtwanger, Exil, Kap. 3/15. Vgl. Glück/.<br />

6.13


#<br />

• Denkweisen-A<br />

Denk- <strong>und</strong> Darstellungsweisen<br />

Denkweisen sind auf menschliche Verhaltensweise(n) <strong>und</strong> Sprache(n) bezogen.<br />

Die Beschreibung von Denkweisen bedient sich zeit-räumlicher Metaphern.<br />

Verhaltensweise-A/ Sprache\ Spatium/ Metapher/<br />

Denkweisen entstehen aus dem Zusammenhang der Welt, in dem sich der denkende<br />

Mensch befindet. Für die <strong>Storik</strong> / für eine Geschichte in <strong>Varianten</strong> geht es zunächst<br />

darum, die angemessenen Denkweisen zu entdecken <strong>und</strong> zu entwickeln. Aus den<br />

Denkweisen erwachsen Darstellungsweisen. Insofern überlagern sich Denk- <strong>und</strong><br />

Darstellungsweisen. Die aus den Darstellungsweisen hervorgehenden ausgeprägten<br />

Darstellungsformen zu beschreiben, verbleibt der historischen Topik.<br />

Historik-A/ <strong>Storik</strong>-A/; MKT<br />

• Denkweisen-B<br />

Metapher - Metabegriff - Diskurs<br />

Eine Metapher verwurzelt Vorstellungen in der vorgef<strong>und</strong>enen Anschaulichkeit.<br />

Ein Metabegriff verknüpft Begriffe zu Gefügen.<br />

Der Diskurs reiht eine Folge aufeinander bezogener Vorstellungen / Sätze:<br />

als Monolog, als Gespräch mehrerer Personen;<br />

als Wandlung eines vorgegebenen Textes / Motivs über längere Zeit.<br />

Metapher/ Metabegriff/ Diskurs/ Fülle/; Metapher_AD<br />

• Denkweisen-C<br />

Sich dem Unbekannten nähern:<br />

das Bekannte extrapolieren / vom Bekannten aus sich vortasten;<br />

das Bekannte negieren.<br />

Anderes/ Ausrichtung-C/ Nahen/ Streben/; aktualisierbar_GV; Geschichten_GV;<br />

MKT; TGF-4E<br />

6.14


• Denkweisen-D<br />

Geschichte - Einbeziehung von Verhaltensnormen<br />

Geschichte ist nicht allein, was ist oder als Seiendes / Gewesenes wahrgenommen wird.<br />

Geschichte ist auch, was sein soll oder als Seinsollendes wahrgenommen oder gefordert<br />

wird.<br />

Subsistenz <strong>und</strong> Überstieg als wahrgenommene oder geforderte Verhaltensnormen.<br />

Geschichtswissenschaft-C/ Verhaltensnorm/; Subsistenz_A; Überstieg_A; LRT<br />

• Denkweisen-E<br />

Sektorales <strong>und</strong> exzentrisches Denken<br />

Der Mensch verhält sich maßvoll exzentrisch.<br />

TGF-4E<br />

M1, der von der Plattform eines Turmes ins Weite blickt, sieht nicht das gesamte Bild,<br />

sondern jeweils nur einen Sektor. Er kann aus mehreren Sektoren, die er gesehen hat, ein<br />

umfassenderes Bild oder ein Gesamtbild zu gewinnen suchen - indem er die Sektoren<br />

addiert oder assoziiert. Sein Standort auf der Plattform des Turmes ist das Zentrum, auf<br />

das alle gesehenen Sektoren bezogen werden.<br />

M2, der sich abseits des Turmes befindet <strong>und</strong> zu ihm hin blickt, sieht ihn als einen Teil<br />

seines Blickfeldes, innerhalb eines Sektors. Er kann seinen Blick auf den Turm richten,<br />

aber sein, des Betrachters, Standort verhält sich zum Turm exzentrisch.<br />

Vereinfacht auf vier Blickrichtungen <strong>und</strong> die ihnen entsprechenden Sektoren, ließen sich<br />

die skizzierten Situationen an dem Buchstaben X verdeutlichen. In seinem Zentrum<br />

kreuzen sich zwei Schrägbalken; oder: In ihm treffen sich vier Linien aus verschiedenen<br />

Richtungen; oder: Von ihm gehen vier Linien in verschiedene Richtungen aus. Die Winkel<br />

zwischen den Linien öffnen das X: nach oben, nach unten <strong>und</strong> zu den Seiten. M1, der sich<br />

im Zentrum des X befindet, kann von dort in mehrere Richtungen blicken. M2, der sich<br />

abseits des X befindet, kann nur in einer Richtung auf das Zentrum des X blicken; er<br />

könnte diese Richtungen vervielfachen, wenn er das X umkreiste. Die Bilder, die M1 <strong>und</strong><br />

M2 auf diese Weise gewönnen <strong>und</strong> die sich in ihrem Bewusstsein durch zu vergleichende<br />

Strukturen <strong>und</strong> durch Verweisungen <strong>und</strong> Abgrenzungen zwischen Nachbarschaften<br />

verbinden könnten, näherten sich dem der Region X.*<br />

* Zum Begriff Region am Beispiel Hamburgs Region_GH.<br />

6.15


Die Standorte der Betrachter M1 <strong>und</strong> M2 ließen sich als die Brennpunkte einer Ellipse<br />

auffassen. Exzentrizität entspräche der variierenden Konzentration auf einen der<br />

Brennpunkte - wobei jeweils ein Brennpunkt zum Zentrum, der andere Teil eines<br />

betrachteten Sektors wird.<br />

Der Turm könnte ein System sein, in dessen Zentrum sich M1 befindet, rings um sich<br />

Sektoren als Teile seiner Umwelt erblickend. Für den abseits vom Turm stehenden M2<br />

kann zwar der Turm auch ein System sein, aber dieser Mensch befindet sich außerhalb<br />

dessen, in mindestens einem anderen System. Der Turm ist für M2 Teil einer Umwelt.<br />

Diese sektorale oder exzentrische Denkweise bleibt - trotz möglicher Additionen,<br />

Assoziationen, Überlagerungen - notwendig aspekthaft.<br />

Assoziation/ Delta\ System/ Zweigen\; FBwelt_ES; TGF-1E/2F<br />

Beispiele zu Exzentrizität exzentrisch-H_GH; vgl. exzentrisch-M_BM<br />

• Denkweisen-F<br />

Spiraliges / umschleichendes Denken<br />

Das lineare Denken orientiert sich an Logik <strong>und</strong> Chronologie. Das spiralige Denken<br />

umschleicht das Thema wie eine Wildkatze die Maus.* Verzicht auf den direkten Zugriff,<br />

aber nicht auf das Finden; vorsichtiges Hinlenken auf das Ziel.<br />

* Tschuang-tse / Chuang-tzu, Dichtung <strong>und</strong> Weisheit, übers. v. Hans O. H. Stange,<br />

1936 (Insel-Bücherei 499), 6 u. 58; Hermann Hesse, Die Morgenlandfahrt;** VBM.<br />

** Anmerkung am Ende dieser Datei.<br />

• Denkweisen-G<br />

Gitter: Mehrdimensionalität - Beziehungsmuster<br />

Eine mehrdimensionale Denkweise zu veranschaulichen, mag die Vorstellung des Gitters<br />

dienen. Das Gitter wird durch mehrere Linien gebildet, die sich in mindestens zwei<br />

Dimensionen erstrecken. Zwischen den Schnittpunkten der Linien entstehen Felder. Im<br />

Grenzfall, wenn alle Linien, die in einer Dimension verlaufen, voneinander gleich weit<br />

entfernt sind <strong>und</strong> wenn die Linien, die in verschiedenen Dimensionen verlaufen, sich<br />

rechtwinklig schneiden, entsteht ein schachbrettartiges Muster.<br />

Das Denken kann sich entlang einer Linie bewegen, von einer Linie zu einer anderen<br />

abbiegen, die Dimension wechseln oder von einer Linie zu einer anderen springen. Oder<br />

es kann von einem Feld des Gitters zu benachbarten fortschreiten - ohne oder mit<br />

6.16


Richtungswechsel - oder von einem Feld zu einem entfernteren springen, gleichsam wie<br />

von einer Insel zu einer anderen Insel.<br />

Bei diesen Sprüngen können Beziehungsmuster erkennbar werden, vergleichbar den<br />

Bewegungsmöglichkeiten der Figuren im Schachspiel.<br />

Beziehungsmuster/ •<br />

Stellt man sich das Bewusstsein eines oder mehrerer Menschen als begrenzt<br />

aufnahmefähig vor, so ist deren Geschichtsbewusstsein einer begrenzten Schreibfläche<br />

vergleichbar, die nur eine begrenzte Zahl von Zeichen aufnimmt. Diese Zeichen lassen<br />

sich durch andere Zeichen überschreiben. Die Schreibfläche enthält dann also zwei<br />

Texte, die wie zwei Gitter übereinander liegen <strong>und</strong> beide lesbar sind. Die beiden Texte<br />

können völlig verschieden sein; aber es ist auch vorstellbar, dass sie sich aufeinander<br />

beziehen oder sich zu einem dritten Text verbinden lassen, wie zwei sich überlagernde<br />

Muster ein neues Muster ergeben. So kann hinter zwei sich überlagernden Geschichten -<br />

mehr oder weniger scharf - eine dritte Geschichte erkennbar werden.<br />

Eine verfälschte Urk<strong>und</strong>e ist als eine Überlagerung zweier Gitter zu begreifen: der echten<br />

Teile <strong>und</strong> der gefälschten.<br />

Urk<strong>und</strong>enfälschung_S2<br />

Überlagerungen sind Beziehungen zwischen parallelen Aussagen über ähnliche<br />

Sachverhalte; diese Aussagen liegen übereinander wie Gitter oder wie die Schriften eines<br />

Palimpsests. Die sich überlagernden Muster sind nicht völlig beliebig.<br />

Man denke zum Beispiel an Aussagen über Baumwelt <strong>und</strong> Flusswelt, die sich auf das<br />

Zweigen - Verzweigen <strong>und</strong> Entzweigen - richten.<br />

Baum\ Fluss\ Delta\ Zweigen\; FBwelt_ES; Metapher_AD; Zweigen_ES<br />

• Denkweisen-H<br />

Flanierendes Denken / Gedankennetze<br />

Assoziative Verknüpfung von Gedankenfasern / -fäden zu einem Netz.<br />

In dem Gedankennetz können sich verschiedene Denkweisen verknüpfen, kreuzen,<br />

überlagern.*<br />

* Anmerkung am Ende dieser Datei.<br />

Flanieren/ Kreuzfahrt/ Netz\ Zickzack/; TGF<br />

6.17


• Denkweisen-J<br />

Flanierendes <strong>und</strong> konstruierendes Denken<br />

Das flanierende <strong>und</strong> das konstruierende Denken haben gemeinsam, dass sie<br />

Beziehungen zwischen Sachverhalten knüpfen. Je vielfältiger <strong>und</strong> dichter mehrere<br />

Sachverhalte aufeinander bezogen werden, desto deutlicher entsteht ein Netz von<br />

Beziehungen. Dieses mag zunächst gestaltlos scheinen, kann sich aber dem Denkenden<br />

allmählich als Gestalt, als ein Beziehungsmuster zeigen.<br />

Das flanierende <strong>und</strong> das konstruierende Denken unterscheiden sich hinsichtlich der<br />

Ursprünge, Verläufe <strong>und</strong> Ziele. Das Konstruieren geht von klar benennbaren <strong>und</strong><br />

begrenzbaren Ursprüngen aus <strong>und</strong> strebt so beschaffene Ziele an. Die Verläufe des<br />

Konstruierens erscheinen dementsprechend typischerweise klar umrissen <strong>und</strong> geradlinig.<br />

Das Flanieren ist mehrdeutiger als das Konstruieren. Es bleibt geöffnet für ein Spektrum<br />

von Ursprüngen <strong>und</strong> Zielen, die nicht notwendig klar benannt oder begrenzt werden<br />

müssen. Durch sich wandelnde / abgewandelte Ursprünge <strong>und</strong> Ziele können die Verläufe<br />

des Flanierens gebrochen sein. Sie erscheinen typischerweise nicht als ein Bündel<br />

gerader Linien, sondern als ein Gefüge unregelmäßiger Figuren. Im Nachhinein mag<br />

flanierendes Denken - mithilfe konstruierenden Denkens - ein regelmäßigeres Muster<br />

erkennen lassen.<br />

Mehr als das konstruierende bedarf das flanierende Denken vielfältiger Darstellungs-<br />

weisen.<br />

Konstruieren/; TGF-1A<br />

• Denkweisen-K<br />

System - Einbeziehung der Subsistenz<br />

Ein System als ein Modell der Beschreibung von Verhaltensweisen / Verhaltensnormen,<br />

Diskursen, Zeit-Räumen / Räumen - auch ihrer Brüche.<br />

Metaphern des Fließens <strong>und</strong> Wachsens lassen Entsprechungen zu Welt / Geschichte<br />

erkennen.<br />

6.18


Dieses Bild der Kontinuität - einschließlich ihrer Wandlungen <strong>und</strong> Abwandlungen - wird<br />

modifiziert:<br />

durch Vorstellungen der Diskontinuität / Brüchigkeit der Welt / Geschichte ( System/);<br />

durch Leitbilder der Gerechtigkeit / des Mitleidens mit Lebewesen <strong>und</strong> der Ökologie / des<br />

Hegens der Natur ( Subsistenz_A).<br />

Metapher_AD; Mitleiden_AD<br />

• Denkweisen-L<br />

Entzeitlichung - Enträumlichung<br />

Die Vorstellungen Zeit <strong>und</strong> Raum sind nicht gleichwertig. Zeit erstreckt sich im Raum.<br />

Raum kann zeitlos bestehen.<br />

Phasen der Entzeitlichung:<br />

Die Vorstellung der Zeit geht ein in die Vorstellung des Zeit-Raums.<br />

Der Zeit-Raum wird zu gegenwärtigem oder zeitlosem / ewigem Raum.<br />

Enträumlichung:<br />

Die Vorstellung des Raumes ist mit der Vorstellung von Richtungen verb<strong>und</strong>en.<br />

Die Vorstellung des Raumes wird reduziert, indem Ausrichtungen zu Entrichtungen<br />

werden.<br />

Spatium/ Entrichtung/<br />

• Diskontinuität<br />

Diskontinuität <strong>und</strong> Kontinuität sind nicht gleichwertig. Diskontinuität setzt Kontinuität<br />

voraus. Brüche setzen Zusammenhänge voraus. •<br />

Gleichwohl ermöglicht die Sprache, Diskontinuität <strong>und</strong> Kontinuität als einen konträren<br />

Gegensatz herauszustellen.<br />

• Diskurs<br />

Metapher_AD<br />

Sich mit Diskursen zu befassen, deren Entstehung Jahrh<strong>und</strong>erte oder Jahrtausende<br />

zurückliegt, ergibt eine perspektivische Verschiebung, die das Bewusstsein des Lesers<br />

bereichert.<br />

Denkweisen-B/ Geschichte-D/ Quelle/ Diskurs\; Mehrdimensionalität_ES;<br />

Einführung_91, 29f.<br />

6.19


E#<br />

• Entgrenzen<br />

Die Freude an der Grenze kann in die Hoffnung auf die Entgrenzung münden.<br />

• entlegen<br />

Entlegen sind die fernen Randbereiche eines weiten Raumes.* •<br />

Entlegen ist ein Ziel, das offen, aber nicht beliebig ist.**<br />

* TGF-3B.<br />

** TGF-1B; Musil_m, 32: “[...] als ob die vier Wände stillstünden, <strong>und</strong> das<br />

Unheimliche ist bloß, daß die Wände fahren, ohne daß man es merkt, <strong>und</strong> ihre<br />

Schienen vorauswerfen, wie lange, tastend gekrümmte Fäden, ohne daß man weiß<br />

wohin.”<br />

Das Entlegene begegnet uns nicht, es bleibt am Rande; allenfalls zieht es wie das<br />

Exotische Sehnsüchte <strong>und</strong> Erwartungen auf sich. Das Fremde begegnet uns <strong>und</strong> wird<br />

nicht verstanden - solange es als “fremd” erscheint.*<br />

* Zum Verstehen: Demut/ Geschichte-D/; <strong>Zur</strong> interkulturellen Hermeneutik:<br />

Schmidt_f, Becker_a.<br />

• Entrichten<br />

Entrichten / Entrichtung<br />

Das Wort “entrichten” ist in seiner üblichen Bedeutung ([eine Abgabe] leisten) enger als<br />

“ausrichten”, das unter anderen Bedeutungen (wie “veranstalten”) auch die Nähe zu<br />

“Richtung” (“gerade richten”) klarer behalten hat. In Analogie zu “ausrichten” (“gerade<br />

richten”) kann “entrichten” mit der Bedeutung “eine Ausrichtung aufheben” belegt werden.*<br />

* Vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 3/3: “entrichten” auch in der (älteren)<br />

Bedeutung: “aus der richte, fuge, ordnung bringen”.<br />

Ausrichtung/ Entrichtung/<br />

• Entrichtung-A<br />

Entrichtung / Entrichtetsein, als ein wesentliches Merkmal des Aufgehens im Chaos, des<br />

Vergehens von Welt / Geschichte.<br />

Entrichtung geht einher mit der Reduktion von Sachverhalten. •<br />

Mit dem Entrichten / Entrichtetwerden schwinden alle Zeit-Räume / Spatien.<br />

6.20


• Entrichtung-B<br />

Entrichtung - Chaos<br />

Die Welt / Geschichte besteht in der Ausrichtung / dem Ausgerichtetsein. Das<br />

Entrichtetsein ist in seinen Anfängen / Ansätzen, als Entrichtetwerden, der menschlichen<br />

Erfahrung zugänglich. Daher ist es von ihm aus möglich, das Chaos - als zugleich<br />

gegenwärtig <strong>und</strong> entlegen - zu erahnen.<br />

Grenzbereiche des Chaos <strong>und</strong> Grenzbereiche der Virtualität berühren <strong>und</strong> überlagern<br />

sich. Nur insoweit sind Grenzbereiche des Chaos, solange es nicht erkennbar in<br />

Aktualisierbarkeiten <strong>und</strong> Aktualitäten einbricht, zu erahnen.<br />

Denkweisen-C/<br />

• Entrichtung-C<br />

Andeutungen / Erahnungen des Chaos in der Weitung / Entgrenzung der Welt<br />

• Glück, Angst<br />

Angst/ Glück/<br />

• Entspannung<br />

• Schwindel, Bewusstlosigkeit<br />

Strudel/<br />

• Traum<br />

Traum/<br />

• Rausch / Ekstase / Orgasmus<br />

• Vergehen von Wesen / Sterben von Lebewesen<br />

• Vernetzung<br />

• flanierendes Denken<br />

Denkweisen-G/; TGF-1A<br />

• Strukturalismus - Semiotik<br />

Beziehung\ Zeichen\<br />

• Aufhebung von Widersprüchen / Paradoxien<br />

Aufhebung/<br />

• Meditation<br />

Entrichtung-C/; Geschichten_GV; TGF-5<br />

• schwebender Staub<br />

TGF-5H<br />

• Vervielfachung der Richtungen<br />

Entrichtung-D/ Richtung/<br />

6.21


• Entrichtung-D<br />

Mehrdimensionalität ist auf Entrichtung angelegt.<br />

Beispiele für Mehrdimensionalität / Vervielfachung der Richtungen:<br />

• Richtungswechsel<br />

mit einer einzigen Richtung vereinbar nur: Zickzack oder Spirale;<br />

kreuz <strong>und</strong> quer: mindestens zwei, eher mehr als zwei Richtungen.<br />

Denkweisen/ Strudel/<br />

• Verflüchtigung von Körpern:<br />

kristallin zu amorph, fest zu flüssig, flüssig zu gasförmig,*<br />

Materie zu ungerichteter Energie.<br />

* “Gas” <strong>und</strong> “Chaos” sind etymologisch verwandt.<br />

Explosion/ Feuer/<br />

• brechende Fasern<br />

Ausrichtung-B/<br />

• wellige Fläche / Oberfläche eines Gewässers:<br />

vom Fließen <strong>und</strong> vom Wind leicht in verschiedene Richtungen bewegt;<br />

dem Blick entzogen: die Bewegung in die <strong>und</strong> aus der Tiefe.<br />

Strudel/ Denkweisen/ Entsprechung/; TGF-1G<br />

• Energiefelder / Elektromagnetismus<br />

• Kreisform, Bogenform<br />

Kreis/ Brücke-C/<br />

• Doppelgesichter:<br />

Janus, der römische Gott der Türen <strong>und</strong> Tore;<br />

Aker, der ägyptische Gott der Erde / der Unterwelt.<br />

• zwei Himmelsrichtungen: Bamberg*<br />

* Frutolf von Michelsberg, Chronik z.J. 1001.<br />

• vier Himmelsrichtungen:<br />

das himmlische Jerusalem, mit vier mal drei Stadttoren;*<br />

* Johannesoffenbarung 21,12-13; vgl. Denkweisen-E/.<br />

das indische Symbol der Doppel-Vajra;<br />

die fünf transzendenten Buddhas:<br />

zugeordnet den vier Himmelsrichtungen <strong>und</strong> dem Zentrum (der Mittleren Weltgegend);<br />

der Buddha des Zentrums, Vairocana, auch mit vier Gesichtern, entsprechend den vier<br />

Himmelsrichtungen, dargestellt - wie Brahmâ.<br />

• vier - acht - sechzehn ... Richtungen (viele oder alle Richtungen denken): Windrose;<br />

Rosen-, Lotosblüte.<br />

Richtung/<br />

6.22


• Entsprechung<br />

Eine Entsprechung / Analogie ist eine Beziehung zwischen Sachverhalten, die einander<br />

ähnlich sind.<br />

Ähnlichkeit schließt ein, dass es auch Unterschiede zwischen diesen Sachverhalten gibt.<br />

Sachverhalte, die einander entsprechen oder durch Assoziationen verknüpft werden,<br />

können verglichen werden.*<br />

Verglichen werden Sachverhalte anhand der Aussagen über sie, also anhand von<br />

Darstellungen <strong>und</strong> Beurteilungen der Sachverhalte.<br />

* Zu Analogie <strong>und</strong> Vergleich: Droysen, Gr<strong>und</strong>riß der Historik (gedruckte Fassung<br />

von 1882), §§ 25 u. 39.<br />

Der Vergleich ist nur aspekthaft möglich. Mehrere berücksichtigte Aspekte können<br />

gebündelt oder vernetzt werden. Aspekte, die in einem Vergleich zwischen zwei<br />

Sachverhalten berücksichtigt werden, müssen auf ein Drittes als ein Medium - eine Regel<br />

oder eine Kategorie - bezogen sein.<br />

Assoziation-B/<br />

Ein Sonderfall des Vergleichs ist die Behandlung kontroverser Themen in der<br />

Geschichtswissenschaft. Allerdings erfasst die Beschränkung auf Kontroversen die<br />

Probleme einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> nur sehr fragmentarisch.<br />

• Erwerb<br />

Vergleich/<br />

Jeder Erwerb<br />

bedroht den Bestand des Erworbenen,<br />

bedroht den Bestand des Erwerbenden.<br />

“jeder f<strong>und</strong><br />

von verlust bedroht”*<br />

* Gerstl_l, 11.<br />

6.23


• Erzählung-A<br />

“Erzähle, was du gesehen hast.” Das heißt nicht: beschreibe das Gesehene, sondern:<br />

erzähle den Ablauf deines Sehens, oder: beschreibe die Erinnerung an dein Sehen.<br />

• Erzählung-B<br />

Erzählung als Darstellungsform der Geschichtswissenschaft<br />

Die Gr<strong>und</strong>form ist die chronologisch reihende Erzählung ausgewählter Ereignisse. Typisch<br />

ist die Reihung nach Jahren (vgl. die Quellensorte “Annales”). Die politische Geschichte<br />

im engeren Sinne, die auf militärische <strong>und</strong> diplomatische Ereignisse konzentriert ist,<br />

bevorzugt diese Darstellungsform. Jedoch ist es möglich, die chronologische Folge zu<br />

durchbrechen, im Vor- oder Rückblick Zusammenhängendes darzustellen. In den Diskurs<br />

können auch stillschweigend - durch eine entsprechende Stoff- <strong>und</strong> Wortwahl -<br />

Wertungen <strong>und</strong> kausale Zusammenhänge eingefügt werden. Exkurshaft sind auch in<br />

einer chronologisch geordneten Darstellung Beschreibungen oder Erörterungen möglich.<br />

Biographien können zwar von der chronologischen Folge des Lebens nicht absehen,<br />

ermöglichen aber auch, Lebenssituationen <strong>und</strong> Hintergründe beschreibend darzustellen.*<br />

Narrative Strukturen sind auch in anderen Sorten historischer Darstellung nicht<br />

ungewöhnlich; denn es fällt dem Historiker schwer, von Zeitfolgen völlig abzusehen.**<br />

* <strong>Zur</strong> Autobiographie Variante-D/. ** semiotisch_03.<br />

• Explosion<br />

Explosion - Implosion<br />

Explosion / Implosion leitet von der Welt auf das Chaos hin.<br />

F#<br />

• Feuer<br />

Feuer leitet von der Welt auf das Chaos hin.<br />

6.24


• Flanieren<br />

Flanieren / Spazieren als zeitlich getönter Gang durch einen Raum - nicht allein einen<br />

städtischen Raum -, verb<strong>und</strong>en mit der Offenheit des Flaneurs für Assoziationen, die Zeit<br />

<strong>und</strong> Raum aufheben.<br />

Der Flaneur wird als ein einsamer Spaziergänger* verstanden; ist er auch auf die (große)<br />

Stadt bezogen, umgreift der Raum, in dem er flaniert, nicht allein die Stadt <strong>und</strong> die<br />

Vielzahl ihrer Menschen, sondern auch ländlichen Raum <strong>und</strong> seine Menschenleere.**<br />

* “promeneur solitaire et pensif”; Charles Baudelaire, Les foules, in: Petits poèmes<br />

en prose (Le Spleen de Paris). Dagegen auf die Stadt <strong>und</strong> ihre Menschenmenge<br />

konzentriert: Edgar Allan Poe, The Man of the Crowd. Vgl. Benjamin_p, bes. 307,<br />

363, 524ff. sowie desselben Abhandlungen über Baudelaire <strong>und</strong> Rezension “Die<br />

Wiederkehr des Flaneurs” - zu Franz Hessel, Spazieren in Berlin (1929), dieses<br />

Buch neu aufgelegt <strong>und</strong> um die Rezension Benjamins ergänzt unter dem Titel “Ein<br />

Flaneur in Berlin” (1984).<br />

** Die Analogie Stadt - Landschaft bedenkt Franz Hessel in seinem Nachwort zu<br />

“Spazieren in Berlin”; sie wird auch von Walter Benjamin in seiner Rezension<br />

hervorgehoben. Vgl. Benjamin_p, 525, 528-531, 545f., 557.<br />

Der Flaneur sucht nicht; er beginnt zu finden.<br />

Denkweisen-G/ Labyrinth/ Spatium/ Weg/; Flusswelt_BM; TGF; VBM<br />

“ich übe mich im spazierengehen<br />

in den vernünftigen grenzen<br />

mal umsehen<br />

mal brillen wechseln<br />

meine schritte bilden ein muster<br />

mit der zeit gehe ich genauer.”*<br />

• Flucht<br />

* Gerstl_n, 157: schritte.<br />

Der Ursprung der Flucht ist bekannter als ihr Ziel.<br />

6.25


• Fluss-A<br />

• Fluss-B<br />

Fluss - Baum<br />

Flusswelt ist auch Baumwelt:<br />

Flussaue - Auenwald / Bruchwald.<br />

TGF-1/5 mit BLD01 <strong>und</strong> BLD03<br />

Aber die Städte •<br />

Die Quellen flieht er,<br />

sucht die Meere; •<br />

aber die Städte<br />

achtet er gering.<br />

Zum Eingebettetsein des Flusses in das Gr<strong>und</strong>wasser vergleiche man das Erwachsen<br />

eines Zitterpappeln-/Espen-Waldes aus einem gemeinsamen Wurzelwerk.*<br />

* Heinrich_b, 195f.; Schreier_b, 76ff.; Art. “Wurzelbrut” in: Lexikon_b, 569. Vgl.<br />

David Suzuki / Wayne Grady, Der Baum, 2012, 92ff.; Peter Wohlleben, Der Wald,<br />

2013, 62f.<br />

FBwelt_ES<br />

• Flussregion-A<br />

Eine Flussregion ist: ein Fluss <strong>und</strong> seine Nebenflüsse, vernetzt auch durch Landstraßen<br />

<strong>und</strong> Kanäle, gegliedert in Landschaften <strong>und</strong> Siedlungsräume.<br />

Zweigen_ES; Flusswelt_ES<br />

Elbregion ONM<br />

• Flussregion-B<br />

Menschliche Aspekte der Flussregionen sind zum Beispiel: Fischerei, Mühlen,<br />

Schiffbarkeit, Brücken, Häfen, Kanalisierung, Flussregulierung, Schleusen, Stauwehre,<br />

Stauseen, Deiche, Leinpfade, Landstraßen, Siedlungen;<br />

Erosion von Flussbetten, Vergiftung / Verschmutzung von Gewässern,<br />

Überschwemmungen durch menschliches Einwirken.<br />

Brücke-A/ Flussschiff_BM; Flusswelt_ES; Schiffbarkeit_BM; Schifffahrt_BM<br />

6.26


• Freiheit-A<br />

Freiheit ist ein Minimum an (politischem, rechtlichem, sozialem, ökonomischem <strong>und</strong><br />

geistigem) Zwang <strong>und</strong> ein Maximum an Selbstbestimmung eines Jeden bei einem<br />

Höchstmaß an (politischer, rechtlicher, sozialer <strong>und</strong> ökonomischer) Gleichheit.<br />

“Freiheit” erscheint im Mittelalter in einer Vielzahl von Schattierungen, bezeichnet<br />

Freiheiten von bestimmten Leistungen, kann bestimmte Privilegien von Personen oder<br />

Menschengruppen meinen, kommt daher oft im Plural vor, als “Freiheiten”, <strong>und</strong> erscheint<br />

konkretisiert auf bestimmte soziale Gruppen: auf Bauern <strong>und</strong> Adlige, auf Stadtbürger <strong>und</strong><br />

Universitäten. Es ist ein weiter Weg zu einem abstrakteren Begriff der Freiheit.*<br />

* semiotisch_03.<br />

Verfassung/ Metabegriff/ Privileg\; Subsistenz_A; Verfügungsgewalt_A;<br />

Kolonisation_LS; Lüneburger_97<br />

• Freiheit-B<br />

Freiheit besteht in Können, nicht in Tun.<br />

Freiheit besteht in Aktualisierbarkeit, nicht in Aktualisierung.<br />

• Frieden<br />

Kanalisierung/; aktualisierbar_GV; Reisen_GF<br />

Frieden ist ein Minimum an physischer Gewalt <strong>und</strong> ein Maximum an Freiheit eines Jeden.<br />

Frieden zu wahren, wird in den Fürstenspiegeln des Mittelalters als eine zentrale Aufgabe<br />

des Herrschers genannt. Aber es bleibt im mittelalterlichen Herrschaftsverband die<br />

Diskrepanz zwischen dem biblischen “Friede auf Erden” <strong>und</strong> der Realität der Fehde, auch<br />

der legitimen Fehde. Gottesfrieden <strong>und</strong> Landfrieden wirken in zeitlicher <strong>und</strong> räumlicher<br />

Begrenzung der Friedlosigkeit entgegen.*<br />

* semiotisch_03.<br />

Freiheit/ Verfassung/ Landfrieden\ Metabegriff/; Frieden_S3; Subsistenz_A;<br />

Verfügungsgewalt_A<br />

6.27


• Fülle<br />

Fülle der Baum- <strong>und</strong> Flusswelt<br />

Baum- <strong>und</strong> Flusswelt weisen auf Welt / Geschichte als eine Fülle, an welcher der Mensch<br />

teilhat. Auch das Wort <strong>Storik</strong> schließt übrigens die Assoziation der Fülle ein.*<br />

* <strong>Storik</strong>-C/<br />

Bäume zeigen diese Fülle nicht nur in der Vielfalt ihrer Gestalten, sondern auch <strong>und</strong> vor<br />

allem periodisch, jährlich in der Überfülle ihrer Blätter <strong>und</strong> Früchte. Farben, Düfte <strong>und</strong><br />

Frische locken. Baum wie Wald können sich netzhaft ins Kosmische dehnen.<br />

Auch Flüsse samt ihren Auen können vielfältig gestaltet sein. Periodisch schwankt ihre<br />

Wasserführung; sie wird im Grenzfall zur Episode. Der wasserreiche Fluss <strong>und</strong> ihn<br />

umgebende Auen, reich an Feuchtigkeit, haben eigene Farben <strong>und</strong> Düfte. Mythenhaft ins<br />

Jenseits erstreckt, aus dem Himmel herabstürzend oder in der Unterwelt verlaufend, einer<br />

anderen Welt angehörend, steigern Flüsse sich ins Religiös-Kosmische.<br />

Flusswelt_ES<br />

Aber auch: Bäume können verdorren <strong>und</strong> verrotten. Flüssen kann es an Wasser<br />

mangeln.<br />

Bäume <strong>und</strong> Flüsse weisen über sich hinaus auf Baum- <strong>und</strong> Flusswelt, auf eine ihnen<br />

eigene Aura <strong>und</strong> auf mit <strong>und</strong> in ihr lebende Tiere <strong>und</strong> Pflanzen. An dieser Welt hat der<br />

Mensch sinnenhaft teil; sie geht auch in sein Denken <strong>und</strong> sein Darstellen der Welt /<br />

Geschichte ein.<br />

FBwelt_ES; Zweigen_ES; Baum\ Fluss\; TGF-4C<br />

6.28


G#<br />

• Gegenwart-A<br />

Virtualität der Gegenwart<br />

Die Gegenwart umschließt als ein Neben- <strong>und</strong> Ineinander von Möglichkeiten <strong>und</strong><br />

Wirklichkeiten, was in der Zeit im Nacheinander entfaltet wird. •<br />

Als in einem Raum der Wirklichkeiten sind in der Gegenwart die Wirklichkeiten /<br />

Geschehnisse der Vergangenheit <strong>und</strong> die Möglichkeiten der Zukunft aufgehoben.<br />

Als ein Raum der Möglichkeiten ist die Gegenwart sowohl mit der Erinnerung der<br />

Vergangenheiten* als auch mit dem Erahnen oder dem Wollen der Zukünfte verb<strong>und</strong>en. •<br />

“Das perfide, unfaßbare Jetzt mäandert, einem ektoplasmischen Wabern gleich, aus allen<br />

Ecken <strong>und</strong> Enden <strong>und</strong> fließt unkontrollierbar wie ein Gas in sämtliche Richtungen des<br />

Daseins, dabei die unwiderrufliche Einzigartigkeit jedes seiner Augenblicke außer Acht<br />

lassend [...].”**<br />

* Droysen, Gr<strong>und</strong>riß der Historik (erste vollständige handschriftliche Fassung von<br />

1857/1858), § 4: “Der endliche Geist hat nur das Hier <strong>und</strong> Jetzt; aber seine<br />

Gegenwart umleuchtet er sich mit einer Welt von Erinnerungen.”<br />

** Christian Kracht, Imperium, 2012, 203.<br />

Denkweisen/ möglich/ Spatium/ Synchronie/; Bedingungen_ES;<br />

Gegenwarten_GV; SK1; semiotisch_03<br />

6.29


• Gegenwart-B<br />

enthaltene - verschüttete - verbleibende Möglichkeiten<br />

Die in einer jeweiligen Gegenwart enthaltenen vielen Möglichkeiten lassen die Gegenwart<br />

als Virtualität erscheinen, nämlich - zunächst noch <strong>und</strong>efiniert - angelegt auf eine Vielzahl<br />

künftiger Verläufe.<br />

Die in einer jeweiligen Gegenwart angelegten Möglichkeiten künftiger Verläufe sind jedoch<br />

nicht völlig beliebig. Durch Entscheidungen, die Menschen schon getroffen haben, <strong>und</strong><br />

durch Ereignisse, die bereits geschehen sind, werden manche künftigen Möglichkeiten<br />

verschüttet oder wird ihre Verwirklichung erschwert.<br />

Kanalisierung/<br />

Die in der Virtualität der jeweiligen Gegenwart verbleibenden Möglichkeiten sind also<br />

diejenigen, die unter Berücksichtigung schon getroffener Entscheidungen <strong>und</strong> schon<br />

geschehener Ereignisse noch verwirklicht werden können.<br />

Die Offenheit von Möglichkeiten zu ihren Verwirklichungen, die Ungewissheit, ob<br />

Möglichkeiten verwirklicht werden, schafft Raum für Abwandlungen der Vergangenheiten<br />

<strong>und</strong> Zukünfte, für Variationen der Geschichte. Durch diese Offenheit wird Geschichte in<br />

ihrer jeweiligen Gegenwart zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong>.<br />

möglich/ Unschärfe/; ADW; aktualisierbar_GV<br />

6.30


• Gegenwarten<br />

Gegenwarten als Widerlager von Geschichten.<br />

Geschichten als Brücken zwischen Gegenwarten.<br />

Brücke-B/<br />

Gegenwarten: Zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> Gegenwarten_GV<br />

Geschichte stellt sich als eine Serie von Gegenwarten dar, deren Ausgänge ungewiss<br />

sind. Zwar gibt es die geschehene Geschichte; aber sie entbindet den Historiker nicht von<br />

der Aufgabe, auch die möglichen Verzweigungen, die in einer jeweiligen Gegenwart<br />

enthalten sind, <strong>und</strong> die Verwirklichbarkeit dieser Möglichkeiten zu bedenken. Es geht<br />

dabei nicht um das Korrigieren der geschehenen Geschichte, sondern um das<br />

Offenhalten oder <strong>Zur</strong>ückweisen von Möglichkeiten, die in vergangenen Gegenwarten<br />

enthalten waren <strong>und</strong> die, weil alle Geschichte letztendlich allein in unserer Gegenwart<br />

besteht, als - mehr oder weniger verwirklichbare - Möglichkeiten auch in unserer<br />

Gegenwart enthalten bleiben.<br />

Vergleich/ Welten-A/; ADW; aktualisierbar_GV; TGF-5<br />

• Gerechtigkeit<br />

Spielräume der Gerechtigkeit im Spektrum Subsistenz - Verfügungsgewalt.<br />

Subsistenz_A; Verfügungsgewalt_A; Land_61; Lex_68<br />

Aktualisierung der Gerechtigkeit als Aufgabe des Menschen <strong>und</strong> des Staates.<br />

Der Rechtsstaat ist nicht durch die Dominanz von Juristen, sondern durch die<br />

höchstmögliche Aktualisierung der Gerechtigkeit bestimmt.<br />

Denkweisen-D/ Denkweisen-K/ Mitleiden/; ADW; vollkommen_S3<br />

6.31


#<br />

• Geschichte-A<br />

<strong>Varianten</strong> der Begriffe Geschichte - Geschichten<br />

• Geschichte als Darstellungsform:<br />

Geschichte als eine Darstellungsform fiktiver Sachverhalte (poetische Erzählung);<br />

Geschichte als eine Darstellungsform geschichtlicher - aktualer <strong>und</strong> virtueller -<br />

Sachverhalte (historische Erzählung);<br />

Erzählung-B/; aktualisierbar_GV; Kind_LR<br />

• Geschichte(n) als methodisch objektivierte, historische Sachverhalte. •<br />

Die Welt / die Geschichte als ein Meer aus Geschichten (mare historiarum).*<br />

Aus dem Meer der Geschichten, ihrer unsäglichen Zahl, werden einige ans Licht gehoben.<br />

Geschichten als Anschauungen der Welt.<br />

* Rechtsaufzeichnungen_98. Vgl. Gregor von Tours - 2.Mose 14,21-22 nach- <strong>und</strong><br />

weiterdenkend: Die irdische Welt, allegorisch als ein Meer verstanden <strong>und</strong> vielfach<br />

geteilt, könnten nicht alle Menschen auf einem einzigen Wege durchqueren, um<br />

zum ewigen Leben zu gelangen (Historiae 1, c. 10).<br />

Ausrichtung/ Denkweisen/ Kreuzfahrt/ Synchronie/; TGF-3<br />

• Geschichte-B<br />

Anfang / Ende der Geschichte, Geschichte in <strong>Varianten</strong> - Chaos<br />

Der Anfang der Geschichte verliert sich in Vor-Geschichte <strong>und</strong> Chaos.<br />

Das Ende der Geschichte verliert sich in Nach-Geschichte <strong>und</strong> Chaos.<br />

Um die aktuale <strong>und</strong> virtuelle Geschichte bleibt das Chaos gegenwärtig;<br />

sie ist näherungsweise als Geschichte in <strong>Varianten</strong> darstellbar, die Geschichte virtueller<br />

Sachverhalte einbeziehend.<br />

Ausrichtung/ Beginn/ Chaos/ Demut/ Entrichtung/ Näherung\ Ordnung/<br />

Unschärfe/ Variante/ virtuell/ Welt-B/; aktualisierbar_GV; Ausrichtung_ES;<br />

Geschichten_GV; SK1<br />

6.32


• Geschichte-C<br />

unbeachtete Geschichte<br />

Unbeachtet bleibt das Geschehen, das zu Geschichte werden könnte, wenn der Mensch<br />

so in sich gekehrt ist, dass sein Bewusstsein das Geschehen nicht aufnimmt. Achtlos /<br />

unwissend verschließt sich der Mensch; der Überschwang des Glücks oder der<br />

Verzweiflung kann ihn für das Geschehen erblinden lassen.<br />

Unbeachtet bleibt das Geschehen, das zu Geschichte werden könnte, wenn sich das<br />

menschliche Bewusstsein zielstrebig ausschließlich auf ein Jenseits richtet. Das Diesseits<br />

als Jammertal oder die Welt als Samsâra wird dabei für nichtig erachtet.*<br />

* Leiris, Journal, zum 17.9.1935.<br />

Schwermut/<br />

Jedoch gibt es eine vermittelnde Form menschlichen Verhaltens, die eine konstruierende<br />

Verarbeitung des diesseitigen Geschehens als Vorbereitung auf das Entsagen zulässt:<br />

Züge der dargestellten Geschichte werden nach <strong>und</strong> nach als unwesentlich bef<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />

insofern nichtig.<br />

Komplexion/ Reduktion/; Geschichten_GV<br />

• Geschichte-D<br />

Aus der Geschichte lernen?<br />

Aus der Geschichte ist nichts über ihren Fortgang in die Zukunft zu lernen; wohl aber<br />

bereichert das Geschichtsstudium den, der sich ihm auf die rechte Art zuwendet, durch<br />

die Einsicht in Vielfalt <strong>und</strong> Unterschiedlichkeit der Welt - wie man Ähnliches, immer die<br />

rechte Art der Auffassung vorausgesetzt, auch durch Reisen in ferne Länder oder durch<br />

den Umgang mit Menschen verschiedenster Charaktere <strong>und</strong> Erfahrungen erreichen mag.<br />

Die rechte Ausgangslage zu solchen Einsichten ist: sich nicht durch Vorurteile einzu-<br />

engen, für das Unbekannte <strong>und</strong> Unerwartete offen zu sein, jeder Überheblichkeit zu<br />

entsagen, allem mit Demut zu begegnen.*<br />

* Vgl. über “philosophische Sek<strong>und</strong>ärtugenden”: Schmidt_f, 293.<br />

Demut/ Diskurs/ Sinn/ Zufall/; Funktionär_S3<br />

Geschichte in <strong>Varianten</strong> <strong>Storik</strong>/ Variante/<br />

6.33


• Geschichtsbewusstsein<br />

Das menschliche Bewusstsein verarbeitet das Geschehen zu Geschichte durch: Erinnern,<br />

Vergessen, Erahnen, Planen. Das Erinnern wendet sich bereits vorhandenem Geschehen<br />

zu. Das Vergessen wendet sich von ihm ab oder missachtet es. Das Erahnen richtet sich<br />

auf Geschehen, das in der Zukunft eintreten könnte oder eintreten wird. Das Planen<br />

richtet sich ebenfalls auf die Zukunft <strong>und</strong> sucht das Eintreten von Geschehen durch<br />

menschliches Handeln zu beeinflussen.<br />

Erinnern, Vergessen, Erahnen <strong>und</strong> Planen müssen nicht allein von Menschen getragen<br />

sein, die an dem Geschehen unmittelbar mitwirken, sondern können auch von Menschen<br />

vollbracht werden, die mittelbar an dem Geschehen teilhaben, indem sie das Erinnern,<br />

Vergessen, Erahnen <strong>und</strong> Planen anderer Menschen nachvollziehen / interpretieren.<br />

• Geschichtswissenschaft-A<br />

Geschichtswissenschaft - Geschichtsbewusstsein<br />

Der Mensch hat die Chance, über Geschichtsbewusstsein zu verfügen.<br />

Geschichtswissenschaft ist methodisch geläutertes, reflektiertes Geschichtsbewusstsein.<br />

6.34


• Geschichtswissenschaft-B<br />

Geschichtswissenschaft: Historische Wissenschaften<br />

Die Geschichtswissenschaft steht im Zusammenhang der Geschichtswissenschaften / der<br />

Historischen Wissenschaften (zum Beispiel: Wirtschaftsgeschichte, Rechtsgeschichte,<br />

Kunstgeschichte, Literaturgeschichte, Sprachgeschichte, Philosophiegeschichte,<br />

Naturgeschichte / Geschichte der Naturwissenschaften) <strong>und</strong> in Beziehung zu den<br />

systematischen Wissenschaften (zum Beispiel: Wirtschaftswissenschaft, Rechts-<br />

wissenschaft, Kunstwissenschaft, Literaturwissenschaft, Sprachwissenschaft, Philosophie,<br />

Naturwissenschaften).<br />

• Geschichtswissenschaft-C<br />

Geschichtswissenschaft: Methodik<br />

Geschichtswissenschaft ermittelt methodisch Geschichte <strong>und</strong> stellt sie methodisch dar.<br />

Geschichtswissenschaft hebt sich aus Geschichtsbewusstsein hervor <strong>und</strong> sondert sich<br />

von ihm ab durch das Bemühen um methodisches Vorgehen.<br />

Methodisch vorgehen bedeutet: in Kenntnis der geschichtlichen <strong>und</strong> historischen<br />

Möglichkeiten Geschichte <strong>und</strong> historische Darstellungen eingrenzen.<br />

Geschichte methodisch ermitteln heißt: in Kenntnis der möglichen Aussagen über einen<br />

geschichtlichen Sachverhalt wahrscheinliche Aussagen eingrenzen.<br />

Geschichte methodisch darstellen heißt: in Kenntnis der möglichen Darstellungsformen<br />

geschichtliche Sachverhalte darstellen, einige Formen oder eine Form der Darstellung<br />

verwenden.<br />

Geschichtswissenschaft befasst sich mit dem Spektrum von den aktualisierten bis zu den<br />

virtuellen Sachverhalten. Aus der Perspektive der <strong>Storik</strong> liegt der Schwerpunkt auf der<br />

Aktualisierbarkeit. •<br />

Geschichtswissenschaft muss auch bedenken, wie es gewesen sein könnte. Sie ist nicht<br />

der Büttel des Erfolgs.<br />

Geschichtswissenschaft hat nicht allein die Geschichte des Menschen zum Gegenstand.<br />

Natur/<br />

6.35


• Gesellschaft<br />

Verborgene Sozialtheorie<br />

Gesellschaft, die locker aus einigen Blöcken menschlicher Verhaltensweisen gefügte<br />

Gesamtheit menschlichen Verhaltens in einem gegebenen Raum <strong>und</strong> in einer gegebenen<br />

Zeit, kann in Theorien ausdrücklich erfasst werden, zum Beispiel durch mittelalterliche<br />

Schriften zur politischen Theorie. Gesellschaft kann aber auch durch Meinungen <strong>und</strong><br />

Aussagen strukturiert erscheinen, die vereinzelt <strong>und</strong> punktuell gesellschaftliche<br />

Verhältnisse erfassen <strong>und</strong> sich aus der Sicht des heutigen Historikers zu Bruchstücken<br />

eines Mosaiks zusammenfügen. In den farbigen Fragmenten dieses Mosaiks wird ein<br />

Gefüge von Hypothesen <strong>und</strong> Dichotomien erkennbar, treten die Umrisse einer<br />

verborgenen Gesellschaftstheorie ans Licht. Auf diesem Wege können Stadt- <strong>und</strong><br />

Landesbeschreibungen als Quellen der Sozialgeschichte genutzt werden. Eine<br />

verborgene Gesellschaftstheorie zu erschließen, ist nicht nur ein Beitrag zur<br />

Geistesgeschichte, sondern lässt auch Rückschlüsse auf den sozialen Ort des Autors zu,<br />

dem diese verborgene Gesellschaftstheorie zuzurechnen ist. •<br />

Eine verborgene Sozialtheorie ist die von einem Autor gehegte, in seinen Aussagen zu<br />

einzelnen Sachverhalten sich äußernde, als Theorie nicht explizierte, aber als<br />

Gedankengefüge oder gar als Theorie explizierbare Summe von Prinzipien, gemäß denen<br />

die Aussagen einer Beschreibung ausgewählt <strong>und</strong> geordnet werden. Am Beispiel von<br />

Städten haben vor allem literatursoziologisch ausgerichtete Philologen ihr Augenmerk auf<br />

verwandte Fragestellungen gerichtet.*<br />

• Glück<br />

* Accipe_83.<br />

Wirtschaft_GF<br />

Glück / Glücksgefühl / Glückseligkeit: Verhalten im Grenzbereich Virtualität - Chaos.<br />

Ein Mensch öffnet sich zur Weite der Welt.<br />

“ein auf demütige Weise glücklicher Mensch”.*<br />

* Judith Hermann, Alice, 2009, 146. Vgl. Demut/<br />

6.36


H#<br />

• Historik-A<br />

Die Historik bedenkt die Methoden der Geschichtswissenschaft.<br />

Das methodische Vorgehen des Historikers geht von einer Semiosphäre aus, die sich aus<br />

überlieferten historischen Quellen <strong>und</strong> aus einem in der jeweiligen Gegenwart eines<br />

Historikers wurzelnden Vorverständnis speist, in das auch Bezüge zu Geschichtstheorien<br />

<strong>und</strong> Erwartungen an die Zukunft eingeschlossen sind. •<br />

Regelhaft mündet die Strukturierung der gewonnenen Geschichtskenntnisse in den<br />

Diskurs einer Geschichtsdarstellung ein.<br />

Geschichtswissenschaft/; Bedingungen_ES; SK1; semiotisch_03<br />

Die Historik befasst sich besonders mit der Geschichtstheorie, der historischen<br />

Quellenk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der historischen Topik. •<br />

Die historische Topik hat zum Gegenstand die Darstellungs- <strong>und</strong> Vermittlungsformen der<br />

Geschichtswissenschaft.<br />

<strong>Storik</strong>/ Denkweisen/; VBM<br />

6.37


• Historik-B<br />

<strong>Zur</strong> Verbreitung des Wortes “Historik” hat vor allem Johann Gustav Droysen beigetragen;<br />

sein “Gr<strong>und</strong>riß der Historik”, zuerst Jena 1858, gehört zu den Vorlesungen über<br />

“Enzyklopädie <strong>und</strong> Methodologie der Geschichte”, die er zwischen 1857 <strong>und</strong> 1883<br />

gehalten hat; unter dem Titel “Historik” sind sie zuerst 1937 herausgegeben worden <strong>und</strong><br />

seit 1977 in erweiterter Edition erschienen.* Droysen hat dem Begriff “Historik” neben dem<br />

formalen, methodologischen einen materialen, geschichtstheoretischen Aspekt gegeben:<br />

Geschichte als Auffassung des “Kosmos der sittlichen Welt” <strong>und</strong> ihres Fortschreitens.**<br />

*1937 von Rudolf Hübner; 1977-2007 von Peter Leyh <strong>und</strong> Horst Walter Blanke.<br />

** besonders in dem zweiten Teil der Historik, der “Systematik”; Droysen, Gr<strong>und</strong>riß<br />

der Historik (gedruckte Fassung von 1882), §§ 45 u. 48.<br />

Seit etwa 1970 wurde der Ausdruck “Historik” häufiger gebraucht, teilweise mit einem<br />

Schwerpunkt auf Geschichtstheorie; Beispiele aus einem Jahrzehnt: 1969 Hans-Walter<br />

Hedinger, “Subjektivität <strong>und</strong> Geschichtswissenschaft. Gr<strong>und</strong>züge einer Historik”, von<br />

demselben: 1974 Artikel “Historik” in: Historisches Wörterbuch der Philosophie 3; 1971<br />

Alfred Schmidt, Geschichte <strong>und</strong> Struktur. Fragen einer marxistischen Historik; ebenfalls<br />

1971 Ausschreibung einer Professur an der Universität Bielefeld für “Allgemeine<br />

Geschichte (H4) mit besonderer Berücksichtigung der Historik (Theorie der Geschichte,<br />

Methodenlehre, didaktische Probleme)”; 1972ff. Vorlesungen an der Universität Münster<br />

über “Historik (Theorie <strong>und</strong> Geschichte der Geschichtswissenschaft, Quellenk<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />

Methodologie der mittleren <strong>und</strong> neueren Geschichte)”; 1976 Jörn Rüsen, Für eine<br />

erneuerte Historik. Studien zur Theorie der Geschichtswissenschaft, vgl. den<br />

Sammelband “Seminar: Geschichte <strong>und</strong> Theorie. Umrisse einer Historik”, hg. v. Hans<br />

Michael Baumgartner u. Jörn Rüsen; 1977ff. Buchreihe “Theorie der Geschichte. Beiträge<br />

zur Historik”.<br />

6.38


• Hoffnung<br />

Hoffnung auf Subsistenz, Hoffnung auf ein besseres, auf ein gutes, auf ein erträgliches<br />

Dasein als eine mächtige Antriebskraft der meisten Lebewesen, also auch der<br />

Geschichte. •<br />

Ausgestaltet auch als religiöse Hoffnung.<br />

Liebe: Hoffen auf das Du <strong>und</strong> auf das Wir.<br />

Glaube: Hoffen auf natürliche / kosmische Fügung.<br />

Was geschieht, wenn die “Hoffnung auf Hoffnung”* erlischt? Widerstehen, Verzweifeln,<br />

Verzagen, auch: Verfallen bis zum Sterben.<br />

* Ernst Weiß, Georg Letham, Kap. 1/12, 3/3 [zuerst 1931].<br />

Die Hoffnung auf Aktualisierbarkeit gilt mehr als die Hoffnung auf Aktualisierung.<br />

Aktualisierbarkeit kennt kein Scheitern.<br />

• Humanität-A<br />

Beschreibung der Humanität<br />

• Humanität-B<br />

Humanität - Mondialität<br />

Beschreibung der Beschaffenheit eines oder mehrerer Menschen<br />

in verallgemeinernder Absicht,<br />

im Hinblick auf mehrere, viele, alle Menschen. •<br />

Verhalten - Emotionalität - Rationalität.<br />

Sprache - Kultur. •<br />

Beziehungen zu Energie <strong>und</strong> Materie,<br />

zu Lebewesen (Tieren <strong>und</strong> Pflanzen).<br />

Variabilität.<br />

Mondialität/<br />

Komplexion der Humanität durch Steigerung ihrer Beziehung zu Mondialität in Richtung<br />

auf Menschheit / Welt.<br />

6.39


• Humanität-C<br />

Mensch - Tier - Barbar<br />

Der Mensch, der sich kulturell hochstehend wähnt, grenzt sich im Hochmut seiner<br />

Humanität gegen andere Menschen ab, die er tiefer stehen sieht, gar als Barbaren oder<br />

den Tieren nahe.* Das Christentum begünstigt die Abgrenzung der Humanität gegen<br />

Tiere.** Dass Tiere Predigten der heiligen Franz von Assisi <strong>und</strong> Antonius von Padua<br />

lauschen, wie einst dem Gesang Orpheus’, bleibt eine ebendeshalb immer wieder<br />

beachtete Besonderheit.<br />

* Beispiele Christentum-A_S2; Humanität-E_S3.<br />

** Unter den Heiligen finden sich auch Patrone für Menschen, die mit Tieren<br />

umgehen.<br />

• Humanität-D<br />

Mensch - Tier: Instinkt<br />

Das Tier hat dem Menschen den ausgeprägten Instinkt voraus.<br />

Der Mensch als ein instinktarmes / instinktloses Tier.<br />

Tier/ Verhaltensweise-B/ Wesen/<br />

6.40


I# J#<br />

• Internet-A<br />

Virtuelle Zeichenwelt<br />

Das Internet ermöglicht eine virtuelle Zeichenwelt. Verb<strong>und</strong>en werden auch Zeichen <strong>und</strong><br />

Zeichenfolgen, die ursprünglich nicht zusammengehören, zum Beispiel in Suchmaschinen<br />

durch das Auslassen von Textpassagen <strong>und</strong> durch das fragmentarische Lesen von<br />

Websites oder Website-Anhängen. •<br />

Der elektronische Text kann laufend verändert werden; dessen aufeinander folgende<br />

<strong>Varianten</strong> können gleichzeitig bestehen - gespeichert <strong>und</strong> ungelöscht.<br />

• Internet-B<br />

Internet <strong>und</strong> Buchdruck<br />

Für ein Geschichtsbild, das nicht abgeschlossen, sondern in der Verfertigung begriffen ist,<br />

mag es angemessen scheinen, nicht primär den gedruckten Text anzustreben, sondern<br />

die offenere <strong>und</strong> vorläufigere Form des elektronischen Textes zu verwenden.<br />

Als Beleg für eine Behauptung eine gedruckte Veröffentlichung anzugeben, verleiht dem<br />

Beleg eine höhere Statik, als eine Website anzuführen. Jene kann in deutlich<br />

unterschiedenen, veränderten Auflagen erscheinen; diese kann laufend verändert, gar<br />

völlig eingestellt werden. Die Argumentation mit Behauptungen in Websites befindet sich<br />

näher an der Variabilität des mündlichen Diskurses.<br />

6.41


K#<br />

• Kanalisierung-A<br />

Aus der Fülle beliebiger <strong>Varianten</strong> entfallen einige durch das Geschehene. Die so<br />

kanalisierte oder reduzierte Fülle schränkt die Variabilität der Vergangenheit ein. Diese<br />

Einschränkungen setzen auch Bedingungen für die Zukunft, schränken also auch deren<br />

Variabilität ein.<br />

Gegenwart-B/<br />

“die tat ist der tod<br />

aller möglichen alternativen”*<br />

* Gerstl_p, 84.<br />

• Kanalisierung-B<br />

Der jeweils gegenwärtigen Menschheit bleibt gegenüber den geschehenen Vergangen-<br />

heiten nur, sie fort- oder abzusetzen, sie zu belassen oder umzudeuten. Darüber hinaus<br />

verheißen Freiheiten allein die Zukünfte.<br />

“So werden uns die Lebens-Bahnen, wie die Ideen, vom Zufall angewiesen; nur das Fort-<br />

<strong>und</strong> Absetzen der einen wie der andern bleibt der Willkür freigestellt.”*<br />

* Jean Paul, Flegeljahre. In: Sämtliche Werke 1/2, hg. v. Norbert Miller, 4., korr.<br />

Aufl. 1987, 615.<br />

Indem der Zufall als gegeben angenommen oder abgelehnt wird, reduziert er Komplexität.<br />

Damit nähert er sich einer Notwendigkeit, die dem Annehmenden oder Ablehnenden<br />

eingegeben ist.<br />

Unschärfe/<br />

6.42


• Komplexion<br />

Komplexion ist die Mehrung / Steigerung der Komplexität eines Sachverhalts. •<br />

Bei der Komplexion eines Sachverhalts sind unter anderem zu bedenken: Ähnlichkeiten<br />

<strong>und</strong> Unterschiede, Verweisungen <strong>und</strong> Abgrenzungen, Nahen <strong>und</strong> Fernen.<br />

Entsprechung/ Nahen/ System/ Vergleich/<br />

Komplexion <strong>und</strong> Reduktion verhalten sich zueinander wie Einatmen <strong>und</strong> Ausatmen. Sie<br />

sind Korrelate / Entsprechungen <strong>und</strong> Kompensationen / Ausgleichungen - so im<br />

Jahreszyklus der Bäume, im Entstehen <strong>und</strong> Vergehen von Lebewesen.<br />

Ausrichtung-A/ Reduktion-B/<br />

• Komplexität<br />

Komplexität eines Sachverhalts<br />

Sachverhalte sind hinsichtlich ihrer inneren Struktur <strong>und</strong> ihrer äußeren Beziehungen nach<br />

dem Grad ihrer aktualen <strong>und</strong> potentialen Vielfalt / Komplexität zu unterscheiden. Einfache,<br />

enge Sachverhalte (Sachverhalte geringer Komplexität) sind in der Regel mit größerer<br />

Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit vorzustellen. Komplexe, weite Sachverhalte<br />

(Sachverhalte hoher Komplexität) sind mit geringerer Gewissheit oder Wahrscheinlichkeit<br />

vorzustellen. Die Beziehungen zwischen komplexen Sachverhalten sind in der Regel als<br />

hochgradig komplex vorstellbar. Die Beziehungen zwischen einfachen Sachverhalten <strong>und</strong><br />

die Beziehungen zwischen einfachen <strong>und</strong> komplexen Sachverhalten lassen sich in ihrer<br />

Komplexität steigern.<br />

Grade der Komplexität verschiedener Sachverhalte sind durch Vergleich zu ermitteln.<br />

Komplexität eines Sachverhalts ist nicht eine einmalig bestimmbare Eigenschaft; sondern<br />

Komplexität ist gemäß den Absichten <strong>und</strong> der Reflexion dessen, der die Komplexität prüft<br />

<strong>und</strong> gegebenenfalls die Komplexion vornimmt, zu bestimmen. Zum Beispiel ist eine große<br />

Stadt nicht schlechthin komplexer als eine ländliche Siedlung, kann das Anblicken <strong>und</strong><br />

Bedenken eines Baumes durch einen Menschen unterschiedliche Komplexität<br />

hervorbringen.<br />

Begriff/ Mehrdimensionalität/ Metabegriff/ System/; Stadt-A_LS; Baumwelt_ES<br />

Mehrung / Steigerung der Komplexität eines Sachverhalts Komplexion/<br />

Minderung / Senkung der Komplexität eines Sachverhalts Reduktion/<br />

6.43


• Konstruieren<br />

Das Konstruieren / konstruierende Denken verbindet Aussagen über Elemente <strong>und</strong> über<br />

deren Beziehungen. Das Konstruieren wählt aus der Fülle möglicher / aussagbarer<br />

Elemente <strong>und</strong> Beziehungen <strong>und</strong> fügt die ausgewählten zu einem Konstrukt / einer Gestalt<br />

zusammen. Dadurch werden innerhalb der Welt / der Geschichte Grenzen <strong>und</strong><br />

Schwerpunkte gesetzt.<br />

Die Gestalt besteht in der Gegenwärtigkeit ihrer Konstruktion, ohne die Kenntnis künftiger<br />

Gestaltung.<br />

Das Konstruieren erfordert zusätzliche, dem jeweiligen Vorhaben angemessene Regeln.<br />

• Kreis-A<br />

Denkweisen_J/<br />

Kreis - Entrichtung<br />

Der Kreis befindet sich näher bei der Entrichtung als die Ellipse. Das eine Zentrum des<br />

Kreises reduziert die Ausrichtung; der Kreisbogen biegt in sich selbst zurück, wendet sich<br />

gleichmäßig in alle Richtungen der Ebene, in der er sich befindet. •<br />

Die Ellipse wird im Grenzfall zur Linie.<br />

• Kreis-B<br />

Kreis - Ellipse VBM<br />

Kreislauf Ausrichtung-C/ Entrichtung-D/; Geschichten_GV<br />

Kreisbewegung - Ausrichtung<br />

Aber der Kreis hat auch eine Affinität zur Ausrichtung - nämlich in der Kreisbewegung,<br />

insoweit sie mit einer Ausrichtung verb<strong>und</strong>en erscheint. In der Mechanik vermittelt eine<br />

Pleuelstange zwischen einer rotierenden <strong>und</strong> einer geradlinigen Bewegung. Die<br />

Kreisbewegung eines Wagenrades, einer Schiffsschraube oder eines Propellers,<br />

zusammen mit dem Widerstand / der Trägheit der Unterlage / der Umgebung<br />

(Straßendecke, Schienen / Wasser, Luft) erzeugt den Schub einer gerichteten Bewegung.<br />

6.44


• Kreuzfahrt<br />

Welt / Geschichte lässt sich als ein weites Meer vorstellen, das nur durch Kreuzfahrten zu<br />

erk<strong>und</strong>en <strong>und</strong> nicht völlig zu erschließen ist. Kreuzfahrten, Fahrten kreuz <strong>und</strong> quer, weder<br />

planlos noch ohne Regeln, bleiben notwendig Bruchstücke gegenüber der Weite des<br />

Meeres. Die Wege der Erk<strong>und</strong>ung führen auf das Ziel der Erschließung einer Fläche hin,<br />

werden dieses Ziel aber nicht erreichen. Kreuzfahrten erschließen Regionen des Meeres;<br />

das Meer als Ganzes aber bleibt im Ungewissen. Welt / Geschichte darzustellen, gleicht<br />

Kreuzfahrten auf einem weiten Meer.<br />

• Kreuzweg<br />

Kreuzweg - Möglichkeiten<br />

Mehr noch als eine Abzweigung zur Linken oder zur Rechten fordert ein Kreuzweg eine<br />

Entscheidung. Eine einfache Abzweigung lässt, wenn die Möglichkeit der Umkehr außer<br />

Betracht bleibt, dem Gehenden nur zwei Möglichkeiten: geradeaus zu gehen oder<br />

abzubiegen. Eine Kreuzung, in der sich zwei Wege überschneiden, bietet außer der<br />

Möglichkeit der Umkehr drei Möglichkeiten: geradeaus zu gehen, links oder rechts<br />

abzubiegen. So mag der Kreuzweg ein Symbol der Entscheidung sein: aus vielen<br />

Möglichkeiten des Suchens oder Findens einige oder eine auszuwählen. Eine Folge von<br />

Kreuzwegen, denen der Gehende über längere Zeit begegnet, erfordert eine Folge von<br />

Entscheidungen, <strong>und</strong> jede von ihnen verringert die Zahl der verbleibenden Möglichkeiten<br />

um das Vielfache - entsprechend der Zahl der so ausgeklammerten Kreuzwege <strong>und</strong><br />

Möglichkeiten. Beispiel Kreuzweg_ES.<br />

6.45


L#<br />

• Labyrinth<br />

Ein Labyrinth, das sich nur dem Flanierenden zu erschließen beginnt.<br />

M#<br />

Flanieren/<br />

• Mehrdimensionalität<br />

Mehrdimensionalität geschichtlicher Sachverhalte<br />

Nicht selten lassen geschichtliche Sachverhalte eine Mehrdimensionalität / Komplexität<br />

erkennen, die leicht zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> hinführen kann.<br />

Beispiele ASP; ESP; SKZ.<br />

6.46


• Metabegriff<br />

Metabegriff / Metazeichen<br />

Metabegriffe übersteigen andere Begriffe, indem sie sie bündeln. Metabegriffe sind,<br />

obwohl ihnen andere Begriffe zuzuordnen sind, nicht als Oberbegriffe aufzufassen.<br />

Metabegriffe sind durch ihre Beziehungen zu zahlreichen Begriffen von unterschiedlicher<br />

Qualität in komplexe Strukturen eingeb<strong>und</strong>en. Über-, Unter- <strong>und</strong> Gleichordnung<br />

vermischen sich in diesen Strukturen.<br />

Begriff/ Denkweisen-B/<br />

Eine besondere Bedeutung für die Historiographie kommt solchen Begriffen zu, die eine<br />

größere Zahl von geschichtlichen Sachverhalten aufeinander zu beziehen <strong>und</strong><br />

zusammenzufassen ermöglichen. Es handelt sich um komplexe Zeichen, die sich<br />

syntaktisch auf andere Zeichen beziehen lassen, um Metazeichen. Zu ihnen gehören<br />

zentrale Begriffe von Geschichtsdarstellungen wie Frieden <strong>und</strong> Freiheit, Herrschaft,<br />

Genossenschaft <strong>und</strong> Stände, Reich <strong>und</strong> Staat, Schichten <strong>und</strong> Klassen. Scheinbar sind<br />

dies Begriffe, die über lange Zeiträume hin einsetzbar sind. Die historische Semantik aber<br />

lässt die Unschärfe <strong>und</strong> Interpretierbarkeit dieser Begriffe deutlich werden.<br />

Freiheit/ Frieden/; Metabegriffe_S3; Stadt-A_LS<br />

Eine andere Gruppe von Metabegriffen, welche der Historiographie unentbehrlich<br />

scheinen, sind die Epochenbezeichnungen.<br />

Eine Gruppe von Metabegriffen, welche in der Historiographie in Auswahl bereitwillig<br />

rezipiert worden sind, bilden die Idealtypen, wie sie Max Weber um 1900 entwickelt <strong>und</strong><br />

Otto Hintze in den 1920er Jahren an einigen Beispielen ausgestaltet hat, unter anderem<br />

am Begriff Feudalismus.*<br />

* semiotisch_03; Lehnswesen_64; Lehnrecht_89.<br />

Metabegriffe können auch zur Kompensation unerfüllter Hoffnungen beitragen.<br />

Metabegriffe_S3<br />

6.47


• Metapher<br />

Verwendete Metaphern<br />

Die im vorliegenden Projekt verwendeten Metaphern weisen auf Variabilität <strong>und</strong><br />

Naturbezogenheit, dehnen sie aber nicht ins unendlich Weite, sondern fordern<br />

Begrenzungen.* Die Ellipse ist in ihrer Form variabel, aber nicht von beliebiger Gestalt.<br />

Andere Bilder, die häufiger aufgenommen werden, sind Flusswelten <strong>und</strong> Baumwelten<br />

entnommen.<br />

• mirabilia<br />

* <strong>Zur</strong> Metaphorik im Allgemeinen: Ralf Konersmann (Hg.), Wörterbuch der<br />

philosophischen Metaphern, 3., erw. Aufl. 2011<br />

Baum/ Denkweisen-B/ Ellipse/ Fluss/; FBwelt_ES; Metapher_AD; Weg_ES;<br />

Zweigen_ES; TGF<br />

mirabilia mischen W<strong>und</strong>erbares <strong>und</strong> Seltsames / Beachtenswertes / Staunenswertes,<br />

auch Anstößiges - immer verstanden aus der jeweiligen Sicht dessen, der mirabilia<br />

berichtet. W<strong>und</strong>erbar bedeutet: das, worüber man sich w<strong>und</strong>ern kann; zu denken ist in<br />

solchen Zusammenhängen nicht - mindestens nicht in erster Linie - an W<strong>und</strong>er Gottes.<br />

Verhaltensweisen\ Wesen\; Einführung_91<br />

Der poetische Reiz des nicht Glaubhaften.<br />

• Mitleiden<br />

Mitleid(en) gleichgestellter Menschen - die demütige Variante.<br />

Mitleid(en) von oben herab, wie ein Almosen - die hochmütige Variante.*<br />

* Kritisch zu der hochmütigen Variante: Augustin, Confessiones 3, c. 2,3;<br />

Lichtenberg_a, F 1204.<br />

Der Mensch als leidendes <strong>und</strong> mitleidendes Wesen. Linderung / Minimierung des Leidens<br />

als Ziel solidarischen Handelns.<br />

Mitleiden verwoben mit der Hoffnung auf Überstehen.<br />

6.48


• möglich<br />

Welt / Geschichte besteht in Wirklichkeiten <strong>und</strong> in Möglichkeiten.<br />

Entsprechend dem Grad, in dem Möglichkeiten aktualisierbar erscheinen, ist die Grenze<br />

zwischen Möglichkeiten <strong>und</strong> Wirklichkeiten durchlässig. •<br />

Die Offenheit einer Möglichkeit zu ihrer Verwirklichung schafft Raum für Abwandlungen,<br />

für Variationen der Welt / Geschichte. •<br />

Durch diese Offenheit wird Welt / Geschichte in einer jeweiligen Gegenwart zu einer Welt /<br />

Geschichte in <strong>Varianten</strong>, zu virtuellen Welten / Geschichten. •<br />

“Wirklichkeit ist in Wirklichkeit Möglichkeit: eine sich ständig verändernde Konstellation<br />

von Gelegenheiten, die eintreten <strong>und</strong> ausbleiben, ergriffen <strong>und</strong> nicht ergriffen werden.<br />

[...]”*<br />

* Seel_t, nr. 27; vgl. ebd. nr. 122.<br />

• Mondialität<br />

Beschreibung der Mondialität<br />

Beschreibung der Beschaffenheit eines Teils der irdischen Welt<br />

in verallgemeinernder Absicht,<br />

im Hinblick auf mehrere, viele, alle Teile der irdischen Welt.<br />

Auch im Hinblick auf mehrere, viele, alle möglichen Welten? •<br />

Endlichkeit - Entlegenheiten.<br />

Dimensionen - Raum <strong>und</strong> Zeit.<br />

Energie <strong>und</strong> Materie - Lebewesen.<br />

Variabilität.<br />

Humanität/<br />

6.49


N#<br />

• Nahen<br />

Nahen <strong>und</strong> Fernen<br />

“nahen” wird hier in der Bedeutung “sich nähern” oder “angenähert werden”,<br />

“fernen” in der Bedeutung “sich entfernen” oder “entfernt werden” gebraucht.*<br />

* Zu “nahen” vgl. Grimm, Deutsches Wörterbuch 13/2. Zu “fernen” vgl. ebd. 3/7;<br />

Lexer, Mittelhochdeutsches Handwörterbuch 3, 200: “vërren”.<br />

Nahen <strong>und</strong> Fernen kann bezogen sein:<br />

auf einen Ursprung,<br />

auf den Standort eines Betrachters,<br />

auf ein Ziel.<br />

TGF-3A<br />

In einem System kann Nahen als Verweisung, Fernen als Abgrenzung erscheinen.<br />

• Natur-A<br />

System/<br />

Natur - Kosmos<br />

Natur <strong>und</strong> Kosmos werden primär unter nichtmenschlichem Aspekt verstanden; Natur als<br />

die Beschaffenheit der Erde, Kosmos als die Beschaffenheit der außerirdischen Welt.<br />

Natur\ •<br />

Natur als Umwelt des Menschen bleibt durchlässig zu Natur in kosmisch-göttlichen<br />

Zusammenhängen. Religiosität übersteigt die Kategorie des Menschlichen, indem sie<br />

Mensch <strong>und</strong> Natur in einen Kosmos einfügt oder auf Gott als Grenzbegriff bezieht - zum<br />

Beispiel:<br />

Ein zorniger Gott straft Sünden der Menschen. Diese beobachten ängstlich außer-<br />

gewöhnliche Naturerscheinungen als Zeichen göttlichen Zorns, ordnen sich demütig unter<br />

die Allmacht Gottes, suchen ihn durch Reue <strong>und</strong> Buße zu besänftigen.* •<br />

Aber im göttlichen Kontext kann auch die Diesseitigkeit des Menschen akzentuiert<br />

werden: Natur ist durch Arbeit zu gestalten <strong>und</strong> wirkt Heil des Menschen.**<br />

* Gregor von Tours, Historiae; Thietmar von Merseburg, Chronicon.<br />

Frutolf-M_GF.<br />

** Walahfrid Strabo, Liber de cultura hortorum (Buch über den Gartenbau).<br />

Natur-D_S3<br />

6.50


• Natur-B<br />

Natur - Mensch<br />

Der Mensch, einerseits in die Natur eingeb<strong>und</strong>en, andererseits versuchend, sich aus ihr<br />

auszugrenzen, bringt in seinen Konstruktionen die Unterscheidung, ja den Gegensatz von<br />

Mensch <strong>und</strong> Natur hervor. Diese Unterscheidung / dieser Gegensatz soll durch<br />

Verweisungen zwischen Mensch <strong>und</strong> Natur eingeschränkt werden.<br />

Zwischen natürlichen (nichtmenschlichen) Gegebenheiten <strong>und</strong> menschlichen Sach-<br />

verhalten bestehen Strukturähnlichkeiten. Diese lassen sich für die Darstellung<br />

menschlicher Welt(en) / Geschichte(n) nutzen.<br />

“Eine noch höhere Gattung der Geschichte wäre nun die, wo mit der Staats- <strong>und</strong><br />

Geistesgeschichte des Menschen auch die Naturgeschichte des Menschen <strong>und</strong> der Erde<br />

<strong>und</strong> Natur verb<strong>und</strong>en wäre.”*<br />

• Natur-C<br />

* Friedrich Schlegel, Fragmente zur Geschichte <strong>und</strong> Politik, T. 1, hg. v. Ernst<br />

Behler, 1995 (Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe 20), 292 Nr. 8; Hervorhebung<br />

durch F. Schlegel;<br />

Verfügungsgewalt-G_S3.<br />

Zauber / Magie - Technik<br />

Die kunstfertige Nutzung der Natur, ihrer Stoffe <strong>und</strong> Kräfte, durch den Menschen bewegt<br />

sich im Spektrum Magie - Technik. Die Grenze verfließt zum Beispiel in den Bereichen der<br />

Alchemie <strong>und</strong> der Medizin.<br />

Schadenszauber_ML; Mergie\<br />

In das Bewusstsein des modernen Naturwissenschaftlers / Technikers mag sich leicht<br />

Hochmut mischen, als sei er ein Zauberer, der über die Natur verfügen kann. Umso<br />

herber die Enttäuschung, wenn die Natur sich der naturwissenschaftlichen Erklärung<br />

entzieht, menschliche Bändigungsversuche <strong>und</strong> Schutzvorkehrungen zunichtewerden<br />

lässt, wenn technische Vorhaben scheitern.<br />

• Not<br />

Not / Armut als das Fehlen der Subsistenz.<br />

6.51


O#<br />

• Ordnung<br />

Ordnung - Unordnung<br />

die Welt: “eine große Unordnung mit Pausen aus Ordnung”;<br />

“Inseln relativer Ordnung in einem Meer der Unordnung”;<br />

“die - gleichzeitig bestehende - Unordnung der Ordnung <strong>und</strong> Ordnung der Unordnung”.*<br />

“Es gibt keine Ordnung der Dinge a priori.”**<br />

• Orient<br />

* Gerstl_s, 73f./150. ** Wittgenstein_t, n. 5.634.<br />

“Okzident” - “Orient” (“Abendland” - “Morgenland”) ist ein Begriffspaar abendländischer<br />

Tradition. “Orient” ist also aus abendländischer Sicht gesehen. •<br />

Okzident oder Abendland als Gegenbegriff zu Orient könnte das gesamte Europa,<br />

einschließlich Osteuropas, umfassen. Ausgehend von der Mittelalterlichen Geschichte,<br />

empfiehlt es sich, “Okzident” oder “Abendland” <strong>und</strong> “Europa” zu unterscheiden. Europa<br />

umfasst auch den griechisch-orthodoxen Bereich; der Okzident oder das Abendland<br />

dagegen meint den römisch-christlichen, den lateinischsprachigen Teil Europas. •<br />

Überlagerungen “Europas” <strong>und</strong> des “Orients” ergeben sich im südlichen <strong>und</strong> östlichen<br />

Europa während des Mittelalters vor allem durch das Vordringen der Muslime, der<br />

Mongolen <strong>und</strong> der osmanischen Türken.<br />

Europa_S2<br />

• Orientbild<br />

Orientbilder sind Aspekte der Weltbilder des Okzidents.<br />

Orientbilder lassen sich als mögliche Gefüge / Systeme von Aussagen beschreiben.<br />

Orientbild\ System/ Weltbild/<br />

6.52


P#<br />

• Pflanze<br />

Pflanzliche Metamorphosen<br />

Das Wuchern <strong>und</strong> Ranken einer Pflanze - die Metamorphose der Pflanze in sich -<br />

begünstigt die Vorstellung, sie könne Gestalten anderer Lebewesen, auch tierische <strong>und</strong><br />

menschliche Formen, einbeziehen - oder tierhafte / menschliche Gestalten könnten in<br />

pflanzliche Formen übergehen.<br />

Baum-Geister; Baumstämme in Analogie zu menschlicher Gestalt; das Laub der Bäume,<br />

Wesen verbergend.<br />

Metamorphose als die Verwandlung einer Pflanze in tierhafte oder menschliche Gestalt.<br />

Überlagerung / Verflechtung pflanzlicher mit tierhaften oder menschlichen Formen zu<br />

einem synchronen Bild.<br />

Einbeziehung lebloser Dinge in pflanzliche Metamorphosen.<br />

Q#<br />

• Quelle-A<br />

Tier/ Unschärfe/; Baumwelt_ES; TGF-2/4<br />

Quelle - Tatsache<br />

Die Begriffe “historische Quelle” <strong>und</strong> “geschichtliche Tatsache” müssen eng gefasst<br />

werden, damit für deren Interpretation die Spielräume weit geöffnet bleiben. •<br />

Historische Quellen sind “alle Zeichen <strong>und</strong> Gegenstände, aus denen geschichtliche<br />

Tatsachen methodisch erschlossen werden können”. •<br />

Geschichtliche Tatsachen sind “Sachverhalte, die für Menschen unbestreitbar oder<br />

unbestritten gegeben sind”.*<br />

* Einführung_91, 15f.; VBM.<br />

6.53


• Quelle-B<br />

Text - Quelle<br />

Ein Text, der aus alter Zeit überkommen ist, aber bisher von niemandem als<br />

Geschichtsquelle verwendet wurde, besteht potential als Geschichtsquelle. In einer<br />

späteren Gegenwart kann er als solche aktualisiert werden.* Seine historische<br />

Interpretation kann für diese Gegenwart Geschichte abwandeln.<br />

R#<br />

• ratlos<br />

* semiotisch_03.<br />

Diskurs/; Bedingungen_ES; Urk<strong>und</strong>enfälschung_S2<br />

Ratlosigkeit: Verhalten im Grenzbereich Virtualität - Aktualisierbarkeit / Aktualisierung.<br />

• Reduktion-A<br />

Reduktion der Komplexität eines Sachverhalts<br />

Reduktion ist die Minderung / Senkung der Komplexität eines Sachverhalts.<br />

Die der Welt / der Geschichte immanente Reduktion hat den Zweck, die übergroße Fülle<br />

eines Sachverhalts auf ein begreif- <strong>und</strong> darstellbares Maß einzuschränken. •<br />

Die der Welt / der Geschichte transzendente Reduktion bedenkt die Entlegenheiten<br />

jenseits eines Sachverhalts.<br />

• Reduktion-B<br />

Leeren der Welt / Meditation<br />

Die Annäherung an das Chaos erfordert, die Komplexität der Welt methodisch zu<br />

reduzieren.<br />

Diese Reduktion setzt die methodische Komplexion voraus.<br />

Die nahende Leere bleibt eine durch Möglichkeiten gefüllte Leere.<br />

6.54


• Reflexivität<br />

Ein Sachverhalt / eine Struktur bezieht sich auf sich selbst. •<br />

Ein Versuch, in der Flucht der Erscheinungen einen ruhenden Bezugspunkt zu schaffen,<br />

sich eines Rückhalts zu vergewissern.<br />

• retractationes<br />

Auf dem Rückweg begegnet er den Spuren seines Hinweges. Sie zu verstehen, bedarf es<br />

der Spurenlese.*<br />

* Augustin, Retractationes (um 427).<br />

NBM-1<br />

• Richtung<br />

Die Ausrichtung / das Ausgerichtetsein auf ein Ziel wird durch das Bedenken vieler / aller<br />

Himmelsrichtungen aufgehoben: der Charme der Windrose <strong>und</strong> ihrer Kommentierung,<br />

offene Weite.<br />

S#<br />

Ausrichtung/ Entrichtung-D/; TGF-5H<br />

• Sachverhalt<br />

Sachverhalte sind Beschaffenheiten von Lebewesen oder Gegenständen.<br />

Verhaltensweisen gehören zu den Beschaffenheiten mindestens der Lebewesen.<br />

Sachverhalte sind durch Menschen wahrgenommen oder wahrnehmbar (intuitiver Aspekt),<br />

erkannt oder erkennbar (begrifflicher Aspekt), ausgesagt oder aussagbar (sprachlicher<br />

Aspekt).<br />

Eine Aussage ist eine sprachliche Äußerung über einen Sachverhalt.<br />

• Scheitern<br />

Scheitern lässt höhere Weisheit erhoffen als Erfolg.<br />

6.55


• Schwermut<br />

Schwermut / Melancholie ist auf die Gegenwart (<strong>und</strong> die Zukunft) bezogen, Trauer auf die<br />

Vergangenheit. Gegensatz zu Freude / Sichfreuen auf ... / über ....<br />

• Sinn<br />

Sinn der Geschichte<br />

Die historischen Methoden haben bevorzugt das Ziel, Sachverhalte möglichst genau <strong>und</strong><br />

eindeutig zu erfassen - auch in ihren Beziehungen zueinander. Dies gelingt leichter, wenn<br />

es sich um einfache Sachverhalte handelt. Je komplexer Sachverhalte sind, desto weniger<br />

eindeutig sind sie zu bestimmen. Der einfache Sachverhalt ist in höherem Maße auf eine<br />

einzige Wirklichkeit zu beziehen, der komplexe Sachverhalt umgreift mehrere<br />

Wirklichkeiten <strong>und</strong> Möglichkeiten. Solange das Ziel der historischen Methoden ist, einen<br />

Sachverhalt mit höchster Eindeutigkeit zu erfassen, tendieren die historischen Methoden<br />

dazu, Komplexität zugunsten der Einfachheit eines Sachverhalts auszublenden.<br />

Traditionell beruht die Darstellung von Geschichte auf der - der Welt immanenten -<br />

Reduktion ihrer Komplexität. Die Virtualität der Welt <strong>und</strong> ihre Offenheit zu Chaos werden<br />

umgeformt zu Ordnung oder zu Sinnhaftigkeit der Geschichte.<br />

• Skizze<br />

Skizze als sprachliche Darstellungsform<br />

Eine lockere Form der Darstellung, an die nicht die Ansprüche einer Erzählung / einer<br />

Beschreibung / eines Versuchs zu stellen sind. Eine Sorte der Skizze ist die Verknüpfung<br />

von Assoziationen.<br />

Assoziation/ <strong>Storik</strong>-C/ unvollendbar/; FBwelt_ES; MKT; SKZ; TGF; VBM<br />

6.56


• Sonnenuntergang<br />

Sonnenuntergang - Sonnenaufgang<br />

Die Vorstellung, die Sonne gehe auf oder unter, ist eine subjektive Vorstellung des<br />

irdischen Beobachters - leichter von einem Weltbild her, das die Erde als Scheibe sieht,<br />

als von der Vorstellung der Erde als Kugel her zu realisieren.* Deshalb kehren auch<br />

neuzeitliche Autoren, deren kosmologische Kenntnisse außer Frage stehen, bisweilen zu<br />

der Vorstellung der Scheibe zurück - <strong>und</strong> es zeigt sich, dass diese Vorstellung die<br />

Phantasie anregen kann, indem sie den Zugang zu einer Welt eröffnet, die tiefer als die<br />

Erde hinabreicht.** Man denke auch an Japan als das “Land der aufgehenden Sonne”,<br />

auch an die Mitteilung Johannes’ von Plano Carpini über das Getöse, welches der<br />

Sonnenaufgang im äußersten Osten der irdischen Welt verursache,*** <strong>und</strong> an die<br />

altägyptischen Vorstellungen von der Nachtfahrt der Sonne.****<br />

• Spatium<br />

* “Der Mensch, der an die Erde glaubt als an die feststehende Scheibe unterm<br />

Himmel, der sieht <strong>und</strong> glaubt Aufgang <strong>und</strong> Untergang - <strong>und</strong> alle, fast alle Menschen<br />

glauben an die feste Scheibe! Die Sterne selbst wissen kein Auf <strong>und</strong> Unter.”<br />

(Hermann Hesse, Klingsors letzter Sommer). Erdgestalt-A_S1.<br />

** Beispiele: Anmerkung am Ende dieser Datei.<br />

*** Menestò_p, 263 (5, c. 16); Schmieder_p, 68.<br />

**** Erik Hornung, Die Nachtfahrt der Sonne. Eine altägyptische Beschreibung des<br />

Jenseits, 2. Aufl. 2005.<br />

Spatien sind Zeit-Räume, das heißt: zugleich Zeiten <strong>und</strong> Räume, gesehen / konstruiert<br />

aus der Sicht einer jeweiligen menschlichen Gegenwart <strong>und</strong> Gesellschaft.<br />

• Spur<br />

Ein genutzter Weg prägt sich der Erdoberfläche ein. Sie könnte, ihn umgreifend <strong>und</strong><br />

überwuchernd, seine Spuren vernichten. Überreste würden dennoch bleiben.<br />

6.57


#<br />

• <strong>Storik</strong>-A<br />

Die Historik, zumal die historische Topik, wird von mir auf die “<strong>Storik</strong>” konzentriert.<br />

Die <strong>Storik</strong> bedenkt die Methoden einer Geschichte in <strong>Varianten</strong>. Es geht um die für sie<br />

erforderlichen Denkweisen <strong>und</strong> um die aus ihnen erwachsenden Darstellungsweisen.<br />

• <strong>Storik</strong>-B<br />

Denkweisen/ Historik/ Variante/; SK1; ADW; VBM; NBM<br />

Die Versuche zur <strong>Storik</strong>, als Beiträge zu einer Geschichte in <strong>Varianten</strong>, mischen<br />

ausgearbeitete Texte mit Skizzen <strong>und</strong> Fragmenten. Diese Mischung entspricht einem<br />

Geschichtsbild, das nicht abgeschlossen, sondern in der Verfertigung begriffen ist - <strong>und</strong><br />

dies nicht allein für ein Menschenleben oder eine Generation.<br />

•<strong>Storik</strong>-C<br />

unvollendbar/; VBM; NBM<br />

Einige Assoziationen zu “<strong>Storik</strong>” zur Erläuterung dieses Begriffs<br />

• Geschichte<br />

Historik<br />

englisch “story”: Geschichte, Artikel, Märchen.<br />

Historik/ Geschichte-A/<br />

• Überlagerung<br />

englisch “story”: Stockwerk<br />

französisch “store”: Rollo, durchsichtige Gardine<br />

lateinisch “storea / storia”: (aus Stroh, Binsen) geflochtene Decke.<br />

Denkweisen-G/<br />

• Fülle<br />

englisch “store”: Lager, Kaufhaus, Menge, Fülle<br />

(mittelhochdeutsch stôre / storje: Menge, Gedränge, Auflauf).<br />

Fülle/<br />

• Wertung<br />

englisch “to set ... store by ...”: ... Wert legen auf ...<br />

Konstruieren/<br />

6.58


• Streben<br />

Streben - Warten<br />

Streben nach ... (dem Bekannten, dem Gesetzten, dem Vorgestellten).<br />

Warten auf ... (das Unbekannte).<br />

• stromaufwärts<br />

Fließen: Ein Fluss fließt bisweilen stromaufwärts (oder: zugleich stromab- <strong>und</strong> -aufwärts).<br />

Beispiele: die Unterelbe bei Flut; die Alster unterhalb der Fuhlsbüttler Schleuse bei<br />

sommerlicher Trockenheit. Man denke auch an die Bildung von Strudeln.<br />

• Strudel<br />

Strudel / Wirbel - Spirale<br />

Strudel, wie sie zum Beispiel an den Köpfen von Buhnen entstehen - gefährlich auch für<br />

geübte Schwimmer. •<br />

Strudel als Inbegriff vieler Richtungen (nicht: der Richtungslosigkeit).<br />

Spirale als eine geometrische Ordnung des Strudels.<br />

Eine Sonderform der Spirale: wachsende Ringe.<br />

Ein Stein, ins Wasser geworfen, erzeugt scheinbar / oberflächlich wachsende Ringe von<br />

Wellen. Was aber spielt sich unter der Wasseroberfläche ab?<br />

6.59


• Strukturierungsmittel<br />

Durch Zeichen als Kommunikationsmittel werden Beziehungen zwischen Menschen oder<br />

zwischen Menschen <strong>und</strong> Natur / Kosmos aufgebaut <strong>und</strong> dabei zugleich Verweisungen <strong>und</strong><br />

Abgrenzungen, Kommunikation <strong>und</strong> Segregation, bewirkt. Die Zeichen sind<br />

Kommunikations- <strong>und</strong> Segregationsmittel, das heißt Strukturierungsmittel.*<br />

* Einführung_91, 103ff.; semiotisch_03.<br />

Zeichen sind gestuft vom einfachen Ding als Gegenstand / Objekt bis zum komplexen<br />

Zeichengefüge.<br />

Sprachen <strong>und</strong> Techniken als Strukturierungsmittel Verfügungsgewalt-G_S3<br />

Indem ein Ding für Lebewesen als Gegenstand erscheint, wird es zeichenhaft <strong>und</strong> kann<br />

als Strukturierungsmittel dienen.*<br />

* Fels_12.<br />

Beispiele für Dinge als Strukturierungsmittel:<br />

eine Erdscholle als Symbol bei der Übergabe eines Gr<strong>und</strong>stücks;<br />

ein Stein als Grenzstein;<br />

ein gegen jemanden geworfener Stein;<br />

ein gegen jemanden gezücktes Schwert;<br />

ein Geschenk / ein Almosen;<br />

ein Zahlungsmittel;<br />

ein Handelsgut.*<br />

* Agrargeschichte_S2.<br />

6.60


#<br />

• Subsistenz-A<br />

Subsistenz als wirtschaftlich-politische Lage<br />

Subsistenz ist eine wirtschaftlich-politische Lage, die ein auskömmliches Dasein <strong>und</strong> eine<br />

angemessene Selbstbestimmung von Menschen erfordert.<br />

Subsistenz als das auskömmliche, weniger zu Verfügungsgewalt (wirtschaftlichem<br />

Reichtum / politischer Macht) als zu Not / Armut geöffnete Dasein eines oder mehrerer<br />

Menschen; Subsistenz als das Erhaltens- <strong>und</strong> Gewinnenswerte, Not / Armut als das<br />

Einzuschränkende.<br />

Subsistenz als die aktualisierte <strong>und</strong> aktualisierbare Fähigkeit des Menschen, einzeln <strong>und</strong><br />

in Kleingruppen ohne Not zu leben, Makrostrukturen zu beeinflussen, Beziehungen nach<br />

seinem Ermessen <strong>und</strong> in Verantwortung gegenüber den anderen Menschen auf- <strong>und</strong><br />

abzubauen.<br />

Subsistenz ist eingeschränkt durch ihre Angemessenheit im Hinblick auf die Existenz<br />

anderer Wesen - nicht allein der Menschen.<br />

6.61


• Subsistenz-B<br />

Subsistenz / Subsistenztheorie<br />

Die Aktualisierbarkeit <strong>und</strong> Aktualisierung der Subsistenz, als einer Kategorie der<br />

sozialgeschichtlichen Beschreibung, könnte geeignet sein, als ein Maßstab einer<br />

Beurteilung von Verfassungen zu dienen.*<br />

* Denkweisen-K/ Verfassung/<br />

Subsistenz als wirtschaftlich-politische Lage ist im Spektrum Not - Verfügungsgewalt zu<br />

sehen <strong>und</strong> mit den Kategorien des Alltags zu konkretisieren.*<br />

* Alltag-A/.<br />

Subsistenz ist der aktualisierte Unterstand, der Überstieg ermöglicht.*<br />

Aspekte der Subsistenz in diesem Sinne sind: Freiheit <strong>und</strong> Frieden, Gerechtigkeit <strong>und</strong><br />

Würde.**<br />

* Überstieg_A. ** Freiheit/ Frieden/ Gerechtigkeit/<br />

Subsistenz aufzubauen, zu erhalten, wiederherzustellen, erfordert ein Handeln, das aus<br />

Demut <strong>und</strong> Mitleiden erwächst. Verfügungsgewalt hat diesem Handeln zu dienen.<br />

Subsistenz-C_S3; Verfügungsgewalt_A; Humanität/ Demut/ Mitleiden/<br />

Subsistenz als Kategorie der Humanität weist auf Unterstand <strong>und</strong> Überstieg <strong>und</strong> -<br />

menschliche Verhältnisse übergreifend, Tiere, Pflanzen <strong>und</strong> Dinge einbeziehend - auf<br />

Mergie.*<br />

* Überstieg-C/; NBM-3.<br />

6.62


• Synchronie<br />

Es ist auch an historische Darstellungen zu denken, welche die übliche chronologische<br />

Achse der Geschichtsdarstellung preisgeben <strong>und</strong> das Einbezogensein der Vergangenheit<br />

<strong>und</strong> der Erwartungen an die Zukunft in die Gegenwart, also die Synchronie der Welt,<br />

betonen.* Alle Geschichten haben teil an mindestens einer Gegenwart. In ihrer<br />

Synchronie gehen sie auf; jedoch bleibt die Variabilität der Geschichten als Möglichkeit<br />

bestehen.<br />

* semiotisch_03.<br />

“Gleichaltrig uns ist alles, was wir denken.”*<br />

• System<br />

* Oskar Loerke, Die Erschaffung der Insel.<br />

System / Gefüge / Systemtheorie<br />

Das System ist ein Konstrukt, das geeignet ist, Komplexität, Komplexion <strong>und</strong> Reduktion<br />

darzustellen.<br />

Ein System soll bestimmt sein durch:<br />

die Verweisungen im System,<br />

die Abgrenzungen im System,<br />

die Abgrenzungen gegen die Umwelt des Systems,<br />

die Verweisungen auf die Umwelt des Systems,<br />

die Verweisungen auf Entlegenheiten,<br />

die systemsetzenden Werturteile.<br />

Letztlich durch die systemsetzenden Werturteile zeigt sich das System als Einheit, <strong>und</strong><br />

zwar als eine konstruierte <strong>und</strong> konstruierbare Einheit.<br />

Ein System ist durch eine Grenze von seiner Umwelt geschieden. Eine unendliche Welt ist<br />

kein System. In seinem Inneren ist ein System durch Verweisungen zu einer Einheit<br />

verb<strong>und</strong>en, durch Abgrenzungen in seiner Geschlossenheit beschränkt. Auch die<br />

Außengrenzen des Systems werden durch Verweisungen, die aus dem System in seine<br />

Umwelt <strong>und</strong> aus ihr in das System verlaufen, durchbrochen <strong>und</strong> aufgelockert.<br />

6.63


Entlegenheiten sind nicht mit dem System verknüpft, können aber erahnbar sein <strong>und</strong><br />

insofern zur Sinnstiftung des Systems beitragen. Entlegenheiten lassen sich vom System<br />

her nicht abwandeln. Aber Abwandlungen des Systems können sich der Entlegenheiten<br />

bedienen. •<br />

Entlegenheit schließt eine Distanz ein. Daher kann <strong>und</strong> muss sich ein System nicht von<br />

Entlegenem abgrenzen. Umwelt ist dem zugehörigen System nahe <strong>und</strong> muss daher von<br />

ihm abgegrenzt sein.<br />

entlegen/ Überstieg-C/<br />

Abgrenzungen <strong>und</strong> Verweisungen Humanität-C/ Komplexion/ Natur-B/<br />

Strukturierungsmittel/<br />

Der Verdeutlichung der Abgrenzungen, Verweisungen <strong>und</strong> Entlegenheiten können auch<br />

die Vorstellungen von Ausrichtung <strong>und</strong> Entrichtung dienen, die das Verhältnis Welt /<br />

Geschichte zu Chaos andeuten sollen.<br />

Ausrichtung/ Entrichtung/<br />

Das System ist ein konstruierter oder konstruierbarer Sachverhalt. •<br />

Abgegrenzte Bereiche innerhalb eines Systems können als seine Elemente oder<br />

Teilsysteme beschrieben werden. •<br />

Das System kann eine einzelne Person oder mehrere Menschen / Menschengruppen,<br />

auch Tiere, Pflanzen, Materie / Energie sowie Strukturierungen durch Kommunikation <strong>und</strong><br />

Segregation einbeziehen.<br />

Die Einheit des Systems stellt sich als beschränkt <strong>und</strong> zerstörbar dar.*<br />

* Beziehung\ Denkweisen-K/ Komplexion/ Konstruieren/ Nahen/ Orientbild/<br />

Strukturierungsmittel/ Überstieg-C/ Verhaltensweise/ Wandel-B/ Weltbild/ Welten/;<br />

Agrargeschichte_S2; Arbeiten_GH; exzentrisch-H_GH; GVN; LBS; Metapher_AD;<br />

Stadt-A_LS; Weltchronistik_S2; Bedingungen_77; Accipe_83; Stadt_87;<br />

Stadtbeschreibungen_88; Aufstände_89; Einführung_91; semiotisch_03. •<br />

Der vorstehende systemtheoretische Aufriss ist angeregt durch Schriften von Niklas<br />

Luhmann, ist aber von mir, besonders für die Darstellung mittelalterlicher<br />

Geschichte, abgewandelt. •<br />

Natur als nichtmenschliche Natur / als Umwelt des Menschen Natur\<br />

6.64


T#<br />

• Tier<br />

Tiergestaltige Götter <strong>und</strong> Menschen (einschließlich der Mischformen mit tierhaften<br />

Anteilen):<br />

Es fällt Menschen schwer, sich “Gott” als ein abstraktes Wesen vorzustellen - daher wird<br />

eine Zwischenwelt, die der Engel / Boten <strong>und</strong> der Heiligen, ausgestaltet.<br />

Die Pluralität tiergestaltiger Götter - wie in Altägypten <strong>und</strong> im Hinduismus - scheint eine<br />

Form der Konkretisierung, welche Tiere als Lebewesen - auch Tierhaftes am Menschen -<br />

ernst nimmt.* •<br />

Philosophen, die sich Haustiere hielten, konnten die personalen Eigenheiten von Tieren<br />

deutlicher bedenken - etwa Arthur Schopenhauer <strong>und</strong> Jacques Derrida.<br />

* Humanität-C/; Tiere_ML; vgl. tierhaft_AS.<br />

Die erahnte Durchlässigkeit zwischen Mensch <strong>und</strong> Tier, auch genetisch zu verstehen, der<br />

Übergang in Form der Verwandlung, erscheint in der sagen- <strong>und</strong> märchenhaften Tradition:<br />

bedrohlich für die Humanität (z. B. Werwolf), die menschliche Existenz vernichtend (z. B.<br />

Vampir) oder auf Erlösung aus der tierhaften Existenz gerichtet (z. B. Prinz als Frosch).<br />

Pflanze/; TGF-2D<br />

Der Mensch hat mit dem Tier (<strong>und</strong> der Pflanze?) das Leiden gemeinsam.*<br />

• Traum<br />

* Seel_t, nr. 103.<br />

Durch Schlaf <strong>und</strong> Traum reduzieren Lebewesen die Ausrichtung der Welt, in welche sie<br />

eingeb<strong>und</strong>en sind, <strong>und</strong> nähern sich dem Chaos. Träume verknüpfen verfremdend: das<br />

scheinbar Nahe <strong>und</strong> Ferne, das scheinbar Erinnerte, Vergessene, Erahnte.*<br />

Insofern sind Träume (französisch “rêves”) einer Welt Kehrseite (spanisch “revés”).<br />

* Seel_t, nr. 206, 229.<br />

6.65


U#<br />

• Überstehen-A<br />

Überstehen - Übersteigen - Vergehen<br />

Das irdische Leben, nicht nur das menschliche, ist hingeordnet auf das Überstehen. Nur<br />

wenn es gelingt, Nöte <strong>und</strong> Krisen zu überstehen, ihre Existenzbedrohung abzuwenden,<br />

dauert das irdische Leben fort.<br />

Mitleiden/<br />

Darüber hinaus ist das irdische Leben auf die Erfüllung bestimmter Formen <strong>und</strong> auf die<br />

Erreichung bestimmter Ziele angelegt. Diese sind gattungs-/artspezifisch <strong>und</strong> können in<br />

unterschiedlichem Maße, mehr oder weniger vollkommen, verwirklicht werden. Dieses<br />

Streben, Formen zu erfüllen oder Ziele zu erreichen, wird hier als Überstieg / Übersteigen<br />

bezeichnet - Übersteigen nämlich eines unteren oder mittleren Standes.<br />

Überstieg/<br />

Schließlich ist das irdische Leben durch sein Hingeordnetsein auf das Vergehen<br />

bestimmt. Das Vergehen folgt nicht auf das Leben; sondern das Leben hat allezeit Anteil<br />

am Vergehen, wie dieses an jenem.<br />

Überstehen_SK<br />

• Überstieg-A<br />

Überstieg / Übersteigen* - Stufungen<br />

Bei der Ausgestaltung von Möglichkeiten** entstehen Stufungen des Verhaltens - im<br />

Bereich der Materie / Energie, der Pflanzen, der Tiere, der Menschen.<br />

* “-stieg” kann “-steigen” bedeuten; vgl. Aufstieg, Abstieg.<br />

** GVN.<br />

6.66


• Überstieg-B<br />

Überstieg / Transzendieren<br />

Wesen übersteigen, indem sie danach streben, Formen zu erfüllen oder Ziele zu<br />

erreichen, für begrenzte Zeit einen unteren oder mittleren Stand. •<br />

Diese Formen <strong>und</strong> Ziele sind gattungs-/artspezifisch.<br />

Subsistenz-B/; Überstieg-E_S3<br />

Übersteigern ist depravierter Überstieg.<br />

• Überstieg-C<br />

Überstieg <strong>und</strong> Unterstand<br />

Versuche des Überstiegs / Übersteigens sind dem Wogen eines Meeres zu vergleichen.<br />

Die den Meeresspiegel übersteigenden Wellen fallen auf ihn als den Unterstand zurück -<br />

können ihn sogar unterschreiten. •<br />

Aber auch, um die Metapher der Richtung zu erweitern: Versuche des Überstiegs /<br />

Übersteigens sind einer spezifischen Art des HInaufsteigens oder des Hinabsteigens, des<br />

Auf- oder des Eintauchens zu vergleichen.<br />

Mergie\;* NBM-3<br />

* Zu der Wortbildung “Mergie” vgl. “Materie / Energie” <strong>und</strong> lateinisch mergere,<br />

emergere, immergere.<br />

Aus Systemen folgt der Überstieg Verweisungen auf deren Umwelt, kann sich auch an<br />

Entlegenheiten ausrichten. •<br />

Der erschwerte Durchstieg, gleichsam das Durchqueren eines Nadelöhrs, kann eine Form<br />

des Überstiegs sein.<br />

TGF-3F<br />

6.67


• Überstieg-D<br />

Überstieg / Übersteigen - Wertungen<br />

Mindestens für Lebewesen / Menschen ist regelhaft ein Überstieg erforderlich, der durch<br />

Unterstand / Subsistenz* eingeschränkt / gezügelt ist - durch Verhaltensmuster, welche<br />

das Überstehen der Gattung / Art sichern.<br />

* Vgl. NBM-3.<br />

In den höchsten erreichten / erreichbaren, derart eingeschränkten / gezügelten Stufen des<br />

Überstiegs mag für einige Zeit sichtbar werden, was Vollkommenheit der Lebewesen /<br />

Menschen bedeuten könnte.<br />

vollkommen_S3<br />

• unbekannt<br />

Das Unbekannte: ein Gesang feiner als der eines Sommergoldhähnchens. Ihn<br />

wahrzunehmen, bedarf der Achtsamkeit.<br />

6.68


• Unschärfe-A<br />

unscharf betrachten<br />

Die Unschärfe des Betrachtens<br />

ist<br />

die Unschärfe des Betrachteten<br />

ist<br />

Zweigen_ES<br />

die Unschärfe des Betrachters.<br />

Die Unschärfe des Baumes wie des Flusses<br />

besteht in seinen Beschaffenheiten<br />

besteht in deren Wirkung auf den Betrachter.<br />

Das Blickfeld des Menschen<br />

erzeugt<br />

Schärfe <strong>und</strong> Unschärfe.<br />

Das Überstehen zu sichern<br />

erfordert Konzentration auf die Schärfe<br />

erfordert Beachtung der Unschärfe.<br />

6.69


• Unschärfe-B<br />

Wahrscheinlichkeiten<br />

In der Wahrscheinlichkeit, mit der eine von mehreren Möglichkeiten eines Geschehens /<br />

der Entscheidung eines Lebewesens aktualisiert werden wird, kann Unschärfe bleiben.<br />

Ding<br />

Ein Stein auf der Kippe - unentschieden, ob er am Rande eines Abhangs liegen bleibt<br />

oder ihn hinabstürzt. Es mag ein Spielraum bleiben, welche der Möglichkeiten aktualisiert<br />

wird.<br />

Fluss<br />

Ein Fluss, auf Hindernisse stoßend - unentschieden, wie er sie umgeht. Es mag ein<br />

Spielraum bleiben, wie er sie umgehen wird.<br />

Baum<br />

Sprießende Wurzeln <strong>und</strong> Zweige eines Baumes - unentschieden, in welche Richtung<br />

genau sie sich bewegen werden. Es mag ein Spielraum bleiben, wie er welche<br />

Ressourcen (Licht <strong>und</strong> Luft, Feuchtigkeit <strong>und</strong> Nährstoffe) nutzen wird.<br />

Tier<br />

Ein Tier auf der Jagd - unentschieden, ob es dem einen oder dem anderen erjagbaren<br />

Tier folgt. Es mag ein Spielraum bleiben, welchem der Tiere es nachsetzen wird. -<br />

Buridans Esel müsste nicht verhungern.<br />

Mensch<br />

Erst recht der Mensch: hin <strong>und</strong> her denkend zwischen Möglichkeiten, die sich nicht als<br />

Wahrscheinlichkeiten errechnen lassen. Er mag sich zwischen etwa gleich wichtigen,<br />

gleich gewichtigen Alternativen entscheiden.*<br />

* Zum widerwilligen Handeln vgl. französisch “à contrecœur”.<br />

Bei etwa gleich gewichtigen Alternativen / bei Wahrscheinlichkeiten um 50% / bei einem<br />

Entweder - Oder lassen die Unschärfen des Geschehens / der Entscheidung die Welt /<br />

die Geschichte unkalkulierbar werden.*<br />

* TGF-1B/4B.<br />

6.70


Man vergleiche zu diesen Vermutungen über Makrostrukturen: im Bereich der<br />

Mikrostrukturen die Vorstellungen der Quantenmechanik.<br />

MKT: Vorbemerkung; Geschichten_GV<br />

Die Welt / Geschichte erscheint nicht schlechthin durch eindeutige Ursachen oder Ziele<br />

bestimmt; sondern sie ist zu Ungewissheiten geöffnet.<br />

Der Mensch, der planend handelt oder konstruierend denkt, setzt Regeln voraus, die<br />

sicher oder mit hoher Wahrscheinlichkeit gelten oder zu gelten scheinen, zum Beispiel die<br />

Wirksamkeit von Prinzipien der Triviallogik, die Geltung naturwissenschaftlicher Gesetze,<br />

das Funktionieren kausaler Zusammenhänge. Aber Ordnungen, welche diese Regeln<br />

übersteigen <strong>und</strong> umgreifen, können durch sie nicht gewährleistet werden. Diese<br />

Diskrepanz zwischen Regeln <strong>und</strong> vorauszusetzenden Ordnungen zeigt sich darin, dass<br />

Regeln in ihren Grenzbereichen, sowohl in Mikro- als auch in Makrostrukturen, unscharf<br />

werden.<br />

Allerdings scheinen diese Ungewissheiten <strong>und</strong> Unschärfen nicht beliebig zu sein, sondern<br />

sich innerhalb eines Bereichs von Rahmenbedingungen zu bewegen, welche dieser Welt /<br />

Geschichte eigen sind - wie die Äste eines Baumes, die Ströme eines Flusses.<br />

In einer anderen Welt gelten diese Rahmenbedingungen nicht oder nicht notwendig; im<br />

Chaos sind sie hinfällig.<br />

6.71


• unvollendbar<br />

Es gibt Werke, die unvollendbar sind. Je mehr ein Autor seine Welt insgesamt zu<br />

beschreiben versucht, desto wahrscheinlicher ist die Unvollendbarkeit seines Werkes.*<br />

Beispiele für derartige Werke, die dennoch vollendet wurden, sind etwa: Augustins Schrift<br />

über den Gottesstaat (“De civitate Dei”); die Göttliche Komödie (“La divina commedia”)<br />

von Dante Alighieri; Arthur Schopenhauer, “Die Welt als Wille <strong>und</strong> Vorstellung”. Im 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert - wohl nicht nur wegen dessen politischer Schrecknisse - mehren sich<br />

unvollendete Werke dieser Art, zum Beispiel: Walter Benjamins “Passagen-Werk”, die<br />

“Philosophischen Untersuchungen” von Ludwig Wittgenstein, auch der Roman “Der Mann<br />

ohne Eigenschaften” von Robert Musil.<br />

* Leiris, Journal, zum 26.9.1966.<br />

Die Welt scheint sich zunehmend in vielfältige Fragmente zu zersetzen, in Aspekte einer<br />

Landschaft, die nur noch in einer “Menge von Landschaftskizzen”* darzustellen ist. •<br />

Auch das Unvollendbare / Unvollendete kann auf seine Art vollendet sein. Die Würde des<br />

Fragments. •<br />

“nur wer die unattraktivität des fragmentarischen wählt, scheint mir noch glaubwürdig”.**<br />

V#<br />

* Wittgenstein_u, 566, 742.<br />

** Gerstl_n, 148. Vgl. Walter Erhart, Wolfgang Koeppen. Das Scheitern moderner<br />

Literatur, 2012.<br />

• Variabilität<br />

Variabilität geschichtlicher Sachverhalte<br />

Die Variabilität wächst, je komplexer der geschichtliche Sachverhalt ist. Die Variabilität<br />

eng umrissener Ereignisse ist unter Umständen auf eine Alternative beschränkt: Eintreten<br />

oder Nichteintreten des Ereignisses. Bei komplexen Sachverhalten ist zu unterscheiden<br />

zwischen <strong>Varianten</strong>, deren Eintreten mehr oder weniger wahrscheinlich, aus der Sicht der<br />

jeweiligen Gegenwart mehr oder weniger aktualisierbar ist. Zu bedenken ist aber auch:<br />

Das Unwahrscheinliche kann aktualisiert werden.<br />

Kanalisierung-A/ Synchronie/; Humanität-A/ Mondialität/; GVN<br />

6.72


• Variante-A<br />

Variationen / Abwandlungen der Geschichte beruhen auf Reflexionen über Sachverhalte<br />

hinsichtlich der in ihnen enthaltenen Wirklichkeiten <strong>und</strong> Möglichkeiten <strong>und</strong> zielen auf eine<br />

Geschichte in <strong>Varianten</strong>.*<br />

* Zu “Variation”: Seel_t, nr. 50.<br />

Anderes/<br />

• Variante-B<br />

Geschichte besteht in Geschichten. Die hohe, beliebig große, wenn auch nicht notwendig<br />

unendliche Zahl der <strong>Varianten</strong> lässt Geschichte als eine Vielfalt aufeinander bezogener<br />

Geschichten erscheinen. •<br />

Die Geschichte ist nicht eindimensional. Geschichte ist, Geschichten sind in <strong>Varianten</strong><br />

ihrer Verläufe darstellbar. Das Denken in einer Mehrzahl historischer <strong>Varianten</strong> stellt die<br />

Eindimensionalität geschichtlicher Verläufe methodisch in Frage. Jenseits der darge-<br />

stellten Geschichte liegt noch viel Neuland darstellbarer Geschichten.*<br />

* Bedingungen_77; semiotisch_03. Zu den narrativen Aspekten der<br />

Darstellungsweise: Paul Ricœur, a) Temps et récit / Zeit <strong>und</strong> Erzählung, 1-3,<br />

1983-1985 / 1988-1991; b) Soi-même comme un autre / Das Selbst als ein<br />

Anderer, 1990 / 1996; Schmidt_f, 73ff.<br />

Eine Geschichte in <strong>Varianten</strong> bezieht viele Darstellungsformen <strong>und</strong> -möglichkeiten ein.<br />

Geschichten sind nicht allein als Erzählungen darstellbar. •<br />

In einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> überlagern sich aktuale / aktualisierte Geschichte <strong>und</strong><br />

aktualisierbare / virtuelle Geschichten.<br />

Die <strong>Varianten</strong> der Geschichte bestehen nicht nur in der Vielfalt ihrer Wandlungen <strong>und</strong><br />

Abwandlungen, sondern auch in der Spannweite, die über sie hinausführt: zu<br />

Entlegenheiten der Geschichte.<br />

entlegen/<br />

6.73


• Variante-C<br />

Die Feinheit der Mikrostrukturen, die Bedeutung der Mikrogeschichten für die Makro-<br />

geschichte zu erkennen, erfordert Achtsamkeit.<br />

“Immer mehr erscheint mir das, was für das Eigentliche gehalten wird, als das<br />

Uneigentliche. Fragwürdig geworden ist mir die Möglichkeit der Unterscheidbarkeit<br />

zwischen Eigentlichem <strong>und</strong> Uneigentlichem - als spiele das Eigentliche sich in einer<br />

Fußnote ab [...].”*<br />

* Friederike Roth, Ordnungsträume. Eine Erzählung, 1979, 20.<br />

Geschichte “entsteht nicht von einem Zentrum her, sondern von der Peripherie. Aus<br />

kleinen Ursachen. Wahrscheinlich gehört gar nicht so viel dazu, wie man glaubt, um aus<br />

dem gotischen Menschen oder dem antiken Griechen den modernen Zivilisations-<br />

menschen zu machen. Denn das menschliche Wesen ist ebenso leicht der<br />

Menschenfresserei fähig wie der Kritik der reinen Vernunft; es kann mit den gleichen<br />

Überzeugungen <strong>und</strong> Eigenschaften beides schaffen, wenn die Umstände danach sind,<br />

<strong>und</strong> sehr großen äußeren Unterschieden entsprechen dabei sehr kleine innere.”*<br />

* Musil_m, 360f. [zuerst 1930]; vollkommen_S3.<br />

• Variante-D<br />

<strong>Varianten</strong> einer Autobiographie<br />

Wie ein Maler Selbstbildnisse, so kann ein Schriftsteller seine Autobiographie in <strong>Varianten</strong><br />

hervorbringen. Beispiele sind Schriften von Michel Leiris* <strong>und</strong> Jean Paul.**<br />

* Michel Leiris, a) L’âge d’homme, Paris 1939, 2., erw. Aufl. Paris 1946, b) Journal<br />

1922-1989, éd. Jean Jamin, Paris 1992, c) La règle du jeu, 1-4: Biffures / Fourbis /<br />

Fibrilles / Frêle Bruit, Paris 1948-1976;<br />

deutsche Übersetzungen: a) Mannesalter, übers. v. Kurt Leonhard, 1963 / 1975, 5.<br />

Aufl. 1994 (Bibliothek Suhrkamp 427);<br />

b) Tagebücher 1922-1989, übers. v. Elfriede Friesenbiller / Chantal Niebisch, Graz /<br />

Wien 1996; c) Die Spielregel, 1-4: Streichungen / Krempel / Fibrillen / Wehlaut,<br />

übers. v. Hans Therre, 1982-1999.<br />

** Jean Paul, Lebenserschreibung. Veröffentlichte <strong>und</strong> nachgelassene<br />

autobiographische Schriften, hg. v. Helmut Pfotenhauer / Thomas Meißner, 2004.<br />

6.74


• Variante-E<br />

Mathematisierte <strong>Varianten</strong><br />

In der Musik <strong>und</strong> in der bildenden Kunst sind auch Variationen von mathematischer<br />

Genauigkeit möglich. Variationen der Welt / Geschichte lassen eine solche Genauigkeit<br />

nur in engen Grenzen zu, zum Beispiel bei statistischen Erwägungen,* ansatzweise auch<br />

in dialektischen Konstruktionen.** Eine Mathematisierung der Welt / Geschichte<br />

insgesamt scheint nicht möglich.<br />

* Beispiel: Kolonisation_LS: Überlegungen zu “Bewegung”.<br />

** Beispiel: Weltchronistik_S2.<br />

• Verfassung<br />

Verfassung als das menschliche Verhalten von langer Dauer zu Sozialstrukturen - als<br />

Gesellschaft unter dem Aspekt der langen Dauer:<br />

insofern es Sozialstrukturen beibehält oder verändert, Freiheiten mehrt oder mindert,<br />

Friedenschancen senkt oder steigert.<br />

Verfassung als die angemessene Ausgestaltung der Subsistenz <strong>und</strong> der Verfügungs-<br />

gewalt.<br />

Subsistenz_A; Verfügungsgewalt-B/<br />

6.75


#<br />

• Verfügungsgewalt-A<br />

Verfügungsgewalt ist das wirtschaftliche <strong>und</strong> politische Verhalten von Menschen, insofern<br />

es die Subsistenz übersteigt.<br />

Verfügungsgewalt ist die Subsistenz übersteigende Chance,<br />

Erträge zu nutzen <strong>und</strong> Verhaltensweisen zu beeinflussen,<br />

nämlich:<br />

menschliche Leistungen <strong>und</strong> / oder wirtschaftliche Güter zu nutzen <strong>und</strong> insoweit<br />

Verhaltensweisen von Menschen zu beeinflussen<br />

oder:<br />

Verhaltensweisen von Menschen zu beeinflussen <strong>und</strong> insoweit menschliche Leistungen<br />

<strong>und</strong> / oder wirtschaftliche Güter zu nutzen.<br />

Subsistenz_A; Verfügungsgewalt_A<br />

• Verfügungsgewalt-B<br />

Verfügungsgewalt - Wertungen<br />

Verfügungsgewalt muss im Hinblick auf die Existenz anderer Wesen (nicht allein der<br />

Menschen) angemessen sein.<br />

Träger von Verfügungsgewalt müssen sich als Mit-Wirkende <strong>und</strong> Teil-Habende verstehen.<br />

Demut ist der Angemessenheit der Verfügungsgewalt förderlich.<br />

Demut/ Verfassung/<br />

6.76


• Verfügungsgewalt-C<br />

Verfügungsgewalt über Verfügungsgewalt (reflexive Verfügungsgewalt)<br />

Verfügungsgewalt über Verfügungsgewalt ist die Verfügungsgewalt übersteigende<br />

Chance,<br />

Verhaltensweisen von Trägern von Verfügungsgewalt koordinierend zu beeinflussen <strong>und</strong><br />

insoweit an den Erträgen der menschlichen Leistungen<br />

<strong>und</strong> / oder<br />

an wirtschaftlichen Gütern, die von diesen Trägern von Verfügungsgewalt genutzt werden,<br />

teilzuhaben.<br />

Reflexive Verfügungsgewalt sollte im Hinblick auf die Existenz anderer Träger von<br />

Verfügungsgewalt angemessen sein. Missbräuchlich erworbene / genutzte reflexive<br />

Verfügungsgewalt kann von den ihr Unterworfenen unverhältnismäßíg hohe Leistungen<br />

erzwingen; dies kann Verlust der Verfügungsgewalt <strong>und</strong> der Subsistenz nach sich ziehen.<br />

Gerechtigkeit/ Reflexivität/; Verfügungsgewalt-D_S1<br />

6.77


• Vergleich<br />

Vergleichende Darstellung<br />

Die Beschreibung eines Sachverhalts enthält immer auch Elemente eines Vergleichs.<br />

Dessen Anteil ist unterschiedlich ausgeprägt.<br />

• Vergleichende Darstellung mehrerer Gegenwarten / Spatien<br />

Für Gegenwarten werden die folgenden Abkürzungen verwendet:<br />

G1: die Gegenwart des Betrachters der Geschichte;<br />

G2, G3 ..., Gn: frühere, damals als Gegenwarten verstandene oder verstehbare Spatien.<br />

Werden die Spatien G2 <strong>und</strong> G3 in einer Darstellung aufeinander bezogen, ist dies ein<br />

Vergleich zwischen G2 <strong>und</strong> G3 mit Rückbezug auf G1.<br />

Der Rückbezug auf G1 beruht auf der - meist stillschweigenden - Verwendung von<br />

Kategorien, die sich aus dem gedanklich-sprachlichen Kontext des Geschichtsbetrachters<br />

ergeben. Methodisch ausgestaltet wird dieser Kontext im bewussten Einsatz von<br />

Konstruktionen / Theorien.*<br />

* Entsprechung/ System/.<br />

In den Vergleich zwischen G2 <strong>und</strong> G3 einbezogen werden kann auch das Spatium<br />

zwischen G2 <strong>und</strong> G3; es erscheint insofern analog einer Gegenwart.*<br />

* Beispiel: Sachsenrecht_91.<br />

Auch das Spatium zwischen G1 <strong>und</strong> G2 oder G3 kann in den Vergleich einbezogen<br />

werden; es erscheint als Ausdehnung von G1 oder analog einer zusätzlichen Gegenwart.*<br />

* Beispiel: Aufstände_89; vgl. Gedenken-A_S2.<br />

• Darstellung eines Spatiums (vorausgesetzt: vergleichende Einbeziehung anderer<br />

Spatien)<br />

Wird allein das Spatium G2 dargestellt, ist dies zwar kein methodischer Vergleich mit<br />

einem anderen Spatium; aber mindestens wirkt G1 ein, regelmäßig sind auch andere<br />

Spatien im Blick, sind also Elemente eines Vergleichs vorausgesetzt.<br />

Die Komplexität des Spatiums G2, seine aktuale oder potentiale Vielfalt kann von G1 aus<br />

bewusst thematisiert werden.* Auch Unschärfen der Überlieferung können von G1 aus zur<br />

Komplexion genutzt werden.**<br />

* Beispiele Wirtschaft_GF. ** Beispiel: Prozess_80; vgl. Regalien_LE.<br />

6.78


• Aussagen über weite Spatien (aufgr<strong>und</strong> des Vergleichs mehrerer Spatien)<br />

Den Vergleichen nahe stehen Aussagen, die weite Spatien, auch den Gesamtverlauf der<br />

Geschichte zum Gegenstand haben. Diese Aussagen berücksichtigen aspekthaft<br />

Meinungen des Aussagenden über mehrere Spatien, in jedem Falle auch über G1 - <strong>und</strong><br />

können extrapolierend Zukünfte einbeziehen.*<br />

* Bedingungen_ES.<br />

All diese Strukturbeschreibungen <strong>und</strong> -vergleiche berücksichtigen, um praktikabel zu<br />

bleiben, aus der Vielzahl der möglichen <strong>Varianten</strong> von Sachverhalten nur einige wenige,<br />

blenden also die Skala der <strong>Varianten</strong> aus.* Die Auswahl der <strong>Varianten</strong> wirft Licht <strong>und</strong><br />

Schatten auf G1, auf die Gegenwart des jeweiligen Betrachters der Geschichte.<br />

* Vgl. Gerstl_s, 7/96.<br />

Assoziation/ Entsprechung/ Komplexität/ Metapher/; ESP; SKZ; Zweigen_AD<br />

• Verhaltensnorm<br />

Menschliche Verhaltensweisen - Verhaltensnormen - Rechtsnormen<br />

Menschliche Verhaltensweisen werden durch Verhaltensnormen überhöht. Rechtsnormen<br />

sind gerichtsfähige Verhaltensnormen.<br />

Zwischen Verhaltensweisen <strong>und</strong> Verhaltensnormen besteht ein schwer durchschaubares<br />

Geflecht von Aktualität <strong>und</strong> Virtualität. Zu vermuten ist: Verhaltensnormen sind umso<br />

virtueller, je weniger sie kontrolliert oder kontrollierbar sind; <strong>und</strong>: Verhaltensnormen sind<br />

umso virtueller, je abstrakter sie begründet werden - zum Beispiel durch Rückgriff auf ius<br />

gentium - ius naturale - ius divinum oder auf Weltbilder.<br />

6.79


• Verhaltensweise-A<br />

Verhaltensweisen - Gesellschaftsformen - Mentalitäten<br />

Verhaltensweisen sind Tun <strong>und</strong> Unterlassen, Erleiden, Fühlen <strong>und</strong> Denken.<br />

Soziale Verhaltensweisen sind Verhaltensweisen zwischen Individuen oder<br />

gesellschaftlichen Gruppen.<br />

Eine Gesellschaftsform ist ein Aspekt einer Gesellschaft, zum Beispiel Handel,<br />

Wissenschaft, Stadt. Gesellschaftsformen lassen sich als Gefüge / Systeme sozialer<br />

Verhaltensweisen beschreiben.<br />

Mentalitäten sind Dispositionen der Verhaltensweisen von Individuen oder<br />

gesellschaftlichen Gruppen: lang dauernde Neigungen, einem bestimmten Tun oder<br />

Unterlassen, Fühlen oder Denken zu folgen.<br />

Menschliche Verhaltensweisen werden durch Verhaltensnormen überhöht.<br />

Menschliche Mentalitäten <strong>und</strong> Verhaltensnormen sind in Weltbilder einbezogen.<br />

• Verhaltensweise-B<br />

Verhaltensweisen / Sitten<br />

Als Verhalten wird nicht allein menschliches Verhalten, sondern auch das Verhalten<br />

natürlicher (nichtmenschlicher) Wesen verstanden.<br />

menschliche Verhaltensweisen - von Völkern, Menschengruppen, einzelnen Menschen;<br />

menschlich-tierhafte Verhaltensweisen;<br />

menschlich-pflanzliche Verhaltensweisen.<br />

Wesen/ Natur/; Einführung_91<br />

6.80


• Versuch-A<br />

Versuch / Essai / Essay als Darstellungsform<br />

Der Versuch als Darstellungsform kann sich weiter von zeit-räumlichen Vorgaben<br />

entfernen als die Erzählung <strong>und</strong> die Beschreibung. Er erfordert eine Eleganz der<br />

Darstellung <strong>und</strong> ist besonders geeignet, offene Probleme darzustellen <strong>und</strong> scheinbar<br />

Divergierendes in einen Zusammenhang zu bringen. Größere erzählende <strong>und</strong><br />

beschreibende Passagen sind mit der Eleganz des Versuchs nicht vereinbar.*<br />

* semiotisch_03.<br />

Ein Versuch ist das Suchen nach einer Sichtweise mit dem Risiko des Scheiterns. Das<br />

Ziel der Sichtweise übersteigt eng begrenzte Gegenstände, auch wenn sie ein<br />

Ausgangspunkt des Denkens sein können. Die Weite der Welt ist der Kontext des<br />

Versuchs; er ist ein Vehikel räumlicher <strong>und</strong> zeitlicher Diskontinuität.<br />

Ein Versuch behandelt eine Thematik mehr hinweisend als abschließend; er erfordert ein<br />

sprachliches Niveau, das präzise <strong>und</strong> elegant wirkt.<br />

Der Versuch kann eine oder mehrere Sichtweisen einer Thematik darstellen; er ist eine<br />

offene Darstellungsform, besonders vernetzt mit der Subjektivität des Autors, der ihn<br />

hervorbringt.<br />

• Versuch-B<br />

Versuch - Beschreibung - Erzählung<br />

Die Welt / Geschichte ist ein Meer von Möglichkeiten. Es erstreckt sich in viele<br />

Richtungen. Eine einzige Darstellungsform reicht nicht aus, die Weite <strong>und</strong> Tiefe dieses<br />

Meeres zu begreifen. Eher könnten drei Formen historischer Darstellung mit Erfolg<br />

zusammenwirken: Erzählung, Beschreibung <strong>und</strong> Versuch / Essai / Essay (im Folgenden:<br />

E, B <strong>und</strong> V).<br />

E wendet sich der Geschichte in ihrer zeitlichen Erstreckung zu. Sie kann sich der Vielfalt<br />

geschichtlicher Verläufe durch eine Vervielfachung des Erzählens anzupassen suchen,<br />

durch <strong>Varianten</strong> der Geschichtserzählung. Geschichte als ein Meer von Geschichten<br />

gliedert sich so in Flüsse, die dem Meer zustreben. Flüsse sind begrenzt <strong>und</strong> ermöglichen<br />

Grenzüberschreitungen. Letzlich sind Themen historischen Erzählens aktualisierte<br />

Geschichte(n).<br />

6.81


Dagegen sind B <strong>und</strong> V geeignet, Möglichkeiten auch in ihrer Unwahrscheinlichkeit<br />

darzustellen. B wendet sich der Geschichte in ihrer Räumlichkeit <strong>und</strong> Gleichzeitigkeit zu.<br />

Der Vielfalt der Möglichkeiten kann sich B durch Variationen des Beschreibens anpassen,<br />

durch <strong>Varianten</strong> der Geschichtsbeschreibung. Geschichte als ein Meer möglicher<br />

Strukturen gliedert sich in Aktualisierbarkeiten. Ausgewählt werden sie In ihrer<br />

Gleichzeitigkeit aufgenommen. Letztlich sind Themen historischen Beschreibens<br />

aktualisierbare Strukturen.<br />

V kann In höchstem Maße Möglichkeiten - mehr oder weniger aktualisierbare - darstellen.<br />

V wendet sich der Welt / Geschichte als einem Meer möglicher Beziehungen zu. Gleich<br />

einem tauchfähigen Schiff durchkreuzt er den Ozean in seiner Vielfalt. Geschichte als ein<br />

Meer möglicher Beziehungen erscheint wie von Strahlen durchzogen. Sie erhellen nicht<br />

das ganze Meer, strukturieren es gleichwohl - quer zu E <strong>und</strong> B. Auch wenn <strong>Varianten</strong> der<br />

Versuche sich dem Meer der Möglichkeiten nähern, bleiben die Versuche dem subjektiven<br />

Willen <strong>und</strong> Urteil des Autors ausgeliefert.<br />

E, B <strong>und</strong> V erhellen dieselbe Welt / Geschichte. Sie können aufeinander bezogen sein. B<br />

öffnet sich zur zeitlichen Erstreckung von E, indem sie Wirken <strong>und</strong> Bewirktsein von<br />

Strukturen im Blick behält. V lässt die Wahrscheinlichkeiten, die E <strong>und</strong> B eröffnen, nicht<br />

außer Acht, öffnet sie aber entschlossener noch als B zu Möglichkeiten. Im<br />

Zusammenwirken von E, B <strong>und</strong> V kann Welt / Geschichte umso deutlicher als ein Meer<br />

von Möglichkeiten dargestellt werden: in E durchzogen von flusshaft verlaufenden<br />

Zeitstrukturen, in B kristallhaft hingeordnet auf Raumzentren, in V durchglüht von<br />

Strahlen, die sich auch durch Flüsse <strong>und</strong> Kristalle ziehen.<br />

• Vielheit<br />

Erzählung/ Beschreibung/ Versuch-A/<br />

Vielheit - Einheit<br />

Mehrere Bäume können zusammenwachsen - oberirdisch, durch ihre Stämme oder<br />

Zweige, unterirdisch durch ihre Wurzeln.<br />

6.82


• virtuell-A<br />

“virtuell” weist auf das begriffliche Spektrum der Möglichkeiten: “aktualisierbar” - “potential”<br />

- sowie, dieses überlappend: “fiktiv”.<br />

(aktualisierbar = verwirklichbar, potential = möglich, fiktiv = erdacht / imaginär).<br />

• virtuell-B<br />

aktualisierbar\ möglich\ virtuell\ wirklich/<br />

Vom Chaos zur Virtualität / Aktualisierbarkeit<br />

Virtuelle Welten / Geschichten schweben zwischen der aktualen Welt / Geschichte <strong>und</strong><br />

dem Chaos.<br />

Virtuelle Welten / Geschichten gehen aus dem Chaos hervor, indem ausgewählte<br />

Möglichkeiten durch Ausrichtung aktualisierbar werden; sinken in das Chaos zurück,<br />

indem aktualisierbare Möglichkeiten durch Entrichtung vergehen.<br />

Chaos/ Ausrichtung/ Entrichtung/<br />

Die virtuelle Geschichte wird vom Chaos begleitet: Ungewissheiten, Gefahren, Abstürze. •<br />

Virtuelle Welten / Geschichten sind endlich.<br />

Die Aktualisierung von Möglichkeiten bringt vergängliche Wesen / sterbliche Lebewesen<br />

hervor.<br />

Wesen/; Geschichten_GV<br />

Fortpflanzungsserien von Lebewesen verzögern die Rückkehr der Welt / Geschichte in<br />

das Chaos; auch die Gattungen der Lebewesen sind vergänglich.<br />

6.83


• virtuell-C<br />

Geschichten eines virtuellen Sachverhalts darzustellen, bedeutet: ihn methodisch<br />

hinsichtlich seiner Aktualisierbarkeit abzuwandeln. Geschichten eines virtuellen<br />

Sachverhalts bleiben virtuelle Geschichten.<br />

Allegorien weisen auf virtuelle Welten / Geschichten.<br />

• virtuell-D<br />

Lebewesen - Virtualität<br />

Lebewesen wenden sich vom Chaos ab, der virtuellen <strong>und</strong> aktualen Welt zu. Dies<br />

geschieht in ihrem Interesse; die Welt hat dieses Interesse nicht, sie bleibt dem Chaos<br />

geöffnet.<br />

• Vorbild<br />

Am Rande bleibt, wieweit Aussagen eines Autors <strong>und</strong> die ihnen zugr<strong>und</strong>e liegenden<br />

Prinzipien auf sprachlichen oder literarischen Vorbildern beruhen. Vielmehr ist zu<br />

vermuten, dass ein Autor solchen Vorbildern regelmäßig nur so weit folgt, wie er ihre<br />

Aussagen als seine Aussagen zu tragen bereit ist.*<br />

* Accipe_83.<br />

6.84


W#<br />

• Wandel-A<br />

Wandel - Wandlungen<br />

Welt(en) als Geschichte(n) zu begreifen, bedeutet: sie als Wandel / Wandlungen<br />

aufzufassen.<br />

Wandel in seiner Vielfalt - als Wandlungen - zu begreifen, bedeutet: Wandel in seinen<br />

Abwandlungen / Variationen zu erfassen. •<br />

Insofern sind Wandlungen gleich Abwandlungen.<br />

• Wandel-B<br />

Lösung von Widersprüchen<br />

Ein Sonderfall einer Geschichte in <strong>Varianten</strong> ist die Lösung widersprüchlicher Aussagen.<br />

Für den Fall, dass in einem sozialen System A <strong>und</strong> B sich ausschließen (A B), einen<br />

Widerspruch bilden, ist dieser so aussagbar: “A ist (tut, hat) B” - “A ist (tut, hat) nicht B”.<br />

Dieser Widerspruch lässt mehrere Lösungen zu - zum Beispiel der Widerspruch “A ist B” -<br />

“A ist nicht B” die folgenden Lösungen: Lösung 1 - die Aufspaltung von A: “A ist teils B,<br />

teils nicht B”; Lösung 2 - die Vereinigung von B <strong>und</strong> nicht-B: “A ist B <strong>und</strong> nicht B”; Lösung<br />

3 - die Entscheidung für eine Alternative, verb<strong>und</strong>en mit der Setzung eines neuen<br />

Systems: “A ist B oder nicht B” zu “A’ ist B” oder “A’ ist nicht B”. Insofern ist sozialer<br />

Wandel als Lösung sozialer Widersprüche beschreibbar.*<br />

* Bedingungen_77.<br />

Weltchronistik_S2<br />

6.85


• Weg-A<br />

Weg: Anfang - Ende<br />

Dem Weg für sich sind Anfang <strong>und</strong> Ende eins.<br />

Anders der werdende Fluss, der werdende Baum.<br />

Anfang <strong>und</strong> Ende des Weges sind allein aus der Sicht des Benutzers zu unterscheiden.<br />

• Weg-B<br />

Weg - Erinnerung<br />

Ein unbekannter Weg, auch ein scheinbarer Irrweg, prägt sich dem Bewusstsein anders<br />

ein als ein gewohnter, vertrauter Weg. Jener fordert Aufmerksamkeit; diesem genügen<br />

Reflexe.<br />

• Welt-A<br />

Eine “Welt” umgreift die Menschen als Einzelne <strong>und</strong> in ihren Gesamtheiten sowie die<br />

außermenschliche Welt: die Natur, die irdische Welt, den sie umschließenden Kosmos.<br />

• Welt-B<br />

Welt als Wandel / Wandlungen<br />

Sobald eine Welt sich aus dem Chaos löst, in die Schwebelage zwischen Chaos <strong>und</strong><br />

Virtualität gerät, wandelt sie sich <strong>und</strong> hat Geschichte(n).<br />

6.86


• Weltbild<br />

Ein “Weltbild” sind die Meinungen / Vorstellungen eines oder mehrerer Menschen über<br />

eine Welt. •<br />

Ein “Weltbild” ist aussagbare oder ausgesagte Welt, also eine Welt, wie sie für einen oder<br />

mehrere Menschen besteht <strong>und</strong> mittels ihrer Sprache aussagbar oder ausgesagt ist. •<br />

Weltbilder lassen sich als mögliche Gefüge / Systeme sprachlicher Aussagen darstellen.<br />

Entweder existieren diese Aussagen bereits, oder Sachverhalte sind als Aussagen<br />

darstellbar. Der Zugang zu Weltbildern führt regelmäßig über menschliche Aussagen.<br />

Aussagen, die Aspekte von Weltbildern betreffen, lassen sich zu Gruppen / Feldern<br />

verbinden. Diese sind miteinander zu verknüpfen, fügen sich aber nicht zu einer Totalität.<br />

Ein Weltbild bleibt notwendig fragmentarisch; in ihm bestehen Widersprüche; sie<br />

bestimmen seine Eigenart mit.*<br />

* Indem der hier verwendete Begriff “Weltbild” das Fragmentarische <strong>und</strong><br />

Widersprüchliche zulässt, ist er von dem Weltbild-Begriff unterschieden, von dem<br />

sich zum Beispiel Jürgen Habermas, Nachmetaphysisches Denken II, 2012, 19,<br />

abgrenzt; dieser Begriff erfasst das Ganze mit dem “Wahrheit beanspruchenden<br />

Charakter einer Weltdeutung”.<br />

• Welten-A<br />

Eine Gegenwart saugt alle Vergangenheiten <strong>und</strong> alle Zukünfte in sich auf.<br />

In jeder Gegenwart kreuzen sich mehrere Welten.<br />

Eine Geschichte befindet sich in Analogie zu Gestalten ihrer Welt; zum Beispiel zu<br />

architektonischen <strong>und</strong> natürlichen Räumen, zum Zweigen eines Baumes oder eines<br />

Flusses, zu mathematischen <strong>und</strong> musikalischen Figuren, zu theoretischen <strong>und</strong> religiösen<br />

Diskursen, zu Kreuzungen mehrerer Welten.<br />

Eine Welt, als System verstanden, bleibt auf Entlegenheiten bezogen, ermöglicht also<br />

andere Welten. •<br />

“Wenn die Substantzen Eigenschafften besitzen die sich andern vergegenwärtigen<br />

lassen, so können wir zugleich Glieder in verschiedenen Welten seyn ohne uns jedoch in<br />

mehr als einer bewußt zu seyn, denn Eigenschafften der Substantzen sind so zu reden<br />

durchdringlich. So können wir sterben <strong>und</strong> in einer andern Welt fortleben.”*<br />

* Lichtenberg_a, A 83. Vgl. Leiris, Journal, zum 7.10.1924.<br />

6.87


• Welten-B<br />

Welt - Chaos<br />

Was aus der Sicht einer Welt als Chaos erscheint, mag eine andere Welt sein, mit<br />

anderen Gründen <strong>und</strong> anderen Beziehungen.<br />

• Wesen<br />

Chaos/<br />

Wesen / Gestalten<br />

• Widerstehen<br />

menschliche Wesen / Abwandlungen menschlicher Gestalten •<br />

menschlich-tierhafte Wesen •<br />

menschlich-pflanzliche Wesen •<br />

menschlich-dingliche Wesen •<br />

bildliche Andeutungen des Göttlichen Tier/ •<br />

Wesen\<br />

Widerstehen der Energie, der Materie: gegen das Stehen, das Fließen, den Druck.<br />

Widerstehen der Lebewesen als Individuen: Eigensinn.<br />

Widerstehen als Sichwenden gegen die Ziele anderer um eigener Ziele willen.<br />

• wirklich<br />

Wirklichkeiten werden durch das begriffliche Spektrum “aktual” / “aktualisiert” bis<br />

“aktualisierbar” bezeichnet.<br />

(aktual = wirklich, aktualisiert = verwirklicht, aktualisierbar = verwirklichbar).<br />

wirklich / aktual wirklich\<br />

• Wirtschaft<br />

Wirtschaft als das menschliche Verhalten zu materiellen Gütern: insofern es sie erzeugt<br />

oder vernichtet, verteilt oder speichert, nutzt oder zurückweist.<br />

6.88


Z#<br />

• Zeit<br />

Gest<strong>und</strong>ete / verlorene Zeit<br />

Zeit\<br />

• Zickzack<br />

“Es kommen härtere Tage.<br />

Die auf Widerruf gest<strong>und</strong>ete Zeit<br />

wird sichtbar am Horizont.”*<br />

“Achtet die Zwischenzeit hoch. Denn die Zeit ist das Leben<br />

Auch die verlorene, nirgends verzeichnete<br />

Diese vor allem.”**<br />

* Ingeborg Bachmann, Die gest<strong>und</strong>ete Zeit.<br />

** Marie Luise Kaschnitz, Große Wanderschaft 14.<br />

Der Zickzack-Flug eines Insekts eröffnet ihm neue Wege.<br />

6.89


• Zufall<br />

“Zufall” <strong>und</strong> “Notwendigkeit” sind nur dem Maß des menschlichen Begreifens, nicht aber<br />

der Welt angemessen. Die Weite der Welt verleiht dem Zufall Aspekte des Notwendigen<br />

<strong>und</strong> belässt der Notwendigkeit Elemente eines Spiels, eines nach Regeln verlaufenden<br />

Zufalls.*<br />

* “Auch der Zufall ist nicht unergründlich, er hat seine Regelmäßigkeit.” Karl<br />

Immermann, Die Epigonen, Buch 1, Kap. 11.<br />

“Der wirkliche Regisseur unseres Lebens ist der Zufall.” Pascal Mercier, Nachtzug<br />

nach Lissabon, Kap. 11.<br />

Der Zufall ist ein Indiz der virtuellen Geschichte. •<br />

Er leitet den Menschen an, aus seinen Zeit- <strong>und</strong> Raumkategorien in die Zeit- <strong>und</strong><br />

Raumlosigkeit zurückzukehren.*<br />

*“[...] es gibt keinen plan<br />

man kann auch keinen machen<br />

zufällig zerstört der zufall<br />

dies <strong>und</strong> das [...]”. Gerstl_l, 24.<br />

Das Eintreten des Zufalls für notwendig zu halten, erfordert Achtsamkeit.<br />

• Zweifel<br />

Ausrichtung/ Kanalisierung-B/ Spatium/ unbekannt/; Geschichten_GV; TGF-3;<br />

Kurt Wuchterl, Kontingenz oder das Andere der Vernunft. Zum Verhältnis von<br />

Philosophie, Naturwissenschaft <strong>und</strong> Religion, 2011.<br />

Zweifel: ein Katalysator, Neues zu denken.<br />

NBM-2<br />

• Zweigen<br />

Zweigen - Verzweigen - Entzweigen<br />

Verzweigen <strong>und</strong> Entzweigen entsprechen einander. Sie sind aufgehoben im Zweigen. •<br />

Fließen <strong>und</strong> Zweigen - Geschichte in <strong>Varianten</strong> Denkweisen/; Zweigen_ES<br />

“Der Garten der Pfade, die sich verzweigen”<br />

(Jorge Luis Borges).<br />

6.90


##<br />

Weitere Anmerkungen<br />

#<br />

zu Denkweisen-F/ <strong>und</strong> Denkweisen-H/<br />

Wittgenstein_u, 207f.: “Dieser Gegenstand zwingt uns, das Gedankengebiet kreuz <strong>und</strong><br />

quer, nach allen Richtungen hin zu durchreisen; dass die Gedanken in ihm in einem<br />

verwickelten Netz von Beziehungen zueinander stehen.” Vgl. ebd., 566.<br />

Erich Fried, Was bleibt?:<br />

“[...] <strong>und</strong> dann <strong>und</strong> wann zu verknüpfen<br />

einige treibende<br />

lange Gedankenfäden<br />

Strophen von Hölderlin<br />

mit der Marseillaise<br />

Sätze von Hegel <strong>und</strong> Marx<br />

oder Bloch <strong>und</strong> Schönberg<br />

mit dem Herbstwind herüber vom nahen Wald [...].”<br />

Zu Zielbewusstsein - Umwege Hermann Hesse, Die Morgenlandfahrt, Kap. 5: “[...] den<br />

Umwegen, Einkreisungen <strong>und</strong> Zickzackgängen, mit denen er [Leo] sich seinem Ziel<br />

näherte”.<br />

Vgl. auch das Prinzip der Wiederaufnahme / reprise in Romanen von Alain Robbe-Grillet.<br />

#<br />

zu Sonnenuntergang/: Beispiele neuzeitlicher Autoren<br />

Paul Fleming, Auf Herrn Johann Friedrich Schröters <strong>und</strong> Marien Magdalenen Weinmans<br />

Hochzeit. An das Frauenzimmer <strong>und</strong> Gesellschaft:<br />

“Bis der Gott der güldnen Gluten,<br />

der die braunen Mohren brennt,<br />

in die hesperischen Fluten<br />

freigelassnes Zügels rennt [...]”<br />

Joseph von Eichendorff, Der wandernde Musikant /3:<br />

“Die Sonne uns im Dunklen läßt,<br />

Im Meere sich zu spülen [...]”.<br />

6.91


Heinrich Heine, Sonnenuntergang (Die Nordsee 1/2):<br />

“Die glühend rote Sonne steigt<br />

Hinab ins weitaufschauernde,<br />

Silbergraue Weltenmeer [...].<br />

Aber der trotzige Sonnengott [...]<br />

unerbittlich eilt er hinab<br />

In sein flutenkaltes Witwerbett.”<br />

Diese Datei wurde zuletzt am 02.08.2013 geändert.<br />

© <strong>Gerhard</strong> <strong>Theuerkauf</strong><br />

6.92

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