Bewusstseinsstörungen – Diagnose und Prognose - Coma Science ...
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Nosologie der <strong>Bewusstseinsstörungen</strong><br />
Die Erweckbarkeit wird unterstützt durch neuronale<br />
Populationen im Bereich des Hirnstamms<br />
(z. B. das retikuläre Aktivierungssystem), die direkt<br />
oder über nicht-spezifische Thalamuskerne<br />
mit kortikalen Neuronen kommunizieren. Deshalb<br />
können sowohl ein fokaler Schaden des Hirnstamms,<br />
als auch ein diffuser Schaden der Hirnhemisphären<br />
zu Erweckbarkeitsstörungen führen.<br />
Die Beurteilung des Augenöffnens <strong>und</strong> der Hirnstammreflexe<br />
sind ein Schlüssel zur klinischen<br />
Einschätzung der funktionellen Integrität der<br />
neuronalen Systeme der Erweckbarkeit. Wahrnehmung<br />
hängt von der Unversehrtheit des zerebralen<br />
Cortex <strong>und</strong> seiner subkortikalen Verbindungen ab<br />
(Schädigungen in teilweise verschiedenen Hirnregionen<br />
sind verantwortlich für die verschiedenen<br />
Wahrnehmungsstörungen, die wir hier beschrieben<br />
haben), wobei ihr präzises neuronales Korrelat<br />
noch aufzuklären bleibt. Deshalb gibt es zurzeit<br />
auch kein validiertes objektives Messinstrument<br />
für das Bewusstsein.<br />
Die Einschätzung der multiplen Dimensionen<br />
des Bewusstseins <strong>und</strong> ihrer Störungen erfordern<br />
die Interpretation von klinischen Zeichen, die<br />
hauptsächlich auf der Beurteilung der Reaktionen<br />
des Patienten (<strong>und</strong> ihrer Abwesenheit) auf<br />
den Untersucher oder die Umgebung beruhen.<br />
Hirntod, Koma, VS, MCS <strong>und</strong> LIS werden ausschließlich<br />
über klinische Kriterien definiert. Aus<br />
diesem Gr<strong>und</strong> wurden Punktesysteme für eine<br />
standardisierte Beurteilung des Bewusstseins bei<br />
hirngeschädigten Patienten entwickelt (s. u.).<br />
Nosologie der <strong>Bewusstseinsstörungen</strong><br />
Hirntod<br />
Hirntod bedeutet menschlicher Tod, festgelegt anhand<br />
neurologischer Kriterien. Die aktuelle Definition<br />
von Tod ist der dauerhafte <strong>und</strong> globale Stillstand<br />
der entscheidenden Funktionen des Organismus<br />
(z. B. neuroendokrine <strong>und</strong> homöostatische<br />
Regulation, Kreislauf, Atmung <strong>und</strong> Bewusstsein).<br />
Um den Hirntod feststellen zu können, verlangen<br />
die meisten Länder den Tod des ganzen Gehirns,<br />
einschließlich des Hirnstamms, aber einige (z. B.<br />
Großbritannien <strong>und</strong> Indien) beziehen sich nur auf<br />
5 1<br />
den Tod des Hirnstamms, da der Hirnstamm die<br />
Durchgangsstation für fast alle hemisphärischen<br />
Ein- <strong>und</strong> Ausgänge darstellt, <strong>und</strong> das Zentrum<br />
für die Atemfunktionen <strong>und</strong> die Erzeugung von<br />
Erweckbarkeit (eine essentielle Bedingung für bewusste<br />
Wahrnehmung) beinhaltet. Die klinische<br />
Beurteilung des Hirntods ist dennoch einheitlich<br />
<strong>und</strong> beruht auf dem Verlust aller Hirnstammreflexe<br />
<strong>und</strong> dem Beweis des dauerhaften Atemstillstandes<br />
(nach standardisierten Apnoetests) bei<br />
einem anhaltend komatösen Patienten (⊡ Tab. 1.1).<br />
Die Ursache des Komas sollte geklärt sein <strong>und</strong><br />
andere beeinflussende Faktoren wie Hypothermie,<br />
Drogen, Elektrolyt- <strong>und</strong> endokrine Störungen sollten<br />
ausgeschlossen worden sein.<br />
Der Hirntod ist klassischerweise durch eine<br />
massive Gehirnläsion (z. B. Trauma, intrakranielle<br />
Blutung oder Anoxie) verursacht, welche den intrakraniellen<br />
Druck auf Werte über den arteriellen<br />
Blutdruck anhebt, die intrakranielle Durchblutung<br />
damit zum Stillstand bringt <strong>und</strong> den Hirnstamm<br />
durch Einklemmung schädigt. Unter Verwendung<br />
der Hirnstammformulierung des Todes können<br />
demnach außergewöhnliche, aber existierende<br />
Fälle massiver Hirnstammläsionen (meist eine<br />
Blutung), die den Thalamus <strong>und</strong> zerebralen Kortex<br />
verschonen, als Hirntod trotz intakter intrakranieller<br />
Zirkulation deklariert werden. Folglich kann<br />
ein Patient mit einer primären Hirnstammläsion<br />
(welche keinen erhöhten intrakraniellen Druck<br />
entwickelt) theoretisch nach den in England <strong>und</strong> in<br />
Indien geltenden Kriterien als tot erklärt werden,<br />
⊡ Tab. 1.1. Hirntod kriterien (Richtlinien der American<br />
Academy of Neurology)<br />
▬ Vorliegen eines Komas<br />
▬ Nachweis der Ursache des Komas<br />
▬ Ausschluss anderer Ursachen wie Hypothermie,<br />
Drogen, Störung der Elektrolyten, endokrine Störungen<br />
u.a<br />
▬ Fehlende Hirnstammreflexe<br />
▬ Fehlende motorische Antworten<br />
▬ Apnoe<br />
▬ Eine wiederholte Beurteilung in 6 St<strong>und</strong>en wird<br />
empfohlen, wobei diese Zeitspanne willkürlich zu<br />
sehen ist<br />
▬ Bestätigende Labortests nur bei unklarer klinischer<br />
Beurteilung