Copyright by Brigitta Helbig-Mischewski - Helbig-mischewski.de
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<strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong>: Ein Mantel aus Sternenstaub, Nor<strong>de</strong>rstedt 2005<br />
an<strong>de</strong>ren Rat, als die vermeintliche Transvestitin auszugrenzen: Komornicka wird<br />
gegen ihren Willen in die Psychiatrie eingewiesen. Die Diagnose, die sie mit<br />
zahlreichen an<strong>de</strong>ren ‚Genies’ <strong>de</strong>r abendländischen Kultur teilt, 4 lautet –<br />
Geisteskrankheit. Sieben Jahre ihres Lebens verbringt die Dichterin „in Gesellschaft<br />
von Prostituierten und Pädophilen“, „Kriminellen und irrsinnigen Verbrechern“ 5 wo<br />
sie anscheinend schizophrene Wahnvorstellungen entwickelt. Die Hoffnung <strong>de</strong>r<br />
Familie auf die Auskurierung <strong>de</strong>s Wahnsinns ist vergebens. Komornicka leugnet<br />
weiterhin hartnäckig ihre für die An<strong>de</strong>ren evi<strong>de</strong>nte Weiblichkeit und steht eisern zu<br />
ihrem existenziellen Entschluss, ein Mann zu sein. Der Name dieses Mannes, <strong>de</strong>r auf<br />
einen ihrer Ahnen zurückgeht, lautet Piotr Włast – so auch das Pseudonym, unter <strong>de</strong>m<br />
die Dichterin bislang ihre literaturkritischen Texte veröffentlichte. Es ist ein<br />
sprechen<strong>de</strong>r Name: ‚Włast’ be<strong>de</strong>utet im Altpolnischen, aber auch im Russischen<br />
‚Herrschaft’ und ‚Macht’.<br />
Zeitlebens bleibt Komornicka als Frau und als Wahnsinnige eine aus <strong>de</strong>r Gesellschaft<br />
und Kultur doppelt Ausgegrenzte, die jeglicher Autorität beraubt ist. Der Zugang zum<br />
literarischen Diskurs ist nunmehr versperrt. Es wird kein Wort mehr von ihr gedruckt.<br />
Der Ausbruch <strong>de</strong>s ersten Weltkrieges bringt jedoch die Befreiung aus <strong>de</strong>m Irrenhaus.<br />
Für ihre zweite Lebenshälfte darf sich die Entmündigte und Enterbte bei <strong>de</strong>r Familie<br />
ihres ältesten Bru<strong>de</strong>rs auf <strong>de</strong>m Familiensitz Grabów bei Warschau nie<strong>de</strong>rlassen. Als<br />
‚Verrückte’ führt sie hier ein Leben in beinahe vollkommener Isolation, das sich in<br />
Schreiben, Beten und Naturbetrachtung zu erschöpfen scheint. Sie verfasst ein<br />
umfangreiches, an mystische Traditionen anknüpfen<strong>de</strong>s lyrisches Werk „Xięga poezji<br />
idyllicznej“ (Buch idyllischer Poesie), welches bis heute nur in wenigen Fragmenten<br />
veröffentlicht wor<strong>de</strong>n ist. 6 Zu ihrer letzten, ungeliebten Wohnstätte wer<strong>de</strong>n von<br />
4<br />
Exemplarisch können hier Friedrich Höl<strong>de</strong>rlin, Vincent van Gogh, Friedrich Nietzsche, Camille<br />
Clau<strong>de</strong>l, Virginia Woolf, Sylvia Plath, Unica Zürn genannt wer<strong>de</strong>n.<br />
5<br />
Brief Komornickas an die Mutter aus <strong>de</strong>r Irrenanstalt in Opawa (Troppau) vom 21.12.1908. In:<br />
Literaturmuseum Warschau, Signatur 371.<br />
6<br />
Komornicka 1996.<br />
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<strong>Copyright</strong> <strong>by</strong> <strong>Brigitta</strong> <strong>Helbig</strong>-<strong>Mischewski</strong> 2005 / www.helbig-<strong>mischewski</strong>.eu