17.09.2013 Aufrufe

Mica - Obsession

Ich habe noch nie er­lebt, wie man empfindet, wenn ein für verschollen Gehaltener plötzlich wieder auftaucht, aber viel intensiver kann es auch nicht sein, wie das, was ich emp­fand, als ich Joscha in der Uni begegnete. Er war auch zu Hause geblieben. Nein, gut gehe es ihm nicht. Er habe sehr unter unserer Trennung zu leiden, erklärte Joscha. Wir sprachen nicht viel, wollten uns nur intensivste Liebkosun­gen und Zärtlichkeiten zukommen lassen, wie sie möglich sind, wenn man sich im Foyer gegenüber steht. In der anschließenden Vorlesung konnte ich mich nicht konzentrieren. Ein Euphemismus. Ich konnte die Stimme der Professorin nicht ertragen, die meine Ohren quälte. Am liebsten wäre ich nach unten ge­rannt, hätte ihr das Mikro abgeschaltet und sie verdroschen. Kein Wort ver­stand ich, hörte nur das schnarrende Geräusch der Dozierenden, das mir enorm auf die Nerven ging. Jedes Wort von jedem hätte ich jetzt als Belästi­gung empfunden. Es hatte keinen Sinn, ich musste da raus und fuhr nach Hau­se. Warf mich aufs Bett, trommelte auf die unschuldigen Kissen und schrie ein­fach. Meine Mutter, die reinkam, herrschte ich an: „Lass mich in Ruh.“ Das hat­te sie von mir noch nie gehört. Mein Liebster muss leiden. Eine unerträgliche Vorstellung. Als ob mir jemand ätzende Flüssigkeit in offene Wunden gösse, so schmerzte es. Ich litt, schrie und weinte für Joschas Qualen. Woran ich sonst noch dachte, und was mir durch den Kopf lief, weiß ich nicht mehr genau, ein Tobsuchtsanfall meiner Seele, als ob sich alles in mir verkrampfte. Irgendwann muss ich wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Als ich am Nachmittag wach wurde, kam ich mir geläutert vor, wie erwacht aus einem Koma ähnlichen Nie­mandsland. Jetzt konnte ich auch wieder mit Mutter sprechen. Wir waren beide ratlos. Als ich Joscha einige Tage später wieder traf, lief es fast identisch ab. Ich versuchte mich immer in der Gewalt zu behalten, redete mir etwas ein, aber es blieb ohne Konsequenzen. „Mica, das geht doch nicht. Wir werden dich irgendwann in der Psychiatrie besuchen müssen.“ bewertete meine Mutter ängstlich mein Verhalten. Nein, zum Psychotherapeuten wollte ich trotzdem nicht. „Ich kann es nur nicht ertragen, Joscha zu treffen. Sonst ist doch alles o. k.. Wir müssen uns nur aus dem Wege gehen, dürfen uns nicht sehen.

Ich habe noch nie er­lebt, wie man empfindet, wenn ein für verschollen Gehaltener plötzlich wieder auftaucht, aber viel intensiver kann es auch nicht sein, wie das, was ich emp­fand, als ich Joscha in der Uni begegnete. Er war auch zu Hause geblieben. Nein, gut gehe es ihm nicht. Er habe sehr unter unserer Trennung zu leiden, erklärte Joscha. Wir sprachen nicht viel, wollten uns nur intensivste Liebkosun­gen und Zärtlichkeiten zukommen lassen, wie sie möglich sind, wenn man sich im Foyer gegenüber steht. In der anschließenden Vorlesung konnte ich mich nicht konzentrieren. Ein Euphemismus. Ich konnte die Stimme der Professorin nicht ertragen, die meine Ohren quälte. Am liebsten wäre ich nach unten ge­rannt, hätte ihr das Mikro abgeschaltet und sie verdroschen. Kein Wort ver­stand ich, hörte nur das schnarrende Geräusch der Dozierenden, das mir enorm auf die Nerven ging. Jedes Wort von jedem hätte ich jetzt als Belästi­gung empfunden. Es hatte keinen Sinn, ich musste da raus und fuhr nach Hau­se. Warf mich aufs Bett, trommelte auf die unschuldigen Kissen und schrie ein­fach. Meine Mutter, die reinkam, herrschte ich an: „Lass mich in Ruh.“ Das hat­te sie von mir noch nie gehört. Mein Liebster muss leiden. Eine unerträgliche Vorstellung. Als ob mir jemand ätzende Flüssigkeit in offene Wunden gösse, so schmerzte es. Ich litt, schrie und weinte für Joschas Qualen. Woran ich sonst noch dachte, und was mir durch den Kopf lief, weiß ich nicht mehr genau, ein Tobsuchtsanfall meiner Seele, als ob sich alles in mir verkrampfte. Irgendwann muss ich wohl vor Erschöpfung eingeschlafen sein. Als ich am Nachmittag wach wurde, kam ich mir geläutert vor, wie erwacht aus einem Koma ähnlichen Nie­mandsland. Jetzt konnte ich auch wieder mit Mutter sprechen. Wir waren beide ratlos. Als ich Joscha einige Tage später wieder traf, lief es fast identisch ab. Ich versuchte mich immer in der Gewalt zu behalten, redete mir etwas ein, aber es blieb ohne Konsequenzen. „Mica, das geht doch nicht. Wir werden dich irgendwann in der Psychiatrie besuchen müssen.“ bewertete meine Mutter ängstlich mein Verhalten. Nein, zum Psychotherapeuten wollte ich trotzdem nicht. „Ich kann es nur nicht ertragen, Joscha zu treffen. Sonst ist doch alles o. k.. Wir müssen uns nur aus dem Wege gehen, dürfen uns nicht sehen.

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

die Schräge seines Nasenrückens fuhr. „Auf den dunklen Wegen an den Augen<br />

der blauen Seen haben wir sofort das Licht des Gipfels erkannt.“ kommentierte<br />

ich, während meine Finger über Joschas Augenbrauen fuhren. „Bist du<br />

Schwede? Nein, die Westfalen haben ja auch blaue Augen.“ kommentierte ich<br />

die Farbe seiner Augen. „In Spanien ist das schon auffällig. Da sprechen dich<br />

öfter Leute darauf an.“ Joscha dazu. „Bist du häufig in Spanien?“ wollte ich<br />

wissen. „Ich habe sogar in Spanien angefangen zu studieren.“ antwortete<br />

Joscha. „Und warum bist du zurückgekommen?“ erkundigte ich mich. „Der<br />

Teufel von Salamanca hat uns verhext. Nein, nicht jetzt.“ unterbrach er sich.<br />

„Liebesprobleme?“ hakte ich trotzdem nach, aber Joscha wollte nichts<br />

erzählen. „Das ist schon eine alte Geschichte. Mit Cervantes hat es<br />

angefangen, und dann war es fast für mein gesamtes weiteres Leben<br />

verantwortlich. Heute ja auch noch, wie hätte ich dich sonst treffen können?“<br />

Joscha darauf lächelnd und wieder mit diesem Blick, der verriet, das seine<br />

Lippen sich nach meinen sehnten. „Und du, was hast du für Beziehungen zu<br />

Spanien?“ erkundigte sich Joscha. „Gar keine.“ lautete meine knappe Antwort.<br />

„ARRIBA los que LUCHAN!“ „Vorwärts ihr Kämpfenden!“, über Lateinamerika,<br />

politisch bin ich zum Spanischen gekommen. Eine Freiheitskämpferin bin ich<br />

heute immer noch, auch hier. Das hast du bestimmt erkannt, dass ich frei sein<br />

will, frei von allem Oberflächenfetischismus.“ erklärte ich lachend, während<br />

mein Mittelfinger dabei über Joschas Stirn wanderte. Über die Wangenknochen<br />

gelangte er zu den Wangen. „Wir haben die umgrenzenden Hügelketten der<br />

pannonischen Tiefebene verlassen und gelangen jetzt in die weite Ebene der<br />

patagonischen Pampa. Das Gras ist heute kahl geschnitten, gut rasiert, nicht<br />

war?“ kommentierte ich die Reise meiner Fingerkuppe und fuhr fort: „Am<br />

Rande der Pampas erheben sich die Anden, da sitzen die beiden Dioskuren und<br />

bewachen den gräulichen Höllenschlund, in den der Joscha Steaks in kleinen<br />

Häppchen wirft, um sie in seinem tiefsten Innersten zersetzen zu lassen.<br />

Castor sitzt oben, der hat den besseren Überblick und Pollux achtet mehr auf<br />

die lukullischen Finessen.“ erläuterte ich während mein Finger über Joschas<br />

Lippen strich. Der tat gar nichts. Lag nur wonnestrahlend da und lauschte, als<br />

ob die Mami ihm eine süße Gutenachtgeschichte erzählte. „Was meinst du, ob<br />

sich unser beider Dioskuren auch wohl so nahe kämen wie wir, wenn sie sich<br />

treffen könnten?“ wollte ich von Joscha wissen, aber der lachte nur stumm und<br />

öffnete seine Lippen. Es ist was es ist, nur bei Joscha war nichts so wie es war.<br />

Da war alles immer etwas ungemein Spezielles. Ich touchierte nicht einfach<br />

sanft die Lippen eines Jungen, es waren Joschas Lippen, die ich berührte. Ich<br />

habe noch keinen Engel geküsst, vielleicht wird das ein ähnliches Gefühl sein.<br />

Dabei waren Joschas Lippen stinknormal, nur in meinem Kopf ließ ich alles zu<br />

kleinen Wundern avancieren. Warum? Ich wollte nichts, nahm mir nichts vor,<br />

hätte mir so etwas gar nicht ausdenken können. Ich war bekloppt, aber es<br />

fühlte sich ungemein gut an. Noch nie hatten unsere Lippen und Zungen die<br />

eines anderen gespürt. So musste es wohl sein. Vorsichtig und sanft<br />

erkundeten wir uns gegenseitig, und ein Lächeln umspielte unsere Augen.<br />

Plötzlich verschwand das Lächeln und die Berührungen hatten alles Zögerliche<br />

verloren. Wir saugten uns aneinander fest. Außen hatte Joscha seine Kleider<br />

und war auch in seiner Haut gefangen, jetzt erkundete meine Zunge ihn von<br />

innen. Wo Gaumen und Zunge sind, konnte auch sein Herz nicht fern sein. Was<br />

<strong>Mica</strong> – <strong>Obsession</strong> – Seite 11 von 37

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!