BERUFUNGSANTWORT Team 7 - Swiss Moot Court
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<strong>Swiss</strong> <strong>Moot</strong> <strong>Court</strong> 2005/2006 12. Dez. 05<br />
Jean N. & Söhne AG,<br />
<strong>BERUFUNGSANTWORT</strong><br />
von<br />
An das<br />
Schweizerische Bundesgericht<br />
Av. du Tribunal fédéral 29<br />
1000 Lausanne 14<br />
vertreten durch X. Y. Beklagte<br />
Herrn David L., 1564 Domdidier<br />
gegen<br />
vertreten durch A. B. Kläger<br />
betreffend<br />
zivilrechtliche Berufung gegen das Urteil<br />
des Kantonsgerichts Freiburg vom 31. Oktober 2005<br />
<strong>Team</strong> 7
<strong>Swiss</strong> <strong>Moot</strong> <strong>Court</strong> 2005/2006 12. Dez. 05<br />
Inhaltsverzeichnis<br />
ANTRÄGE ............................................................................................................................................1<br />
BEGRÜNDUNG.....................................................................................................................................1<br />
I. Formelles ........................................................................................................................................1<br />
II. Tatsächliches.................................................................................................................................1<br />
A. Zum Sachverhalt und dem bisherigen Verfahren.............................................................1<br />
B. Von Kläger angefochtene Punkte .......................................................................................2<br />
III. Rechtliches...................................................................................................................................2<br />
A. Zur Klage auf Zahlung von CHF 80'000.- zuzüglich Zins................................................2<br />
1. Aus Vertrauenshaftung...........................................................................................................2<br />
1.1. Die Vertrauenshaftung im Allgemeinen .......................................................................2<br />
1.2. Voraussetzungen der Vertrauenshaftung......................................................................3<br />
a) Eine rechtlich relevante Sonderverbindung zwischen Kläger und<br />
Beklagter liegt nicht vor......................................................................................................3<br />
b) Durch das Gutachten der Beklagten entstand beim Kläger nie ein<br />
schutzwürdiges Vertrauen...................................................................................................5<br />
c) Ein schutzwürdiges Vertrauen wurde durch das Handeln der Beklagten<br />
nie verletzt ..........................................................................................................................5<br />
d) Der Kläger tätigte eine Disposition unabhängig vom Gutachten der<br />
Beklagten ............................................................................................................................8<br />
e) Ein Schaden im Umfang von CHF 80'000.- ist dem Kläger nie entstanden .......................8<br />
f) Eine Kausalität zwischen dem Schaden des Klägers und dem Verhalten<br />
der Beklagten ist nicht gegeben ..........................................................................................9<br />
g) Die Beklagte hat nie schuldhaft gehandelt........................................................................10<br />
1.3. Fazit: Die Voraussetzungen einer Vertrauenshaftung sind nicht<br />
gegeben.......................................................................................................................11<br />
2. Aus Delikt ............................................................................................................................12<br />
2.1. Deliktshaftung als Anspruchsgrundlage.....................................................................12<br />
a) Widerrechtlichkeit ............................................................................................................12<br />
b) Sorgfaltsbeweis.................................................................................................................15<br />
2.2. Fazit: Die Voraussetzungen von Art. 55 OR sind nicht gegeben ...............................17<br />
B. Verrechnung einer allfälligen Haftungssumme mit der Gegenforderung<br />
der Beklagten von CHF 3'000.-.........................................................................................18<br />
I
<strong>Team</strong> 7<br />
ANTRÄGE<br />
1 1. Die Klage sei vollumfänglich abzuweisen.<br />
2. Eventualiter sei die Haftungssumme zu reduzieren und mit der Forderung über CHF 3'000.- aus<br />
dem Jahre 1998 zu verrechnen.<br />
3. Die ordentlichen und ausserordentlichen Kosten seien dem Kläger aufzuerlegen.<br />
BEGRÜNDUNG<br />
I. Formelles<br />
2 In formeller Hinsicht wird der Rechtsmittelschrift nicht widersprochen.<br />
II. Tatsächliches<br />
A. Zum Sachverhalt und dem bisherigen Verfahren<br />
3 Am 17. Mai 2002 wurde die Beklagte von Herrn Leon D. beauftragt, ein Wertgutachten betreffend<br />
seine damalige Liegenschaft in Domdidier zu erstellen. Über den Grund der Expertise wurde nichts<br />
vereinbart. Am 14. Juli 2002 erstellte die Beklagte das Gutachten. Dies nachdem die Liegenschaft<br />
am 1. Juli gleichen Jahres durch ihren Mitarbeiter, Herrn Pedro A., in Augenschein genommen<br />
worden war. Die Besichtigung fand in Anwesenheit von Frau Marie D. – der Tochter von Herrn<br />
Leon D. – statt, da Leon D. zum vereinbarten Zeitpunkt verhindert war.<br />
4 Das Gutachten wurde namens der Beklagten durch Herrn Jean N. erstellt. Daraus resultierte ein<br />
Schätzungswert der Liegenschaft von CHF 750'000.-.<br />
5 Am 23. August 2002 wurde diese Liegenschaft an den Kläger zu einem Preis von CHF 750'000.-<br />
verkauft.<br />
6 Zwei Jahre nach Erstellung des Liegenschaftsgutachtens erhob Herr David L. (Kläger) Klage gegen<br />
die Jean N. & Söhne AG (Beklagte), da ihm angeblich durch das für Leon D. erstellte Gutachten<br />
Schaden entstanden sei. Bei der Schätzung wäre nämlich ein Feuchtigkeitsschaden am Gebälk<br />
nicht berücksichtigt worden, was zu einem falschen Liegenschaftenwert geführt habe. Die Klage –<br />
welche auf Zahlung von CHF 80'000.- zuzüglich Zins lautete – wurde am 21. Oktober 2004 erstinstanzlich,<br />
am 31. Oktober 2005 durch das Kantonsgericht Freiburg abgewiesen.<br />
1
<strong>Team</strong> 7<br />
B. Von Kläger angefochtene Punkte<br />
7 Der Kläger macht in seiner Klageschrift geltend, dass aufgrund der konkreten Sachlage eine<br />
Haftung aus Vertrauen zwischen ihm und der Beklagten entstanden sei. Er stützt seine<br />
Behauptungen vornehmlich auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtes, welches die<br />
Vertrauenshaftung eines Liegenschaftenschätzers in BGE 130 III 345 grundsätzlich bejaht habe. Er<br />
folgt der bundesgerichtlichen Argumentation und versucht, den hier zu behandelnden Sachverhalt<br />
dem angesprochenen Urteil zu subsumieren. Die Beklagte nimmt im Folgenden zu den<br />
Behauptungen des Klägers Stellung und zeigt auf, weshalb die Voraussetzungen einer<br />
Vertrauenshaftung – soweit eine solche überhaupt anerkannt werden kann – in casu nicht gegeben<br />
sind.<br />
8 Weiter vertritt der Kläger die Auffassung, dem Entscheid des Kantonsgerichts Freiburg liege eine<br />
falsche Auslegung der Haftungsvoraussetzungen von Art. 41 OR zugrunde. Auch dem ist – wie die<br />
Beklagte zeigen wird – nicht so.<br />
9 In einem dritten und letzten Punkt macht der Kläger geltend, seine Schadenersatzforderung wäre<br />
mit der Forderung von CHF 3'000.- nicht verrechenbar. Eventualiter beruft er sich auf Verjährung.<br />
Die Beklagte wird dartun, dass im Eventualfall eine Verrechnung durchaus möglich ist und zu<br />
Recht erklärt wurde.<br />
III. Rechtliches<br />
A. Zur Klage auf Zahlung von CHF 80'000.- zuzüglich Zins<br />
1. Aus Vertrauenshaftung<br />
1.1. Die Vertrauenshaftung im Allgemeinen<br />
10 Der Kläger macht geltend, dass aufgrund der konkreten Sachlage von einer Vertrauenshaftung, wie<br />
sie das Bundesgericht anerkenne, ausgegangen werden könne. Er stützt seine Argumentation auf<br />
die Rechtsprechung von BGE 130 III 345 und nimmt an, dass eine Vertrauenshaftung bei der<br />
Erstellung von Expertisen generell zu bejahen wäre. Dies stimmt indessen nicht. Auch wenn eine<br />
Vertrauenshaftung, wie sie in BGE 130 III 345 unter bestimmten Umständen anerkannt worden ist,<br />
grundsätzlich zu bejahen wäre, ist eine solche im vorliegenden Fall nicht gegeben.<br />
2
<strong>Team</strong> 7<br />
1.2. Voraussetzungen der Vertrauenshaftung<br />
11 Lehre und Rechtsprechung haben in der Vergangenheit den Versuch unternommen, die<br />
Vertrauenshaftung als dritte Haftungsgrundlage neben derjenigen aus Vertrag und Delikt zu<br />
konstruieren. 1 Allgemein ist man sich aber im Klaren, dass für das Vorliegen einer<br />
Vertrauenshaftung diverse Voraussetzungen erfüllt sein müssen. Nachstehend werden diese<br />
Tatbestandselemente einzeln behandelt und aufgezeigt, dass sie hier nicht vorliegen, jedenfalls<br />
nicht in ihrer Gesamtheit.<br />
a) Eine rechtlich relevante Sonderverbindung zwischen Kläger und Beklagter liegt nicht vor<br />
12 Die vom Kläger geltend gemachte Vertrauenshaftung setzt das Vorliegen einer rechtlichen<br />
Sonderverbindung zwischen den betroffenen Parteien voraus. 2 Das Bundesgericht wie auch die<br />
Lehre gehen davon aus, dass es sich bei solchen Sonderverhältnissen um Situationen handeln muss,<br />
welche nicht in genereller Art und Weise angenommen bzw. abgelehnt werden können. 3 Vielmehr<br />
bedürfe es einer Abwägung „nach den konkreten Umständen“ 4 – sprich einer Beurteilung von Fall<br />
zu Fall. Dies wegen des bis heute unbestimmbaren Begriffs der „rechtlichen Sonderverbindung“. 5<br />
Entsprechend fällt es auch der Lehre schwer, die Grenze zwischen Sonderverbindung und<br />
„Jedermannsbeziehung“ zu finden 6 . Dem schenkt die Gegenpartei indes keine Beachtung, sondern<br />
behauptet, dass eine Vertrauenshaftung gegeben sei, auch wenn zwischen Personen lediglich eine<br />
Drittbeziehung bestehe.<br />
13 Gemäss BGE 130 III 345 entstehen Sonderverbindungen aus „bewusstem oder normativ<br />
zurechenbarem Verhalten“ 7 . „Allein die Möglichkeit einer zufälligen Kenntnisnahme vom<br />
Gutachten genügt aber nicht zur Begründung einer Vertrauenshaftung.“ 8<br />
14 Dass im vorliegenden Fall keinerlei bewusste Beziehung zwischen dem Kläger und der Beklagten<br />
bestanden hat, ist unbestritten. Auch das Vorliegen einer normativ zurechenbaren<br />
Sonderverbindung muss verneint werden, weil zwischen den Parteien kein sozialer Kontakt<br />
vorhanden war. Sonderverbindungen aus einem normativen Vertrauen sind nur dann zu bejahen,<br />
wenn aufgrund des im konkreten Einzelfall gegebenen Wertungsmassstabes, auf ein besonderes<br />
1<br />
BGE 120 II 331; BGE 121 III 350, BGE 130 III 345; REGULA FEHLMANN, Vertrauenshaftung – Vertrauen als alleinige<br />
Haftungsgrundlage, Diss. St. Gallen 2002, S. 169 ff.; ALFRED KOLLER, Dritthaftung eines Schätzers gegenüber einem<br />
Käufer der geschätzten Liegenschaft? Bemerkungen zu BGE 130 III 345 ff., in: ALFRED KOLLER (Hrsg.), Neue und<br />
alte Fragen zum privaten Baurecht, S. 22 ff., N 77 ff.; MARTIN MOSER, Die Haftung gegenüber vertragsfremden<br />
Dritten, Diss. Bern 1998, S. 154 ff.; HANS PETER WALTER, Die Vertrauenshaftung: Unkraut oder Blume im Garten des<br />
Rechts?, ZSR 120/2001 I, S. 79 ff., S. 97 ff.<br />
2<br />
Vgl. FEHLMANN (Fn. 1), S. 171 ff.; MOSER (Fn. 1), S. 155; BGE 130 III 345 E. 2.2.<br />
3<br />
Vgl. MOSER (Fn. 1), S. 158; BGE 120 II 331.<br />
4<br />
BGE 130 III 345 E. 2.2.<br />
5<br />
Vgl. MOSER (Fn 1), S. 120 f.<br />
6<br />
Vgl. INGEBORG SCHWENZER, Schweizerisches Obligationenrecht Allgemeiner Teil, 3. Aufl., Bern 2003, Rz. 52.04.<br />
7<br />
BGE 130 III 345 E. 2.2.<br />
8<br />
BGE 130 III 345 E. 3.2.<br />
3
<strong>Team</strong> 7<br />
Vertrauensverhältnis geschlossen werden kann. 9 Dem ist in casu nicht so. Der Kläger stützt seine<br />
Argumentation lediglich auf ein behauptetes „Kennen-Müssen“, welches zwar möglicherweise<br />
einen normativen Charakter aufweist, das aber jeglicher sozialer Verbindung entbehrt. Fehlt – wie<br />
hier – eine soziale Verbindung, liegt auch keine Sonderverbindung vor. Wäre es anders, hätte dies<br />
eine Ausuferung der Haftung gegenüber Dritten zur Folge, was nicht nur in Einzelfällen zu<br />
unbefriedigenden Ergebnissen führen, sondern das ganze Vertrauen im Geschäftsverkehr gefährden<br />
würde. 10<br />
15 Unumstritten ist, dass zwischen dem Kläger und der Beklagten kein direktes Vertragsverhältnis<br />
bestanden hat. Ebenfalls klar erscheint, dass der Beklagten während der Auftragserfüllung zu<br />
keinem Zeitpunkt bekannt war, zu welchem Zweck die Expertise angefordert wurde. Dennoch<br />
macht der Kläger geltend, dass er sich in gutem Glauben auf das von der Beklagten erstellte<br />
Gutachten habe stützen dürfen. Dies obwohl die Beklagte nichts von einer Weitergabe an<br />
vertragsfremde Dritte wusste. Der Kläger behauptet zwar, dass fachmännisch angefertigte<br />
Gutachten nur zum Zwecke beantragt würden, einen Käufer vom Werte des Schätzungsobjektes zu<br />
überzeugen und diesen in dessen Kaufentschluss zu bestärken. Die Beklagte habe deshalb mit der<br />
Weitergabe des von ihr erstellten Schätzungsgutachtens rechnen müssen. Dies stimmt aber nicht.<br />
Das Vorliegen einer Haftungsgrundlage aus Vertrauen wird von der Beklagten daher<br />
bestritten. Obwohl es stimmt, dass Schätzungsgutachten häufig zum Zwecke eines<br />
Liegenschaftenverkaufs bestellt werden, kann man daraus nicht schliessen, dass dies immer so ist<br />
und dass dies im konkreten Fall auch so war, d.h. dass die Beklagte mit einer Weitergabe dieses<br />
Gutachtens rechnen musste. Schliesslich fehlte der Beklagten auch ein Rechtsbindungswille, der<br />
über die Verbindung mit ihrem Auftrageber Leon D. hinausgeht. Eine Haftung könnte sich somit<br />
höchstens auf die lediglich hypothetische Wahrscheinlichkeit einer Weitergabe von Gutachten<br />
stützen. Dies jedoch ist – nicht zuletzt mit Blick auf die Rechtssicherheit – eine ungenügende Basis<br />
für Schadenersatz.<br />
16 Der Kläger behauptet schliesslich, dass ein Gutachter die Möglichkeit habe seine Haftung zu<br />
beschränken, beispielsweise durch einen entsprechenden Hinweis in seinem Schätzungsbericht. Da<br />
dies die Beklagte unterlassen habe, hätte sie die volle Verantwortung für die Richtigkeit ihrer<br />
Arbeit übernommen, auch Dritten gegenüber. Woher der Kläger indessen herleiten will, dass die<br />
Beklagte eine Haftungsbeschränkung hätte anfügen müssen, obwohl gar nie eine Haftungsbasis<br />
bestanden hat, ist unerfindlich.<br />
17<br />
Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass aufgrund des fehlenden sozialen Kontaktes<br />
zwischen den Parteien keine Sonderverbindung entstanden ist.<br />
9 Vgl. MARKUS WICK, Die Vertrauenshaftung im schweizerischen Recht, in: AJP/PJA 1995, S. 1279.<br />
10 Vgl. SCHWENZER (Fn. 6), Rz. 52.01-52.04; vgl. auch ALFRED KOLLER, Haftung einer Vertragspartei für den Schaden<br />
eines vertragsfremden Dritten, in: ALFRED KOLLER (Hrsg.), Neue und alte Fragen zum privaten Baurecht, St. Gallen<br />
2004, S. 31 f.<br />
4
<strong>Team</strong> 7<br />
18 Weiter kann noch angefügt werden, dass eine Sonderverbindung bei fehlender Aufmerksamkeit des<br />
Klägers ihre rechtliche Relevanz wieder verliert, da in solchen Fällen ein Vertrauen nicht mehr<br />
schützenswertes ist. Wäre also eine Sonderverbindung zwischen den Parteien je entstanden,<br />
könnte sich der Kläger nicht mehr darauf berufen, weil er sich nicht in gutem Glauben<br />
befunden hat (zur Gutgläubigkeit und dem schutzwürdigen Vertrauen vergleiche Rz. 20).<br />
b) Durch das Gutachten der Beklagten entstand beim Kläger nie ein schutzwürdiges Vertrauen<br />
19 „Schutzwürdiges Vertrauen setzt ein Verhalten des Schädigers voraus, das geeignet ist, hinreichend<br />
konkrete und bestimmte Erwartungen des Geschädigten zu wecken.“ 11 Ein solches schutzwürdiges<br />
Vertrauen kann lediglich auf rechtsgeschäftlicher Ebene entstehen und auch dort nur, wenn die<br />
vertrauenserweckenden Informationen innerhalb eines entsprechenden Tätigkeitsgebietes<br />
abgegeben wurden und wenn diese auch berufseinschlägig sind. 12 Der Kläger macht geltend, dass<br />
diese Voraussetzungen – insbesondere in Anbetracht der fachlichen Kompetenz der Beklagten –<br />
gegeben seien und die daraus resultierende Beweiskraft des Schätzungsgutachtens zur Entstehung<br />
eines schützenswerten Vertrauens geeignet wäre. Dem ist aber aus folgenden Gründen nicht so:<br />
20<br />
Die Vertrauenshaftung wird aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleitet. 13 Gutgläubig<br />
ist, wer entschuldbar handelt. 14 Dies bedeutet, dass nur derjenige in gutem Glauben handelt, der<br />
seinen eigenen Pflichten nachkommt. Ein blindes Vertrauen findet keinen Schutz, und es wird nicht<br />
geschützt, wer wider besseren Wissens handelt. In diesen Fällen gibt es keinen Vertrauensschutz.<br />
Ein gutgläubiges Vertrauen kann nicht entstehen, wenn der Geschädigte die tatsächliche Sachlage<br />
selber gekannt hat oder hätte kennen müssen. 15 Es wird somit auch seitens des Geschädigten im<br />
Minimum eine durchschnittliche Aufmerksamkeit verlangt. Konkret ist somit zu fragen, ob der<br />
Kläger den Schaden am Dachgebälk nicht selber hätte bemerken können und müssen. War dieser<br />
Schaden nämlich so offensichtlich (wie behauptet), hätte der Kläger diesen bei der Überprüfung der<br />
Kaufsache (Art. 201 OR) selber feststellen müssen. Hat der Kläger die an ihn gestellte<br />
Aufmerksamkeit nicht erfüllt, kann er sich heute nicht auf sein Vertrauen berufen. Waren die<br />
Mängel jedoch gar nicht erkennbar, konnte sie auch durch die Beklagte nicht entdeckt werden<br />
(näheres hiezu vergleiche Rz. 34 ff.).<br />
c) Ein schutzwürdiges Vertrauen wurde durch das Handeln der Beklagten nie verletzt<br />
21 Der Kläger macht geltend, dass die Beklagte durch ihre unsorgfältige Arbeitsweise eine<br />
Pflichtverletzung begangen habe. Sie sei zu einem loyalen Verhalten bei der Ausübung ihrer<br />
11 BGE 130 III 345 E. 2.1.<br />
12 Vgl. MOSER (Fn. 1), S. 165 ff.<br />
13 Vgl. MOSER(Fn. 1), S. 155.<br />
14 Vgl. MOSER (Fn. 1), S. 158 f.<br />
15 Vgl. MOSER (Fn. 1), S. 156 f.<br />
5
<strong>Team</strong> 7<br />
Tätigkeit verpflichtet gewesen, habe gegen diese Verhaltenspflicht verstossen und wäre daher für<br />
den Schaden verantwortlich, welcher dem Kläger deswegen entstanden sei.<br />
22 Entscheidend sind indessen zwei Fragen, nämlich erstens, ob die Beklagte bei der Ausübung ihrer<br />
Arbeit unsorgfältig gewesen ist, und zweitens, ob durch eine allfällige Sorgfaltspflichtverletzung<br />
tatsächlich auch das Vertrauen des Klägers enttäuscht wurde. Die Beklagte vertritt den<br />
Standpunkt, dass ihre Arbeitsweise weder unsorgfältig noch unfachmännisch war und dass<br />
sich der Kläger selbst bei einer Unsorgfältigkeit seitens des Beklagten nicht auf eine solche<br />
berufen könne, da das Schätzungsgutachten im Ergebnis richtig ist.<br />
23 Um eine Vertrauenshaftung bejahen zu können, müsste als Haftbarkeitsvoraussetzung unter<br />
anderem ein berechtigtes Vertrauen enttäuscht worden sein. Eine solche unzulässige<br />
Vertrauensenttäuschung könnte bei einer Liegenschaftenschätzung beispielsweise darin bestehen,<br />
dass der Gutachter aufgrund fehlender Objektivität oder mangels Fachkunde nicht so gearbeitet hat,<br />
wie dies von ihm in gutem Glauben erwartet werden durfte. Beide Komponenten – also sowohl<br />
Fachwissen wie Objektivität des Experten – werden in casu aber nicht in Frage gestellt. Nach<br />
Meinung des Klägers soll ein Gutachter auch durch unsorgfältige Arbeitsweise enttäuschen<br />
können. Dabei käme für das Mass der Sorgfalt Auftragsrecht (Art. 398 Abs. 2 OR) zur<br />
Anwendung. 16 Danach gilt die Sorgfaltspflicht aber als erfüllt, wenn die Vertragsziele auf<br />
„zweckgerechte, zweckmässige und erfolgsbezogene (d.h. ‚richtige’)“ 17 Art verfolgt wurden. Der<br />
Kläger meint nun, dass die Augenscheinnahme unsorgfältig gewesen sei, und dass dies in der Folge<br />
zu seiner Schädigung geführt habe. Die Unsorgfältigkeit bestünde darin, dass der Dachstock nicht<br />
besichtigt und deshalb die Feuchtigkeit am Gebälk nicht erkannt worden sei. Dadurch wäre ein<br />
falsches Gutachten entstanden.<br />
24 Um eine Liegenschaftenschätzung vornehmen zu können, bedarf es mehrerer Unterlagen und<br />
Abklärungen. Dazu gehören neben diversen Plänen (wie beispielsweise Kataster- und Bauplänen)<br />
auch Grundbuchauszüge, Gebäudeversicherungsausweise etc. Diese Unterlagen bilden die Basis<br />
eines jeden Wertgutachtens. Auch der Augenschein vor Ort spielt eine gewisse Rolle. 18 Er dient<br />
aber nur zur Abklärung, ob die aufgrund der Unterlagen ermittelte Wertannahme wegen des<br />
Bauzustandes korrigiert werden muss. Der Sorgfaltsmassstab bezüglich des Augenscheins bemisst<br />
sich dabei ebenfalls nach dem Auftragrecht, also nach einem berufsspezifischen<br />
Durchschnittsverhalten, wobei man davon ausgehen darf, dass der Beauftragte nach den<br />
allgemeinen Regeln der Kunst vorgeht. Dies hat die Beklagte im vorliegenden Fall auch getan. Der<br />
Vorwurf, sie habe in unsorgfältiger Weise auf eine Besichtigung des Dachstockes verzichtet, ist<br />
unrichtig. Die Beklagte hat nämlich weder vorsätzlich noch fahrlässig auf die<br />
16 Vgl. ROLF H. WEBER, Kommentar zu Art. 398 OR, in: HONSELL/VOGT/WIEGAND (Hrsg.), Basler Kommentar,<br />
Obligationenrecht Art. 1-529 OR, 3. Aufl., Basel/Genf/München 2003, N. 22.<br />
17 Vgl. ROLF H. WEBER (Fn. 16), N. 24.<br />
18 Vgl. WOLFGANG NAEGELI/HEINZ WENGER, Der Liegenschaftenschätzer, 4. Aufl., Zürich 1997, S. 7 ff.<br />
6
<strong>Team</strong> 7<br />
Dachstockbegutachtung verzichtet, sondern die Inspektion aufgrund einer Weisung des<br />
Auftraggebers unterlassen. Der persönliche Augenschein des Gutachters wurde durch die Aussage<br />
von Frau Marie D. ersetzt, welche versicherte, dass „das Gebälk im Estrich in gutem Zustand sei“.<br />
Auf diese Auskunft durfte sich die Beklagte verlassen, da diese ja von einer Hilfsperson des<br />
Auftraggebers abgegeben worden ist. Warum hätte sie daran auch zweifeln sollen, liegt das<br />
Gelingen eines Auftrages doch in erster Linie im Interesse des Auftraggebers. Auf dessen<br />
Anweisungen und Auskünften durfte sich die Beklagte in gutem Glauben verlassen. Dass die<br />
Informationen nicht vom Auftraggeber selber, sondern von dessen Vertreterin (Frau Marie D.)<br />
erteilt worden sind, kann der Beklagten nicht nachteilig angerechnet werden. Aus all diesen<br />
Gründen kann der Beklagten daher keine unsorgfältige Arbeitsweise zur Last gelegt werden.<br />
25 Zweitens liegt auch deshalb keine Vertrauensenttäuschung vor, weil das Gutachten im Ergebnis<br />
noch völlig richtig ist. Selbst eine unsorgfältig erstellte Expertise kann nie zu einer<br />
Schadenersatzverpflichtung führen, wenn sie inhaltlich trotzdem stimmt. Es sind also nicht Art und<br />
Weise der Gutachtenserstellung von Bedeutung, sondern die Informationen, welche aus demselben<br />
hervorgehen. 19 In casu war das Resultat des Schätzungsgutachtens richtig. Dies aus folgenden<br />
Gründen:<br />
26 Die Liegenschaft wurde von der Beklagten im Juli 2002 auf einen Verkehrswert von<br />
CHF 750'000.- geschätzt. Auf diesen Preis einigte sich der Kläger auch mit dem damaligen<br />
Eigentümer Herrn Leon D. Dies obwohl Letzterer zu jenem Zeitpunkt von einem „ehrlichen Preis“<br />
von effektiv CHF 800'000.- ausging. In der Folge entdeckte der Kläger das schadhafte Gebälk und<br />
liess es zu einem Preis von Total CHF 80'000.- ersetzen. Er folgert daraus, dass die Liegenschaft<br />
nur einen Wert von CHF 670'000.- gehabt habe, was einem Minderwert von rund 10% gleichkäme.<br />
Es ist aber keineswegs so, dass der Schaden am Gebälk – wäre er bemerkt worden – bei der<br />
Bewertung der Liegenschaft zu einem geringeren Verkehrswert geführt hätte. Der Schaden wäre<br />
dann zwar erwähnt worden, am Ergebnis hätte dies aber – da für die Wertermittlung die erhaltenen<br />
Unterlagen und der Gesamteindruck entscheidend waren – nichts geändert.<br />
27 Bekanntermassen sind Wertschätzungen von der subjektiven Wahrnehmung des jeweiligen<br />
Schätzers beeinflusst. Das Bundesgericht formulierte dies in BGE 127 III 328 wie folgt: „Die<br />
Schätzung des Wertes einer Sache ist naturgemäss eine Ermessensfrage. Das Resultat einer<br />
Verkehrswertschätzung kann deshalb nicht nach objektiven Kriterien als richtig oder falsch<br />
bewertet werden.“ 20 Im eben zitierten Urteil wurde eine Abweichung von rund einem Viertel als<br />
tolerierbar und das Ergebnis als richtig beurteilt. Der Beklagten wird hier eine Abweichung von<br />
(lediglich) 10% angelastet. Dies stimmt zwar schon aus den eben dargelegten Gründen nicht, aber<br />
auch wenn dem so wäre, würde dies gestützt auf den genannten Bundesgerichtsentscheid zu keiner<br />
19 ROLAND HÜRLIMANN/THOMAS SIEGENTHALER, Die Haftung des Liegenschaftenschätzers gegenüber einem<br />
vertragsfremden Dritten, BR/DC 3/2004, S. 108.<br />
20 BGE 127 III 328 E. 2d.<br />
7
28<br />
<strong>Team</strong> 7<br />
wesentlichen Abweichung führen. In diesem Zusammenhang kann auch auf die 10%-Toleranz bei<br />
Kostenvoranschlägen von Architekten verwiesen werden, welche in ständiger Rechtsprechung als<br />
absolut zulässiger Ermessenspielraum angesehen wird. 21<br />
Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Schätzungsgutachten der Beklagten weder in<br />
unsorgfältiger Art und Weise angefertigt wurde, noch in seinem Ergebnis als unrichtig zu<br />
bewerten ist.<br />
d) Der Kläger tätigte eine Disposition unabhängig vom Gutachten der Beklagten<br />
29 Damit eine Haftung aus Vertrauen in Erwägung gezogen werden kann, muss der Geschädigte<br />
aufgrund einer fehlerhaften Information oder Auskunft zu einer Disposition veranlasst worden sein,<br />
welche sich als negativ, sprich vermögensvermindernd, herausstellt. Die unrichtige Information<br />
muss dabei für die Disposition ursächlich sein. 22 Dass in casu eine Disposition durch den Kläger<br />
getätigt wurde, wird nicht bestritten. Unzutreffend ist aber die Behauptung, das durch das<br />
Gutachten erweckte Vertrauen sei ausschlaggebend gewesen für den Kaufentscheid und den Preis<br />
der Liegenschaft. Denn auch ohne eine Expertise wäre ein entsprechender Kaufvertrag zustande<br />
gekommen. Darauf wird zurückzukommen sein. 23<br />
e) Ein Schaden im Umfang von CHF 80'000.- ist dem Kläger nie entstanden<br />
30 Ein rechtserheblicher Schaden ist nur gegeben, wenn eine ungewollte Verminderung des<br />
Reinvermögens eingetreten ist. 24 Gemäss Definition ist besonders die Ungewolltheit wichtig.<br />
Entscheidend ist somit die Frage, wie sich der Geschädigte mutmasslich verhalten hätte, wenn ihm<br />
die tatsächlichen Verhältnisse bekannt gewesen wären. Hätte er die Disposition auch dann getätigt,<br />
wäre ihm kein Schaden entstanden. Es ist also durchaus möglich, dass trotz einer<br />
Sorgfaltswidrigkeit kein Schaden entsteht, welcher zu einer Ersatzpflicht führt. Dies ist dann so,<br />
wenn die Disposition nicht auf das erweckte Vertrauen zurückgeführt werden kann. 25 In casu ist<br />
tatsächlich nicht ersichtlich, warum der Käufer bei Kenntnis des Dachstockzustandes von einem<br />
Kauf abgesehen haben sollte. Die Beklagte ist überzeugt davon, dass der Kläger das Haus auch<br />
dann zum vereinbarten Preis gekauft hätte. Somit ist dem Kläger wegen des Gutachtens der<br />
Beklagten überhaupt nie ein Schaden entstanden.<br />
31 Der Kläger behauptet, der unmittelbare Schaden im Falle unrichtiger Informationen sei die<br />
Differenz zwischen dem Kaufpreis vor der Reparatur des Dachstockes und der Vermögenslage<br />
21<br />
BGE 119 II 253 E. bb; BGE 122 III 64 E. aa.<br />
22<br />
Vgl. MOSER (Fn. 1), S. 186.<br />
23<br />
Rz. 30.<br />
24<br />
ROLAND HÜRLIMANN/THOMAS SIEGENTHALER (Fn. 19), S. 109; ALFRED KOLLER, in: THEO GUHL/ALFRED<br />
KOLLER/ANTON K. SCHNYDER/NICOLAS DRUEY (Hrsg.), 9. Aufl., Zürich 2002, S. 67 N. 18.<br />
25<br />
Vgl. NIKLAUS LÜCHINGER, Schadenersatz im Vertragsrecht, Diss., Freiburg 1999, N 963.<br />
8
<strong>Team</strong> 7<br />
nach Durchführung und Bezahlung derselben. 26 Es stimmt indessen nicht, dass ein Geschädigter so<br />
zu stellen ist, wie wenn die erhaltene Falschaussage der Wirklichkeit entsprochen hätte. Es besteht<br />
ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Ersatz des Vertrauensschadens einerseits und der<br />
Vertrauensentsprechung anderseits. 27 Zudem war der Dachstock schon mehr als 20 Jahre alt.<br />
Demzufolge müsste die Beklagte dem Kläger auch dann nicht den ganzen Neuwert bezahlen, wenn<br />
der Kläger vollumfänglich im Recht wäre.<br />
32 Das Bundesgericht fügt in seinem Urteil 130 III 345 an, dass sich der Umfang der Haftung nach der<br />
Intensität der rechtlichen Sonderverbindung richtet, welche sich aus den konkreten Umständen<br />
ergibt. 28 Dies bedeutet zweierlei: erstens, dass keine Haftung eintritt, wenn entweder keine<br />
Sonderverbindung entstanden oder diese untergegangen ist, 29 und zweitens, dass die<br />
Schadenersatzhöhe nicht automatisch der Abweichung des Schätzungsresultates eines Gutachtens<br />
entspricht. Somit kann auch im vorliegenden Fall nicht einfach gesagt werden, dass sich eine<br />
allfällige Schadenssumme auf CHF 80'000.- belaufen würde. Vielmehr müssen die konkreten<br />
Umstände berücksichtig werden. Wie oben erwähnt wurde, bestand zwischen den Parteien keine<br />
Sonderverbindung. Sollte das Gericht gleichwohl von einer solchen ausgehen, ist festzustellen, dass<br />
diese lediglich konstruiert wurde, da zwischen den Parteien nie ein direkter Kontakt bestanden hat.<br />
Die Intensität einer Verbindung war also höchstens minimal. Dies muss bei der Berechnung der<br />
Schadensberechung ebenfalls berücksichtigt werden. Folglich liegt ein allfällig zugesprochener<br />
Schadenersatz weit unter den geforderten CHF 80'000.-.<br />
f) Eine Kausalität zwischen dem Schaden des Klägers und dem Verhalten der Beklagten ist<br />
nicht gegeben<br />
33 Kausalität liegt vor, wenn zwischen der behaupteten Nicht-Berücksichtigung der Mängel und dem<br />
geltend gemachten Schaden eine direkte Verbindung besteht. Dabei muss sowohl eine natürliche<br />
wie auch eine adäquate Kausalität vorliegen. In casu ist beides nicht gegeben. Dies aus folgenden<br />
Gründen:<br />
34 Eine natürliche Kausalität ist gegeben, wenn das pflichtwidrige Nicht-Berücksichtigen der Mängel<br />
eine notwendige Voraussetzung für das Entstehen des Schadens des Klägers darstellt. 30 Gemäss<br />
Rechtsprechung müssen aber „Baumängel bzw. Renovationskosten (…) für den Schätzer erkennbar<br />
sein.“ 31 Der Gutachter müsste also für ihn sichtbare Mängel übersehen oder unberücksichtig<br />
gelassen haben. Dem ist im vorliegenden Fall nicht so. Denn die Mängel wären auch bei einer<br />
26<br />
Urteil des Bundesgerichts 4C.366/2000 vom 19. Juni 2001, E. 3b cc; vgl. auch FEHLMANN (Fn. 3), S. 189; NIKLAUS<br />
LÜCHINGER (Fn. 25), N 778, 974; MOSER (Fn. 7), S. 189 f.; ROLAND HÜRLIMANN/THOMAS SIEGENTHALER (Fn. 19), S.<br />
109.<br />
27<br />
Vgl. NIKLAUS LÜCHINGER (Fn. 25), N 949 ff.<br />
28<br />
BGE 130 III 345 E. 2.2.<br />
29<br />
Vgl. NIKLAUS LÜCHINGER(Fn. 25), N 775 f., 968 ff.<br />
30<br />
Vgl. statt vieler PETER GAUCH/WALTER R. SCHLUEP/JÖRG SCHMID/HEINZ REY, Schweizerisches Obligationenrecht<br />
Allgemeiner Teil, Band II, 8. Aufl., Zürich 2003, N 2751.<br />
31<br />
E. 3d des Kantonsgerichtentscheides St. Gallen vom 2. Juni 2003, BZ.2002.33.<br />
9
<strong>Team</strong> 7<br />
Besichtigung des Dachstockes nicht festgestellt worden, da diese gar nicht erkennbar waren. Dies<br />
wird aus folgenden Punkten klar ersichtlich:<br />
35 Die Baumängel wurden von Herrn Leon D. (dem damaligen Eigentümer) jahrelang<br />
nicht erkannt.<br />
Auch der Kläger entdeckte den Feuchtigkeitsschaden am Gebälk des Dachstock nicht,<br />
als er die Liegenschaft beim Kauf auf Mängel prüfte.<br />
Die Mängel wurden erst sechs Monate nach dem Hauskauf zufällig bei<br />
Renovationsarbeiten entdeckt.<br />
36 Dies zeigt, dass der Schaden am Dachgebälk keineswegs augenfällig war und von der Beklagten<br />
nicht hätte erkannt werden müssen. Es handelt sich im konkreten Fall auch nicht um ein<br />
Mängelgutachten, bei welchem sämtliche Mängel ausfindig zu machen sind, sondern um eine<br />
Wertschätzung. 32 Erkannt werden müssen also nur Mängel, welche „ohne weiteres und ohne<br />
besondere Untersuchung“ 33 feststellbar sind. Folglich war eine Kausalität zwischen der<br />
behaupteten Pflichtverletzung durch Nicht-Begutachtung und dem eingetretenen Schaden<br />
nie gegeben, weil die Mängel auch für einen Gutachter nicht erkennbar waren.<br />
37 Neben der natürlichen Kausalität, mangelt es auch an einer Adäquanz zwischen dem Verhalten der<br />
Beklagten und dem Schaden. Eine solche wäre gegeben, wenn das Gutachten „nach dem<br />
gewöhnlichen Lauf der Dinge und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet“ 34 gewesen<br />
wäre, den Schaden zu verursachen. Diese adäquate Kausalität ist durch Drittverschulden – nämlich<br />
das Handeln von Frau Marie D. – durchbrochen worden, als Frau Marie D. die Anweisung gegeben<br />
hat, den Dachstock nicht zu besichtigten. Gleichzeitig versicherte sie den „guten Zustand“ des<br />
Gebälks, worauf sich die Beklagte auch verlassen durfte.<br />
38<br />
Im Ergebnis führt dies zur Verneinung der adäquaten Kausalität. Einerseits aufgrund des<br />
Drittverschuldens von Frau Marie D., andererseits wegen des Selbstverschuldens des<br />
Klägers. Denn wenn der Schaden am Dachstock erkennbar war, ist die Kausalität durch den Kläger<br />
selber durchbrochen worden, da er die Mängel seinerseits nicht berücksichtig hatte, wie es von ihm<br />
erwartet werden konnte (vergleiche dazu die Ausführungen unter Rz. 34 ff.).<br />
g) Die Beklagte hat nie schuldhaft gehandelt<br />
39 Der Kläger geht mit Berufung auf Lehre und Rechtsprung davon aus, dass zur Bejahung des<br />
Verschuldens eine Sorgfaltspflichtverletzung ausreichend sei, weil eine solche als Fahrlässigkeit zu<br />
verstehen wäre. Dies sei im Falle einer Vertrauenshaftung als Verschuldenstatbestand genügend.<br />
32<br />
Vgl. ROLAND HÜRLIMANN/THOMAS SIEGENTHALER (Fn. 19), S. 108.<br />
33<br />
E. 3d des Kantonsgerichtentscheides St. Gallen vom 2. Juni 2003, BZ.2002.33; ROLAND HÜRLIMANN/THOMAS<br />
SIEGENTHALER (Fn. 19), S. 108.<br />
34<br />
Z.B. BGE 123 III 110 E. 3a.<br />
10
<strong>Team</strong> 7<br />
Die Beklagte verweist an dieser Stelle aber auf Rz. 20 und 34 ff., wo das Nicht-Vorliegen einer<br />
Sorgfaltspflichtverletzung bereits erörtert wurde und bestreitet somit ein Verschulden ihrerseits.<br />
1.3. Fazit: Die Voraussetzungen einer Vertrauenshaftung sind nicht gegeben<br />
40 Die dargelegten Tatsachen und rechtlichen Erläuterungen haben gezeigt, dass die Voraussetzungen<br />
der Vertrauenshaftung nicht gegeben sind.<br />
41 Eine Haftung aus Vertrauen scheitert im vorliegenden Fall bereits an der Bedingung der rechtlichen<br />
Sonderverbindung, da zwischen den Parteien weder ein sozialer Kontakt entstanden ist noch die<br />
Beklagte damit rechnen musste, eine rechtliche Bindung über das Vertragsverhältnis hinaus<br />
einzugehen.<br />
42 Die zentrale Frage lautet: Waren die Mängel am Gebälk des Dachstockes erkennbar oder nicht? Ist<br />
die Antwort ja, so kann sich der Kläger nicht auf ein fehlerhaftes Gutachten berufen, da er nicht<br />
gutgläubig darauf zählen durfte. Denn wenn die Mängel sichtbar waren, hätten diese durch den<br />
Kläger selber entdeckt werden müssen. Waren die Mängel hingegen nicht erkennbar, so fehlt es an<br />
der Kausalität zwischen dem unsorgfältigen Handeln und dem entstandenen Schaden.<br />
43 Weiter wurde gezeigt, dass die Arbeitsweise der Beklagten in keiner Art und Weise unsorgfältig<br />
war, da die Nicht-Besichtigung des Dachstockes auf Gesuch des Auftraggebers hin unterblieben<br />
war, in dessen Interesse die Richtigkeit des Gutachtens primär lag. Dass die Beklagte diesem<br />
Gesuch Folge leistete und sich auf die Auskünfte des Auftraggebers verliess, war zulässig und darf<br />
ihr daher nicht angelastet werden.<br />
44 Zudem ist dem Kläger durch das Gutachten der Beklagten kein Schaden entstanden. Dies, weil der<br />
Schätzungsbericht im Ergebens richtig und das Gutachten für die getroffenen Dispositionen des<br />
Klägers nicht ursächlich waren.<br />
45 All diese Ausführungen zeigen, dass die Beklagte keine Schuld an der angeblichen<br />
Vermögensverminderung des Klägers trifft, weshalb die Klage auch in dritter Instanz<br />
vollumfänglich abzuweisen ist.<br />
11
<strong>Team</strong> 7<br />
2. Aus Delikt<br />
2.1. Deliktshaftung als Anspruchsgrundlage<br />
46 Nebst der Vertrauenshaftung bejaht der Kläger ebenfalls eine Haftung der Beklagten aus<br />
unerlaubter Handlung nach Art. 55 OR.<br />
47 Für die Abhandlung der allgemeinen Haftungsvoraussetzungen (sprich: Schaden und Kausalität)<br />
kann auf die zuvor im Rahmen der Vertrauenshaftung gemachten Ausführungen verwiesen werden.<br />
Übereinstimmend ist so auch hier das Vorliegen der Kausalität zwischen dem Verhalten von Pedro<br />
A. und dem vom Kläger geltend gemachten Schaden zu verneinen. 35 Entsprechend den obigen<br />
Ausführungen ist zudem die Existenz eines Schadens bestritten 36 , womit bereits die ersten zwei<br />
Tatbestandsmerkmale nicht erfüllt sind und eine Haftung der Jean N. & Söhne AG bereits an dieser<br />
Stelle verneint werden müsste.<br />
48 Um aber die Richtigkeit dieses Ergebnisses zu untermauern, werden in den nachfolgenden<br />
Erwägungen noch aufgezeigt, dass für den vorliegenden Sachverhalt keine Schutznorm existiert,<br />
gegen welche die beklagte Partei verstossen hat, weshalb es ebenfalls am Tatbestand der<br />
Widerrechtlichkeit mangelt.<br />
49 Entsprechend Art. 55 OR stehen dem Geschäftsherrn noch weitere Möglichkeiten offen, sich von<br />
einer Haftung zu befreien. Es handelt sich erstens um den Sorgfaltsbeweis und zweitens um den<br />
Beweis der fehlenden Kausalität zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Schaden. Auch<br />
auf diese wird in der Folge näher eingegangen.<br />
50 Das Vorliegen eines Subordinationsverhältnisses wird von der Jean N. & Söhne AG nicht<br />
bestritten, weshalb auf eine Abhandlung hierzu verzichtet wird.<br />
a) Widerrechtlichkeit<br />
51 Wie die Klägerseite korrekt ausführt, stellt das Bundesgericht in Bezug auf die Widerrechtlichkeit<br />
auf die objektive Widerrechtlichkeitstheorie ab und hat diese bis zum heutigen Tag auch immer<br />
wieder bestätigt. 37 Klar finden sich einige Sachverhalte, in welchen das Bundesgericht die<br />
Widerrechtlichkeit auf eine andere Art und Weise konstruiert, dies sind jedoch Ausnahmen, welche<br />
wie man so schön zu sagen pflegt, nur die Regel bestätigen.<br />
35 Vgl. Rz. 33 ff.<br />
36 Vgl. Rz. 30 ff.<br />
37 BGE 115 II 15 E. 3a; Urteil des Bundesgerichts 4C.280/1999 E. 1a vom 28.1.2000.<br />
12
<strong>Team</strong> 7<br />
52 Entsprechend der objektiven Widerrechtlichkeitstheorie ist der Schaden dann widerrechtlich, wenn<br />
er durch die Verletzung eines absoluten Rechts oder durch Verstoss gegen eine Schutznorm<br />
zustande kommt. 38 Aufgrund des Numerus clausus der absolut geschützten Rechte in der<br />
Schweizer Rechtsordnung muss im Rahmen von reinen Vermögensschäden mit Hilfe einer<br />
Schutznorm operiert werden. Es ist also zu eruieren, ob sich im Privat-, Straf- oder im öffentlichen<br />
Recht eine Schutznorm finden lässt, welche den Schätzer verpflichtet, das Vermögen des Dritten zu<br />
schützen.<br />
53 Das Bundesgericht wurde erst kürzlich mit einem identischen Sachverhalt konfrontiert und<br />
entschied die Frage nach einer Schutznorm wie folgt: „eine ausservertragliche Haftung scheitere<br />
am Erfordernis der Widerrechtlichkeit, da den Beklagten keine Rechtspflicht zum Schutze des<br />
Vermögens eines Dritten treffe.“ 39 Dieser Entscheid ist für den vorliegenden Sachverhalt von<br />
zentraler Bedeutung. Erstens scheint wichtig hervor zu heben, dass das Bundesgericht in diesem<br />
Entscheid nachdrücklich an der objektiven Widerrechtlichkeitstheorie festhält, indem es das<br />
Vorliegen der Widerrechtlichkeit ausschliesslich anhand der Verletzung einer Schutznorm prüft.<br />
Zweitens geht deutlich aus dem Entscheid hervor, dass der Schutznormbegriff vom Bundesgericht<br />
restriktiv ausgelegt wird um somit ein Ausufern der Haftung gegenüber jedermann zu Recht zu<br />
verhindern.<br />
aa) Die objektive Widerrechtlichkeitstheorie beim Immobiliengutachten<br />
54 Obwohl oder gerade, weil die Begründung in BGE 130 III 345 so kurz und prägnant ausgefallen ist<br />
und eine ausservertragliche Haftung verneint wurde, manifestiert das Bundesgericht seine<br />
ablehnende Haltung gegenüber neuen Ansätzen zur Konstruktion der Widerrechtlichkeit, wie sie<br />
vom Kläger im vorliegenden Fall in Erwägung gezogen werden. Dies kann aus dem Umstand<br />
gefolgert werden, dass es dem Bundesgericht ohne weiteres möglich gewesen wäre, die in der<br />
neueren Lehre entwickelten Ansätze 40 für ein modifiziertes Verständnis der Widerrechtlichkeit 41 in<br />
Betrachtung zu ziehen. Darauf hat das Bundesgericht aber absichtlich verzichtet, weil<br />
offensichtlich keine Notwendigkeit besteht mit Hilfe solcher Ansätze zu operieren. Die objektive<br />
Widerrechtlichkeitstheorie ist also keinesfalls unzulänglich, wie dies der Kläger darstellt.<br />
Dementsprechend stellt das Bundesgericht in seinem Entscheid fest, dass auch die kantonalen<br />
38 Statt vieler: BGE 123 III 306 E. 4a; HEINRICH HONSELL, Schweizerisches Haftpflichtrecht, 4. Auflage, Zürich/ Basel/<br />
Genf 2005, § 4 N 1a ff; KARL OFTINGER/EMIL W. STARK, Schweizerisches Haftpflichtrecht, Allgemeiner Teil, Band I,<br />
5. Auflage, Zürich 1995, § 4 N 22 ff.<br />
39 BGE 130 III 345 E. 1.<br />
40 FRANZ WERRO, Die Sorgfaltspflichtverletzung als Haftungsgrund nach Art. 41 OR, in: Zeitschrift für schweizerisches<br />
Recht, Basel 1997, S. 346 ff.; DERSELBE, Haftung für fehlerhafte Auskunft und Beratung, in: recht 2003, S. 14 ff.;<br />
VITO ROBERTO, Deliktsrechtlicher Schutz des Vermögens, AJP 1999, S. 511 ff.; ALFRED KOLLER, Dritthaftung eines<br />
Schätzers gegenüber einem Käufer der geschätzten Liegenschaft? Bemerkungen zu BGE 130 III 345 ff., in: ALFRED<br />
KOLLER (Hrsg.), Neue und alte Fragen zum privaten Baurecht, S. 22 ff., N 39 ff; KARL HOFSTETTER, Gutachterhaftung<br />
gegenüber Dritten im Schweizer Recht, AJP 1998, S. 263 ff.<br />
41 FRANZ WERRO (FN 40), S. 343 ff.<br />
13
<strong>Team</strong> 7<br />
Instanzen richtigerweise solche Ansätze nicht geprüft haben und somit „zutreffend zum Ergebnis“<br />
gekommen sind, dass eine ausservertragliche Haftung scheitert. 42<br />
bb) Restriktives Verständnis des Schutznormbegriffs<br />
55 In seiner Schrift unterstellt der Kläger dem Bundesgericht, es hätte sich gegenüber reinen<br />
Vermögensschäden verweigernd verhalten, sich aber in neuster Zeit ein wenig geöffnet. Diese<br />
Entwicklung versucht der Kläger zu beweisen indem er einige Bundesgerichtsentscheide zitiert, in<br />
welchen das Gericht nicht ganz strikte der objektiven Widerrechtlichkeitstheorie und deren<br />
Schutznormbegriff folgt.<br />
56 Hierzu muss erstens angefügt werden, dass die objektive Widerrechtlichkeitstheorie durch seinen<br />
Schutznormbegriff schon immer die Möglichkeit bot das Vermögen als solches vor Schädigungen<br />
zu schützen und dies auch vom Bundesgericht genau so anerkannt und praktiziert wurde. 43 Das<br />
Bundesgericht war deshalb gegenüber reinen Vermögensschäden noch nie verweigernd, natürlich<br />
mit Ausnahme der Fälle, wo keine Schutznorm zugunsten des Vermögens von Fremden bestand.<br />
Weil es in diesen Fällen jedoch an einer Schutznorm fehlt, fallen diese nicht unter das allgemeine<br />
Verbot andere zu verletzen (neminem laedere) und der Geschädigte hat daher nach dem Grundsatz<br />
casum sentit dominus den Schaden selber zu tragen. 44<br />
57 Zweitens muss die von der Klägerseite stark hervorgehobene Tendenz zu einer viel weiteren<br />
Auslegung des Widerrechtlichkeitstatbestandes etwas abgeschwächt werden. Es wird propagiert,<br />
dass das Bundesgericht regelmässig ungeschriebene Schutznormen anerkennt und mit Hilfe von<br />
Sorgfaltspflichten argumentiert. Fakt ist, dass solche Lösungen vom Bundesgericht anerkennt<br />
wurden, hierfür stehen auch die vom Kläger erwähnten Entscheide. Bestritten wird jedoch die<br />
vermeintliche Regelmässigkeit der Fälle in denen sich das Bundesgericht solcher Lösungen<br />
bedient. Es handelt es sich bei den vorgebrachten Beispielen ausschliesslich um Ausnahmen. Im<br />
Regelfall stützt sich das Bundesgericht immer noch auf die objektive Widerrechtlichkeitstheorie. 45<br />
Die Regel ist so konstruiert, dass sie auf die meisten Situationen angewendet werden kann. Es aber<br />
treten manchmal Situationen auf, mit welchen die Regel nicht vereinbar ist und deshalb wird<br />
entsprechend dem Gerechtigkeitsgefühl eine Ausnahme toleriert. Dies bedeutet aber nicht, dass<br />
gleich die ganze Regel umgeformt werden muss, wie dies vom Kläger vorgeschlagen wird.<br />
58 Wie das Bundesgericht bereits im BGE 130 III 345 festgehalten hat, handelt es sich im<br />
vorliegenden Fall nicht um eine Ausnahme, sondern um einen Sachverhalt auf welchen ohne<br />
weiteres die Regel angewendet werden kann und dadurch kein dem Gerechtigkeitsgefühl<br />
widersprechendes Ergebnis resultiert. Dies heisst konkret, dass auf das Verhalten von Pedro A.<br />
42 BGE 130 III 345 E. 1.<br />
43 BGE 97 II 223; BGE 101 Ib 252; BGE 119 II 127 E. 3; 124 III 297 E. 5b; BGE 129 IV 322 E. 2.2.<br />
44 HEINZ REY, Ausservertragliches Haftpflichtrecht, 3. Auflage, Zürich/ Basel/ Genf 2003, N 18 ff.<br />
45 BGE 119 II 127 E. 3; 129 IV 322 E. 2; BGE 130 III 345 E. 1.<br />
14
<strong>Team</strong> 7<br />
weder eine Sorgfaltspflichtverletzung, noch eine im Rahmen der Rechtsergänzungskompetenz des<br />
Gericht (Art. 1 Abs. 2 ZGB) geschaffene ungeschriebene Schutznorm angewendet werden kann,<br />
um die Widerrechtlichkeit zu konstruieren. Es kann einzig auf eine geschriebene Schutznorm<br />
zurückgegriffen werden. Gemäss seinem Entscheid, 46 lehnt das Bundesgericht die Existenz einer<br />
solchen geschriebenen Schutznorm bis anhin jedoch ab.<br />
59 Mangels Schutznorm und somit mangels Widerrechtlichkeit kann die Jean N. & Söhne AG nicht<br />
nach Art. 55 OR haftbar gemacht werden.<br />
b) Sorgfaltsbeweis<br />
60 Die Haftung des Geschäftsherrn greift nur, wenn dieser die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten<br />
nicht erfüllt und somit nicht genügend dazu beigetragen hat einen Schaden in der Art des<br />
Eingetretenen zu verhüten. Ist gar kein Schaden eingetreten, hat der Geschäftsherr also genügend<br />
dazu beigetragen diesen zu verhindern und somit auch die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten<br />
erfüllt. Entsprechend den vorgegangenen Ausführungen 47 fehlt es David L. an einem Schaden und<br />
deshalb kann der Jean N. & Söhne AG auch keine Sorgfaltspflichtverletzung vorgeworfen werden.<br />
61 Um den Sorgfaltsbeweis weiter zu bestärken, wird nachstehend gezeigt, dass der Mitarbeiter Pedro<br />
A. korrekt ausgewählt, instruiert und kontrolliert wurde. Weil die Organisation des Unternehmens<br />
und die Sorgfalt in Bezug auf die Arbeitsgeräte nicht gerügt und diesbezüglich keine<br />
Sorgfaltspflicht verletzt wurde, werden diese in der Folge nicht näher thematisiert.<br />
62<br />
Cura in eligendo: Beim ausgewählten Mitarbeiter Pedro A. handelt es sich um einen voll<br />
ausgebildeten Architekten, welcher auch bereits einige Jahre Praxiserfahrung mit sich bringt.<br />
Während seiner Ausbildung brillierte Pedro A. mit seinen Arbeitsleistungen, weshalb es ihm nach<br />
seiner Ausbildung ermöglicht wurde von einer auf Immobiliengutachten spezialisierten und hoch<br />
renommierten Unternehmung wie der Jean N. & Söhne AG eingestellt zu werden. Weil Pedro A.<br />
nicht 25 Jahre Erfahrung mit Immobiliengutachten vorweisen kann, wie im Briefkopf der<br />
Beklagten geworben wird, wurde das Gutachten auch nicht durch letzteren sondern durch einen<br />
Spezialisten, genauer gesagt Jean N. persönlich ausgestellt. Die Aufgabe von Pedro A. war einzig<br />
einen Augenschein über den Zustand des Hauses durchzuführen. Für diese Aufgabe verfügte Pedro<br />
A. als Architekt über ausreichend Kenntnisse. Ihm sind aufgrund seiner Ausbildung die heiklen<br />
Stellen in einem Gebäude bekannt und es ist ihm auch bewusst, worauf bei einem Augenschein<br />
speziell geachtet werden muss. Deshalb wurde der Mitarbeiter mit der nötigen Sorgfalt ausgewählt.<br />
46 Vgl. BGE 130 III 345 E. 1.<br />
47 Vgl. Rz. 30 ff.<br />
15
63<br />
64<br />
<strong>Team</strong> 7<br />
Cura in instruendo: Die Unterweisung muss in einem Masse erfolgen, welches der Schwierigkeit<br />
48<br />
der Aufgabe und der vernünftigen Lebensauffassungen gerecht wird. Die Anweisung „genau<br />
unter die Lupe“ nehmen ist ausreichend präzis, denn die Aufgabe ist nicht besonders schwierig und<br />
keinesfalls gefährlich. Für den Mitarbeiter war dies zudem eine alltägliche Aufgabe, da er<br />
andauernd irgendwelche Gebäude in Augenschein nehmen muss. Einerseits bei sich im Bau<br />
befindlichen Gebäuden, bei welchen geprüft werden muss, ob sie mit den Plänen übereinstimmen;<br />
andererseits bei renovationsbedürftigen Häusern oder beim Augenscheinnehmen im Hinblick auf<br />
die Gutachtenserstellung, welche Pedro A. bisher immer korrekt erfüllt hatte. Aufgrund der<br />
Kenntnisse und Erfahrungen, welche Pedro A. über das Vorgehen, sowie die heiklen Stellen an<br />
Gebäuden besitzt, sind keine besonderen Anweisungen von Seiten des Geschäftsherrn mehr<br />
notwendig. 49<br />
Cura in custodiendo: Die Überwachung hängt ebenfalls von der Schwierigkeit der zugeteilten<br />
Arbeit und den Eigenschaften der Hilfsperson ab. So darf sich der Geschäftsherr auf zuverlässige,<br />
50<br />
langjährige Arbeiter verlassen, ohne diese ständig zu ermahnen und zu überwachen. Die<br />
Überwachung der Arbeit von Pedro A. erfolgte vor allem bei Arbeiten, welche für diesen neu<br />
waren oder bei besonders schwierigen Aufgaben, wie etwa im Entwerfen von Plänen oder bei<br />
Statikberechnungen, wo ein falsches Resultat zum Einstürzen eines Gebäudes führen könnte. Bei<br />
alltäglichen und harmlosen Aufgaben, wie dies auch beim Augenschein vom 1. Juli 2002 der Fall<br />
war, durfte sich der Geschäftsherr auf die Zuverlässigkeit und die Fähigkeiten des Arbeiters<br />
verlassen und deshalb führt das Unterlassen einer Überwachung hier auch nicht zu einer<br />
Sorgfaltspflichtverletzung der Jean N. & Söhne AG.<br />
c) Fehlen der Kausalität zwischen der Sorgfaltspflichtverletzung und dem Schaden<br />
65 An dieser Stelle sei wieder auf die vorangehenden Erwägungen verwiesen, welche den Schaden<br />
verneinen, in Folge dessen auch keine Kausalität vorliegen kann. 51<br />
66 Indes auch der schlechte Zustand des Gebälks, weder vom ehemaligen Eigentümer, welcher als<br />
Kunsttischler immerhin ein Experte in Sachen Holz war, noch von David L. erkannt wurde, kann<br />
ohne weiteres darauf geschlossen werden, dass der Gutachter, welcher sich im Gegensatz zu den<br />
Eigentümern nur sehr kurz im Haus aufhält, den schlechten Zustand auch nicht hätte erkennen<br />
können. Die Tatsache, dass der schlechte Zustand des Gebälks nicht ersichtlich war, kann auch<br />
durch Erfüllung der dem Geschäftsherrn obliegenden Sorgfaltspflichten nicht wettgemacht werden.<br />
Eine Sorgfaltspflichtverletzung, wie sie vom Kläger gerügt wird, wäre somit zum vorgebrachten<br />
48<br />
ROLAND BREHM, in: HEINZ HAUSHEER (Hrsg.), Berner Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht,<br />
Obligationenrecht, Art. 41-61 OR, 2. Auflage, Bern 1998, N 65 zu Art. 55 OR.<br />
49<br />
Vgl. BGE 47 II 333 S. 334; BGE 77 II 243 S. 248.<br />
50<br />
BGE 110 II 456 E. 2b.<br />
51<br />
Vgl. Rz. 30 ff.<br />
16
<strong>Team</strong> 7<br />
Schaden nicht kausal, da der schlechte Zustand des Gebälks auch ohne Sorgfaltpflichtverletzung<br />
verborgen geblieben wäre und das Gutachten gleich ausgefallen wäre. 52<br />
2.2. Fazit: Die Voraussetzungen von Art. 55 OR sind nicht gegeben<br />
67 Die vorgehenden Ausführungen schliessen eine Haftung der Jean N. & Söhne AG aus.<br />
68 Zuerst wurde aufgezeigt, dass gar kein Schaden im Sinne des Haftpflichtrechts besteht, welcher<br />
eine Haftpflicht der Beklagten nach Art. 55 OR begründen könnte.<br />
69 Weiter fehlt es am Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Hilfsperson und dem<br />
vermeintlich beim Kläger entstandenen Schaden.<br />
70 Auch im Rahmen der Widerrechtlichkeit fehlt es entsprechend der bundesgerichtlichen<br />
Rechtsprechung an einer Schutznorm, infolgedessen dieses Tatbestandsmerkmal nicht erfüllt ist.<br />
71 Wird auch noch der Befreiungsbeweis geprüft, stellt man fest, dass dem Geschäftsherrn keine<br />
Sorgfaltspflichtverletzung unterstellt werden kann und - falls das Gericht anderer Ansicht wäre -<br />
eine Sorgfaltspflichtverletzung zum dem fragwürdigen Schaden nicht im Kausalzusammenhang<br />
stehen würde.<br />
72 Folglich kann Art. 55 OR nicht zur Anwendung gebracht werden.<br />
52 Vgl. Rz. 33 ff.<br />
17
<strong>Team</strong> 7<br />
B. Verrechnung einer allfälligen Haftungssumme mit der Gegenforderung der Beklagten<br />
von CHF 3'000.-<br />
73 Für den Fall, dass das Gericht dem Kläger eine Schadenersatzsumme zuspricht, macht die Beklagte<br />
deren Verrechnung mit der Forderung geltend, welche 1998 entstanden ist. Eine Verrechnung<br />
zweier Forderungen ist immer dann möglich, wenn sich die Verrechnungsforderung gegen den<br />
Verrechnungsgegner und die Hauptforderung gegen den Verrechnenden richtet. 53 Diese Bedingung<br />
ist, wie dargelegt wird, im vorliegenden Fall gegeben.<br />
74 Im Jahre 1998 erstellte die Beklagte im Auftrag des heutigen Klägers Baupläne, welche dieser zur<br />
Renovation seines Hauses benötigte. Das Ausfertigen dieser Pläne wurde zwar durch Jean N.<br />
erledigt, dies aber im Namen und auf Rechnung der Beklagten. Dabei entstand eine Forderung der<br />
Beklagten gegenüber dem Kläger in der Höhe von CHF 3'000.-, so dass also eine Gegenseitigkeit<br />
mit der nachträglich in casu entstandenen Schadenersatzforderung vorliegt. Da der Kläger die<br />
fehlende Gegenseitigkeit der Forderungen vor den unter Instanzen aber nie vorgebracht hat, kann<br />
eine solche Einwendung vor dem Bundesgericht auch gar nicht mehr geltend gemacht werden.<br />
75 Zu bejahen ist weiter die Frage nach der Fälligkeit der Forderung der Beklagten sowie die<br />
Gleichartigkeit mit einer allfälligen Schadenersatzsumme, handelt es sich doch in beiden Fällen um<br />
Geldleistungen.<br />
76 Ebenfall positiv zu beantworten ist die Frage nach der Klagbarkeit. Die Forderung entstand im<br />
Jahre 1998 und verjährt, wie dies für Architektenarbeiten normal ist, nach 10 Jahren (Art. 127 OR).<br />
Der Kläger hat zwar geltend gemacht, dass die Arbeit von Jean N. als Handwerksarbeit zu<br />
qualifizieren sei, da dieser auch bei kleineren Renovationsarbeiten geholfen habe. Deshalb wäre die<br />
Verjährung bereits nach fünf Jahren eingetreten (Art. 128 Ziff. 3 OR). Dem ist aber nicht so. Selbst<br />
wenn die freundschaftliche Hilfe von Jean N. als Handwerksarbeit zu beurteilen wäre, würde dies<br />
keinen Unterschied im Verhältnis zwischen Kläger und Beklagter zur Folge haben. Die<br />
Rechtsbeziehung entstand nämlich nur durch das Ausfertigen der Baupläne; nur hierfür ist auch<br />
eine Rechnung über CHF 3'000.- gestellt worden. Folglich findet die ordenlichte Verjährungsfrist<br />
gemäss Art. 127 OR Anwendung, weshalb eine Verrechnung der Forderungen rechtens ist.<br />
53 Vgl. statt vieler GAUCH/SCHLUEP/SCHMID/REY (Fn. 30), N 3397.<br />
18