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Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem

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256 Hans-Günter Zmarzlik<br />

wollten ernstlich und subjektiv ehrlich die Gesundheit der Nation vor dem zersetzenden<br />

E<strong>in</strong>fluß der Moderne retten. Tatsächlich aber haben sie das Heraufkommen<br />

weit schlimmerer Gefahren begünstigt <strong>als</strong> sie abwenden wollten.<br />

Dies ist freilich zunächst noch e<strong>in</strong>e Behauptung, die unseren Ausführungen vorgreift.<br />

Bisher haben wir nur gezeigt, daß und wie mit Hilfe des Begriffs „<strong>Sozialdarw<strong>in</strong>ismus</strong><br />

" gewisse ideologische Komplexe aus dem Gesamt geistiger Phänomene<br />

herausgelöst und beschrieben werden können. Damit ist die historische Existenz<br />

unseres Gegenstandes nachgewiesen. Wie steht es aber mit se<strong>in</strong>er geschichtlichen<br />

Bedeutung?<br />

E<strong>in</strong>e Antwort darauf wird sich an zwei Kriterien zu orientieren haben: e<strong>in</strong>mal<br />

an der „Geschichtsmächtigkeit", <strong>als</strong>o an der Wirkung, die sozialdarw<strong>in</strong>istisches<br />

Denken ausgeübt hat; zum anderen an se<strong>in</strong>em Aussagewert <strong>als</strong> geschichtserhellender<br />

pars pro toto.<br />

Nun führt die Frage, auf welchen Wegen und <strong>in</strong> welchem Umfang Ideen geschichtsmächtig<br />

geworden s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> jedem Fall sehr bald aus dem Bezirk des Nachweisbaren<br />

<strong>in</strong> den des Vermutens und Me<strong>in</strong>ens. Für den <strong>Sozialdarw<strong>in</strong>ismus</strong> gilt das<br />

<strong>in</strong> ganz besonderem Maße. Denn es handelt sich hier ja nicht — wie z. B. beim<br />

Marxismus — um e<strong>in</strong>e logisch <strong>in</strong> sich geschlossene Ideologie, die alle Lebensbereiche<br />

e<strong>in</strong>heitlich auslegt und die <strong>in</strong> ständiger exegetischer Rückbes<strong>in</strong>nung auf e<strong>in</strong>en<br />

Denker von maßgebender Bedeutung und hohem geistigen Rang ihre <strong>in</strong>nere<br />

E<strong>in</strong>heit vor aller Welt immer wieder erneuert und demonstriert. Vielmehr hat<br />

man es mit e<strong>in</strong>er Vielzahl von kle<strong>in</strong>en Geistern zu tun, die auf den ersten Blick<br />

sehr verschiedenartig anmuten und deren <strong>in</strong>nerer Zusammenhang und geme<strong>in</strong>same<br />

Tendenz sich erst dem Historiker voll erschließt. Entsprechend verdeckt und<br />

diffus s<strong>in</strong>d daher auch die Ausstrahlungen sozialdarw<strong>in</strong>istischen Gedankengutes..<br />

Unter solchen Umständen ist es nicht aussichtsreich, auf Grund unmittelbarer<br />

Entlehnungen und E<strong>in</strong>flüsse, <strong>als</strong>o nach der Formel „Wer hat was von wem?"<br />

Abhängigkeiten und Zusammenhänge nachzuweisen. Man wird vielmehr am besten<br />

davon ausgehen, den potentiellen Ausstrahlungsradius des <strong>Sozialdarw<strong>in</strong>ismus</strong> abzuschätzen.<br />

Zu fragen ist <strong>als</strong>o zunächst nach der Anzahl, der sozialen Stellung, der<br />

Organisation se<strong>in</strong>er Vertreter, und vor allem nach der publizistisch-propagandistischen<br />

Reichweite ihrer Gedanken, <strong>als</strong>o nach Auflagenhöhe und Rezensionsecho<br />

sozialdarw<strong>in</strong>istischer Veröffentlichungen; nach Bezieherzahl und E<strong>in</strong>zugsfeld entsprechender<br />

Zeitschriften; nach der Streuungsbreite von Aufsätzen sozialdarw<strong>in</strong>istischer<br />

Autoren an anderen Stellen.<br />

Als nächstes wären dann diejenigen Sektoren der politischen Publizistik zu sondieren,<br />

<strong>in</strong> denen e<strong>in</strong>e besondere Aff<strong>in</strong>ität zu sozialdarw<strong>in</strong>istischen Gedankengängen<br />

vermutet werden kann. Sodann hätte man die positiven Befunde auf ihren Stellenwert<br />

im jeweiligen ideologischen Kontext zu prüfen, um von da ihrer verhaltensleitenden<br />

Wirkung nachzuforschen. Unabhängig davon müßte schließlich an Hand<br />

der Reden und Schriften führender Parteipolitiker oder Staatsmänner ermittelt<br />

werden, ob und <strong>in</strong>wieweit sozialdarw<strong>in</strong>istische Vorstellungen <strong>in</strong> den Horizont der<br />

verantwortlichen Handelnden e<strong>in</strong>gegangen s<strong>in</strong>d.

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