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Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem

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266 Hans-Günter Zmarzlik<br />

„Eugenik" zur Seite 39 ; die Zahl der Ortsgruppen konnte vermehrt 40 , die öffentliche<br />

Vortragstätigkeit gesteigert werden. Freilich: Das alles war doch verschw<strong>in</strong>dend<br />

wenig angesichts der so lebhaft empfundenen Notwendigkeit, e<strong>in</strong>em Volk von<br />

70 Millionen neue Wege zu weisen. Nur auf dem äußersten rechten Flügel der<br />

politischen Front, wo der Rassengedanke und der Antisemitismus, mith<strong>in</strong> das Dogma<br />

von der biologisch begründeten Ungleichwertigkeit, e<strong>in</strong> ideologisch zentraler Faktor<br />

war, wurden die rassenhygienischen Forderungen aufgegriffen, wenn auch agitatorisch<br />

kaum herausgestellt. So hat die Rassenhygiene bis 1932 nur e<strong>in</strong>e bescheidene<br />

Rolle am Rande des Geschehens gespielt.<br />

Mit der Machtübernahme durch die Nation<strong>als</strong>ozialisten gew<strong>in</strong>nt sie, und neben<br />

ihr weit stärker noch die Rassenkunde, sprunghaft an Bedeutung 41 . Reim jüngeren<br />

<strong>Sozialdarw<strong>in</strong>ismus</strong> fanden die unklaren „rassischen" und sozialbiologischen Vorstellungen<br />

der Nation<strong>als</strong>ozialisten gewissermaßen Rückendeckung: e<strong>in</strong>mal sachliche<br />

Sanktionierung durch verme<strong>in</strong>tlich wissenschaftliche Begründungen, zum anderen<br />

auch e<strong>in</strong>e gewisse Festigkeit und „Lernbarkeit", wie sie für „Schulungs "-Zwecke<br />

unerläßlich ist. Schließlich boten sich hier Voraussetzungen für die praktische Handhabung<br />

sozialbiologischer Maßnahmen. In diesem S<strong>in</strong>ne hat die vorbereitende und<br />

mithelfende Arbeit der jüngeren Sozialdarw<strong>in</strong>isten die sozialbiologische Praxis des<br />

Dritten Reichs mit ermöglicht. Sie bestätigte und förderte die Gewißheit, im biologisch-rassischen<br />

Niveau den höchsten Wertmesser für die Qualität und den geschichtlichen<br />

Rang von e<strong>in</strong>zelnen und Völkern zu besitzen und im plangerechten<br />

E<strong>in</strong>satz wissenschaftlich-technischer Mittel die Möglichkeit zu haben, dieses Niveau<br />

zu kontrollieren und zu verändern. So wird der jüngere <strong>Sozialdarw<strong>in</strong>ismus</strong> geschichtsmächtig<br />

weniger durch unmittelbare Breitenwirkung <strong>als</strong> durch die Bereitstellung<br />

von Denkmodellen, d. h. von Plänen und Verfahrensweisen für die Neuordnung<br />

der gesellschaftlichen Verhältnisse auf biologistischer Grundlage.<br />

39 Eugenik, Erblehre, Erbpflege, In Verb<strong>in</strong>dung mit E. Fischer, F. Lenz, H. Muckermann,<br />

E. Rüd<strong>in</strong>, O. v. Verschuer, hrsg. v. A. Ostermann. Auflagenziffer 1933: 4200 (für die früheren<br />

Jahrgänge fehlt der Nachweis).<br />

40 Von 1924 bis 1930 wurden 12 weitere Ortsgruppen <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong>, 4 <strong>in</strong> Österreich begründet.<br />

Die Mitgliederzahl erhöhte sich auf etwa 1300. Vgl. E. Fischer, Aus der Geschichte<br />

der Deutschen Gesellschaft für Rassenhygiene, <strong>in</strong>: AfRGR 24 (1930), S. lff.<br />

41 Die Gesellschaft für Rassenhygiene wächst bis 1936 auf 68 Ortsgruppen an; ihre amtliche<br />

Zeitschrift „Volk und Rasse" hat 1939 e<strong>in</strong>e Auflage von 13 300; Ploetz erhält 1935 den<br />

Professorentitel; Ernst Rüd<strong>in</strong>, seit 1933 ihr Leiter, wird 1938 mit der Goethemedaille für<br />

Kunst und Wissenschaft ausgezeichnet; 1936 wird Rassenhygiene an allen Universitäten, an<br />

denen das Fach vertreten ist, Prüfungsgebiet (Berl<strong>in</strong>, München, Leipzig, Königsberg, Frankfurt/Ma<strong>in</strong>.)<br />

Parallel geht e<strong>in</strong>e starke Verbreitung von rassenhygienischem Wissen durch<br />

Staats- und Parteistellen <strong>in</strong> Presse, Publizistik, Schule und Schulungskursen. Alle<strong>in</strong> das Thür<strong>in</strong>gische<br />

Landesamt für Rassewesen hat bis Ende 1934 für etwa 9000 Angehörige bestimmter<br />

Berufe (Ärzte, Juristen, Bürgermeister, Polizisten; ferner Politische Leiter u. a.), 14tägige<br />

Lehrgänge über Rassenhygiene, Bevölkerungspolitik und „züchterische Familienkunde" durchgeführt.<br />

- Zur Rassenkunde sei lediglich angemerkt, daß H. F. K. Günther an die Universität<br />

Berl<strong>in</strong> berufen wurde, 1935 den neugestifteten Preis der NSDAP für Wissenschaft erhielt<br />

und daß die Gesamtauflagenzahl se<strong>in</strong>er Schriften bis 1945 der Halbmillionengrenze ziemlich<br />

nahekam.

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