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Der Sozialdarwinismus in Deutschland als geschichtliches Problem

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262 Hans-Günter Zmarzlik<br />

militante Publizistik nicht genug tun können, den Kampf ums Dase<strong>in</strong> im Völkerleben<br />

<strong>als</strong> ebenso notwendig wie heilsam zu preisen, und dies auch dann noch, <strong>als</strong><br />

bei den Angelsachsen derartige Stimmen nach der Hochflut imperialistischer Leidenschaften<br />

um die Jahrhundertwende rasch abebbten. Doch handelt es sich bei<br />

diesen nationalistischen Schriftstellern, unter denen Theodor von Bernhardi am<br />

bekanntesten geworden ist, nicht um Sozialdarw<strong>in</strong>isten. Vielmehr entlehnten sie<br />

mehr oder weniger isolierte Schlagworte, ohne daß die darw<strong>in</strong>istische Naturerklärung<br />

dabei konsequent auf die Deutung des politisch-sozialen Geschehens angewendet<br />

worden wäre.<br />

Solche Anziehungskraft darw<strong>in</strong>istischer Schlagworte erklärt sich aus der Zuspitzung<br />

des politischen Denkens auf e<strong>in</strong>seitig kämpferische Züge, die ja allgeme<strong>in</strong> zur<br />

Signatur der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts gehört und die sich <strong>in</strong> <strong>Deutschland</strong><br />

auf Traditionen berufen konnte, <strong>in</strong> denen die Verherrlichung e<strong>in</strong>es rücksichtslosen<br />

Kampfes- und Machtwillens mit sittlichen Postulaten eigentümlich zusammenfloß.<br />

So konnte die fortschreitende Naturalisierung der politischen Begriffe, die <strong>in</strong><br />

der Bereitschaft, gewisse Darw<strong>in</strong>ismen zu übernehmen, Ausdruck fand, sich verb<strong>in</strong>den<br />

mit dem Gefühl, hohen sittlichen Zielen nachzustreben. Für den rückschauenden<br />

Interpreten ist freilich der Fassadencharakter dieses Selbstverständnisses<br />

nur zu greifbar und daher der Schluß naheliegend, daß auch <strong>in</strong> bürgerlichen<br />

Kreisen allmählich die Voraussetzungen dafür schwanden, die entsittlichende Bedeutung<br />

e<strong>in</strong>er brutal-biologistischen Kampf-ums-Dase<strong>in</strong>s-Ideologie zu erfassen,<br />

wie sie dann von Hitler vertreten worden ist. Dessen vulgär-darw<strong>in</strong>istischer Monismus<br />

zeigt andererseits, daß radikale sozialdarw<strong>in</strong>istische Vorstellungen auf e<strong>in</strong>er<br />

gesellschaftlich tieferen Ebene <strong>in</strong> massiver Form weitergetragen worden se<strong>in</strong> müssen.<br />

Die Zwischenglieder dürften <strong>in</strong> Österreich zu suchen se<strong>in</strong>, wo die unaufhebbar<br />

ersche<strong>in</strong>enden Nationalitätengegensätze und die erbitterten Volkstumskämpfe den<br />

älteren <strong>Sozialdarw<strong>in</strong>ismus</strong> plausibler ersche<strong>in</strong>en ließen <strong>als</strong> im <strong>Deutschland</strong> der<br />

Vorkriegszeit. Auch das Schockerlebnis der Niederlage von 1866, die <strong>als</strong> Triumph<br />

der physischen Stärke und der Skrupellosigkeit über das bessere Recht empfunden<br />

wurde, wirkte <strong>in</strong> der gleichen Richtung. Denn erst aus der Perspektive dessen<br />

heraus, der sich zu Unrecht besiegt fühlt, erhält die Anerkennung des wesenhaften<br />

Kampfcharakters der politischen und sozialen Welt die volle Härte.<br />

Die angeführten Motive lassen sich für Hellwald, e<strong>in</strong>en ehemaligen österreichischen<br />

Offizier, <strong>als</strong> bestimmend nachweisen; ähnliches gilt für die Anfänge der<br />

Soziologie <strong>in</strong> Österreich, die an die Namen Ludwig Gumplowicz (1838-1909) und<br />

Gustav Ratzenhofer (1842-1904) geknüpft s<strong>in</strong>d 30 . Auch hier steht der Kampfgedanke<br />

im Mittelpunkt, und der Darw<strong>in</strong>ismus übt dabei starken E<strong>in</strong>fluß. Er wird<br />

sogar im E<strong>in</strong>zelfall <strong>in</strong>nerhalb der Führungsspitzen des Staates wirksam, wie sich<br />

30 Die <strong>in</strong> diesem Zusammenhang wichtigsten Werke beider Autoren: L. Gumplowicz,<br />

Rasse und Staat, E<strong>in</strong>e Untersuchung über das Gesetz der Staatenbildung, 1875; <strong>Der</strong>s., <strong>Der</strong><br />

Rassenkampf, 1883; G. Ratzenhofer, Wesen und Zweck der Politik, Als Theil der Soziologie<br />

und Grundlage der Staatswissenschaften, 3 Bde., 1893.

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