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Gitarre & Laute XXIX/2007/Nº 2

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Die Jahre lösen sich auf, und vor meinem<br />

geistigen Auge sehe ich Trudie und mich in<br />

der Zuschauermenge des Circus Roncalli in<br />

Hamburg, völlig eingefangen von der einzigartigen<br />

Interpretation von Mozarts<br />

Rondo alla turca, Katschaturians Säbeltanz<br />

und Vivaldis Frühling aus den Vier Jahreszeiten.<br />

Der Perkussionist spielte auf etwas,<br />

das mich entfernt an einen Kasten Milchflaschen<br />

erinnerte. Nichtsdestotrotz war<br />

die Musik sehr beeindruckend. Sie war sogar<br />

so beeindruckend, dass ich der Band eine<br />

Nachricht zukommen ließ mit der Frage,<br />

ob sie wohl nach England kommen<br />

würden, um auf einer Geburtstagsparty zu<br />

spielen, die wir ausrichten wollten. Wir waren<br />

sehr erstaunt, als wir die Antwort erhielten,<br />

dass die Gruppe nicht gewillt war,<br />

für uns zu spielen, dass sie ernsthafte Musiker<br />

seien und nicht für einen Rockstar<br />

und seine Frau auf Abruf spielende Affen.<br />

Aua! Ich erinnere mich noch sehr gut an<br />

den brennenden Schmerz dieses Momentes,<br />

der mich sicher auf meinen Platz verwies<br />

und mir unglaublich peinlich war.<br />

„Es tut mir so leid!“ sagte Edin und gab<br />

mir ein verblassendes Polaroid-Bild, welches<br />

klar ersichtlich an dem betreffenden<br />

Abend aufgenommen worden war. Da sind<br />

wir, Trudie und ich, mit einem leicht verwirrten<br />

und betretenen Gesichtsausdruck,<br />

umgeben von dem mysteriösen Trio, Edin<br />

mürrisch neben meiner linken Schulter stehend,<br />

mit grollendem Blick von irgendwo<br />

unterhalb seiner dunklen Augenbrauen. Ich<br />

beginne zu lachen, so laut und schallend<br />

zu lachen, dass ich umfalle und mich vor<br />

Lachen im Gras wälze, während die Schwalben<br />

wieder aufgeregt durch die Luft kreisten.<br />

Edin sieht entsprechend irritiert und<br />

belustigend unsicher aus.<br />

In dieser Nacht öffneten wir Dowlands<br />

First Booke of Songes, und ich begann<br />

meine Ausbildung, mein Eintauchen in der<br />

Musik eines Komponisten und Musikers des<br />

16. Jahrhunderts, der mich seit fast einem<br />

Vierteljahrhundert verfolgt.<br />

Dowland und seine Zeit<br />

Geboren 1563, ist John Dowland vielleicht<br />

das erste Beispiel für einen Archetypen,<br />

der uns heute sehr vertraut ist, den außerhalb<br />

seiner Gesellschaft stehenden „Singer-<br />

Songwriter“, was ihm einen deutlich modernen<br />

Bezug gibt.<br />

Dem wenigen zufolge, was über ihn bekannt<br />

ist, scheint er ein schwieriger und<br />

sehr bedrückter Mann gewesen zu sein,<br />

und doch schaffte er es, die Enttäuschungen<br />

seines Lebens und den Zeitgeist des<br />

16. Jahrhunderts in zeitlose und bezaubernde<br />

Songs zu bannen. Sie sind keineswegs<br />

alle traurig, aber trotzdem gestalten<br />

sie die Melancholie der Zeit mit ausreichend<br />

lebendiger Kontrapunktik und kontrapunktischen<br />

Rhythmen aus der Tanzmusik,<br />

so dass es unfair wäre, Dowland – in<br />

Elizabethan Lute Songs … ihre Wiederentdeckung<br />

im zwanzigsten Jahrhundert<br />

Von Peter Päffgen<br />

Peter Pears soll es gewesen sein, der als Erster – zusammen mit Julian Bream –<br />

wieder englische <strong>Laute</strong>nlieder im 20. Jahrhundert vorgetragen hat. Bei Stainer &<br />

Bell in London [http://www.stainer.co.uk] kamen in den fünfziger Jahren, ediert<br />

von Thurston Dart, Neuausgaben auf den Markt, und zwar in einer groß angelegten<br />

Reihe namens The English Lute Songs und zur gleichen Zeit (1955) erschien<br />

auch die erste Schallplatte von Bream und Pears. 1959 wurde die Lute Society in<br />

England gegründet und die große <strong>Laute</strong>n- und speziell Dowland-Forscherin Diana<br />

Poulton (1903–1995) arbeitete an ihrer monumentalen Dowland-Biografie (erschienen<br />

1972) und an der Ausgabe seiner <strong>Laute</strong>nwerke (erschienen schließlich 1973).<br />

Thurston Dart gab nicht nur die englischen <strong>Laute</strong>nlieder heraus, sondern nach<br />

1948 auch das Galpin Society Journal, eine Zeitschrift, die im Andenken an Francis<br />

W. Galpin gegründet worden war, um dessen Forschungen an historischen Musikinstrumenten<br />

und um deren Aufführungspraxis weiterzuführen. Und er war einer der<br />

Initiatoren und Herausgeber der<br />

Musica Britannica, der großen<br />

Denkmäler-Ausgabe englischer Musik,<br />

die 1951 gegründet wurde. Es<br />

war in England also eine Zeit des<br />

Aufbruchs, eine Zeit der sehr intensiven<br />

und engagierten Orientierung<br />

an der historischen Überlieferung.<br />

Vor dem Zweiten Weltkrieg hatte es<br />

auch schon Bemühungen um Alte<br />

Musik gegeben und um deren Aufführungspraxis<br />

… (Eugène) Arnold<br />

Dolmetsch (1858–1940) ist da als<br />

Pionier zu nennen. Er studierte verschiedene<br />

Instrumente an verschiedenen<br />

Akademien (Brüssel und London)<br />

und er baute auch Nachbauten<br />

historischer Musikinstrumente. Seine<br />

erste <strong>Laute</strong> soll er 1893 gebaut<br />

haben, danach Cembali, Blockflöten<br />

und Gamben. Und er hat in seiner<br />

Arnold Dolmetsch, Foto um 1900<br />

(Dolmetsch Instruments, Haslemere)<br />

Heimatstadt Haslemere ein Festival<br />

für Alte Musik gegründet, wo für<br />

seine Zeit revolutionäre Versuche<br />

unternommen wurden … die auf<br />

wenig Interesse bei Zeitgenossen stießen.<br />

In anderen europäischen Ländern hat es Versuche gegeben, Alte Musik in historischer<br />

Aufführungspraxis den Menschen nahe zu bringen. Großen Publikumserfolg<br />

hatten solche Unternehmungen aber erst in den fünfziger und sechziger Jahren des<br />

letzten Jahrhunderts – nach dem Zweiten Weltkrieg.<br />

Vielleicht waren die verheerenden Ereignisse des Kriegs und das Trauma, das die<br />

nationalsozialistische Diktatur in Deutschland hinterlassen hat, Gründe für ein Besinnen<br />

und gleichzeitig dafür, dass man sich nicht gleich mit Stolz und Ehrfurcht<br />

der eigenen (Musik-) Geschichte widmete. Auf intellektuelle Neue Musik besann<br />

man sich – und auch vorsichtig auf Alte Musik. Und man tat beides recht dogmatisch.<br />

In der neuen Musik war es zunächst das Diktat der Dodekaphonie – in der<br />

alten das bedingungslose Streben nach Authentizität. Aus beiden Richtungen wurde<br />

in die jeweils andere polemisiert. Theodor W. Adorno, fasste die Ablehnung<br />

jeglicher Bemühungen um Alte Musik pointiert zusammen. Er hielt die „Restauration<br />

alter verschollener Instrumente“ für eine Beschäftigung mit Musik, die jegliche<br />

Sinnlichkeit und Vitalität entbehrte: „... die Jugendmusik [...] möchte die<br />

Emanzipation der Farbe als einer selbständigen kompositorischen Schicht [...] widerrufen<br />

[...] Man könnte dagegen die Restauration verschollener alter Instrumen-<br />

<strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXIX</strong>/<strong>2007</strong> <strong>Nº</strong> 2 11

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