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Gitarre & Laute XXIX/2007/Nº 2

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der gleichen Seite nicht, die das Selbstbegleiten<br />

ermöglichte. Wir kennen nur einen<br />

Komponisten, der sich, schriftlichen Belegen<br />

zufolge, selbst begleitet hat: Alfonso<br />

Ferrabosco (ca. 1575-1628):<br />

„sang rarely [i.e., extremely] well to the<br />

theorbo lute.“ 32 Belege für Komponisten,<br />

die ihre Lieder, sich selbst begleitend, aufgeführt<br />

haben, findet man in Italien weit<br />

häufiger, wo Caccini, Peri und Rasi so verfahren<br />

haben. 33<br />

Die Aufführung von <strong>Laute</strong>nliedern heute<br />

Die meisten der jetzt folgenden Vorschläge<br />

berücksichtigen die modernen Konzertbedürfnisse,<br />

die den Musikem der elizabethanischen<br />

Zeit fremd waren.<br />

Balance mit der Begleitung<br />

Der Sänger muss immer beim Singen die<br />

<strong>Laute</strong> hören können, was ihn vielleicht<br />

zwingt, etwas weniger Stimme zu geben<br />

oder den <strong>Laute</strong>nisten, ponticello zu spielen,<br />

also bewusst einen härteren Klang zu erzeugen<br />

als beim Solospiel. Viele Abbildungen<br />

des 17. Jahrhunderts und auch Unterweisungstexte<br />

(zum Beispiel Thomas Mace‘<br />

Musick‘s Monument von 1676, S. 71) verlangten,<br />

dass der kleine Finger der rechten<br />

Hand hinter den Steg gestellt werden sollte,<br />

so dass die anschlagenden Finger einen nasalen<br />

Klang erzeugen konnten. Fingernägel<br />

an der rechten Hand wurden von einigen<br />

Spielern des 17. Jahrhunderts eingesetzt,<br />

besonders von Theorbenspielem — und<br />

zwar zweifellos, um schärfer anschlagen zu<br />

können und somit besser zum Gesang oder<br />

zu anderen Instrumenten zu passen. 34 Eine<br />

Bass-Viola wird vielleicht benötigt, wenn<br />

der <strong>Laute</strong>nist leise ist oder der Konzertsaal<br />

groß, was dem Sänger ohnehin sofort mehr<br />

Stimme abverlangt (man erinnere sich an<br />

den „loud tenor“!). Je intimer die Konzertatmosphäre<br />

ist, desto weniger wird eine<br />

Bass-Viola gebraucht, die die Flexibilität<br />

beeinträchtigt.<br />

Berücksichtigung der Akustik<br />

Wie wir gesehen haben, sind die meisten<br />

Lieder für intime, kleine, häusliche Aufführungen<br />

gedacht. Wenn sie aber heute in<br />

größeren akustischen Umgebungen gesungen<br />

werden müssen, muss die Art der Begleitung<br />

den akustischen Verhältnissen angepasst<br />

werden. Über die Authentizität, eine<br />

<strong>Laute</strong> zu verwenden, die vom Publikum<br />

nicht gehört wird, braucht nicht weiter geredet<br />

zu werden. Ein vorsichtig gespieltes<br />

Klavier wäre in einem sehr großen Saal sicher<br />

besser. Erwägen Sie also, eine Bass-Viola<br />

einzusetzen oder vermeiden Sie zu große<br />

Säle. Auch kann die Wahl der absoluten<br />

Tonhöhe helfen, Ort und Aufführung in Einklang<br />

zu bringen — höher für größere Räume,<br />

tiefer für kleinere. Aber <strong>Laute</strong>nisten,<br />

Achtung! Viele Begleitungen lassen sich<br />

nicht leicht transponieren. Sie müssen umgeschrieben<br />

werden, fast neu komponiert<br />

20 <strong>Gitarre</strong> & <strong>Laute</strong>-ONLINE <strong>XXIX</strong>/<strong>2007</strong> <strong>Nº</strong> 2<br />

— es sei denn, man benutzt <strong>Laute</strong>n in verschiedenen<br />

Stimmungen.<br />

Gesangsstil<br />

1. Schnelle strophische Lieder, mit meistens<br />

einer Note pro Silbe verlangen „kurzes“<br />

Singen in einer Art Rezitationsstil. Das erreicht<br />

man, indem man jedes legato vermeidet<br />

und die Tonlängen beinahe halbiert<br />

und mit Pausen auffüllt. Das kann den<br />

Rhythmus von Tanzliedern unterstützen<br />

und den Zuhörer in die Lage versetzen, dem<br />

Text besser zu folgen — in normaler Redegeschwindigkeit.<br />

Konsonanten sollten dann<br />

betont werden (demonstriert in Dowlands<br />

„Away with these self-loving lads!“, zuerst<br />

legato und dann kurz gesungen.)<br />

2. Langsamere Lieder verlangen eine Legato-Gesangslinie<br />

mit sehr wenig Vibrato<br />

wenn überhaupt — um zu der meist mehr<br />

kontrapunktischen Begleitung zu passen<br />

(demonstriert in Dowlands „I saw my lady<br />

weep“).<br />

3. Deklamatorische und zeremonielle Lieder,<br />

geschrieben für bestimmte, nicht<br />

häusliche Gelegenheiten (Masques, Staatszeremonien),<br />

verlangen eine formellere, deklamatorische,<br />

„laute“ Gesangsweise (demonstriert<br />

in Dowlands „Time‘s eldest<br />

son“)<br />

4. Dynamik und Tempo ergeben sich prinzipiell<br />

aus einem Studium des Textes und der<br />

Bedeutung des Gedichts. Zum Beispiel ist es<br />

so, dass die meisten Text-Wiederholungen<br />

eine rhetorische Betonung erreichen wollen.<br />

Das Verfahren, zum ersten Mal forte zu<br />

spielen und dann piano zu wiederholen,<br />

gibt also keinen Sinn — normalerweise sollte<br />

man die Dynamik nicht ändern. Die erste<br />

Note eines Lieds kann normalerweise geringfügig<br />

länger sein, als es ihr mathematischer<br />

Wert verlangt, um den Anfang zu<br />

markieren und die Aufmerksamkeit der Zuhörer<br />

zu erregen — aber das gilt für alle<br />

Musik. In den langsameren Liedern sollte<br />

man vor dissonanten Klängen, die vom<br />

Komponisten eingesetzt sind, um ein Wort<br />

zu kolorieren, ein leichtes crescendo anbringen.<br />

5. Rubato sollte angewandt werden — vorausgesetzt,<br />

die Hauptzählzeiten werden<br />

nicht merklich verschoben. Das bedeutet in<br />

der Regel ein geringfügiges Verlängern einer<br />

Note und danach — so spät wie möglich<br />

— ein Eilen, um beim nächsten Schlag<br />

wieder präzise zu sein. Man erweckt damit<br />

den Eindruck, man improvisiere oder komponiere<br />

das Stück gar im Moment der Aufführung<br />

anstatt es von den vorgegebenen<br />

Noten abzulesen. Italiener schrieben darüber<br />

mehr als Engländer — aber ich denke,<br />

dass man ihre Ideen auch auf englische Lieder<br />

anwenden kann.<br />

Giovanni de‘ Bardi (ca. 1578) meinte:<br />

„Komprimiere oder expandiere selbständig;<br />

sieh, dass es das Privileg der Sänger ist, die<br />

Zeit nach eigener Einschätzung einzuteilen.“<br />

35<br />

Giulio Caccini (1614): „Rubato ist jene Grazie<br />

des Gesangs, die, wenn richtig angewendet,<br />

… vom Singen in einer bestimmten<br />

vorgegebenen Steifheit und Trockenheit<br />

wegführt und den Gesang gefällig, frei und<br />

luftig macht … “ (Punkte 1-5 sowie die<br />

„Seufzerpause“ wurden durch John Dowlands<br />

„Sorrow stay“ demonstriert)<br />

6. Hinzufügungen von Diminutionen und<br />

Verzierungen: Ich denke, dass man sehr<br />

vorsichtig sein muss, den gedruckten Noten<br />

irgendetwas hinzuzufügen. Viele Lieder mit<br />

Diminutionen, zum Beispiel Daniel Bachelers<br />

„To plead my faith“ 37 , wirken wenig<br />

überzeugend, da die Verzierungen der Aussage<br />

und der emotionalen Verdichtung des<br />

Textes nichts hinzufügen. Ich habe den Eindruck,<br />

dass alle Beispiele, die wir besitzen,<br />

die ausnahmslos in Manuskripten niedergeschrieben<br />

sind, aus der Feder solcher Musiker<br />

stammen, die Dowland 1612 „some<br />

simple Cantors, or vocallsingers“ nannte,<br />

„who thought they seeme excellent in<br />

their blind Division-making, are meerely<br />

ignorant, even in the first elements of Musicke.“<br />

38 Fügt man Dowlands Aussage die<br />

Tatsache hinzu, dass Komponisten, wenn<br />

sie in ihren Liedern Wiederholungen ausschrieben<br />

(zum Beispiel Philip Rosseters<br />

„Whether men do laugh or weep“ oder Morleys<br />

„Thirsis and Milla“ und „It was a lover<br />

and his lass“), bei diesen Wiederholung keine<br />

Veränderungen einbrachten, haben wir<br />

Gründe genug, vorsichtig zu sein. Wir<br />

könnten dagegen die elizabethanische Praxis<br />

halten, beim Wiederholen instrumentaler<br />

Stücke „divisions“ zu improvisieren —<br />

aber da waren keine Texte beteiligt, was einen<br />

unterschiedlichen Interpretations-Stil<br />

vielleicht provoziert hat, um die Langweile<br />

von Melodien ohne Text zu mildern. Bedenken<br />

wir, dass das Wichtigste an den „Ayres“<br />

die Worte sind und dass alles, was den<br />

Zuhörer von den Texten auf den Sänger ablenkt,<br />

dem Komponisten einen schlechten<br />

Dienst erweist. Ein paar Jahre später, als<br />

sich das „Lute-Ayre“ ins „Continuo Ayre“<br />

entwickelt hatte, schrieb Edmund Weiler<br />

ganz richtig in einer Lobrede „Auf Mr. Henry<br />

Lawes, der eines meiner Lieder im Jahr<br />

1635 neu gesetzt hat<br />

„As a church window, thick with paint,<br />

Lets in a light but dim and faint;<br />

So others, with division, hide<br />

The light of sense, the poet‘s pride:<br />

But you alone may truly boast<br />

That not a syllable is lost;<br />

The writer‘s, and the setter‘s skill<br />

At once the ravished ears do fill.<br />

Let those which only warble long,<br />

And gargle in their throats a song,<br />

Content themselves with Ut, Re, Mi:<br />

Let words, and sense, be set by thee.“<br />

Sogar in Italien, wo man meines Erachtens<br />

an Sänger und Lied gleich interessiert war,<br />

(Pietro della Valle schrieb über Vittona Ar-

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