Adelinde Cornelissen - St. Georg
Adelinde Cornelissen - St. Georg
Adelinde Cornelissen - St. Georg
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Wir sollten nicht zu viel<br />
erwarten, hatte uns<br />
<strong>Adelinde</strong> <strong>Cornelissen</strong><br />
mit auf den Weg gegeben.<br />
„Ich habe keine Halle! Es ist<br />
alles nicht so ,fancy‘“. Für mich<br />
war die Sache klar. Da gibt eine<br />
die Bescheidene. Lieber etwas tiefer<br />
stapeln. „Keine Halle“. Das will<br />
nicht wirklich passen zu drei Weltcupsiegen<br />
in 30 Tagen, jeweils mit<br />
Bewertungen um die 80 Prozent.<br />
„Keine Halle“ in einem Land, in<br />
dem <strong>Adelinde</strong>s Mannschaftskollegen<br />
ihre <strong>St</strong>älle auch gerne mal<br />
„Akademie“ nennen und man<br />
sich über Kronleuchter unterm<br />
Hallendach nicht wundern muss?<br />
Beilen an einem trüben Vormittag<br />
im Februar. 9000 Bewohner<br />
hat das <strong>St</strong>ädtchen. Plattes Land,<br />
ein paar Kanäle, eine Eisenbahnlinie.<br />
Klatering 18 heißt unser Ziel.<br />
Wir fahren erst einmal vorbei an<br />
dem kleinen rot geklinkerten<br />
Haus. Zu unscheinbar duckt es<br />
sich an der <strong>St</strong>raßenecke unter sein<br />
Reetdach. Wie eine Katze, die sich<br />
vorm wärmenden Ofen zusam-<br />
Dafür gab es auch schon eine 10 –<br />
in der Piaffe und in den Übergängen zur<br />
Passage ist Parzival schwer zu schlagen.<br />
14 www.st-georg.de 3/2009<br />
»Nervös? Warum?<br />
Das Viereck ist überall 20 mal<br />
60 Meter, und die Buchstaben<br />
stehen immer<br />
an derselben <strong>St</strong>elle.«<br />
<strong>Adelinde</strong> <strong>Cornelissen</strong> über nicht vorhandenes Lampenfieber<br />
menrollt. Eine Zipfelmütze aus<br />
grünem Moos überzieht die<br />
Schilfhalme auf dem Dach und<br />
den Weg aus mürbem Klinker<br />
hinter der Gartenpforte. Eine abgesägte<br />
Regenrinne als Briefkasten,<br />
Nummer 18. Wir sind da! Der<br />
Weg führt am Haus und einem<br />
Paddock vorbei. Zwei Wallache<br />
gucken uns hinterher. Wir<br />
passieren eine Remise, ein<br />
niedriges <strong>St</strong>allgebäude<br />
und einen Misthaufen.<br />
Vor uns: Das Trainingszentrum,<br />
in dem <strong>Adelinde</strong><br />
<strong>Cornelissen</strong> das Pferd<br />
trainiert, das 2008 beim dritten<br />
Auslandstart seiner Karriere sensationell<br />
Zweiter im Grand Prix<br />
von Aachen hinter Isabell Werth<br />
und Satchmo wurde. Der Ort der<br />
täglichen gemeinsamen Exerzitien<br />
hat wenig Glamouröses: grünes<br />
Wellblech, eine weiße Schiebetür.<br />
„Talentschuppen“, durchzuckt es<br />
mich. Endlich weiß ich, wie so etwas<br />
aussieht. Der Weg hat<br />
sich schon jetzt gelohnt,<br />
ich atme auf. Das anschließende<br />
Einatmen bereue<br />
ich prompt. Süßlicher<br />
Geruch von Silo liegt in der<br />
feuchten Luft. „Määäh!“ Pferde sehen<br />
wir noch nicht, dafür hören<br />
wir Schafe. Neben dem Eingang<br />
zur Reithalle parkt ein weißer Pferdeanhänger<br />
mit Aufdruck „<strong>St</strong>al<br />
Arcadia“ – wir sind richtig. Ich<br />
schiebe das Tor zur Seite und betrete<br />
festen Schrittes den Vorraum<br />
der Halle. Die ersten Meter sind<br />
gepflastert, zur Rechten ist ein Kabuff.<br />
Eine Abstellkammer mit<br />
Nutzwert, die ein Klavier und ein<br />
Reiherskelett beherbergt. Und da<br />
ist sie: <strong>Adelinde</strong> <strong>Cornelissen</strong>. Und<br />
da ist er: Parzival. Ich sehe ihn. Er<br />
sieht mich. Und bremst. <strong>Adelinde</strong><br />
lacht: „Hi!“. Bevor ich antworten<br />
kann, hat <strong>Adelinde</strong> das Wort:<br />
„Brav, braaaaav!“ Lernfortschritt<br />
Nummero zwei: Zentrale Begriffe<br />
klingen überall gleich.<br />
40 Meter lang, 20 Meter breit, auf<br />
dem Boden Textilhäcksel und<br />
Sand, zwei schmale Spiegel – das<br />
Reich eines der erfolgreichsten<br />
Dressurkombinationen der Gegenwart.<br />
Das Winterreich, korrigiert<br />
mich <strong>Adelinde</strong>. „Im Sommer<br />
reite ich nur draußen“. Dann ent-<br />
Fotos: www.toffi-images.de<br />
Heute ein Musterschüler, hier in der Pirouette. Die ersten Turniere<br />
endeten aber vorm ersten Gruß mit fluchtartigem Verlassen des Vierecks.<br />
fällt das lästige Hin- und Herfahren.<br />
Parzival steht bei Henk<br />
Koers, wenige Kilometer von <strong>Adelinde</strong>s<br />
Elternhaus entfernt. Paddock,<br />
Wiese und Dressurviereck<br />
sind da, aber keine Halle. Koers<br />
hatte den Fuchs, damals noch<br />
Hengst, von der Züchterin Ria<br />
Beijer aus Puiflyk gekauft und<br />
fünfjährig für ihn einen Reiter gesucht.<br />
„Eigentlich brauchte er nur<br />
jemand zum Vorreiten beim Verkauf.“<br />
So kamen <strong>Adelinde</strong> und<br />
Parzival zusammen.<br />
Es war Liebe auf den ersten Blick,<br />
sagt sie. Was sie erzählt, klingt anders.<br />
„Ich habe noch nie auf einem<br />
Pferd gesessen, das beide<br />
Vorderhufe über die Ohren bekommt.<br />
Und schnell ist Parzival<br />
auch …“ Ja, denke ich mir, Liebe<br />
auf den ersten Blick ist, wenn einem<br />
Hören und Sehen vergeht.<br />
13 Schrauben<br />
Nach einigen Wochen gemeinsamen<br />
Trainings fand sich <strong>Adelinde</strong><br />
im Krankenhaus wieder. Zwei<br />
Platten und 13 Schrauben im<br />
Oberarm. Das hatte auch für Parzival<br />
Konsequenzen. Er wurde<br />
kastriert. Wenig später erwarb<br />
<strong>Adelinde</strong>s Vater Wim die Hälfte<br />
an Parzival. „Weil <strong>Adelinde</strong> sich<br />
sicher war, dass er ein ganz be-<br />
Auf der Flucht – in Amsterdam erinnerte sich Parzival an seine Jugendsünden.<br />
<strong>Adelinde</strong> <strong>Cornelissen</strong> musste aufgeben.<br />
sonderes Pferd ist.“ Die Worte<br />
kommen langsam und wohl überlegt.<br />
Hysterische Effekthascherei<br />
kommt für diesen Mann nicht in<br />
Frage. Blauer Jogginganzug, Wanderschuhe,<br />
an denen der Zahn der<br />
Zeit genagt hat – Wim <strong>Cornelissen</strong><br />
ist die Sorte Mensch, die einem<br />
Spatz den gebrochenen Flügel<br />
schient und ihn aufpäppelt. 46 Jahre<br />
war er Lehrer. Sport und Englisch<br />
hat er unterrichtet. Das Haar<br />
wird schütter, ein hellgrauer Bart<br />
umschließt das Gesicht. Die blauen<br />
Augen leuchten gütig. So einen<br />
Lehrer hätte ich auch gern gehabt.<br />
Er zählt bestimmt zu denen, die<br />
nach einem Wandertag alle auch<br />
Foto: Lafrentz<br />
mal zu einem Bier einlädt. Zumindest<br />
sieht er so aus.<br />
Wir sind in einem Familienunternehmen,<br />
das sich seit knapp<br />
zwei Jahren auf die Karriere von<br />
Parzival und <strong>Adelinde</strong> konzentriert.<br />
Auch seine Frau Geesina,<br />
eine Biologielehrerin, und <strong>Adelinde</strong>s<br />
Bruder Ron, der ein Taxiunternehmen<br />
mit schickem Chrysler<br />
hat, sind zur <strong>St</strong>elle, fahren auch<br />
mal als Pfleger mit aufs Turnier.<br />
Anfangs, das gibt Wim freimütig<br />
zu, war er wenig begeistert, dass<br />
seine Tochter ihre Tätigkeit als<br />
Lehrerin aufgab. Englisch hat sie<br />
unterrichtet. Sie ist allerdings eher<br />
ins Klassenzimmer gestolpert.<br />
3/2009 www.st-georg.de 15