Yolanda Feindura - Frauennotruf Bremen
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<strong>Yolanda</strong> <strong>Feindura</strong>: Letzte Worte zum Trauma Seite<br />
Ausstellungseröffnung am 24.09.2010<br />
Notruf für vergewaltigte Frauen und Mädchen <strong>Bremen</strong> ~ Dr. Gabriele Treu<br />
psychosomatischen Reaktionen, verzweifeltem Anklammern an Dinge oder Worte, die sie an<br />
das Verlorene erinner[te]n“. 5 Zitat Ende.<br />
Bei manchen Kindern der Hampstead Nurseries wog der Verlust so schwer, dass sie den<br />
Schmerz nicht vertragen konnten und deshalb emotional abspalten mussten. Diese Kinder<br />
zeigten – ich zitiere erneut Anna Freud: „keine Zeichen von Trauer, sondern reagier[t]en …<br />
eher mit verstärkter Heiterkeit und scheinbarer Unbekümmertheit. Vier unserer Kriegswaisen<br />
zum Beispiel zählten zu den lautesten und lustigsten Kindern ihrer Gruppen. Diese<br />
Absperrung gegen den Affekt lässt sich aber nicht aufrechterhalten, wenn ein neues<br />
Bombardement das Kind zwingt, das traumatische Ereignis in allen seinen Einzelheiten<br />
wieder zu durchleben.“ 6 Zitat Ende. Bei solchen Retraumatisierungen ereigneten sich<br />
dramatische „Rückschritte in der Entwicklung“, das Kind, nunmehr ohne Bindung, geriet in<br />
eine Art Niemandsland der Gefühle. So sagte ein kleiner fünfjähriger Junge, der von seiner<br />
Mutter getrennt war und seinen Vater verloren hatte: „Ich bin Niemandes Niemand.“ 7<br />
Es ließe sich leicht verstehen, wenn dieser Junge später im Erwachsenenalter auch bei<br />
banalen Trennungsanlässen schon einen psychischen Zusammenbruch erleiden würde.<br />
Notruf<br />
Im Notruf haben wir nicht – wie die Künstlerin – die Möglichkeit, Bilder zu zeichnen oder zu<br />
malen, mit denen wir die Auswirkungen von Traumatisierungen öffentlich kommunizieren<br />
können. Wir möchten stattdessen einer unserer Klientinnen unsere Stimme leihen und Sie<br />
dafür um Ihr Gehör bitten. Es geht um eine junge Frau, die vor gut anderthalb Jahren in<br />
unsere Beratungsstelle kam. Sie war von einer Verwandten angemeldet worden, die sich<br />
große Sorgen um die junge Frau machte.<br />
[BM:] Als sie kam, stand sie mit gesenktem Kopf in der Tür; sie wagte es nicht hoch zu<br />
schauen. Während sie uns in das Beratungszimmer folgte, schien sie mit ihren Füßen kaum<br />
den Boden zu berühren. Ihre Bewegungen waren verlangsamt. Vorsichtig versuchte sie,<br />
jedes Geräusch zu vermeiden.<br />
Im Gespräch erfuhren wir, dass sie einige Monate zuvor in einem außereuropäischen Land<br />
an einer Friedens-Demo teilgenommen hatte. Dabei war sie verhaftet worden. In der<br />
Untersuchungshaft hatte man sie nach den Namen der Drahtzieher gefragt. Sie konnte<br />
jedoch keine Namen nennen, da sie keine Drahtzieher kannte. Die Gefängniswärter nahmen<br />
sie mit und sperrten sie für drei Tage in eine Zelle. Während dieser drei Tage wurde sie<br />
verhört, misshandelt, wieder verhört und mehrfach vergewaltigt. Schließlich ließ man sie<br />
gehen. Vermutlich hoffte man, dass sie zu denjenigen Menschen laufen würde, deren<br />
Namen sie verraten sollte.<br />
Die junge Frau war schwer verletzt. Sie hatte Mühe, sich in Sicherheit zu bringen. Aber sie<br />
schaffte es, ihre Verfolger abzuschütteln und mit Hilfe ihrer Familie nach Deutschland zu<br />
flüchten. Hier hatte sie große Angst, dass man sie in ihr Land zurückschicken würde. Da sie<br />
5 Freud, Anna, und Burlingham, Dorothy (1948, 1950, 1951): Heimatlose Kinder. Zur Anwendung<br />
psychoanalytischen Wissens auf die Kindererziehung. Frankfurt am Main: S. Fischer Verlag, 1971. S. V und VI.<br />
In einer späteren Arbeit berichtete sie außerdem von Kindern, die nach ihrer Befreiung aus dem<br />
Konzentrationslager Theresienstadt ein Jahr lang von den Schwestern in England gepflegt wurden.<br />
6 Freud, Anna, und Burlingham, Dorothy (ebd.). S. 29. Traumatisierungen aktualisieren immer auch belastende<br />
Vorerfahrungen des Indivdiuums aus vergangenen Lebensabschnitten.<br />
7 Freud, Anna, und Burlingham, Dorothy (ebd.). S. 59. – Es muss darauf hingewiesen werden, dass eine<br />
Traumatisierung beim Individuum immer auf dessen jeweilige entwicklungsphasige Psychodynamik trifft, deren<br />
Motive die psychischen Auswirkungen des Traumas maßgeblich mitbestimmen.<br />
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