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Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg / hrsg. von Gerd ... - IfB

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D GESCHICHTE UND LÄNDERKUNDE<br />

DAK 20. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

<strong>Erster</strong> <strong>Weltkrieg</strong><br />

Rezeption<br />

<strong>Nationalsozialismus</strong><br />

AUFATZSAMMLUNG<br />

12-2 <strong>Nationalsozialismus</strong> <strong>und</strong> <strong>Erster</strong> <strong>Weltkrieg</strong> / <strong>hrsg</strong>. <strong>von</strong> <strong>Gerd</strong><br />

Krumeich in Verbindung mit Anke Hoffstadt <strong>und</strong> Arndt Weinrich.<br />

- 1. Aufl. - Essen : Klartext-Verlag, 2010. - 416 S. : Ill. ; 25 cm. -<br />

(Schriften der Bibliothek für Zeitgeschichte ; N.F. 24). - ISBN<br />

978-3-8375-0195-7 : EUR 29.95<br />

[#1176]<br />

Der <strong>Nationalsozialismus</strong> mitsamt Adolf Hitler gilt heute weithin als ein historisches<br />

Phänomen, das nur durch den Ersten <strong>Weltkrieg</strong> als Urkatastrophe<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts möglich gemacht wurde. Wie aber sahen die Beziehungen<br />

im einzelnen aus, die sich zwischen dem für Deutschland verlorenen<br />

<strong>Weltkrieg</strong> <strong>und</strong> dem Aufstieg <strong>und</strong> Erfolg des <strong>Nationalsozialismus</strong> ausmachen<br />

lassen? Ausgehend <strong>von</strong> dieser Frage erörtert der vorliegende Sammelband<br />

des bekannten Historikers <strong>Gerd</strong> Krumeich, der sich vielfach mit<br />

dem Ersten <strong>Weltkrieg</strong> <strong>und</strong> der Mentalitätsgeschichte befaßt hat.<br />

Im vorliegenden Buch versammelt er informative Beiträge zahlreicher Autoren,<br />

die sich mit vielen Aspekten der Wirkungsgeschichte des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />

befassen, soweit sie für das Verständnis des <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

relevant sind. Die Bezüge des <strong>Nationalsozialismus</strong> auf den Ersten <strong>Weltkrieg</strong><br />

<strong>und</strong> seine Traditionen sowie die Soldatengeneration stehen hierbei im Vordergr<strong>und</strong>.<br />

Der bekannte britische Historiker Ian Kershaw, dem wir u.a. eine<br />

maßgebliche Hitlerdarstellung verdanken, steuert ein Vorwort bei, in dem er<br />

die wichtigste Lehre, die das nationalsozialistische Regime aus dem verlorenen<br />

<strong>Weltkrieg</strong> zog, folgendermaßen formuliert, daß nämlich „eine uneingeschränkte<br />

Schreckensherrschaft, die jetzt auch zunehmend gegenüber<br />

der mehrheitlichen deutschen Bevölkerung ausgeübt wurde, die Entstehung<br />

jener Art revolutionärer Stimmung verhindern konnte, die in den Unruhen<br />

<strong>von</strong> 1918 ihren Höhepunkt gef<strong>und</strong>en hatte“ (S. 10).<br />

Neben einer Einführung Krumeichs steht gleichsam als zweite Einführung<br />

Ulrich Herberts Essay mit der Frage Was haben die Nationalsozialisten aus<br />

dem Ersten <strong>Weltkrieg</strong> gelernt? Die anderen Beiträge, die hier nicht alle erwähnt<br />

werden können, verteilen sich auf drei Teile: I. Mentale Mobilmachung;<br />

II. Tradition <strong>und</strong> Generation; III. Lektionen des Krieges.


Gerhard Hirschfeld zeichnet in seinem Beitrag nach, wie Adolf Hitler in seinen<br />

Reden vom Ersten <strong>Weltkrieg</strong> spricht (meist wenig ausführlich); Bernd<br />

Sösemann dagegen wirft einen Blick auf die propagandistische Nutzung des<br />

<strong>Weltkrieg</strong>es bei Goebbels. Hirschfeld zeigt, wie zentrale Begriffe der Hitlerschen<br />

Ideologie auf die <strong>Weltkrieg</strong>sdeutung seiner frühen politischen Betätigung<br />

zurückgehen; inwieweit Hitlers eigene militärische Entscheidungen im<br />

Zweiten <strong>Weltkrieg</strong> durch die Wahrnehmungen <strong>und</strong> Erfahrungen als Frontsoldat<br />

geprägt waren, müßte aber noch überprüft werden (S. 51). Das Spektrum<br />

der Beiträge reicht hier sonst noch bis zu so interessanten Aspekten<br />

wie der Darstellung des Krieges in der Malerei des <strong>Nationalsozialismus</strong><br />

(Sten Schweizer) sowie im Film (Rainer Rother) bzw. im NS-Spielfilm am<br />

Beispiel <strong>von</strong> Unternehmen Michael (Florian Kotscha). Aus literaturgeschichtlicher<br />

Perspektive aufschlußreich ist der Versuch des <strong>Nationalsozialismus</strong>,<br />

„eine verbindliche Deutung des <strong>Weltkrieg</strong>s seitens der Frontdichter“<br />

durchzusetzen, was vor der Gleichschaltung nicht der Fall war, weil es in<br />

der Weimarer Republik, anders als in Frankreich, nicht möglich gewesen<br />

war, ein „gemeinschaftliches Gedenken der Intellektuellen aller politischen<br />

Richtungen an den Ersten <strong>Weltkrieg</strong>“ ins Werk zu setzen (S. 111). Bisher<br />

wenig bekannt sei die Gruppe der „Mannschaft“, so Nicolas Beaupré, die es<br />

übernahm, eine solchermaßen „verpflichtende Interpretation zu erarbeiten“<br />

(ebd.). Dabei wird man auf die Eckpunkte des literarischen <strong>Weltkrieg</strong>sbildes<br />

blicken müssen, das oft <strong>von</strong> erst nach dem Krieg entstandenen Büchern wie<br />

Jüngers In Stahlgewittern oder Remarques Im Westen nichts Neues geprägt<br />

wurde. Doch ist es wichtig zu betonen, daß die Literatur des <strong>Weltkrieg</strong>s<br />

schon in diesem selbst beginnt <strong>und</strong> daß es auch keineswegs<br />

schwerpunktmäßig Romane <strong>und</strong> Erzählungen waren, in denen der Krieg<br />

thematisch wurde. Man wird vielmehr zunächst an Kriegsgedichte denken<br />

müssen (S. 113). Was sie pazifistische Kriegsliteratur angeht, so machte<br />

diesen einen insgesamt geringeren Anteil aus – zwischen 1914 <strong>und</strong> 1939<br />

nur 12 Prozent der verkauften Exemplare (S. 114). Auch war es nicht Remarque,<br />

der im Bereich der Kriegsliteratur am erfolgreichsten war, sondern<br />

Werner <strong>von</strong> Beumelburg (ebd.). Heute dagegen völlig unbekannt dürften die<br />

<strong>von</strong> Beaupré etwas ausführlicher vorgestellten „Mannschafts“-Dichter sein:<br />

Jürgen Hahn-Butry, Max Barthel, Mario Heil de Brentani <strong>und</strong> Otto Paust (S.<br />

116 - 126).<br />

Der Erste <strong>Weltkrieg</strong> spielt auch für das <strong>von</strong> den Nationalsozialisten fortgeführte<br />

(<strong>und</strong> keineswegs erst erf<strong>und</strong>ene!) Feindbild des „jüdischen Bolschewismus“<br />

eine wichtige Rolle, wie Joachim Schröder ausführt. Schröder weist<br />

darauf hin, daß Ernst Nolte früh auf diesen „Nexus“ hingewiesen habe (S.<br />

82). Auch wenn Schröder in Noltes Geschichtsinterpretation ein exkulpierendes<br />

Moment erkennt, das zu Recht kritisiert worden sei, erkennt er doch<br />

auch so etwas wie einen rationalen Kern <strong>von</strong> Noltes Argumentation, der indes<br />

durch seine Kritiker verkannt werde, welche „mit ihrer Abweisung der<br />

Nolte-Thesen“ auch „manch bedenkenswerte Überlegung gleich mit entsorgen“<br />

(S. 84). Jedenfalls spielte die Etablierung des Feindbildes des „jüdischen<br />

Bolschewismus“ dann im Zuge der Münchner Räterepublik eine große<br />

Rolle, so daß es in Bayern im Frühjahr 1919 zu einem starken Anwach-


sen des Antisemitismus kam. Berüchtigt ist hier nicht zuletzt die Tagebuch-<br />

Eintragung des Schriftstellers Thomas Mann vom 2. Mai 1919, der über den<br />

„Typus“ des „russischen Juden“ als Revolutionsanführer schrieb: „Eine Welt,<br />

die noch Selbsterhaltungsinstinkt besitzt, muß mit aller aufbietbaren Energie<br />

<strong>und</strong> standrechtlicher Kürze gegen diesen Menschenschlag vorgehen“ (S. 94<br />

- 95). Hitler begann seine politische Tätigkeit <strong>und</strong> sozusagen seinen „politische<br />

Bildung“ im Sinne des Antibolschewismus unmittelbar nach dem Ende<br />

der Räterepublik. Schröder läßt es offen, ob der Antibolschewismus Hitler<br />

zum Antisemiten werden ließ (Reuth) - so oder so habe aber das Erlebnis<br />

der Münchner Räterepublik zur Festigung des Hitlerschen Feindbildes vom<br />

„jüdischen Bolschewismus“ beigetragen (S. 96).<br />

Zu den Lektionen des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>s gehören auch negative; so spricht<br />

etwa Kim Christian Priemel <strong>von</strong> Lernversagen in bezug auf die nationalsozialistische<br />

Wirtschaftspolitik, während sich weitere Aufsätze mit sogenannter<br />

„Fremdarbeit“ in den beiden <strong>Weltkrieg</strong>en (Jochen Oltmer), ethnischen<br />

Säuberungen (Alan Kramer), der Rolle des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>s in der Medizin<br />

im <strong>Nationalsozialismus</strong> (Cay-Rüdiger Prüll) oder der Gewalt befassen (Volker<br />

Berghahn). Exemplarisch kann hier nur hingewiesen werden auf Markus<br />

Pöhlmanns Analyse der Kriegslehren <strong>und</strong> Planungen <strong>von</strong> Reichswehr <strong>und</strong><br />

Wehrmacht, die auf entsprechenden Deutungen des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es beruhten.<br />

Angesichts der Tatsache, daß der Erste <strong>Weltkrieg</strong> in der deutschen Gedächtniskultur<br />

eine vergleichsweise geringe Präsenz hat (anders als etwa in<br />

Großbritannien oder Frankreich 1 ), ist es zweifellos zu begrüßen, daß der<br />

Sammelband dem Komplex der nationalsozialistischen Aneignung <strong>und</strong> Ausschlachtung<br />

der <strong>Weltkrieg</strong>serinnerung die nötige Aufmerksamkeit verschafft.<br />

Denn die Art <strong>und</strong> Weise, wie die Erinnerung an einen Krieg Teil der eigenen<br />

Deutungsmuster <strong>von</strong> Vergangenheit <strong>und</strong> Gegenwart werden, gehören gewiß<br />

zu den ergiebigsten Forschungsgebieten der kulturwissenschaftlichen<br />

Gedächtnisforschung, zu der in den letzten Jahren gr<strong>und</strong>legende Beiträge<br />

sowohl in theoretischer 2 wie exemplarischer Hinsicht vorgelegt wurden.<br />

1 Vgl. dazu auch z.B. Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln : die beiden<br />

<strong>Weltkrieg</strong>e im Museum / Thomas Thiemeyer. - Paderborn [u.a.] : Schöningh, 2010.<br />

- 366 S. : Ill. ; 24 cm. - (Krieg in der Geschichte ; 62). - Zugl.: Tübingen, Univ., überarb.<br />

Diss., 2008. - ISBN 978-3-506-76919-0 : EUR 44.90 [#1323]. - Rez.: IFB 12-<br />

1 http://ifb.bsz-bw.de/bsz316432199rez-1.pdf - Zum Thema Kriegsausstellungen<br />

siehe den einschlägigen Aufsatz im vorliegenden Band Kriegsausstellungen während<br />

des <strong>Nationalsozialismus</strong> / Christine Beil. -S. 97 - 109.<br />

2 Siehe allgemein Kollektives Gedächtnis <strong>und</strong> Erinnerungskulturen : eine Einführung<br />

/ Astrid Erll. - 2., aktualisierte <strong>und</strong> erw. Aufl. - Stuttgart ; Weimar : Metzler,<br />

2011. - XI, 243 S. ; 23 cm. - ISBN 978-3-476-02386-5 : EUR 29.95 [#2400]. - Rez.:<br />

IFB 12-2 http://ifb.bsz-bw.de/bsz349865078rez-1.pdf - Kulturwissenschaftliche<br />

Gedächtnistheorien zur Einführung / Nicolas Pethes. - Hamburg : Junius, 2008.<br />

- 180 S. : graph. Darst. ; 17 cm. - (Zur Einführung ; 356). - ISBN 978-3-88506-656-<br />

9 : EUR 13.90 [#0545]. - Rez.: IFB 10-1<br />

http://ifb.bsz-bw.de/bsz282448977rez-1.pdf - Cultural memory studies : an international<br />

and interdisciplinary handbook / ed. by Astrid Erll ; Ansgar Nünning. In<br />

collab. with Sara B. Young. - Berlin [u.a.] : de Gruyter, 2008. - VIII, 441 S. : Ill. ; 24


Till Kinzel<br />

QUELLE<br />

Informationsmittel (IFB) : digitales Rezensionsorgan für Bibliothek <strong>und</strong><br />

Wissenschaft<br />

http://ifb.bsz-bw.de/<br />

http://ifb.bsz-bw.de/bsz321409876rez-1.pdf<br />

cm. - (Media and cultural memory ; 8). - ISBN 978-3-11-018860-8 : EUR 98.00<br />

[9778]. Rez.: IFB 08-1/2-080 http://swbplus.bsz-bw.de/bsz283877529rez.htm

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