Nach dem Märchen von Hans Christian Andersen - Deutschland
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16 inhalt | das hässliche entlein und ich<br />
„Ihr versteht mich nicht!“, sagte die Ente. „Wir verstehen dich nicht? Wer<br />
soll dich denn verstehen können? Du wirst doch wohl nicht klüger sein<br />
wollen als die Katze und die Frau, mich will ich nicht erwähnen! Bilde dir<br />
nichts ein, Kind, und danke deinem lieben Schöpfer für all das Gute, was<br />
man dir erwiesen hat! Bist du nicht in eine warme Stube gekommen und<br />
hast einen Umgang, <strong>von</strong> <strong>dem</strong> du etwas lernen kannst? Aber du bist ein<br />
Schwätzer, und es ist nicht erfreulich, mit dir umzugehen. Mir kannst du<br />
glauben, ich meine es gut mit dir, ich sage dir Unannehmlichkeiten, und<br />
daran kann man seine wahren Freunde erkennen! Sieh zu, dass du Eier<br />
legen oder spinnen oder Funken sprühen lernst!“<br />
„Ich glaube, ich gehe hinaus in die weite Welt!“, sagte das Entlein. „Ja, tue<br />
das!“, sagte das Huhn. Und so ging das Entlein. Es schwamm auf <strong>dem</strong><br />
Wasser, es tauchte unter, aber <strong>von</strong> allen Tieren wurde es wegen seiner<br />
Hässlichkeit übersehen.<br />
Nun kam der Herbst, die Blätter im Walde wurden gelb und braun, der<br />
Wind riss sie ab, so dass sie umhertanzten, und oben in der Luft war es<br />
sehr kalt; die Wolken hingen schwer <strong>von</strong> Hagel und Schneeflocken. Auf<br />
<strong>dem</strong> Zaun stand ein Rabe und schrie „Au, au!“ vor lauter Kälte. Man<br />
könnte ordentlich frieren, wenn man daran dachte. Das arme Entlein<br />
hatte es wahrlich nicht gut. Eines Abends, als die Sonne schön unterging,<br />
kam ein ganzer Schwarm herrlicher, großer Vögel aus <strong>dem</strong> Busche; das<br />
Entlein hatte noch nie solche schönen gesehen. Sie waren ganz blendend<br />
weiß, mit langen, geschmeidigen Hälsen, es waren Schwäne. Sie stießen<br />
einen ganz eigentümlichen Ton aus, breiteten ihre prächtigen, langen<br />
Flügel aus und flogen <strong>von</strong> der kalten Gegend fort nach warmen Ländern,<br />
nach offenen Seen. Sie stiegen sehr hoch, und <strong>dem</strong> hässlichen, kleinen<br />
Entlein wurde es sonderbar zumute; es drehte sich im Wasser wie ein Rad<br />
rundherum, streckte den Hals hoch in die Luft nach ihnen aus und stieß<br />
einen so lauten und sonderbaren Schrei aus, dass es sich selbst davor<br />
fürchtete. Oh, es konnte die so schönen und die so glücklichen Vögel nicht<br />
mehr vergessen, und sobald es sie nicht mehr erblickte, tauchte es gerade<br />
bis auf den Grund, und als es wieder heraufkam, war es wie außer sich. Es<br />
wusste nicht, wie alle die Vögel hießen, nicht, wohin sie flogen, aber doch<br />
war es ihnen gut, wie es nie jeman<strong>dem</strong> gewesen. Es beneidete sie<br />
durchaus nicht; wie konnte es ihm einfallen, sich solche Lieblichkeit zu<br />
wünschen! Es wäre schon froh gewesen, wenn die Enten es unter sich<br />
geduldet hätten, das arme, hässliche Tier!<br />
das hässliche entlein und ich | inhalt 17<br />
Der Winter wurde immer kälter. Das Entlein musste im Wasser herumschwimmen,<br />
um nicht völlig einzufrieren; aber in der <strong>Nach</strong>t wurde das<br />
Loch, worin es schwamm, kleiner und kleiner. Es fror, dass es knackte; das<br />
Entlein musste fortwährend die Beine gebrauchen, damit das Wasser sich<br />
nicht schloss. Zuletzt wurde es matt und fror so im Eise fest.<br />
Des Morgens früh kam ein Landmann, der dies sah; er schlug mit seinem<br />
Holzschuh das Eis in Stücke und trug das Entlein heim zu seiner Frau. Da<br />
wurde es wieder belebt.<br />
Die Kinder wollten mit ihm spielen, aber das Entlein glaubte, sie wollten<br />
ihm etwas zuleide tun, und fuhr in seiner Angst gerade in den Milchnapf<br />
hinein, so dass die Milch in die Stube hinausspritzte. Die Frau schrie und<br />
schlug die Hände zusammen, worauf es in das Butterfass, dann hinunter<br />
in die Milchtonne und dann wieder aufflog. Wie sah es da aus! Die Frau<br />
schlug mit der Feuerzange danach, die Kinder rannten einander über den<br />
Haufen, um das Entlein zu fangen; sie lachten und schrien! Gut war es,<br />
dass die Tür aufstand und es zwischen die Reiser in den frisch gefallenen<br />
Schnee schlüpfen konnte; da lag es ganz ermattet.<br />
Aber all die Not und das Elend, die das Entlein in <strong>dem</strong> harten Winter erdulden<br />
musste, zu erzählen, würde zu trübe sein. Es lag im Moor zwischen<br />
<strong>dem</strong> Rohre, als die Sonne wieder warm zu scheinen begann; die<br />
Lerchen sangen, es war herrlicher Frühling.<br />
Da konnte auf einmal das Entlein seine Flügel schwingen, sie brausten<br />
stärker als früher und trugen es kräftig da<strong>von</strong>; und ehe es das selbst recht<br />
wusste, befand es sich in einem großen Garten, wo die Apfelbäume in<br />
Blüte standen, wo der Flieder duftete und seine langen, grünen Zweige<br />
gerade bis zu den gekrümmten Kanälen hinunterneigte. Oh, hier war es<br />
schön und frühlingsfrisch! Gerade vorn aus <strong>dem</strong> Dickicht kamen drei<br />
prächtige weiße Schwäne; sie brausten mit den Federn und schwammen<br />
leicht auf <strong>dem</strong> Wasser. Das Entlein kannte die prächtigen Tiere und wurde<br />
<strong>von</strong> einer eigentümlichen Traurigkeit befallen.<br />
„Ich will zu ihnen hinfliegen, zu den königlichen Vögeln, und sie werden<br />
mich totschlagen, weil ich so hässlich bin und mich ihnen zu nähern<br />
wage; aber das ist ja gleich viel! Besser, <strong>von</strong> ihnen getötet als <strong>von</strong> den<br />
Enten gezwackt, <strong>von</strong> den Hühnern geschlagen, <strong>von</strong> <strong>dem</strong> Mädchen, das