10.10.2013 Aufrufe

StBZ-Jun_2010.pdf / 5 770 258 Byte - Steirischer ...

StBZ-Jun_2010.pdf / 5 770 258 Byte - Steirischer ...

StBZ-Jun_2010.pdf / 5 770 258 Byte - Steirischer ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

14<br />

<strong>Jun</strong>i 2010 – 02/10<br />

■ VON CHRISTIAN GLANZ<br />

Im Erfolgsmusical „Fiddler on the Roof“ (zu Deutsch „Anatevka“)<br />

beruft sich der streng gläubige Milchbauer Tevje wiederholt auf<br />

die „Tradition“, wenn es darum geht, die ihm zunehmend unverständlichen<br />

Verhaltensweisen seiner heranwachsenden Töchter zu<br />

beurteilen. Freilich beschleicht ihn dabei schon immer stärker der<br />

Verdacht, dass er seine „Tradition“ wohl kritisch hinterfragen wird<br />

müssen (was er dann auch tut). Gustav Mahler wiederum soll gesagt<br />

haben: „Tradition ist Schlamperei.“<br />

Wir lassen einmal unberücksichtigt, ob und wie diese Aussage tatsächlich<br />

gefallen ist, und fragen uns, was damit gemeint sein könnte:<br />

Mahler war ja nicht nur Komponist, sondern vor allem auch<br />

Dirigent. Dabei ging es ihm besonders darum, die Substanz jeglicher<br />

Komposition vollkommen deutlich zu machen. „Liebgewordene“<br />

Traditionen der Aufführungspraxis standen ihm da oft im Weg und<br />

er kämpfte dagegen an. Aus diesem Blickwinkel ist dann vermeintlich<br />

wohlbegründete Tradition tatsächlich oft nur Denkfaulheit und<br />

Schlamperei. „Tradition“ erscheint nun gerade im blasmusikalischen<br />

Zusammenhang immer wieder.<br />

Beginnen wir beim musikalisch Unkonkretesten: Politiker -<br />

ansprachen beinhalten sehr häufig das mit warmen Worten vorgetragene<br />

Lob des Blasmusikwesens für die unverbrüchliche „Pflege<br />

der Tradition“ bei gleichzeitiger Auf ge schlossenheit für die „Gegen -<br />

wart“ (manchmal sogar für die „Zu kunft“). Das könnte uns zunächst<br />

mehr oder weniger egal sein, weil ja derartige Wort spenden<br />

ohnehin nur dann erfolgen, wenn es darum geht, „öffentlich präsent“<br />

zu sein oder (wie in Vor wahlkampfzeiten) potenzielles Wahl -<br />

volk zu umgarnen, ansonsten aber für die solcherart Be lobigten<br />

meistens folgenlos bleiben. Aber auch im formulierten Selbst -<br />

verständnis des Blasmusikwesens erscheint nicht selten diese<br />

Begriffskombination von „Tradition“ und „Aktualität“, hier als eine<br />

Art „selbstgestellter Aufgabe“, an deren Umsetzung man sich<br />

durchaus auch messen lassen will.<br />

Neujahrskonzert und Radetzkymarsch<br />

Schließlich tritt uns die „Tradition“ machtvoll im praktizierten<br />

Repertoire entgegen: „Traditionsmärsche“ stehen am Beginn und<br />

am Ende von Konzerten, die Auseinandersetzung mit der „Wiener<br />

Musik tradition“ als identitätsstiftendes Modell erscheint als wichtiges<br />

Anliegen des Blasmusikverbandes. Konzertberichte feiern die<br />

Werke der „Tradition“ stets als besonders akklamierte Höhepunkte<br />

der Programme, wobei das strukturbestimmende Vorbild der<br />

„Neujahrskonzerte“ der Wiener Philharmoniker mit „Donauwalzer“<br />

und „Radetzkymarsch“ am Schluss überdeutlich ist. Auch im engeren<br />

Sinn hat das Konzertrepertoire bereits seine „Traditionen“, etwa<br />

im Fall von Sepp Tanzers Suite „Tirol 1809“.<br />

Es scheint also einen mehr oder weniger fest umrissenen Bestand<br />

an Kompositionen aller Gattungen zu geben, die das „traditionelle<br />

Repertoire“ ausmachen. Früher hat man so etwas einen „Kanon“<br />

genannt und damit in Anlehnung an die griechische Wurzel des<br />

Begriffs einen allgemein bekannten und vorbildlichen Werkbestand<br />

gemeint, der auch Maßstab und Vorbild für aktuelles Schaffen sein<br />

soll. Ich möchte in der nächsten Zeit in lockerer Folge aufzeigen,<br />

welche Fragen und Probleme sich für das Blasmusikrepertoire und<br />

die Blasmusikpraxis aus diesen Zusammenhängen ergeben können.<br />

Beginnen wir gleich mit einem ganz besonders häufig genannten<br />

Blasmusik in der Steiermark<br />

Tradition: „Auftrag“ oder „Schlamperei“?<br />

Bezug, der sogenannten „altösterreichischen Tradition“. Bis heute<br />

stammt ein beträchtlicher Anteil der in den Marschbüchern präsenten<br />

Kompositionen aus diesem „altösterreichischen“ Repertoire.<br />

Bekanntlich war dieses Repertoire in engem funktionellem Zu -<br />

sammenhang entstanden, nämlich mit der Militärmusik. In der zu<br />

Ende gehenden k.u.k. Monarchie, die vor allem an starken Ze -<br />

rfallserscheinungen litt, sollte das Militär als Ganzes und die<br />

Militärmusik im Speziellen als Symbol des Staats ganzen wirken, somit<br />

das schon Auseinanderstrebende nach Mög lichkeit zusammenhalten.<br />

Kein Wunder also, dass „Viribus unitis“ („Mit vereinten<br />

Kräften“, nicht zufällig der Wahlspruch des Langzeitkaisers Franz<br />

Joseph I.) auch zu Titelehren im Marsch repertoire kam.<br />

Von den Türkenkriegen bis zur Schlacht an der Piave<br />

In Eugen Brixels bis heute zu Recht als Standard werk geltender<br />

Arbeit über die Geschichte der österreichischen Militärmusik befindet<br />

sich ein umfangreicher Anhang, der die zahlreichen Märsche<br />

auflistet, die zumeist von den Regiments kapellmeistern selbst für<br />

ihre über die gesamte Monarchie verteilten Kapellen komponiert<br />

wurden. Die Lektüre ihrer Titel ist eine kurz gefasste Geschichte der<br />

österreichisch-ungarischen politischen Bemühungen. Naheliegend,<br />

dass dabei kriegerische Ereignisse und Orte von „Schlachten“ von<br />

Szlankamen (Sieg Österreichs gegen die Türken 1691) bis Piave<br />

(1917 Endpunkt der letzten erfolgreichen Offensive Österreichs im<br />

Ersten Weltkrieg) eine besondere Rolle spielen. Die zu einem bedeutenden<br />

Teil aus den slawischen Regionen der Monarchie stammenden<br />

Militärkapellmeister (die einzige Militär musikaus bil dungs -<br />

institution, die „Elevenschule“, war nicht umsonst in Prag!) integrierten<br />

auch immer wieder „Volksmusik“ in ihre Kompo sitio nen<br />

oder bemühten sich zumindest, je nachdem, wo sie gerade stationiert<br />

waren, den jeweiligen regionalen „Musikdialekt“ zu integrieren.<br />

Auf diesem Weg etablierte sich die bunte Stilistik der Re -<br />

gimentsmusik auch in wichtigen Teilen der damaligen Popu -<br />

larmusik. Die vielen Militärmusiker, die nach ihrer „Aktivzeit“ in<br />

örtlichen Blaskapellen wirkten, haben ebenfalls zur Etablierung<br />

dieser speziellen „Tradition“ beigetragen.<br />

Und, wie gesagt, sie ist bis heute unüberhörbar präsent. Was heißt<br />

das aber jetzt? Zunächst einmal die attraktive Seite: Die heimische<br />

Blasmusik verfügt über ein umfangreiches Repertoire mittlerweile<br />

historischer Musik, ein Repertoire, das schon zur Zeit seines<br />

Entstehens eine ausdrückliche Bindung an „Österreich“ hatte:<br />

„Österreichbezug“ war gleichsam die Bedingung für das Entstehen<br />

dieses Repertoires. Weiters ist dieses Repertoire nicht nur einem<br />

„nationalen“ Musikstil zuzuordnen, sondern im Gegenteil: es spiegelt<br />

unüberhörbar die kulturelle Buntheit des damaligen Österreich,<br />

somit letztlich die „Völker unter dem Doppeladler“, also das<br />

heutige Österreich und unsere Nachbarn, deren Sprache wir meistens<br />

nicht verstehen.<br />

Altösterreichisches in musikalischer Mehrsprachigkeit<br />

Was liegt also näher, als die Pflege dieses Repertoires zu verknüpfen<br />

mit unserer Gegenwart, in der es zwar keine Monarchie mehr gibt,<br />

die aber der kulturellen Vielfalt zumindest in Sonntagsreden immer<br />

einen großen Wert zuweist? Also: „Altösterreichisches“ Repertoire<br />

(auch und gerade der Militärmarsch) kann als stilistisch vielfältiges<br />

System die Idee einer „musikalischen Mehrsprachigkeit“ in der

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!