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ÖPNV-Paradies im Land der aufgehenden Sonne - derFahrgast

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<strong>ÖPNV</strong> in Japan<br />

Verkehrsinitiativen gefragt, die noch mehr Verbesserungsvorschläge<br />

als bisher machen müssen, und da ist<br />

die Politik gefragt, die jedoch die Geister, die sie rief, wie<br />

etwa das <strong>der</strong>zeitige DB-Management, wohl lei<strong>der</strong> nicht<br />

mehr los wird o<strong>der</strong> los werden will.<br />

Deutschland – ein gutes<br />

Nahverkehrsangebot?<br />

Bereist man die japanischen Inseln mit Bus und Bahn,<br />

muss man als begeisterter <strong>ÖPNV</strong>-Befürworter zwangsläufig<br />

den Eindruck gewinnen, bislang einer Selbsttäuschung<br />

erlegen zu sein. So hat <strong>der</strong> Autor dieser Zeilen<br />

etwa unseren hiesigen DB-Schienenverkehr lange Zeit für<br />

eine <strong>im</strong> Großen und Ganzen ordentlich geführte Sache<br />

gehalten. In Wirklichkeit ist dies jedoch mitnichten <strong>der</strong><br />

Fall, schon die Qualität des ganz normalen betrieblichen<br />

Alltags erfüllt sachlich gesprochen oft noch nicht einmal<br />

grundlegende Anfor<strong>der</strong>ungen. Unverblümter ausgedrückt<br />

müsste man angesichts des Ausmaßes <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen<br />

Farce beispielsweise bei <strong>der</strong> Deutschen Bahn<br />

eigentlich von einem Schrotthaufen sprechen.<br />

Das soll nun nicht bedeuten, dass die herausragenden<br />

Verbesserungen <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte beson<strong>der</strong>s <strong>im</strong> Bereich<br />

des Nahverkehrs nicht mehr gewürdigt und gelobt<br />

werden sollen. Errungenschaften wie Verkehrsverbünde,<br />

dichte Takte <strong>im</strong> SPNV auch jenseits <strong>der</strong> Ballungsgebiete<br />

und integrale Taktfahrpläne stellen großartige Leistungen<br />

<strong>der</strong>er dar, die sich für die politische und technische Realisierung<br />

eingesetzt haben. Diese Erfolgsbilanz wird jedoch<br />

durch die mittlerweile unerträgliche Arroganz <strong>der</strong> Chefetagen<br />

in den großen Verkehrsunternehmen getrübt, die<br />

dem Kunden eine unglaublich schlechte Qualität ihrer<br />

angeblichen „Dienstleistungen“ zumuten, dabei jedoch<br />

keine Gelegenheit auslassen, um von Fahrgästen und<br />

Steuerzahlern <strong>im</strong>mer mehr Geld einzufor<strong>der</strong>n.<br />

Der glücklicherweise gescheiterte Versuch des DB-<br />

Managements zur Einführung einer sogenannten<br />

„Service-Gebühr“ zeugt von einer Unverfrorenheit, die<br />

an gesichts <strong>der</strong> <strong>der</strong>zeitigen Unzuverlässigkeit und<br />

Unpünktlichkeit des DB-Schienenverkehrs kaum noch<br />

überboten werden kann. Diese in <strong>der</strong> „Dienstleistungswüste<br />

Deutschland“ auch in vielen an<strong>der</strong>en Bereichen<br />

verbreitete Mentalität wird treffend und ungewöhnlich<br />

direkt durch den japanischen Unternehmensberater<br />

Minoru Tominaga aus gedrückt (1): „Je<strong>der</strong> will verdienen,<br />

keiner will dienen! Dienst am Kunden? Findet in Deutschland<br />

nicht mehr statt. Der Kunde ist König? Quatsch. Bei<br />

euch ist <strong>der</strong> Verkäufer mittlerweile Kaiser. Was ihr vergesst:<br />

Der Kunde ist Gott, denn er allein entscheidet<br />

über Leben und Tod eines Unternehmens.“ Es wäre vielleicht<br />

sogar heilsam für unseren Schienenverkehr, wenn<br />

letztere Aussage auch unter deutschen Verhältnissen einmal<br />

Realität werden könnte. Dazu müssten jedoch grundlegende<br />

Reformen des nach wie vor zu monopolistisch<br />

strukturierten deutschen <strong>ÖPNV</strong>-Wesens politisch durchgesetzt<br />

werden.<br />

Zum einen ist ein echter, eine ausgeprägte Kundenorientierung<br />

erzwingen<strong>der</strong> Wettbewerb hier offenbar nur durch<br />

striktere Trennung von Infrastruktur und Betrieb zu erreichen.<br />

Darüber hinaus scheint es notwendig, die Unternehmen<br />

endlich wesentlich stärker für mangelhafte Leistungen<br />

in die Pflicht zu nehmen. Die jüngsten Beschlüsse<br />

<strong>im</strong> EU-Rahmen, z. B. die vorgeschlagene 25-prozentige<br />

Fahrpreiserstattung bei mehr als einer Stunde Verspätung,<br />

sind jedenfalls kein echter Anreiz für mehr Leistung<br />

und Qualität. Streng genommen müssten in unserem<br />

durch Regionalisierungsmittel und Steuergel<strong>der</strong> erheblich<br />

geför<strong>der</strong>ten Nahverkehr jede durch mangelnde Wartung<br />

defekte Tür, je<strong>der</strong> funktionsunfähige Automat, je<strong>der</strong><br />

selbst verschuldete Kapazitätsengpass und beson<strong>der</strong>s<br />

die gedankenlos produzierten alltäglichen Verspätungen<br />

mit drastischen und damit schmerzhaften Abzügen bei<br />

den Finanzmitteln geahndet werden.<br />

Sanktionen nicht zumutbar?<br />

Nun kommt von allen Seiten <strong>der</strong> Einwand, dies seien unmögliche<br />

For<strong>der</strong>ungen an die Verkehrsunternehmen. Im<br />

Bahnverkehr rund um Osaka ist jedoch eine vorzügliche<br />

Qualität ohne jegliche Störungen, ohne geringste Verspätungen<br />

und mit vielen zusätzlichen kundenfreundlichen<br />

Dienstleistungen trotz des für unsere Begriffe unglaublich<br />

hohen Fahrgastaufkommens alltägliche und scheinbar<br />

selbstverständliche Realität. Zugegebenermaßen sind<br />

die gesellschaftlichen Verhältnisse in Deutschland wesentlich<br />

problematischer, sodass unsere Bahnunternehmen<br />

auch unter <strong>der</strong> Disziplinlosigkeit und insbeson<strong>der</strong>e<br />

dem mittlerweile unerträglichen Vandalismus mancher<br />

Bevölkerungsgruppen zu leiden haben. Aus diesen Gründen<br />

und aufgrund <strong>der</strong> Tatsache, dass <strong>der</strong> deutsche<br />

Verbraucher politisch <strong>im</strong> Vergleich zu den Unternehmen<br />

und ihrer Führung nur über eine sehr schwache Lobby<br />

verfügt, ist eine grundlegende Än<strong>der</strong>ung lei<strong>der</strong> (noch?)<br />

nicht zu erwarten. Nicht nur dem Kenner des <strong>ÖPNV</strong>-<br />

Dienstleistungsparadieses Japan stößt aber zumindest<br />

die hierzulande in den Managementetagen und manchen<br />

Verkehrsministerien so verbreitete Hybris eines arrogant<br />

zur Schau gestellten hohen Anspruchs bei gleichzeitig erschreckend<br />

schlechten Leistungen unangenehm auf.<br />

Diese für das nach eigenem Selbstverständnis hoch entwickelte<br />

und wirtschaftlich bedeutende Industrieland<br />

Deutschland eigentlich kaum nachvollziehbaren Vorgänge<br />

lassen sich abschließend mit nur einem einzigen Wort<br />

kommentieren: erbärmlich.<br />

Markus Eßer<br />

i<br />

(1) Aus Japan-Contact 7/2006; Ute Winkels<br />

„Der verwöhnte japanische Kunde“, S. 21–22.<br />

(2) Datengrundlagen aus Wendell Cox Consultancy,<br />

Urban Transport Fact Book.<br />

12 <strong>der</strong>Fahrgast · 2/2009

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