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THIELE TEE: WENN AUS TEE EIN SINFONIEORCHESTER WIRD „Fünf Minuten noch.“ Ein gepflegter Mann mit einer blauen Schürze blickt durch die Tür. „Ich bin gleich bei Ihnen.“ Ob Franz Thiele wohl auch Kaffee trinkt? In einem keinen Raum stehen Teetassen, Stövchen und das Kännchen mit dem echten Thiele Tee Silber bereit. Bilder an der Wand zeugen davon, wie Norddeutschland und Emden vor langer Zeit einmal ausgesehen haben und das Keramikgefäß auf dem Ecktisch weist auf die lange Tradition der Firma in Emden hin: „125 Jahre Thiele Tee 1873 bis 1998“. Was steckt hinter dem Geheimnis von Thiele Tee? Wieso sieht das Gebäude direkt am Delft in Emden unscheinbar und klein aus? Wo kommt der Tee her? All diese Fragen wird Franz Thiele beantworten und eines vorweg: Nein, Kaffee trinkt er nicht. In dritter Generation führt der heute 53-Jährige das Familienunternehmen. Das Emder Teehandelshaus Thiele & Freese wurde 1873 als „Colonialwaren en gros“ gegründet. Von Anfang an pflegten die Gründer Carl Thiele und Peter H. Freese das Geschäft mit Tee. Den Einkauf der Teesorten übernahmen die Gründer persönlich und besuchten in jener Zeit die Auktionen für indische Tees und für Java/Sumatra-Tees in Amsterdam und London. „In Ostfriesland wird 13 Mal so viel Tee getrunken wie im Bundesdurchschnitt“, erklärt Franz Thiele und schüttet Tee in das feine Porzellan. Während das Getränk noch dampft und die Sahne eine Rose auf der Oberfläche bildet, erzählt der
freundliche Kaufmann wie Tee nach Ostfriesland gekommen ist. „Die Niederländer brachten den Tee aus Indien nach Europa. Durch Krieg kamen Holländer vor 400 Jahren nach Ostfriesland und mit ihnen der Tee.“ Für Franz Thiele ist Teetrinken des Tages Anfang und des Tages Ende. „Der 11-Ührtje-Tee oder der Tee um fünf Uhr zeigt, dass man sich eine Auszeit gönnt. Die Zeremonie ist liebenswürdig, zeugt von Werten und Gastfreundschaft“, sagt der Unternehmer. Seine echt Ostfriesische Mischung ist für ihn ein Sinfonieorchester. Er erklärt, wie aus den einzelnen Pflückungen – den „Künstlern“ – durch Proben und Neubesetzungen am Ende ein Klang-Genusserlebnis wird. VOR DER AUFNAHME INS EMSEMBLE: ERST DAS CASTING Tee ist ein grüner Busch, der ganzjährig geerntet werden kann. „Wir bekommen den Tee aus einem 400 Hektar großen Teegarten in Assam“, erklärt Franz Thiele. Das seien 700 Fußballfelder. 1500 Menschen arbeiten dort auf dem fruchtbaren Land in dem größten Teeanbaugebiet der Erde. Zwei Blätter und die Knospe werden geerntet. Für Assam-Tees sind es die wichtigsten Monate Mai und Juni – die „Second Flush“ genannte Erntezeit. Je jünger und zarter die Blätter sind, um so besser wird die Teequalität. Eine Pflückerin in Assam erntet bis zu 40 Kilogramm Teeblätter pro Tag – das entspricht einer Menge von rund acht Kilogramm schwarzem Tee. Über 50 Jahre alt kann die Teepflanze werden. Da jede Ernte aber unterschiedlich und abhängig vom Wetter ist, besteht die Kunst für Franz Thiele darin, immer genau die Mischung zu finden, die dem Thiele Tee Silber entspricht. Jeden Tag erhält der Kaufmann Teeproben aus Indien. Für ihn gilt es dann, im „Casting“ wie er schmunzelt, abzuwägen ob die „Musiker“ gut genug sind für sein Ensemble. „Es ist eben ein Riesen-Casting, das wir hier veranstalten“, lacht Thiele. Gefällt die Pflückung wird gehandelt. Heute über Internet oder per Telefon. „Aber das gesprochene Wort gilt“, erklärt der Firmenchef. Einmal im Jahr fliegt Thiele nach Indien, überzeugt sich von dem Anbau und sucht Gespräche mit Händlern. Hauptaugenmerk für ihn, den „Dirigenten“, ist aber die Zusammenstellung des Orchesters. Ein Drittel seiner Jahresarbeit investiert er in die Verkostung. Nachdem die zweite Tasse Tee beim Gespräch geleert wurde, geht es in den Raum im Obergeschoss des Gebäudes, wo verschiedene kleine Dosen mit Tee stehen. Hier wird der Tee aufgebrüht, zieht genau fünf Minuten und wird dann schlürfend von Franz Thiele geschmeckt. „Durch das Schlürfen bekommt der Tee Sauerstoff und ich kann die Aromen besser schmecken“, erklärt Franz Thiele, nachdem er das hellbraune Getränk in den Spucknapf entleert hat – manchmal wiederholt der Fachmann diese Prozedur 500 Mal am Tag. Seine Geruchsund Geschmacksorgane sind für den 53-Jährigen dabei das wichtigste Gut. Denn nur durch das Gespür kann der Kaufmann sicher stellen, dass Thiele TEEZUBEREITUNG Für einen echten Ostfriesentee rechnet man pro Person und Tasse einen Teelöffel Tee, insgesamt 8 bis 10 Gramm auf einen Liter. Die Teeblätter werden in einer gut vorgewärmten Kanne mit der entsprechenden Menge kochendem Wasser übergossen, so dass die Teeblätter bedeckt sind. Den Tee lässt man nun auf einem Wasserkessel oder Stövchen fünf Minuten ziehen. Empfehlenswert: den fertigen Tee durch ein Teesieb in eine vorgewärmte Servierkanne umfüllen und auf einem Stövchen warmhalten. SEITE 17 Tee immer gleich schmeckt, obwohl sich die Pflückungen unterscheiden. Die Teesäcke lagern in Rotterdam, Hamburg und Bremen. Sie wurden mit Containerschiffen aus Indien in die Häfen gebracht. Vier bis sechs Wochen sind die Ozeanriesen unterwegs. Und immer wieder werden Proben von dem Tee genommen – „zur Qualitätssicherung“, wie Franz Thiele betont. DAS ORCHESTER BEGIBT SICH AUF TOURNEE Es geht weiter, ein Stockwerk höher zur Mischung im Hause Thiele. 20 Angestellte arbeiten für das Familienunternehmen. Gibt der Chef grünes Licht, werden die Säcke aus den Lagern in den Häfen in das Traditionshaus, das nach dem Krieg neu aufgebaut werden musste, nach Emden gebracht. Hier wird der Tee gemischt, fällt in kleine Container und kommt anschließend in die Abfüllmaschinen. Dabei sieht man bei einem Gang durch die Firma zwar Betriebsamkeit, aber Hektik gibt es nicht. Nach der Besichtigung geht es wieder in den Raum, wo der Tee auf dem Stövchen immer noch heiß ist. Denn drei Tassen sind Ostfriesenrecht und es wurden bislang nur zwei Tassen Tee getrunken. Zuerst wird ein Kluntje (weißer Kandis) in die Tasse gegeben. Beim Übergießen mit dem heißen Tee knistert der Kluntje, der dem Tee die feine Süße gibt. Einige Tropfen echte Sahne zaubern das berühmte „Wulkje“ (Wölkchen) und machen den Teegenuss vollkommen.
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