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15. Kapitel - E-stories

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<strong>15.</strong> <strong>Kapitel</strong><br />

Nachdem Colins Truppen abgezogen waren, begangen unsere Leute kurz darauf damit, die Burg wieder in<br />

ihren alten Zustand herzurichten. Es würde Tage dauern den Unrat von zwei Wochen beiseite zu schaffen.<br />

Charis war deswegen emsig beschäftigt, auch wenn sie versuchte, sooft bei mir zu sein, wie es möglich war.<br />

Meine Brüder begannen damit, ihre Männer besser auszubilden, strenger, disziplinierter und erprobter. Denn,<br />

dass, was passiert war, durfte nie wieder vorkommen.<br />

Mich hatte Alison zu Näharbeiten verdonnert, doch als sie merkte, dass ich mich nicht konzentrieren konnte<br />

und ständig aus dem Fenster sah, hatte sie mich davon befreit und mich hinaus zu den Bäumen geschickt, damit<br />

ich bei der Ernte half.<br />

Die Luft tat mir gut und ich fühlte mich auf seltsame Art beseelt. So verbrachte ich meistens die Stunden bei<br />

den Bäumen. Hin und wieder starrte ich zum Horizont, als würde ich hoffen, dass ein schwarzer Krieger mit seinem<br />

schwarzen Schlachtross mir entgegen ritt und mich mitnahm, wohin auch immer, Hauptsache mit ihm zusammen.<br />

Doch jedes Mal schüttelte ich den Kopf, nannte mich eine Närrin und arbeitete weiter.<br />

Die Abende waren mir jedoch nicht hold. Jedes Mal wenn ich in Jaufrés Gesicht sah oder wenn er und meine<br />

anderen Brüder über Colin herzogen, wurde mir immer zu schmerzlich bewusst, dass Colin und ich niemals zusammenpassen<br />

würden, egal was unsere Leiber sagten.<br />

Wenn ich alleine war oder bereits in meinem Alkoven lag, kamen all jene Bilder, die ich mit ihm erlebt hatte,<br />

wieder in meinem Kopf und ich fühlte eine schwere Last auf meinem Herzen. Und die Tatsache, dass er mich<br />

zurückgelassen, dass er mich zurückgewiesen hatte, machte mir unendlich viel Kummer.<br />

Alison wollte ich von all diesen Gefühlen nichts wissen lassen. Es reichte schon, dass sie wusste, dass Colin<br />

und ich miteinander geschlafen hatten und dass ich etwas für ihn empfand. Manchmal glaubte ich sogar, dies sei<br />

zu viel gewesen, was ich gesagt hatte!<br />

Oft sah ich aus dem Fenster, hinein in die Düsternis der Nacht, die der Düsternis meines Herzens glich,<br />

welches ich scheinbar nicht mehr in mir hatte.<br />

Oder ich stand manchmal einfach auf dem Wehrgang, blickte hinab über unser Tal und ließ mir den Wind um<br />

die Ohren peitschen. So wie heute. Doch heute war ich an meinem Tiefpunkt angelangt. Heute war nichts mehr<br />

gegangen; ich hatte weder arbeiten noch aus dem Fenster starren, weder mit Menschen sprechen können. Heute<br />

hatte ich einfach wieder bitterlich geweint<br />

obwohl ich doch der Annahme gewesen war, ich hätte schon längst<br />

keine Tränen mehr. Ich war einfach von meiner Arbeit davon gestürmt und hier hinauf zum Wehrgang gelaufen,<br />

dort, wo ich mich mit der Welt verbunden fühlte.<br />

Ich legte meinen Kopf in den Nacken, schloss meine Augen und atmete den lauen Oktoberwind ein. Er streichelte<br />

mir über das Gesicht, liebkoste meine Nase und wenn ich es nicht besser gewusst hätte, wäre es Colins<br />

Hand gewesen, die mich streichelte.<br />

Ich richtete mich wieder auf und schüttelte den Kopf. Colin war fort und wenn mein Herz bei diesem Gedanken<br />

nicht laut aufgeschrieen hätte, wäre ich zu dem Schluss gekommen, Colin hätte mich nur ausgenutzt, mich<br />

als Spielzeug behandelt; gebraucht und weggeworfen.<br />

Wieder am Grübeln?<br />

Ich fuhr herum und sah direkt in Simons schöne Augen. Er war blass und hatte am Hals eine lange Schnittwunde.<br />

Sie zog sich bis zu seiner Brust hin, die nur von einem geöffneten, weißen Leinenhemd bedeckt war.<br />

Zaghaft lächelte ich und strich ihm freundschaftlich mit der flachen Hand über seine Wange. Schön dich zu<br />

sehen! , flüsterte ich.<br />

Simon lächelte ebenso, legte seine Hand auf die meine und drückte sie noch fester an seine Wange. Gott hat<br />

uns nicht verlassen, Danielle! Unsere Burg ist wieder in unseren Händen, der scharze Teufel auf und davon! Er<br />

atmete tief ein. Vorhin war ich in Agon um meiner Liebsten zu sagen, dass ich wohl auf bin<br />

zum Glück war<br />

ihr Vater in dieser Zeit nicht da! Mein Aufenthalt bei ihr hat etwas länger gedauert...<br />

Schwarzer Teufel! Warum tat dieser Name mir nur so weh?<br />

Danielle? Danielle! Hörst du mir überhaupt zu?<br />

Was? , fragte ich irritiert.<br />

Wie du diesen, diesen Bloesé findest? Er sprach wie Jaufré Colins Namen mit der gleichen Abscheu aus,<br />

wie es Jaufré immer tat.<br />

Wieder wandte ich mein Gesicht dem Horizont zu. Die Sonne neigte sich bereits der baldigen Nacht zu und<br />

tauchte den Himmel in ein rotes Meer. Von den Gefühlen überwältigt, krampften sich meine Hände um die Zinnen<br />

und Tränen rannen mir wieder über die Wangen. Ich liebe ihn! , schluchzte ich plötzlich frei heraus. Ich<br />

liebe ihn! , rief ich weinend.<br />

Simon, sichtlich berührt, nahm mich in die Arme und streichelte mir über den Kopf. Beruhigende Worte wie,<br />

still, ist ja alles gut oder beruhig dich doch, murmelte er.<br />

Aber ich beruhigte mich nicht. Es war zu schön an Simons Brust gelehnt zu weinen und endlich mit dem Leid<br />

sich dem Menschen anvertrauen zu können, dem man hundertprozentig vertraute.<br />

Irgendwann setzte sich Simon zwischen die Zinnen und nahm mich auf den Schoß, während er mich in seinen<br />

Armen sacht wiegte.


Ich habe ihn das erste Mal am See getroffen. Er war ein unwahrscheinlicher Flegel gewesen und nach einem<br />

kleinen Kampf mit dem Schwert hatte er mich sogar geküsst. Deswegen war ich auch so aufgebracht, als wir uns<br />

wieder getroffen hatten! , erzählte ich dann plötzlich. Ich war im Turm eingesperrt, als der Überfall stattfand,<br />

ich merkte nicht einmal, was geschah! Erst als ich heil aus dem Turm herausgekommen bin, nahm ich das<br />

Geschehene erst wirklich war. Ich wollte fliehen, Hilfe holen, aber sie haben mich außerhalb der Burg wieder<br />

eingefangen und mich in die Halle geschleift. Dort war ich ihm wieder begegnet und seitdem war nichts mehr<br />

normal... . Ich erzählte ihm alles, ließ nicht einmal unsere Nacht aus und was danach passiert war. Als ich<br />

geendet hatte, lag ich still in Simons Armen, den Kopf auf seine Brust gebettet.<br />

Wenn es Liebe ist, was du fühlst, Danielle, dann solltest du zu ihr stehen, zu ihm stehen. Du sagtest, du hießest<br />

den Überfall nicht gut, aber dennoch liebest du ihn. Wenn du davon wirklich überzeugt bist, dann solltest du<br />

an seinen Gefühlen für dich nicht zweifeln. Ich denke, er ist gegangen, um dir noch jeden weiteren Kummer zu<br />

ersparen; er hat auf dich verzichtet, damit du in Frieden und ohne jegliche Sorgen leben kannst. Das spricht sehr<br />

viel für die Liebe! Kurz lächelte er. Ich lasse dich jetzt wieder allein!<br />

Ehe ich etwas erwidern konnte, war er schon aufgestanden und in Richtung Treppe gelaufen.<br />

Ich starrte wieder hinaus. Die Sonne stand gerade in der Mitte der Welt; zwischen Himmel und Erde, während<br />

ihre blutrote Farbe sich mit der der Erde vereinte, wie Colin und ich uns vereint hatten.<br />

Ich seufzte. Simon hatte Recht. Ich glaubte ihm, weil ich ihm glauben wollte, weil er meine Wunschträume<br />

bestätigte, dass Colin nicht gegangen war, weil er meiner überdrüssig gewesen war.<br />

Aber dennoch spürte ich tiefes Leid und wenn dieses Leid nicht schon genug wäre, sah ich am Rande des<br />

Horizonts fünf Reiter, die mit dem Banner des Königs auf uns zu galoppierten.<br />

Es war nicht der König höchstpersönlich sondern ein Gesandter des Königs, der ziemlich zerwühlt und aufgebracht<br />

mit seinen schützenden Begleitern in den Burghof preschte. Dort standen bereits Charis und Jaufré. Charis<br />

hielt die kleine Agnes in ihren Armen während Jaufré an seinem gerade frischangezogenen Hemd herumzupfte<br />

und nervöse Blicke auf den Mann des Königs warf.<br />

Der Gesandte des Königs wirkte wichtig und äußerst autoritär. Er war mittleren Alters, hatte braunes Haar mit<br />

etwaigen Silberfäden darin, was jedoch seiner guten Erscheinung keinen Abbruch tat. Nein, er wirkte dadurch<br />

er-fahrener, reifer. Er hatte markante Züge und dunkelblaue Augen, erreichte Jaufrés Größe und muskulöse<br />

Statur und bewegte sich elegant, wie kraftvoll, was darauf hinwies, dass er einst ein Krieger gewesen war. Er<br />

musste bestimmt einmal ein Herzensbrecher gewesen sein, dachte ich bei mir. Auch jetzt sah er noch unbeschreiblich<br />

gut aus.<br />

Seid begrüßt, edler Herr! , rief Charis und verbeugte sich mit Agnes im Arm.<br />

Jaufré neigte das Haupt, was sein Gegenüber mit der gleichen Geste erwiderte.<br />

Ich bin Baron de Sodenè und komme im Auftrag des Königs. Man hat seiner Majestät, König Philippe von<br />

Frankreich, eine Nachricht senden lassen, dass zwischen Euch und dem Grafen Bloesé eine Fehde ausgebrochen<br />

ist und dass er die Burg übernommen und Euch mitsamt den Menschen darin eingesperrt hat! Scharf musterte er<br />

Jaufré. Nun muss ich aber sehen, dass die Burg in Euren Händen ist und Ihr wohlauf seid!<br />

Jaufré neigte abermals sein Haupt. Da mögt Ihr Recht haben, denn der Graf hat vor zwei Tagen sehr überstürzt<br />

das Feld verlassen. Es ist mir unerklärlich, hat er doch am Anfang unerbittlich gegen meinen starken<br />

Willen gekämpft! Jaufrés spöttischer Unterton war nicht zu überhören.<br />

So ist das also! , sagte Sodené ungerührt. Und um was handelte es sich?<br />

Das will ich Euch gerne erläutern, aber nicht hier auf dem Burghof. Wenn Ihr mir in mein Arbeitskabinett<br />

folgen wollt...?<br />

Sehr gerne. Wohl war ist dies eine sehr heikle Angelegenheit. Schließlich seid Ihr Graf und Graf Bloesé<br />

wichtige Männer für den König und für Frankreich!<br />

Abermals neigte Jaufré den Kopf. Ich danke Euch für Eure Wertschätzung!<br />

Das war keine Wertschätzung, Graf, sondern eine Tatsache, die von großer Bedeutsamkeit ist, schließlich<br />

halten Eure beider Häuser einen großen Teil der Normandie aufrecht<br />

wenn man den Herzog außer Acht lässt!<br />

Jaufré neigte den Kopf und gab dem Baron mit einer Geste zu verstehen, vor ihm in die Halle einzutreten. Als<br />

der Baron an Charis vorbei schritt, bot sie ihm eine so vollkommene Reverenz, dass ich glaubte, es gäbe keine<br />

vollkommenere als diese.<br />

Wenn ich nur wüsste, wer dem König eine Nachricht geschickt hat! , murmelte Charis neben mir.<br />

Das war der Kaufmann in Agon<br />

in meinem Auftrag!<br />

Mit weitaufgerissenen Augen sah sie mich an. Was, du? Du hast die Nachricht dem König zusenden lassen?<br />

Ja! Als ich unbeobachtet aus der Burg gekommen war, änderte ich meinen vorherigen Plan auszureiten und<br />

ritt stattdessen zum Kaufmann nach Agon.<br />

Das war sehr klug! Ich werde dafür, dass du die Möglichkeit dazu hattest, dem Herrgott später eine Kerze anzünden!<br />

Aber jetzt werde ich Agnes zu Bett bringen und im Gemach noch etwas lesen. Du solltest auch lieber<br />

schlafen gehen, morgen ist schließlich dein Geburtstag. Mit diesem Satz lief sie in den Palas.<br />

Der nächste Tag verlief wie im Traum. Nachdem der Vertraute des Königs wieder fort geritten war, wurde ein<br />

großes Mahl für den Abend hergerichtet. Ich selber wurde von Glückwünschen überhäuft und hatte bald kein


Gefühl mehr in meinen Händen.<br />

Ich ließ alles über mich ergehen. Ich nahm ein Bad, ließ mich frisieren und schließlich ankleiden, was mehr<br />

als eine Stunde dauerte.<br />

Es dämmerte bereits, als ich endlich angekleidet vor dem Spiegel stand. Meine Haare flossen unter einem goldenen<br />

Schleier, der von einem Stirnreif mit einer Stirnkette, in der ein roter Saphir glänzte, gehalten wurde, über<br />

den Rücken.<br />

Erst heute war mir aufgefallen, als wir meinen Stirnreif gesucht hatten, dass ich diesen damals, als Colin mich<br />

von sich gewiesen hatte, bei ihm vergessen hatte und er ihn mitgenommen haben musste. Denn er war nirgendwo<br />

mehr zu finden.<br />

Mein Gewand bestand aus roter Seide, die meiner Haut schmeichelte. Der Stoff war mit glänzenden Steinen<br />

und Goldfäden bestickt worden, ebenso der Ausschnitt, der die Ansätze meiner Brüste preisgab und meiner Meinung<br />

nach, zu ausgeschnitten war. Unterhalb meines Busens befand sich ein mit diamanten besetzter Gürtel.<br />

Nach ihm fiel die Seide bis zum Boden und endete hinten in einer anmutigen Schleppe.<br />

Von Charis bekam ich einen wunderschönen goldenen Ring mit einem roten Saphir, den sie extra für mich<br />

gekauft hatte.<br />

Benommen und nicht ich selbst, lief ich ohne zu überlegen Charis und Alison hinterher. Mir fiel nicht auf,<br />

dass sie eine ganz andere Richtung einschlugen, anstatt mich zur Halle zu führen. Erst als ich vor Jaufrés Arbeitskabinett<br />

stand, wurde mir bewusst, dass ich gar nicht in der Halle angekommen war, sondern hier.<br />

Charis nahm meine Hände in ihre und sah mich bedeutungsvoll an. Jetzt ist die Zeit gekommen, wo du endlich<br />

zu unserer Familie offiziell gehören sollst!<br />

Irritiert runzelte ich die Stirn. Meine Gedanken schwirrten, aber mir fiel nicht so recht eine Lösung ein. Nachdem<br />

Charis mir einen kurzen Kuss auf die Hand gedrückt hatte, öffnete sie die Tür und schob mich hinein. Leise<br />

schloss sich die Tür wieder.<br />

Es war das erste Mal in diesen drei Wochen, dass ich wieder in Jaufrés Arbeitskabinett stand. Dieses Mal aber<br />

als junge Frau des Adels und nicht als ein junges Mädchen, das Kleider einer Magd trug.<br />

Jaufré saß in seinem gepolsterten Stuhl hinter dem Schreibtisch und lächelte mir liebevoll zu, so, als wäre nie<br />

etwas zwischen uns gewesen!<br />

Jaufré zeigte mit der Hand auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch und ohne die Augen von ihm zu wenden,<br />

setzte ich mich.<br />

Lange starrten wir uns an.<br />

Dann räusperte sich Jaufré urplötzlich. Du wirst dir sicherlich denken können, was jetzt kommt, Danielle,<br />

nicht wahr?<br />

Zaghaft schüttelte ich den Kopf.<br />

Wirklich nicht?<br />

Wieder schüttelte ich den Kopf.<br />

Jaufré räusperte sich abermals. Nun, dann will ich es dir erklären! Du kannst dich doch bestimmt noch daran<br />

erinnern , er stand auf und lief zum Kamin, legte eine Hand auf den Kaminsims und schaute in das Feuer, was<br />

ich dir vor drei Wochen hier, genau in diesem Raum, gesagt habe?<br />

Ich nickte.<br />

Jaufré lächelte und nahm den Kelch unserer Vorfahren in die Hand. Heute ist dein achtzehnter Geburtstag, du<br />

bist zu einer schönen Frau herangewachsen, und doch bist du der Bastard unseres Vaters...und deshalb ist heute<br />

ein sehr großer Tag für dich. Jaufré lief wieder zu seinem Arbeitstisch und holte aus einer Schublade ein Dokument<br />

hervor, das er mir schon einmal, vor drei Wochen, gezeigt hatte. Das ist das Dokument, in dem deine Eltern<br />

bekundet haben, dass du an deinem achtzehnten Geburtstag offiziell anerkannt werden sollst. Er ließ sich<br />

auf seinen Stuhl fallen. Der König ist schon von alledem informiert und entspricht dem Willen deiner Eltern. Es<br />

steht also für deinen offiziellen Weg in unsere Familie nichts mehr im Weg.<br />

Aufmerksam betrachtete ich das Dokument. Es war das erste Mal an diesem Tag, dass ich etwas interessant<br />

fand und mich aus meinem bisherigen Tagtraum holte. Was wird jetzt geschehen?<br />

Vergnügt grinste er mich an. Nun, du wirst dieses Dokument unterschreiben und dann , er holte aus einer<br />

Holzkiste einen Ring auf dem ein grüner Saphir in Form einer Schlange befestigt war, wirst du diesen Ring, den<br />

deine Eltern für dich angefertigt haben, tragen. Er wird dich als die Tochter deiner Mutter auszeichnen du<br />

siehst den grünen Stein , und als eine Linceasé<br />

eben die Schlange, die unser Wappen schmückt.<br />

Nachdem ich so elegant wie es ging unterschrieben hatte, streifte ich mir den Ring über meinen rechten Mittelfinger<br />

und betrachtete ihn. Der Ring war wunderschön und hob meine weißen Hände vorteilhaft hervor. Trotz<br />

allem waren sie nicht makellos, denn die Schnitte, die der Mauer wegen entstanden waren, und meine vorherigen<br />

Narben zogen sich entstellt über die Innenflächen meiner Hände und über die Handrücken. Was mir jedoch<br />

unwichtig vorkam, denn sie erinnerten mich doch an das, was geschehen war. Was mit mir und Colin geschehen<br />

war. Was machten denn da schon Narben auf sonst schönen, weißen Händen aus?


16. <strong>Kapitel</strong><br />

Die Halle war überfüllt von Menschen. Teils von unseren Bediensteten und Menschen aus den Dörfern,<br />

teils von adeligen Gästen. Es roch nach Wein, Schweiß und Essen, dessen Geruch aus der Küche kam. Die<br />

Tische waren mit weißen Leinentüchern bedeckt, auf denen Charis Vasen mit den Blumen standen.<br />

Als ich die Treppe hinunterlief, sahen die Meisten zu mir auf und verbeugten sich. Einige lächelten, andere<br />

raunten ihrem Nachbarn etwas zu. Das Blut stieg mir in die Wangen. Man hatte mir noch nie große Aufmerksamkeit<br />

zuteil werden lassen.<br />

Mit hocherhobenem Haupt lief ich Charis hinterher, die mich zu unserem Tisch führte. Dort saßen bereits meine<br />

Brüder. Alle sahen mich mit offenen Mündern an und wären ihre Augen nicht fest verankert gewesen, wären<br />

sie bestimmt über die Tischplatte gerollt.<br />

Offen ihrer Gemütsregung vertiefte sich mein Rot auf den Wangen. Nervös drehte ich den Schlangenring,<br />

während ich mir an der Wand einen Punkt suchte, auf den ich schauen konnte, um nicht noch mehr zu erröten.<br />

Das Kleid war schwer und da es so lang war, sollte ich es eigentlich raffen, doch weil mein Ring meine ganze<br />

Aufmerksamkeit forderte, war ich dazu nicht fähig. So, wie es kommen musste, stolperte ich. Ich ruderte mit den<br />

Armen, damit ich nicht hinfiel und das gute Kleid ruinierte, aber dennoch verlor ich das Gleichgewicht. Doch<br />

anstatt auf den Boden zu fallen, fand ich mich in warmen Armen wieder. Ich blickte auf. Ein freundliches Gesicht<br />

sah auf mich hinab.<br />

Ihr solltet lieber Euer Kleid raffen, Demoiselle.<br />

Verwirrt starrte ich ihn an. Er war gut gekleidet, nahe zu höfisch; sein Gesicht zeigte von Reife, jedoch in<br />

keinster Weise von Alter. Nur die Silberfäden in seinem dunkelblonden Haar und seine kleinen Fältchen, zeigten,<br />

dass er ungefähr 40 Lenze alt sein musste. Liebenswürdig blickten mich seine braunen Augen an. Dabei<br />

wurden seine scharfen Züge weicher und seine Augen begannen zu strahlten, was ihn zu einem schönen Mann<br />

machte.<br />

Ich senkte den Blick. Er machte mich sichtlich nervös. Ich danke Euch, Seigneur, dass Ihr mich...aufgefangen<br />

habt!<br />

Er grinste, worauf sich kleine Grübchen um seinen Mund bildeten. Das habe ich gern getan, wenn ich solch<br />

eine schöne Frau in den Händen halten darf.<br />

Langsam wurde es mir heiß um meine Wangen. Wenn das so weiter ginge, würde mein Kopf heute Abend<br />

bestimmt einer roten Tomate gleichen. Fast vorsichtig versuchte ich von seinem Schoß aufzustehen. Es war mir<br />

unangenehm auf fremden Schenkeln, noch dazu auf solchen muskulösen Schenkel, zu sitzen.<br />

Ihr müsst mich jetzt bitte entschuldigen. Ich muss zu meiner Familie an den Tisch. Sie warten schon auf<br />

mich! Habt noch einmal meinen Dank, Seigneur.<br />

Es war mir eine Freude.<br />

So schnell wie es die Schicklichkeit erlaubte rutschte ich von seinem Schoß und ordnete meine Röcke.<br />

Währenddessen sah mir der Mann amüsiert zu.<br />

Wem habe ich eigentlich zu Danken?<br />

Mit graziöser Anmut stand er auf und bot mir seine Reverenz. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinab.<br />

Michel D Vorgé, zu Euren Diensten, Demoiselle.<br />

Ich reichte ihm meine Hand, die er sogleich erfasste. Seine Hand war warm und als er einen zarten Kuss auf<br />

meinen Handrücken hauchte, während er unseren Blickkontakt nicht brach, spürte ich ein Prickeln. Nachdem er<br />

sich erhoben hatte, ließ er meine Hand nicht los, sondern streichelte mit seinem Daumen über meine Narben.<br />

Verzeiht, Demoiselle, wenn ich Euch zu neugierig erscheine, aber woher kommen Eure zahlreichen Nar-ben<br />

auf Euren sonst so schönen Händen?<br />

Wahrhaftig es ging ihm nichts an! Aber sollte ich ihm eine Antwort nach seiner Liebenswürdigkeit verwehren?<br />

Nun, wie Ihr wisst, bin ich der Bastard meines Vaters Kervén de Linceasé. Bis vor drei Wochen war ich noch<br />

eine normale Magd gewesen! Es war wenigstens ein Teil der Wahrheit.<br />

Michel D Vorgé zog eine Augenbraue hoch. Das ist interessant. Euer Bruder hat mir nur von Eurer offiziellen<br />

Anerkennung erzählt und nicht, dass Ihr noch vor kurzem Magd gewesen seid!<br />

Nun hatte er es doch geschafft, mich dazu zu bewegen, bei ihm länger zu bleiben. Woher kennt Ihr meinen<br />

Bruder?<br />

Oh, er war meines Vaters Knappe. Daher sind wir sehr eng miteinander befreundet. Ich war schon oft hier,<br />

habe Euch aber bisher noch nie gesehen. Jetzt wird mir auch klar warum . Er zuckte mit den Achseln. Jedenfalls<br />

meinte Euer Bruder, ich solle für ein paar Tage Gast auf Linceasé sein. Natürlich habe ich nicht nein<br />

gesagt.<br />

Zaghaft lächelte ich. Das freut mich zu hören. Jetzt entschuldigt mich aber, ich muss zu meiner Familie. Ich<br />

raffte mein Kleid und lief davon. D Vorgé war sehr nett und ich mochte ihn, auch wenn wir uns erst gerade<br />

kennen gelernt hatten. Dennoch waren mir die Gefühle, die durch ihn ausgelöst worden waren, zu rätselhaft, als<br />

dass ich sie empfinden wollte.<br />

Er ist ein faszinierender Mann, nicht wahr? , raunte mir Alison ins Ohr.


Wer?<br />

D Vorgé!<br />

Findest du?<br />

Du nicht?<br />

Ich? Verwirrt starrte ich sie an. Was meinte sie denn?<br />

Ja, du!<br />

Ich zuckte mit der Schulter. Ich kenne ihn doch gar nicht.<br />

Diese Zeit reicht normalerweise schon aus, um bei diesem Mann das festzustellen. Einen lauern-den Blick<br />

warf sie auf mich.<br />

Anstatt ihr zu antworten, drehte ich mit großem Interesse an meinem Ring, als wenn es momentan nichts<br />

Wichtigeres gäbe. Dennoch arbeitete mein Gehirn. Alison hatte mit ihrer Behauptung Recht gehabt, wenn ich<br />

jetzt darüber nach dachte. Auch wenn mir dieser Mann etwas zu nahe gekommen war, hatte er für diesen Augenblick<br />

den Nebel um mein Herz verjagt. Ich hatte kein bisschen an Colin gedacht und wie groß auch der Schmerz<br />

war, war ich dennoch nicht gewillt, mich noch länger gehen zu lassen. Ich war jetzt eine Linceasé. Ich durfte<br />

ohne Vorbehalte diesen Namen als den Meinen nennen, ohne dass ich log.<br />

Nachdem Charis Madame Fernond ein Zeichen gegeben hatte, betraten unsere Küchenmägde die Halle und<br />

stellten die herrlichen Speisen auf unsere Tische. Köstlich dufteten sie, sodass mir das Wasser im Mund<br />

zusammen lief.<br />

Nachdem unser Tisch reichlich versorgt war und Jaufré das Zeichen gegeben hatte, holte ich mir als allererstes<br />

ein Stück vom Schwein und eine Scheibe von unserem frischen Brot. Alison schenkte mir Wein in meinen Kelch<br />

ein, der samtig über meine Kehle rann.<br />

Sieh nur, D Vorgè prostet dir zu! , flüsterte Alison.<br />

Mein Blick suchte nach ihm und als ich ihn entdeckt hatte, bestätigten sich Alisons Worte. Um nicht unhöflich<br />

zu erscheinen, hob ich ebenfalls meinen Kelch, trank und stellte ihn wieder ab.<br />

Es war schwer für mich, ohne Hemmungen zu essen, als mir bewusst wurde, dass er mich beobachtete.<br />

Danielle, langsam glaube ich, der Mann hat einen Narren an dir gefressen. Er verschlingt dich ja förmlich!<br />

Ja, zu dieser Annahme bin ich auch schon gekommen , presste ich aus zusammengebissenen Zähnen hervor.<br />

Nun, verübeln kann man ihm das aber nicht!<br />

Das Fleisch, das ich eben gekaut hatte, rutschte meinen Hals zu schnell hinab und ich hustete. Tränen traten<br />

mir in die Augen und ich bekam kaum noch Luft.<br />

Liebes, beruhige dich! , sagte Alison besorgt und klopfte mir auf den Rücken.<br />

Ich schnappte mir den Kelch und goss den Wein in meinen Hals. Das Fleischstück rutschte hinab und ich<br />

spürte wieder Luft. Atemlos lehnte ich mich zurück.<br />

Bei Gott, Liebes, ich dachte schon, du erstickst!<br />

Teilnahmslos starrte ich zur Decke. Meine gute Laune war dahin. Es war merkwürdig, von einem Mann beobachtet<br />

zu werden. Noch dazu, wenn man auf dessen Schoß schon gesessen war.<br />

Die nächsten Stunden verbrachte ich mit kleinen Plauschchen, Bewunderungen und Glückwunschreden. Dabei<br />

fiel mein Blick immer wieder auf D Vorgé, der zwar ebenso in Gespräche vertieft war, zu mir jedoch immer<br />

wieder einen Blick herüber warf. Es war bereits dunkel, als ich mich endlich für eine gewisse Zeit zurückziehen<br />

konnte.<br />

Ich schlenderte über den Burghof und sah hin und wieder gen Himmel um die Sterne zu sehen. Heute Nacht<br />

schienen sie besonders hell zu leuchten, während die Nacht mit ihrer Dunkelheit protzte. Plötzlich hörte ich<br />

Schritte hinter mir und ich wandte mich um.<br />

Demoiselle! D Vorgé versank in eine Reverenz.<br />

Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Schreien, oder hysterisch lachen. Ich entschied mich gegen beides und<br />

lächelte. Seigneur!<br />

Erlaubt Ihr mir, Euch zu begleiten?<br />

Mir wurde gleichzeitig kalt und heiß. Wenn es Euch Vergnügen bereitet, gerne.<br />

D Vorgé bot mir seinen Arm und ich hakte mich bei ihm unter.<br />

Es ist eine wunderbare Nacht, nicht wahr?<br />

Nun...ja, gewiss!<br />

Sagt, Danielle, wie viele Lenze zählt Ihr, wenn ich fragen darf!<br />

Achtzehn! , antwortete ich.<br />

Dann seid Ihr bestimmt schon verlobt!<br />

Was? Nein, ich bin noch nicht verlobt.<br />

Abrupt blieb er stehen. Ihr seid nicht verlobt?<br />

Nein!<br />

Aber sicher versprochen!<br />

Nein!<br />

Dann seid Ihr frei?<br />

Ja .<br />

D Vorgés Augen glitzerten. Habt Ihr vor, irgendjemanden zu heiraten?


Wieso wollt ihr das alles wissen?<br />

Verzeiht, wenn ich zu neugierig bin, Demoiselle!<br />

Gehen wir wieder weiter?<br />

Oh ja, natürlich!<br />

Lange liefen wir schweigend nebeneinander her. Ich wurde immer nervöser. Seine merkwürdigen Fragen hatten<br />

dazu beigetragen, doch seine Nähe war der Hauptgrund. Sein Arm übertrug seine Wärme auf meinen Körper.<br />

Ebenso spürte ich die unvergleichliche Kraft eines Mannes, der ein Schwert führte; eines Kriegers.<br />

Alison hatte vollkommen Recht, dieser Mann war faszinierend. Und noch faszinierter war er, weil er größer<br />

war als ich. Dennoch fühlte ich ein beunruhigendes Gefühl in seiner Gegenwart.<br />

Linceasé ist eine wunderschöne Burg. Ich frage mich noch immer, wie es Bloesé geschafft hatte, sie einzunehmen!<br />

, murmelte er.<br />

Schmerz durchfuhr meinen Körper. Wie als würde ein scharfer Dolch in mir herumstochern. Warum musste er<br />

jetzt ausgerechnet von Colin sprechen?<br />

Auch wenn Bloesé Euch und Eure Familie als Gefangene behandelt hat, muss man ihm eingestehen, dass er<br />

ein ausgezeichneter Stratege ist. Wirklich. Und ein ausgezeichneter Krieger dazu. Viele nennen ihn den schwarzen<br />

Teufel ! Wenn ich ein junger Mann wäre, wäre es für mich eine Ehre unter seinem Kommando zu stehen! ,<br />

sinnierte er weiter.<br />

Bitte, Graf, können wir nicht von etwas anderem sprechen?<br />

Ja, sicher. Verzeiht, meine Rüpelhaftigkeit. Ich vergass seine unehrenhafte Tat. Wollt Ihr zu den Stallungen?<br />

Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich...ich möchte wieder in die Halle zurück. Danke für Eure Begleitung, Graf.<br />

Es war mir eine Ehre, Demoiselle!<br />

Noch bevor er zu Ende geredet hatte, lief ich davon. Es wäre kaum zu ertragen gewesen, wenn er weiterhin an<br />

meiner Seite gelaufen wäre. Er hatte die von mir heute verdrängten Erinnerungen an Colin wach gerufen und<br />

nun hob sich der tiefe Schleier purer Verzweiflung über meinen Kopf hinweg. Ich spürte den Kloß in meinem<br />

Hals und die Tränen, die in meine Augen traten. Halbherzig wischte ich sie weg und lief weiter.<br />

Erst als es weit über Mitternacht war, verebbte die Festlichkeit. Viele der Bediensteten schliefen unter den Tischen,<br />

ebenso wie manche adligen Gäste, die es nicht mehr hinauf in ihre Gemächer geschafft hatten. Währenddessen<br />

liefen die Hunde in der Halle umher um etwas Essbares zu finden.<br />

Es war schwer die Müdigkeit und den Kummer zu unterdrücken, die wie ein schweres Gewicht auf meinen<br />

Schultern lagen. Dennoch versuchte ich meine stolze Haltung zu bewahren, während ich auf den Augenblick<br />

fieberte, wo ich endlich zu Bett gehen konnte.<br />

Alison ging es genauso. Sie ließ sich jedoch genauso wenig anmerken.<br />

Ich und meine Familie waren, sowie ein paar von unseren Gästen, am Kamin und tranken Gewürzwein.<br />

Es ist ein Kreuz mit dem Herzog von Anjou , sagte plötzlich Graf Armand de Soréj.<br />

Wie meint Ihr das? , fragte Jaufré und nippte an seinem Kelch.<br />

Ich habe vor ein paar Tagen gehört, dass der Herzog versucht, seine Schwägerin bei ihrem Sohn schlecht zu<br />

machen.<br />

Das wissen wir doch schon lange, Soréj , entgegnete Baron Edouard de Dermont lässig.<br />

Ja, das stimmt. Aber jetzt ist es kein Wortgefecht mehr. Jetzt rückt er mit verhängnisvollen Intrigen vor!<br />

René sah auf, öffnete den Mund und schloss ihn wieder.<br />

Ich glaubte, Ihr übertreibt! , meinte D Vorgé, der immer wieder zu mir herüber sah und lächelte.<br />

In keinster Weise, D Vorgé. Der Herzog versucht momentan seine Schwägerin als Landesverräterin<br />

hinzustellen und das ist in keinster Weise eine Übertreibung ist.<br />

Habt Ihr dafür Beweise? , fragte D Vorgé resigniert.<br />

Nun...em...nein! Aber der ganze Hof spricht davon. Und mein Freund ist einer der Ratgeber des Königs, der<br />

die Geschehnisse hautnah mitbekommt.<br />

Und Ihr glaubt, der König würde es zu lässen, dass man solche Geschehnisse einfach so, Ratgeber hin oder<br />

her, mitbekommt? , wandte nun René ein.<br />

Was meint Ihr damit? , knurrte Soréj.<br />

Das ich auch, wie Ihr wisst, ein Ratgeber des Königs bin. Wenn dies also der Wahrheit entsprechen sollte,<br />

sollte ich auch davon etwas mitbekommen haben. Ich bin meist jeden Tag mit dem König zusammen, sowie mit<br />

seiner Mutter, und deshalb weiß ich, dass dem nicht so ist. Der König legt mehr wert auf seine Mutter, als auf<br />

seinen Onkel. Und wenn der Herzog solch eine Intrige begehen sollte, wüsste der König davon!<br />

Wie soll er denn davon wissen?<br />

Es gibt vieles was man herausfinden kann, ohne das es jemand weiß! Mit diesem Satz stand René auf, verbeugte<br />

sich und lief nach oben.<br />

Langes Schweigen trat ein.<br />

D Vorgé räusperte sich. Es war ein wunderbares Mahl, Dame Charis. Ich habe mich köstlich amüsiert und<br />

das Essen war hervorragend. Ich gebühre der Köchin großes Lob.<br />

Ich danke Euch. Ich werde es meiner Köchin mit Freuden ausrichten.


Die Spannung legte sich und dafür war ich D Vorgé dankbar.<br />

Ja, es war wirklich ein wunderbarer Abend! , sagte Soréj.<br />

Und Euer Kleid, Demoiselle, ist einfach traumhaft. Ich hätte nicht gedacht, dass solche Kleider wie eine<br />

zweite Haut zu Euch passen!<br />

Ich errötete. Habt herzlichen Dank, Baron Dermont. Ich senkte den Kopf und sah den Wein in meinem<br />

Kelch an. Ich schwenkte ihn, bevor ich ihn in einem Zug trank.<br />

Entschuldigt uns bitte, aber wir sind sehr müde. Ich bin sicher, Ihr werdet Euch auch ohne unsere Gesellschaft<br />

gut amüsieren! Charis erhob sich. Darauf folgten Alison und ich.<br />

Gewiss nicht, aber dennoch müssen wir Euch gehen lassen. Wir wünschen eine gute Nacht! D Vorgé neigte<br />

den Kopf.<br />

Als Abschied verneigten wir uns vor den Herren. So schnell wie es die Etikette erlaubte, liefen wir durch die<br />

Halle und die Treppe hoch.<br />

Nach dem wir uns gegenseitig eine gute Nacht gewünscht hatten, liefen wir in unsere Gemächer.<br />

Ich streifte mir die Kleider vom Leib bis ich nur noch das feine Hemdchen anhatte. Dann lief ich zum Fenster<br />

und schaute hinaus. Der Mond war nicht zu sehen; alles war düster; nur die Sterne leuchteten.<br />

Ich schlang meine Arme um meinen Oberkörper und lehnte mich an die Wand. Traurig sah ich hinaus. Jäh als<br />

die Last von meinen Schultern des heutigen Tages geschwunden war, traten Tränen in meine Augen. Sie rollten<br />

über meine Wangen und hinterließen auf meinem Hemd kleine Wasserflecken. Tropfen für Tropfen. Ich<br />

wischte sie nicht weg. Warum auch?<br />

Ich fühlte wieder dieses große schwarze Loch unter meinen Füßen, das mich tief hinab zog. Das mich beinahe<br />

krankt machte. Und umso länger ich weinte, umso größer wurde es.<br />

Ich schluchzte laut auf. Ich vermisste ihn so. Ich war mir ganz sicher, dass Colin auch mich vermisste und<br />

dass er mich nicht wirklich verlassen hatte wollen. Dass er es nur aus einem bestimmten dummen Grund getan<br />

hatte, egal was es war. Aber ob er zurück- kommen würde, wusste ich nicht.<br />

Alison hatte gemeint, das heutige Mahl zu Ehren meines Geburtstages und meiner offiziellen Anerkennung<br />

zur Linceasé würde mich aufmuntern. Aber ich fühlte mich keines Wegs aufgemuntert. Es mag vielleicht undankbar<br />

klingen, aber ich war nie besonders erpicht darauf gewesen, diesen Tag zu feiern, egal wie bedeutend er<br />

für mich war.<br />

Es war alles so unbedeutend geworden, seit dem Colin mich verlassen hatte. Was scherte es mich, dass ich in<br />

meinem Kleid wundervoll aussah, wenn Colin nicht hier war? Was scherte es mich, das der Herzog eine Intrige<br />

gegen seine eigene Schwägerin spannen sollte, wenn er nicht bei mir war?<br />

Meine Hände umfassten die Mauer, während ich mich vorbeugte, ein Knie auf die Sitzecke stemmte, und aus<br />

dem Fenster sah. Ich legte den Kopf in den Nacken, während ich die Luft einatmete. Ich beugte mich weiter vor.<br />

Der Wind wischte meine Tränen fort, ließ mich erschauern, sodass ich meine Hände abermals um meinen Oberkörper<br />

schlang. Und plötzlich fiel ich hinab in ein schwarzes Loch, gefolgt von quälenden Schmerzen die mein<br />

Bewusstsein ausschalteten.<br />

17. <strong>Kapitel</strong><br />

Wenn du so weiter machst, wirst du irgendwann keine heilen Knochen mehr haben! , schimpfte Alison.<br />

Wie konntest du nur so töricht sein, und dich aus dem Fenster lehnen! Sei froh, dass unter deinem Fenster ein<br />

Moosbett war und kein harter Boden! Sonst wärst du mit keinem blauen Auge davongekommen, sondern mit<br />

Brüchen. Um ihre Wut zu unterstreichen, zog sie bewusst den Verband um meinen Oberkörper fester, sodass<br />

ich die Luft scharf einsog.<br />

Charis stand vor dem Kamin und wiegte Agnes in ihren Armen, während sie Alisons Schimpftirade mit einem<br />

Lächeln bedachte. Sie hatte diese Pflicht an die tobende Alison abgetreten, als sie mich vorgestern Nacht unter<br />

meinem Fenster bewusstlos vorgefunden hatten.<br />

Eigentlich hatte ich geglaubt, es gäbe keine Steigerung zu den Schmerzen, die ich an der Übernahme unserer<br />

Burg verspürt hatte. Doch nun war ich eines besseren Belehrt worden. Ich hatte große Schmerzen im Bereich<br />

meiner Rippen. Bestimmt hatte ich mir einige von ihnen gebrochen. Sonst hatte ich mehrere Prellungen,<br />

blaue Flecken und Hautaufschürfungen.<br />

Die Nachricht von meinem Sturz aus dem Fenster hatte die ganze Burg mit Entsetzten aufgenommen. Meine<br />

Brüder waren geschockt gewesen und versuchten nun, mir alle möglichen Wünsche zu erfüllen. Charis hatte die<br />

Rolle der Schmunzelnden übernommen. Sie war besorgt und gleichzeitig bestürzt gewesen, aber mit ihrer Meinung<br />

hielt sie sich zurück. Und so musste ich mir Alisons Wutausbrüche anhören und ihr dementsprechendes<br />

Gesicht Tag täglich ansehen.<br />

Wie schaffst du das nur immer wieder, hmmm? Alison schüttelte den Kopf.<br />

Ich nehme an, ich habe das von meinen Vorfahren. Ich alleine ziehe solche Betätigungen nicht vor!<br />

Charis gluckste. Oh, Danielle. Du findest auch immer eine Ausrede.<br />

Aber irgendwann werden ihr die Ausreden ausgehen! , murrte Alison.<br />

Irgendwann bestimmt. Aber ich hoffe, dass ich keine Ausreden mehr brauche. Ah! Mensch Alison, pass doch<br />

bitte auf. Ich bin ein Mensch und kein Gegenstand!


Alison knotete die Enden meines Verbandes fest. Ja, leider, nicht wahr? Denn dann wäre so etwas bestimmt<br />

nicht passiert!<br />

Charis lief zu uns. Ich glaube, Alison, du bist zu hart. Schließlich ist Danielle nicht mit Absicht aus dem<br />

Fenster gefallen, oder?<br />

Ich warf ihr einen vernichtenden Blick zu und klopfte mir das Kissen zu Recht.<br />

Plötzlich fing die Kleine an zu weinen. Charis streichelte ihr beruhigend über den kahlen Kopf, doch Agnes<br />

gab keine Ruhe. Charis seufzte und lief zur Tür. Ihre Essenszeit! , sagte sie entschuldigend und verschwand.<br />

Stille. Drückende Stille.<br />

Ich bin nicht böse auf dich, weil das passiert ist. Ich bin nur so böse auf dich, weil du so leichtsinnig warst.<br />

Dir hätte sonst was passieren können. Du setzt dein Leben aufs Spiel. Du schätzt den Wert deines Lebens nicht!<br />

Alison...bitte...!<br />

Hör auf! Ich weiß, wie groß dein Kummer ist. Du kannst ihn vor mir nicht verbergen. Aber deswegen<br />

brauchst du dich nicht halb umzubringen!<br />

Ich wollte mich doch nicht umbringen! , begehrte ich auf.<br />

Ist der Unterschied denn so groß? Eindringlich richteten sich ihre Augen auf die meinen. Es kam mir so vor,<br />

als würde sie bis in die Tiefen meiner Seele hinab blicken.<br />

Was?<br />

Dein Leichtsinn. Dein Leichtsinn führt dich in den Tod. Du bist zu impulsiv, Danielle. Ja, Jannik mag in unserer<br />

Familie der Impulsivste sein, doch du bist mit deiner Impulsivität seiner sehr nahe!<br />

Ich weiß nicht, was das damit zu tun hat! Nervös biss ich mir auf die Lippe.<br />

Ist das nicht offensichtlich?<br />

Nein!<br />

Nun gut! Ich erkläre es dir. Ich bin zwar nur ein Jahr älter als du, aber ich glaube, dass ich mehr Weitblick<br />

habe als du! Alison seufzte. Du hast nur aus Gefühlen heraus, obwohl du nicht wusstest, was danach passieren<br />

würde, dich einem fremden Mann, der gleichzeitig unser Feind ist, hingegeben. Du hast deine Hände wegen dem<br />

Schmerz an der Wand aufgeschürft, du hast ein Schwert diesem Manne in die Hüfte gebohrt und jetzt warst du<br />

aus Liebeskummer so leichtsinnig, dass du aus dem Fenster gestürzt bist. Reicht dir das? Ich glaube, du solltest<br />

schleunigst, deine Verhältnisse ordnen. Sonst machst du dich selbst kaputt. Du musst Ruhe finden!<br />

Stille.<br />

Bloesé hat dich im Stich gelassen, einfach so. Glaubst du, er kommt zurück, um dich zu heiraten? Oh nein,<br />

Danielle, während du hier im Bett liegst, ist er schon dem nächsten Weiberrock hinterher! , fügte sie nach einer<br />

Weile leise hinzu.<br />

Ihre Worte halten in meinen Ohren. Wild pochte der Schmerz in meinem Herz und am Liebsten hätte ich laut<br />

aufgeschrieen. Es tat un-sagbar weh, so etwas zu hören zu bekommen. Aber dennoch wandte eine kleine<br />

Stimme, ganz hinten in meinem Kopf, ein, dass Alison nicht völlig Unrecht hatte.<br />

Vorsichtig schwang ich die Beine aus dem Bett und stand auf, während ich mich an einem Bettpfosten<br />

festhielt. Meine Rippen schmerzten bei jeder kleinsten Bewegung, doch ich achtete nicht darauf. Schritt für<br />

Schritt lief ich zu Alison, die am Fenster stand und hinausblickte.<br />

Ich hatte auch einmal den Drang verspürt, mich aus dem Fenster zu werfen, weil all meine Hoffnungen, geachtete<br />

Ehefrau und Herrin zu werden, zu Nichte gemacht worden waren. Denn wer will schon eine vergewaltigte<br />

Frau heiraten, bzw. eine, die keine Jungfrau mehr ist?<br />

Aber du lebst.<br />

Alison warf die Hände gen Himmel. Ja, ich lebe! , rief sie aus. Dann wandte sie sich ruckartig um, sodass ich<br />

erschreckt einen Schritt zurück wich. Aber nur, weil mir deine Situation Hoffnung gegeben hat. Wie du trotz allem<br />

nie aufgegeben hast und immer noch naiv daran glaubst, er würde zurückkommen.<br />

Ich liebe ihn, Alison. Und ich weiß, dass er zurückkommen wird. Er wird kommen. Auch wenn er mir unbekanntem<br />

Grund wegen so ruckartig abgezogen ist , begehrte ich auf.<br />

Bei Gott, Danielle. Du müsstest dich einmal hören, wie du sprichst. Verächtlich schnaubte sie.<br />

Ich spreche wie eine Frau, die liebt! , sagte ich schlicht.<br />

Alison zuckte mit den Schultern. Vielleicht tust du das, ja, bestimmt liebst du ihn. Aber bekanntlich macht<br />

Liebe blind.<br />

Stille.<br />

Trotz allem können wir froh sein, dass du kein Kind von ihm unter dem Herzen trägst. Bei Gott, was würde<br />

das für einen Skandal werden! , murmelte Alison nach einer Weile.<br />

Versonnen strich ich die hölzerne Rauteneinfassung meines Fensters nach. Es ist so wahnsinnig schwierig<br />

damit umzugehen, den Grund seines plötzlichen Aufbruchs nicht zu wissen. Dann könnte ich ihn vielleicht<br />

besser verstehen können!<br />

Was versprichst du dir davon, dass er zurückkommt? Willst du Jaufré alles erzählen, oder weiterhin deine<br />

Liebe zu Bloesé verbergen?<br />

Ich lehnte meinen Kopf an die Wand. Einerseits würde ich es ihm so gerne erzählen, mit euch mein Glück<br />

teilen, aber gleichzeitig weiß ich, dass das momentan nicht möglich ist. Jaufré wird ja schon zornig, sobald man<br />

Colins Namen erwähnt.


Wenigstens hast du das eingesehen! , entgegnete Alison bitter.<br />

Alison,...bitte...<br />

Es tut mir leid, aber ich kann dir keine falschen Hoffnungen machen. Irgendeiner muss einen kühlen Kopf<br />

bewahren.<br />

Und ausgerechnet musst du das sein, nicht wahr? Als ob du nicht schon genug Probleme mit dir selbst hättest.<br />

Außerdem sind wir Gerademahl ein Jahr auseinander! Also bin ich nicht minder klüger. , warf ich empört<br />

ein.<br />

Gleichgültig zuckte sie mit den Schultern. Wie ich schon sagte, habe ich mehr Weitblick als du! Egal was ist.<br />

Und falls du auf meine Vergewaltigung anspielen willst...ich bin in einer Hinsicht glücklich: ich bin nicht<br />

schwanger!<br />

Aber du bist verzweifelt, dass dein Ruf befleckt ist. Aber ich sage dir, es wird einen Mann geben, der deiner<br />

würdig ist, der dich will. Der dich glücklich machen wird. , sagte ich mit meiner ganzen Überzeu-gungskraft.<br />

Alison strich über ihr Kleid und sah in das Feuer, das sich im Kamin durch die Holzscheite züngelte. Ja, das<br />

habe ich vorhin gesagt. Aber ich, Danielle, versuche wenigstens, mich mit dieser Tat-sache abzufinden. Und<br />

es... , überzeugt, gerade zu bestimmt, sah sie mich an, es wird keinen Mann geben, der mich will! Das lass dir<br />

gesagt sein!<br />

Ich lief auf sie zu und sah sie verzweifelt an. Siehst du! Du...du glaubst nicht einmal. Du hoffst nicht! Was ist<br />

los mit dir? Wo ist dein altes Ich? Warum kannst du nicht mehr hoffen?<br />

Als ich in Alisons Blick sah, wusste ich, dass sie es nicht konnte. Dass es vielleicht nie wieder so eine Alison<br />

geben würde, die mit freudevollen Augen in die Welt blickte. Sie würde nie mehr die Lieblingsschwester sein,<br />

die so gerne lachte, die so gerne Laute spielte, sang, nähte und sich unbefangen fühlte. Die immer zu einen wiechen<br />

Zug um ihren Mund hatte, die mit ihrem Gesicht strahlte und manchmal jungen Rittern hinterher sah und<br />

verträumt kicherte.<br />

Jetzt war sie eine nachdenkliche, zu erwachsene Person geworden. Die, wie es sich nun herausstellte, nicht<br />

mehr hoffen, nicht mehr träumen konnte. Die nun alles berechnete und all das Glückliche umging, dass vielleicht<br />

auch sie wieder treffen könnte. Sie war...ein verbittertes Mädchen, das mit aller Gewalt ihre Gefühle unter Kontrolle<br />

haben wollte um sich selbst zu schützen.<br />

Gleichzeitig wusste ich, dass diese Mauer irgendwann einfallen würde, weil sie irgendwann mit der Wahrheit<br />

ans Licht kommen musste. Denn irgendwann würde Jaufré sie verheiraten wollen. Aber bis dahin, so hoffte ich,<br />

bliebe noch etwas Zeit. Denn ich hatte keines Wegs vor, meine Schwester jetzt herzugeben, egal, wie ihre Art<br />

momentan war.<br />

Sanft strich sie über mein Haar. In ihren Augen lag ein Zug Wehmut. Danke dem lieben Gott, dass du die<br />

Liebe erfahren durftest, wie die Liebe sich anfühlt. Es ist ein großes Geschenk. Und auch wenn du noch an deinen<br />

kindlichen Träumen hängst, glaube ich, dass du deinen Weg finden wirst. Mit Bloesé oder ohne. Gang egal!<br />

Mit diesen Worten lief sie aus dem Zimmer und ließ mich stehen.<br />

Ich wusste nicht warum, aber als ich D Vorgé am Abend im Stall begegnete, war ich unendlich froh. Er versprühte<br />

eine Ruhe, die mir Kraft gab und mich bei ihm geborgen fühlen ließ.<br />

Ah, Demoiselle! Wie schön, dass ich Euch wieder sehe. Ich habe Euch schmerzlich vermisst! Er beugte sich<br />

über meine Hand und hauchte einen zarten Kuss darauf.<br />

Auch ich freue mich, D Vorgé.<br />

Wie geht es Euch, Danielle? Ich habe gehört, das wahrscheinlich einige Eurer Rippen gebrochen sind und ihr<br />

mehrere Prellungen und Schürfwunden habt!<br />

Ich schmunzelte. Ihr seid gut informiert.<br />

Ich hoffe, ich bin nicht zu indiskret!<br />

Nein, das seid Ihr nicht. Gewiss nicht.<br />

D Vorgés Blick richtete sich auf Fleur. Ihr habt eine wunderschöne Stute, Demoiselle.<br />

Ja, das ist sie. Ich habe sie Fleur genannt.<br />

Fleur? Ein ungewöhnlicher Name.<br />

Ja, ich weiß. Aber Fleur ist auch ungewöhnlich! Ich lächelte ihn an. Ich freue mich wirklich, Euch zu sehen.<br />

D Vorgé strahlte. Das freut mich sehr. Ich muss zugeben, Eure Gesellschaft ist mir viel wohler als jegliches<br />

große höfische Bankett.<br />

Ich lächelte. Das Kompliment schmeichelte mir. Denn die höfischen Bankette hatten einen ausgezeichneten<br />

Ruf. In ganz Frankreich wusste man, wenn der König feierte, dann feierte er richtig. Halbe Sachen gab es nicht.<br />

Und ein höfisches Bankett war bei weitem keine halbe Sache.<br />

Ich muss sagen, als ich gehört habe, Ihr wäret aus dem Fenster gefallen, hatte ich große Angst um Euch bekommen.<br />

Schließlich habe ich für Euch, nachdem ich Euch aufgefangen habe, einen Beschützerinstinkt aufgebaut!<br />

, er schmunzelte. Euer Bruder zieht mich deswegen immer und immer wieder damit auf. Er meinte, ich<br />

hätte eine seelische Verbindung zu Euch aufgebaut! Bedeutungsvoll sah er mich an. Und wenn ich zu geben<br />

muss, hat er damit Recht.


In mir kribbelte es. Es war mehr, als ich von unserer Begegnung erwartet hätte. Immerzu hatte ich das Gefühl,<br />

er erwartete etwas von mir. Etwas, was ich noch nicht bereit war zu geben. Aber was?<br />

Plötzlich nahm D Vorgé meine Hand in die seine. Zärtlich strich er über meine Narben, wie er es schon einmal<br />

getan hatte. Wärme rieselte durch meinen Körper und verspürte den Drang mich an seine starke Brust zu<br />

lehnen.<br />

Ich habe das Gefühl bei Euch, Demoiselle, Euch schon Jahre zu kennen. Noch nie war ich einer Frau wie<br />

Euch begegnet!<br />

Noch nie war ich solch einer Frau wie dir begegnet! Colins Worte halten in meinen Ohren. Der Schmerz<br />

brach den Damm und strömte durch meinen Körper. Ich entzog D Vorgé meine Hand; jedoch nicht unfreundlich.<br />

Dann verabschiedete ich mich und ließ den stirnrunzelnden Mann im Stall stehen.<br />

Ich hastete hinauf zum Wehrgang. Angekommen, presste ich meinen Leib eng an die Wand und starrte hinaus<br />

zum Horizont. Die Sonne senkte sich bereits und entfachte so ihr Feuer, das sich auf dem ganzen Himmel ausbreitete.<br />

Rein und klar sah mir der Himmel entgegen und die bunten Farben zwinkerten mir zu.<br />

Ich wischte fahrig über meine Augen, die Gott sei Dank keine Tränen beinhalteten. Ich lachte bitter auf. Meine<br />

Augen hatten sich anscheinend an meinen Kummer gewöhnt, sodass sie für solche Fälle keine Tränen mehr<br />

hergaben.<br />

Ich schloss die Augen und spürte den erfrischenden Wind an meiner Wange. Träge strich der Wind durch<br />

unser Land. Würde er auch bei Colin ankommen? Und wenn ja, konnte er eine Botschaft überbringen?<br />

Ich liebe ihn! , flüsterte ich dem Wind zu. Bring ihn mir wieder zurück. Hol ihn für mich! Ich will endlich<br />

wieder leben!<br />

Die nächsten Tage verbrachte ich mit Alison. Ich war fest entschlossen, sie aus ihrem tiefen, schwarzen Loch,<br />

dass ich selbst so gut kannte, zu holen. Ich wollte, dass sie endlich wieder Freude empfinden konnte. Freilich tat<br />

ich es auch für mich, denn ich mochte lieber die glückliche Alison, als die verbitterte, fremde Frau, die nur in<br />

Alisons Körper steckte.<br />

Ich spielte sogar für sie Laute und sang ab und zu ein Lied dazu. Rogier, er wusste, er ärgerte mich damit,<br />

sang manchmal mit der Sprache unserer Vorfahren dazu, denn ich wollte auch unbedingt Germanisch lernen. Ich<br />

hatte einmal damit angefangen<br />

ich konnte auch schon ein paar Wörter<br />

aber es wollte mir nie gelingen. Ir-<br />

gendwann hatte ich es dann aufgegeben. So waren Rogier, Jaufré, René, Gratien und Nadine die Einzigen, die<br />

dieser Sprache mächtig waren. Jannik konnte nur ein paar Wörter, denn ihre Mutter war ja, bevor er die Sprache<br />

vollständig beherrschte, an Yvés Geburt gestorben. Vollglicher Weise konnte Alison diese Sprache auch nicht<br />

sprechen, so wie Yvés.<br />

Auch heute saß ich in meinem Gemach und spielte für Alison, Charis und Agnes Laute. Manchmal summte<br />

oder sang ich auch dazu. Meine Brüder wollte ich nicht dabei haben. Es war mir peinlich, vor ihnen von Gefühlen<br />

zu singen, die ich selber fühlte.<br />

Die Klänge der Laute erfüllten die Kemenate und begleiteten meine Stimme. Ich sang von verlorener Liebe,<br />

von Verzweiflung und Kummer. Ich sang von Tristan und Isolde und auch von der rätselhafte Legende über<br />

König Artus und den heiligen Gral. Geschehnisse, die vielleicht einmal passiert waren.<br />

Alison und Charis, die Agnes in ihren Armen wiegte, saßen in der Sitzgruppe vor dem Kamin, während ich in<br />

einer mit Kissen gepolsterten Fensternische saß.<br />

Leicht strichen meine Finger über die Saiten. Die Melodie ähnelte Mythen, die mein Herz beflügelten. Ich<br />

dachte an die Zeit, die ich mit Colin verbracht hatte. An den langen Weg, den ich gehen musste, um zu erkennen,<br />

dass ich ihn liebte. Dass ich nicht ohne ihn konnte.<br />

Als ich die Laute an die Wand lehnte, klatschten Alison und Charis, die mir ein Lächeln schenkte und über<br />

Agnes Kopf strich.<br />

Du spielst fabelhaft. Traumhaft schön! , murmelte sie.<br />

Alison nickte und rang sich ein Lächeln ab, was mir große Freude bereitete. Zum ersten Mal hatte sie wieder<br />

gelächelt.<br />

Danke! , murmelte ich verlegen.<br />

Ich bin sicher, dein Gemahl wird einmal große Freude an dir haben! , sagte Charis und strahlte mich an.<br />

Mein Gemahl! Ja, mit Sicherheit würde er große Freude an mir haben. Wie ich an Colin große Freude haben<br />

werde. Gott, wie sicher konnte ich sein, dass ich ihn heiraten würde?<br />

Alisons Gesichtszüge hatten sich versteinert, ihr Lächeln war verschwunden.<br />

Gezwungen lächelte ich und stand auf. Vielleicht singt mein Gemahl mit, wenn ich einmal auf der Laute<br />

spiele. Was meint ihr? Jaufré singt ja schließlich auch manchmal mit!<br />

Wie du sagst, Danielle, vielleicht. Aber wenn du auch so einen wunderbaren Ehemann bekommst, wie Jaufré<br />

einer ist, dann wird er bestimmt mitsingen , erwiderte Charis.<br />

Plötzlich erhob sich Alison. Entschuldigt mich! , murmelte sie. Keine fünf Sekunden später war sie verschwunden.<br />

Was hat sie denn? , fragte Charis verwirrt.<br />

Ich zuckte mit den Schultern. Ich weiß es nicht! Zu meinem Glück errötete ich bei dieser Lüge nicht.<br />

Charis seufzte. Sie ist so anders geworden, seitdem das alles passiert ist!


Ich antwortete nicht. Ich wollte sie nicht schon wieder anlügen. Stattdessen fragte ich sie: Hat Rogier jetzt<br />

vor, wieder in den Dienst des Königs zu treten?<br />

Charis rückte ihre Flügelhaube zurecht. Er hat darüber nachgedacht. Er schwankt noch, ob er zu Philippe<br />

gehen soll oder nicht, aber im Grunde wird er gehen. Er liebt den Dienst im Namen des Königs, wie du weist.<br />

Nur sein Stolz...du weißt ja!<br />

Ja, ich weiß. Er schmollt immer noch, weil er von Philippe kein Land bekommen hat, obwohl er für diesen so<br />

hervorragend gedient hat.<br />

Ja. Und wie sehr ich auch unseren König liebe, kann ich es Rogier nicht verübeln. Liebevoll strich Charis<br />

mit dem Zeigefinger über Agnes kleine Nase. Unerwartet sagte sie: In zwei Tagen hält unser Kaplan wieder<br />

eine Messe. Sie schmunzelte. Der Arme hat sich erst von seinem Schock erholen müssen. Aber Gott seid Dank<br />

geht es ihm jetzt wieder gut.<br />

Ich antwortete darauf nichts. Der Kaplan war mir gleichgültig. Er bedeutete mir nichts und, ja, wenn ich ehrlich<br />

war, hätte es mir nichts ausgemacht, wenn er bei der Übernahme unserer Burg umgekommen wäre. Stattdessen<br />

sagte ich: Wie lange bleibt eigentlich noch D Vorgé?<br />

Oh, ich glaube noch ein paar Tage. Jaufré genießt D Vorgés Aufenthalt. Er hat ihn so lange nicht mehr gesehen,<br />

dass es nun an Nachholbedarf verlangt. Sie kicherte. D Vorgé ist ganz schön angetan von dir. Jedes Mal<br />

wenn er dich sieht, strahlt sein ganzes Gesicht.<br />

Und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich kann ihn gut leiden, aber ich habe solch eine Zuneigung<br />

von seiner Seite aus nicht erwartet.<br />

Ich glaube, wir dürfen noch auf ein Ereignis hoffen. Ich habe ihn lange beobachtet. Ich glaube, er ist dir sehr<br />

zugetan.<br />

Ein warmes Gefühl rieselte durch meinen Körper. Ich fühlte mich plötzlich geborgen, wollte am liebsten vor<br />

Glück lachen, zu schön war es, von einem Menschen vielleicht geliebt zu werden. Doch...<br />

Aber ich...ich..<br />

Aber du liebst Bloesé, ja ich weiß! , vollendete Charis den Satz.<br />

Mein Kopf fuhr zu ihr herum und ich sah sie mit großen Augen an.<br />

Sie zuckte gleichgültig mit der Schulter. Ich habe es schon lange bemerkt. Glaubst du, ich bin blind? Seitdem<br />

er abgezogen ist, bist du oft melancholisch, ja traurig. Es war zu überdeutlich, dass du Liebeskummer hast. Ich<br />

habe mir deshalb auch Sorgen um dich gemacht, doch ich wagte nicht, dich darauf anzusprechen.<br />

Was...was denkst du jetzt von mir? , flüsterte ich.<br />

Charis stand auf, lief zu mir und streichelte mir über die Wange. Erinnerst du dich daran, was ich dir einmal<br />

über die Liebe gesagt habe?<br />

Ja!<br />

Dann wirst du sicherlich auch wissen, dass ich dir in diesem Falle niemals böse sein könnte! Du liebst ihn,<br />

dass genügt mir! Zärtlich lächelte sie. Damals, bei Jaufré und mir, war unsere Liebe das Einzige was gezählt<br />

hatte!<br />

18. <strong>Kapitel</strong><br />

Damals, bei Jaufré und mir, war unsere Liebe das Einzige was gezählt hatte. Immer und immer wieder durchquerte<br />

dieser Satz meine Gedanken. Ich war mir sicher, Charis wollte mir mit diesem Satz etwas sagen, etwas,<br />

was mich weiterführen sollte. Etwas, dass mir zeigen sollte, meinen Gefühlen, meiner Liebe zu folgen. Aber wohin?<br />

Ja, wohin? Ich wusste nicht einmal, wo Colin war. Oder wo seine Burg war. Ja, ich wusste nicht einmal deren<br />

Namen.<br />

Ich hatte mich in ein warmes Schaffell gehüllt und saß nun zusammengekauert neben dem Kamin in meiner<br />

Kemenate, während ich einen Kelch mit warmem Gewürzwein in den Händen hielt. Der Duft war köstlich. Ge-<br />

radezu göttlich. Ich nippte genüsslich daran<br />

der warme Rauch kitzelte dabei meine Nase<br />

und spürte die<br />

Wärme, die sich in meinen kalten Gliedern ausbreitete.<br />

Geistesabwesend strich ich mir über meine narbenübersähten Hände, was mich dabei an Colins Abzug<br />

erinnerte. Ich schniefte und wischte mir eine Träne aus den Augen. Aber es kamen mehr, immer mehr. Ich wollte<br />

nicht weinen, nein ich wollte nicht, aber was konnte ich schon meinen Tränen verbieten?<br />

Als es mir zu bunt wurde, ließ ich sie laufen und umklammerte meinen Kelch. Mein Schniefen schlug zu lautem<br />

Schluchzen um, bis hin zum ohrenbetäubendem Heulen. Ich stellte meinen Kelch auf den Boden und vergrub<br />

meinen Kopf in meinen Händen.<br />

Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und ich sah auf. Vor mir stand D Vorgé.<br />

Danielle Demoiselle was ist mit Euch? Er kniete sich vor mich hin und sah mich besorgt an.<br />

Ich war nicht fähig, ihm irgendetwas von meinen Gefühlen zu erzählen. Außerdem war ich sprachlos über seine<br />

Kühnheit, einfach unerlaubt in mein Zimmer einzudringen. Schließlich war er nur ein Gast und ich kannte ihn<br />

noch nicht genug, als das ich ihm solch ein Verhalten erlauben konnte. Aber dennoch fühlte ich plötzlich einen<br />

seltsamen Zwang, mich an D Vorgés Brust zu lehnen und mich von ihm trösten zu lassen.<br />

Wie als hätte er meine Gedanken gelesen, strich er mit dem Handrücken sanft über meine Wange. Es war nur<br />

eine kurze Berührung, aber dennoch so mächtig, dass sie mich dazu verleitete, an ihn näher heran zurücken und


meinen Kopf an seine Schulter zu lehnen.<br />

Ich spürte D Vorgés kurze Zurückhaltung, doch dann fielen alle seine Bedenken ab und er schlang seinen Arm<br />

um meine Taille, während seine Hand meinen Rücken hinab strich. Lange verharrten wir so.<br />

Irgendwann legte er seinen Kopf auf den meinen und zog mich noch enger an sich. Was macht Euch nur so<br />

traurig, Demoiselle? Was betrübt Euer liebreizendes Herz?<br />

Statt ihm zu antworten schlang ich meine Arme um seinen Hals und presste mein Gesicht gegen seinen Hals,<br />

wobei ich das heftige Pulsieren seiner Halsschlagader deutlich spüren konnte. In diesem Moment versiegten meine<br />

Tränen, sodass ich nur noch wie ein kleines Kind an einem Menschen hing, der mir Schutz und Geborgenheit<br />

bot.<br />

Nur wage bekam ich D Vorgés liebevolle Geste mit, wie er meinen Scheitel küsste. Es war nur diese eine<br />

Geste, die dennoch mein Herz zu tiefst berührte. Ich verschwendete in diesem Moment keinen Gedanken an<br />

Colin, oder an sonst irgendwen. Jetzt zählte nur noch der Augenblick, der mir wie ein wundervoller Traum<br />

vorkam.<br />

Wie von Geisterhand presste ich meinen Mund an seinen Hals. Ich roch seinen männlichen Duft, spürte sein<br />

unverkennbares Wesen und fühlte unter seiner Haut seine wunderbare Stärke, die mir versprach, er könnte mich<br />

auf seine starken Arme tragen.<br />

D Vorgés Hand umfasste mein Kinn und er sah mich forschend an. Wie, als würde er den Grund suchen, warum<br />

ich mich nun von ihm betören ließ. Oh, Danielle! , stieß er hervor und fuhr mit seinen Lippen über meine<br />

Wange.<br />

Doch ich verspürte kein erregtes Erschauern, wie ich es bei Colin verspürt hatte, sondern ich spürte nur die<br />

Zartheit seiner Lippen. Ich seufzte und ließ meine Gefühle in das schwarze Loch tiefer gleiten.<br />

Auch, dass er meinen Hals umfasste und mein Gesicht zu seinem Mund näher zog, brachte mich nicht aus<br />

meiner geistesabwesenden Verfassung. Erst als ich D Vorgés harte und gleichzeitig zärtliche Lippen auf den<br />

meinen spürte, wusste ich, was ich tat. Ich wollte mich aus seinem Griff befreien, doch seine aufflammende<br />

Leidenschaft ließ mich nicht entkommen. Seine Zunge fuhr über meine Lippen und ohne dass ich es wirklich<br />

wollte, öffneten sich meine Lippen. Unweigerlich nahm er meinen Mund ganz in Besitz. Ich versuchte abermals<br />

mich zu befreien, stemmte meine Hände gegen seine harte Brust, doch er nahm meinen Widerspruch kaum noch<br />

zur Kenntnis.<br />

Erst, als sein Mund sich von dem meinen löste, konnte ich mich aus seinem Griff befreien. Unweigerlich hastete<br />

ich hoch und hielt mich am Kaminsims fest. Graf, was...was...! , stotterte ich keuchend.<br />

Ungläubig starrte er mich an, stand auf und breitete seine Hände aus. Demoiselle...Danielle, ich dachte<br />

Ihr...Ihr wärt ebenso von...Leidenschaft gepackt worden!<br />

Tief atmete ich ein und verdammte mich gleichzeitig. Wie hatte ich mich nur so gehen lassen! Was würde er<br />

jetzt von mir nur denken? Verzeiht, Graf, wenn...wenn ich...mich zu...zu vulgär benommen habe. Ich weiß<br />

nicht, was in mich gefahren ist. Ich lief zum Fenster und kehrte ihm den Rücken zu. Ich danke Euch, dass Ihr<br />

mir Trost gespendet habt , fuhr ich fort, dennoch möchte ich Euch bitten, dieser...diesem Ausbruch meinerseits<br />

nicht zu viel Bedeutung zuzumessen. Ich wandte mich um und sah langsam auf, während sich meine Hände in<br />

meinem Kleid verkrampften.<br />

Anstatt etwas zu entgegnen, lief D Vorgé mit raschen Schritten zu mir, löste meine Hände aus meinem Kleid<br />

und streichelte sie, während er mich nun liebevoll anblickte. Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich Euch sehr<br />

zugeneigt bin, Demoiselle. Ich kann Eure Verwirrtheit verstehen. Ich werde keines Falls etwas von Euch erhoffen,<br />

das Ihr nicht bereit seid zu geben. Dennoch wäre ich der glücklichste Mann, wenn Ihr meine Zuneigung<br />

erwidern würdet. Er bückte sich vor und küsste mich leicht auf die Wange. Dann, ohne ein weiteres Wort,<br />

macht er auf dem Absatz kehrt und verließ mein Gemach.<br />

Fassungslos starrte ich auf die Tür. Hatte ich richtig gehört? Er hatte mir wirklich seine Zuneigung gestanden<br />

ohne etwas von mir zu fordern. Und er hatte mir meine Impulsivität nicht übel genommen, wie es vielleicht ein<br />

anderer Mann getan hätte.<br />

Augenblicklich stieß ich die Luft aus, die ich vor Spannung angehalten hatte und lehnte mich an die Wand.<br />

Wie betäubt strichen meine Finger über meine Lippen. Sie kribbelten noch und ich konnte seine Lippen noch gut<br />

spüren. Es hatte sich nicht abstoßend angefühlt, als er mich geküsst hatte, sondern anders. Anders, als ich bisher<br />

geküsst worden war. Es war nicht aufregend gewesen, so wie bei Colin, sondern es erwärmte mein Herz und lies<br />

mich daran erfreuen. Mich hatte nicht die Leidenschaft gepackt, aber dennoch war es schön gewesen.<br />

Ich war verwirrt. Ich wusste nicht, was ich jetzt tun sollte. Ich hatte mich nun zwei Männern genähert; der eine<br />

war auf unerklärlicher Weise verschwunden während der andere sich meine Zuneigung erwünschte.<br />

Egal, was ich für Gründe Charis vorlegte, bestand sie darauf, dass ich zur Morgenmesse ging. Ihr war es unerklärlich,<br />

dass aus einer solch gläubigen Magd, eine solch ungläubige Edeldame geworden war. Und deshalb war<br />

sie der Meinung, ich müsste mich so schnell wie es nur ging um mein Seelenheil kümmern, denn sie war nicht<br />

gewillt, mich dem Fegefeuer zu überlassen.<br />

Also warf ich mir heute Morgen ein rot-braunes Wollkleid über, das an den Ärmeln mit Pelz gefüttert war.<br />

Diese lagen eng an meinen Armen, sodass ich nicht fror. Mein Untergewand war aus dicker feiner Wolle, das<br />

sich an meine Haut unbeschreiblich weich anschmiegte. Die einzige Zierde waren bernsteinfarbene Steine, die


sich um meinen V-förmigen Ausschnitt tummelten und ein Gürtel mit den gleichen Steinen, der unter dem Ansatz<br />

meiner Brüste lag und so das Kleid geschlossen hielt. Meine Haare trug ich unter einem goldfarbenen hüftlangen<br />

Schleier, der von einem einfachen Stirnreif gehalten wurde. Da es so kalt geworden war, warf ich mir<br />

meinen Umhang über.<br />

Als ich die die Treppe hinunter lief, sah ich bereits meine Familie am Tor der Halle warten. Ungeduldig wippte<br />

Jannik hin- und her. Der Rest von ihnen sah mir nur lächelnd entgegen. D Vorgé entdeckte ich neben Jaufré,<br />

was mich unwillkürlich erschauern ließ. Seid unserem stürmischen Zusammentreffen war ich ihm nicht mehr begegnet<br />

und nun spürte ich seine Blicke auf mir, die nach meiner Antwort, nach meiner Zuneigung zu ihm,<br />

forschten.<br />

Zusammen liefen wir über den Burghof. An der Kapelle angekommen, ließen wir Jaufré und Charis den gebührlichen<br />

Vortritt. In der Kapelle setzte ich mich in die letzt befüllte Bank, da ich keines Falls den Wunsch verspürte,<br />

mich weiter nach vorne zu setzten und so dem Blick des Kaplans ausgeliefert zu sein.<br />

Zu meiner großen Überraschung ließ sich D Vorgé neben mir nieder. Ohne mir einen Blick zu schenken, faltete<br />

er die Hände und starrte gerade aus.<br />

Ich schluckte und sah auf meine ebenfalls gefalteten Hände. Ich konnte seine Wärme, seine Spannung, deutlich<br />

spüren. Und auch wenn ich nicht gewillt war, es zu erkennen, bemerkte ich, wie all seine Sinne auf mich<br />

gerichtet waren.<br />

Der Messe hörte ich kaum zu. Hier und da schnappte ich Wörter wie Fegefeuer, Sünder, Seele, Ablassbriefe,<br />

Ketzer, Buße oder ganze Wortfetzen wie - die Sünder sind unter uns -, - reine Seelen sollen sich vor dem Teufel<br />

in Acht nehmen -, die Teufelszange pickt nach jeder Seele, die gewillt ist, gefangen genommen zu werden.<br />

Ich selber maß diesen Bemerkungen schon lange keine Beachtung mehr zu. Es war meiner Ansicht nach leeres<br />

Geschwätz, von wegen Ablassbriefe kaufen, um das Seelenheil zu retten. Was brachte mir das? Warum sollten<br />

schon ohnehin arme Menschen ihr schwer verdientes Geld der Kirche geben, die so oder so ihre Gelder aus den<br />

Menschen heraussog, wenn die Kirche Fronarbeiter besaß und von denen schwere Frondienste abverlangte?<br />

Immer wieder fragte ich mich, ob dies wirklich die heilige Kirche war, die Kirche Gottes. Natürlich durfte ich<br />

solche Gedanken nicht aussprechen. Nicht einmal Charis hätte für solche ketzerischen Gedanken Verständnis.<br />

Aber dennoch waren sie da.<br />

Verstohlen spähte ich zu D Vorgé. Seine Hände hatten sich verkrampft und die Ader am Hals pochte wild gegen<br />

seine Haut. Es war mir unmöglich meinen Blick von ihm zu wenden. Er gaukelte mir etwas Vertrautes vor,<br />

das mich einlullte und meinen Schmerz vergessen ließ. Ja, letzte Nacht hatte ich mich sogar gefragt, ob es nicht<br />

doch ein Fehler gewesen war, sich Colin hinzugeben und ob ich umsonst mein Herz verschenkt hatte.<br />

In diesem Moment wurde mir klar, dass es vielleicht so sein musste. Das Alison Recht gehabt hatte. Ich konnte<br />

mir keines Falls sicher sein, dass Colin mich liebte. Ja, vielleicht war ich nur ein x-beliebiger Weiberrock gewesen<br />

und während ich um ihn weinte, suchte er schon längst nach dem nächsten Rock, nach der nächsten<br />

Gelegenheit, sich zu amüsieren. Es war wirklich mein Glück gewesen, von ihm nicht schwanger geworden zu<br />

sein.<br />

Und nun saß ein Mann mit deutlicher Reife neben mir und erhoffte sich meine Zuneigung. Ich hatte seine Liebe<br />

schon gespürt, die weich und zärtlich war. Vielleicht war es an der Zeit, von naiven Mädchenträumen Abschied<br />

zu nehmen und endlich die Frau zu sein, die ich durch Colin schon längst geworden war.<br />

Wenn ich nicht unter so vielen Menschen gewesen wäre, hätte ich bitter aufgelacht. Niemals hätte ich mir<br />

träumen lassen, meine Tat, meine Vereinigung mit Colin, zu bereuen. Aber jetzt, jetzt tat ich es und ich wäre bereit,<br />

Bedingungen anzunehmen, nur um meine Tat ungeschehen zu machen.<br />

Wie von Geisterhand lösten sich meine Finger voneinander und ich ließ eine Hand zu D Vorgé verkrampften<br />

gefalteten Händen gleiten. Sanft legte ich sie auf sie. Alsbald begegneten sich unsere Blicke. Pure Zuneigung lag<br />

in seinen braunen Augen, die mein Herz erwärmen ließen. Ich liebte diesen Mann nicht, aber ich wusste, ich<br />

würde diesem Menschen große Zuneigung entgegen bringen können.<br />

Seine Hände lösten sich und legten sich um meine Hand. Wärme berührte meine Haut, obwohl mir nun eiskalt<br />

zu mute war. So überzeugt ich doch von diesem Manne war, wusste ich doch, dass ich mein Herz bereits verloren<br />

hatte, an den Mann, den ich niemals den meinen werde nennen können.<br />

Ich schaute auf und sah geradewegs auf die Jesusstatue, die an einem Holzkreuz über dem Altar hing. Sanft<br />

blickten mich seine Augen an, während sein nach links geneigter Kopf mir zunickte. Ja, auch er, Gottes Sohn,<br />

war mit meinen Überlegungen zu frieden. Und wenn ich es nicht anders wüsste, würde ich annehmen, er hätte<br />

mir Michel D Vorgé geschickt, damit ich endlich den Frieden fand, nach dem ich mich so sehr sehnte.<br />

Nachdem die Messe zu Ende war leerten sich die Bänke. Gemächlich schritt ich auf dem Steinboden zur<br />

eisenbeschlagenen Tür, die weit aufgerissen worden war, sodass für einen Oktober eine unsagbar helle Sonne die<br />

Kapelle in ihr Licht tauchte.<br />

Als ich die Treppen hinunter lief, mich umdrehte und nach dem Mann Ausschau hielt, der meinen Kummer<br />

hatte vergessen lassen, war ich mit solch einer großen Zufriedenheit erfüllt, dass ich am liebsten durch den ganzen<br />

Burghof getanzt wäre. Was war schon Liebe, die einen nicht ruhig schlafen ließ, die einen zur Verzweiflung<br />

brachte, ja vielleicht sogar zum Freitod drängte, im Gegensatz zur gegenseitigen Achtung, Ehrung und Zuneigung?<br />

Konnte man denn mehr vom Leben verlangen? Mir wurde das durch D Vorgé geschenkt und ich war mir<br />

auch sicher, er würde mich nicht verstoßen, nur, weil ich bereits neben einem Mann gelegen war.


Als er die Treppen hinunterlief und vor mir stehen blieb, hefteten sich meine Augen auf seine. Braune Steine<br />

mit goldenen Sprenkeln darin blickten mir entgegen und bauten in mir eine Spannung auf, die ich kaum mehr<br />

aushalten konnte.<br />

Ich wich vor ihm nicht zurück, als er vor aller Augen meine Hand erfasste und sie an seine Lippen presste.<br />

Danach hielt er sie still an seinem Herzen und ich konnte das unbändige Pochen unter seiner muskulösen Brust<br />

spüren. Tock, tock, tock.<br />

Mir war nur zu bewusst, dass meine Familie uns interessiert beobachtete. In diesem Moment wurde mir bewusst,<br />

dass ein Teil meiner Familie es auf diese Einigung zwischen D Vorgé und mir angelegt hatten. Und auch<br />

wenn ich ihnen es verübeln sollte, tat ich es nicht. Er war über zwanzig Jahre älter als ich, aber wenn ich in seine<br />

Augen sah, konnte ich nur pure Zuneigung und Güte lesen. Vielleicht war er kein so hervorragender Krieger<br />

wie Colin, ebenso wie Dieb von jungfräulichen Herzen, aber dennoch konnte er mir etwas bieten, was Colin mir<br />

hatte nicht bieten können: Sicherheit, Frieden und andauernde Zuneigung.<br />

19. <strong>Kapitel</strong><br />

Die nächsten Tage wurden die schönsten meines bisherigen Lebens. Nie hätte ich es mir erträumen lassen,<br />

dass es solch schöne Tage geben würde. D Vorgé und ich hatten ein zartes Band tiefer Zuneigung geknüpft. Uns<br />

war klar, dass wir zueinander gefunden hatten, obwohl wir unsere Gefühlte vor den anderen noch versteckten.<br />

Doch jedes Mal, wenn wir alleine waren, hielten wir uns an den Händen, sahen uns liebevoll an oder küssten uns<br />

sogar schon leicht auf den Mund. Zu mehr war ich momentan noch nicht bereit.<br />

Bei Colin war ich mir nun sicher, dass er für mich nicht der richtige Mann gewesen war und wäre. Denn jedes<br />

Mal wenn ich mit Michel zusammen war, verglich ich ihn mit Colin. Und jedes Mal schnitt Michel besser ab als<br />

Colin. Auf Michel konnte ich mich verlassen und brauchte keine Angst haben, dass er mich in der nächsten Stunde<br />

verlassen würde. Michel zeigte mir immer und immer wieder wie sehr er mich liebte, stattdessen hatte Colin<br />

keine Gelegenheit ausgelassen mir wehzutun. Sie waren so verschieden, dass ich mich immer wieder fragte, ob<br />

ich damals bei Colin blind gewesen war, ob ich unter einem Zauber des Teufels gestanden hatte, als ich glaubte<br />

ihn zu lieben.<br />

Versonnen strich ich über Fleurs Mähne und lächelte leicht. Ja, ich war glücklich. Ich weinte nicht mehr, wenn<br />

ich an Colin dachte, sondern empfand meiner Dummheit wegen nur Wut und Zorn. Und wenn ich in D Vorgés<br />

Gegenwart war, erfüllte mich eine tiefe Freude. Nur, dass Alison sich plötzlich ganz zurück zog, gab meinem<br />

Glück einen Dämpfer. Aber ich war fest entschlossen ihr aus diesem schwarzen Loch zu helfen. Schließlich hatte<br />

ich es auch geschafft.<br />

Ich hörte ein Geräusch, was sich wie Lederstiefel auf Stroh anhörte, und wandte mich um. Vor mir stand ein<br />

völlig aufgelöster Simon und sein Anblick erschreckte mich. Aus seiner Unterlippe und seiner Nase blutete es;<br />

sein Kinn war geschwollen. Der Ärmel seines aufgerissenen braunen Hemdes hing in Fetzten nach unten; seine<br />

Hose war nur notdürftig geschlossen und seine Stiefel waren bedeckt von Schlamm.<br />

Bei Judas und dessen Buhle ; fluchte ich entsetzt, was ist mit dir passiert? Du siehst ja aus, als...als...!<br />

Als hätte mich jemand verprügelt! , stieß er den Satz beendent aus zusammengepressten Zähnen hervor.<br />

Ich lief auf ihn zu, ergriff vorsichtig sein Kinn und drehte sein Gesicht nach links und nach rechts, damit ich es<br />

mir genau ansehen konnte. Danach runzelte ich die Stirn. Wer hat das gemacht? Wer hat dich, Simon,<br />

verprügeln können, ohne selbst verprügelt zu werden?<br />

Kümmerlich blickte er mich an und erklärte heiser: Ich war heute wieder bei Mathilda. Wir dachten, ihr Vater<br />

wäre nicht da, doch dann hatte er uns nach unserer Vereinigung nackt im Bett erwischt. So schnell ich nicht<br />

reagieren konnte, hatte er einen Knüppel in den Händen gehalten und auf mich eingeschlagen. Erst durch<br />

Mathildas Hilfe, konnte ich Zeit gewinnen und mich so gut es ging anziehen. Danach hat er mich von seinem Hof<br />

gejagt und geschrieen ich solle mich hier nie wieder blicken lassen, Ritter hin oder her.<br />

Ich hörte und spürte Simons Beben und wäre er weniger Stolz, würden ihm Tränen über die Wangen laufen.<br />

Zärtlich strich ich ihm durch das Haar und lächelte ihn verständnisvoll an. Was willst du jetzt machen?<br />

Simon zuckte mit den Schultern und humpelte zu einer Holzbank auf der er sich nieder ließ. Ohne Worte folgte<br />

ich ihm und setzte mich neben ihn. Ich weiß es nicht. Im Grunde kann ich Messire de Lécon verstehen. Ich bin<br />

zwar Ritter, habe aber keinen Besitz oder sonst ein Vermögen. Ich kann Mathilda nichts bieten und von mir<br />

schwanger werden dürfte sie niemals<br />

das wäre eine Katastrophe<br />

aber dennoch lieben wir uns. Wir können<br />

nicht voneinander lassen und wenn ich irgendwie einen Besitz hätte, der akzeptabel wäre, würde ich sie sofort<br />

heiraten.<br />

Lange schwiegen wir, bis mir plötzlich etwas einfiel. Sag mal, könntest du meinen Bruder nicht um ein Land<br />

bitten, auf das du ein kleines Herrenhaus bauen kannst? Geld hast du doch...oder?<br />

Mmh. Fragen könnte ich ihn, aber ich glaube nicht, dass er begeistert sein wird. Ich bin schließlich bloß ein<br />

armer Ritter, mehr nicht! Und so viel Geld besitze ich auch nicht.<br />

Nachdenklich zupfte ich an seinem Hemd herum. Und wie wäre es, wenn du ihm von Mathilda und dir erzählen<br />

würdest? Simon starrte mich an, wie als hätte ich vorgeschlagen, er solle zu Mathildas Vater gehen und mit


ihm ein kühles Bier trinken. Schnell sagte ich: Natürlich musst du ihm nicht alles erzählen. Nur den groben Rahmen.<br />

Glaub mir, Jaufré wird dir zuhören, schließlich ging es ihm bei Charis auch nicht anders!<br />

Das ist ja alles schön und gut, Danielle, aber dennoch ist er mein Herr. Abschätzend musterte er mich. Du<br />

könntest doch mit ihm reden. Ja, auf dich hört er bestimmt. Schließlich bist du seine Lieblings-schwester.<br />

Simon ich ich weiß<br />

nich...<br />

Simon küsste mich leicht auf die Wange und strahlte mich an. Ich danke dir. Du bist die Beste! Wenn ich dir<br />

auch mal wieder helfen kann, dann lass es mich wissen.<br />

Ohne, dass ich noch etwas erwidern konnte war er aufgestanden und davon gehumpelt. Tief atmete ich aus. Da<br />

hatte ich mir wieder etwas eingebrockt. Was sollte ich ihm sagen, wenn ich keinen Erfolg gehabt hatte? Wenn<br />

Jaufré nicht gewillt war, Simon zu helfen?<br />

Ich fluchte. Bei Gott, seit wann fluchte ich denn wieder? War das ein Zeichen für irgendetwas? Ich schnaufte<br />

und sah an die Holzdecke, die übersäht mit Spinnweben war.<br />

Zum ersten Mal seit fast sechs Wochen saß ich wieder unten in der Küche am riesigen Schragentisch. Um mich<br />

herum wuselten unsere Bediensteten, meine früheren Genossinnen, während ich ein Brot mit Käse aß und angestrengt<br />

über meine Aufgabe, Simons Liebe zu helfen, nachdachte.<br />

Ich pulte mit meinem Zeigefinger in dem weichen Brot herum und als die Krümel locker auf dem Tisch lagen,<br />

sammelte ich sie ein und stopfte sie in meinen Mund. Das machte ich schon als Kind besonders gern. Danach aß<br />

ich immer so die bloße Brotrinde. Ich grinste. Wenn mich jetzt Charis sehen würde, würde sie bestimmt toben.<br />

Und Alison...Schon komisch! Als ich aus dem Fenster gefallen war, war sie in Charis Rolle geschlüpft und jetzt<br />

war ihr wieder alles egal. Sie war sogar nicht ausgeflippt, als ich vorgestern, als ich mit Fleur gespielt hatte<br />

nachdem Simon gegangen war, mit hoch verschmiertem Kleid in die Halle gekommen war.<br />

Ich kaute auf meinem Käse und beobachtete Mariette, wie sie, ungeachtet meiner Gegenwart, einen Strauch<br />

von Kräutern aus unserem Arzneischrank stahl, der unter anderem gegen bestehende Schwangerschaften half. Ich<br />

sagte nichts. Ich war kein Mensch, der andere verriet. Aber dennoch begrüßte ich das nicht, besonders nicht,<br />

wenn es wie hier um Abtreibung ging.<br />

Bei Gott! Was wäre, wenn Mathilda von Simon schwanger wäre und sie wegen den misslichen Umständen das<br />

Kind abtreiben müsste? Der Käse blieb in meinem Hals stecken und ich hustete.<br />

Schnell holt Wasser! Demoiselle erstickt! , rief ein Mädchen.<br />

Kurz darauf wurde mir ein Kelch mit Wasser unter die Nase gehalten. Ich ergriff ihn und goss das Wasser in<br />

meinen Hals. Ich musste noch keuchen, doch ich bekam wieder Luft.<br />

Ihr solltet wohl besser au noch lernen, wie ma richtig isst, Demoiselle! , hörte ich Mariettes höhnische<br />

Stimme.<br />

Ich verengte die Augen und starrte sie bezwingend an. Du solltest lieber still sein Mariette, denn ich habe das<br />

gesehen, was deine Genossinnen nicht gesehen haben. Du kannst froh sein, dass ich keine Petze bin!<br />

Augenblicklich überzog eine tiefe Röte Mariettes Gesicht und sie senkte den Kopf. Verzeiht, Demoiselle.<br />

Aber ich tu des nur wegen meiner Not.<br />

Ich schnaubte missbilligend. Wir wissen doch beide, Mariette, das diese so genannte Not fast jeden Monat bei<br />

dir auftritt, nicht wahr?<br />

Mariette öffnete den Mund, doch ich winkte ab. Lange genug arbeitete ich als Magd neben dir. Du brauchst<br />

also erst gar nicht versuchen, es abzustreiten.<br />

Um ihr zu verstehen zu geben, dass ich mit ihr fertig war, sammelte ich die Brotkrümel ein und schüttete sie<br />

undamenhaft in meinen Mund. Danach aß ich meinen Käse hastig auf. Nur, um wieder aus der Küche zukommen.<br />

Zu deutlich wurde mir bewusst, wie wenig ich hier geschätzt wurde. Ich, der Bastard des ehemaligen Burgherren.<br />

Anerkannt hin oder her!<br />

Als ich das Portal der Küche überschritt, atmete ich tief ein. Der Raue Wind zerrte an meinen Kleidern, während<br />

die Blätter sich an ihn schmiegten und sich mit seiner Kraft bewegten. Ich hörte von der äußeren Vorburg<br />

Hufeisengeräusche und lief eilig los. D Vorgé war heute mit Jaufré ausgeritten und anscheinend waren sie gerade<br />

angekommen.<br />

Als ich vor dem Tor mit dem mächtigen Fallgatter stand, das die äußere und die innere Vorburg voneinander<br />

trennte, und hinab auf die äußere Vorburg blickte, wurde meine Vermutung bestätigt.<br />

Die beiden Männer saßen mit wehenden Umhängen auf ihren mächtigen Schlachtrössern und ritten auf mich<br />

zu. Ich hörte sie lachen und ich fragte mich unwillkürlich, was sie so belustigte. War ich es vielleicht?<br />

Ich blickte auf mich hinab. Nein, meiner selbst wegen lachten sie nicht. Ich hatte kein schmutziges Kleid an,<br />

sondern ein Edles aus dunkelgrünem Tuch, das mit roten und gelben Diamanten um meinen V-Ausschnitt geschmückt<br />

war. Mein mit ebenfalls Steinen bestickter Gürtel, der wieder unter dem Ansatz meiner Brüste lag,<br />

hielt mein Kleid. Schwer und doch angenehm hing meine Kette um meinen Hals und lag zwischen den Ansätzen<br />

meiner Brüste. Meine Ärmel waren mit Pelz gefüttert und lagen eng um meine Arme. Meine Haare wurden nur<br />

durch meinen Stirnreif mit dem grünen Saphir gebändigt.<br />

Beide Männer hoben grüßend ihre Hand und als sie bei mir angelangt waren, blieben sie stehen. Ohne, dass<br />

D Vorgé etwas andeutete, schlang sich einer seiner kräftigen Arme um meine Taille und setzte mich vor sich auf<br />

sein Pferd.


Zuerst wusste ich nicht, was ich sagen sollte, doch als ich in Michels Gesicht sah, blieben meine Vorwürfe in<br />

meinem Hals stecken. Ohne an Jaufrés Gesicht oder Bemerkungen zu denken, lehnte ich mich an Michels kräftige<br />

Brust und ließ zu, dass sich seine Arme um mich fester schlangen. Als einer seiner Arme meine Brust kurz berührte,<br />

zuckte ich zusammen. Nicht vor Angst, sondern vor den Gefühlen, die ich bei seiner Berührung gespürt<br />

hatte. Wie, als hätte er etwas Verbotenes an mir berührt, was eigentlich nur einem Manne vorbehalten war. Ach<br />

was, das war doch lächerlich! Ich war doch kurz davor, mich mit Michel zu verloben. Irgendwann würde er mich<br />

überall berühren und alles von mir sehen. Schließlich war das sein Recht, wenn er mein Ehemann werden würde.<br />

Viele von unseren Männern blickten auf und runzelten die Stirn als sie mich so ganz ungezwungen auf Michels<br />

Pferd sahen. Ebenso wie unsere Mägde. Aber mir machte es nichts aus. Stattdessen legte ich eine Hand auf seinen<br />

Arm, um zu zeigen, dass ich nun zu ihm gehörte. Das Jaufré diese Geste mit einer erhobenen Augenbraue zur<br />

Kenntnis nahm, entging mir nicht. Doch auf all ihre Fragen, die bestimmt kommen würden, wollte ich noch nicht<br />

antworten. Und ich hoffte, Michel würde das auch nicht tun. Denn für eine offizielle Verlobung war ich noch<br />

nicht bereit.<br />

Nach einem Aufenthalt im Frauenturm hielt ich eine neue selbstgestickte Borte in meinen Händen. Der Stoff war<br />

aus roter Wolle, angemessen für den kommenden Winter, auf dem gelbe Ornamente gestickt waren. Lange hatte<br />

ich dafür gebraucht, doch ich war stolz auf meine Arbeit. Charis hatte mich gelobt und war gleichzeitig von meinem<br />

Können hoch überrascht.<br />

Ich lächelte und lehnte mich an den kahlen Apfelbaum. Alles hatte sich verändert. Ich konnte plötzlich nähen<br />

und stricken, konnte meine jugendliche Impulsivität ein Stück besiegen, konnte als Frau handeln und sogar ohne<br />

Gewissensbisse an meinen Liebsten denken, ohne dass ich Angst haben musste meine Familie zu verraten.<br />

Ja, meine Familie hatte auf das letzte Ereignis wunderbar reagiert. Mein Bruder hatte die ganze Zeit über gelächelt,<br />

wie meine anderen Brüder, die mich freudig umarmt hatten und mit Michel kameradschaftlich Bier<br />

getrunken hatten. Nur Charis Meinung hatte ich noch nicht zu hören bekommen. Ihre einzige Reaktion auf<br />

Michels und meine Verbindung war zusammenkneifen ihrer Lippen und ein durchdringender Blick. Auch Alison<br />

hatte mir noch ihre Meinung vorenthalten, obwohl ich genau wusste, ich würde sie nicht bekommen.<br />

Freilich, ich konnte sie verstehen. All die Wochen war ich wegen Colin verzweifelt gewesen und jetzt, jetzt<br />

hatte ich mich an den nächsten Mann gehängt. Ich empfand für ihn nicht das, was ich für Colin empfand. Doch<br />

ich liebte Michel nur eben auf andere Art.<br />

Versonnen strich ich über die Borte. Das Material fühlte sich weich an und ich legte sie an meine Wange.<br />

Plötzlich hörte ich Schritte und ich wandte mich um.<br />

Jeder beglückt wünscht uns, Danielle! Besonders Eure Familie! Liebevoll lächelte mich Michel an.<br />

Ja, das tun sie. Ich lief zu ihm und legte ihm meine in seine ausgestreckte Hand.<br />

Vielleicht sollten wir uns jetzt verloben, da eh schon die ganze Burg von unserer Beziehung zueinander Bescheid<br />

weiß! Was meint Ihr, Danielle? Ich muss schließlich wieder zu meinem Lehen!<br />

Ein Peitschenhieb hätte nicht überraschender sein können. Obwohl ich fest entschlossen war ihn zu heiraten,<br />

war ich doch unsicher, ob es schon jetzt sein sollte.<br />

Ich kehrte ihm den Rücken zu und strich mit meiner freien Hand über den Baumstamm. Ich...ich weiß nicht,<br />

ob es..es jetzt schon Zeit ist, Seigneur.<br />

Aber wann ist es dann Zeit? Wann ist der rechte Zeitpunkt für unsere Verlobung?<br />

Ich zuckte mit den Schultern. Umso mehr wir darüber sprachen, umso unsicherer wurde ich. Ich weiß es<br />

nicht.<br />

D Vorgé seufzte und lief zu mir. Tief sah er in meine Augen. Wenn Ihr mich nun doch nicht heiraten wollt,<br />

Demoiselle, dann sagt es mir, bitte. Ich will eine Ehefrau, die mit Freuden die meine wird und nicht, weil sie mir<br />

einmal ein Versprechen gegeben hat.<br />

In seinen Augen sah ich pure Zuneigung und gleichzeitig Melancholie. Lächelnd strich ihm mit meiner Hand<br />

über seine Wange. Michel hatte Recht. Das ich ihn heiraten würde, war ich mir sicher. Was spielte dann noch der<br />

Zeitpunkt für eine Rolle? Es war doch normal, dass man vor der Hochzeit Angst hatte. Dass man unsicher war<br />

und dass man hin und wieder an einen anderen Mann dachte, dem man viel lieber die Hand gereicht hätte.<br />

Ich schüttelte den Kopf. Was redete ich denn da für dummes Zeug? Ich wollte Michel heiraten. Niemand<br />

zwang mich. Colin war für mich nur noch eine traurige Erinnerung, meine erste große Liebe. Mehr nicht. Liebe<br />

eignete sich fürs Heiraten nicht. Dass hatte ich jetzt herausgefunden.<br />

Ich will Euch heiraten, Michel D Vorgé!<br />

Ruckartig warf Michel den Kopf in den Nacken und schrie laut auf, dann schlang er seine Arme um mich,<br />

presste sich gegen mich und küsste mich stürmisch.<br />

Erst als er um zu atmen sich von meinem Mund löste, konnte ich meine Hände gegen seine Brust stemmen<br />

und ihn vorwurfsvoll ansehen.<br />

Schelmisch grinsend legte er seine Stirn an die meine und strich mit seinem Finger die Konturen meiner Lippen<br />

nach. Ich bin so glücklich! , flüsterte er.<br />

Ich lächelte und strich mit meinen Händen durch sein dichtes Haar. Ich auch! , flüsterte ich ebenfalls und<br />

mein Innerstes wusste gleichzeitig, dass es nur die halbe Wahrheit war, gegen das ich mich aber heftig wehrte.<br />

Ich war glücklich und zwar ganz!


Wenn...wenn du mit mir auf mein Lehen, nach Vorgé gehst, werde ich dir alles höchstpersönlich zeigen. Ich<br />

werde dich meinen Männern vorstellen, werde dir alle meine Ländereien zu Pferd zeigen. Ich werde dir mit allem<br />

helfen...oh, Danielle, ich werde dich jeden Tag noch tiefer und inniger lieben...oh Danielle! , murmelte er.<br />

Zärtlich bedeckte er mein Gesicht mit Küssen.<br />

Lächelnd schmiegte ich mich an ihn, während er über meine Brust seine Arme schlang und mich fest drückte.<br />

Ja, all das wird geschehen, wenn wir heiraten. Wir werden zusammen Söhne und Töchter haben und alle werden<br />

von unserer gegenseitigen Zuneigung lernen.<br />

So wie ich von ihr gelernt habe, fügte ich im Stillen hinzu.<br />

Du wirst es nicht bereuen, Liebes, dafür werde ich sorgen!<br />

Ich beugte mein Gesicht zu ihm und bot ihm meine Lippen an. Ich war gerührt von ihm und wollte ihm für<br />

seine schönen Worte danken. Es waren solche, die ich von Colin hatte hören wollen, die ich aber nie aus seinem<br />

Munde kommen sehen sah.<br />

Ohne Worte umfasste er mit seiner Hand mein Kinn, hob es weiter an und presste seine heißen Lippen auf die<br />

meinen. Mir war mehr als bewusst, dass viele uns zusahen, doch es war mir recht. Denn dies gab mir eine Einschränkung,<br />

dass ich, sollte ich einmal wanken, meinen Entschluss nicht mehr rückgängig machen konnte wie<br />

ich es gerne hätte. Denn ich wusste, wie sehr dieses gewisse Wanken meinen Entschluss zu Fall bringen konnte<br />

und dafür gab es nur einen Namen: Colin.<br />

20. <strong>Kapitel</strong><br />

Wenn man versuchte, eine Nuss zu knacken, kostete es manch einen große Mühe. Man plagte sich, diese harte<br />

Schalle zu öffnen um die köstliche Fülle zu kosten, und wenn man gerade am verzweifeln war, schenkte diese<br />

Nuss einem Erlösung. Dies traf auch auf Jaufré und unsere so genannten Unterredung zu.<br />

Nach ganzen drei Tagen hatte ich mich dazu durchgerungen, endlich Jaufré um eine Unterredung zu bitten. Er<br />

hatte etwas verdutzt reagiert, doch dann hatte er mich in sein Arbeitskabinett geführt, sich hinter seinem Schreibtisch<br />

niedergelassen und mich interessiert gemustert, während ich mich auf den Fellen vor dem Kamin nieder<br />

ließ.<br />

Ich wusste zuerst nicht, wie ich anfangen sollte<br />

schließlich sollte ich an Jaufrés Gefühlen appalieren! Aber<br />

ich sagte mir, Danielle, Simon ist dein bester Freund, er hat dir auch schon oft geholfen jetzt wirst du es auch<br />

schaffen ihm zu helfen. Außerdem hast du es leichter schließlich ist Jaufré dein engst gestellter Bruder!<br />

Nun saß ich also hier und wusste nicht, wie ich anfangen sollte. Ich hatte mich seelisch aufgebaut, aber das<br />

reichte noch lange nicht zu ganzen Wörtern, ja Sätzen. Abschätzend blickte ich ihn an. Sein Interesse konnte<br />

man nicht übersehen aber gleichzeitig konnte ich seine Liebe zu mir in seinen Augen sehen. Außerdem hatte er<br />

ein leichtes, ja geradezu spöttisches Lächeln, aufgesetzt. Doch etwa nicht meinetwegen! Schließlich war dies<br />

nicht einfach. Denn welche jüngste Tochter fragte ihren ältesten Bruder schon, ob er Geld und Land deren bestem<br />

Freund übergeben könnte?<br />

Nun Danielle, was wolltest du mit mir bereden?<br />

Ich seufzte. Sich vor meiner Aufgabe drücken konnte ich mich wohl nicht mehr. Nun, also...es...es ist nicht<br />

so...so einfach, verstehst du? , sagte ich unsicher. Nun, das war doch mal ein Anfang. Elf Wörter, wirklich! Ich<br />

hatte es mir schwerer vorgestellt!<br />

Ich schnaubte.<br />

Jaufré grinste. Nun, du musst es mir schon erklären, wenn ich es verstehen soll!<br />

Ja, sicher. Also...al...so das ist so: Simon liebt Mathilda de Lécon, die Tochter des Kaufmanns in Agon. Aber<br />

ihr Vater billigt diese Verbindung nicht, weil...wei..lll Simon mittellos ist. Er hat kein Land und nicht genügend<br />

Geld. Abschätzend sah ich auf Jaufré. Wusste er schon, auf was ich hinaus wollte?<br />

Aber er ist ein von mir hoch angesehener Ritter! , murmelte er.<br />

Gut! Er hatte verstanden. Das reicht aber nicht<br />

also für Mathildas Vater. Ja, aber...aber Simon liebt<br />

Mathilda unsterblich und sie...sie können nicht von..von - . Gott durfte ich denn sagen, dass sie schon mehrmals<br />

miteinander geschlafen hatten? - von einan-d...d...der lassen. Du, em, du verstehst? Meine Augen blickten zu<br />

ihm auf. Seine Züge waren unverändert, doch seine Augen hatten einen träumerischen Ausdruck angenommen.<br />

Nun, da ich auch einmal in solch einer Situation war, wie du weißt, kann ich seine Not gut verstehen. Nur,<br />

wie will er jetzt diese Situation lösen und vor allem: was habe ich mit dieser Geschichte zu tun?<br />

Also da...da wirst du gebraucht. Ich...ich weiß, du entscheidest alles, aber ich, dass heißt wir, brauchen deine<br />

Hilfe. Simon braucht dringend ein Land, auf dem er ein Herrenhaus bauen kann. Oder du ihn als deinen<br />

Gutsverwalter einsetzt. Irgendetwas, dass den beiden Sicherheit bietet. Denn so...so gibt es für sie beide keine<br />

Chance!<br />

Jaufré fixierte mich, während er seine Fingerspitzen aneinander legte. Ich verstehe, worauf du hinaus willst.<br />

Und ich kann seine Not verstehen. Ich könnte ihm Geld leihen, aber wie es mit Land oder einem Gut aussieht...<br />

ich würde einen fabelhaften Mann verlieren! Du weißt das! Fast niemand von meinen Männern ist so gut, wie er.<br />

Obwohl... , er zuckte mit den Schultern, wenn er Einige Bedingungen erfüllt, könnte ich ihn auf Selageramondé<br />

schicken als Burgvogt. Dadurch würde ich ihn auch nicht verlieren!


Angesichts dieses Erfolges konnte ich mir ein Lächeln nicht verkneifen. Ich hatte mir das nicht so leicht vorgestellt.<br />

Ich stand auf und lief vor den Schreibtisch. Wenn Simon deine Antwort erfährt, wird er bestimmt vor<br />

Glück platzen! Wirklich, er wird es dir niemals vergessen.<br />

Das will ich auch hoffen , Jaufré gluckste. Aber, warum ist er nicht selbst gekommen?<br />

Ich spürte, wie ich rot anlief. Nun, er...er dachte, ich würde besser wissen, wie ich...<br />

Wie du mich rumkriegen kannst? , vollendete er meinen Satz vollständig und lachte laut auf. In seinen Augen<br />

spiegelte der pure Schalk.<br />

Nein... er hat nur gemeint, ich würde sein Anliegen besser vorbringen können, weil ich doch deine Schwester<br />

bin und dich besser kenne.<br />

Jaufré grinste. Nach kurzem Schweigen fragte er: Bist du dir mit D Vorgé sicher? Willst du ihn wirklich heiraten?<br />

Ja, ich bin mir sicher. Er ist zwar viel älter als ich, aber dennoch fühle ich sein weiches Herz. Was kann ich da<br />

mehr erwarten?<br />

Vielleicht Liebe? Ewige Liebe. So wie bei Charis und mir. Hast du daran noch nicht gedacht. Du bist noch<br />

sehr jung. Du hast höchstens noch ein Jahr um dich zu entscheiden. Es muss nicht D Vorgé sein. Nur weil er<br />

mein Freund ist, musst du ihn nicht heiraten.<br />

Doch, ich will ihn heiraten. Ich hege Zuneigung für ihn und fühle mich bei ihm geborgen. Ich habe das Gefühl,<br />

dass ich nur bei ihm glücklich werden kann und bei keinem anderen. Warum sollte ich ihn dann nicht heiraten?<br />

Und mit der Liebe: Wie sagt man, die Liebe kommt in der Ehe.<br />

Jaufré stand auf. Mit langsamen Schritten lief er zu mir. Zärtlich strich er mit seiner Hand über mein Haar.<br />

Was ist nur mit meiner Danielle passiert? Was hast du nur unter Bloesés Hand erleiden müssen, dass du jetzt so<br />

denkst? , murmelte er.<br />

Ich wusste nicht was ich sagen sollte. Ich schluckte und sah zu Boden. Ich will D Vorgé heiraten, ich will<br />

D Vorgé heiraten, sagte ich mir immer wieder. Ich wollte es. Und Jaufré hatte Unrecht! Doch mein Innerstes<br />

schrie auf, was ich aber entschieden überhörte. Ich werde Michel heiraten, Jaufré. Es ist mein Wille und<br />

niemand hat mich dazu gezwungen. Und ich wäre glücklich, wenn du unserer Hochzeit zustimmen würdest.<br />

Jaufré hatte wieder sein spitzbübisches Lächeln gefunden. Du hältst praktisch bei mir um deine eigene Hand<br />

an? Ist das eine neue Mode?<br />

` Nein. Michel wird bestimmt noch zu dir kommen. Brauchst du mich noch?<br />

Jaufré schüttelte den Kopf.<br />

Ich wandte mich um und lief zur Tür. Als ich gerade meine Hand auf den Türknauf legte, fragte er: Du bist<br />

dir also völlig sicher?<br />

Ich blickte über die Schulter. Völlig sicher! , erwiderte ich und verschwand.<br />

Das ist ja wunderbar! , rief Simon aus, warf seinen Leinenlappen in die Waschschüssel und umarmte mich.<br />

Ich lächelte und erwiderte seine Zärtlichkeit. Ich war gleich nach dem Gespräch mit Jaufré zu ihm gegangen<br />

um ihm von dem Erfolg zu erzählen. Jetzt war ich froh darüber, die Person gewesen zu sein, die Simon zu<br />

seinem Glück und Liebe verholfen hatte. Es erfüllte mich mit Stolz. Komischer Weise machte es mich jedoch<br />

gleichzeitig wehmütig. Vor meinem inneren Auge erschien Colins Bild. Stolz, gebieterisch; seine grünen Augen<br />

blitzten und seine schwarzen Haare wehten um sein Gesicht. Ich schüttelte den Kopf und verdrängte das Bild.<br />

Ich wollte ihn nicht sehen, wollte ihn nicht hören. Ich wollte ihn nicht!<br />

Danielle! Simons Stimme klang beunruhigt. Mit seinem Zeigefinger hob er mein Kinn an.<br />

Ich erwiderte seinen Blick, doch ich sagte nichts. Was sollte ich denn schon sagen?<br />

Immer und immer wieder frage ich mich, ob du das Richtige tust. Ich habe meine Liebe gefunden<br />

deiner Hilfe darf ich sie lieben. Aber du...du willst plötzlich...<br />

Plötzlich D Vorgé heiraten. Ja. Und zwar ohne Drängen meiner Familie. Jaufré hat mich vorhin auch schon<br />

gefragt, ob ich es wirklich will , sagte ich bestimmt. Ich bestreite nicht, dass ich in Colin verliebt bin und ihn<br />

sogar noch liebe, aber was bringt mir das? Was bringt es mir? Er hat mich im Stich gelassen, hat mir ins Gesicht<br />

geschrieen, er wolle mich nie wieder sehen. Was also soll ich mit dieser Liebe? Ich zupfte an meinem Kleid.<br />

D Vorgé ist der Richtige. Er gibt mir Kraft, Zuversicht und Geborgenheit. Wir schenken uns gegenseitig Respekt.<br />

Außerdem hegen wir große Zuneigung füreinander. Ich liebe ihn, nur auf andere Art. Auf sichere Art.<br />

Wenn ich in seine Augen blicke, weiß ich, wo mein Zuhause ist. Ich lehnte meinen Kopf an Simons Schulter.<br />

Plötzlich fühlte ich mich leer. Wie, als hätte mir jemand die Kraft aus meinem Leib gesogen.<br />

Vielleicht ist es dein Weg, der für dich vorbestimmt ist, aber dennoch habe ich um dich Angst, Danielle. Was<br />

ist, wenn der Teufel dir diese Gedanken in dein Gehirn wirbelt? Wenn du D Vorgé gar nicht heiraten willst? Ich<br />

habe ihn lange beobachtet. Er mag nett von außen sein, und bestimmt ist er es auch, aber ich glaube, er zeigt jetzt<br />

nur seine beste Seite, weil er um dich wirbt!<br />

Du siehst Gespenster! Wenn er so wäre, wie du sagst, wäre er nicht Jaufrés Freund.<br />

Vielleicht kennt auch dein Bruder ihn nicht richtig! , sinnierte er weiter.<br />

Ich spürte, wir mir der Zorn hochstieg. Warum wollte Simon mir D Vorgé schlecht machen? Er hatte doch<br />

jetzt alles, was er wollte. Er konnte mit Sicherheit Mathilda heiraten. Warum ließ er mich mit dieser vermaledeiten<br />

Liebe nicht in Ruhe?<br />

dank


Wie schon so oft, konnte Simon meine Gedanken lesen. Ich sage das nur Danielle, weil ich glaube, du verdrängst<br />

deine wahren Gefühle. Ich habe dich gesehen, wie du vor Verzweiflung beinahe gestorben wärst. Also<br />

sag mir nicht, dass die Liebe für dich keinen Wert hat. Weist du denn nicht mehr, wie du wie ein Häuflein Elend<br />

auf meinem Schoß gesessen bist und bitter geweint hast? Weist du es noch? Und jetzt, jetzt zählt das alles nicht<br />

mehr für dich? Wie kann das sein? Ist dein Herz so sehr zerrissen? Simon war immer lauter geworden.<br />

Seine Worte hatten ein Stück meiner großen Schutzmauer eingerissen. Tränen drohten über meine Wangen zu<br />

rollen, weil mein Innerstes wusste, dass er Recht hatte. Er hatte Recht. Und wäre ich nur Colins Liebe sicher,<br />

würde ich mich mit meinem ganzen Sein gegen diese Heirat wären. Doch wer war schon da, dem es eine Rolle<br />

spielte, wen ich heiratete?<br />

Einigen, ja, waren es wichtig, dass ich glücklich in diese Ehe ging, doch eigentlich war es ihnen Recht, dass<br />

ich ihn, Michel D Vorgé, heiratete. Bei Colin war ich mir sicher, dass meine Familie sich gegen diese Heirat, gegen<br />

meine Liebe, gewehrt hätte. Egal, ob ich mit dieser glücklich gewesen wäre.<br />

Simon seufzte und tätschelte meinen Kopf. Oh, ich glaube, ich kann dich nicht mehr bekehren. Als ich von<br />

eurem öffentlichen Kuss und das er dich vor sein Pferd gesetzt hat, gehört hatte, wusste ich insgeheim, dass du<br />

deine Meinung nicht ändern wirst. Dass du deine Liebe aufgegeben hast und dich in die Arme dieser Ehe<br />

flüchtest. Mit einem Mann, der nicht einmal mit seinem Zeh Colin gleicht! , sagte Simon verbittert und presste<br />

die Lippen aufeinan-der.<br />

Bitte Simon, hör auf. Es bringt zu nichts. Außerdem will ich mit dir über meine bevorstehende Ehe nicht<br />

streiten. , murmelte ich tonlos und sah auf.<br />

Simons Mundwinkel zuckten, doch er sagte nichts mehr. Stattdessen legte er seine Stirn an die meine und<br />

strich mit seiner Hand über meine Wange. Würde es nicht bekannt sein, dass wir schon von klein auf die besten<br />

Freunde waren, würde man glatt meinen, wir wären zwei Liebende. Kurz presste ich die Lippen aufeinander.<br />

Wenn D Vorgé uns jetzt sehen würde, würde er bestimmt eine Erklärung fordern.<br />

Ich hoffe so sehr, dass du das Richtige tust, Danielle. Das du nicht aus Verzweiflung in diese Ehe gehst ,<br />

flüsterte er. Seine Hand bebte.<br />

Meine Hände strichen über seine Narbe auf der Brust. Das tue ich nicht. Glaubst du, man könnte mich zu<br />

irgendetwas zwingen?<br />

Man nicht, aber deine Gefühle und du dich selbst!<br />

Entrüstet befreite ich mich aus seiner Umarmung. Wieso fängst du schon wieder damit an? Hör auf damit!<br />

Simon schnaufte. Ja, du hast Recht. Es tut mir Leid. Flüchtig lächelte er. Ach da wäre noch etwas..!<br />

Innerlich schnaufte ich. Was war denn noch?<br />

Mathilda und mich würde es sehr freuen, dass du, falls wir heiraten dürfen, Mathildas Brautjungfer wirst.<br />

Normalerweise würden es ihre Schwestern tun, aber sie hat keine mehr. Deshalb wäre es für sie eine Ehre, wenn<br />

du diesen Posten einnehmen würdest.<br />

Gerührt starrte ich ihn an. Tränen traten in meine Augen und ich nickte lächelnd. Auch für mich wäre es eine<br />

Ehre, die Brautjungfer deiner Braut zu sein!<br />

21. <strong>Kapitel</strong><br />

Zwei Tage nach meiner Unterredung mit Jaufré wurde über meine Verlobung mit Michel gesprochen. Die<br />

Männer unserer Familie saßen an unserem Tisch, zusammen mit Michel D Vorgé. Wir Frauen hatten in dieser<br />

Angelegenheit nichts zu sagen. Wir hatten Einfluss auf unsere Männer, ja, aber dennoch wünschte die adelige<br />

Etikette, die Schicklichkeit, dass wir Frauen von diesem Gespräch fern blieben.<br />

So saßen wir im Frauenturm und stickten. Ich hatte mir dieses Mal vorgenommen, ein weißes Taschentuch mit<br />

grünen Seidenfäden zu besticken. Ich hatte mir Ornamente unserer Vorfahren herausgesucht, die nicht leicht zu<br />

erstellen waren. Doch genau das brauchte ich jetzt. Ich wusste nicht was ich auf mich zukommen würde.<br />

Schließlich hatte ich mit Hochzeiten noch keine Erfahrung. Aber sicherlich würde alles Gut werden.<br />

Als ich abends zusammen mit Charis und Alison den Turm hinab stieg, war die Versammlung vorbei. Auf<br />

dem Tisch standen noch die Trinkkelche und die Karaffen, aus denen sie den Wein geschenkt hatten, doch sonst<br />

war hier niemand in der Halle, außer ein Teil des Gesindes.<br />

Ich glaube, wir können jetzt zu Jaufré gehen. Ganz sicher, werden wir ihn jetzt nicht stören! , meinte Charis<br />

und lief voran.<br />

Schweigend folgten wir ihr. Als wir vor der Tür des Arbeitskabinettes standen, klopfte mein Herz zum zerspringen.<br />

Was würde wohl feststehen? Wann würde die Hochzeit sein?<br />

Charis klopfte und als Jaufré uns herein gerufen hatte, betraten wir den Raum.<br />

Mir kam es so vor, als säße ich auf heißen Kohlen, als ich, umringt von Charis und Alison, vor Jaufré stand. Er<br />

stand bequem auf einem der Stühle vor dem Kamin. Seine Hände lagen auf den Armlehnen und sein Gesicht hatte<br />

einen entspannten Ausdruck angenommen.<br />

Mit einem Lächeln begrüßte er mich. Charis drückte aufmunternd meinen Arm. Dann schob sie mich auf den<br />

Stuhl gegenüber von Jaufré. Alison stellte sich hinter meinen Stuhl und umklammerte die Lehne.


Ganz deutlich konnte ich ihre Anspannung spüren.<br />

Wann ist die Verlobung? , platzte ich heraus.<br />

Jaufré grinste. Dann stand er auf, schenkte Gewürzwein in drei Kelche und reichte sie uns. Nachdem er wieder<br />

in seinen Stuhl gesunken war, nahm er einen kräftigen Schluck, während er mich interessiert musterte.<br />

Nervös drehte ich den Kelch in meinen Händen.<br />

Nun...D Vorgé und ich haben beschlossen, dass die Verlobung in zwei Wochen stattfindet. Die Festlichkeiten<br />

werden zwei Tage dauern. Jaufré hob die Hand, als ich zu einem Protest ansetzten wollte. Ich wollte<br />

doch eine kleine Verlobung. Ohne Trubel und all dem dummen Tam-Tam. Eine Jagd wird am ersten Tag statt-<br />

finden und am zweiten Tag<br />

der Verlobungstag<br />

werden wir bei einem großen Mahl unser erlegtes Wild ver-<br />

tilgen. Wir haben auch deine Interessen berücksichtigt: es werden nur die Wichtigsten eingeladen. Zu denen gehören<br />

unsere Nachbarn, unsere Gönner und die von D Vorgé. Er nippte an seinem Kelch. Und einen Monat<br />

später wird die Hochzeit stattfinden , er prostete mir zu, Du wirst eine ausreichende Mitgift bekommen, sowie<br />

dein Pferd und deine Kleider.<br />

Stille.<br />

Ich war sprachlos. Ich konnte nicht beschreiben, was ich fühlte; es war komisch.<br />

Wie du sicher verstehst, habe ich ihn von deinem Umgang mit Waffen in Kenntnis setzten müssen , er grinste,<br />

Er hat es lachend hingenommen und gemeint, solange du ihn und seine Männer nicht angreifst oder mit<br />

ihnen auf dem Kampfplatz nicht üben willst, kannst du deine Waffen ruhig mit in die Ehe nehmen und mit ihnen<br />

üben wann du willst!<br />

Also Jaufré, bitte. Wir waren uns doch einig, dass dies keine ehrbare Betätigung für eine Frau ist! , protestierte<br />

Charis und lief zu ihrem Mann.<br />

Abwehrend hob er die Hände. Tut mir leid, Liebes. Aber wenn Danielles zukünftiger Mann nichts dagegen<br />

hat, werden wir wohl es Danielle nicht verbieten können. Verschmitzt zwinkerte er mir zu.<br />

Ich nahm einen großen Schluck und sah danach auf den roten Inhalt meines Kelches.<br />

Du sagst ja gar nichts. Ist es dir nicht Recht? Jaufré suchte meinen Blick.<br />

Rasch sah ich hoch. Nei..nein. Es ist alles in Ordnung. Ich bin sehr zufrieden. Nur... , ich biss mir auf die<br />

Lippe.<br />

Charis tätschelte meine Wange. Ja, ich kann dich verstehen. Du wirst deine Familie verlassen und alleine zu<br />

Recht kommen müssen. Du musst einen großen Haushalt führen und bald wirst du auch noch Mutter sein. Aber<br />

Danielle, glaube mir, du brauchst keine Angst davor zu haben. Wenn du wirklich diese Ehe suchst, wirst du es<br />

als Freude betrachten, deinem Mann zu helfen und ihm Kinder zu schenken.<br />

Es war zwar nicht das, was ich sagen wollte, aber wenn ich überlegte, besorgte mich nun auch das. Darüber<br />

hatte ich noch nicht nachgedacht, doch jetzt überschlugen sich meine Gedanken. Ja, Charis hatte Recht. Ich<br />

musste, wenn ich den Namen D Vorgé trug, mich um den Haushalt einer großen Burg kümmern. Noch dazu<br />

würde ich bald Mutter werden und mich zusätzlich um mein Kind kümmern müssen. Ich hatte kaum Erfahrung<br />

mit diesen Aufgaben.<br />

Ich...ich brauche Hilfe! , murmelte ich und sah zu Charis. Bitte, kannst du mir zeigen, wie man einen Haushalt<br />

führt? Und... .<br />

Natürlich werde ich dir helfen! Und außerdem werden wir , sie wechselte kurz einen Blick mit Jaufré, deine<br />

Garderobe erweitern.<br />

Irritiert blickte ich beide an. Ich hatte doch schon so viele Kleider!<br />

Charis drückte meine Hand, nachdem sie sich auf Jaufrés Schoß bequem gemacht hatte. Wir werden noch ein<br />

paar Kleinigkeiten und eine vollkommene Babykollektion nähen. Na, was hältst du von meiner Idee?<br />

Ich stammelte etwas Unverständliches und sah Hilfe suchend zu Alison, die mit leerem Blick auf uns hinab<br />

sah.<br />

Ich denke, es ist schöner, wenn wir alle zusammen deine Babysachen nähen, außerdem braucht Agnes auch<br />

weitere Kleider<br />

sie hat noch erst wenige, und es geht schneller voran.<br />

Beklommen nickte ich. Antworten konnte ich nicht. Zu verwirrt war ich.<br />

Wird D Vorgé bis zur Verlobung hier auf Linceasé bleiben? Erst jetzt sprach Alison. Ihre Stimme klang rau<br />

und seltsam belegt.<br />

Nein. Er wird morgen abreisen Er muss noch Einiges erledigen. Außerdem will er seine Burg nicht allzu<br />

lange alleine lassen. Er hat es nicht gern, wenn er nicht weiß, was auf seiner Burg passiert.<br />

Ist...ist die Burg weit entfernt von Linceasé?<br />

Na ja, ein, zwei Tagesmärsche. Aber dennoch ist sie nicht zu weit entfernt, als dass wir dich oft besuchen<br />

kommen können.<br />

Ich nahm einen Schluck von meinem Gewürzwein. Dann fragte ich weiter: Und wann...wann werden Michel<br />

und ich nach der Hochzeit abreisen?<br />

Jaufré überlegte kurz. Ich denke er wird entweder am Tag darauf oder am zweiten Tag nach der Hochzeit abreisen.<br />

Aber ist das ein Problem für dich?<br />

Nein, nein, nein! , sagte ich rasch. Das ist schon in Ordnung!<br />

Nun, dann hoffen wir einmal, dass diese Ehe dein Glück ist! , meldete sich Alison zu Wort.<br />

Wir alle sahen zu ihr. Ihr Gesicht war von einer durchsichtigen Blässe überzogen und ihre Augen waren in


ihren Augenhöhlen zurückgesunken. Ihre Worte hatten Charis und Jaufré vielleicht verwirrt, doch ich wusste genau,<br />

auf was sie anspielte und ich wusste, dass ich mich endlich D Vorgé offenbaren musste.<br />

Diese Mission brachte mich noch am gleichen Abend zu D Vorgé, der auf der Steinbank in unserem Garten saß<br />

und gen Himmel blickte. Sein dunkelblondes Haar leuchtete im Mondschein und wieder einmal stellte ich fest,<br />

dass ich einen schönen Mann bekommen würde.<br />

Ich hatte gehofft, du würdest nach dem Gespräch zu mir kommen! , flüsterte er.<br />

Ich lief zu ihm und setzte mich neben ihn.<br />

Ruckartig wandte er sich zu mir und riss mich in seine Arme. Ich danke dem Allmächtigen, dass er mir eine<br />

solche Frau geschenkt hat! Ich liebe dich Danielle, oh, ich liebe dich.<br />

Ich schluckte, ich wusste nicht, was ich sagen sollte.<br />

Michel strich mit seinem Daumen über meine Lippen und küsste mich anschließend zart. Als sein Kuss leidenschaftlicher<br />

wurde, stemmte ich meine Hände gegen seine Brust und wandte meinen Kopf ab.<br />

Liebes was ist denn los?<br />

Jetzt war es Zeit. Ich...ich...ich .<br />

Erwartungsvoll blickte er mich an. Was ist denn los?<br />

Ich..ich muss...muss Euch etwas sagen! Nervös verkrampften sich meine Hände in meinem Kleid. Ich bin...<br />

bin... Ich schloss meine Augen. Wie wird er wohl reagieren?<br />

Es wird schon nicht so schlimm sein, mhm?<br />

Ich atmete tief durch. Ich werde Euch jetzt etwas beichten, was Euch wahrscheinlich nicht gefallen wird. Ich<br />

hoffe, dass es an unserer Verbindung nichts ändert, wobei ich Euch aber dennoch von Eurem Versprechen entbinde,<br />

wenn es für Euch nicht tragbar ist. Meine Worte sprudelten aus mir heraus, wie ein Wasserfall. Umso<br />

schneller ich es hinter mir hatte, umso besser.<br />

D Vorgé küsste mein Haar und streichelte meinen Arm. Ich kann mir nicht vorstellen, dass deine Beichte so<br />

schlimm ist!<br />

Ich...ich...ich bin...keine Jungfrau mehr! . Meine letzten Worte spuckte ich förmlich aus meinem Mund.<br />

Ich hörte, wie Michel die Luft anhielt und ich spürte, wie seine Hand sich in meinen Unterarm krallte. Ich<br />

schloss meine Augen und betete um Gottes Hilfe.<br />

Lange Zeit saßen wir einfach da und blickten gen Himmel oder geradeaus in den Garten. Ich wusste nicht, was<br />

ich sagen sollte. Durfte ich jetzt überhaupt etwas sagen? Hatte ich ein Recht dazu? Durfte ich an ihn das Wort<br />

jetzt richten? Ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass es Richtig gewesen war, ihm das zu beichten. Denn wenn<br />

er mich doch heiraten wollte, stand zwischen uns nichts, was einem Verrat gleich kam. Außerdem wüsste ich<br />

dann auch, dass er mich wirklich liebte.<br />

Habt Ihr ihn geliebt? Leise erklangen seine Worte im Nebel der Nacht.<br />

Geistesgegenwärtig antwortete ich: Ja, ich hatte ihn geliebt. Aber er hatte mich nicht gewollt und meine Liebe<br />

mit Füßen getreten!<br />

Überraschenderweise schlang er einen Arm um mich und drückte mich an seine Brust. Der Mann muss dir<br />

sicherlich sehr weh getan haben! , stellte er fest.<br />

Ja das hat er. Aber diesen Fehler tat ich nur einmal und kein zweites Mal , ich kuschelte mich an ihn. Ich<br />

hoffe Ihr könnt mir verzeihen, Seigneur, und...!<br />

Rasch legte er seinen Zeigefinger an meine Lippen um mich zu Schweigen zu bringen. Ich werde dich heiraten,<br />

Danielle. Ich liebe dich. Dass, mit diesem Mann, war vorher. Ich musste damit rechnen. Schließlich wur-<br />

dest du frei erzogen<br />

wie gemeine Menschen, die eigentlich keine gesellschaftlichen Verpflichtungen haben.<br />

Natürlich frage ich mich jetzt, ob du mich mit ihm vergleichen wirst, oder ob du ihn mehr geliebt hast, als du<br />

mich jetzt liebst. Oder ob er immer noch in deinen Gedanken herumspuckt. Aber dennoch werde ich dich zu<br />

meiner Frau machen.<br />

Ich danke Euch!<br />

Wieso dankst du mir?<br />

Weil Ihr mich noch lieben könnt! Tränen rannen über meine Wangen und ich klammerte mich an ihn. Es tat<br />

so gut, sich an seine Brust anzulehnen.<br />

Beruhigend strich er mir über den Rücken. Natürlich kann ich dich noch lieben. Du wirst meine Frau... , abrupt<br />

hob er mein Kinn hoch und sah mir bestimmt in die Augen. Aber das eins klar ist, Danielle, du wirst nur<br />

noch um einen Mann weinen und zwar um mich. Kein anderer Mann ist es wert, dass du dich so sehr hergibst.<br />

Versprich mir das! Bitte, versprich mir das!<br />

Ich verspreche es dir! , flüsterte ich.<br />

Ich hoffe, du wirst mich lieben lernen, Liebste! Sanft strich er über meine Wange.<br />

Aber ich liebe dich doch!<br />

Flüchtig lächelte er. Nein, dass tust du jetzt noch nicht, jedenfalls nicht auf diese Art, wie sich Mann und<br />

Frau lieben. Aber bald, bald Liebste, wirst du mich lieben! Erregt presste er seinen Mund auf den meinen und<br />

umklammerte mit seinen Händen mein Gesicht.<br />

Dieses Mal wehrte ich mich nicht. Es war alles gesagt worden und nun konnte ich mit reinem Gewissen in<br />

diese Ehe gehen. Ich schlang meine Arme um seinen Hals und presste mich noch enger an ihn. Ich wollte ihm


nah sein und zum ersten Mal spürte ich bei Michels Kuss ein warmes Gefühl in meinem Bauch. Nun wusste ich,<br />

es würde alles gut werden.<br />

In der Nacht konnte ich wohlig schlafen und als ich am Morgen aufwachte, erfüllte mich eine Frische, die mich<br />

selbst überraschte.<br />

Ich zog mich hastig an und lief zum Fenster. Nachdem ich eine Fensterseite geöffnet hatte, späte ich auf den<br />

Burghof. Michel war noch nicht zu sehen, ebenso entdeckte ich nur wenige Mägde. Anscheinend war ich ziemlich<br />

früh aufgewacht.<br />

Meine Augen streiften unsere Burg und blieben am Himmel hängen. Die Sonne riss gerade die dunkle Nebelwand<br />

auf und erhellte den Tag. Sie erhellte die morgendliche Luft im November, verscheuchte die Geister der<br />

vergangenen Nacht und beschwor die Lebensgeister, die von neuem zum Leben erachten. Wie gewöhnlich<br />

streifte ein kalter Wind mein Gesicht. Doch dieses Mal erschauerte ich und zog meinen Kopf wieder ein. Verwundert<br />

runzelte ich die Stirn. Seit wann mochte ich den kalten Wind nicht? Ich beschloss, das so schnell wie<br />

möglich zu ändern. Schließlich war der Wind, das Symbol der Freiheit, mein guter Freund.<br />

Ich zog mir meinen Umhang hastig über und rannte aus dem Zimmer ohne mein Fenster zu schließen. Als ich<br />

in der Halle angekommen war, bremste ich mich abrupt. Ich wollte nicht, dass Charis mich schimpfte, weil ich<br />

so schnell rannte.<br />

Meine Augen streiften die Halle und ich entdeckte meinen Bruder mit Michel am großen Tor. Sie standen<br />

dort, hielten beide einen Kelch in der Hand, aus dem es dampfte, und unterhielten sich. Michel war bereits in<br />

voller Rüstung gekleidet und er gab eine imposante Erscheinung ab. Stark und stolz.<br />

Als er mich erblickte, lächelte er mir zu und ein wolliges Gefühl breitete sich in mir aus. Rasch lief ich zu ihm<br />

und als ich neben ihm zum stehen kam, schlang er wie selbstverständlich einen Arm um meine Taille. Jaufré bedachte<br />

das mit einem sanften Lächeln, ließ sich jedoch nicht aus dem Konzept bringen.<br />

Wenn Ihr meine Hilfe braucht, mein Freund, dann last es mich wissen! , sagte er.<br />

Mit Freuden, Jaufré. Und bald seid Ihr noch dazu mein Schwager!<br />

In eineinhalb Monaten auf jeden Fall! Jaufré führte uns durch die Hauptburg und als wir in der inneren Vorburg<br />

angekommen waren, blieben wir vor den Stallungen stehen.<br />

Michel löste sich von mir und lief auf sein Schlachtross zu, das bereits für den Aufbruch gesattelt war. Nun<br />

kamen auch die anderen Männer von Michel mit ihren Pferden aus ihren Schlupfwinkeln hervor.<br />

Also, dann sehen wir uns in zwei Wochen, Jaufré! Michel lief zu mir und ohne jegliche Scham, drückte er<br />

mir einen besitzergreifenden, jedoch sanften Kuss auf die Lippen. Denk daran, du gehörst jetzt mir, Danielle<br />

und keinen anderen als mich sollst du beweinen! , raunte er an meinen Lippen.<br />

Ich sah zu ihm auf; in seine schönen braunen Augen. Dieses Mal fand ich nichts Zärtliches sondern bezwingendes<br />

in seinen Augen. Sanft strich seine Hand über meine Wange und für einen Moment vergaß ich, dass wir<br />

mitten im Vorhof standen.<br />

Doch dann löste er sich von mir, stieg auf sein Pferd und sah auf uns hinab. In zwei Wochen, werden wir uns<br />

wieder sehen, Danielle. Bis dahin gehabt Euch wohl! Er gab seinen Männern ein Zeichen und kurz darauf ritt er<br />

an der Spitze durch das Tor. Fort von Linceasé und fort von mir.<br />

22. <strong>Kapitel</strong><br />

In den nächsten Tagen gab ich mich einzig meiner Ausbildung zur perfekten Hausherrin hin. Charis unterwies<br />

mich hingebungsvoll in diese Aufgaben, die mir doch bis jetzt so lästig vorgekommen waren.<br />

Die Molkerei, Brauerei und die Küche hatte ich schon erkundet, nun musste ich noch die restlichen Gebäude<br />

studieren. Auch musste ich lernen, wie ich all diese Gebäude regierte, wie man die einzelnen Aufgaben meisterte<br />

und wie man die Bücher kontrolliert und auswertet.<br />

Charis betonte immer wieder, dass es wichtig war, zu wissen, woraus die einzelnen Bereiche bestanden und<br />

wie man diese Bereiche ernährte. Auch musste ich mich mit den einzelnen Herstellungen der Bereiche auseinandersetzten.<br />

Zum Beispiel musste ich die Rezepte unseres Bieres und der Molkerei auswendig lernen, ebenso<br />

des Brotes.<br />

Erst jetzt sah ich, was Charis an jedem Tag tat. Sie war es, die jeden Morgen frisches Brot auf den Tisch zauberte<br />

und sie war es, die die Tierschlachtungen ansetzte und organisierte. Auch war sie es, die veranlasst hatte,<br />

dass in der Wäscherei das Leinen mit Lavendel und anderen Kräutern parfümiert wurden.<br />

Erst jetzt wurde mir bewusst, wie groß Charis Macht in der Burg war. Sie als Burgherrin hatte fast alle Fäden<br />

in der Hand, sie konnte verändern, erneuern oder auch einfach etwas abschaffen. Wenn ich heiraten würde, würde<br />

auch ich Burgherrin werden. Ich würde Verantwortung übernehmen, würde endlich etwas Eigenes haben.<br />

Gerade waren Charis und ich auf dem Weg zu den Vorratskammern. Sie waren sehr wichtig, besonders in<br />

kargen Zeiten.<br />

Die Schlüssel der Vorratskammern darfst du nie von deinem Gürtel entfernen. Du musst sie immer bei dir<br />

haben. Egal, was ist. Die Vorratskammern sind Teile des Herzens einer Burg. Alle Bewohner hängen von ihnen<br />

ab! , erklärte sie mir.


Vor der eisenbeschlagenen Tür der ersten Vorratskammer blieben wir stehen. Charis holte ihren Schlüsselbund<br />

hervor und schloss die Tür auf. Mit einem Krachen flog sie auf und zum Vorschein kam ein mit Lebensmitteln<br />

vollgestopfter Raum. In den Regalen standen eingelegtes Obst, ebenso Gläser mit getrockneten Kräutern<br />

und Honig. Auch Eier standen auf den Regalen, ebenso wie eingemachte Beeren. Auf dem Boden standen Säcke.<br />

Gefüllt mit Äpfel, Birnen und Nüssen.<br />

Die nächsten Stunden verbrachten wir in den Vorratskammern. Ich erfuhr vieles, was ich noch nie gewusst<br />

hatte, was aber sehr wichtig und was unabdingbar war. Nie hatte ich mir all solch wichtige Dinge träumen lassen,<br />

noch, dass sie so viel Eifer und Genauigkeit abverlangten. Als die Dämmerung einbrach, beendete Charis<br />

unseren Lehrtag und zog sich in ihre Kemenate zurück um sich um Agnes kümmern zu können.<br />

Träge schlenderte ich in die Halle zurück. Als ich durch das Tor lief, wehte mir ein warmer Wind entgegen<br />

und ich spürte, wie sehr ich gefroren hatte. Nun, man merkte eben schon, dass es November geworden war. In<br />

meinem Körper rieselte es und ich rieb mir meine kalten Hände. Instinktiv lief ich in Richtung Kamin, wo ich<br />

meine beiden Brüder, Jaufré und Rogier entdeckte. Beide waren so in einem Gespräch vertieft, dass sie mich<br />

nicht bemerkten.<br />

.und wir müssen wirklich alle nach Paris mitkommen? , hörte ich Rogier verwundert fragen.<br />

Jaufré seufzte. Ja, dass müssen wir. Der König besteht darauf. Er will alle Beteiligten sprechen, sie anhören,<br />

was sie zu dieser Sache zusagen haben. Er zuckte mit den Achseln. Wie wir die Reise mit unseren Frauen be-<br />

werkstelligen sollen, ist mir ein Rätsel. Schließlich muss Agnes auch mit<br />

sie kann unmöglich so lange in der<br />

Burg ohne ihre Mutter bleiben. Aber was sollen wir machen? Der König besteht darauf!"<br />

René hat von einem Haus, nahe des Palastes, gesprochen. Er meinte, er würde es kaufen, damit wir eine ruhige<br />

und heimelige Unterkunft haben. Außerdem wollte er so oder so dieses Haus für sich kaufen. Wir wären<br />

dann praktisch seine Gäste. Also ich finde das eine wunderbare Idee.<br />

Ja, dass wäre sie in der Tat. Nun..., René muss vor uns in Paris sein<br />

wenn er das Haus bis wir ankommen<br />

für uns bereitstehen haben will. Dann bleiben nur wir fünf und meine Männer übrig, die unseren Reisezug<br />

beschützen. Ja ja, das könnte gehen , murmelte er.<br />

Ich lief näher und räusperte mich, damit sie mich endlich bemerkten, schließlich wollte ich auch ans Feuer.<br />

Oh, Danielle! Wir haben dich gar nicht gehört! Rogier wechselte mit Jaufré einen eiligen Blick.<br />

Anscheinend wollten sie unbedingt vermeiden, dass ich Worte ihres Gespräches mithöre.<br />

Wir fahren nach Paris? , fragte ich deshalb unschuldig.<br />

Wieder wechselten sie diesen so genannten - Hat sie oder hat sie nicht? - Blick.<br />

Em, ja! , antwortete Jaufré zögerlich und stemmte seine Hände am Kaminsims ab.<br />

Rogier lief zu einem Tisch, goss sich Wein in seinen Kelch und trank einen großen Schluck daraus. Dann hielt<br />

er seinen Kelch an seine Brust und starrte interessiert an die Decke, als müsste er jetzt unbedingt die weißgetünchte<br />

Decke mustern, und dabei nicht gestört werden wollte.<br />

Jaufré starrte unentwegt in die Flammen.<br />

Ich seufzte leise und lief zum Kamin und hielt dem Feuer meine Hände entgegen. Warum fahren wir nach<br />

Paris? , fragte ich interessiert.<br />

Ach du also em! , sagten sie gleichzeitig und fuhren aus ihren Positionen.<br />

Aha. Also deshalb. Sehr interessant.<br />

Jaufré schnaufte und lehnte sich mit verschränkten Armen vor der Brust an den Kamin. Der König möchte<br />

uns alle zu der bedauerlichen Sache mit Bloesé anhören!<br />

Und das schon in drei Wochen! , ergänzte Rogier.<br />

Und woher wisst ihr das?<br />

Du erinnerst dich doch noch sicherlich daran, dass vor wenigen Wochen ein Bote des Königs hier war?<br />

Ja.<br />

Der gab uns die, ja wie soll ich sagen<br />

Vorladung! , warf Rogier ein.<br />

Ja, genau.<br />

Ist diese Vorladung öffentlich?<br />

Gleichgültig zuckte Jaufré mit den Schultern. Wenn diese Sache dem König als wichtig erscheint, wird er sie<br />

wahrscheinlich ohne Publikum klären. Wenn sie von weniger Bedeutung oder auch als Unterhaltung der Höflinge<br />

betrachtet werden kann, wird sie öffentlich sein.<br />

Entgeistert starrte ich ihn an. Werde ich auch aussagen müssen?<br />

Mit größter Wahrscheinlichkeit, ja!<br />

Mir Schnürte es die Kehle durch. Würde ich auch das, was zwischen mir und Colin vorgefallen war, erzählen<br />

müssen?<br />

Natürlich wird er dich wahrscheinlich nur fragen, wie es dir während dieser Zeit ergangen ist. Ob Bloesé dich<br />

gut behandelt hat und so.<br />

Weist du schon, wie lange wir am Hof bleiben werden? , fragte Rogier und drank aus seinem Kelch.<br />

Nein. Es kann eine Woche, zwei Wochen oder nur ein paar Tage dauern. Es kommt ganz darauf an, wie der<br />

König diese Sache bearbeitet.<br />

Also heißt es, dass wir wahrscheinlich für längere Zeit in Paris festsitzen, während unser Lehen ohne Herr-


schaft ist!<br />

Du vergisst, Bruder, dass wir immer noch unseren Vogt und treue Männer haben. Ganz so schrecklich sieht<br />

die Sache auch wieder nicht aus. Zwar ziehe ich den Aufenthalt auf meiner Burg dem des Palastes vor, doch<br />

wenn es sein muss, dann muss es so sein!<br />

Am liebsten würde ich hier bleiben! , brummte Rogier.<br />

Das mein lieber Bruder würde ich lassen, wenn du von den Männern des Königs nicht persönlich abgeholt<br />

werden willst. Außerdem kannst du dich gleich in Paris über den Dienst des Königs informieren. Schließlich<br />

gehörst du ja auch dort hin, oder willst du jetzt doch zu unserem Herzog gehen?<br />

Rogier fletschte die Zähne und knallte seinen Kelch auf die Tischplatte. Das du immer davon anfangen<br />

musst, Bruder! Aber ja, ja, ich werde mich über den Dienst des Königs informieren und mich sodann einschreiben<br />

lassen.<br />

Jaufré lachte leise. Rogier, zu bist heute gereizt wie eine Kuh, die von Fliegen umkreist wird!<br />

Rogier verengte die Augen. Wenn ich diese Kuh sein soll, dann bist du der lästige Fliegenschwarm!<br />

Jaufré grinste, dann lief er auf Rogier zu und schlug ihm Mitten ins Gesicht. Dann fiel er in schallendes Gelächter<br />

aus.<br />

Ich runzelte die Stirn. So etwas hatte ich mit meinen Brüdern noch nie erlebt. Ich sah auf den bewusstlosen<br />

Rogier und fragte mich, was er wohl am nächsten Tag mit Jaufré machen würde.<br />

Diese Antwort bekam ich, sobald Rogier von seiner Morgentoilette zurückkam. Die darin bestand, seinen vom<br />

Alkohol geschwängerten Geist und seinen Kater zu vertreiben, indem er ganz einfach seinen Kopf ein paar Mal<br />

in unsere Regenwassertonne tauchte.<br />

Charis schimpfte ihn, während sie ihren Mann völlig ignorierte. Sie hasste es, wenn sich die Brüder schlugen,<br />

obwohl das bei ihm normal war. Und bei Jaufré wurde sie noch wütender, denn er war der Burgherr und Vater<br />

ihrer Tochter.<br />

Als Rogier wieder auftauchte, lief er ohne Zögern auf Jaufré zu, der in der Halle alleine mit Charis und mir<br />

stand. Ohne Vorwarnung holte Rogier aus und rächte sich an Jaufré. Der fiel, wie Rogier gestern, nicht bewusstlos<br />

zu Boden, sondern taumelte nur.<br />

Mein Bruder, deine Faust ist etwas locker. Du solltest eher mit deinen Handknochen zu schlagen<br />

das wirkt<br />

besser!<br />

Ja, und am besten probier ich` s gleich an dir aus! , zischte Rogier wütend.<br />

Aber da habe ich noch ein Wörtchen mitzureden, bevor zu meinen Mann schlägst. Schließlich ist dass meine<br />

Aufgabe! , rief Charis überzeugt und vor Zorn geröteten Wangen.<br />

Meine Brüder sahen sich kurz verdutzt an, dann lachten sie laut auf. Rogier presste seine Hand auf seine Brust<br />

und hielt sich mit der anderen am Tisch fest, während Jaufré sich an seinem Wein verschluckte und zu husten<br />

begann.<br />

Erbost blickte Charis auf die Männer. Wenn ihr aufhört zu lachen, würde ich mich freuen, wenn ihr mir sagt,<br />

worüber ihr euch so köstlich amüsiert!<br />

Ohne ihr zu antworten liefen die noch immer lachenden Männer aus der Halle.<br />

Umso älter die Männer werden, umso kindischer sind sie! , keifte Charis.<br />

Ich verkniff mir ein Lächeln und schmuste stattdessen mit Agnes, die ich auf dem Arm hielt.<br />

Als Charis das sah, lächelte sie milde. Du wirst bestimmt eine gute Mutter. Da bin ich mir sicher.<br />

Ich hoffe, ich werde eure Erwartungen erfüllen können! , murmelte ich, während ich Agnes Händchen hielt.<br />

Zweifelst du etwa an dir?<br />

Nun, zweifeln kann man das nicht nennen. Ich frage mich nur, wie ich all das bewerkstelligen soll. Ich habe<br />

in solchen Dingen keine Erfahrung und selbst D Vorgé kenne ich noch nicht genug, um sagen zu können, ich<br />

würde seine Erwartungen erfüllen.<br />

Das war bei mir nicht anders. Am Anfang, ja, da war es schwer. Ich musste mir erst den Respekt vom Gesindel<br />

erarbeiten. Das ist nicht so einfach. Sie werden mit dir alles Mögliche am Anfang machen. Sie werden alles<br />

austesten, weil sie wissen wollen, wie weit sie bei dir gehen können und ob du eine Autoritätsperson bist. Aber<br />

ich bin mir sicher, du wirst das wie jede andere schaffen.<br />

Und was ist, wenn ich keine gute Ehefrau für Michel bin?<br />

Ach, Danielle. Denk einfach nur daran, dass dich D Vorgé von ganzem Herzen liebt. Dann werden dir solche<br />

Gedanken erst gar nicht in den Sinn kommen. Der Teufel allein will dir solche Selbstzweifel einflüstern, nicht du<br />

selbst.<br />

Lange dachte ich darüber nach. Auch noch, als mir Charis schon lange das Kleine wieder abgenommen und es<br />

zu Bett gebracht hatte. Hatte sie mit ihren Worten Recht? Flüsterte mir nur der Teufel diese Gedanken ein? Oder<br />

zweifelte ich selbst an mir?<br />

An diesem Abend lief ich zu Fleur und versuchte aus ihrer Liebe Kraft zu schöpfen. Es war nicht leicht, sich<br />

plötzlich bedingungslos einem Manne zu geben, der über dich ein ganzes Leben lang verfügen konnte, wie es<br />

ihm beliebte. Es missfiel mir. Ich wollte meine Freiheit nicht verlieren, gleichzeitig wollte ich jedoch eine Bindung,<br />

eine Bindung die fest und andauernd war. Die nicht plötzlich gebrochen werden konnte, weil der andere<br />

keine Lust mehr hatte, wie es damals bei Colin und mir gewesen war. Und zum ersten Mal, zum ersten Mal,


fragte ich mich, ob es richtig war, sich nur deshalb an einen Mann zu binden, den man doch nicht liebte. Aber<br />

hatte ich die Wahl? Nein, die hatte ich wahrlich nicht.<br />

Ich legte meinen Kopf an Fleurs Hals und atmete ihren Duft tief ein. Michel wollte ich heiraten, weil er mir<br />

Sicherheit, Geborgenheit und Zärtlichkeit geben konnte, etwas, was ich bis jetzt von niemandem bekommen hatte<br />

außer von meiner Familie. Aber in dieser Sache zählte das nicht.<br />

Ich schüttelte den Kopf. Nein, was dachte ich denn nur für dummes Zeug. Ich war froh darüber, Michels Frau<br />

zu werden. Colin liebte ich zwar noch immer, aber er war Vergangenheit. Er würde niemals mein Ehemann sein.<br />

Meine Träume, er würde es sein, waren nur naiv und kindisch, so wie es Alison immer gesagt hatte.<br />

23. <strong>Kapitel</strong><br />

In der nächsten Woche wurde Agnes getauft. Es war eine kleine Feier, die nur aus der Burgbefölkerung und den<br />

Dörflern bestanden hatte. Es war eine rührende Szene gewesen, als Agnes in das Taufbecken getaucht und gesegnet<br />

worden war. Danach hatte es ein prächtiges Festessen gegeben, dass von jedem gepriesen worden war.<br />

Dies hatte mein Herz hüpfen lassen, denn ich hatte dieses Mahl organisiert und daran selbst mitgearbeitet. Es<br />

war wunderbar gewesen; mein Herz war angeschwollen vor Stolz. Immer wieder musste ich daran denken, wie<br />

ich bald mein ganzes Leben lang solch große Mahle organisieren werden würde. Es war einfach überweltigend!<br />

Als Charis Schülerin machte ich mich gut plötzlich hatte ich Lust am Lernen gefunden! Es wurde für mich<br />

Tag zu Tag einfacher mit den Pflichten einer Burgherrin zurecht zu kommen.<br />

In den restlichen Tagen bis zu meiner Verlobung bemühte ich mich besonders um meine Ausbildung nun<br />

war es auch Zeit, meine Studien wieder aufzunehmen.<br />

Doch trotzallem war das Thema Paris das Tagesgespräch<br />

genauso wie meine Heirat. René hatte beschlos-<br />

sen, gleich am nächsten Tag nach meiner Verlobung nach Paris zu reisen. Charis besprach bereits mit unserer<br />

Haushofmeisterin die Aufgaben während unserer Abwesenheit.<br />

Simon hatte noch weitere Gespräche mit Jaufré geführt, die alles mit seinen neuen Plichten als Vogt in<br />

Selagermondé zutun hatten. Ebenso über seine Unterkunft und seine gesellschaftlichen Vorzüge. Ich hatte von<br />

all jenem keine leiseste Ahnung, doch ich wusste, Jaufré würde Simon gegenüber großzügig sein. Schließlich<br />

war Simon einer der besten Männer, die Jaufré besaß.<br />

Mathilda hatte mit ihrem Vater gesprochen und als er hörte, dass Simon Burgvogt werden sollte, hatte er sich<br />

dazu bewogen, über die Hochzeit der beiden nachzudenken. Natürlich wussten wir alle, dass die Hochzeit definitiv<br />

stattfinden würde und Mathildas Vater das nur tat, um seinen Stolz zu wahren.<br />

Versonnen strich ich über das Fell einer unserer Burgkatzen, die mich mit lautem Schnurren belohnte und sich<br />

an mich schmiegte. Minka hatte ich sie genannt; sie war geboren worden, als ich noch ein kleines Mädchen gewesen<br />

war. Ich hatte sie vor unserem Hauptmann gerettet, der sie köpfen hatte wollen, da wir in diesem Jahr<br />

mehr als zwanzig Katzen gehabt hatten. Ab diesem Tage an, hatte ich mich um sie gekümmert; immer wieder<br />

versucht, sie von unserem Hauptmann fernzuhalten, was sich jedoch als keine einfache Aufgabe herausgestellt<br />

hatte. Aber ich hatte es geschafft und nun war sie schon sechs Jahre alt und hatte schon zigmal eigene Jungen<br />

bekommen.<br />

Eine Schönheit war Minka nicht, doch sie war keines Falls häßlich. Ihr Fell war schwarz und braun getiegert<br />

und ihr Bauch war weiß, so wie die Patien um Augen, Nase und Mund. Ebenmäßige Zeichen hatte sie nicht und<br />

auch ihre Augen hatten eine seltsame braune Farbe. Doch ich liebte sie, ihre angenehmes Wesen sowie ihre<br />

Verschmustheit und Anhänglichkeit. Nur, dass sie zu fremden Menschen zutraulich war, machte mir Sorgen, da<br />

bei armen Menschen Katzenfleisch sehr beliebt war.<br />

Keck wie sie war, stemmte sie sich gegen meinen Hals. Ich kicherte und drückte sie an mich.<br />

Sie ist eine Liebe, nicht wahr?<br />

Ich sah auf und entdeckte Marie vor dem Eingang des Stalles, in dem ich auf einem der Bänke an der Wand<br />

saß. Ich lächelte. Ja, das ist sie!<br />

Marie trat näher und lächelte; dann hob sie die Hand über Minkas Fell. Darf ich?<br />

Aber natürlich!<br />

Marie lächelte abermals und strich leicht über Minkas Fell. Ich hatte auch einmal eine Katze, aber als sie von<br />

einem unserer Schafböcke angegriffen worden war, wurde sie auf einem Auge blind und sie verlor nochdazu<br />

einen Fuß. Sie seufzte und ein trauriger Zug huschte über ihr Gesicht. Wenn sie nur ihr Bein verloren hätte,<br />

hätte mein Vater sie nicht töten müssen, aber so war es nötig gewesen.<br />

Wie alt bist du damals gewesen?<br />

Ungefähr vierzehn Jahre. Ich war noch jung und hatte damals nicht verstanden, warum sie nicht hatte weiter<br />

leben können, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, hatte mein Vater das einzig richtige getan. Denn wie hätte<br />

sie sich selbst versorgen können?<br />

Ich nickte und kraulte Minkas Ohren.<br />

Wir sind alle sehr glücklich, dass Ihr jetzt den Grafen heiraten werdet, Danielle.<br />

Und ich bin froh, dass Jannik und du näher zueinander gefunden habt.<br />

Ja, dass ist schön, aber ich weiß, dass ich nie mehr für ihn sein werde.


Warum denn? Er ist der vorletzte Sohn und somit hat er keine Verpflichtungen gegenüber unserer Familie,<br />

wie zum Beispiel Jaufré oder Rogier sie haben!<br />

Nun, da mögt Ihr recht haben, aber dennoch bin ich keine geeigete Gemahlin für ihn. Ich bin schließlich nur<br />

eine Dienstmagd, mehr nicht!<br />

Liebt er dich denn? Diese Frage kam mir so überflüssig vor, weil es doch von seinem Verhalten offensichtlich<br />

war.<br />

Marie senkte den Kopf und zuckte mit der Schulter. Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich es nicht<br />

weiß. Er hat mir nur gesagt, dass er mich mag.<br />

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte in dieser Sache keinen Einfluss und wenn, würde ich es nicht<br />

wagen, mich einzumischen. Dies war die Angelegenheit meines Bruders und nicht die meine.<br />

Am letzten Tag vor meiner Verlobung kam D Vorge angereist. Lange waren wir vor dem Kamin gestanden und<br />

hatten Gewürzwein geschlürft und uns über belanglose Dinge unterhalten. Währenddessen hatten Michel und ich<br />

uns immer und immer wieder Blicke zugesand, die mich erröten ließen, als es meine Brüder bemerkt und vor<br />

sich hin gegrinst hatten.<br />

Lange dauerte es, bis wir die Gelegenheit hatten, allein miteinander zu sein. Meine Brüder hatten sich in den<br />

Bergfried zurückgezogen um sich mit ihrem Männern zu amüsieren. So waren Michel und ich allein in der Halle<br />

geblieben.<br />

Abrupt, nachdem meine Brüder gegangen waren, waren wir uns in die Arme gefallen und hatten uns geküsst.<br />

Dabei hatten wir den Gewürzwein der Karaffe auf Michels Fellumhang verschüttet. Kommentarlos öffnete er die<br />

Juwelenbesetzte Brosche und ließ seinen Umhang auf den Boden fallen. Unter diesem hatte er nur ein Leinenhemd<br />

durch das seine muskulöse braune Haut durchschimmerte.<br />

Seufzend lehnte ich mich an ihn, während er über meinen Kopf strich.<br />

Ich kann es kaum fassen, dass du bald mir gehören wirst! , murmelte er leise.<br />

Ich streichelte über seinen Rücken und atmeten seinen Duft nach Pferden, Leder und Tannenzweigen ein.<br />

Ohne Vorwarnung hob er mein Kinn und sah mich eindringlich an. Hast du wieder des Mannes wegen geweint?<br />

, fragte er mich.<br />

Nein! , flüsterte ich und verdrängte sogleich das Bild von Colin, als er mich damals in der Küche, als Charis<br />

in den Wehen gelegen hatte, so zärtlich angesehen hatte. Ich hatte nun einen anderen Mann!<br />

D Vorge strich mir über die Wange und küsste mich anschließend. Dann will ich unserem Gott dankbar<br />

sein! Michel ließ mich los, langte nach meinem Kelch und hob ihn mir an die Lippen, aus dem ich dann trank.<br />

So wie du jetzt aus meinen Händen trinkst, sollst du auch in unserem weiterem Leben aus meinen Händen<br />

trinken und vertrauen! Niemals sollst du an meiner Liebe zweifeln, sowie ich auch an deiner Liebe nicht zweifeln<br />

werde. Versprich mir das, Liebste.<br />

Ich verspreche es.<br />

Michel holte aus seinem Mantel einen Stein heraus. Er leuchtete rot und glitzerte faszinierend. Eigenartigerweise<br />

konnte er den Stein öfnen und zum Vorschein kamen weise Steinkristalle und zarte Lavendelblü-ten.<br />

Ein norwegischer Kaufmann hat diesen Schatz aus seinem Land mitgebracht und mir verkauft. Er hatte<br />

gesagt, dass die, die schweren Herzens sind, aus diesem Zauber der Götter Kraft schöpfen werden können!<br />

Vorsichtig legte er mir den Stein in die Hände. Schnell muste ich reagieren, damit der Stein mir nicht aus den<br />

Händen fiel, da er ein beträchtliches Gewicht hatte. Fasziniert blickt ich in das Innere und konnte die Schönheit<br />

dieses Geschenks nicht beschreiben, weil es keine Worte gab, die für diesen Zweck geeignet waren.<br />

Gerührt blickte ich auf. Danke. Das...das ist wunderschön, Michel!<br />

Er lächelte und gleich darauf sah er wehmütig ins Feuer.<br />

Alamiert fragte ich: Was hast du?<br />

Meine verstorbene Frau hatte mir von solchen Steinen erzählt, von denen, die sie aus ihrer Heimat kannte<br />

sie war eine norwegische Wikingerin.<br />

Du hattest eine Frau?<br />

Verlegen räusperte er sich. Nun...ja, aber wir waren gerade einmal sechs Jahre verheiratet!<br />

Ich hob die Augenbraue. Sechs Jahre sind sechs Jahre. Ich zog meine Unterlippe zwischen die Zähne. Und<br />

wie alt warst du damals?<br />

Ungefähr siebenundzwanzig. Sie war sechzehn gewesen. Ich hatte sie nie geliebt, aber ich hatte große Zuneigung<br />

für sie empfunden. Sie war mir viel zu kindisch gewesen und ihre Pflichten als Ehefrau hatte sie auch<br />

vernachlässtigt. Aber dennoch war sie mir sehr wichtig gewesen!<br />

Aber...aber warum hast du mir davon nie etwas erzählt?<br />

Ich fand bis jetzt keinen geeigneten Zeitpunkt dazu. Es sind aus dieser Ehe keine Kinder entstanden, also war<br />

sie eigentlich für das Wesentliche unwichtig.<br />

Wieso sagst du das?<br />

Er zuckte mit den Achseln. Weil es so ist, Danielle, egal, wie schmerzhaft das auch ist.<br />

Ich nippte an meinem Kelch. Und an...an was ist sie gestorben?<br />

Michel seufzte. Das war ein dragischer Unfall gewesen. Es war Winter und wir schlachteten an diesem Tag.<br />

In der Küche wurden gerade die Innereien verarbeitet und unser Schlachter war dabei, den nächsten toten Körper


eines Wildschweines aufzuschlagen. Meine Frau, Juliette, wollte gerade in die Küche laufen, als sie unabsichtlich<br />

den Schlachter schuckte und dieser auf das Schwein fiel... Er unterbrach sich und wischte sich über die Augen.<br />

Das Beil ist dabei nach hinten gefallen und hatte Juliette erschlagen.<br />

Ich riss den Mund geschockt auf und legte die Hand darauf. Oh Gott! Wie konnte nur ein Tod daraus<br />

entstehen?<br />

Bedenk doch: der Schwung des Schlachters lag mit dem Beil in der Luft.<br />

Und wie kommt es, dass du aus dieser Ehe kein Kind hast? , fragte ich nach einer Weile.<br />

Ich weiß es nicht. Einige spekulieren, dass sie jedes Mal ihr Kind abgetrieben hat, aber das kann ich mir nicht<br />

vorstellen. Sie liebte Kinder und war selber verzweifelt, dass sie kein eigenes hatte. Andere meinen, sie währe<br />

unfruchtbar gewesen. Nun, dass ist mir, wenn es denn ein von den zwei Gründen sein muss, die liebere<br />

Variante.<br />

Ich hoffe, ich kann Kinder bekommen! , flüsterte ich wie betäubt.<br />

Abrupt war er bei mir und riss mich in die Arme. Oh nein, Liebes, wir werden Kinder haben. Wunderbare<br />

und wunderschöne. Sie werden unser ganzer Stolz und du wirst eine wunderbare Mutter sein. Zärtlich küsste er<br />

mich auf den Mund. Du bist keine Juliette de Mergoné; du bist eine Linceasé! Und , glühend sah er auf mich<br />

hinab, meine Danielle!<br />

In der Nacht fand ich keinen Schlaf. Immer und immer wieder musste ich an den tragischen Tod dieser Juliette<br />

de Mergoné denken. Wie musste sich wohl meine Vorgängerin gefühlt haben, als sie als Burgherrin auf Vorgé<br />

gelebt hatte? Was hatte sie wohl fühlen müssen, weil sie niemals ein Kind unter ihrem Herzen getragen hatte<br />

oder nicht hatte tragen können?<br />

Ich schlang meine Arme um meinen Leib und stieg aus meinem Alkoven. Aus dem Kamin glühte es noch, obwohl<br />

die Gluht von der Asche gründlich verdeckt worden war. Lange Schatten zogen sich auf der Wand entlang<br />

und sie zeigten mir meine Silouette.<br />

Ich setzte mich auf die Felle vor dem Kamin und lehnte mich an den harten, warmen Stein. Ich zog meine<br />

Kette vom Sims und drückte sie fest an mich. Ich stellte mir ihr Gesicht vor, wie sie mich immer angelächelt<br />

hatte. Was sie jetzt wohl sagen würde? Würde sie sich für mich freuen? Ich lächelte. Ja, Mutter würde sich<br />

darüber freuen. Ganz bestimmt.<br />

Ich schloss meine Augen und legte die Kette an meine Wange. Dann sprach ich ein Gebet. Eine Bitte, der<br />

armen Seele dieser Juliette gnädig zu sein, auf dass sie nicht im Fegefeuer wohnen musste, falls sie dies tat.<br />

Ebenso bat ich um Gande für meine Mutter und, ja, für meinen Vater. Ich bat für mich, mit dieser Verlobung<br />

keinen Fehler zu begehen, da ich ihn doch nicht liebte und immer noch etwas Furcht spürte. Dank gebührte ich<br />

ihm, da er mich Colin vergessen hatte lassen, der so grausam aus meinem Leben verschwunden war. Wo auch<br />

immer er war...liebte ich ihn doch mehr als mein Leben.<br />

Als ich geendet hatte, legte ich mich auf das Fell, zog meine Beine an den Bauch und kuschelte mich an meine<br />

Kette. Ich atmete den Duft ein und glaubte schier, den Duft meiner Mutter zu riechen. Bald war ihr Todestag. Ihr<br />

viertes Jahr im Stand des Todes.<br />

Ich schloss abermals die Augen und kurz bevor ich in das Land der Träume eintrat, tauchte das Gesicht eines<br />

Mannes vor meinem inneren Auge auf. Es war nicht Michel, sondern ein Mann mit rabenschwarzen Haaren und<br />

mysteriösen grünen Augen, die mich schier durchbohrten.<br />

Wie durch ein unheilvolles Saußen erwachte ich. Mit schmerzhaftem Rücken richtete ich mich auf und sah<br />

zum Fenster. Der Mond stand hoch am Horizont; es musste nicht weit nach Mitternacht sein. Das Gesicht, dass<br />

ich als letztes gesehen hatte, brannte sich wieder vor meinen Augen ein und unwillkürlich rollte eine dicke Träne<br />

über meine Wange, die ich ohne Beachtung unangebunden wegwischte.<br />

Aphatisch stand ich auf, lief auf meine Truhe zu und holte meinen Umhang heraus, den ich mir dann überwarf.<br />

Leise öffnete ich die Tür und späte hinaus. Niemand war zu sehen. So schnell wie ich konnte, eilte ich den<br />

Korridor entlang und blieb dann vor einer Tür stehen. Ohne zu Klopfen trat ich ein und stand in Dunkelheit gehüllt<br />

im Gemach von Alison. Die lag zusammengekauert in ihrem Alkoven und schlief meines erachtens tief und<br />

fest.<br />

Ich ließ meinen Umhang fallen und huschte zu ihrem Bett. Ohne, dass ich sie weckte, stieg ich über sie und<br />

legte mich neben sie auf die Matratze.<br />

Was...? , fuhr sie hoch und starrte mich ärgerlich an. Als sie mich erkannte sagte sie aufatment: Ach du bist<br />

es. Ich dachte schon...! Sie runzelte die Stirn. Was tust du hier eigentlich überhaupt? Mhm?<br />

Entschuldige, ich wollte dich nicht stören. Ich wollte eben nur zu dir.<br />

Ja, ja. Siehst du jetzt den Fehler ein, den du mit dieser Verlobung begehen wirst? , murmelte sie.<br />

Nein! Ich kann nicht glauben, Alison, dass du jetzt immer noch davon redest. Ich werde Michel D Vorgé<br />

heiraten und du wirst mich keines Falls davon abbringen können.<br />

Du klingst jetzt aber sehr unsicher, Danielle.<br />

Ich murrte etwas und drehte ihr den Rücken zu, sodass die Wand mir entgegenblickte.<br />

Das ist wirklich ein großer Fehler wenn du das tust. Ich bin zwar keine Romantikerin mehr, aber wenn du<br />

diesen Mann nicht liebst, wirst du auch niemals so glücklich werden, wie du es sein könntest. Jedes Mal, wenn<br />

du ihn sehen wirst, wirst du vor Verzweiflung sterben und irgendwann wird dich die Leidenschaft übermannen


und du wirst...<br />

Ich drehte mich wieder zu ihr um. Ich werde gar nichts! zischte ich wütend. Sollte sie doch endlich ihren<br />

dummen Mund halten.<br />

Und irgendwann wird dich die Leidenschaft übermannen und du wirst dem Ausbruch deiner Gefühle keinen<br />

Einhalt gebieten können. Und dann wirst du es bereuen. Wenn es sein muss ein Lebenlang.<br />

Was verhoffst du dir, mir solche Schauervermutungen zu erzählen?<br />

Lange blickte mir Alison in die Augen, sodass ich nicht mehr an eine Antwort glaubte. Weil mir so etwas<br />

verwehrt ist und du, du könntest dieses Glück besitzen, willst es aber nicht!<br />

Aber ich besitze es doch!<br />

Traurig schüttelte sie den Kopf. Nein, dass tust du nicht. Du verschließt deine Augen vor dem Willen deines<br />

Herzens. Und irgendjemand muss dich doch davor bewahren, diesen schrecklichen Fehler zu begehen!<br />

Ich habe dich nicht darum gebeten!<br />

Gleichgültig zuckte sie mit den Achseln. Ich weiß. Aber das ist meistens so.<br />

Wieso musst du dich in mein Leben einmischen? Mein Gesicht nahm eine rote Farbe an.<br />

Du bist meine Schwester. Meine kleine Schwester. Ganz einfach.<br />

Wir sind gerade Mal ein Jahr auseinander. Mehr ist das nicht.<br />

Ein Jahr ist ein Jahr. Und jetzt leg dich hin. Ich will jetzt endlich schlafen.<br />

Empört starrte ich sie an. Schließlich war sie es gewesen, die diesen Unfrieden gestiftet hatte, nicht ich!<br />

Kannst du jetzt aufhören, empört drein zu schauen? Ihre Stimme klang neckisch.<br />

Wenn du glaubst, dass ich mich so einfach abspeisen lasse, Schwester, dann hast du dich getäuscht. Morgen<br />

ist meine Verlobung. Also sei bitte so freundlich, und tu wenigstens so, als würdest du dich für mich freuen!<br />

Was sagte ich da eigentlich? Ich hatte doch tatsächlich gerade meine Schwester darum gebittet, Freude der<br />

Verlobung wegen vorzuheucheln!<br />

Das werde ich ganz bestimmt nicht tun. Zwar weiß niemand von meiner Meinung und meinem Wissen, doch<br />

werde ich keines Falls artig lächeln und den Lobeshymnen zustimmen, die euch als Paar betreffen werden. Und<br />

jetzt sei still und schlaf.<br />

Lange Zeit blieb ich sitzen und starrte auf die Vorhänge. Alles erschien mir so fadenscheinig. Was hatte<br />

Alison gesagt, meine Alison, die ich doch so liebte, die doch so jugendlich und mädchenhaft gewesen war, dass<br />

ich der Ansicht gewesen war, reifer zu sein als sie. Wie töricht ich doch gewesen war. Jetzt wusste sie sogar<br />

mehr über mich als ich selber. Aber durfte ich ihr Beachtung schenken? Durfte ich mir diese Gefühle, ihre Ansichten,<br />

einreden lassen?<br />

Plötzlich tastete eine kalte Hand nach mir und erfasste meine Hand. Was bekümmert dich denn noch? Bin ich<br />

zu weit gegangen? Oder habe ich doch recht? Liese drang ihr müdes Flüstern durch meine Gedanken.<br />

Ich ließ mich auf die Kissen sinken, drehte mich zu ihr und legte meine Hände zwischen das Kissen und meinem<br />

Kopf. Ich weiß nicht, was ich tun soll! Erst jetzt begriff ich, was ich da gesagt hatte.<br />

Schuldbewusst sah Alison mich an und strich mir über mein Haar. Es tut mir Leid, dass ich diesen Zwist in<br />

dir Ausgelöst habe, aber es ging eben nun mal nicht anders. Mein Leben ist schon zerstört. Jetzt sollst wenigstens<br />

dir das Glück zuteil werden lassen. Und wenn ich vielleicht keine Aufgaben sonst haben werde, so wird es meine<br />

Aufgabe sein, dir dieses Glück auf schnellstem Wege zu beschaffen.<br />

Dann freu dich mit mir, dass ich mich verloben werde. Colin ist für immer Vergangenheit. Jetzt zählt<br />

D Vorgé. Ich liebe ihn nicht, ja, aber dennoch ist er meine Wahl!<br />

Alison seufzte und legte ihren Kopf an den meinen. Gott liebt dich Danielle und ich auch. Also sei gefälligst<br />

nicht so dumm, deine Liebe Vernunft wegen zu opftern!<br />

Darauf sagte ich nichts mehr. Sondern ich schloss die Augen und ließ mich in das Land der Träume entführen.<br />

Und wieder tauchte das Gesicht des Mannes mit den rabenschwarzen Haaren und den mysteriösen grünen<br />

Augen vor meinem inneren Auge auf.<br />

24. <strong>Kapitel</strong><br />

Schwerer grüner Brokat verhüllte meinen Leib. Unter meinem Busen lag mein mit Steinen besetzter Gürtel,<br />

nach dem mein Kleid bis zu meinen Fußspitzen auf den Boden wallte und hinten in einer eleganten Schleppe endete.<br />

Meine trompetenförmigen Ärmel waren mit braunem, feinen Pelz besetzt und durch die Schlitze in den Ärmeln<br />

schimmerte mein elfenbeinfarbenes Untergewand. Mein Ausschnitt war mit Goldfäden in Form von<br />

Blumen geschmückt; der restliche Brokat war mit Goldfäden in Form von keltischen und wikingerischen Ornamenten<br />

bestickt worden und am Rand meiner Ärmel glänzten rote und gelbe Jadesteine. Meine Kette lag zwischen<br />

meinen Brüsten, deren Ansätze des tiefen Dekolettés wegen zu sehen waren, und meine drei Ringe schmückten<br />

meine Finger. Meine Haare waren mit Perlennadeln hochgesteckt worden; sonst gab es für diese keinen weiteren<br />

Zierrat. Meine Lippen waren mit einem roten Muss bestrichen, ebenso waren meine Augenbrauen und<br />

Wimpern mit einem braunen Pulver gefärbt worden.<br />

Zufrieden lächelte ich und sah aus dem Fenster. Die Gäste hatten sich bereits auf dem Vorhof zur Jagd einge-


funden. Jaufré und Michel standen bereits an der Spitze, während die anderen Männer hinter ihnen standen und<br />

sich unterhielten oder Gewürzwein tranken. Abseits standen die Treiber mit den Hunden, die brav und mit wedeldem<br />

Schwanz neben ihren Herren saßen.<br />

In der Nähe des Stalles standen vier Frauen, die ihre Männer begleitet hatten. Sie unterhielten sich mit Alison,<br />

die Agnes auf den Armen hielt.<br />

Als ich die Halle betrat, kam mir fast niemand entgegen. Außer einige Dienstboten, der Burgvogt und dessen<br />

Frau, die das Gesinde hin- und her scheuchte.<br />

Mit bedeutsamen Mienen musterten mich die Gäste, als sie mich in ihrer Runde ankommen sahen. Die Frauen<br />

winkten mich auffordernd zu ihnen, doch bevor ich einen Schritt in ihre Richtung tun konnte, hörte ich Hufschläge<br />

und wenige Sekunden später sah ich Michel vor mir stehen.<br />

Da bist du ja wieder, meine Schöne! , flüsterte er und streckte eine Hand nach mir aus.<br />

Ich ergriff sie und streichelte seine schwielige Hand.<br />

Soll ich dir irgendetwas aus dem Wald mitbringen?<br />

Was könntest du mir denn mitbringen außer tote Tiere?<br />

Grinsend hob Michel eine Augebraue hoch. Fällt dir nichts anderes ein?<br />

Nein! , antwortete ich verwundert und sah ihn verständnislos an.<br />

Grinsend drückte er meine Hand. Dann lass dich überraschen und dich eines besseren belehren, wenn ich zurück<br />

bin! Er beugte sich hinab und hauchte einen zarten Kuss auf meinen Handrücken, nachdem er meine Narben,<br />

wie er es immer tat, gestreichelt hatte.<br />

Mein lieber, zukünftiger Gemahl, du sprichst in Rätseln.<br />

Bevor er sich wieder zu Jaufré an die Spitze gesellte, erwiederte er: Das, meine liebe Danielle, ist eine Eigenschaft,<br />

die du bald zu genüge studieren kannst.<br />

Lächelnd blickte ich ihnen nach, wie die ganze Jagdgesellschaft durch das Tor und über die Zugbrücke in<br />

Richtung Wald ritt. Die Hunde bellten, während das Geklapper der Hufe zu hören war. Mehrmals hörte ich, wie<br />

meine Brüder sich etwas zuriefen, was ich jedoch aus solch einer großen Entfernung nicht mehr hören konnte.<br />

Demoiselle! Gesellt Euch doch zu uns , rief eine der Frauen mir zu.<br />

Ich nickte und kam ihrer Bitte nach.<br />

Die Frauen waren im unterschiedlichen Alter. Dame de Soréj erreichte in vier Jahren ihre vierzig Lenze,<br />

während Dame de Dermont gerade erst fünfundzwanzig und Dame de Charaux dreißig Lenze alt war. Dame de<br />

Becelé war die Älteste von ihnen, die zwei Jahre älter als Dame Soréj war.<br />

Wie schön Euch endlich zu sehen, Demoiselle Danielle. Ich habe schon so viel von Euch gehört, dass ich<br />

nicht mehr abwarten konnte, Euch kennen zu lernen , begrüßte mich Dame de Charaux.<br />

Ebenso wie ich mich freue, Demoiselle. Mein Mann hat nur Lobeshymnen über Euch ausgesprochen und als<br />

uns die Ehre zuteil geworden war, von Euch zu Eurer Verlobung eingeladen zu werden, wollte ich mit Wohlwollen<br />

meines Mannes oder ohne, Euch endlich begegnen! , sagte Dame Dermont mit glühenden Wangen.<br />

Ich lächelte. Die Freude ist ganz meinerseits. Ich war schon lange auf die Frauen solcher Männer gespannt.<br />

Außerdem kann ich mir von Euch gewisse Vorschläge, wie ich eine gute Burgherrin werden kann, erhaschen.<br />

Für diese Aussage schenkte mir die Älteste ein wohlwollendes Lächeln. Es ist immer gut, sich rechtzeitig auf<br />

diese anspruchsvolle Aufgabe vorzubereiten und sie ernst zunehmen.<br />

Ja, da habt Ihr recht. Wie...wie....aber wollen wir nicht in den Garten gehen oder uns in die Halle an den<br />

Kamin setzten?<br />

Alison und die Damen stimmten mir zu, in die Halle an den Kamin zu gehen. Dort trafen wir Charis, die sich<br />

gerade auf den Stuhl des Burgherrn vor den Kamin niedergelassen hatte.<br />

Ah, Charis, du hast die gleiche Idee gehabt wie wir soeben , sagte ich, nachdem wir zu ihr getretten waren.<br />

Charis lächelte und tätschelte Agnes den Kopf. Schweigend nahmen wir auf den Stühlen platz und blickten<br />

fasziniert auf das kleine Kind, dass an Charis kleinem Finger nugelte.<br />

Ich bin gespannt, was die Männer heute Abend alles mitbringen werden! , sagte Dame Angelique de<br />

Dermont.<br />

Ja, aber das ist sicherlich ein jeder von uns. Dame Agnés Marie de Becelé blickte zu Charis, Alison und mir.<br />

Eure Burg ist unvergleichlich schön. Jetzt erst kann ich verstehen, dass Ihr auf Linceasé lieber seid als auf<br />

Solageramondé. Ebenso dass man Linceasé das Herz des Tals der Schönheit nennt.<br />

Verwundert blickte ich sie an. Wirklich? Davon habe ich gar nichts gewusst!<br />

Eifrig nickte die Dame. Ja, ja. Wie Ihr wisst, ist unsere Burg auch in diesem Tal, zwar am Rande, doch<br />

immer hin im Tal. Aber dennoch kann sie Eurer niemals das Wasser reichen.<br />

Aber liebe Dame de Becelé, vergleicht doch nicht Eure Burg mit unserer. Eure ist doch viel älter und beinhaltet<br />

mehr Geschichte, als unsere. Unsere ist eben mit dem neuen Stil erbaut worden. Das heißt aber nicht, dass<br />

Eure unschön ist.<br />

Nun wenn Ihr meint. Ich fühle mich zwar auch auf ihr wohl, doch will ich dieses alte Bollwerk nicht recht<br />

schätzen. Immerzu zieht es und mein Reuma will das gar nicht leiden!<br />

Gütig lächelte Charis. Liebe Dame, ich kann Euch gerne eine Rezeptur geben, die ich immer unseren alten<br />

Burgbewohnern und Dörflern gebe.<br />

Oh, das wäre wirklich wunderbar von Euch.


Unerwartet ergriff Dame Yvette de Soréj meine Hand und tätschelte sie. Jetzt sagt uns aber, Demoiselle, wie<br />

Ihr, so eine junge Frau, zu so einem Mann gekommen seid?<br />

Empört blickten die anderen Damen sie an.<br />

Dame de Soréj errötete und verbesserte sich: Natürlich meine ich damit, dass ich gerne Eure Liebesgeschichte<br />

hören würde. Michel D Vorgé ist ein wirklich guter Mann. Ich glaube, ich hätte ihn auch geheiratet,<br />

wenn es ihn zu meiner Jugendzeit gegeben hätte.<br />

Noch etwas empört, jedoch nun besänftigt, blickten die Damen zu mir.<br />

Ich selber wusste nicht, was ich sagen sollte. Ob ich dieser Dame für ihre zügellose Offenheit böse sein sollte<br />

oder nicht. Doch ich entschied mich, ihr höflicherweise zu antworten. Nun...also ich...ich habe ihn an meinem<br />

Geburtstag kennengelernt. An diesem Tage wurde ich auch anerkannt.<br />

Das ist aber noch nicht lange her, nicht wahr? , stellte Dame de Dermont fest.<br />

Ich nickte und bestätigte es. An diesem Tage war ich sehr aufgeregt und ich stolperte über mein Kleid.<br />

Plötzlich fand ich mich in D Vorgés Armen wieder . Lässig zuckte ich mit den Achseln. Und so kammen wir<br />

uns näher, bis es zur Verlobung kam. Mehr gibt s da nicht zu erzählen.<br />

Oh nein, meine Liebe. Da gibt es bestimmt noch viel zu erzählen , bohrte Dame de Soréj weiter.<br />

Leider muss ich Euch enttäuschen, Madame. Meine Liebesgeschichte zu Michel ist nicht so atemberaubend<br />

wie manch andere sie haben!<br />

Keine Sorge meine Liebe, meine Liebesgeschichte war auch eher bescheiden gewesen. Meine Familie hatte<br />

die Ehe arrangiert. Mehr gibt es bei mir auch nicht zu erzählen. Wir haben gelernt uns zu respektieren und seitdem<br />

unsere vier Kinder da sind, ist unsere Ehe auch interesanter als vorher. Mittlerweile empfinde ich für<br />

meinen Mann Zuneigung , plauderte Dame de Dermont.<br />

Dankbar lächelte ich sie an. Offensichtlich hatte sie verstanden, dass ich darüber nicht gerne redete.<br />

Wie alt sind eigentlich Eure Töchter, Dame de Becelé? , fragte Charis.<br />

Oh. Agnès ist bereits siebzehn, Mariette vierzehn und meine kleine Angelique Marie ist erst vor ein paar Wochen<br />

zehn geworden. Sie sind unter meinen vier Söhnen mein größter Schatz. Besonders meine Agnès. Sie wird<br />

demnächst heiraten. Die Verlobung, vielleicht habt Ihr es mitbekommen, fand schon statt, als sie dreizehn Jahre<br />

alt war. Und Mariette wird in wenigen Monaten mit einem Baron verlobt werden.<br />

Darf man auch fragen, welche die Bräutigame sind? , fragte Charis, während sie Agnes schaukelte.<br />

Agnés zukünftiger Gatte heißt Jaqués de Maintenon und Mariettes zukünftiger Verlobter wird Philippe<br />

D Lesage sein. Beide sind ausgezeichnete Ehemänner für meine Töchter und das Schönste an allem ist, dass<br />

beide ihre Gatten akzeptieren , sagte sie.<br />

Ja, das stimmt. Das ist das Schönste. Ich wurde auch einfach verheiratet. Und zu meinem Unglück muss ich<br />

sagen, dass ich zwar mit ihm wunderbare Kinder habe, aber ansonsten hegen wir füreinander keinen Funken Zuneigung.<br />

Madame de Soréj ordnete ihren Rock und lächelte uns entschuldigend an. Offensichtlich war es ihr<br />

unangenehm, dass sie Schlechtes über ihren Mann gesagt hatte.<br />

Ja, in unseren Zeiten ist es für Töchter schwer, einen liebevollen Ehemann zu finden, wenn sie ihn schon<br />

nicht aussuchen darf. Und deswegen müsst Ihr, Demoiselle, Eurer Familie unendlich dankbar sein, dass Ihr Euch<br />

einen Ehemann aussuchen durftet und nicht gezwungen worden seid, wie es vielen unseres Standes er-geht ,<br />

schärfte mir Madame Genevevé de Charaux ein.<br />

Ich neigte den Kopf. Ich danke Euch, für Euren gut gemeinten Ratschlag. Ich werde ihn berücksichtigen.<br />

Was ist eigentlich mit Euch, Demoiselle? , fragte Dame de Soréj Alison.<br />

Alisons Kopf fuhr hoch uns sie starrte die Frau an, als wäre sie ein Wesen, dass sie nie gesehen hatte. Ich? ,<br />

fragte sie leise.<br />

Ja, mit Euch, Demoiselle. Ihr seid ein Jahr älter als Eure Halbschwester und dennoch seid Ihr immer noch<br />

nicht verheiratet. Ihr sollet Euch darüber Gedanken machen! Denn mit zwanzig seid Ihr schon für viele Männer<br />

zu alt .<br />

Nur mit Mühe schaffte ich es, nicht zu husten und Dame de Soréj zu unterbrechen. Verstohlen blickte ich zu<br />

Alison, die sichtlich erregt war. Ihre Augen waren hart wie Stahl geworden und eine Ader am Hals zuckte.<br />

Nun , sagte sie, ich lege großen Wert auf bedachte Ehen. Ich werde nicht jeden heiraten. Außerdem muss<br />

ich sagen, dass ich mich für eine Heirat bis jetzt noch nicht interessiert habe, log sie. Auch spielt es eine Rolle,<br />

dass ich aus unserer Burg bis jetzt noch nie herausgekommen bin. Daher ergeben sich für mich auch keine<br />

Möglichkeiten, in Frage kommende Ehemänner kennen zu lernen.<br />

Madame de Soréj konnte nur mit Mühe ihre Gedanken verbergen. Aber dennoch war ich mir sicher, dass sie<br />

diese Sehensweise von Ehe und Ehemännern nicht teilte, ja missbilligte.<br />

In den nächsten Stunden hielt sie sich zurück mit Kommentaren und Fragen, die bestimmt wieder unangenehm<br />

und aufdringlich gewesen wären. Dagegen plauderten die anderen Damen ungezwungen und für Minute zu<br />

Minute stieg meine Hochachtung für Dame de Becelé und Dame de Dermont. Auch Madame de Cheraux wurde<br />

immer angenehmer. Doch bei Dame de Soréj sträubten sich bei mir die Haare. Sie war kein schlechter Mensch,<br />

im Gegenteil, doch mit ihrer Art konnte sie es fertig bringen, dass sich die Nerven der Menschen unnötig<br />

strapaziert wurden.<br />

Die Männer kamen erst spät am Abend zurück. Sie waren durchgefroren und hungrig und verlangten nach einem


warmen Mahl, dass ihre warmen Glieder wärmen würde. Gleich, als sie den Vorhof betratten, kamen ihnen Mägde<br />

entgegen, die ihnen Kuchen und warmen Gewürzwein überreichten. Die schweißnassen Pferde wurden in die<br />

Ställe gebracht, die daraufhin von unseren Knechten abgerieben und versorgt werden würden. Wenn mein<br />

Schicksal es mit mir anders gewollt hätte, würde ich jetzt einer von ihnen sein. Wehmütig dachte ich daran,<br />

während ich aus dem Fenster des Frauenturmes blickte. Es war ein komisches Gefühl, nicht mehr zu ihnen dazu<br />

zugehören, nicht mehr mit ihnen gleichgestellt zu werden, sondern nun durch einen tiefen Abgrund getrennt von<br />

ihnen zu sein.<br />

Eine Beute nach der anderen wurde auf den Hof gelegt. Wertvolle Tiere waren darunter wie, Wildschweine,<br />

Fersane, Rebhühner, und Hasen. Die Krönung war ein Hirsch mit einem prächtigen Geweih, dass jedem ehrenvollen<br />

Jäger Respekt einflösste.<br />

Alle Männer standen nun im Kreis um die Beute und hielten an Gedenken der Tiere einen Moment Stille.<br />

Auch ich, auch wenn ich von oben aus dem Frauenturm blickte, erwies ihnen die letzte Ehre, bevor man sie in<br />

die Küche brachte und verarbeitete.<br />

Als sie sich wieder lösten und begannen, sich zu unterhalten, raffte ich meine Röcke und lief hinab auf den<br />

Hof. Erst als ich D Vorgé sah, errinnerte ich mich wieder an sein Versprechen, dass er mir etwas mitbringen<br />

wollte. Mit ausholenden Schritten, die von Charis strenger Hausfrauenmiene quittiert wurde, lief ich Michel entgegen.<br />

Danielle! , rief er, löste sich aus dem Kreis der Männer und eilte auf mich zu. Wie schön dich zu sehen,<br />

Liebes , murmelte er und legte seine Hand auf meine Wange.<br />

Ich zuckte zusammen und trat einen Schritt zurück.<br />

Mit entschuldigender Miene zog er sie zurück. Verzeih, ich vergass, dass mein Körper auf Null Grad abgekühlt<br />

ist.<br />

Ich lächelte und nahm seine Hände in die meinen, worauf ich begann, an ihnen zu reiben. Langsam wurden sie<br />

wärmer. Dabei konnte ich beobachten, wie verstohlene Blicke auf uns ruhten.<br />

Du bist zu gut zu mir. Jetzt wärmst du mir sogar meine Hände.<br />

Ja, das tue ich, mein Gebieter.<br />

Überrascht blickte er mich an. Dann grinste er. Für einen Moment hätte ich wirklich geglaubt, du würdest<br />

dieses Wort ernst meinen.<br />

Ich runzelte die Stirn. Ich hatte diese Worte durchaus ernst gemeint. Wieso kommst du zu dieser Annahme? ,<br />

fragte ich gereizt.<br />

Ach, Danielle. Ich weiß doch, dass du dich mir niemals unterwerfen wirst!<br />

Wäre ich in diesem Moment nicht zu verärgert gewesen, weil man meine Worte, die ich sagte, nicht ernst<br />

nahm, hätte ich ihm durchaus zugestimmt. Denn es lag nicht in meiner Art, mich unterzuordnen.<br />

Plötzlich zog Michel etwas aus seiner Tasche. Es war wunderschön und gleichzeitig abstoßend. Es war eine<br />

Wurzel, die ein Männchen darstellte. Grausig sah es aus und doch faszinierte es mich.<br />

Lange habe ich danach gesucht. Aber nun habe ich es gefunden. Man nennt es Alraune.<br />

Er übergab mir die Wurzel und ich betrachtete es neugierig. Sie ist einzigartig.<br />

Ja, das ist sie. Obgleich die Kirche Alraunen als Symbol des Teufels sieht. Es soll ein Werkzeug der Hexen<br />

sein. Aber daran glaube ich nicht.<br />

Sie, sie erinnert mich an den Glauben meiner Vorfahren , flüsterte ich erfuhrchtsvoll.<br />

Wie meinst du das?<br />

In der Welt meiner Vorfahren gab es auch Alraunen. Sie waren aber für irgendetwas Symbole der Macht und<br />

der Göttlichkeit<br />

glaube ich. Denn ganz sicher war ich mir bei dieser Behauptung nicht.<br />

Ja, davon habe ich schon einmal etwas gehört. Aber auch wie du, weiß ich es nicht hunderprozentig. Schließlich<br />

kann es auch nur eine schöne Geschichte sein, die durch die Wikinger mehr popularität gewinnt. Er legte<br />

seinen Arm um mich und drückte mich fest. Alraunen sollen aber auch Glück bringen, Liebling. Deswegen habe<br />

ich sie dir auch mitgebracht. Solange ich lebe, sollst du sie an deinem Herzen tragen, damit wenigstens ein<br />

Teil von mir, in ihm verankert ist.<br />

Ich blickte zu ihm auf und entdeckte in seinen Augen Wehmut und Verletzlichkeit. Betoffen senkte ich meinen<br />

Kopf und starrte auf das kleine Männlein mit dem verzerrten Gesicht. Michel war ein weißer Mann, viel zu<br />

klug, als das ich ihm etwas vormachen könnte. Ich lehnte mich an ihn und vergass die Kälte, dich mich zittern<br />

ließ und die Blicke, die auf uns ruhten.<br />

Und nun kam dieser Moment, indem ich zugab, dass Alison Recht hatte, dass ich vielleicht mit meiner Entscheidung<br />

unglücklich werden würde, und ich bereute ihn zutiefst. Es war schändlich von mir, da Michel mich<br />

doch so sehr liebte. Ich blickte auf die senkente Sonne. Ihre Strahlen erreichten den Himmel nicht und auch ich<br />

fühlte mich plötzlich glanzlos, wie ich mich noch nie gefühlt hatte. Falsch und Schändlich und nur, weil ich<br />

meine Gefühle verleugnet und mich auf Grund meines Kummers in die Arme des nächsten Mannes gestürzt hatte,<br />

nur, weil er mir das gegeben hatte, was ich gebraucht hatte. Und doch, graute es mir vor meinem Eheleben<br />

mit Michel nicht. Er war für mich wichtig geworden,wenn es auch nur zarte Zärlichkeit war. Aber dennoch, dennoch<br />

machte es mich betrübt, weil ich wusste, dass ich für Colin niemals wieder frei sein würde.<br />

Geistesgegenwärtig lief ich mit Michel und den anderen in die Halle und ließ mich an die Tafel neben meiner<br />

Familie und Michel nieder. Während dem Essen sagte ich nichts und auch danach, als Troubadore zu unserer


Unterhaltung aufspielten, redete ich nicht viel. Und erst als ich erstaunt Simon und Mathilda entdeckte, die auf<br />

mich zu liefen, raffte ich mich auf und kam in die Welt zurück.

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