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SCHATTEN - Galerie Laterne

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16<br />

<strong>SCHATTEN</strong>


L I C H T<br />

17


Rezension zum<br />

Buch von Hans<br />

Saler „Zwischen<br />

Licht und<br />

Schatten“.<br />

Es ist im A1 Verlag erschienen und berichtet von der 1970er Expedition zum Nanga Parbat .<br />

Mit einem Nachwort von Gerhard Bauer<br />

232 Seiten 4. aktualisierte Auflage 19,80 €<br />

A1 Verlag München<br />

18<br />

Abb. links: Der „Nanga Parbat“, Abb. rechts die<br />

„Rupalwand, Abb unten die Expeditionsmannschaft<br />

bei der Verabschiedung in München


Die Urlaubszeit rückt wieder<br />

heran, da scheint ein Reisebericht<br />

immer angebracht, auch<br />

wenn es höher hinaus geht und mit<br />

mehr Beklommenheiten verbunden ist,<br />

wie beim Nanga Parbat, dann wächst<br />

die Herausforderung und das Denkorgan<br />

weitet sich. Man muss dies aber<br />

für sich sehen. Für den einen wirkt das<br />

komisch, für den anderen existentiell.<br />

Der einführende Fünfzeiler aus einem<br />

alten Weisheitsbuch, der dem Titel des<br />

Buches nachangestellt ist, gibt solchen<br />

Gedanken schon mal eine heftige Ergänzung:<br />

Achte auf deine Gedanken,<br />

denn sie werden deine Worte.<br />

Achte auf deine Worte, denn<br />

sie werden deine Taten.<br />

Achte auf deine Taten, denn<br />

sie werden deine Gewohnheiten.<br />

Achte auf deine Gewohnheiten,<br />

denn sie werden dein<br />

Charakter.<br />

Achte auf deinen Charakter,<br />

denn sie werden dein Schicksal.<br />

In den fünfziger Jahren kurz nach der<br />

Erstbesteigung durch Hermann Buhl kam<br />

es zu einer verdichteten Herausgabe von<br />

Büchern über den Nanga Parbat, zu nennen<br />

wäre Karl M. Herrligkoffer: „Nanga<br />

Parbat 1953“. München 1954 und Paul<br />

Bauer: „Das Ringen um den Nanga Parbat<br />

1856–1953“. München 1955. Beide<br />

mit dem fotografischen und setzerischen<br />

Charme der fünfziger Jahre. Nun nach<br />

Wende des Jahrtausends bricht eine neue<br />

Fülle von Büchern über uns vom Nanga<br />

Parbat herein. Als würde die Faszination<br />

V o n A n d r e a s S c h ü l l e r<br />

für das Unmögliche sich wellenartig immer wieder zeigen, immer<br />

wieder herauszufordern, genauso wie wellenartig immer<br />

wieder neue Generationen dem Uterus entsteigen. So scheint<br />

auch der Wille, noch Unbegangenes, Unberührtes, Unbekanntes<br />

im Grenzbereich des Lebens erstmals zu erkunden die Phantasien<br />

anzutreiben. Die davon Befallenen scheuen sich nicht,<br />

auch auf Kosten des eigenen Lebens, diese Ränder der Existenz<br />

so zu überqueren wie Scharon den Styx.<br />

Wie es heißt, ist der Nanga Parabat der Schicksalsberg der<br />

Deutschen, aber auch andere Nationen haben ihren Berg der<br />

Prüfungen etwa wie die Engländer. Die Vorstellung ist komisch,<br />

dass sich jede Nation einen Berg im Himalaja ausgesucht hat,<br />

an dem sie ihre Kräfte messen kann. Ich dachte immer, die Alpinistik<br />

sei internationaler und die Wissenschaft auch. Wichtig ist<br />

doch, dass ein Mensch die Aufgabe gelöst hat – oder?<br />

19


Nun zum Buch: Es ist die Geschichte der Besteigung<br />

des Nanga Parbat über die größte Steilwand der<br />

Erde, die 4500 Meter hohe Rupalwand. Die Expedition<br />

bricht im Frühjahr 1970 auf. Bei ihr befinden sich auch die<br />

Brüder Messner. Den beiden gelang im Verlaufe der Expedition<br />

die spektakuläre Überquerung des Nanga Parbat von dieser<br />

Seite her. Aber einer der beiden Brüder, Günther, kommt vom<br />

Gipfel nicht wieder zurück . Hans Saler beleuchtet im Buch<br />

nicht nur die zahlreichen Widersprüche in Reinhold Messners<br />

Darstellungen zu den Ereignissen, sondern er beschreibt auch<br />

die teilnehmenden Menschen und die Geschehnisse während<br />

der Expedition.<br />

Es kling sofort wie eine Generalabrechnung einer grundsätzlichen<br />

Richtigstellung gegenüber Reinhold Messner, der sich<br />

im Lauf der Jahre bei der Schuldsuche für den Tod seines Bruders<br />

immer weiter in Richtung der ehemaligen Mannschaft hinausgelehnt<br />

hat und sie schon mit dem Wort der unterlassenen<br />

20<br />

Abbildung: Das Lager eins an der<br />

Rupalwand des Nanga Parabat<br />

Hilfeleistung konfrontierte.<br />

Nach Aussagen des Autors<br />

wäre das Buch nie geschrieben<br />

worden, hätte Messner<br />

nicht einen massiven Angriff<br />

auf das Ansehen von Hans<br />

Saler und Kollegen durchgeführt.<br />

Mit anderen Worten,<br />

die mediale Inszenierung und<br />

ihre ständige Dramatisierungen<br />

Messners gingen den<br />

Expeditionsteilnehmern nach<br />

30 Jahren derartig auf die<br />

Nerven, dass sie sich zu einer<br />

Antwort entschlossen. Diese<br />

liegt, unter anderem, nun in<br />

der vierten aktualisierten Ausgabe<br />

vor. Das ist so etwa der<br />

Inhalt der Einleitung und für<br />

meinen Geschmack kein förderlicher<br />

Einstieg in ein Buch,<br />

wenn die Konfrontationsebenen<br />

gleich zu Anfang so aufgemacht<br />

werden und dem Leser<br />

suggeriert wird, dass nun,<br />

endlich, die Wahrheit, oder<br />

besser die wahrere Wahrheit<br />

gesprochen wird.<br />

Es handelt sich um einen<br />

Autor, der nicht unbedingt<br />

eins zu eins seine Erlebnisse<br />

erzählt – sich also nicht nur an<br />

die einfache Gliederung der<br />

zeitlichen Abfolge hält, sondern<br />

immer wieder Einschübe<br />

zu Personen, Vorstellungen<br />

und Ereignissen bringt. Damit<br />

hält er den Text interessant<br />

und die Spannung am Leben.<br />

So steigen wir im nächsten Kapitel<br />

bei seiner ersten Jugendreise<br />

nach Südamerika ein, um<br />

dort von seinen Erstbesteigungen<br />

zu erfahren. Aber<br />

gleich hier wird man vom bitteren<br />

Beigeschmack des Vorwortes<br />

erlöst. Die Schilderung<br />

der Jugend und später der<br />

Aufbruch der Expedition aus<br />

München klingen flüssiger,<br />

leichter und vom Druck der<br />

Richtigstellung befreit. Hier<br />

ist er in seinem eigenen Element,<br />

dem Abenteuerlichen.<br />

Nach der kurzen Einführung in<br />

seine Kinder- und Jugendtage<br />

beginnt er mit dem Start der<br />

Expedition in München. Mit


drei MAN-LKWs und einem<br />

VW-Bus starten sie auf die<br />

Reise. Für uns kaum vorstellbar<br />

auf dem Landweg. Bei<br />

der Beschreibung der einzelnen<br />

Expeditionsteilnehmer,<br />

die er nun nach und nach vornimmt<br />

sowie der Begegnung<br />

mit den Einheimischen vor Ort<br />

erkennt man die jugendliche<br />

Unbeschwertheit im Umgang<br />

mit komplizierten Situationen,<br />

das Problematische ist nicht<br />

zu spüren, hat keinen Platz.<br />

Auch die bürokratischen Widerstände<br />

der Behörden und<br />

deren Gleichgültigkeit gegen<br />

ein derartiges Projekt verfinstern<br />

die Stimmung nicht. Ob<br />

diese jugendliche Leichtigkeit<br />

die Schreibweise eines alten<br />

Mannes ist, oder zur damaligen<br />

Zeit vor Ort vorhanden<br />

war, bleibt ungewiss. Das<br />

letzte Stückchen geht es nun<br />

doch per Flugzeug weiter<br />

und sie können den Nanga<br />

Parbat von oben umkreisen<br />

und die beeindruckende<br />

4500 Meter hohe Rupalwand<br />

von oben erkennen. Da wird<br />

einem doch bedenklich ums<br />

Herz. Es ist eine Mischung aus<br />

Freude, hier zu sein und dem<br />

Begreifen um die kommenden<br />

Schwierigkeiten.<br />

„Reisen, um das eigene<br />

Gefühlsleben auszuloten.“<br />

Die Anreise führt zum<br />

Nanga Parbat über Hügelketten<br />

mit den völlig überladenen<br />

Jeeps und den undefinierbaren<br />

sogenannten Anfahrtswegen,<br />

wo die an einer Steilwand mit<br />

nassem Sand angeklebte Straße<br />

rechts an einen Abgrund<br />

grenzt. Da wo man die Verantwortung<br />

für sich selbst<br />

nicht in der eigenen Hand hat,<br />

sondern auf die Geschicklichkeit<br />

des Fahrers vertrauen<br />

muss, da schwitzen auch die<br />

erfahrenen Bergsteiger nicht<br />

nur vor Hitze. Selbst die einheimischen<br />

Chauffeure wissen<br />

Abb. oben: Die Ausrüstung wir<br />

mittels Seilwinden nach oben<br />

trasportiert.<br />

um diese Situation und sprechen vor dem Befahren dieser Wege<br />

folgenden Satz: „Wir legen unser Leben in die Hände Allahs“.<br />

Der Autor meint dazu: „Beim Aufsteigen (zu dieser Fahrt) war<br />

ich ein Ungläubiger, beim Absteigen ein Gläubiger.“<br />

Nun ist man nicht mehr weit vom Gelände für das Basislager<br />

auf der Hochweide Tap entfernt. Hier nimmt der Autor sich Zeit,<br />

noch einmal seine Begleiter vorzustellen, ehemalige Bergtouren<br />

zu beschreiben und das Klettern als solches zu betrachten, wie<br />

es zwingt, über Grenzsituationen nachzusinnen. Im Lager selbst,<br />

in Anbetracht der Steilwand, findet er wieder den Weg zum<br />

Nachdenken über Angst, Furcht und deren Verschwinden bei<br />

der Besteigung. Er meint, dass diese immer nur vorher, bei noch<br />

21


nicht begonnen Unternehmungen auftritt und während des Aufstiegs<br />

nur ein Rest übrigbleibt, die die Vorsicht gebietet.<br />

Nun ist auch der Zeitpunkt gekommen, um über die Brüder<br />

Messner zu sprechen. Erst wird ihre Kindheit geschildert – vor<br />

allem dominiert von einem gewalttätigen Vater, sowie der Reaktion<br />

darauf, der gemeinsamen Verbundenheit der beiden<br />

Brüder. Über weitere Angaben kommt Saler zu der Gewissheit,<br />

dass Reinhold Messner schon jetzt, im Basislager, von der Möglichkeit<br />

sprach, den Nanga Parbat zu überqueren, um ein neues<br />

Kapitel der Alpinistik aufzuschlagen, in dem sein Name ganz fett<br />

gedruckt steht.<br />

Nun beschreibt er den Aufbau des Lagers eins - 1200 Meter<br />

höher, auf 4700 Meter, unter einer kleinen Felswand. Bis<br />

dahin können die Träger 25 Kilo hochbringen. Zu dem später<br />

errichteten Lager zwei auf 5500 Meter schaffen sie noch 14<br />

Kilo pro Mann. Die Träger werden angeleitet von Isah Kahn, der<br />

den Expeditionsleiter Karl Maria Herligkoffer schon 1953 begleitet<br />

hat. Auf dieser Höhe beginnt nun die Sauerstoffknappheit<br />

auf alle einzuwirken, es geht langsamer und die meisten haben<br />

Beschwerden vielseitigster Art. Auch schlagen die Wetterbedingungen<br />

um, mit Lawinen muss man rechnen, so dass Lager<br />

eins und zwei nicht mehr versorgt werden können. Man steigt<br />

ins Basislager ab und hat zwei Tage Ruhe. Immer wieder wird<br />

die Geschichte der Expedition von Saler unterbrochen durch<br />

Beschreibung des Charakters der einzelnen Expeditionsteilnehmer,<br />

das macht der Autor sehr abwechslungsreich. Hier versteht<br />

er es gut, die Spannung aufrechtzuerhalten, auch weil die Le-<br />

22<br />

bensgeschichte der einzelnen Teilnehmer und ihr Charakter so<br />

unterschiedlich sind und man bei bereits Verstorbenen auch die<br />

Art und Hintergründe des Todes erfährt, den sie nicht nur am<br />

Nanga Parbat erfahren werden. Zwischen den Polen Reinhold<br />

Messner als bärbeißigen Dickhäuter und Felix Kuen, als den an<br />

schweren Depressionen Leidenden und sich später den Freitod<br />

Wählenden, bewegt sich das Spannungsfeld. Es muss teilweise<br />

dort ein „Vergnügen“ gewesen sein, mit am Frühstückstisch zu<br />

sitzen.<br />

Weiter verbeißt sich die Mannschaft in den Berg und das Lager<br />

drei wird eingerichtet, eine Eishöhle so groß wie ein kleines<br />

Wohnzimmer – getauft auf den Namen Eisdom. Mittels Seilwinden<br />

werden die Ausrüstungsgegenstände nach oben gezogen.<br />

Das ist eine schwere Arbeit, die täglich absolviert werden muss<br />

und vor der sich die Brüder Messner nach Meinung des Autors<br />

erfolgreich drücken. So gibt es im Text immer wieder Hinweise<br />

darauf, dass die beiden die berühmte Extrawurst gespielt haben<br />

und zum Schluss aber unter Umgehung der Pampelarbeiten auf<br />

dem Siegerpodest stehen wollten.<br />

Das Wetter verschlechtert sich und die Bauten am Lager<br />

vier müssen unterbrochen werden. Es kommt zu Schneefall und<br />

bei minus 20 Grad unter einem eingefallenem Zelt lebt es sich<br />

schlecht. Am anstrengendsten und unbeliebtesten bleibt das<br />

Hochkurbeln. Aber es ist die Voraussetzung für das Erreichen<br />

des Gipfels. So steigt man wieder einmal in das Basislager ab<br />

und erholt sich ein paar Tage. Doch dort ist es nicht viel besser,<br />

eine zwei Kilometer breite Lawine stürzt auf das Basislager


Abbildung: Das Lager vier an der Rupalwand des Nanga Parabat<br />

zu und alle laufen nervös hin und her, denn einen Rückzug gibt<br />

es nicht. Da kommt die Walze, aber es ist nur aufgewirbelter<br />

Schnee, die Walze selbst ist am Bergfuß liegengeblieben. Glück<br />

gehabt.<br />

Am 11. Juni ein neuer Versuch, man steigt wieder nach oben,<br />

doch hier beginnt nun, der erste zu erkranken und der viele unendlich<br />

viele Schnee zwingt die gesamte Mannschaft zurück ins<br />

Basislager zu gehen. Nun ist Frust angesagt.<br />

Am 18. Juni erneuter Versuch, in der Wand hochzusteigen.<br />

Lager zwei und drei waren vollständig verschüttet und mussten<br />

ausgegraben werden. Beim Hochsteigen ereignet sich ein Unfall,<br />

ein Träger rutscht ab, es gelingt aber Saler ihn zu halten nach<br />

einer Rutschfahrt von 150 Metern kurz vor einem Steilabgang<br />

zum Stehen zu kommen. Da ist man wie wiedergeboren. Weiter<br />

geht’s zu Lager vier, das nicht mehr gefunden und ein neues errichtet<br />

werden muss, wie sich später herausstellt hundert Meter<br />

weiter oben. Alle hoffen auf besseres Wetter, denn davon hängt<br />

letztlich die Besteigung ab.<br />

Wer geht zum Gipfel?<br />

Lager fünf, der letzte Stützpunkt vor dem Gipfel, bereits in<br />

der sogenannten Todeszone. Für alle Bergsteiger kam der Gipfel<br />

nicht in Frage, nicht weil sie konditionell schwächer waren<br />

als andere, sondern weil ihr Organismus sich nicht so gut an<br />

die Höhe anpassen konnte. Dies lässt sich nicht trainieren. Die<br />

auf Lager vier sich betätigten Bergsteiger gehörten zur engeren<br />

Auswahl für den Gipfel. Die massiven Konkurrenzen zwischen<br />

Kuen und Messner wurden immer heftiger. Messner war nicht<br />

bereit, Sicherungsarbeit zu leisten für jemanden, der als erster<br />

23


vor ihm zum Gipfel kam. Die Leute auf Lager fünf waren mit<br />

einem Funkgerät mit dem Expeditionsteilnehmer auf dem Basislager<br />

verbunden und es gab täglich Anweisungen des Expeditionsleiters<br />

Herrligkoffer. Den Wetterbericht, der immer wichtiger<br />

wurde, sendete Radio Peshawar täglich 18.00 Uhr für unsere<br />

Expedition. Es fehlten noch wichtige Ausrüstungsgegenstände,<br />

um den Gipfel überhaupt zu erreichen. Saler beschreibt, wie er<br />

diese noch aus Lager drei heranholt. Die letzte Nacht im Lager<br />

fünf war sehr anstrengend, Platzmangel und Muskelkrämpfe taten<br />

ein Übriges. Das Wetter schien zu halten. Messner begab sich<br />

allein auf den Weg. Die anderen waren froh, nochmal die Beine<br />

auszustrecken. Nun beginnt eine unendliche Fülle von Details<br />

in dem Buch, wer, was, wann gesagt, getan hat. Warum eine<br />

falsche Signalrakete gestartet wurde, worüber nach der Expedition<br />

ein Prozess geführt wurde. Das aufzufitzen führt hier zu<br />

weit. Auf mich wirkt das wie die Spannung in einem Rudel Wölfe<br />

kurz vor dem Erlegen eines Wildes, nach langer fleischloser Zeit.<br />

Sicher ist, dass Günther Messner seinem Bruder unvorbereitet<br />

nachgeklettert ist. Irgendwann hat er ihn eingeholt. Günther<br />

hatte aber nichts für ein Biwak dabei. Am 27. Juni ungefähr<br />

um 17 Uhr standen sie auf dem Gipfel des Nanga Parbat. Eine<br />

Stunde blieben sie oben, obwohl es schon spät war und sie für<br />

ein Biwak möglichst weit unten sein sollten.Hier fügt Saler einige<br />

Zitate von Reinhold Messner ein: „Sie glauben an diese<br />

hehre Bergkameradschaft? ... man stirbt für seinen Kameraden<br />

– fürchterlicher Kitsch. … Jeder von uns würde, wenn es hart auf<br />

hart kommt, den anderen liegen lassen…“ und Günther hatte<br />

wegen seines überstürzten Aufbruches nichts dabei…<br />

24<br />

Er entschließt sich, trotz der bekannten Gefahr eines Unwetters,<br />

angezeigt durch die rote Rakete vom Basislager , auf der<br />

Diamirseite abzusteigen, um ein neues Kapitel in der Geschichte<br />

des Nanga Parbat aufzuklappen. Saler verglich die Entscheidung<br />

Messners mit folgender Vorstellung: „Wenn ich ein Hochhaus<br />

von 100 Stockwerken über die Treppe hochsteige und mich davon<br />

sehr erschöpft fühle, dürfte ich normaler Weise keinen Anlass<br />

sehen, genau aus diesem Grund die Hausfassade als Abstieg<br />

zu wählen.“<br />

Nun wird es immer verwickelter. Beim Aufstieg der<br />

zweiten Mannschaft mit Felix Kuen und Peter<br />

Scholz kam es über eine Steilwand getrennt zu<br />

einem Sichtkontakt mit Reinhold Messner. Auf die Frage der<br />

beiden, ob alles O.K. sei, antwortete Reinhold Messner mit<br />

„Ja“. Von Günther war nichts zu sehen. Ein Wort hätte genügt<br />

und die zweite Mannschaft hätte geholfen. War zu diesem<br />

Zeitpunkt Günther noch am Leben? Die zweite Mannschaft<br />

erreicht den Gipfel einen Tag später, etwa um die gleiche Zeit.<br />

Sie stiegen zur Südspitze ab und hatten auch einen Rekord<br />

erreicht, die erste „Gesamtzeh-Besteigung“ des Nanga Parbat.<br />

„Sie waren die ersten, die ohne schwerste Erfrierungen<br />

und spätere Amputationen davonkamen“<br />

Nun geht der Autor auf die Möglichkeiten ein, wie Günther<br />

Messner umgekommen sein könnte. Er gibt drei Möglichkeiten<br />

an. Die wahrscheinlichste ist, dass Günther aus Erschöpfung den<br />

einfacheren Rückweg angestrebt hat und Reinhold aber allein<br />

die bisher unbegangene Überquerung des Nanga Parbat vollziehen<br />

wollte. Günther stürzte wahrscheinlich auf dem Weg zur


Rupalwand noch auf der Diamirseite ab. So ist auch der Verlust<br />

der Kameras zu erklären.<br />

Peter Scholz und Felix Kuen waren eher vom Gipfel wieder<br />

im Lager vier als die Messners, damit war allen klar, dass die<br />

Messners auf der anderen Bergseite abgestiegen waren. Sie<br />

galten nun als vermisst. Es gab zwei Routen, die sie wählen<br />

konnten, die Kinshofer-Route, wo sie nahe am Basislager herauskommen<br />

würden oder die Diamirseite, wo sie ungefähr 100<br />

km Talweg entfernt den Berg verlassen würden.<br />

Herrligkoffer bestand darauf, wegen der Messners die Expedition<br />

abzubrechen. Schon am nächsten Morgen sollten die<br />

gesamten Mannschaften in den Lagern abgezogen werden.<br />

Saler selbst verweigert den Befehl und wollte versuchen mit<br />

Gert Mändel durch erneuten Einstieg in die Merkl- Rinne die<br />

Messners aufzuspüren. Doch der Ausflug bringt nichts ein. Im<br />

Basislager hat man sich schon um Rettungstrupps bemüht. Ein<br />

Hubschrauber ist angefordert worden. So langsam tröpfeln die<br />

Bergsteiger aus der Wand. Bis auf Saler und Mändel sind alle<br />

schon im Basislager.<br />

Messner selbst erreicht eine Weide im Diamirtal mit einer<br />

Hütte. Dort bekam er von den Einheimischen etwas Nahrung<br />

und wurde weitergeführt zum nächstgrößeren Ort Diamiroi.<br />

Die Expedition war inzwischen aufgebrochen. Saler denkt immer<br />

wieder über sein Leben nach und darüber, was eigentlich<br />

die Bergsteigerei einbringt. Er kommt zu dem Schluss: „Solange<br />

wir existieren, unterliegen wir der Unvermeidbarkeit des<br />

Schicksals und dies spüren wir in dieser Wand mit jeder Faser<br />

unseres Seins.“ Am 4. Juli 1970 treffen sie Reinhold Messner<br />

wieder, Leute des APA-Chilas Huamar Beg haben ihn gefun-<br />

Abb. links: Das Lager 5 an der<br />

Rupalwand des Nanga Parabat,<br />

Abb. rechts oben: Das letzte<br />

Stück, Abb. rechts unten: Die<br />

Träger beim Abstieg<br />

den und versorgt. Schon jetzt ginge es an die Abarbeitung des<br />

Geschehenen und das nimmt dann zu Hause gewaltige Formen<br />

an und dauert dreißig Jahre an. Abschließend charakterisierte<br />

Saler Messner mit den Worten, der Beste aber auch der Lauteste<br />

und der Aggressivste seiner Zunft zu sein.<br />

Und er beschreibt ihn als medienwirksam auftretenden ersten<br />

Profiextrembergsteiger, dessen Zeit vorbei ist und der den<br />

jungen Platz machen muss, selbst nur alte Suppen aufkochen<br />

kann und diese durch immer neuere und abstrusere Behauptungen<br />

würzt.<br />

Ein interessantes und abwechslungsreiches Buch , das uns<br />

in eine unbekannte Welt der Alpinistik führt und in dem man<br />

erkennt, dass die Lauten einer Branche vielleicht die Besten sein<br />

können, dass es aber unmittelbar neben ihnen eine Menge Leute<br />

gibt, von den man nichts weiß, die aber Gleiches leisten.<br />

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