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"Ja, wenn das so ist, Herr Förster, ..." - Lebensräume brauchen Hüter -

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Oberkirchenrat i.R. Ludwig Große<br />

"<strong>Ja</strong>, <strong>wenn</strong> <strong>das</strong> <strong>so</strong> <strong>ist</strong>, <strong>Herr</strong> <strong>Förster</strong>, ..."<br />

- <strong>Lebensräume</strong> <strong>brauchen</strong> <strong>Hüter</strong> -<br />

Vortrag vor dem Thüringer Forstverein in Bösleben am 22. März 2007<br />

Versuch einer Anrede<br />

Stünde ich jetzt vor einem Konvent von Pfarrern und Pastorinnen wäre es selbstverständlich,<br />

Sie sehr familiär und außerdem evangelisch korrekt zu begrüßen:<br />

„Liebe Schwestern und Brüder!“<br />

Da hätten Sie sich wohl ein wenig gewundert.<br />

Wenn ich aber meine Aufgabe recht verstanden habe, wollen wir jetzt über<br />

<strong>Lebensräume</strong> und ihre Bewahrung. sprechen. Diese Aufgabe verbindet freilich<br />

nicht nur Forstleute und Gemeindepfarrer mit Verantwortung für Kirchenwald,<br />

<strong>so</strong>ndern die ganze Familie der Menschheit, die den Lebensraum Erde bewahren<br />

muss, <strong>wenn</strong> sie denn überleben will. In dieser Weltfamilie gehören wir alle<br />

zusammen - und deshalb nun doch:<br />

Liebe Schwestern und Brüder –<br />

in der Familie aller, die den Lebensraum Wald lieben und ihn lebensfähig an<br />

kommende Generationen weitergeben möchten.


Diesen Lebensraum teilen wir. In ihn bin ich hineingeboren. In ihm bin ich<br />

aufgewachsen - in Zeutsch an der Saale am Eingang des Hexengrundes.<br />

So wie die dunkle Kammlinie der Waldberge jenseits der Saale zu den ersten<br />

Eindrücken meiner Kindheit gehört, <strong>so</strong> auch <strong>das</strong> Rauschen der riesigen Fichten.<br />

am Pfarrhaus. Früh habe ich gelernt, an Kraft oder Klang ihres Rauschens zu<br />

erkennen, welches Wetter sich da ankündigte. Zwei mächtige Linden haben<br />

unsere Baumburgen aufgenommen und ausgehalten. Esche und Eiche<br />

nebeneinander vom Vater gepflanzt, ließen im Frühjahr den Sommer ahnen,<br />

denn: „Grünt die Esche vor der Eiche, gibt's im Sommer große Bleiche; grünt<br />

die Eiche vor der Esche, gibt's im Sommer große Wäsche“.<br />

Von alledem will ich jedoch nicht reden, wohl aber von meiner Erfahrung, <strong>das</strong>s<br />

<strong>Lebensräume</strong> verletzlich sind, auch <strong>wenn</strong> ihnen die Kraft von <strong>Ja</strong>hrhunderten<br />

innewohnt. '<br />

Die Buche<br />

Von der Buche will ich reden, nicht von Buchen überhaupt, <strong>so</strong>ndern von der<br />

einen die eben nur d i e Buche hieß. <strong>Ja</strong>hrhunderte hindurch war sie aufgewachsen<br />

- auf halbem Wege zwischen Zeutsch und Beutelsdorf. Mit mächtiger<br />

Krone schirmte sie den Eingang zum Hexengrund ab und öffnete ihn zugleich<br />

wie ein Tor, dahinter sich der „schönste Wiesengrund“ auftat, von den<br />

Waldkuppen der beiden „Culmsen“ eingehegt. Uns schien, die Buche habe es<br />

immer gegeben. Denn in ihren grauen Leib stand eingeschnitten: „Vive la<br />

France“! von durchziehenden Soldaten Napoleons hinterlassen. Und natürlich<br />

dachten wir, die Buche würde auch künftig hier stehen an der Abbruchkante der<br />

Straße zum Bache hinunter: Naturdenkmal und Geschichtszeuge zugleich, dem<br />

Vorübergehenden Schatten spendend zur Rast und zugleich ihn leise erinnernd,<br />

<strong>das</strong>s er als flüchtiger Wanderer nur eine kurze Zeit auf dem Wege sei.<br />

Wer aber aus dem Gleichgewicht eines gesunden Lebensraumes auch nur ein<br />

Element herauslöst, gefährdet ihn oder zerstört ihn gar.<br />

Als sich für die Menschen im Hexengrund der Traum erfüllte, endlich eine<br />

brauchbare Straße anstelle des ausgewaschenen Fuhrweges nutzen zu können,<br />

wurde der Wurzelgrund, von dem die Buche durch <strong>Ja</strong>hrhunderte gelebt hatte,<br />

versiegelt: Die Straße zwischen dem Graben am steilen Waldhang und dem<br />

Abbruchfels zum Bache hinunter. Nur zweihundert Meter Pflaster oder auch<br />

hundert hätten wohl genügt, dazu ein offengehaltener Sammelgraben zur<br />

Bergseite hin, und sie wäre weiteren Generationen Zeuge erlebter Geschichte<br />

und Rastplatz geblieben und Tor zum Hexengrund auch.<br />

Noch eine Weile hat sie sich gegen den schleichenden Tod gewehrt - indes die<br />

Hexengründler an ihr vorübersausten - mit Auto nun und in Gedanken schon<br />

weiter.


Dann wurde ihre Krone durchsichtig und ihr Laub welkte mitten im Sommer.<br />

Als sie fiel, lag ihr grauer Leib wie ein gestürzter Elefant im aufsprießenden<br />

Grün der Wiese am Wiedbache. Vorbei!<br />

<strong>Lebensräume</strong><br />

sind <strong>so</strong> verletzlich, weil sie viel mehr umfassen als einen Verwaltungsbezirk<br />

oder einen Wirtschaftsraum. Sie, als Forstleute und Revierleiter, stehen dafür<br />

ein, <strong>das</strong>s verantwortlich mit dem Wald umgegangen wird. Die Väter haben uns<br />

diesen Lebensraum anvertraut. Wir haben ihn eine Zeitlang gewissermaßen von<br />

den Enkeln geliehen und müssen ihn für sie bewahren. Das wissen Sie besser als<br />

ich. Und ich frage mich, was könnte einer, der von außen kommt, zu Ihren<br />

Erfahrungen und Ihrer Sicht schon be<strong>ist</strong>euern?<br />

Vielleicht wenigstens dies: Erfahrungen aus einem benachbarten und in<br />

manchem verwandten Bereich der Schöpfung Gottes, Einsichten aus dem<br />

Lebensraum Gemeinde. Auch eine Kirchgemeinde stellt einen Lebensraum von<br />

vielen Generationen dar. Sie <strong>ist</strong> einer Generation nur auf Zeit anvertraut und<br />

schon gar nicht uns Pfarrern zu eigen gegeben. Heutzutage aber steht die<br />

Gemeindestruktur <strong>so</strong> hart zur Disposition wie Ihr Lebens- und Verantwortungsraum<br />

als Vertreter des Gemeinschaftsforstamtes für alle.<br />

Und <strong>so</strong> möchte ich Ihnen drei Erfahrungen mit dem Lebensraum Gemeinde<br />

weitergeben, die auch für andere <strong>Lebensräume</strong> gelten könnten:<br />

1. Lebensraume <strong>brauchen</strong> <strong>Hüter</strong><br />

2. <strong>Lebensräume</strong> müssen erfahrbar und überschaubar bleiben<br />

3. Querschnittsteilungen können wie Querschnittslähmungen tödlich sein.<br />

1. <strong>Lebensräume</strong> <strong>brauchen</strong> <strong>Hüter</strong><br />

Wer <strong>Lebensräume</strong> von ihren Bezugsper<strong>so</strong>nen ablöst, nimmt dem Raum die<br />

lebendige Mitte. Ohne Per<strong>so</strong>nen, die zur Antwort verpflichtet, bereit und fähig<br />

sind, gibt es keine Verantwortung.<br />

Auf diese Einsicht stoßen wir bereits am Anfang der Bibel in der zweiten<br />

Schöpfungserzählung, der Ur-Kunde von der Beauftragung des Menschen:<br />

"Und Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, <strong>das</strong>s er ihn baue und<br />

bewahre." (1.Mose 2,15)<br />

Darin gleichen sich <strong>Förster</strong> und Pfarrer: Jeder von beiden vertritt einen ganze~<br />

Lebensraum und steht für ihn ein.<br />

Beide Strukturen - Parochie als Pfarrgemeinde und Revier als Lebensraum Forst<br />

sind seit <strong>Ja</strong>hrhunderten Bestandteil unserer Kultur und <strong>so</strong> auch in unsere<br />

Sprache und ihre Bildwelt eingegangen, selbst im Volkswitz für jeden<br />

verständlich.


Das deutete die provokante Überschrift schon an:<br />

„<strong>Ja</strong>, <strong>wenn</strong> <strong>das</strong> <strong>so</strong> <strong>ist</strong>, <strong>Herr</strong> <strong>Förster</strong>, stellen wir den Baum wieder in den Wald und<br />

den Hirsch wieder drunter.“<br />

In diesem einen, kurzen Satz <strong>ist</strong> eine dreifache Einsicht aufbewahrt:<br />

- Der <strong>Förster</strong> <strong>ist</strong> zuständig für alles, was mit Holz und Wald und Wild zu tun hat.<br />

- Er hat Kontrollfunktionen im Lebensraum Wald, an denen niemand<br />

vorbeikommt.<br />

- Und er nimmt Hoheitsrechte der Besitzer oder der öffentlichen Hand wahr, die<br />

bis vor kurzem noch mit der Waffe durchgesetzt werden durften und<br />

mancherorts noch <strong>so</strong> durchgesetzt werden.<br />

Davon gehen zum Beispiel unsere Volksmärchen selbstverständlich aus:<br />

In „Rotkäppchen und der Wolf“ erzählen die Gebrüder Grimm von dem Jäger,<br />

der als Retter auf den Plan tritt, nachdem der Wolf schon die Großmutter und<br />

<strong>das</strong> Rotkäppchen gefressen hat. Und dieser Retter <strong>ist</strong> natürlich der <strong>Förster</strong> -<br />

zumindest in allen Illustrationen unterschiedlichster Ausgaben bis heute<br />

erscheint er im grünen Rock und bringt die Ereignisse im Wald zum guten Ende.<br />

Mit dem Pfarrer geht der Volksmund vergleichbar als einer ganz selbstverständlichen<br />

Gestalt um:<br />

„Der liebe Gott <strong>ist</strong> überall - nur nicht in Pfarrers Hühnerstall“ hinterlassen Diebe<br />

auf einem Zettel und machen sich mit den Hühnchen davon. Selbst ihnen <strong>ist</strong> al<strong>so</strong><br />

klar:<br />

Wo es um den Pfarrer geht, hat man es irgendwie mit Gott zu tun.<br />

Und sie ahnen noch: Die Zehn Gebote kommen ins Spiel, wo geklaut wird.<br />

Und Gottes Hand reicht weiter als die seines Bodenper<strong>so</strong>nals: Er <strong>ist</strong> überall.<br />

Natürlich fällt einem auch der andere Satz ein:<br />

„Pfarrers Kinder, Müllers Vieh / gedeihen selten oder nie.“ Da <strong>ist</strong> schon deshalb<br />

etwas dran, weil Pfarrerskinder und Müllers Vieh be<strong>so</strong>nders genau beäugt<br />

werden. Ich weiß, was ich sage, denn ich bin in einem Pfarrhaus aufgewachsen.<br />

Beteiligte ich mich an den Streichen meiner Schulkameraden, hieß es im Dorfe:<br />

„Na guck dir den an, ausgerechnet den Paster seiner!“<br />

Beteiligte ich mich an zweifelhaften Unternehmungen aber nicht, musste ich<br />

hören:<br />

„Na, guck dir den an, ausgerechnet den Paster seiner! Der <strong>ist</strong> sich wohl zu fein<br />

für uns?“<br />

Ein Glück für uns Pfarrerskinder und für Müllersleute, <strong>das</strong>s der Satz noch<br />

weitergeht:<br />

„Wenn sie aber doch geraten, werden' s ganz be<strong>so</strong>ndere Braten!“<br />

(Ich hoffe nicht, <strong>das</strong>s Sie mich nur wegen dieses zweiten Satzes eingeladen<br />

haben.)


Nun aber ernsthaft:<br />

Wer aus <strong>Lebensräume</strong>n die Bezugsper<strong>so</strong>nen herauslöst, nimmt ihnen die Mitte<br />

und den Verantwortungsträger.<br />

Bisher <strong>ist</strong> unbestritten klar: Für Wald und Wild und Wildnatur steht der <strong>Förster</strong><br />

ein. In großen Bereichen seine Multiplikatoren mit Einblick, mit Orts- und<br />

Per<strong>so</strong>nenkenntnis, die ihm zuarbeiten und ihn vertreten. Aber beim <strong>Förster</strong><br />

laufen alle Linien zusammen, <strong>wenn</strong> nicht alles auseinanderlaufen <strong>so</strong>ll.<br />

Das gilt im Pfarrbereich nicht anders.<br />

Viele <strong>Ja</strong>hre während des zweiten Weltkrieges und danach hatte mein Vater zwei<br />

große Pfarrbezirke zu ver<strong>so</strong>rgen: Zeutsch mit Beutelsdorf und Niederkrossen im<br />

Saaletal und gleichzeitig „auf dem Gebirge“ Großkröbitz mit Kleinkröbitz,<br />

Milda, Meckfeld, Zimmritz und Rodias. Das konnte nur gelingen, weil es<br />

überall Multiplikatoren gab, die in seiner Abwesenheit Kirche vertraten und<br />

zuverlässig Zuarbeit le<strong>ist</strong>eten. Aber beim Vater liefen alle Linien zusammen und<br />

er hatte für alles den Kopf hinzuhalten. Auch für den Kirchenwald. Zum Glück<br />

für ihn und uns arbeitete da ein liebenswerter und zuverlässiger Waldpfleger, der<br />

alte <strong>Herr</strong> Leidiger, der sich auskannte. Er ging treuhänderisch mit allem um, was<br />

Pfarrholz und Kirchenwald betraf. Er hat uns in den Notwintern 1946/1947 <strong>das</strong><br />

Leben gerettet mit einer überständigen und sturmgefährdeten Eiche, als<br />

wochenlang Temperaturen unter zwanzig Grad auszuhalten waren und <strong>das</strong> Eis<br />

an den Wänden des Wohnzimmers glitzerte. Und ein Sägespänofen, gefüllt mit<br />

Spänen aus dem nahen Sägewerk, tat <strong>das</strong> Übrige.<br />

Einer muss für <strong>das</strong> Ganze gerade stehen. Diese per<strong>so</strong>nale Letztverantwortung<br />

gilt auch für unsere landeskirchliche Forstverwaltung in Thüringen. Zwar hat<br />

Kirchenforstme<strong>ist</strong>er Möller nach 1990 die Struktur der kirchlichen Revierleiter<br />

abgelöst, und die Betroffenen zume<strong>ist</strong> in den Staatsdienst überführt. Es hat sich<br />

aber seither im Lande herumgesprochen, <strong>das</strong>s für die landeskirchlichen und<br />

kirchgemeindlichen Forsten immer noch Per<strong>so</strong>nen zuständig sind und<br />

Ansprechpartner bleiben: Frau Kirchenoberforsträtin Biehl und <strong>Herr</strong> Spinner im<br />

Landeskirchenamt und unterwegs. Geht es um Kirchen- oder Pfarreiwald, sind<br />

sie anzurufen.


Daraus folgt eine zweite Einsicht, die für Forst und Kirchgemeinde gleichermaßen<br />

gilt:<br />

2. <strong>Lebensräume</strong> müssen erfahrbar und überschaubar bleiben<br />

Verwaltungsbezirke und Wirtschaftsregionen können ziemlich groß werden,<br />

ohne Schaden zu nehmen. Ein Lebensraum aber muss immer noch als Ganzes,<br />

als „Revier“ erlebt werden können.<br />

Auch in dieser Hinsicht gibt es Parallelen zwischen Ihren Strukturveränderungen<br />

und denen in der Ev.-Luth. Kirche in Thüringen: 800 Pfarrstellen<br />

wurden auf 400 zurückgekürzt, die Superintendenturen (Kirchenkreise) von 42<br />

auf 18. ABER:<br />

Man muss noch miteinander leben und voneinander wissen, um füreinander<br />

einstehen zu können.<br />

Fallbeispiel: Wird ein Pfarrkonvent <strong>so</strong> groß, <strong>das</strong> nur noch Informationen<br />

entgegengenommen und dienstliche Verabredungen getroffen werden können,<br />

findet Zusammenarbeit nicht mehr statt. Synergieeffekte aber gibt es nur, wo<br />

Zusammenarbeit geschieht. Denn der Begriff „Synergie“ kommt vom<br />

griechischen Wort „synergein“. Das aber heißt „zusammenarbeiten“.<br />

Wird ein Lebensraum überdehnt (ein Pfarramtsbereich z.B. auf 12 Kirchdörfer)<br />

und kann sich die Gemeinschaft derer, die darin Verantwortung tragen, nicht<br />

mehr als Gemeinschaft erfahren, fühlen sich Schwächere rasch i<strong>so</strong>liert und<br />

werden entmutigt, statt die Hilfe der Stärkeren zu erfahren.<br />

Das gilt für unsere Forsten z.B. in Katastrophenfällen: Stürme machen an Besitz<br />

und Reviergrenzen nicht halt und nur in gemeinsamer Anstrengung über<br />

Zuständigkeitsgrenzen hinweg können ihre Folgen bewältigt werden.<br />

(Dabei lässt sich die Geschichte zuweilen merkwürdige Spielchen einfallen:<br />

Vor mehr als tausend <strong>Ja</strong>hren gestaltet der Mönch Kyrill mit seinem Glaubensbruder<br />

Methodius eine eigentümliche Schrift, damit für die slawischen Völker<br />

Bücher geschrieben und später gedruckt werden können, die zum Leben helfen.<br />

In unseren Tagen kommt der Orkan „Kyrill“ daher und bringt Heere von<br />

„Buchdruckern“ in Bewegung, die mit ihren seltsamen Schriftmustern <strong>das</strong><br />

Leben gefährden.)<br />

Selbst im Zeitalter von Telefon, Fax und e-mail muss ein Lebensraum noch als<br />

Ganzes wahrnehmbar bleiben und in seiner Gefährdung oder Stabilisierung für<br />

eine Per<strong>so</strong>n und für Gruppen als Einheit erkennbar sein. Es müssen Ertragszeiten<br />

und Katastrophen, Gewinne und Arbeitsanstrengungen als Gemeinsames,<br />

als Verbindendes erlebt werden können. Sonst droht Zerfall.


Zum Beispiel hinsichtlich der Lebensgrundlagen aller:<br />

Der Klimawandel (ehrlicher wäre, von Klimakatastrophe zu sprechen) kann<br />

durch voneinander getrennte Res<strong>so</strong>rts nicht aufgefangen werden. Nur wer <strong>das</strong><br />

Ganze sieht, <strong>ist</strong> in der Lage, Gesamtverantwortung in Einzelschritten wahrzunehmen.<br />

Zum Beispiel in kirchlicher Raumordnung: Superintendentur Saalfeld.<br />

Im Rahmen der (vor allem aus finanziellen Gründen betriebenen) landeskirchlichen<br />

Strukturreform wurden die beiden Superintendenturen (Kirchenkreise)<br />

Rudolstadt und Saalfeld zusammengelegt. In Wahrheit bedeutete <strong>das</strong><br />

nach früher schon erfolgten Fusionen, aus ehemals fünf Superintendenturen<br />

(Saalfeld mit Leutenberg und Gräfenthal und Rudolstadt mit Königsee) eine<br />

einzige zu machen.<br />

Der befürchtete Zerfall trat bald ein.<br />

Weil Gemeinden und ihre Pfarrer vom Rennsteig bis ins Mittlere Saaletal, von<br />

Oberweißbach bis Altenbeuthen im Schleizer Oberland nicht mehr Freude und<br />

Be<strong>so</strong>rgnis, Frust und Beglückung teilen können, fällt die Gruppe auseinander:<br />

Zwei Kirchenchortreffen statt eines gemeinsamen werden organisiert, zwei<br />

Jugend<strong>so</strong>nntage, ja <strong>so</strong>gar zwei Kirchenältestentage finden statt. Zwei Oberpfarrer<br />

(Stellvertreter des Superintendenten) werden gewählt, weil einer nicht<br />

,,rumkommt“. Und wo bleibt da der gepriesene Einsparungseffekt?<br />

Im Übrigen hat <strong>das</strong> Monstergebilde in fünfzehn <strong>Ja</strong>hren fünf Superintendenten<br />

verbraucht, während der letzte Superintendent vor der Umstrukturierung achtzehn<br />

<strong>Ja</strong>hre hindurch die Geschicke des Kirchenkreises leitete.<br />

Der Einwand lauert schon: Was <strong>das</strong> kostet! Wir müssen sparen und deshalb<br />

vereinfachen, zusammenziehen, fusionieren!<br />

Das stimmt nur, <strong>wenn</strong> kurzatmiges Rentabilitätsdenken an die Stelle von<br />

Zukunftsverantwortung tritt. Denn <strong>das</strong> Ziel muss über alle kurzschlüssigen<br />

Finanzerwägungen hinaus unverrückbar lauten: Lebensraum auf Zukunft<br />

bewahren oder mit einem der Forstwirtschaft entwachsenem Begriff:<br />

<strong>Lebensräume</strong> <strong>so</strong> nachhaltig gestalten, <strong>das</strong>s sie lebensfähig bleiben.<br />

Und der Gewinn wird alle errechenbaren Summen übersteigen, weil er sich in<br />

Geldsummen gar nicht erfassen lässt:<br />

Bewahrtes Leben in lebensangemessenen Räumen.


Deshalb eine dritte Einsicht:<br />

3. Querschnittaufteilungen können als Querschnittslähmungen tödlich<br />

sein.<br />

Durch Ausgliederungen von Teilbereichen und deren Übertragung an Dritte<br />

wird der Eindruck erweckt, man könne <strong>Lebensräume</strong> beliebig zerteilen und in<br />

Stücke schneiden, um Kosten zu sparen.<br />

Wenn es aber stimmt, <strong>das</strong>s <strong>Lebensräume</strong> Organismen sind, dann halten sie<br />

zergliedernde Einschnitte nur bis zu einem gewissen Grade aus. Allzu grobe<br />

Neuzuschnitte von Organismen heißen Vivisektion - sezieren am lebendigen<br />

Leibe. Vivisektion aber <strong>ist</strong> in der Medizin grundsätzlich verboten und bedeutet<br />

fast immer den Verlust des Lebens.<br />

Querteilungen verunklaren Zuständigkeiten oder heben sie auf: Im schlimmsten<br />

Falle fühlt sich niemand mehr verantwortlich.<br />

Lebendige Zusammenarbeit <strong>ist</strong> nicht gegen bezahlte Ersatzle<strong>ist</strong>ungen<br />

austauschbar. Denn beispielsweise die Gefährdung ganzer Bereiche wird nicht<br />

ausgegliederten Sektoren bewusst, <strong>so</strong>ndern allein den Menschen, die <strong>das</strong> Ganze<br />

noch im Blick und auf ihrem Herzen haben.<br />

Stellen wir uns nur einen Augenblick lang vor, Forstverantwortung würde ab<br />

<strong>so</strong>fort ausschließlich unter dem Gesichtspunkt heute messbaren finanziellen<br />

Ertrages betrieben, etwa nach dem mörderischen Grundsatz: Nur, was sich<br />

rechnet, <strong>ist</strong> vertretbar. Dann könnten wir Wälder und Forsten bald nur noch in<br />

Bildbänden im Regal oder auf Schautafeln in Museen bewundern.<br />

Die Manie, alle Bereiche zu anonymisieren - Zitat: „Der Beleg wurde<br />

maschinell erstellt und wird nicht unterschrieben“ - führt zu irrationalen<br />

Zuständen, wie sie Franz Kafka in seinen Romanen und Erzählungen beinahe<br />

prophetisch beschrieben hat. Niemand <strong>ist</strong> zuständig und keiner verantwortlich.<br />

Der suchende Mensch verliert sich in Gängen und leeren Korridoren, steht vor<br />

Türen, die nirgends hinführen oder sich gar nicht öffnen lassen. Er wird<br />

angeklagt und schuldig gesprochen, weiß aber nicht von wem und warum und<br />

findet keinerlei Chance, sich zu rechtfertigen.<br />

Lassen Sie sich von niemand einreden, <strong>das</strong> werde auf Dauer rentabler und<br />

funktioniere besser. Wahr <strong>ist</strong>: Gelebte Verantwortung und verantwortliches<br />

Leben bleiben dabei auf der Strecke!


Fragen wir zum Schluss: Was <strong>ist</strong> zu tun? Was kann überhaupt noch getan<br />

werden?<br />

Darauf möchte ich mit einem Doppelsatz antworten, der im Bund unserer<br />

evangelischen Kirchen in der DDR in den siebziger <strong>Ja</strong>hren entstand und uns in<br />

Konflikten um öffentliche Verantwortung sehr geholfen hat. Nach meiner<br />

Überzeugung gilt er in jedem Augenblick, wo der nächste Schritt getan werden<br />

muss und wir nicht genau wissen, welche Richtung einzuschlagen sei:<br />

„Alles, was dem Leben dient, bejahen wir und werden es unterstützen; alles, was<br />

dem Leben schadet oder es zerstört, lehnen wir ab und werden widerstehen.“<br />

Kann <strong>das</strong>, gelingen? Sind wir als Einzelne - Forstleute im grünen Rock und<br />

Ge<strong>ist</strong>liche im dunklen Talar, al<strong>so</strong> einfache Menschen wie Sie und ich - dazu in<br />

der Lage? Werden die Kräfte, die uns gegeben sind, ausreichen?<br />

Ich denke: <strong>Ja</strong>! <strong>wenn</strong> wir eine Einsicht gelten lassen, die in schwierigen, aber<br />

gesegneten <strong>Ja</strong>hren eines aufreibenden Dienstlebens gewonnen wurde:<br />

Wer sich wirklich für die Erhaltung des Lebens einsetzt und sein Leben dafür<br />

verbraucht, der hat den Schöpfer, hat in ihm <strong>das</strong> Leben selbst an seiner Seite und<br />

wird die Kraft empfangen, die er braucht.<br />

Lassen Sie es darauf ankommen und versuchen Sie es einfach. Ich wünsche<br />

Ihnen dabei gute Erfahrungen!<br />

Ludwig Große

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