Vollversion (8.77) - Forschungsjournal Soziale Bewegungen
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2<br />
Editorial<br />
In Amt und Ehren?<br />
Zukunft bürgerschaftlichen Engagements<br />
Nicht erst seit den bekannt gewordenen finanziellen<br />
Machenschaften der CDU ist eine allgemeine<br />
Unzufriedenheit über ,die Politik'<br />
auszumachen. Dieser gegenwärtige Verdruss<br />
geht Hand in Hand mit einem schon länger zu<br />
konstatierenden Desinteresse an traditionellen<br />
Organisationen wie Parteien, Verbänden,<br />
Gewerkschaften, aber auch den Kirchen, mit<br />
ihren klassischen formalen Strukturen und Mitgliedschaften.<br />
Im Gegensatz zur Distanz zu<br />
den traditionellen Organisationen ergibt sich<br />
mit Blick auf die Bereitschaft zum Engagement<br />
in der Bevölkerung ein anderes Bild.<br />
Sie ist nach den neuesten Erhebungen größer<br />
als bislang vermutet (siehe den Beitrag von<br />
Helmut Klages). Die Befunde zeigen, dass<br />
Bürgerinnen und Bürger ihre Anliegen zunehmend<br />
in die eigenen Hände nehmen (wollen)<br />
(zu den geschlechtsspezifischen Selektivitäten<br />
des Engagements der Beitrag von Gisela<br />
Notz). Ein auf Parteien und Verbände reduziertes<br />
Politikverständnis kann die vielfältigen<br />
Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements<br />
nicht angemessen berücksichtigen. Offenbar<br />
sind „die eingespielten Abgrenzungen<br />
von privat/öffentlich, politisch/sozial, kulturell/ökonomisch<br />
(...) durch die aktiven Bürgerinnen<br />
und Bürger herausgefordert worden.<br />
Vormals Unpolitisches gerät zum politischen<br />
Konflikt, vormals Privates erhält öffentliche<br />
Aufmerksamkeit" (Roth 1999a).<br />
Unter diesen herausfordernden Voraussetzungen<br />
bedarf es neuer vermittelnder Strukturen,<br />
die auf das Engagementpotential angemessen<br />
reagieren: Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros<br />
oder Selbsthilfekontaktstellen operieren<br />
in diesem intermediären Raum (mit dem<br />
Augenmerk auf Freiwilligenagenturen diskutieren<br />
Gisela Jakob und Heinz Janning diesen<br />
Aspekt)<br />
Forschunpsjournal NSB, Jg. 13, Heft 2, 2000<br />
Die Diskussion um das bürgerschaftliche Engagement<br />
hat Konjunktur (für einen Überblick<br />
über Motiv- und Interessenlagen des Engagements<br />
Kistler et al. 1999). Aus den Debatten<br />
wird deutlich, dass es sich um einen, mehrdeutigen,<br />
programmatischen Arbeitsbegriff' handelt.<br />
Er umfasst die freiwillige bzw. ehrenamtliche<br />
Wahrnehmung öffentlicher Funktionen,<br />
klassische und neue Formen des sozialen Engagements,<br />
der gemeinschaftsorientierten,<br />
moralökonomisch bzw. von Solidarvorstellungen<br />
geprägten Eigenarbeit und der gemeinschaftlichen<br />
Selbsthilfe (Roth 1999a).' In die<br />
Diskussion gehen von wissenschaftlicher Seite<br />
u.a. Untersuchungen zum ehrenamtlichen<br />
Engagement, Ergebnisse der Vereinsforschung,<br />
der Dritte-Sektor-Forschung, der Wertewandel-Forschung<br />
und der Forschungen zu den<br />
neuen sozialen <strong>Bewegungen</strong>, um die es in den<br />
90er Jahren ruhiger geworden ist, ein. Es bestehen<br />
Bezüge zu Diskussionen, die unter den<br />
Stichworten Bürgerinitiativen', .Selbsthilfe'<br />
oder ,mehr Demokratie wagen' seit den 70er<br />
Jahren geführt worden sind und unter den Bezeichnungen<br />
Kommunitarismus, Zivilgesellschaft<br />
und ,soziales Kapital' fortgesetzt werden.<br />
Trotz dieser Vieldeutigkeit gibt es einen gemeinsamen<br />
Bezugspunkt, der im Begriff des<br />
bürgerschaftlichen Engagements zum Ausdruck<br />
kommt: Innerhalb der Variationsbreite<br />
der genannten Facetten trägt bürgerschaftliches<br />
Engagement zu den demokratischen Qualitäten<br />
der Gesellschaft bei. Gegen eine lange<br />
etatistische Tradition gewandt, bedeutet die<br />
Wiederentdeckung der aktiven Bürgerin und<br />
des aktiven Bürgers für die politische Kultur<br />
der Bundesrepublik einen Gewinn. In den zivilgesellschaftlichen<br />
Räumen (zur Bürgergesellschaft<br />
siehe den Beitrag von Warnfried<br />
Dettling) entsteht eine Praxis des Engagements<br />
jenseits privater Interessen und Bindungen,<br />
das auf das Gemeinwesen bezogen ist und