Konturen 1-06.indd - FB Sozialwesen / FH Jena - Fachhochschule ...
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A k t u e l l Sozialrecht<br />
wenn ein Betriebswirt eine sozialpädagogisch geschulte Fachkraft zum<br />
Betreuten schickt, weil der Betreute dann ein fachlich besser geführtes<br />
Gespräch erhält. Das Gesprächsergebnis wird anschließend vom Vermögensspezialisten<br />
umgesetzt. Dieses Szenario ist auch gut vorstellbar,<br />
weil das 2. BtÄndG die gleichzeitige Bestellung von Berufsbetreuern in<br />
unterschiedlichen Aufgabenfeldern nicht mehr zulässt (§ 1899 BGB).<br />
Im Rückgriff auf die ‚rechtliche Besorgung‘ der Betreutenangelegenheiten<br />
werden Berufs- und Vereinsbetreuer auch leicht darstellen können,<br />
dass der Kontakt durch einen Besuchsdienst des Betreuers nicht<br />
betreuungsrechtlichen Funktionen sondern zur Pflege der Sozialbeziehung<br />
zum Betreuten dient. In Berlin sollen bereits mehrere Besuchsdienste<br />
als selbständige Ich-AGs für Berufsbetreuer unterwegs sein. Im<br />
Sinne des 2. BtÄndG dürften gegen eine solche Praxis keine Bedenken<br />
bestehen, weil der Betreuer nur für die rechtliche und nicht die soziale<br />
Besorgung der Betreutenangelegenheiten zuständig ist (Maier 2005).<br />
Die neuen Delegationsmöglichkeiten lassen Zusammenschlüsse von<br />
Berufsbetreuern zu Kanzleigemeinschaften noch sinnvoller erscheinen.<br />
Man vertritt sich dann gegenseitig nicht nur bei tatsächlicher<br />
Verhinderung, sondern auch im laufenden Betrieb. Gegenüber den<br />
Kooperationspartnern in Behörden und Einrichtungen lässt es sich aus<br />
qualitätskosmetischen Erwägungen auch besser darstellen, wenn nicht<br />
eine untergeordnete Hilfskraft sondern ein ‚vertretender Betreuer‘ als<br />
Gesprächspartner auftritt. Der Gesetzgeber hat auf eine eindeutige<br />
Grenzziehung der zulässigen Vertretung verzichtet und glaubt, man<br />
könnte „erhebliche Synergieeffekte erzielen, wenn ein Betreuer, der<br />
ohnehin einen Termin - etwa beim Sozialamt - wahrnehmen muss,<br />
gleichzeitig die Angelegenheiten mehrerer Betreuer erledigt.“ Es ist<br />
jedoch praktisch kaum machbar, dass ein vertretender Berufsbetreuer<br />
eine Suchteinrichtung besucht und mit dem Team eine Besprechung<br />
hält, ohne mit dem Betreuten in Kontakt zu treten. Eine solche ‚Arbeitsteilung‘<br />
ist dem Betroffen auch nicht vermittelbar.<br />
Suchteinrichtungen müssen Grundsätze für die Zusammenarbeit<br />
mit Berufsbetreuern formulieren.<br />
In der Vergangenheit ging es häufig um die Frage, was ein Betreuer selbst<br />
erledigen darf, damit er nicht zu viel macht und zu teuer wird (vgl. Abb. 7).<br />
Abb. 7: Vor dem 2. BtÄndG tendierten die Berufsbetreuer zur „Überbetreuung“.<br />
Zukünftig wird es vielmehr um die Frage gehen, was er unbedingt<br />
machen muss (Lüttgens 2005), damit er nicht zu wenig für seine<br />
Pauschale und den Betreuten leistet (vgl. Abb. 8). An diesem Punkt<br />
werden die Suchthilfeeinrichtungen mit den Betreuern einvernehmliche<br />
Grundsätze formulieren müssen. Die Gerichte haben hierzu noch keine<br />
Erfahrungen. Die Rechtspfleger sind derartigen Konflikten bislang<br />
KoNTUREN<br />
– 28 1-2006<br />
Abb 8: Mit dem 2. BtÄndG wird es eher zur „Mangelbetreuung“ kommen.<br />
nicht ausgesetzt gewesen und zukünftig wohl auch nicht gewachsen.<br />
Vor dem Hintergrund der ursprünglichen Intention des Betreuungsrechts<br />
sollte als Kriterium für Delegationsgrenzen zunächst bestimmt<br />
werden, was für den Betreuten ‚wichtige Angelegenheiten‘ sind. Denn<br />
der Betreuer muss sie persönlich mit dem Betreuten besprechen: „Ehe<br />
der Betreuer wichtige Angelegenheiten erledigt, bespricht er sie mit<br />
dem Betreuten, sofern dies dessen Wohl nicht zuwiderläuft“ (§ 1901<br />
BGB). Die Definition wichtiger Angelegenheiten sollten sich weder<br />
der Betreute noch die Einrichtung aus der Hand nehmen lassen. Zur<br />
weiteren Orientierung dienen die Entscheidungsbefugnis und eindeutige<br />
Betreuungsverantwortung, die allein beim Betreuer liegen und von<br />
ihm nicht delegiert werden können (BayObLG 2003) Das wichtigste<br />
Kriterium einer zulässigen Delegation von Betreueraufgaben sollte<br />
in einer Suchthilfeeinrichtung aber die therapeutische Perspektive<br />
des Betreuten sein. Betreuter und Therapeuten brauchen dazu einen<br />
eindeutigen Ansprechpartner, zu dem eine vertrauensvolle Beziehung<br />
aufgebaut werden kann. Schließlich sollten Einrichtungen zukünftig<br />
genau dokumentieren, ob der Berufsbetreuer durch seine Delegationspolitik<br />
wirklich dazu beiträgt, „die Krankheit oder Behinderung des<br />
Betreuten zu beseitigen, zu bessern, ihre Verschlimmerung zu verhüten<br />
oder ihre Folgen zu mildern“ (§ 1901 Nr. 4 BGB). Denn dazu ist er<br />
nach dem Betreuungsgesetz wortwörtlich verpflichtet. Dieser gesellschaftliche<br />
Auftrag an den Betreuer ist auch nicht verhandelbar!<br />
Kontak t:<br />
Prof. Dr. Reiner Adler<br />
<strong>Fachhochschule</strong> <strong>Jena</strong> • Fachbereich <strong>Sozialwesen</strong><br />
Post fach 10 0 314 • 07 70 3 <strong>Jena</strong><br />
Tel. 0 3641/20 58 0 0 • Fax 0 3641/20 58 01<br />
E-Mail: reiner.adler@fh-jena.de<br />
Prof. Dr. Reiner Adler<br />
Angaben zum Autor:<br />
Nach dem Studium der Verwaltungswissenschaften war Prof. Adler<br />
zunächst Referent der Geschäftsleitung bei der Daytop gGmbH und<br />
Geschäftsführer des europäischen Suchthilfeverbands EFTC (European<br />
Federation of Therapeutic Communities). Nach einer mehrjährigen Praxis<br />
als Berufsbetreuer, Trainer und Berater für Sozialeinrichtungen lehrt<br />
und forscht er seit 1999 an der <strong>Fachhochschule</strong> <strong>Jena</strong> zum Sozialmanagement,<br />
insbesondere zum Qualitätsmanagement sozialer Dienstleistungen.