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Konturen 1-06.indd - FB Sozialwesen / FH Jena - Fachhochschule ...

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und Qualität seiner Leistungen im Sinne des Betreuten maximiert.<br />

Die Konstrukteure des Reformpakets legen die Anwendung des<br />

Minimalprinzips (Schierenbeck 2000) nahe unter der Fragestellung:<br />

„Wie kann die Betreuungsarbeit rationalisiert werden und damit Zeit<br />

beziehungsweise Geld eingespart werden, ohne dass dies zu Lasten<br />

der Betroffenen geht?“ (Maier 2005). Die vorhandene Betreuungsqualität<br />

wird demnach als Status Quo definiert, anschließend kann<br />

der erforderliche Ressourceneinsatz minimiert werden. Hier wird<br />

stillschweigend davon ausgegangen, dass das Betreuungsrecht die<br />

erforderlichen Qualitätskriterien (z. B. Besprechungspflicht, persönliche<br />

Betreuung, Beitrag zur Rehabilitation etc.) operationalisiert<br />

bereitstellt. Da es sich dabei um unbestimmte „Blankoetiketten zur<br />

beliebigen Beschriftung“ (Pardey 1989) handelt, kann jeder Betreuer<br />

anhand seiner ökonomischen Zielstellungen die Betreuungsqualität<br />

solange senken, wie es nicht zu einer Belastung des Betreuten<br />

kommt. Unter dem Minimalprinzip betreuerischer Arbeit bieten sich<br />

für den ökonomisch handelnden Berufsbetreuer vor allem die zwei<br />

Strategien ‚Delegation‘ und ‚Konzentration‘ an. Diese sollten von<br />

stationären Suchthilfeeinrichtungen in ihren Auswirkungen kritisch<br />

beobachtet und kontrolliert werden.<br />

Betreuer werden Klienten in Einrichtungen konzentrieren.<br />

Als Konzentrationsstrategie werden Berufsbetreuer versuchen, möglichst<br />

viele Betreute in die gleiche Einrichtung zu verlegen. Als Auswahlkriterien<br />

dienen kurze Anfahrtswege, kurze Besprechungszeiten,<br />

Übernahme von betreuerischen Aufgaben oder eine geringe Verlegungs-<br />

und Therapieabbruchsbereitschaft der Einrichtung. Dadurch<br />

erspart sich der Betreuer viele Besprechungs- und Anfahrtszeiten<br />

sowie Anfahrtskosten. Im schlimmsten Fall würde ein Berufsbetreuer<br />

die persönliche Betreuung in der Einrichtung nur noch inszenieren,<br />

beispielsweise indem mehrere Betreute in eine ‚Gruppenbesprechung‘<br />

geladen werden oder durch eher symbolhaftes Erscheinen mit<br />

möglichst großer Erinnerungswirkung. Suchthilfeeinrichtungen sollten<br />

also bei Verlegungswünschen durch den Betreuer die therapeutischen<br />

Aspekte und Konsequenzen klären und ggf. beim Vormundschaftsgericht<br />

intervenieren, wenn der Betreuer seine ökonomischen<br />

Ziele gegenüber dem Wohl des Betreuten zu priorisieren versucht.<br />

Gleichfalls sollte zwischen Einrichtung, Betreuer und dem Betreuten<br />

eine gemeinsame Qualitätspolitik für Betreuerbesprechungen zum<br />

gegenseitigen Nutzen entworfen werden.<br />

Klienten und Einrichtungen werden mehr Aufgaben der<br />

Betreuer übernehmen müssen.<br />

Als Delegationsstrategie wird es für Berufsbetreuer künftig Sinn<br />

machen, Aufgaben und Tätigkeiten an Hilfspersonal, an die Betreuten<br />

oder die unterbringende Suchthilfeeinrichtung zu vergeben: „Delegation<br />

rechnet sich künftig für jede Tätigkeit, die der Betreuer günstiger einkaufen<br />

kann als es ihn kommt, sie selbst zu erledigen“ (Lüttgens 2005).<br />

Aus therapeutischer Sicht besonders beachtenswert sind Versuche, früher<br />

vom Betreuer vorgenommene Aufgaben nun an den Betreuten zu delegieren<br />

(freilich unter dem Deckmantel der ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘). Dafür<br />

bieten sich alle Tätigkeiten mit einem hohen symbolischen Charakter<br />

an, die in den früheren Betreuerabrechnungen überbewertet dargestellt<br />

und abgerechnet werden konnten (z. B. Kontakte mit wichtigen<br />

Institutionen und Professionen, Arztbesuche, Behördengänge, Bankgeschäfte<br />

etc.). In vielen Fällen werden alle Beteiligten zwar froh sein,<br />

wenn es nicht mehr zur sinnlosen Überbetreuung kommt. Die Suchthilfeeinrichtungen<br />

sollten aber genau beobachten, ob die vom Betreuer<br />

nun plötzlich eingeräumte Möglichkeit zur eigenständigen Abhebung<br />

von Bargeld am Geldautomat für den Betreuten wirklich ein Fortschritt<br />

oder eher ein Risiko bedeutet.<br />

Vermehrter Einsatz von Hilfskräften und Besuchsdiensten<br />

im Auftrag des Betreuers<br />

Eine weitere Möglichkeit der Delegation ergibt sich, wenn Berufsbetreuer<br />

die seit 1998 im Gesetz formulierte Konkretisierung auf die<br />

„rechtliche Besorgung“ wörtlich nehmen. Im strengen Sinn bliebe es<br />

beispielsweise nur noch Aufgabe des Betreuers, einen Sozialleistungsantrag<br />

zu unterschreiben. Die konkrete Antragstellung mit Informationssammlung<br />

und Papierarbeit wäre nach dieser Interpretation die<br />

Aufgabe der Sozialdienste in den Einrichtungen. Schließlich eröffnet<br />

das 2. BtÄndG einer bislang weitgehend ausgeschlossenen Form der<br />

Delegation neue Möglichkeiten: Berufsbetreuer können Aufgaben und<br />

Tätigkeiten nun an andere Betreuer oder an Hilfspersonal übertragen.<br />

Bislang lohnte sich der Einsatz von Hilfspersonal nicht, da der Berufsbetreuer<br />

nur die konkreten Kosten als Aufwand abrechnen konnte.<br />

Außerdem kollidierte der Einsatz von Hilfskräften mit dem Grundsatz<br />

der persönlichen Betreuung. Manche Gerichte wollten damit nicht<br />

einmal die Erledigung eines einfachen Briefes oder Gesprächs durch<br />

eine Hilfskraft des Betreuers übereinstimmen lassen (OLG Frankfurt/<br />

M. 2004). Beide Aspekte sind heute nicht mehr relevant: Ob der pauschal<br />

vergütete Betreuer die Betreuungsleistungen persönlich oder in<br />

Vertretung erbringt ist grundsätzlich egal. Das Vormundschaftsgericht<br />

kann das nicht mehr kontrollieren und korrigieren, da die Informationsbasis<br />

fehlt. Die „Pauschale ist fest, egal ob eine Hilfskraft eingesetzt<br />

wurde oder nicht. Der Betreuer muss dies nicht offen legen. (...) Die<br />

Delegation von Betreuungstätigkeiten ist also künftig ein lukratives<br />

Geschäft. (...) Ihr Umfang wird daher erheblich zunehmen“ (Maier<br />

2005). Das Betreuungsgesetz fordert zwar, dass im bestellten Aufgabenkreis<br />

persönlich zu betreuen ist, um eine anonyme Massenverwaltung<br />

zu verhindern. Außerdem sollen wichtige Angelegenheiten vor<br />

der Besorgung mit dem Betreuten besprochen werden. Das verbietet<br />

dem Berufsbetreuer aber nur, die Betreuungsaufgaben vollständig auf<br />

andere zu übertragen. Berufsbetreuer werden zukünftig keinen Hinderungsgrund<br />

im Gesetz sehen, untergeordnete Tätigkeiten an Hilfspersonal<br />

abzugeben und dessen Kontakte mit Betreuten, Behörden oder<br />

Einrichtungen zu unterbinden, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist.<br />

Von der persönlichen zur virtuellen Betreuung: Klienten<br />

und Einrichtungen haben das Nachsehen.<br />

Aktuell wird immerhin noch der direkte Kontakt zum Betreuten<br />

als letzte exklusive Domäne des bestellten Betreuers gesehen. Das<br />

bedeutet, dass ein stellvertretender Betreuer zwar für seinen Kollegen<br />

z. B. Behördengänge oder Organisatorisches erledigen kann, aber<br />

nicht in direkten Kontakt zu dem Betreuten treten darf. Die berufliche<br />

Betreuungspraxis wird jedoch geeignete Konstellationen herstellen,<br />

unter denen auch die Delegation des persönlichen Betreutengesprächs<br />

dem Wohl des Betreuten zuträglich sein kann. Beispielsweise<br />

1-2006<br />

27<br />

KoNTUREN<br />

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