Bürgers trunkene Liebesphantasie - Leben und Werk des Dichters ...
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Storm stellt einen Teil von <strong>Bürgers</strong> Liebeslyrik neben die Goethes <strong>und</strong><br />
hebt hervor, dass sich diese Liebeslieder von den ,.Tändeleien der Zopfpoeten<br />
<strong>und</strong> d[en] TraumbiIder[n] <strong>des</strong> Hainb<strong>und</strong>es«, dem ja Bürger sehr<br />
nahegestanden hat, unterscheiden <strong>und</strong> reiht sie in die später »Erlebnisgedicht"<br />
genannte Tradition ein. Dieser Begriff umfasst solche Gedichte,<br />
denen ein unmittelbares Erlebnis zugr<strong>und</strong>e liegt oder die zumin<strong>des</strong>t die<br />
Fiktion erzeugen, ein Erlebnis habe den Poeten zu seinem <strong>Werk</strong> angeregt<br />
Für Storm bedeutete die »lyrische« Form <strong>des</strong> Gedichts die höchste<br />
Form der Kunst, <strong>und</strong> an diesem Anspruch maß er nicht nur die eigene<br />
Dichtkunst, sondern auch das, was er an Lyrik neben <strong>und</strong> nach Goethe<br />
gelten ließ. Artlässlich <strong>des</strong> Erscheinens seiner ersten selbständigen Gedichtpublikation<br />
Ende 1852 22 bat er seinen Fre<strong>und</strong> Hartmuth Brinkmann<br />
um eine Rezension <strong>und</strong> legte dem Brief das Konzept einer ,.Selbstkritik«<br />
bei, in der er erstmals seine theoretischen Überlegungen zur Lyrik formulierte:<br />
23<br />
1.<br />
Die Kunst namentlich <strong>des</strong> lyrischen <strong>Dichters</strong> besteht darin, im möglichst Individuellen<br />
das möglichst Allgemeine auszusprechen. [ ... ]<br />
2.<br />
Der lyrische Dichter muß namentlich jede Phrase, das bloß Ueberkorrunene vermeiden;<br />
jeder Ausdruck muß seine Wurzel im Gefühl oder der Phantasie <strong>des</strong><br />
<strong>Dichters</strong> haben. Beispiel <strong>des</strong> Gegentheils: Geibel.<br />
3.<br />
Je<strong>des</strong> lyrische Gedicht soll Gelegenheitsgedicht im höhern Sinne sein; aber die<br />
Kunst <strong>des</strong> Poeten muß es zum Allgemeingültigen erheben, (siehe oben Nr. 1.).<br />
4.<br />
Die Wirkung <strong>des</strong> Lyrikers besteht vorZÜglich darin, daß er über Vorstellungen <strong>und</strong><br />
Gefühle, die dunkel <strong>und</strong> halbbewußt im Leser (Hörer) liegen, ein plötzliches oder<br />
neues Licht ",irrt.<br />
Genau dieses Konzept griff er für das Vorwort seiner ersten Gedichtanthologie<br />
wieder auf <strong>und</strong> charakterisiert die von ihm bevorzugte Gedichtform<br />
mit dem Begriff »Naturlaut«, den Storms Generation sowohl im<br />
Volkslied als auch im artifIziellen Kunstlied zu entdecken suchte. Als Herausgeber<br />
von Lyrik-Anthologien hat Storm heftige Kritik an der Flut von<br />
lyrischen Ergüssen geübt, die nach 1850 die populären PubIikationsmedien<br />
überSChwemmten; von dieser Massenproduktion grenzte er in allen<br />
seinen theoretischen .:tußerungen zur Lyrik solche Gedichte ab, in denen<br />
er die Darstellung von etwas Allgemeinem im Besonderen zu erkennen<br />
glaubte. Er unterschied solche Texte von der "Phrase« <strong>und</strong> bezog sich mit<br />
diesem Begriff auf die Tradition der Rhetorik <strong>und</strong> normativen Poetik <strong>des</strong><br />
17. Jahrh<strong>und</strong>erts, die auch das Sensuelle der Poesie dem Intellekt Imterwerfen<br />
wollte. Im Unterschied zur Lyrik <strong>des</strong> von ihm sehr verehrten<br />
Eduard Mörike (1804-1875), <strong>des</strong>sen zumeist elegischen Gedichte der<br />
1840er Jahre noch ganz der Tradition der Erlebnislyrik der Goethezeit<br />
verpflichtet sind <strong>und</strong> die häufig von einer Selbstvergewisserung <strong>des</strong> lyri<br />
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G.A. Bürger-Archiv