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Bürgers trunkene Liebesphantasie - Leben und Werk des Dichters ...

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von Schillers Kritik (1791) entstandene »Rechenschaft über die Veränderungen<br />

in der Nachtfeier der Venus« (bei Bohtz, S. 349-372) ab, in der<br />

sich Bürger mit seinem Jugendwerk (entstanden um 1771) auseinandersetzt<br />

<strong>und</strong> es verteidigt. In diesem Aufsatz eröffnet er Einblicke in seine<br />

poetische <strong>Werk</strong>statt <strong>und</strong> zeigt, wie er bei seinen Dichtungen aus der genauen<br />

Kenntnis antiker Prosodik mit philologischer Genauigkeit gearbeitet<br />

hat. Als Storm diesen poetischen Rechenschaftsbericht erstmals<br />

1855/36 las, bewegte er sich noch auf genau denselben Traditionslinien;<br />

die meisten seiner Gedichte aus der Schulzeit sind in der Tradition der<br />

,.Imitatio.. geschrieben <strong>und</strong> zeigen das formale Gerüst der klassischen<br />

Yers- <strong>und</strong> Strophenlehre.<br />

Bürger zitiert als Beispiel die mehrfach umgearbeiteten vier Zeilen<br />

<strong>des</strong> Refrains, der in den Fassungen von 1778 <strong>und</strong> 1789 lautet:<br />

Morgen Hebe, wer die Liebe<br />

Schon gekannt!<br />

Morgen liebe, wer die Liebe<br />

Nie empfand!<br />

(1878)<br />

Morgen liebe, was auch nimmer<br />

Noch geliebet hat zuvor!<br />

Was geliebt hat längst <strong>und</strong> immer,<br />

lJeb' auch morgen nach wie vor!<br />

(1889)<br />

Bürger variiert in freier Nachbildung die Stanze, eine Strophenform<br />

italienischer Herkunft mit abwechselnd weiblicher <strong>und</strong> männlicher Kadenz.<br />

Die Variationen sind zunächst ein Spiel mit dem Kehrreim, werden<br />

dann aber auf die Kadenzen, Tempora <strong>und</strong> die Wortwahl ausgedehnt;<br />

Bürger schließt morphologische <strong>und</strong> semantische Überlegungen ein <strong>und</strong><br />

diskutiert neben Aspekten <strong>des</strong> Klanges auch den <strong>des</strong> Sprachwandels.<br />

"Waren das nicht recht schändliche Verse, mein gute Dange?« Mit<br />

dieser rhetorischen Frage bewertet Storm seine formal der Dichtung <strong>Bürgers</strong><br />

nachgeahmte Strophe. Man ist geneigt, das Attribut »schändlich« auf<br />

den InhaIt der vierzeiligen Strophe <strong>und</strong> auf den Kontext <strong>des</strong> Briefes zu beziehen;<br />

Storm nimmt im selben Atemzug - wie er es in seinen Brautbriefen<br />

oft tut den Vorwurf gegenüber Constanze zurück, sie habe durch ihr<br />

Verhalten einen Anlass für seine "hoffentlich gr<strong>und</strong>lose Angst .. gegeben,<br />

"daß auch mir daraus Unglück entspringen werde... Die literarische Überhöhung<br />

der im Brief geschilderten subjektiven Angsterfahrung gehört zu<br />

jenem Komplex Storm'scher Erziehungsbemühungen, mit denen er seine<br />

junge Verlobte über fast zwei Jahre fast täglich quälte <strong>und</strong> die Regina Fasold,<br />

die Herausgeberin der "Brautbriefe«37, folgendermaßen deutet:<br />

"Seine Frage zielte darauf, unablässig die Versicherung für eine das<br />

menschliche Maß gleichsam übersteigende Zuneigung zu erlangen, weil<br />

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G.A. Bürger-Archiv

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