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Bürgers trunkene Liebesphantasie - Leben und Werk des Dichters ...

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offenbar erst in der Vorstellung einer solchen grenzenlosen Uebe seine<br />

yernichtende Angst partiell <strong>und</strong> temporär beherrschbarwar.«$8<br />

Das Wort »schändlich« kann aber auch als Wertung der Verse gelesen<br />

werden, die dem Verfasser, unmittelbar nachdem er seinen ,.allbereiten<br />

Reime(n)" gefolgt ist, nun als »schlecht« erscheinen. Dann handelt es sich<br />

zugleich um eine Kritik an der Lyrik, wie sie Bürger mehr als 60 Jahre<br />

zuvor geschrieben hat.<br />

In zeitlich engem Zusammenhang schrieb Storm ein Gedicht, mit dem<br />

er seine »eigne Geschichte«, also die aus der Eifersucht geborene Vision,<br />

Constanze könne sich ohne ilm auf einer Tanzveranstaltung vergnügen,<br />

poetisch gestaltet:<br />

Hyazinthen 39<br />

Fern hallt Musik; doch hier ist stille Nacht,<br />

l\1it Schlummerduß. anhauchen mich die Pflanzen.<br />

Ich habe immer, immer dein gedacht;<br />

Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.<br />

Es hört nicht auf, es ras't ohn' Unterlaß;<br />

Die Kerzen brennen <strong>und</strong> die Geigen schreien,<br />

Es teilen <strong>und</strong> es schließen sich die Reihen,<br />

Und alle glühen; aber du bist blaß.<br />

Und du mußt tanzen; fremde Arme schmiegen<br />

Sich an dein Herz; 0 leide nicht Gewalt!<br />

Ich seh' dein weißes Kleid voriiberfliegen<br />

Und deine leichte, zärtliche Gestalt. -­<br />

Und süßer strömend quillt der Duft der Nacht<br />

Und träumerischer aus dem Kelch der Pflanzen.<br />

Ich habe immer, immer dein gedacht;<br />

Ich möchte schlafen, aber du mußt tanzen.<br />

»Hyazinthen« gilt als eines der besten Gedichte Storms;40 Thomas Mann<br />

lässt es Tonio Kröger als ein »w<strong>und</strong>erschönes Gedicht« empfinden lmd<br />

ordnet es in seinem Storm-Essay4t »mit seiner vornehmen Zärtlichkeit,<br />

seiner cellomäßig gezogenen Fülle von Empfindung, Schwermut, Uebesmüdigkeit«<br />

dem »Höchsten <strong>und</strong> Reinsten« zu, ,.was Gefühl <strong>und</strong> Sprache<br />

hervorgebracht haben, <strong>und</strong> vollkommenen Unsterblichkeits charakter besitzt.«<br />

Erlebtes, Erinnertes, Gegenwart <strong>und</strong> Vergangenheit werden miteinander<br />

zu einem einzigartigen Gebilde verwoben. Die Stimmung einer<br />

eüersüchtigen Melancholie entfaltet sich, beachtet man den biographischen<br />

Hintergr<strong>und</strong>, getrennt vom Ort <strong>des</strong> Tanzes: ,.die räumliche Entfernung<br />

(Husum - Segeberg) ist so weit reduziert, daß das lyrische Ich die<br />

Musik tatsächlich wahrnehmen kann, <strong>und</strong> von der Geliebten wird jeder<br />

Vorwurf ferngehalen.«42 Der Vorgang wird nicht eigentlich erzählt; die<br />

Gefühle <strong>des</strong> lyrischen Ichs, das »schlafen« möchte, stehen im Vorder­<br />

G.A. Bürger-Archiv<br />

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