slow.ch Spezialausgabe No. 6/2011 - Messe Stuttgart
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Presidio<br />
Furmagin da Cion<br />
Der «Käse vom S<strong>ch</strong>wein» ist eine fast vergessene Pus<strong>ch</strong>laver Spezialität.<br />
In der Macelleria Scalino wird sie als Slow Food-Produkt hergestellt.<br />
Jede Familie<br />
hatte ihr eigenes<br />
Rezept. Und das<br />
war geheim.<br />
Kontakt<br />
Macelleria Scalino<br />
Sandro Mar<strong>ch</strong>esi<br />
7745 Li Curt<br />
Tel. 081 844 02 67<br />
www.scalino.<strong>ch</strong><br />
W<br />
eit ist die Reise ins Pus<strong>ch</strong>lav,<br />
den äussersten Zipfel der<br />
S<strong>ch</strong>weiz. Aber es lohnt si<strong>ch</strong>,<br />
ni<strong>ch</strong>t nur wegen der atemberaubenden<br />
Bergwelt, sondern au<strong>ch</strong> aus ganz profanen<br />
kulinaris<strong>ch</strong>en Gründen. Die Kü<strong>ch</strong>e<br />
des italienis<strong>ch</strong>spra<strong>ch</strong>igen Bündnerlandes<br />
bietet alles, was Bau<strong>ch</strong> und Seele<br />
nährt. S<strong>ch</strong>on der Furmagin da Cion ist<br />
allein eine Reise wert.<br />
Die Kü<strong>ch</strong>e des Südgraubündens war<br />
eine Cucina povera; man liess ni<strong>ch</strong>ts<br />
verlorengehen. Vor allem wurde ni<strong>ch</strong>ts<br />
vers<strong>ch</strong>wendet. Aus dieser <strong>No</strong>twendigkeit<br />
heraus entstand au<strong>ch</strong> der «Käse<br />
vom S<strong>ch</strong>wein» – eine Pastete, die früher<br />
der Restenverwertung diente.<br />
vor dem vergessen bewahrt<br />
«Min<strong>ch</strong>a trat ha sia sas<strong>ch</strong>un», lautet ein<br />
rätoromanis<strong>ch</strong>es Spri<strong>ch</strong>wort: Jede<br />
Speise hat ihre Jahreszeit. So au<strong>ch</strong> der<br />
Furmagin da cion. Wenn eimal im Jahr<br />
der Störmetzger von Hof zu Hof ging,<br />
war das immer ein grosses Fest für die<br />
ganze Familie. Nebst den traditionellen<br />
Metzgete-Geri<strong>ch</strong>ten wie Blutwurst<br />
oder S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>tplatte wurden in einigen<br />
Pus<strong>ch</strong>laver Familien au<strong>ch</strong> Resten, zum<br />
Beispiel Magen und Backen, mit Leber,<br />
Zwiebeln, Wein und Gewürzen<br />
gemis<strong>ch</strong>t und in einer grossen Holzform<br />
für Käse gebacken. Jede Familie<br />
hatte ihr eigenes, streng gehütetes<br />
Rezept.<br />
Der grosse Fleis<strong>ch</strong>ku<strong>ch</strong>en hielt dann<br />
au<strong>ch</strong> eine gute Wo<strong>ch</strong>e. Und wenn man<br />
si<strong>ch</strong> gegenseitig besu<strong>ch</strong>te, nahm man<br />
immer ein paar «tast» mit, etwas zum<br />
Probieren. So ass man ni<strong>ch</strong>t nur einmal<br />
im Jahr fris<strong>ch</strong>e Leberwürste oder<br />
Furmagin da Cion, sondern konnte si<strong>ch</strong><br />
über mehrere Wo<strong>ch</strong>en mit immer<br />
wieder fris<strong>ch</strong>en Köstli<strong>ch</strong>keiten die<br />
Seele wärmen. Am besten s<strong>ch</strong>meckte<br />
28<br />
der Furmagin da Cion no<strong>ch</strong> lauwarm.<br />
Für die Kinder war es immer eine<br />
besondere Belohnung, wenn sie davon<br />
ein Stück abkriegten.<br />
Mit dem Vers<strong>ch</strong>winden der Bauernbetriebe<br />
geriet au<strong>ch</strong> der Furmagin da<br />
Cion fast in Vergessenheit. Zwar gab es<br />
den einen oder anderen Metzger, der<br />
diese Pastete herstellte, aber eher mit<br />
mässigem Erfolg.<br />
Vor ein paar Jahren nahm si<strong>ch</strong> der<br />
junge Sandro Mar<strong>ch</strong>esi dieser alten<br />
Spezialität an. Zusammen mit Reto<br />
Raselli, der in Le Prese S<strong>ch</strong>weine in<br />
Bioqualität zü<strong>ch</strong>tet, und Mi<strong>ch</strong>ele<br />
Bran<strong>ch</strong>i, dem S<strong>ch</strong>la<strong>ch</strong>ter, hat er die<br />
Rezeptur lei<strong>ch</strong>t überarbeitet. Die<br />
früher verwendeten Hausweine waren<br />
für das heutige Ges<strong>ch</strong>macksempfinden<br />
zu säuerli<strong>ch</strong>. Die drei haben intensiv<br />
na<strong>ch</strong> den besten lokalen Zutaten<br />
gesu<strong>ch</strong>t – ausser dem Pfeffer kommt<br />
alles aus der Region –, um aus dieser<br />
traditionell eher rustikalen Spezialität<br />
eine wahre Delikatesse zu ma<strong>ch</strong>en,<br />
eine rustikale Delikatesse.<br />
Hergestellt werden die Pasteten<br />
au<strong>ch</strong> heute no<strong>ch</strong> in aufwändiger<br />
Handarbeit. Sie wiegen rund 300<br />
Gramm und sind somit einiges kleiner,<br />
als die ursprüngli<strong>ch</strong>en es waren. Vor<br />
dem Backen werden sie jedo<strong>ch</strong> na<strong>ch</strong><br />
wie vor in ein S<strong>ch</strong>weinsnetz eingewickelt.<br />
Genossen wird der Furmagin da<br />
Cion heute meistens kalt, am besten<br />
dünn aufges<strong>ch</strong>nitten, mit einem<br />
fris<strong>ch</strong>en Stück Pus<strong>ch</strong>laver Ringbrot<br />
(mit Anis) und einem Glas Pus<strong>ch</strong>laver<br />
Rotwein. Die dünnen S<strong>ch</strong>eiben passen<br />
aber au<strong>ch</strong> bestens zu einem Risotto<br />
verde mit Krautstiel.<br />
Erhältli<strong>ch</strong> ist der Furmagin da Cion<br />
nun aber das ganze Jahr über, au<strong>ch</strong><br />
wenn er vermutli<strong>ch</strong> im Herbst und<br />
Winter am besten s<strong>ch</strong>meckt.