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Das „floppy infant“-Syndrom - Anpisa.de

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<strong>Das</strong> <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>-<strong>Syndrom</strong><br />

Prof.Dr. Hans-Jürgen Christen<br />

Kin<strong>de</strong>rkrankenhaus auf <strong>de</strong>r Bult, Janusz-Korzcak-Allee 12, 30173 Hannover<br />

<strong>Das</strong> <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>-<strong>Syndrom</strong> bezeichnet <strong>de</strong>n klinischen Phänotyp einer<br />

Skelettmuskelhypotonie im ersten Lebensjahr mit <strong>de</strong>r Trias aus ungewöhnlicher Haltung (u.a.<br />

„Froschhaltung“ <strong>de</strong>r Beine), vermin<strong>de</strong>rtem Wi<strong>de</strong>rstand gegen passive Bewegungen und<br />

abnormer Gelenkbeweglichkeit. Für die klinische Unterscheidung zwischen neuromuskulären<br />

und zentralnervösen/metabolischen Ursachen ist u.a. das Kriterium <strong>de</strong>r Muskelkraft hilfreich.<br />

Bei einer neuromuskulären Störung steht die Muskelschwäche im Vor<strong>de</strong>rgrund. Sie kann<br />

sich beim Säugling in <strong>de</strong>r Unfähigkeit äußern, in Rückenlage die Beine gegen die<br />

Schwerkraft anzuheben.<br />

Innerhalb <strong>de</strong>r Gruppe neuromuskulärer Erkrankungen ist zwischen neurogenen und<br />

myogenen Störungen zu unterschei<strong>de</strong>n. Tremor und Fazikulationen sind wichtige<br />

Hinweissymptome auf einen neurogenen Prozeß. Hauptursachen <strong>de</strong>s <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>-<br />

<strong>Syndrom</strong>s mit Muskelschwäche als dominieren<strong>de</strong>m Symptom sind die spinale<br />

Muskelatrophie, die kongenitale myotone Dystrophie, die kongenitalen Muskeldystrophien<br />

und die kongenitalen ‚Struktur’-Myopathien. Folgen<strong>de</strong> assoziierte Symptome erlauben häufig<br />

eine Eingrenzung dieser vielfältigen Ursachen und eine zielgerichtete Planung <strong>de</strong>s<br />

diagnostischen Vorgehens:<br />

Symptome neuromuskulärer Erkrankungen:<br />

Zeichen einer pränatalen Bewegungsstörung wie<br />

Polyhydramnion, vermin<strong>de</strong>rte Kindbewegungen<br />

in utero, Beckenendlage, Hauteinziehungen (‚dimples’)<br />

über <strong>de</strong>n Streckseiten großer Gelenke,<br />

Gelenkkontrakturen (u.a. Klumpfüße) und Hüftluxation<br />

typisch für:<br />

kongenitale myotone Dystrophie<br />

kongenitale Muskeldystrophien<br />

Externe Ophthalmoplegie<br />

Kongenitale ‚Struktur’-Myopathien<br />

(aufgehobenes ‚Puppenaugen’-Phänomen) (speziell zentronukleäre<br />

Myopathie)<br />

Faziale Hyotonie: Ptosis, ‚zeltförmiger’ Mund<br />

kongenitale myotone Dystrophie<br />

kongenitale Muskeldystrophien<br />

Trinkschwäche/Schluckstörungen/Speichelfluß<br />

kongenitale myotone Dystrophie<br />

Fingertremor,<br />

spinale Muskelatrophie<br />

Zungenfaszikulationen (am <strong>de</strong>utlichsten am seitlichen<br />

Zungenrand, jedoch relativ unspezifisch)<br />

Perinatale Ateminsuffizienz<br />

kongenitale myotone Dystrophie<br />

(mit häufig passagerer Beatmungspflichtigkeit), (v.a. Nemaline- und<br />

zentronukleäre<br />

starke bronchiale Verschleimung mit<br />

Myopathie)<br />

rezidivieren<strong>de</strong>n Pneumonien<br />

kongenitale myotone Dystrophie<br />

Paradoxe Atmung<br />

spinale Muskelatrophie<br />

(relative Schwäche <strong>de</strong>r Interkostal-Muskulatur)<br />

...


Für die Diagnose <strong>de</strong>r kongenitalen myotonen Dystrophie ist die klinische Untersuchung<br />

<strong>de</strong>r Mutter von wegweisen<strong>de</strong>r Be<strong>de</strong>utung, die häufig subjektiv beschwer<strong>de</strong>frei ist (kräftiger<br />

Lidschluß mit ‚Begraben <strong>de</strong>r Augenwimpern’ möglich?, myotone Symptome mit<br />

Fingersteifigkeit nach verlängertem kräftigem Hän<strong>de</strong>druck?, Perkussionsmyotonie <strong>de</strong>s<br />

Thenars?). Ergänzend ist eine Elektromyographie bei <strong>de</strong>r Mutter zum Nachweis myotoner<br />

Entladungen indiziert, bevor eine zielgerichtete molekulargenetische Diagnostik veranlasst<br />

wird.<br />

<strong>Das</strong> Fehlen supraspinaler Symptome, Blasenentleerungsstörungen unter <strong>de</strong>m Bild einer<br />

dilatierten „Überlaufblase“ (Miktion im Strahl möglich?), eine paradoxe Atmung und <strong>de</strong>r<br />

Nachweis eines sensiblen Querschnittniveaus erwecken immer <strong>de</strong>n Verdacht auf eine<br />

geburtstraumatische Querschnittläsion. Hier sind jedoch Probleme <strong>de</strong>r Abgrenzung zur<br />

spinalen Muskelatrophie zu be<strong>de</strong>nken, die selten zu einem pathologischen Geburtsverlauf<br />

disponieren und unmittelbar postnatal manifest sein kann.<br />

Bei je<strong>de</strong>m <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>-<strong>Syndrom</strong> neuromuskulärer Ursache ist die Möglichkeit einer<br />

assoziierten ZNS-Affektion zu be<strong>de</strong>nken. Beispielhaft sind hier die spinale Muskelatrophie<br />

plus (=olivo-ponto-cerebelläre Hypoplasie Typ I) und die kongenitale Muskeldystrophie mit<br />

ZNS-Symptomen (Fukuyama Muskeldystrophie) bzw. zusätzlichen okulären Symptomen<br />

(Walker-Warburg-<strong>Syndrom</strong>, muscle-eye-brain disease) zu nennen.<br />

<strong>Das</strong> <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>-<strong>Syndrom</strong> ohne Muskelschwäche als dominieren<strong>de</strong>s Symptom umfasst als<br />

Ursachen<br />

- ZNS-Erkrankungen:<br />

Hirnfehlbildungen, chromosomale Erkrankungen (insbeson<strong>de</strong>re Trisomie 21), ante- o<strong>de</strong>r<br />

peripartale Asphyxie, neurometabolische Erkrankungen (insbeson<strong>de</strong>re peroxisomale<br />

Erkrankungen wie das Zellweger-<strong>Syndrom</strong>; nicht-ketotische Hyperglycinämie; Leigh-<br />

<strong>Syndrom</strong>)<br />

- Erkrankungen <strong>de</strong>s Bin<strong>de</strong>- und Stützgewebes:<br />

Achrondroplasie, Osteogenesis imperfecta, Marfan-<strong>Syndrom</strong>, Ehlers-Danlos-<strong>Syndrom</strong><br />

- Metabolische/endokrinologische/alimentäre Erkrankungen:<br />

Rachitis, Zoeliakie, Hypothyreose, M. Pompe (Glykogenose Typ II)<br />

- <strong>Syndrom</strong>atologische Krankheitsbil<strong>de</strong>r:<br />

u.a. Pra<strong>de</strong>r-Willi-<strong>Syndrom</strong><br />

Bei Manifestation eines <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>-<strong>Syndrom</strong>s unmittelbar post partum ist die Möglichkeit<br />

einer perinatalen Intoxikation durch an die Mutter verabreichte Medikamente zu <strong>de</strong>nken<br />

(z.B. Diazepam, das frei plazentagängig ist und eine Halbwertszeit beim Neugeborenen von<br />

mehreren Tagen hat). Diese Möglichkeit lässt sich manchmal nur durch gezielte Nachfrage<br />

eruieren.<br />

Auf <strong>de</strong>r Grundlage <strong>de</strong>r Anamnese und <strong>de</strong>s klinischen Befun<strong>de</strong>s sind folgen<strong>de</strong> paraklinischen<br />

Untersuchungsmetho<strong>de</strong>n geeignet, zielgerichtet und häufig ohne großen Aufwand die<br />

Differentialdiagnose <strong>de</strong>s <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>-<strong>Syndrom</strong>s weiter einzugrenzen:<br />

...


Metho<strong>de</strong><br />

Befund diagnostisch wegweisend für:<br />

CK im Serum<br />

Kongenitale Muskeldystrophie<br />

Blutbild<br />

M. Pompe (vakuolisierte Lymphozyten)<br />

Liquor<br />

Mitochondriale Zytopathie (Laktat erhöht)<br />

Nicht-ketotische Hyperglyzinämie (Quotient Liquor:Plasma > 0,1)<br />

EKG<br />

Spinale Muskelatrophie („Tremor“ <strong>de</strong>r isoelektrischen Linie)<br />

M. Pompe (QRS-Komplexe überhöht, PR-Intervall verkürzt)<br />

EEG Enzephalopathie (burst-suppression-<br />

Muster,Allgemeinverän<strong>de</strong>rung)<br />

SSEP<br />

Spinale Läsion<br />

Genetik<br />

Spinale Muskelatrophie<br />

Kongenitale myotone Dystrophie<br />

Pra<strong>de</strong>r-Willi-<strong>Syndrom</strong><br />

Muskelbiospie ‚Struktur‘-Myopathie<br />

Kongenitale Muskeldystrophie<br />

Literaturhinweise<br />

Dubowitz, V.: Muscle disor<strong>de</strong>rs in childhood. Saun<strong>de</strong>rs, London 1995<br />

Hanefeld, F. et al.: Congenitale Myopathien. In: Todt, H., Heinicke, D. (Hrsg.): Aktuelle<br />

Neuropädiatrie 1993, pp. 241-6. Ciba-Geigy Verlag, Wehr 1994<br />

Themenbezogene Internet-Adresse: www.wustl.edu/neuromuscular/syncm.html<br />

<strong>Das</strong> <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong> in <strong>de</strong>r neonatologischen Praxis - 3 Fallbeispiele<br />

Axel Schobeß, Merseburg<br />

Neugeborene mit Muskelhypotonie (<strong>„floppy</strong> infants“) fallen mitunter erst nach <strong>de</strong>r<br />

Geburt auf. Beson<strong>de</strong>rs extrem hypotone Neugeborene überraschen u.U. dann <strong>de</strong>n<br />

erstversorgen<strong>de</strong>n Geburtshelfer bzw. Pädiater und verlangen bei konsekutiver<br />

respiratorischer Insuffizienz sowohl eine neonatologische Intensivtherapie als auch eine<br />

zügige gezielte kausale Abklärung.<br />

<strong>Das</strong> vorausgehen<strong>de</strong> Übersichtsreferat von H.-J. Christen (Hannover) gibt eine Übersicht<br />

über die unterschiedlichen Ursachen für ein <strong>„floppy</strong> <strong>infant“</strong>. Wir berichten darauf<br />

anschließend aus unserer neonatologischen Praxis über Erstbefun<strong>de</strong> und Verläufe<br />

beispielhaft von 3 Kin<strong>de</strong>rn, die in <strong>de</strong>n letzten 2 Jahren am Carl-von-Basedow-Klinikum<br />

Merseburg ohne wesentlich aufgefallene Vorzeichen bis zur Geburt mit postnatal<br />

<strong>de</strong>utlicher muskulärer Hypotonie und respiratorischer Insuffizienz geboren wur<strong>de</strong>n. Die<br />

klinischen Zeichen und weitere Befun<strong>de</strong> dieser Kin<strong>de</strong>r wer<strong>de</strong>n kurz beschrieben. Die<br />

Diagnostik fand ursächlich zwei verschie<strong>de</strong>ne myopathische Krankheitsbil<strong>de</strong>r<br />

(kongenitale myotone Dystrophie, kongenitale nemaline Myopathie) sowie eine<br />

Funktionsstörung <strong>de</strong>r Basalganglien (bilaterale hypoxisch-ischämische<br />

Thalamusläsion).

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