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Wachstum versus Nachhal- tigkeit Gliederung

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<strong>Wachstum</strong> <strong>versus</strong> <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong><br />

<strong>Gliederung</strong>:<br />

1. Das Problem<br />

2. Extensives <strong>versus</strong> intensives <strong>Wachstum</strong><br />

3. <strong>Wachstum</strong> in der klassischen Wirtschaftstheorie<br />

4. Das Okun‘sche Gesetz<br />

5. Das Ziel der <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong><br />

6. Neudefinition des <strong>Wachstum</strong>sziel unter<br />

umweltpolitischen Vorzeichen<br />

7. <strong>Wachstum</strong> notwendige und ausreichende<br />

Bedingung für Vollbeschäftigung?<br />

8. Alternative Strategien zur Vollbeschäftigung<br />

1. Das Problem<br />

Folgt man den neueren Programmen sozialdemokratischer<br />

bzw. sozialistischer Parteien, so gehört<br />

die Garantierung eines wirtschaftlichen <strong>Wachstum</strong>s<br />

sowie einer <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen<br />

Zielen. Auf diese Formel der<br />

Einbeziehung beider Zielsetzungen kann sich sogar<br />

die Partei der Grünen einlassen. Zwar steht aus der<br />

Sicht der Grünen die ökologische Zielsetzung im<br />

Mittelpunkt ihrer Bemühungen. Trotzdem haben<br />

die Grünen – vor allem auch dadurch, dass sie in<br />

der Zwischenzeit durch Regierungsbeteiligung politische<br />

Verantwortung übernommen haben – ge-


lernt, dass die Masse der Bevölkerung allein mit<br />

ökologischen Problemen nicht von deren Programm<br />

überzeugt werden kann.<br />

Das Ziel eines wirtschaftlichen <strong>Wachstum</strong>s wird<br />

hierbei an der Gesamtproduktion einer Volkswirtschaft,<br />

z. B. am realen Inlandsprodukt gemessen.<br />

Das Ziel der <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> soll hingegen sicherstellen,<br />

dass die einer Volkswirtschaft zur Verfügung<br />

stehenden knappen Ressourcen auch den nachfolgenden<br />

Generationen zur Verfügung stehen und<br />

dass die Umwelt so erhalten bleibt, dass auch die<br />

zukünftigen Generationen unter vertretbaren Verhältnissen<br />

leben können. Hierbei gilt es zu berücksichtigen,<br />

dass vor allem die Energierohstoffe nicht<br />

nur knapp sind, sondern bei der Produktion und<br />

beim Konsum verbraucht werden, so dass sie dann<br />

für die zukünftigen Perioden unweigerlich verloren<br />

sind und deshalb nicht mehr zur Verfügung stehen.<br />

Hier gilt es neue alternative Energiequellen wie vor<br />

allem Solarenergie und Windenergie zu entwickeln,<br />

welche in dem Maße, wie die traditionellen fossilen<br />

Energierohstoffe verbraucht werden, an deren Stelle<br />

treten können.<br />

Im Rahmen der Stabilitätspolitik wird neuerdings<br />

zwischen der tatsächlichen und einer gefühlten Inflationsrate<br />

unterschieden. Während die tatsächliche<br />

Inflationsrate als der prozentuale Anstieg der<br />

Güterpreise verstanden wird, soll der Begriff der<br />

gefühlten Inflation daraufhinweisen, dass die Wirtschaftssubjekte<br />

das Gefühl haben, dass sie in stärkerem<br />

oder vielleicht auch schwächerem Maße von<br />

Preissteigerungen und damit von der Entwertung<br />

ihres Einkommens betroffen sind als der offizielle<br />

Preisindex zum Ausdruck bringt.<br />

Dieser Begriff von der gefühlten Inflationsrate ist<br />

der Meteorologie entlehnt, dort wird seit einiger<br />

Zeit ebenfalls von gefühlter Temperatur gesprochen,<br />

die mehr oder weniger von der tatsächlich<br />

gemessenen Temperatur z. B. in Celsius abweicht.<br />

Dass die Bürger oftmals den Eindruck haben, dass<br />

es viel kälter oder heißer ist als dies die Tempera-


turdaten aufzeichnen, hängt insbesondere damit<br />

zusammen, dass die menschlichen Hautsinne das<br />

Temperaturgefühl nicht nur an der tatsächlichen<br />

Temperatur messen, sondern unter anderem auch<br />

von der jeweils herrschenden Luftfeuch<strong>tigkeit</strong> abhängig<br />

machen.<br />

Die Tatsache, dass bei der Bestimmung der Inflationsrate<br />

ein Unterschied zwischen gefühlter und<br />

tatsächlicher Inflationsrate festgestellt wird, hängt<br />

mit der Art und Weise zusammen, wie die allgemeinen<br />

Preissteigerungen berechnet werden. Die<br />

Preise der einzelnen Güter werden nicht einfach<br />

zusammengezählt, sondern jeweils mit der produzierten<br />

oder konsumierten Gütermenge gewichtet<br />

(multipliziert). Eine Preissteigerung bei einem Gut,<br />

das nur in geringen Mengen gehandelt wird, geht<br />

somit mit einem sehr viel geringeren Gewicht in<br />

den Preisindex ein, als Güter, die in großen Mengen<br />

gehandelt werden. Beim Lebenshaltungskostenindex<br />

werden nun diese Gütermengen dadurch erhoben,<br />

dass einzelne ausgewählte Haushalte nach den<br />

konsumierten Gütermengen befragt werden.<br />

Wenn auch diese Gütermengen bei korrekter Vorgehensweise<br />

den Durchschnitt der verbrauchten<br />

Gütermengen exakt wiedergeben, weicht die tatsächliche<br />

Zusammensetzung des konsumierten Güterbündels<br />

bei den einzelnen Haushalten von diesen<br />

ermittelten Gütermengen mehr oder weniger ab. So<br />

sind zur Zeit die Steigerungen des Benzinpreises<br />

für den Anstieg des Preisniveaus maßgeblich beteiligt.<br />

Wenn nun ein Konsument gar kein Auto besitzt<br />

und auch die öffentlichen Verkehrsmittel<br />

kaum benützt, also sich vorwiegend mit seinem<br />

Fahrrad fortbewegt, sind für ihn die allgemeinen<br />

Güterpreise sehr viel weniger gestiegen, als in dem<br />

offiziellen Preisindex zum Ausdruck kommt.<br />

Umgekehrt mag für Privatpersonen der Anteil der<br />

Mietkosten an der gesamten Konsumsumme sehr<br />

viel höher ausfallen als es dem Durchschnitt der<br />

privaten Haushalte entspricht. Für sie ist die Inflation<br />

sehr viel größer als offiziell ermittelt. Auch


spielt hierbei eine Rolle, dass die Menschen ganz<br />

allgemein hohe Preissteigerungen bei einigen wenigen<br />

Gütern stärker beachten als Preissenkungen<br />

bei einer Vielzahl anderer Güter, vor allem dann,<br />

wenn diese Preissteigerungen Gegenstand zahlreicher<br />

Berichte und Kommentaren in den öffentlichen<br />

Medien sind.<br />

Es ist zweckmäßig, wenn man diese Unterscheidung<br />

zwischen gefühlten und tatsächlichen Werten auch<br />

auf die <strong>Wachstum</strong>srate des Inlandsproduktes anwendet.<br />

Auch hier lässt sich nämlich feststellen,<br />

dass die Bürger die in der offiziellen Statistik ausgewiesenen<br />

<strong>Wachstum</strong>sraten gar nicht richtig<br />

wahrnehmen, zumeist von der Vorstellung ausgehen,<br />

dass ihr persönliches Einkommen realiter sehr<br />

viel geringer gestiegen ist als es der offizielle Wert<br />

ausweist. Für dieses Abweichen der gefühlten von<br />

den tatsächlichen <strong>Wachstum</strong>sraten mögen mehrere<br />

Gründe verantwortlich sein.<br />

Als erstes wirkt sich die Abweichung von offiziellen<br />

und individuellen Daten, welche wir für den Preisindex<br />

festgestellt haben, unmittelbar auch auf das<br />

<strong>Wachstum</strong> der individuellen Einkommen aus. Von<br />

einem echten <strong>Wachstum</strong> können wir nur dann<br />

sprechen, wenn die Einkommen auch realiter angestiegen<br />

sind, wenn ein Haushalt also mehr Gütermengen<br />

für sein Einkommen erhält. Ausgangspunkt<br />

der Berechnungen sind jedoch stets die nominellen<br />

Einkommenswerte. Der Anstieg des realen<br />

Einkommens wird dadurch ermittelt, dass der Anstieg<br />

im nominellen Einkommen durch den Anstieg<br />

im Preisniveau dividiert wird. Da aber – wie eben<br />

festgestellt – Unterschiede zwischen dem tatsächlichen<br />

und dem gefühlten Preisniveau bestehen,<br />

pflanzen sich diese Unterschiede auch bei der Berechnung<br />

der realen Einkommen und damit des<br />

wirtschaftlichen <strong>Wachstum</strong>s weiter.<br />

Darüber hinaus müssen wir davon ausgehen, dass<br />

die einzelnen Wirtschaftssubjekte die Frage nach<br />

dem <strong>Wachstum</strong> weniger an der Einkommenssumme,<br />

sondern daran messen, inwieweit ihre Erwar-


tungen im Hinblick auf ihren Lebensstandard erfüllt<br />

bzw. enttäuscht werden. In Volkswirtschaften,<br />

in denen in der Vergangenheit hohe <strong>Wachstum</strong>sgewinne<br />

verzeichnet wurden, stellt sich bei ihren Bürgern<br />

sehr schnell eine Haltung ein, bei der Jahr für<br />

Jahr Lohnsteigerungen wie selbstverständlich erwartet<br />

werden. Bleibt nun konjunkturbedingt diese<br />

Lohnsteigerung für ein oder zwei Jahre aus, so<br />

wird dieser Umstand bereits als eine Verschlechterung<br />

der Lage angesehen. Ja selbst dann, wenn<br />

immer noch positive Steigerungsraten erzielt werden,<br />

diese nur wesentlich geringer ausfallen als bisher,<br />

entsteht bereits der Eindruck, dass eine Verschlechterung<br />

eingetreten ist.<br />

An und für sich ist es in einer Marktwirtschaft ein<br />

ganz gewöhnlicher Vorgang, dass es Jahre gibt, in<br />

denen das Einkommen steigt und andere Jahre, in<br />

denen ein etwas schlechteres Wirtschaftsergebnis<br />

erzielt wird, schließlich ist eine Marktwirtschaft<br />

durch konjunkturelle Schwankungen gekennzeichnet.<br />

Nur der Umstand, dass in den Anfangsjahren<br />

beim Neubeginn der Marktwirtschaft nach dem<br />

Zusammenbruch aufgrund des zweiten Weltkrieges<br />

selbst in Zeiten der Rezession immer noch spürbare<br />

Einkommenssteigerungen zu verzeichnen waren,<br />

hat dazu beigetragen, dass sich schließlich eine Erwartungshaltung<br />

einer permanenten Jahr für Jahr<br />

eintretenden Steigerung des realen Einkommens<br />

herausgebildet hat.<br />

De facto verbindet sich die Vorstellung einer Wohlfahrtssteigerung<br />

weniger mit den <strong>Wachstum</strong>sraten<br />

des Einkommens als vielmehr mit herausragenden<br />

Erfindungen, welche das tägliche Leben vereinfachen<br />

und alltägliche Behinderungen abmildern. So<br />

wurde die Tatsache, dass der größte Teil der<br />

Arbeitnehmer über einen PKW verfügt, sicherlich<br />

als Wohlfahrtssteigerung empfunden. Weiterhin<br />

hat auch der Umstand, dass für die täglichen Verrichtungen<br />

im Haushalt fast alle Arbeitnehmer<br />

über zahlreiche Einrichtungen wie über einen elektrischen<br />

Herd, eine Waschmaschine, eine Geschirrspülmaschine<br />

und einen Eisschrank verfügen, eben-


falls das Gefühl einer eindeutigen Wohlfahrtssteigerung<br />

ausgelöst.<br />

Dass <strong>Wachstum</strong>sraten allein sehr wenig über das<br />

erreichte Wohlfahrtsniveau aussagen, zeigt auch<br />

ein Vergleich der <strong>Wachstum</strong>sraten der DDR mit<br />

der ehemaligen BRD. Die DDR galt im Ostblock<br />

geradezu als Musterland, das wesentlich höhere<br />

<strong>Wachstum</strong>sraten als die übrigen Ostblockstaaten<br />

aufwies. Noch zu einer Zeit, in welcher in der BRD<br />

nur noch einstellige <strong>Wachstum</strong>sraten erzielt werden<br />

konnten, wiesen die offiziellen Statistiken der<br />

DDR immer noch zweistellige <strong>Wachstum</strong>sraten auf.<br />

Man hätte eigentlich vermuten können, dass deshalb<br />

der Lebensstandard in der DDR dem der BRD<br />

zumindest gleicht. De facto galt jedoch zu allen Zeiten,<br />

auch in den letzten Jahren der DDR der Lebensstandard<br />

in der BRD dem der DDR weit überlegen.<br />

Beim Zusammenbruch der DDR Ende der<br />

80er Jahre stellte sich dann heraus, dass die DDR-<br />

Wirtschaft auf einem erbärmlichen Niveau stand.<br />

Die Produktionsanlagen waren veraltet, offensichtlich<br />

hatte die DDR-Führung in den letzten Jahren<br />

versäumt, die Produktionsanlagen an die Entwicklung<br />

anzupassen und notwendige Ersatzinvestitionen<br />

vorzunehmen, die Produktion war gegenüber<br />

dem Ausland überhaupt nicht wettbewerbsfähig<br />

und konnte sich überhaupt nur halten, weil die Bevölkerung<br />

keine Möglichkeit hatte, zu ausländischen<br />

Produkten überzuwechseln.<br />

Die Folge war dann auch, dass die Produktion in<br />

den neuen Bundesländern unmittelbar nach dem<br />

Zusammenbruch der DDR fast auf den Nullpunkt<br />

sank, da die Bürger der neuen Länder nun die<br />

Waren aus den westlichen Staaten der Bundesrepublik<br />

bezogen. Dieses Beispiel zeigt, wie fragwürdig<br />

oftmals die offiziell veröffentlichten <strong>Wachstum</strong>sraten<br />

der Produktion als Maßstab für das erreichte<br />

Wohlfahrtsniveau sind.<br />

Diese beiden Ziele eines <strong>Wachstum</strong>s wie der <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong><br />

stehen nun in einem Konfliktverhältnis


zueinander. In dem Maße, in dem das eine Ziel forciert<br />

wird, besteht die Gefahr, dass gerade das andere<br />

Ziel beeinträchtigt wird. Im Allgemeinen ist<br />

davon auszugehen, dass die Inanspruchnahme der<br />

natürlichen Ressourcen ceteris paribus in dem Maße<br />

steigt, in dem die Produktion von Gütern gesteigert<br />

wird. Umgekehrt gilt, dass in dem Maße, indem<br />

den Unternehmungen aus umweltpolitischen<br />

gründen Auflagen gemacht werden und diese perfektioniert<br />

werden, das wirtschaftliche <strong>Wachstum</strong><br />

eingeschränkt ist.<br />

Die Politik hat deshalb die Aufgabe, für einen vernünftigen<br />

Kompromiss zwischen diesen beiden in<br />

einem Konfliktverhältnis zueinander stehenden<br />

Ziele zu sorgen. Wenn sich auch die einzelnen Parteien<br />

darin unterscheiden, bei welchem Verhältnis<br />

der Realisierung beider Ziele der Kompromiss gefunden<br />

wird, keine Partei, welche bei den nächsten<br />

Wahlen wiedergewählt werden will, kann es sich erlauben,<br />

auf eines dieser Ziele ganz zu verzichten.<br />

Man spricht deshalb auch nicht mehr von einem<br />

möglichst großen oder auch nicht von einem optimalen,<br />

sondern von einem angemessenen <strong>Wachstum</strong>,<br />

das auch die Umweltbelange gebührend mitberücksichtigt.<br />

Auch kann es nicht darum gehen,<br />

den höchstmöglichen Umweltstandard zu realisieren,<br />

sodass jede Verbesserung dieses Standards bereits<br />

als ein Wohlfahrtsgewinn angesehen werden<br />

kann. Auch hier spricht man von einem Umweltstandard,<br />

welcher die Güterproduktion und damit<br />

auch die Beschäftigung nicht ernsthaft gefährdet.<br />

Nun gilt die These vom Konfliktverhältnis beider<br />

Ziele nur ceteris paribus. Es kommt immer auf die<br />

näheren Umstände an, wieweit beide Ziele realisiert<br />

werden können. Es wäre falsch zu unterstellen, dass<br />

das Ziel, eine ganz bestimmte jährliche <strong>Wachstum</strong>srate<br />

des Inlandsprodukts zu erreichen, einen<br />

ganz bestimmten Verzicht der umweltpolitischen<br />

Ziele bedeuten würde, genauso wie es falsch wäre<br />

zu behaupten, dass die Durchsetzung eines bestimmten<br />

Umweltstandards auch eine ganz bestimmte<br />

Reduzierung der sonst möglichen Wachs-


tumsrate des Inlandsproduktes zur Folge hätte. Es<br />

kommt deshalb im Rahmen der Wirtschaftspolitik<br />

nicht nur darauf an, welches Gewicht eine Partei<br />

bzw. Regierung beiden Zielen gibt, sondern maßgeblich<br />

auch darauf, auf welchem Wege beide Ziele<br />

angegangen werden.<br />

Im Rahmen der <strong>Wachstum</strong>spolitik gilt nämlich der<br />

Zusammenhang zwischen Größe des Inlandsproduktes<br />

und Umweltbelastung nur im Allgemeinen<br />

und im Durchschnitt der gesamten Produktion. Es<br />

gibt sehr wohl Verwendungsarten der knappen<br />

Ressourcen, bei denen die Inanspruchnahme knapper<br />

Ressourcen und die Zerstörung der Umwelt geringer<br />

ausfällt als bei anderen Verwendungsarten.<br />

Vergleichen wir hierzu z. B. die Produktion eines<br />

industriell angefertigten Gutes mit der Zurverfügungstellung<br />

einer Dienstleistung. Bei der Produktion<br />

eines Industriegutes werden im Allgemeinen<br />

Rohstoffe benötigt, aus denen das anzufertigende<br />

Produkt besteht, die Produktion erfordert weiterhin<br />

zumeist einen hohen Energie- und bisweilen<br />

auch Wasserverbrauch, während zur Erbringung<br />

einer Dienstleistung sowohl der Energieverbrauch<br />

wie die Inanspruchnahme sonstiger Rohstoffe gering<br />

ausfällt. Dies bedeutet, dass es stets auf die Zusammensetzung<br />

des Inlandsproduktes ankommt,<br />

wie hoch die Umweltbelastung ist, dadurch, dass<br />

der Anteil der Dienstleistungen auf Kosten der industriell<br />

oder handwerklich hergestellten Produkte<br />

erhöht wird, kann bei gleichem Inlandsprodukt die<br />

Umweltbelastung entscheidend verringert werden.<br />

Im Rahmen der Umweltpolitik gilt es weiterhin zu<br />

berücksichtigen, dass die Inanspruchnahme der<br />

knappen Ressourcen entscheidend davon abhängt,<br />

ob Energierohstoffe oder zu verarbeitende Rohstoffe<br />

benötigt werden. Energierohstoffe zeichnen sich<br />

dadurch aus, dass sie bei der Produktion verbraucht<br />

werden, sie sind ein für alle mal verloren,<br />

können also nicht für weitere Produktionen zurückgeholt<br />

und eingesetzt werden. Die übrigen<br />

Rohstoffe werden in aller Regel bei der Produktion<br />

nur gebraucht, ihr Gehalt bleibt erhalten und wenn


das Produkt ausgedient hat, also für den Konsum<br />

nicht mehr benötigt wird, besteht prinzipiell die<br />

Möglichkeit, diese Rohstoffe zurückzugewinnen<br />

und damit erneut in der Produktion einzusetzen.<br />

Man spricht hierbei von Recycling.<br />

Das Ziel der <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> verlangt somit recht<br />

unterschiedliche Strategien, je nachdem ob es sich<br />

um <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> bei den Energierohstoffen oder<br />

den zu verarbeitenden Rohstoffen handelt. Geht es<br />

um die Zurverfügungstellung von Energierohstoffen,<br />

dann verlangt das Ziel der <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> in<br />

erster Linie, neue Energiequellen zu erschließen<br />

und diejenigen Infrastrukturinvestitionen durchzuführen,<br />

welche Voraussetzung dafür sind, dass<br />

Energie auch zu angemessenen, tragbaren Preisen<br />

angeboten werden kann. Geht es hingegen um die<br />

Rohstoffe, welche nur gebraucht, also verarbeitet<br />

werden, ist es notwendig, Methoden der Wiedergewinnung<br />

zu entwickeln, welche es zu angemessenen<br />

Kosten ermöglichen, die Rohstoffe für eine erneute<br />

Produktion freizusetzen. Ist dies nicht möglich,<br />

können auch durch Einsatz chemischer Prozesse<br />

neue synthetisch hergestellte Rohstoffe entwickelt<br />

werden und auf diese Weise die <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> ermöglichen.<br />

Wirtschaftliches <strong>Wachstum</strong> wird nun in erster Linie<br />

durch technischen Fortschritt ermöglicht. Hierbei<br />

wird traditionell zwischen arbeitssparendem<br />

und kapitalsparendem Fortschritt unterschieden.<br />

Lässt sich aufgrund eines neuen technischen Verfahren<br />

die gleiche Gütermenge mit einem geringeren<br />

Arbeitseinsatz erreichen, sprechen wir von<br />

arbeitssparendem Fortschritt. Lässt sich jedoch die<br />

gleiche Gütermenge mit weniger Kapitaleinsatz erzielen,<br />

wird von kapitalsparendem Fortschritt gesprochen.<br />

Im Zusammenhang mit dem in diesem<br />

Artikel angesprochenen Zielkonflikt, ist es zweckmäßig,<br />

zusätzlich einen rohstoffsparenden technischen<br />

Fortschritt zu unterscheiden. Es ist klar, dass<br />

ein <strong>Wachstum</strong>, das vor allem durch eine Einsparung<br />

von Rohstoffen erreicht wurde, in viel gerin-


gerem Maße als üblich zu einem Konflikt zwischen<br />

<strong>Wachstum</strong> und <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> führt.<br />

Unser Problem wird dadurch noch verkompliziert,<br />

dass das <strong>Wachstum</strong>sziel nicht nur um seiner selbst<br />

Willen verfolgt wird, also angestrebt wird, weil mit<br />

dem Zuwachs der <strong>Wachstum</strong>srate im Allgemeinen<br />

auch ein Mehr an Wohlfahrt verbunden ist, sondern<br />

auch deshalb, weil mit der Ausweitung der<br />

Produktion – bei gleicher Technik allerdings nur –<br />

auch eine Beschäftigungssteigerung erzielt werden<br />

kann. Aus diesen Gründen versuchen keynesianisch<br />

orientierte Politiker ein wirtschaftliches <strong>Wachstum</strong><br />

zu forcieren, um auf diese Weise Arbeitslosigkeit<br />

abzubauen.<br />

Es war nun Arthur M. Okun, ein der Keynesschule<br />

zugerechneter Wirtschaftswissenschaftler, welcher<br />

vermeinte, empirisch nachgewiesen zu haben, dass<br />

nur bei einem wirtschaftlichem <strong>Wachstum</strong> von circa<br />

3 bis 4% überhaupt erst Vollbeschäftigung erreicht<br />

werden kann. Bei Gül<strong>tigkeit</strong> dieses<br />

Okun‘sche Gesetz wäre der Zielkonflikt zwischen<br />

<strong>Wachstum</strong> und <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> vorprogrammiert,<br />

da im Allgemeinen immer dann, wenn mehr<br />

Arbeitskräfte eingesetzt werden, auch der Bedarf<br />

an knappen Rohstoffen ansteigt.<br />

Dieser Zielkonflikt wird nun dadurch noch verschärft,<br />

dass er nicht nur ein innerstaatliches Problem<br />

darstellt, sondern internationale Konflikte heraufbeschwört.<br />

Könnte dieser Konflikt auf die einzelnen<br />

Volkswirtschaften als nationales Problem<br />

beschränkt bleiben, so würde eine Lösung dieses<br />

Zielkonfliktes einfach dadurch erzielt werden können,<br />

dass sich eine Regierung zu einem Kompromiss<br />

zwischen diesen beiden Zielen durchringt, der<br />

von der Mehrheit der Wähler akzeptiert wird.<br />

Sehr viel schwieriger lässt sich dieser Konflikt auf<br />

der internationalen Ebene lösen und zwar nicht nur<br />

deshalb, weil es keine Weltregierung gibt, welche<br />

einen solchen Kompromiss herbeiführen kann. Gehen<br />

wir einmal davon aus, dass wirtschaftliches


<strong>Wachstum</strong> im Durchschnitt auf jeden Fall zu einer<br />

vermehrten Inanspruchnahme von knappen Rohstoffen<br />

führen wird. Wir müssen weiterhin davon<br />

ausgehen, dass die heutigen Entwicklungs- und<br />

Schwellenländer den Anspruch erheben, in gleicher<br />

Weise, wie dies die älteren Industrienationen Europas<br />

und Nordamerikas in der Vergangenheit getan<br />

haben, ebenfalls durch Industrialisierung ein vergleichbares<br />

Wohlfahrtsniveau zu erreichen. Die<br />

Realisierung dieser Zielsetzung führt auf jeden Fall<br />

zu einem immensen Verschleiß der knappen natürlichen<br />

Ressourcen. Dies bedeutet, dass das Ziel der<br />

<strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> schon allein aus diesen Gründen<br />

(dem Nachholbedarf der Entwicklungsländer) nur<br />

sehr schwer zu erreichen ist. Wenn nun auch die<br />

bereits hoch entwickelten Nationen bestrebt sind,<br />

auch ihr Wohlfahrtsniveau Jahr für Jahr über eine<br />

3 bis 4 prozentige <strong>Wachstum</strong>srate zu erhöhen, wird<br />

die Erreichung des <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong>szieles um ein<br />

weiteres erschwert.<br />

Angesichts der beiden nun vorliegenden alarmierenden<br />

Berichten des Club of Rom, in denen die<br />

Grenzen des <strong>Wachstum</strong>s aufgezeigt wurden, muss<br />

bezweifelt werden, ob überhaupt ein befriedigender<br />

Kompromiss zwischen <strong>Wachstum</strong> und <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong><br />

erreicht werden kann, solange an der Vorstellung<br />

festgehalten wird, dass auch die hoch entwickelten<br />

Industrienationen das Ziel einer jährlichen<br />

<strong>Wachstum</strong>srate von 3 bis 4 %verfolgen sollten. In<br />

Anbetracht dessen, dass das <strong>Wachstum</strong> keineswegs<br />

eine notwendige und ausreichende Voraussetzung<br />

zur Erreichung der Vollbeschäftigung darstellt, ist<br />

es in hohem Maße erwünscht, die anspruchsvollen<br />

<strong>Wachstum</strong>sziele aufzugeben und nach anderen<br />

Wegen Ausschau zu halten, um das Ziel der Vollbeschäftigung<br />

zu erreichen.<br />

2. Extensives <strong>versus</strong> intensives <strong>Wachstum</strong><br />

Beginnen wir unsere Analyse damit, dass wir den<br />

Begriff des wirtschaftlichen <strong>Wachstum</strong>s und die<br />

Zielsetzung einer <strong>Wachstum</strong>srate näher zu be-


stimmen versuchen. Ausgangspunkt ist die Definition<br />

des realen Inlandsprodukts. Unter diesem Begriff<br />

versteht man die gesamte innerhalb einer<br />

Volkswirtschaft in einer Periode produzierte Gütermenge<br />

einschließlich der Dienstleistungen. Man<br />

multipliziert hierzu für jedes einzelne Gut die produzierte<br />

Menge mit dem erzielten Preis, zählt diese<br />

Wertsummen zusammen und dividiert das so gebildete<br />

Inlandsprodukt durch das Preisniveau und erhält<br />

das reale Inlandsprodukt. Die <strong>Wachstum</strong>srate<br />

gibt dann an, um wie viel Prozent dieses reale Inlandsprodukt<br />

jeweils gestiegen ist. Da ein Zuwachs<br />

des Inlandsproduktes auch allein aufgrund von allgemeinen<br />

Preissteigerungen erreicht werden kann<br />

und da eine bloße Steigerung des Inlandsprodukts<br />

aufgrund von Preissteigerungen keinen echten<br />

Wohlfahrtsgewinn widerspiegelt, ist es notwendig<br />

vom realen und nicht einfach vom nominellen Inlandsprodukt<br />

auszugehen<br />

Wichtig ist in unserem Zusammenhang die Unterscheidung<br />

zwischen extensivem und intensivem<br />

<strong>Wachstum</strong>. Während beim extensiven <strong>Wachstum</strong><br />

die jährliche Steigerung des realen Inlandsprodukts<br />

gemessen wird, gewinnt man einen Maßstab für das<br />

intensive <strong>Wachstum</strong> dadurch, dass man das reale<br />

Inlandsprodukt entweder durch die Zahl der Wirtschaftssubjekte<br />

des betreffenden Landes oder auch<br />

durch die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer dividiert.<br />

Im ersteren Falle misst man die Wohlfahrtssteigerung<br />

daran, ob sich die Durchschnittseinkommen<br />

der Bürger eines Landes vergrößern.<br />

Im letzteren Falle fragt man nach der Produktivkraft<br />

der einzelnen Faktoren und geht davon aus,<br />

dass eine Steigerung der Produktivität der Produktionsfaktoren<br />

Voraussetzung für eine Wohlfahrtssteigerung<br />

bedeutet.<br />

Wenn man das <strong>Wachstum</strong> des realen Inlandsprodukts<br />

als Wohlfahrtsindikator ansieht, dann bringt<br />

lediglich das intensive und nicht auch schon das extensive<br />

<strong>Wachstum</strong> einen Maßstab für die Wohlfahrtssteigerung.<br />

Das reale Inlandsprodukt kann ja<br />

allein deshalb steigen, weil die Zahl der Wirt-


schaftssubjekte angestiegen ist. In diesem Falle erfahren<br />

jedoch die Bürger einer Volkswirtschaft<br />

auch keine Steigerung ihrer Wohlfahrt. Es wurde<br />

nur mehr als bisher produziert, weil nun die Produktion<br />

auf eine größere Anzahl von Konsumenten<br />

aufgeteilt werden muss.<br />

Wenn wir allerdings mit dem <strong>Wachstum</strong>sbegriff<br />

das Ziel verbinden, auf diese Weise die Beschäftigung<br />

zu steigern und damit die Arbeitslosigkeit zu<br />

vermindern, dann müssen wir uns umgekehrt auf<br />

das extensive <strong>Wachstum</strong> beziehen. Das Pro-Kopf-<br />

Einkommen kann ja steigen, ohne dass auch die Beschäftigung<br />

ebenfalls ansteigt. Dies ist z. B. immer<br />

dann der Fall, wenn aufgrund einer Steigerung der<br />

Produktivität jeder Arbeitnehmer im Durchschnitt<br />

mehr Güter produziert als bisher.<br />

Ob eine Zunahme des Pro-Kopf-Einkommens mit<br />

einer Steigerung oder aber auch Verringerung der<br />

Beschäftigung verbunden ist, hängt entscheidend<br />

von der Art des technischen Fortschrittes ab, der<br />

für den Anstieg im Pro-Kopf-Einkommen verantwortlich<br />

ist. R. F. Harrod hatte den Begriff des neutralen<br />

technischen Fortschrittes geprägt, bei dem<br />

sich die technischen Verbesserungen bei allen Faktoren<br />

gleichmäßig auswirken, es wird also zur Produktion<br />

einer Produktionseinheit von allen Faktoren<br />

in gleichem Maße weniger verbraucht, während<br />

beim arbeitssparenden technischen Fortschritt<br />

in erster Linie, aber nicht ausschließlich Arbeitseinheiten<br />

eingespart werden und beim kapitalsparenden<br />

Fortschritt insbesondere, aber wiederum<br />

nicht ausschließlich Kapital pro Produktionseinheit<br />

weniger benötigt wird.<br />

Harrod ging davon aus, dass a priori nichts darüber<br />

ausgesagt werden kann, welche Art des technischen<br />

Fortschritts sich durchsetzt. Es sei zwar<br />

durchaus möglich, dass in bestimmten Zeiten technischer<br />

Fortschritt tatsächlich dazu führt, dass per<br />

Saldo Arbeitskräfte eingespart werden, aber auch<br />

das Gegenteil ist denkbar. Gerade deshalb, weil<br />

über die Richtung des technischen Fortschritts


nichts Eindeutiges gesagt werden kann, ging Harrod<br />

in seinen wachstumstheoretischen Analysen<br />

von einem neutralen technischen Fortschritt aus, da<br />

arbeitssparender und kapitalsparender Fortschritt<br />

gleichwahrscheinlich seien.<br />

Im weiteren Verlauf der Entwicklung der <strong>Wachstum</strong>stheorie<br />

wurde der Begriff des technischen<br />

Fortschrittes präzisiert. Während Harrod dann von<br />

neutralem technischen Fortschritt sprach, wenn bei<br />

gleichbleibendem Zinssatz der Kapitalkoeffizient<br />

(K/Y) konstant bleibt, hatte John Richard Hicks<br />

von neutralem Fortschritt dann gesprochen, wenn<br />

bei konstant bleibendem Lohn-/Zinsverhältnis das<br />

Einsatzverhältnis Kapital zu Arbeit (K/A) unverändert<br />

bleibt. Robert Merton Solow hatte einen<br />

dritten möglichen Begriff des neutralen Fortschrittes<br />

hinzugefügt: Neutral ist der technische Fortschritt<br />

dann, wenn bei konstantem Lohnsatz der<br />

Arbeitskoeffizient (A/Y) unverändert bleibt.<br />

Unabhängig von der Art des technischen Fortschrittes<br />

und der Definition des neutralen Fortschrittes<br />

werden somit in aller Regel Arbeitseinheiten<br />

zur Produktion einer Gütereinheit in geringerem<br />

Maße als bisher benötigt, sodass bei unverändertem<br />

Inlandsprodukt im Allgemeinen die<br />

Arbeitslosigkeit partiell steigt. Allerdings wird dieser<br />

partielle Freisetzungseffekt zumindest zum Teil<br />

dadurch wiederum kompensiert, dass technischer<br />

Fortschritt nahezu immer Investitionen voraussetzt<br />

und dass diese autonomen Nachfragesteigerungen<br />

die Beschäftigung partiell auch wiederum ansteigen<br />

lassen. Es hängt dann in der Tat von einer Reihe<br />

von Umständen wie etwa der Größe des Multiplikatoreffektes<br />

ab, welcher Effekt per Saldo überwiegt.<br />

Erich Streißler vertrat die These, dass der technische<br />

Fortschritt langfristig kapitalsparend und<br />

nicht arbeitssparend gewesen sei, arbeitssparend<br />

wäre nur der relativ kleine Teil der Investitionen in<br />

Maschinen gewesen; langfristig wirkten sich jedoch<br />

die kapitalsparenden Effekte bei den Lagerinvestitionen<br />

aus, die selbst wiederum durch den


technischen Fortschritt im Transportwesen möglich<br />

geworden seien.<br />

Trotzdem mag es richtig sein, dass in den beiden<br />

letzten Jahrzehnten der technische Fortschritt vorwiegend<br />

arbeitssparend ausgefallen ist. Dieser Bias<br />

erklärt sich jedoch nicht daraus, dass diese Entwicklung<br />

technisch eindeutig und unveränderlich<br />

vorgegeben ist, sie ist vielmehr Ergebnis einer ganz<br />

bestimmten Entwicklung in den Lohn-Zins-<br />

Verhältnissen. Je höher das Lohn-Zins-Verhältnis<br />

ist, umso mehr lohnt sich für die Unternehmungen<br />

die Steigerung der Kapitalintensität und die Einführung<br />

arbeitssparenden technischen Fortschritts.<br />

Die Zunahme des Lohn-Zinsverhältnisses wurde<br />

selbst wiederum ausgelöst einmal durch eine expansive<br />

Lohnpolitik der Arbeitnehmer, insbesondere<br />

im unteren Lohnbereich, sowie durch eine keynesianische<br />

Politik des billigen Geldes. Steigt der<br />

Lohnsatz und sinkt gleichzeitig der Zinssatz, so<br />

steigt das Lohn-Zins-Verhältnis besonders stark, da<br />

hier sowohl der Lohnsatz steigt als auch der Zinssatz<br />

sinkt.<br />

Nicholas Kaldor ging in seiner <strong>Wachstum</strong>stheorie<br />

sogar noch einen Schritt weiter, in dem er nachzuweisen<br />

versuchte, dass wachstumsimmanente Kräfte<br />

am Werke seien, die den <strong>Wachstum</strong>spfad langfristig<br />

immer wieder auf einen neutralen Fortschritt<br />

drängen. Immer dann, wenn der tatsächliche<br />

<strong>Wachstum</strong>spfad vom Pfad eines neutralen<br />

technischen Fortschrittes in Richtung arbeitssparenden<br />

Fortschritt abweiche, sinke mit der Nachfrage<br />

nach Arbeit der Lohnsatz und dies wiederum<br />

veranlasse die Unternehmer, stärker nach kapitalsparenden,<br />

arbeitsverbrauchenden Innovationen<br />

Ausschau zu halten.<br />

Wir wollen also festhalten, dass ein intensives<br />

<strong>Wachstum</strong> keinesfalls immer auch beschäftigungssteigernde<br />

Effekte nachsichzieht, in gewissen Fällen<br />

wird gerade die Beschäftigung mit der Steigerung<br />

des <strong>Wachstum</strong>s sinken. Welcher dieser beiden Fälle


zu erwarten ist, hängt von einer Vielzahl technischer<br />

Parameter ab und vor allem auch davon, inwieweit<br />

das Lohnzinsverhältnis den Knappheitsrelationen<br />

von Kapital und Arbeit entspricht. Wir sehen<br />

also, dass man nicht generell davon ausgehen<br />

kann, dass eine Steigerung des wirtschaftlichen<br />

<strong>Wachstum</strong>s automatisch auch eine Steigerung der<br />

Beschäftigung zur Folge hat und damit ein Garant<br />

für Vollbeschäftigung ist.<br />

3. <strong>Wachstum</strong> in der klassischen Wirtschaftstheorie<br />

Diese <strong>Wachstum</strong>sbesessenheit, welche sich heutzutage<br />

bei manchen Politikern und in der öffentlichen<br />

Meinung feststellen lässt, findet sich bei den Klassikern<br />

der Wirtschaftstheorie noch nicht. Adam<br />

Smith, der Begründer der modernen Wirtschaftstheorie<br />

war zwar der Überzeugung, dass das Zulassen<br />

eines freien Handels in der Binnen- und<br />

Außenwirtschaft zu einer enormen Steigerung der<br />

materiellen Wohlfahrt der Bevölkerung führe und<br />

dass die allgemeine Produktivität vor allem auf<br />

dem Wege der Arbeitsteilung erhöht werden könne,<br />

aber sicherlich dachte Adam Smith nicht daran,<br />

dass in der gesamten Wirtschaft Jahr für Jahr eine<br />

Steigerung der gesamten Produktion in dem Umfang<br />

stattfinden werde, dass die Einkommen der<br />

Arbeitnehmer stets um einige Prozent gesteigert<br />

werden könnten.<br />

Es war vor allem David Ricardo, einer der Hauptvertreter<br />

der klassischen Wirtschaftstheorie neben<br />

Adam Smith, welcher in dieser Frage eines möglichen<br />

Wirtschaftswachstums eher eine pessimistische<br />

Sicht vertreten hatte. Ricardo übernahm das<br />

von Robert Malthus entwickelte Theorem, wonach<br />

die Bevölkerung die Tendenz habe, sich im Sinne<br />

einer geometrischen Reihe (1,2,4,8…), der Nahrungsspielraum<br />

hingegen nur im Sinne einer<br />

arithmetischen Reihe (1,2,3,4) zu vermehren. Es<br />

sei also mit anderen Worten der zu enge Nahrungs-


spielraum, der letzten Endes das <strong>Wachstum</strong> der<br />

Bevölkerung begrenze.<br />

Zunächst wird im Rahmen der von David Ricardo<br />

entwickelten dynamischen Theorie davon ausgegangen,<br />

dass noch genügend Böden bester Qualität<br />

vorhanden sind, sodass sich auch die Bevölkerung<br />

im Sinne einer geometrischen Reihe, also sehr<br />

schnell vermehren kann. Aufgrund des starken<br />

<strong>Wachstum</strong>s der Bevölkerung werden die Böden<br />

bester Qualität allmählich knapp, zur Befriedigung<br />

des Nahrungsbedarfes müssen nun auch Böden<br />

minderer Qualität bebaut werden.<br />

Auf den Märkten für die Bodenprodukte (Nahrungsmittel)<br />

wird nun für die gleiche Qualität der<br />

Produkte ein einheitlicher Preis erzielt, unabhängig<br />

davon, ob diese Produkte auf den qualitativ besten<br />

Böden oder auf Böden minderer Qualität angebaut<br />

wurden. Da der Preis der Produkte, die auf dem<br />

Boden mit der geringsten Qualität angebaut wurden,<br />

aber mindestens die hierbei entstandenen Produktionskosten<br />

decken muss, damit diese Böden<br />

minderer Qualität auch tatsächlich bebaut werden,<br />

erzielen die Besitzer der qualitativ besseren Böden<br />

eine Rente. Sie haben für das gleiche Produkt geringere<br />

Kosten aufzubringen als die Besitzer der<br />

weniger qualitativen Produkte, sie erzielen aber<br />

den gleichen Preis mit der Folge, dass sie in Höhe<br />

der Differenz der Produktionskosten eine Rente erzielen.<br />

Wächst nun die Bevölkerung und ist es deshalb<br />

notwendig, dass zur Abdeckung des Nahrungsbedarfes<br />

immer mehr Böden minderer Qualität bebaut<br />

werden müssen, so steigt automatisch die Bodenrente,<br />

welche den Besitzern der besseren Böden<br />

zufließt. Dies bedeutet aber auch, dass ein immer<br />

größerer Anteil des erzeugten Gesamtwertes an die<br />

Bodenbesitzer in Form einer steigenden Rente zufließt.<br />

Diese Entwicklung einer Volkswirtschaft lässt sich<br />

nun anhand folgender Grafik darstellen.


Wir wollen auf der Abszisse die Bevölkerungsgröße<br />

und davon abgeleitet auch die Zahl der in der<br />

Landwirtschaft beschäftigten Arbeiter abtragen,<br />

auf der Ordinate hingegen tragen wir den Grenzertrag<br />

des Bodens ab.<br />

Wir gehen aus von einem Zeitpunkt, in welchem die<br />

Bevölkerungsgröße noch relativ gering war und<br />

beispielsweise der Größe B1 entsprach. Es konnten<br />

noch aufgrund der geringeren Bevölkerung nur die<br />

qualitativ besten Böden bebaut werden, mit der<br />

Folge, dass deshalb auch nur eine geringe Rente erzielt<br />

wurde, die Qualität der bebauten Böden wies<br />

noch keine beachtlichen Unterschiede auf.<br />

Die Fläche, die unterhalb der Trennungslinie für<br />

die Rente liegt, stellt den Gesamtertrag der Produktion<br />

abzüglich der Rentensumme dar. In diese verbleibende<br />

Summe teilen sich nun Unternehmer und<br />

Kapitalgeber auf der einen Seite und die Arbeiter<br />

auf der anderen Seite. Die Lohnsumme entspricht


hierbei dem Produkt aus Anzahl der in der Landwirtschaft<br />

beschäftigten Arbeitnehmer multipliziert<br />

mit dem vorherrschenden Lohnsatz, der in etwa<br />

dem Existenzminimum entspricht. Es kann durchaus<br />

auch eingeräumt werden, dass der aktuelle<br />

Lohnsatz auch über dem Existenzminimum liegt.<br />

Auf der eine Seite haben die Unternehmer eine relativ<br />

große Gewinnspanne, die es ihnen erlaubt, die<br />

Löhne anzuheben; auf der anderen Seite kann<br />

durchaus mit der Möglichkeit gerechnet werden,<br />

dass sich die Unternehmer wegen einer Knappheit<br />

an Arbeitskräften gezwungen sehen, mehr als das<br />

Existenzminimum als Lohn zu gewähren, um überhaupt<br />

ausreichend Arbeitskräfte einstellen zu können.<br />

Halten wir fest, dass in diesem Ausgangspunkt<br />

der Entwicklung der Gewinn, die Profitrate noch<br />

relativ groß ist.<br />

Wir wollen nun unterstellen, dass die Bevölkerung<br />

weiter wächst (entsprechend dem von Robert Malthus<br />

prognostizierten geometrischen <strong>Wachstum</strong>)<br />

und dass deshalb immer mehr qualitativ schlechtere<br />

Böden zusätzlich zur Bebauung herangezogen<br />

werden müssen. Da der Preis der Bodenprodukte<br />

mindestens die Stückkosten decken muss, welche<br />

auf dem qualitativ schlechtesten Boden entstehen,<br />

ergibt sich eine immer größer werdende Rentensumme,<br />

die den Besitzern der qualitativ besseren<br />

Böden zufällt. Von der Gesamtproduktion, der Gesamtfläche<br />

unterhalb der Grenzertragskurve bleibt<br />

für Gewinn und Lohn immer weniger übrig; und<br />

dies bedeutet, dass insbesondere die Profitrate<br />

sinkt, da der Lohn ohnehin weitgehend dem Existenzminimum<br />

entspricht und gerade aus diesen<br />

Gründen nicht weiter reduziert werden kann:


Nun wollen wir uns fragen, ob es in dieser wirtschaftlichen<br />

Entwicklung einen Endpunkt gibt, in<br />

dem das <strong>Wachstum</strong> beendet wird und in der Folge<br />

in einem stationären Zustand verharrt. Die Graphik<br />

zeigt, dass dann, wenn die Bevölkerung die<br />

Größe B3 angenommen hat, die wirtschaftliche<br />

Entwicklung ausläuft. Die Profitrate ist auf null gesunken,<br />

die Rentner und die Arbeiter teilen sich in<br />

das Gesamtprodukt, wobei der Lohnsatz nach wie<br />

vor nur dem Existenzminimum entspricht. Unternehmer<br />

und Kapitalgeber haben keinen Anreiz, die<br />

Produktion auszudehnen, sodass dann entsprechend<br />

der pessimistischen Bevölkerungslehre von<br />

Robert Malthus die Bevölkerungsexpansion nur<br />

durch Hungersnöte oder Krieg gestoppt werden<br />

kann.


Dieses Modell zeigt, dass in der klassischen Welt<br />

eines David Ricardo lediglich zu Beginn der Entwicklung<br />

die Bevölkerung sowie die Renten der<br />

Bodenbesitzer eine positive <strong>Wachstum</strong>srate aufweisen.<br />

Die Lohneinkommen stagnieren weitgehend,<br />

während die Profitrate der Unternehmer sinkt.<br />

Aber weder die Bevölkerung noch das Renteneinkommen<br />

steigen permanent, die Volkswirtschaft<br />

steuert auf einen Stagnationszustand zu, bei dem<br />

weder die Bevölkerung noch die Renteneinkommen<br />

weiter steigen können.<br />

4. Das Okun‘sche Gesetz<br />

Wir hatten bereits erwähnt: Das <strong>Wachstum</strong>sziel<br />

konnte vor allem deshalb diese hohe Priorität erlangen,<br />

weil die Vorstellung vorherrschte, dass das<br />

Ziel der Vollbeschäftigung nur bei hohem wirtschaftlichem<br />

<strong>Wachstum</strong> erreicht werden könnte.<br />

Ging es im Rahmen der <strong>Wachstum</strong>spolitik lediglich<br />

darum, sicherzustellen, dass das Wohlfahrtsniveau<br />

der Bevölkerung stetig steigt, hätte das Ziel der<br />

<strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> durchaus vor das Ziel eines Wachs-


tums des Inlandsproduktes gestellt werden können.<br />

Dies wäre vor allem deshalb möglich geworden,<br />

weil wir im Allgemeinen vom ersten Gossen’schen<br />

Gesetz ausgehen. Danach führt ein Anstieg im Einkommen<br />

zwar zu einer Nutzensteigerung, dieser<br />

Nutzenzuwachs sinkt jedoch mit jeder Steigerung<br />

des Einkommens.<br />

Geht man jedoch von der These aus, dass ein hohes<br />

<strong>Wachstum</strong> unerlässlich ist, um die Arbeitslosigkeit<br />

zu beseitigen, ist es durchaus verständlich, dass die<br />

Politiker dem <strong>Wachstum</strong>sziel den Vorrang vor dem<br />

Ziel der <strong>Nachhal</strong><strong>tigkeit</strong> eingeräumt haben. Danach<br />

kommt es zunächst darauf an, dass die wirtschaftliche<br />

Existenz der heutigen Generation gesichert ist,<br />

erst dann, wenn dieses Ziel einigermaßen erreicht<br />

ist, kann das weitere Ziel in Angriff genommen<br />

werden, auch für die Wohlfahrt der zukünftigen<br />

Generationen zu sorgen.<br />

Die Verbindung des <strong>Wachstum</strong>sniveaus mit der Beschäftigung<br />

spielt nun im Rahmen der<br />

Keynes’schen Lehre eine besondere Rolle. Obwohl<br />

bei Keynes selbst <strong>Wachstum</strong>sziele noch nicht im<br />

Zentrum seiner Grundthesen stehen, ist eine ausreichende<br />

Nachfrage nach Gütern und damit natürlich<br />

auch eine ausreichende Produktion Voraussetzung<br />

dafür, dass Vollbeschäftigung erreicht werden<br />

kann. Aber bei Keynes selbst hat es noch den Anschein,<br />

als würde es zur Erreichung von Vollbeschäftigung<br />

ausreichen, dass die Nachfrage und<br />

Produktion auf einem hohen Niveau gehalten werde,<br />

ohne dass aber die Produktion Jahr für Jahr<br />

ansteigen müsse.<br />

Es war dann vor allem Harrod, welcher die <strong>Wachstum</strong>sproblematik<br />

innerhalb der Keynes’schule in<br />

den Mittelpunkt seiner Überlegungen stellte. Im<br />

Rahmen seiner ‚Dynamischen Theorie‘ stellte er die<br />

Frage nach den Bestimmungsgründen eines <strong>Wachstum</strong>s<br />

in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen und<br />

in seiner Theorie auf des Messers Schneide äußerte<br />

er die Befürchtung, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen<br />

sehr leicht dazu führen können,


dass auch langfristig eine Abwärtsbewegung eintreten<br />

kann, die auf Dauer zu Massenarbeitslosigkeit<br />

führen kann. Es bedürfe also einer aktiven Politik,<br />

um diese Gefahren zu verhindern. Da entsprechend<br />

der <strong>Wachstum</strong>stheorie von Harrod und Domar ein<br />

gleichgewichtiges <strong>Wachstum</strong> nur erreicht werden<br />

kann, wenn die <strong>Wachstum</strong>srate (dY/Y) dem Verhältnis<br />

(s/k), also der Sparquote dividiert durch den<br />

Kapitalkoeffizienten entspricht, setzt ein langfristiges<br />

Gleichgewicht eine relativ hohe <strong>Wachstum</strong>srate<br />

voraus. Diese beträgt z. B. bei einer Sparquote von<br />

25% und einem Kapitalkoeffizienten von 4 immerhin<br />

etwas mehr als 6% <strong>Wachstum</strong> pro Jahr!<br />

Diese Forderung nach hohen <strong>Wachstum</strong>sraten bekam<br />

dann durch die Thesen von Alvin Hansen neue<br />

Nahrung. Während Keynes selbst Arbeitslosigkeit<br />

vorwiegend als ein Problem der konjunkturellen<br />

Abschwungsphasen ansah, verbreitete Hansen die<br />

These, dass auch die Gefahr einer säkularen, also<br />

lang anhaltenden Stagnation bestehe. Die Weiterentwicklung<br />

der industriellen Gesellschaft habe<br />

nämlich dazu geführt, dass die Bevölkerung stagniere<br />

oder sogar schrumpfe. Diese Tatsache führe<br />

jedoch dazu, dass die Unternehmungen immer weniger<br />

Erweiterungsinvestitionen durchführten, da<br />

ja keine neuen zusätzlichen Arbeitsplätze benötigt<br />

würden und dass darüber hinaus auch der Bedarf<br />

an neuen Wohnungen stagniere. Damit entfiele<br />

aber der wichtigste Anreiz für Neuinvestitionen mit<br />

der Folge, dass das Investitionsvolumen nicht mehr<br />

ausreiche, um Vollbeschäftigung zu garantieren.<br />

Der Staat habe deshalb die Aufgabe, durch eine aktive<br />

<strong>Wachstum</strong>spolitik eine Steigerung der Investitionen<br />

herbeizuführen, um auf diesem Wege Vollbeschäftigung<br />

zu garantieren.<br />

Die eigentliche Begründung dafür, dass es eines<br />

starken wirtschaftlichen <strong>Wachstum</strong>s bedürfe, um<br />

Vollbeschäftigung zu garantieren, lieferte jedoch<br />

Okun mit dem nach ihm benannten Okun’schen<br />

Gesetz. Das von Okun formulierte Gesetz besagt,<br />

dass die Arbeitslosenquote erst ab einer kritischen<br />

<strong>Wachstum</strong>srate, der sogenannten Beschäftigungs-


schwelle abgebaut wird. Liegt die tatsächliche<br />

<strong>Wachstum</strong>srate des Inlandsproduktes unterhalb<br />

dieser Schwelle, muss sogar damit gerechnet werden,<br />

dass die Arbeitslosenquote steigt.<br />

Arthur M. Okun war amerikanischer Ökonom und<br />

Keynesianer, lebte von 1928 – 1980 und befasste<br />

sich unter anderem mit Ursachen der Armut und<br />

mit den Mechanismen, welche zwischen Inlandsprodukt<br />

und Beschäftigung bestehen.<br />

Das nach ihm benannte Gesetz beruht auf empirischen<br />

Untersuchungen, welche Okun für den Zeitraum<br />

1954 bis 1962 für die USA durchgeführt hat<br />

und welche die in dem Okun’schen Gesetz behauptete<br />

Beziehung zwischen <strong>Wachstum</strong>srate des Inlandsproduktes<br />

und Arbeitslosenrate aufzeigte.<br />

In der Zwischenzeit wurden die Beziehungen zwischen<br />

<strong>Wachstum</strong>srate und Arbeitslosenrate empirisch<br />

in weiteren Ländern überprüft, diese Untersuchungen<br />

kamen zu dem Ergebnis, dass zwar gewisse<br />

Beziehungen zwischen beiden Variablen festgestellt<br />

werden konnten, dass aber die kritische<br />

Schwelle für das Umkippen der Arbeitslosenrate in<br />

den untersuchten Ländern bei sehr unterschiedlichen<br />

Werten lag.<br />

Auch dann, wenn das Okun’sche Gesetz in die Literatur<br />

einging, gibt es bei einer Reihe von Ökonomen<br />

wie z. B. bei Rudiger Dornbusch und Stanley<br />

Fischer erhebliche Zweifel, ob man hier wirklich<br />

bereits von einem Gesetz sprechen könne, schließlich<br />

wiesen die empirischen Zusammenhänge ein<br />

großes Maß an Unsicherheit auf. Die Werte der<br />

einzelnen Parameter würden im Verlauf der Jahre<br />

schwanken und die Relationen seien auch teilweise<br />

instabil. Auch wurde das <strong>Wachstum</strong> der Produktion<br />

nur durch Schätzungen bestimmt.<br />

Wir wollen uns nun der Frage zuwenden, ob das<br />

Okun’sche Gesetz vielleicht einfach eine Folge des<br />

‚Arbeitskräftehortens‘ seitens der Unternehmungen<br />

ist. Unter ‚Arbeitskräftehortens‘ verstehen wir


die Tatsache, dass Unternehmungen in Zeiten des<br />

Konjunkturrückganges die für die Produktion<br />

nicht mehr benötigten Arbeitnehmer nicht entlassen,<br />

sondern weiterbeschäftigen.<br />

Zwei Tatbestände sind für ein solches Verhalten<br />

verantwortlich. Erstens lohnt es sich für Unternehmungen,<br />

Facharbeitskräfte während der Rezession<br />

nicht zu entlassen. Zwar entstehen hierdurch<br />

an und für sich nicht notwendige Kosten, da ja die<br />

Löhne und die Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung<br />

weiter bezahlt werden müssen, obwohl diese<br />

Arbeitskräfte während dieser Zeit nicht produktiv<br />

eingesetzt werden können.<br />

Würden jedoch die Unternehmungen ihre Facharbeitskräfte<br />

bei Beginn der Rezession entlassen,<br />

müssten sie beim nächsten Konjunkturaufschwung<br />

zusätzliche Kosten zur Anwerbung und zur Ausbildung<br />

aufbringen und diese Kosten können so hoch<br />

ausfallen, dass sie immer noch höher sind als die<br />

Lohnkosten bei der Weiterbeschäftigung dieser<br />

Facharbeitskräfte. Dies gilt vor allem deshalb, weil<br />

einer Unternehmung in den ersten Jahren der Beschäftigung<br />

eines neu eingestellten Facharbeitnehmers<br />

höhere Kosten entstehen als die Beschäftigung<br />

dieser Arbeitnehmer an Ertragszuwächsen bringt.<br />

Die Neueinstellung und Anlernung eines Facharbeitnehmers<br />

stellt eine Investition dar, welche<br />

sich erst nach einigen Jahren für die Unternehmung<br />

ausbezahlt.<br />

Zweitens kann auch ein rigoroser Kündigungsschutz<br />

dazu beitragen, dass Unternehmungen<br />

Arbeitnehmer in Zeiten der Rezession nicht entlassen.<br />

Von einem rigorosen Kündigungsschutz sprechen<br />

wir immer dann, wenn aufgrund dieser Bestimmungen<br />

auch dann nicht Entlassungen möglich<br />

sind, wenn Arbeitskräfte wegen Rückgangs des Absatzes<br />

zur Produktion gar nicht benötigt werden. In<br />

einem solchen Fall steht eine Unternehmung vor<br />

der Notwendigkeit, wegen des Kündigungsschutzes<br />

Arbeitnehmer nicht zu entlassen, obwohl diese zur<br />

Produktion nicht benötigt werden und deshalb zu-


sätzliche Lohnkosten aufzubringen. Auch hier gilt<br />

natürlich, dass für fast alle Arbeitskräfte bei einer<br />

Neueinstellung zusätzliche Anwerb- und Ausbildungskosten<br />

entstehen, sodass die Weiterbeschäftigung<br />

von Arbeitnehmern immer noch die kostengünstigere<br />

Alternative darstellt.<br />

Besteht nun ein rigoroser Kündigungsschutz, so<br />

wird ein Unternehmer zu Beginn des Aufschwungs<br />

nur dann neue Arbeitskräfte einstellen, wenn er<br />

damit rechnen kann, dass der Konjunkturaufschwung<br />

bereits begonnen hat. Wir müssen uns darüber<br />

klar sein, dass aus der Sicht einer Unternehmung<br />

am Ende einer Rezession nicht klar ist, ob<br />

neue Aufträge einmaliger Natur sind oder die Umkehr<br />

in der Konjunkturbewegung und damit den<br />

Aufschwung einleiten.<br />

In einer solchen Situation wird eine Unternehmung<br />

bemüht sein, zusätzliche Aufträge mit Überstunden<br />

der bereits beschäftigten Belegschaft durchzuführen<br />

und eventuell sogar dann, wenn eine solche<br />

Strategie nicht möglich ist, auf den Auftrag ganz<br />

verzichten.<br />

Eine solche Situation führt dann dazu, dass der<br />

Konjunkturaufschwung verzögert wird und erst<br />

später beginnt als dann, wenn kein solcher rigoroser<br />

Kündigungsschutz bestehen würde. Auf jeden<br />

Fall trägt das Arbeiterhorten dazu bei, dass der<br />

Arbeitsmarkt hinter der konjunkturellen Entwicklung<br />

der Gütermärkte hinterherhinkt.<br />

Man könnte nun versucht sein, in diesem Phänomen<br />

eine Bestätigung und Begründung des<br />

Okun’schen Gesetzes zu sehen. In der Tat reicht ein<br />

geringer Aufschwung, also eine geringe <strong>Wachstum</strong>srate<br />

nicht aus, um neue Arbeitskräfte einzustellen<br />

und damit die Arbeitslosenzahl zu verringern.<br />

Erst wenn der Aufschwung voll im Gange ist,<br />

also die <strong>Wachstum</strong>srate eine kritische Höhe überschritten<br />

hat, beginnen die Unternehmungen, neue<br />

Arbeitskräfte einzustellen.


Ein näheres Eingehen auf diese Zusammenhänge<br />

zeigt jedoch, dass mit der Tatsache des Arbeiterhortens<br />

allein das Okun’sche Gesetz nicht erklärt<br />

werden kann. Sobald nämlich die Unternehmungen<br />

mit der Neueinstellung von Arbeitnehmern begonnen<br />

haben, gibt es keinen Grund mehr, dass auch in<br />

Zukunft die <strong>Wachstum</strong>srate weiter bestehen muss,<br />

um zu verhindern, dass die Zahl der Arbeitslosen<br />

wieder ansteigt. Auch dann, wenn das Inlandsprodukt<br />

in den zukünftigen Perioden konstant bliebe,<br />

also die <strong>Wachstum</strong>srate null würde und auf jeden<br />

Fall unter der kritischen Beschäftigungsschwelle<br />

liegen würde, gäbe es ohne weitere zusätzliche Bedingungen<br />

keinen Grund dafür, dass die erreichte<br />

Beschäftigung nicht aufrechterhalten werden könnte.<br />

Nach traditionellem Verständnis würden Entlassungen<br />

erst dann wiederum zu befürchten sein,<br />

wenn die Konjunktur erneut einbricht.<br />

Fortsetzung folgt!

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