Museum leipzig - Museum der bildenden Künste Leipzig
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Klimt hatte seinen berühmten<br />
Beethoven-Fries als Wanddekoration<br />
entworfen, in dem er Leit motive<br />
<strong>der</strong> Neunten Symphonie in <strong>der</strong><br />
Textinterpretation durch Richard<br />
Wagner bildnerisch umsetzte. Der<br />
Architekt Josef Hoffmann hatte<br />
den Ausstellungsraum mit abstrak<br />
ten Gipsreliefs gestaltet, die<br />
sich kontrapunktisch zueinan<strong>der</strong><br />
verhielten. „Dieses Gesamtwir ken<br />
aller <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong>“, so schrieb<br />
Klinger in seinem Begleittext zur<br />
Ausstellung, „entspricht dem,<br />
was Wagner in seinen musikaliteraturauswahl<br />
in <strong>der</strong> kunstwissenschaftlichen<br />
Bibliothek des <strong>Museum</strong>s <strong>der</strong><br />
<strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
Karin Mayer-Pasinski, Max<br />
Klingers Brahmsphantasie,<br />
Frankfurt am Main,1982: Rita<br />
Fischer Verlag 1982<br />
Annegret Friedrich, Das<br />
Prometheus-Thema bei Max<br />
Klinger, unveröff. Magisterarbeit,<br />
Universität Tübingen 1982<br />
Max Klinger. Wege zum<br />
Gesamtkunstwerk, Ausst.-Kat.,<br />
Hildesheim, Roemer- und<br />
Pelizaeus-<strong>Museum</strong> 1984, Mainz,<br />
1984: Philipp von Zabern 1984<br />
Vom Klang <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>.<br />
Die Musik in <strong>der</strong> Kunst des<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, Ausst.-Kat.,<br />
Staatsgalerie Stuttgart 1985, hrsg.<br />
von Katrin von Maur, München,<br />
1985: Prestel 1985<br />
Ursula Kersten, Max Klinger und<br />
die Musik, Frankfurt am Main,<br />
1993: Peter Lang 1993<br />
Jan Brachmann, Ins Ungewisse<br />
hinaus. Johannes Brahms und<br />
Max Klinger im Zwiespalt von<br />
Kunst und Kommunikation,<br />
Kassel, 1999: Bärenreiter 1999<br />
Walter Frisch, German Mo<strong>der</strong>nism:<br />
Music and the Arts, Berkeley:<br />
University of California Press<br />
2005<br />
Max Klinger<br />
Der befreite Prometheus, Blatt 41 <strong>der</strong> „Brahmsphantasie“ (Opus XII), 1884<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
lischen Dramen anstrebte und<br />
erreichte.“<br />
Um die synästhetische<br />
Erfahrung <strong>der</strong> Ausstellung noch zu<br />
steigern, hatte Gustav Mahler die<br />
markantesten Stellen von<br />
Beethovens Neunter Symphonie<br />
für Bläser neu bearbeitet und zur<br />
Aufführung gebracht. Musik sollte<br />
sichtbar und Literatur hörbar<br />
werden. „Freude schöner Götterfunke“,<br />
nach Friedrich Schillers in<br />
<strong>Leipzig</strong> geschriebener Ode an die<br />
Freude, wurde so zum Leitmotiv<br />
<strong>der</strong> Ausstellung, in <strong>der</strong> die vereinten<br />
<strong>Künste</strong> in einer sakral<br />
anmutenden Stimmung gefeiert<br />
wurden. Mit seinem Beethoven<br />
hatte Klinger das zentrale Kultbild<br />
dieses Tempels aus dem Geist <strong>der</strong><br />
Musik geschaffen. „Die <strong>Künste</strong><br />
führen uns in das ideale Reich<br />
hinüber, in dem allein wir reine<br />
Freude, reines Glück, reine Liebe<br />
finden können“, schließt <strong>der</strong><br />
Katalog von 1902 in Anlehnung an<br />
Erlösungsfantasien des Fin de<br />
siècle – „Diesen Kuß <strong>der</strong> ganzen<br />
Welt!“<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>leipzig</strong><br />
in <strong>der</strong> <strong>Leipzig</strong>er Notenspur<br />
D i e S A M M l u n g<br />
Max Klinger und die Musik<br />
Max Klinger bei <strong>der</strong> Arbeit am Beethoven-Denkmal, 1902<br />
Eine Einrichtung <strong>der</strong> Stadt <strong>Leipzig</strong><br />
www.mdbk.de<br />
Text: Dr. Frédéric Bußmann<br />
Gestaltung: Harald Richter, Hamburg<br />
© <strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong>, Mai 2012<br />
www.notenspur.de<br />
Kleine Werkmonographie Nr. 42
Lebensdaten<br />
Kurz erklärt<br />
Max Klinger<br />
1857 in <strong>Leipzig</strong> geboren<br />
1874–76 Studium in Karlsruhe<br />
und Berlin; 1877–93 Aufenthalte<br />
in Berlin, Brüssel, München, Paris<br />
und Rom; ab 1893 wie<strong>der</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
1920 in Großjena gestorben<br />
Robert Schumann<br />
1810 in Zwickau geboren<br />
1828 Umzug nach <strong>Leipzig</strong>, wo er<br />
seine musikalische Ausbildung<br />
erhält und Sinfonien, Lie<strong>der</strong>zyklen<br />
und Kammermusik komponiert;<br />
1834 Gründung <strong>der</strong><br />
Neuen Zeitschrift für Musik, 1840<br />
Heirat mit Clara Wieck und 1843<br />
durch die Vermittlung Mendelsohns<br />
Lehrtätigkeit am Konservatorium<br />
in <strong>Leipzig</strong>; 1844 Umzug<br />
zuerst nach Dresden und dann<br />
nach Düsseldorf<br />
1856 in Endenich (Bonn)<br />
gestorben<br />
Johannes Brahms<br />
1833 in Hamburg geboren<br />
1853 erster Aufenthalt in <strong>Leipzig</strong>,<br />
wo Breitkopf & Härtel seine Komposition<br />
verlegen; in den folgenden<br />
drei Jahrzehnten immer<br />
wie<strong>der</strong> Auftritte als Dirigent und<br />
Musiker, darunter<br />
1879 Uraufführung seines Violinkonzert<br />
D-Dur unter seiner<br />
Leitung im <strong>Leipzig</strong>er Gewandhaus<br />
1897 in Wien gestorben<br />
Ludwig van Beethoven<br />
1770 geboren in Bonn; seit 1792<br />
in Wien<br />
1800 wichtige Teile seiner Kompo<br />
si tionen werden bei Breitkopf &<br />
Härtel in <strong>Leipzig</strong> verlegt<br />
1808 Uraufführung seines Tripelkonzerts<br />
und 1811 Urauf führung<br />
des 5. Klavier konzerts im<br />
<strong>Leipzig</strong>er Gewand haus<br />
1827 in Wien gestorben<br />
Max Klinger<br />
Accord, Blatt 1 <strong>der</strong> „Brahmsphantasie“ (Opus XII), 1884<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
Max Klinger und die Musik<br />
Max Klinger, <strong>der</strong> selbst musizierte,<br />
hat sich intensiv mit dem Verhältnis<br />
von Musik und bilden<strong>der</strong> Kunst<br />
auseinan<strong>der</strong>gesetzt. Er ehrte nicht<br />
nur Komponisten wie Beethoven,<br />
Brahms, Liszt o<strong>der</strong> Wagner durch<br />
Büsten und Denkmäler. Klinger<br />
interpretierte auch Thema und<br />
Stimmung ihrer Musikstücke in<br />
seinen Grafiken. Nicht zuletzt sind<br />
die Bezeichnungen seiner Grafikreihen<br />
als Opus und Titel wie<br />
Capriccio, Intermezzo o<strong>der</strong><br />
Phantasie <strong>der</strong> musikalischen<br />
Terminologie entlehnt. Seine<br />
Lebensgefährtin Elsa Asenijeff<br />
charakterisiert Klingers Kunst<br />
zutreffend als „eine in Stein o<strong>der</strong><br />
durch Griffel und Stift gebannte<br />
Musik“.<br />
Beson<strong>der</strong>s fühlte sich Klinger<br />
den Komponisten Robert<br />
Schumann, Johannes Brahms und<br />
Ludwig van Beethoven verbunden.<br />
Schumann widmete er die<br />
Intermezzi Opus II (1879) und<br />
Intermezzi Opus IV (1881). Neben<br />
thematischen Anleihen weisen sie<br />
auch in ihrem Aufbau mit Thema,<br />
Variationen, Zwischenspielen und<br />
Coda Strukturen von Musikstücken<br />
auf. Durch die Kombination unterschiedlicher<br />
grafischer Techniken<br />
versuchte Klinger dazu, musikalische<br />
Stimmungen umzusetzen.<br />
„Ich liebe die schumannsche<br />
Musik außerordentlich und behaupte<br />
und glaube von seiner<br />
Compositionsweise viel beeinflusst<br />
zu sein“, fasste Klinger 1880<br />
in einem Brief das enge Verhältnis<br />
zu dessen Musik zusammen.<br />
Klingers Brahmsphantasie<br />
(Opus XII)<br />
Klingers bekanntestes grafisches<br />
Bekenntnis zur Musik ist seine<br />
Brahmsphantasie Opus XII (1894).<br />
Die Grafiken begleiten fünf Lie<strong>der</strong><br />
für Singstimme und Klavier von<br />
Johannes Brahms und dessen<br />
Vertonung des Schicksalsliedes<br />
aus Höl<strong>der</strong>lins Hyperion. Ergänzt<br />
werden sie durch Darstellungen<br />
zur Prometheus-Sage, die im<br />
Zentrum des Schicksalsliedes<br />
steht. Brahms Musik sollte nicht<br />
illustriert werden, son<strong>der</strong>n es ging<br />
Klinger darum, „von den Empfindungen<br />
aus, in die uns Dichtung<br />
und vor allem Musik zieht [...]<br />
Blicke über den Gefühlskreis zu<br />
werfen, und von da aus mitzusehen,<br />
weiterzuführen, zu verbinden<br />
und zu ergänzen“. Anerken nend<br />
schrieb <strong>der</strong> Kom ponist dem<br />
Künstler zum Dank: „Ich sehe die<br />
Musik, die schönen Worte dazu –<br />
nun tragen mich ganz unvermerkt<br />
Ihre herrlichen Zeichnungen<br />
weiter“.<br />
Den drei Grafiken Accorde,<br />
…vocation und <strong>der</strong> Befreite Prometheus<br />
kommt in <strong>der</strong> Phantasie eine<br />
beson<strong>der</strong>e Bedeutung zu. Die<br />
Grafiken sind durchdrungen von<br />
Klang assozia tionen. Klinger verdichtet<br />
hier musikalische Einflüsse<br />
und bildende Kunst zu<br />
Stimmungsbil<strong>der</strong>n zwischen Traum<br />
und Wirklichkeit. Harfe und Klavier,<br />
auf den ersten beiden Blättern,<br />
und eine stürmische See vor<br />
beweg tem Himmel wecken die<br />
Vorstellung von Klängen und<br />
Geräuschen. Auf Accorde spielt ein<br />
Mann – er trägt die Züge<br />
Klingers – Klavier und wird dabei<br />
von einer Notenumblätterin<br />
begleitet. Die dadurch erzeugten<br />
Stim mungen und Vorstellungen<br />
werden als Fantasiewelt auf den<br />
übrigen Bildpartien fortgeführt: an<br />
eine Harfe geklammert <strong>der</strong><br />
Meeresgott Triton und zwei im<br />
Max Klinger<br />
…vocation, Blatt 19 <strong>der</strong> „Brahmsphantasie“ (Opus XII), 1884<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
Wasser spielende Nymphen, dahinter<br />
stürmische Wellen mit einem in<br />
Not geratenem Schiff und eine wolken<br />
um wobene Gebirgs landschaft.<br />
Auf …vocation konzentriert sich<br />
Klinger weniger auf die inneren<br />
Stimmungsbil<strong>der</strong> als vielmehr auf<br />
die äußere Inspiration durch die<br />
Natur und die weibliche Schönheit.<br />
Im Zentrum steht eine Harfe vor<br />
toben<strong>der</strong> See. Ihre Vor<strong>der</strong>seite mit<br />
einer Dionysos-Maske ist dem<br />
Künstler-Pianisten zugewandt, ein<br />
geflügelter Apollo an ihrer Rückseite<br />
wird von <strong>der</strong> nackten Frau<br />
und anregenden Muse begrüßt.<br />
Die Harfe, das Instru ment des<br />
Gottes <strong>der</strong> <strong>Künste</strong> und Wissenschaf<br />
ten Apollo, verweist zusammen<br />
mit <strong>der</strong> Maske auf Friedrich<br />
Nietzsches Vorstellung vom Dionysischen<br />
und Apollini schen, von<br />
<strong>der</strong> rauschhaften Musik und <strong>der</strong><br />
rationalen <strong>bildenden</strong> Kunst, die<br />
vereint zu einer neuen Kunstform<br />
führen sollen.<br />
Der auf …vocation im Himmel<br />
gezeigte Titanenkampf verweist<br />
auf die im Zyklus folgenden Darstellungen<br />
zur Prometheus-Sage<br />
und vor allem auf das letzte Blatt,<br />
den Befreiten Prometheus. Max<br />
Klinger stellt sich hier wie auf den<br />
an<strong>der</strong>en beiden Blättern selbst dar.<br />
Statt als musikalischen Künstler<br />
sehen wir ihn nun als den einsamen<br />
Schöpfergott Prometheus.<br />
Die Fesseln sind zwar abgeworfen,<br />
aber seine Haltung ist deutlich:<br />
Das Genie verzweifelt an <strong>der</strong> Welt.<br />
Klingers Beethoven – eine<br />
Symphonie in Stein<br />
Neben Brahms und Schumann<br />
zeigte Klinger eine beson<strong>der</strong>e Verehrung<br />
für Ludwig van Beethoven.<br />
Beethoven wurde im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />
häufig mit Prometheus gleichgesetzt<br />
und als Genie hymnisch<br />
gefeiert. Dieser Beethoven-Kult<br />
gründet sich beson<strong>der</strong>s auf den<br />
Einfluss Richard Wagners, <strong>der</strong> ihn<br />
als „Meister“ verehrte. In seiner<br />
Beethoven-Schrift von 1870 hat<br />
Wagner in <strong>der</strong> Analyse <strong>der</strong> Dritten<br />
(…roica) und Neunten Symphonie<br />
nachhaltig Beethovens Ansehen<br />
als schöpferischen Titan geprägt.<br />
Denn er galt Wagner als Erneuerer<br />
<strong>der</strong> Musik im Sinne des von ihm<br />
gefor<strong>der</strong>ten Gesamtkunstwerks.<br />
Die Schriften Wagners und<br />
Nietzsches waren Klinger vertraut,<br />
als er 1886 den Entschluss zu<br />
seiner Beethoven-Skulptur fasste<br />
und bildlich umsetzte, was vorher<br />
geschrieben worden war. Die entscheidenden<br />
Impulse zu seiner<br />
polychromen Skulptur gab ihm<br />
aber die Musik selbst, wie er<br />
schreibt: „Die Idee kam mir eines<br />
schönen Abends in Paris am Klavier,<br />
und so farbig bestimmt und<br />
deutlich, wie nur ganz wenige<br />
Sachen: die Haltung, die Faust, das<br />
rote Gewand, <strong>der</strong> Adler, <strong>der</strong> Sessel,<br />
die Falten – sogar die Goldlehne.“<br />
Neben Größe, Material, Haltung<br />
und Ausdruck überhöhte er<br />
Beethoven zu einer gottgleichen,<br />
genialen Schöpfergestalt durch<br />
Attribute wie dem Adler, <strong>der</strong> als<br />
Symbol des Zeus, des Evangelisten<br />
Johannes und des Prometheus gilt<br />
(siehe Werkmonografie Nr. 24).<br />
Die XIV. Secessions-<br />
Ausstellung von 1902<br />
Klingers Beethoven stand im Zentrum<br />
<strong>der</strong> XIV. Ausstellung <strong>der</strong><br />
Wiener Secession von 1902. Die<br />
Secession verfolgte hier die Idee<br />
des Gesamtkunstwerks, in <strong>der</strong><br />
Architektur, Dekoration und<br />
bildende Kunst ein „Raum-Kunstwerk“<br />
ergeben sollten. Gustav<br />
Prometheus<br />
Unsterblicher Titan aus <strong>der</strong> antiken<br />
Mythologie, Schöpfer des<br />
Menschen geschlechts, <strong>der</strong> entgegen<br />
den Willen <strong>der</strong> olympischen<br />
Götter den Menschen das Feuer<br />
brachte und sie mit Weisheit und<br />
Kunstfertigkeit ausstattete. Zur<br />
Strafe an einen Fels gekettet,<br />
wurde ihm jeden Tag auf’s Neue<br />
von einem Adler die Leber aufgefressen.<br />
In <strong>der</strong> Neuzeit wurde <strong>der</strong><br />
gefesselte Prometheus in <strong>der</strong><br />
Literatur und Kunst häufig als leiden<strong>der</strong><br />
Märtyrer im Kampf für die<br />
wissenschaftliche, technische und<br />
künstlerische Selbstbehauptung<br />
des Menschen aufgefasst. Im<br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>t wurde<br />
Prometheus auch zum Inbegriff<br />
des Rebellen im Freiheitskampf<br />
gegen göttliche Autoritäten<br />
erhöht.<br />
Das Dionysische und das<br />
Apollinische<br />
Friedrich Nietzsche stellt in seiner<br />
Richard Wagner gewidmeten<br />
Schrift Über die Geburt <strong>der</strong><br />
Tragödie (1872) seine Ansichten<br />
zur antiken Kultur dar, die ihm<br />
zufolge nicht nur von einer<br />
harmonischen und rationalen<br />
Gestaltungskraft ge prägt war,<br />
son<strong>der</strong>n auch das Zügellos-<br />
Rauschhafte umfasste. Die<br />
bildende Kunst, verbunden mit<br />
dem antiken Gott Apollon, stand<br />
für ihn für das Helle und Verstandesmäßige<br />
des Menschen, die<br />
Musik, verbunden mit dem Gott<br />
Dionysos, für das Rauschhafte<br />
und seine dunklen Seiten. In <strong>der</strong><br />
Verbindung <strong>der</strong> beiden Kräfte, so<br />
<strong>der</strong> junge Nietzsche in Anlehnung<br />
an Wagners Ideen zum Gesamtkunstwerk,<br />
würde <strong>der</strong> Mensch<br />
zu einer wahren, neuen Kunst und<br />
darüber hinaus zu einem neuen<br />
Lebensentwurf finden.<br />
Prometheus vereine in sich die<br />
beiden Naturen und verkörpere<br />
damit den genialen Schöpfer und<br />
Künstler.
Literaturauswahl<br />
in <strong>der</strong> kunstwissenschaftlichen<br />
Bibliothek des <strong>Museum</strong>s <strong>der</strong><br />
<strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
Karl Hofer 1878–1955, Ausst.-Kat.<br />
Staatliche Kunsthalle Berlin 1978<br />
Renate Hartleb, Karl Hofer,<br />
<strong>Leipzig</strong>, 1987: Reclam 1987<br />
Kirsten Muhle, Karl Hofer (1878–<br />
1955). Untersuchun gen zur<br />
Werkstruktur, Lohmar, Köln,<br />
2000; zugl. Diss. Univ. Gießen<br />
Barbara Hentschel, „‚Der eigentliche<br />
Verfechter <strong>der</strong> Klassik in<br />
unserer Kunst‘ – Karl Hofer 1948<br />
in <strong>Leipzig</strong>“, in Jahresheft <strong>Museum</strong><br />
<strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong> 10<br />
(2003), S. 8–17<br />
Begegnung <strong>der</strong> Bil<strong>der</strong>. Willi<br />
Baumeister – Karl Hofer, Ausst.-<br />
Kat. <strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong><br />
<strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong> 2004–2005, hrsg.<br />
von Hans-Werner Schmidt,<br />
Bielefeld, 2004: Kerber 2004<br />
Karl Bernhard Wohlert, Karl Hofer.<br />
Werkverzeichnis <strong>der</strong> Gemälde,<br />
hrsg. von Markus Eisenbeis, Köln,<br />
2007: Van Ham Art Publications<br />
2007<br />
eintreten, ohne jedoch durch<br />
formale Zwänge beschränkt zu<br />
werden. Damit nahm er eine auf<br />
beiden Seiten unbequeme und<br />
bisweilen auch polemische<br />
Haltung ein. Denn im Osten <strong>der</strong><br />
1950er Jahre wurde er als<br />
Anhänger einer dekadent westlichen,<br />
formalis ti schen Kunst<br />
abgetan, da seine Malerei nicht <strong>der</strong><br />
Doktrin des Sozialistischen<br />
Realismus entsprach. Im Westen<br />
galt er wegen seiner Ablehnung <strong>der</strong><br />
Abstraktion als unmo<strong>der</strong>n und<br />
unaufgeschlos sen. Obwohl<br />
politisch links, übernahm er in <strong>der</strong><br />
Kritik am techni schen Fortschritt<br />
die kon ser vative Position des<br />
Kultur verfalls durch die Mo<strong>der</strong>ne:<br />
„An die Stelle des Malers ist <strong>der</strong><br />
Bildingenieur getreten, woraus<br />
sich folgerichtig die Entleerung<br />
<strong>der</strong> Kunst von allen menschlichen<br />
Inhalten ergibt, mithin auch die<br />
Beseitigung des Menschenbildes<br />
als Träger dieser Inhalte.“ In<br />
<strong>Leipzig</strong> findet Hofer heute eine<br />
wohlwollende Aufnahme um seiner<br />
Kunst willen, fernab von je<strong>der</strong><br />
Debatte über Gegenstand, Inhalt<br />
und Form.<br />
Erwerbung des Gemäldes für<br />
<strong>Leipzig</strong><br />
2011 erwarb das <strong>Museum</strong> <strong>der</strong><br />
<strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong> mit<br />
Mitteln des Adda von Helldorf-<br />
Vermächtnisses Karl Hofers<br />
Gemälde Das Boot. Ursprünglich<br />
befand es sich in Winterthur in <strong>der</strong><br />
Karl Hofer<br />
Tischgesellschaft, 1923/1924<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
Sammlung von Oskar Reinhart,<br />
dem Sohn von Theodor Reinhart,<br />
des wichtigsten För<strong>der</strong>ers von Karl<br />
Hofer vor dem Ersten Weltkrieg. Es<br />
steht in unmittelbarer zeitlicher<br />
Nähe zur Tisch gesellschaft (1923/<br />
1924), das 1991 wie<strong>der</strong> für <strong>Leipzig</strong><br />
zurückgekauft werden konnte,<br />
nachdem es 1937 als ‚entartet‘<br />
aus dem <strong>Museum</strong> entfernt wurde.<br />
Zusam men mit den an<strong>der</strong>en<br />
beiden Gemälden Hofers, Frauen<br />
am Meer (1943) und Selbstbildnis<br />
mit Pfeife (1945), kann das<br />
<strong>Museum</strong> mit dem Bild Das Boot<br />
einen repräsentativen Überblick<br />
über das Schaffen dieses<br />
für die Kunst des Realismus in<br />
Deutschland so wichtigen Malers<br />
zeigen.<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
D i e S a m m l u n g<br />
Karl Hofer: Das Boot, 1922<br />
Öl auf Leinwand, 117 x 133 cm, unten links signiert<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong>, Inv.-Nr. G 3304<br />
Eine Einrichtung <strong>der</strong> Stadt <strong>Leipzig</strong><br />
www.mdbk.de<br />
Text: Dr. Frédéric Bußmann<br />
Gestaltung: Harald Richter, Hamburg<br />
© <strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong>, Mai 2012<br />
Kleine Werkmonographie Nr. 43
Lebensdaten<br />
1878 in Karlsruhe geboren<br />
1897 Beginn des Kunststudiums<br />
an <strong>der</strong> Karlsruher Kunstakademie;<br />
längere Aufenthalte in Paris und<br />
Rom<br />
1914–1917 während des Ersten<br />
Weltkriegs Internierung in<br />
französischer Gefangenschaft<br />
1919 Rückkehr nach Deutschland,<br />
Übersiedlung nach Berlin<br />
1920 Ruf an die Vereinigten<br />
Staatsschulen für Freie und<br />
Angewandte Kunst; 1921<br />
Professor ebd.<br />
1934 Enthebung seines<br />
Professorenamtes durch die<br />
Nationalsozialisten; 1938<br />
Entfernung seiner Werke aus<br />
öffentlichen Sammlungen in<br />
Deutschland<br />
1945 Ernennung zum Direktor<br />
<strong>der</strong> Hochschule <strong>der</strong> <strong>Künste</strong> Berlin;<br />
Gründungsmitglied des<br />
Kulturbundes<br />
bis 1949 Mitherausgeber <strong>der</strong><br />
Zeitschrift Bildende Kunst<br />
1950 erster Präsident des<br />
Deutschen Künstlerbundes<br />
1955 in Berlin gestorben<br />
Karl Hofer<br />
Selbstbildnis mit Pfeife, 1943<br />
Öl auf Leinwand<br />
<strong>Museum</strong> <strong>der</strong> <strong>bildenden</strong> <strong>Künste</strong> <strong>Leipzig</strong><br />
Karl Hofer<br />
Das Boot, 1919<br />
Verbleib unbekannt<br />
Karl Hofers Malerei des<br />
expressiven Realismus<br />
Während seines Studiums an <strong>der</strong><br />
Kunstakademie Karlsruhe kam <strong>der</strong><br />
junge Karl Hofer durch Lehrer wie<br />
Hans Thoma in Berührung mit <strong>der</strong><br />
Kunst des späten Symbolismus.<br />
Nach einigen Jahren in Rom, wo er<br />
sich beson<strong>der</strong>s mit dem Werk<br />
Hans von Marées’ auseinan<strong>der</strong>setzte,<br />
wurde er über den<br />
Kunstkritiker Julius Meier-Gräfe<br />
auf El Greco und die mo<strong>der</strong>ne<br />
französische Kunst aufmerksam,<br />
die er dann während seines Paris-<br />
Aufenthaltes (1908–1913) kennen<br />
und schätzen lernte. Das durch die<br />
Malerei Paul Cézannes angeregte<br />
und von Kubisten wie Pablo<br />
Picasso o<strong>der</strong> Georges Braque neu<br />
formulierte Verhältnis von Farbe<br />
und Fläche löste bei ihm einen<br />
grundlegenden künstlerischen<br />
Wandel aus. Er verband abstrahierende<br />
Formen und tektonisch aufgebautes<br />
Bildverständnis <strong>der</strong><br />
Avantgarde mit einer betont<br />
klassisch-figurativen, bedeutungsvollen<br />
Malerei, die er vom Symbolismus<br />
her kannte. Hofer fand so<br />
in <strong>der</strong> Zeit nach dem Ersten<br />
Weltkrieg zu seinem eigenwilligen<br />
und reduzierten Stil, den er mit<br />
Visionen kommenden Unheils zu<br />
einem gleichnishaften und<br />
expressiven Realismus verdichtete.<br />
Das Boot von 1922<br />
Auf dem Gemälde Das Boot bahnen<br />
sich die schwerwiegenden<br />
Eindrücke seiner Erfahrungen aus<br />
dem Ersten Weltkrieg malerisch<br />
ihren Weg. Die Grundidee zu dem<br />
Gemälde hatte Hofer bereits 1919<br />
auf einer Ölstudie festgehalten: Vor<br />
untergehen<strong>der</strong> Sonne schil<strong>der</strong>t er<br />
eine mehrdeutige Szene, die vier<br />
Menschen in einem Boot auf<br />
einem Bergsee und einen Mann<br />
am Ufer zeigt, <strong>der</strong> ihnen zuwinkt.<br />
Die Berge im Hintergrund sind als<br />
Erinnerung an seine Zeit in <strong>der</strong><br />
Schweiz zu verstehen, wo er nach<br />
<strong>der</strong> Internierung in Frankreich von<br />
1917 bis 1919 im Exil lebte.<br />
Alles dreht sich um den<br />
Menschen. Die Berge, <strong>der</strong> See, das<br />
Ufer und die Bäume rahmen die<br />
Gruppe im Zentrum des Bildes.<br />
Hofer lenkt so den Blick auf das<br />
für ihn Wesent liche <strong>der</strong> Kunst,<br />
nämlich das Menschliche. Es<br />
spiegelt sich in <strong>der</strong> Natur, wie etwa<br />
beim Baum rechts, <strong>der</strong> parallel zur<br />
Haltung des winkenden Mannes<br />
gemalt ist und dessen Geste aufnimmt,<br />
o<strong>der</strong> bei den verdorrten<br />
und zum Teil abgestorben Bäumen<br />
im Vor<strong>der</strong>grund, die man als<br />
Symbol für die Vergänglichkeit<br />
interpretieren kann.<br />
Die im Hintergrund untergehende<br />
Sonne, pastos in einem<br />
kräftigen Gelb gemalt, verbreitet<br />
eine leicht schwermütige Stimmung,<br />
die zugleich aber in ihrer<br />
warmen Farbgebung einen kleinen<br />
Hoffnungsschimmer am Horizont<br />
andeutet. Die Sonne und ihre<br />
Spiegelung auf dem Wasser, die in<br />
ihrer Malweise an Edvard Munchs<br />
symbolische Landschafts malerei<br />
erinnern, stehen im Kon trast zu<br />
den eher dunklen, gemisch ten<br />
Farben des übrigen Himmels und<br />
<strong>der</strong> Landschaft. Allein Teile des<br />
sonnenbeschienen Ufers nehmen<br />
die gelbe Farb gebung <strong>der</strong> Sonne<br />
auf und bilden so ihr kompositorisches<br />
Gegen stück.<br />
Sowohl <strong>der</strong> reduzierte<br />
Gesichtsausdruck <strong>der</strong> Menschen<br />
als auch die dargestellte Szene<br />
selbst erzeugen eine beunruhigende<br />
Mehrdeutigkeit. Sehen wir<br />
eine Ankunft o<strong>der</strong> eine Abfahrt?<br />
Beides ist denkbar, denn <strong>der</strong> Mann<br />
links im Boot scheint nach dem<br />
Ufer zu greifen, während <strong>der</strong><br />
rechte sich mit dem Stock eher<br />
davon abstößt. Hofers Malweise,<br />
die auf eine detaillierte Physiognomie<br />
verzichtet und so dem<br />
individuellen Gesicht die Funktion<br />
als Spiegel <strong>der</strong> Seele kaum zugesteht,<br />
führt hier zu einer ambivalenten<br />
Interpretation <strong>der</strong> Personen.<br />
Man mag ihren Gesicht -<br />
sausdruck als bedrückt o<strong>der</strong> leer<br />
verstehen und ist doch geneigt,<br />
einen Funken verhaltener Freude<br />
zu erkennen. Aufschluss reicher<br />
sind hier die Körpersprache insgesamt<br />
und die Farbgebung. Die<br />
Frau in <strong>der</strong> Mitte des Bootes wird<br />
durch ein intensives Blau hervorgehoben,<br />
und <strong>der</strong> Mann am Ufer<br />
durch ein klares Rot und Grün. Die<br />
Frau wird zudem betont durch ihre<br />
aufrechte Stellung im Boot nur<br />
knapp unterhalb <strong>der</strong> Sonne; sie<br />
schlägt ihre Arme über <strong>der</strong> Brust<br />
zusammen, in einer sowohl Freude<br />
als auch Verzweiflung andeutenden<br />
Geste. Und <strong>der</strong> Mann am Ufer,<br />
winkt er zum traurigen Abschied<br />
o<strong>der</strong> zum freudigen Empfang?<br />
Komposition, Gestik und Farbgebung<br />
weisen die beiden als das<br />
emotionale Kraftfeld des Bildes<br />
aus, eingebunden zwischen den<br />
warmgelben Bereichen am Himmel<br />
und am Ufer.<br />
Das Bild spiegelt die Ambivalenz<br />
von gebrochener Zuversicht<br />
und sehnsuchtsvollem Verlorensein<br />
<strong>der</strong> Menschen nach dem<br />
Ersten Weltkrieg wi<strong>der</strong>. Hofer<br />
beschreibt hier das Lebensgefühl<br />
einer Generation von Kriegsheimkehrern,<br />
die eine lange und<br />
schwere Reise hinter sich haben,<br />
aber noch lange nicht angekommen<br />
sind. Vielleicht thematisiert er<br />
hier darüber hinaus auch das<br />
eigene Verhältnis zu seiner Frau.<br />
Sie waren 1914 zusammen in<br />
Frank reich, als er interniert wurde.<br />
Entgegen ihrer anfänglichen Weige<br />
rung, ihn dort alleine zurück zu<br />
lassen, entschied sie sich schließlich<br />
doch dafür, Zuflucht in <strong>der</strong><br />
sicheren Schweiz zu suchen.<br />
Beide fanden erst 1917 wie<strong>der</strong><br />
zueinan<strong>der</strong>.<br />
Das Boot als Symbol des<br />
Lebenswegs<br />
Hofer greift in <strong>der</strong> Symbolik des<br />
Bootes eine traditionelle Ikonografie<br />
<strong>der</strong> europäischen Kunst auf.<br />
Schiffe wurden als Metaphern für<br />
den Lebensweg eines Menschen<br />
verstanden, wie zum Beispiel auf<br />
Caspar David Friedrichs Lebensstufen.<br />
Die Bedeutung des Bootes<br />
als Symbol des Lebens, einer<br />
Schicksalsfahrt o<strong>der</strong> auch letzte<br />
Reise stammt aus <strong>der</strong> antiken<br />
Mythologie. In <strong>der</strong> Antike glaubte<br />
man, dass <strong>der</strong> Fährmann Charon<br />
die Toten auf einem Boot über den<br />
Fluss Styx in das Totenreich des<br />
Hades geleitete. Arnold Böcklin<br />
greift auf seinem Bild Die Toteninsel<br />
diese Thematik in abgewandelter<br />
Form auf. Bei Karl Hofer<br />
gehört das Boot zum häufig<br />
wie<strong>der</strong> kehrenden Repertoire, mit<br />
dem er das Schicksal des Menschen<br />
in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Zivilis ation<br />
Deutsche Bundespost<br />
Briefmarke von 1978 mit <strong>der</strong> Abbildung von Karl Hofers Gemälde Das Boot<br />
mit einem melancholischen<br />
Unterton beschreibt. So sind als<br />
Beispiele zu nennen die Menschen<br />
vor …isbergen von 1917, eine<br />
Kahnfahrt von 1919 und eine von<br />
1932, die Landung (1935), die<br />
Höllenfahrt (1947), die Kahnfahrt<br />
im Sturm o<strong>der</strong> auch das Boot im<br />
Sturm (1952). Die Interpretation<br />
des Themas in <strong>Leipzig</strong> ist wohl die<br />
bekannteste, da das Gemälde<br />
anlässlich des einhun<strong>der</strong>tsten<br />
Geburtstags des Künstlers 1978<br />
als Vorlage für eine bundesdeutsche<br />
Briefmarke genommen<br />
wurde. Im allgemeinen Bewusstsein<br />
<strong>der</strong> Bundesrepublik erhielt<br />
das Gemälde so eine herausragende<br />
Bedeutung als Sinnbild für<br />
Hofers künstlerische Auseinan<strong>der</strong>setzung<br />
mit dem Schicksalsweg<br />
des Menschen und den<br />
Schrecken des Krieges.<br />
Die Figuration in <strong>der</strong><br />
Nachkriegsmo<strong>der</strong>ne<br />
Mit seinem expressiven Realismus<br />
stand Karl Hofer im Zentrum einer<br />
kontroversen Diskussion, die er<br />
unter an<strong>der</strong>em mit dem Kunstkritiker<br />
und Kollegen Will<br />
Grohmann über die Bedeutung <strong>der</strong><br />
Kunst in <strong>der</strong> Gesellschaft mit Blick<br />
auf die Abstraktion und Figuration<br />
führte. Denn die Frage von<br />
Gegenständ lichkeit und Gegenstands<br />
losigkeit wurde gerade in<br />
Deutschland nach <strong>der</strong> Zer störungswut<br />
gegen die ‚entartete<br />
Kunst‘ im National sozialis mus<br />
heftig diskutiert. So wurden etwa<br />
im Westen ab 1950 in den<br />
Darmstädter Gesprächen die entsprechenden<br />
Standpunkte öffentlich<br />
diskutiert; im Osten wurden<br />
mit <strong>der</strong> Formalismus debatte<br />
und dem Bitterfel<strong>der</strong> Weg in den<br />
1950er Jahren die Weichen für die<br />
Figuration im Sinne des sozialistischen<br />
Realismus unter sowjetischem<br />
Vorzeichen gestellt.<br />
Hofer vertrat den Standpunkt,<br />
dass die Malerei durch die Figuration<br />
gesellschaftlich wirken sollte,<br />
aber künstlerisch unabhängig sein<br />
müsse. Er hielt in Zeiten zunehmen<strong>der</strong><br />
Abstraktion am Menschenbild<br />
fest. In seinen Augen sollte die<br />
Kunst für die Würde des Menschen<br />
Kurz erklärt<br />
Darmstädter Gespräch<br />
Als Darmstädter Gespräch wird<br />
eine Reihe von Tagungen (1950–<br />
1975) in Darmstadt bezeichnet,<br />
die als offene Diskussionen von<br />
Philosophen, Schriftstellern und<br />
Wissenschaftlern zum Menschen<br />
in <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne konzipiert waren.<br />
Eine beson<strong>der</strong>e Bedeutung für<br />
die Kunstgeschichte hatte das<br />
erste Darmstädter Gespräch über<br />
das Menschenbild unserer Zeit.<br />
Philosophen wie Theodor W.<br />
Adorno, Künstler wie Willi<br />
Baumeister und Kunsthistoriker<br />
wie Gustav Friedrich Hartlaub,<br />
Alexan<strong>der</strong> Mitscherlich und Hans<br />
Sedlmayr diskutierten über den<br />
Begriff <strong>der</strong> Freiheit in <strong>der</strong> Kunst<br />
und über Abstraktion und Figuration.<br />
Während die einen in <strong>der</strong><br />
gegenstandslosen Kunst einen<br />
Weg sahen, den Anschluss an die<br />
internationale Mo<strong>der</strong>ne wie<strong>der</strong>zuerlangen<br />
und einem ideologischen<br />
Zugriff auf die Kunst zu entgehen,<br />
beklagten an<strong>der</strong>e den<br />
Verlust des Menschenbildes und<br />
den Zerfall <strong>der</strong> göttlichen geprägten<br />
Weltordnung.<br />
Bitterfel<strong>der</strong> Weg<br />
In <strong>der</strong> DDR wurde die Orientierung<br />
des sozialistischen Realismus<br />
gegen die als Formalismus diffamierte<br />
Kunst <strong>der</strong> klassischen<br />
Avantgarde und Abstraktion in den<br />
frühen 1950er Jahren eingeleitet.<br />
Um eine größere Einheit zwischen<br />
Arbeitern und Kulturschaffenden<br />
und eine höhere Verständlichkeit<br />
<strong>der</strong> Kultur im Sinne des fortschrittlichen<br />
Sozialismus zu gewährleisten,<br />
wurde auf zwei Konferenzen<br />
in Bitterfeld 1959 und 1964 <strong>der</strong><br />
sogenannte Bitterfel<strong>der</strong> Weg beschlossen.<br />
Künstler sollten für die<br />
Produktionsstätten und Betriebe<br />
verpflichtet und umgekehrt Laien<br />
und Arbeiter zur Kunst geführt<br />
wer den. Dieses kulturpolitische<br />
Programm wurde schließlich aufgrund<br />
mangeln<strong>der</strong> Unterstützung<br />
und unbefriedigen<strong>der</strong> Ergebnisse<br />
1965 wie<strong>der</strong> fallengelassen.