Debatte 25
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Unheimliche Krippen-Allianz – SCHWERPUNKT PRODUKTION & REPRODUKTION<br />
«Kinder kommen in der politischen Diskussion nicht zu Wort.<br />
Sie werden zum Spielball des Klassenkampfs.»<br />
schaften – etwa das Stimm- und Wahlrecht<br />
der Frauen, das neue Ehe- und Scheidungsrecht,<br />
Massnahmen gegen häusliche Gewalt,<br />
der starke Zugang von Frauen zu höherer<br />
Bildung usw. – ist es natürlich nicht so, dass<br />
alle Forderungen von damals erfüllt wurden.<br />
Diese Forderungen bleiben aktuell und berechtigt,<br />
sofern sie in einem neuen Zusammenhang<br />
auf neue Weise vorgetragen werden.<br />
Wenn sie einfach nur immer gleich<br />
nachgebetet werden, geht dies heute zu Lasten<br />
von beruflich benachteiligten Frauen<br />
und zahlreichen Kindern. Und die meisten<br />
Männer brauchen wenig bis gar nichts zur<br />
so genannten «Gleichstellung» beizutragen.<br />
Blinde Flecken<br />
Gesellschaftliche Reproduktion der Arbeitskraft<br />
in Nationalanstalten (Friedrich<br />
Engels).<br />
Mit der Propagierung von Kinderkrippen<br />
als «Lösung» für die Vereinbarkeit von Beruf<br />
und Familie verbindet sich heute eine<br />
neue «Illusion der Chancengleichheit» (vgl.<br />
das Buch von Bourdieu & Passeron aus den<br />
70er Jahren). Der Einfluss der Familie lässt<br />
sich aber nicht zum Verschwinden bringen<br />
und die Betreuungseinrichtungen sind nur<br />
in begrenztem Ausmass «sozial durchmischt».<br />
Heute sind in schweizerischen<br />
Krippen zum Beispiel die Kinder aus benachteiligten<br />
Familien deutlich untervertreten.<br />
Anstatt sich dafür einzusetzen, dass diese<br />
Kinder «schneller sozialer und gescheiter»<br />
werden (Kuhn), könnten wir sie so wie sie<br />
sind mit offenen Armen und Herzen empfangen,<br />
ihre Herkunftskultur als Bereicherung<br />
für unser Land betrachten und die Art<br />
und Weise in Frage stellen, wie die Schule<br />
aus unterschiedlichen Kindern erst «Gescheite»<br />
und «Dumme» macht.<br />
In linksfeministischen Zusammenhängen ist<br />
heute eine klassenspezifische Praxis der<br />
Kinderbetreuung und geschlechtlichen Arbeitsteilung<br />
zur unhinterfragten Norm geworden:<br />
Gut gebildete Lohnabhängige mit<br />
mittleren oder höheren Einkommen bringen<br />
ihre Kinder in die Krippe, wobei die Mutter<br />
Teilzeit und der Vater Vollzeit arbeitet (oder<br />
zumindest 80 Prozent); eventuell besorgt eine<br />
Migrantin den Haushalt. Diese Norm ist<br />
heute weitgehend kompatibel mit den politischen<br />
Programmen von Organisationen<br />
wie der OECD oder Economiesuisse (das<br />
zeigte sich nicht zuletzt in der breiten Allianz<br />
für den so genannten Familienartikel).<br />
Die Bedürfnisse der Kinder werden nur vordergründig<br />
thematisiert und Eltern, die sich<br />
Zeit für ihre Kinder nehmen wollen, werden<br />
schnell einmal als Konservative betrachtet.<br />
Aber spielt diese Haltung nicht gerade der<br />
SVP zu, die sich als einzige darstellen kann,<br />
welche die Kinder schützt und die Bindung<br />
zu den Eltern als wichtige Voraussetzung<br />
der kindlichen Entwicklung ernst nimmt?<br />
Kinder im Kommunismus<br />
«Erziehung sämtlicher Kinder von dem Augenblicke<br />
an, wo sie der ersten mütterlichen<br />
Pflege entbehren können, in Nationalanstalten<br />
und auf Nationalkosten.» So beschreibt<br />
Friedrich Engels in seinen «Grundsätzen des<br />
Kommunismus» eine von 12 Massnahmen,<br />
die bei der proletarischen Revolution zu ergreifen<br />
wären. Marie-Josée Kuhn spottet<br />
über die Aussage von Silvia Blocher im<br />
SVP-Extrablatt, im Kommunismus habe der<br />
Staat den Eltern die Kinder genommen, «als<br />
sie noch sehr klein waren», und ihnen Parolen<br />
aufgezwungen, «die sie jederzeit auswendig<br />
hersagen mussten». Sicher ist, dass<br />
es der Chefredakteurin genau so wenig<br />
ernsthaft um das Wohl der Kinder geht wie<br />
Engels damals und Blocher heute. Traurig<br />
ist, wie jedes kritische Nachdenken über die<br />
Ängste und das Leiden von Kindern im<br />
Spott über die Protagonisten der neuen<br />
Rechten untergeht. Kinder kommen in der<br />
politischen Diskussion nicht zu Wort. Sie<br />
werden zum Spielball des Klassenkampfs.<br />
Aber wollen wir für eine andere Gesellschaft<br />
kämpfen und dabei die Bedürfnisse der Kinder<br />
vergessen – d.h. der Menschen, die in<br />
dieser Gesellschaft leben werden, sofern sie<br />
jemals überhaupt entsteht?<br />
Das Zitat von Engels steht für eine lange<br />
Tradition in der Linken, für die Kinderbetreuung<br />
ein Mittel zum Zweck ist (die berühmte<br />
«gesellschaftliche Reproduktion der<br />
Arbeitskraft») oder einfach nur eine lästige<br />
Nebensache. Ich wünsche mir dagegen eine<br />
linke Programmatik, welche die Reproduktion<br />
des Lebens von einer Generation zur<br />
nächsten ins Zentrum stellt und auch das<br />
Recht einfordert, dass wir uns Zeit nehmen<br />
dürfen für unsere Nächsten, statt immer nur<br />
«Vollzeit» für das Kapital, den Staat<br />
und/oder die eigene Karriere zu arbeiten.<br />
Es geht auch darum zu anerkennen, dass<br />
Menschen in verschiedenen Lebensphasen<br />
abhängig voneinander sind (Kindheit,<br />
Krankheit, Alter, biografische Krisen usw.<br />
usf.) und andere Menschen brauchen, die<br />
persönlich für sie da sind. Wenn wir sie in<br />
diesen Phasen weggeben – in die Krippe, in<br />
die Psychiatrie, ins Altersheim – ist das kein<br />
Akt der «Emanzipation» oder «Gleichstellung».<br />
Es sei denn, diese Begriffe werden<br />
rein individualistisch gedacht, aber dann haben<br />
sie wenig mit «Sozialismus» oder «Kommunismus»<br />
zu tun.<br />
_______________<br />
* Der Autor stellt die Thesen dieses Artikels an einer<br />
öffentlichen Veranstaltung im Planet13 in Basel<br />
zur Diskussion: «Männer an den Herd!», Montag,<br />
8. Juli 2013, 19.00 Uhr, Internetcafé Planet13,<br />
Klybeckstrasse 60, Basel<br />
1 Siehe http://www.workzeitung.ch/tiki-read_article.php?articleId=1854<br />
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