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Debatte 25

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WISSENSCHAFT – Zwischen Selbstverwaltung und Einparteienherrschaft<br />

«Die sowjetische Wirtschaftsplanung betrachtete Jugoslawien nicht<br />

etwa als Partner, sondern als Hilfselement zum weiteren Aufbau der<br />

eigenen Wirtschaftsmacht.»<br />

Josip Broz Tito (1892 – 1980) blieb 35<br />

Jahre lang an der Spitze Jugoslawiens.<br />

Dennoch versuchte er, die arbeitende<br />

Bevölkerung in die Verwaltungs- und Entscheidungsprozesse<br />

miteinzubeziehen.<br />

zu wollen, missfielen Stalin und führten<br />

1948 zum politischen Bruch mit der Sowjetunion.<br />

Theoretische Neuausrichtung<br />

Die politischen und ökonomischen Folgen<br />

des Bruches zwischen Tito und Stalin sowie<br />

des Ausschlusses Jugoslawiens aus der<br />

Komintern waren immens. Der Abbruch der<br />

Wirtschaftsbeziehungen mit der Sowjetunion<br />

sowie die sich zusätzlich verschlimmernde<br />

Wirtschaftslage infolge der Zwangskollektivierungen<br />

der jugoslawischen<br />

Landwirtschaft ab 1949 führten beinahe zu<br />

einer Hungersnot und zu einer stärkeren<br />

Orientierung in Richtung Westen (Marshall-<br />

Plan). Vor allem aber fand ein Umdenken<br />

innerhalb der KPJ statt. Die Erinnerungen<br />

an die stalinistischen Säuberungen der 30er<br />

Jahre, der auch jugoslawische Kommunisten<br />

zum Opfer fielen, sowie der allgegenwärtige<br />

Machtspruch der sowjetischen Führung<br />

(Tito überlebte mehrere Mordversuche<br />

Stalins) provozierten eine allgemeine Kritik<br />

an der stalinistischen Doktrin (Prinzip der<br />

18<br />

Stärkung des Staates anstatt des Absterbens<br />

des Staates, Ablehnung des Föderalismus,<br />

absolut zentralisierte Herrschaftsform), die<br />

nicht selten als antibürokratische «Rückbesinnung»<br />

auf die «Prinzipien des Marxismus-Leninismus»<br />

präsentiert wurden. Die<br />

Misserfolge und die drohende Hungersnot<br />

infolge der Zwangskollektivierung verdeutlichten<br />

zusätzlich, mit welchen Gefahren<br />

die Anwendung des «sowjetischen Wirtschaftsmodells»<br />

in Jugoslawien verbunden<br />

war.<br />

Das wohl wichtigste politische und ökonomische<br />

Ergebnis dieser Neuorientierung war<br />

die Einführung der Arbeiterselbstverwaltung,<br />

die theoretisch als Etappe im Prozess<br />

des Absterbens des Staates begriffen wurde<br />

und offiziell dem Etatismus und Bürokratismus<br />

Einhalt gebieten sollte. Die Verfolgung<br />

und Inhaftierung liberaler, nationalistischer,<br />

linksoppositioneller sowie neu auch stalinistischer<br />

Kräfte wurde dabei kaum hinterfragt.<br />

Die staatliche Repression war zwar weniger<br />

weitgehend und «drastisch» als in der Sowjetunion,<br />

gehörte dennoch zu den Grundpfeilern<br />

des jugoslawischen Einparteiensystems.<br />

Einführung der Arbeiterräte<br />

Das von einer Gruppe innerhalb der KPJ<br />

um Milovan Djilas und Edvard Kardelj entwickelte<br />

Konzept der Arbeiterselbstverwaltung<br />

wurde im Dezember 1949 eingeführt.<br />

Zunächst wurden in rund 200 Grossbetrieben<br />

Arbeiterräte eingeführt. Diese wurden<br />

jeweils auf zwei Jahre von allen Beschäftigen<br />

eines Betriebes gewählt und umfassten<br />

– je nach Grösse des Unternehmens – 15 bis<br />

120 Mitglieder. Bei Betrieben mit einer Belegschaft<br />

von unter 30 Personen bildete diese<br />

selbst in ihrer Gesamtheit den Arbeiterrat.<br />

Im Juni 1950 wurde das neu geschaffene<br />

System der Arbeiterräte per Gesetz<br />

(«Grundgesetz über die Verwaltung von<br />

Wirtschaftsunternehmen und höheren Wirtschaftsvereinigung<br />

durch die Arbeiterkollektive»)<br />

verankert und nach und nach weiter<br />

ausgebaut. Der Arbeiterrat tagte einmal monatlich<br />

und galt als höchste Entscheidungsinstanz<br />

eines Betriebes. Er wählte den sogenannten<br />

«Verwaltungsausschuss», der<br />

zusammen mit dem Direktor die eigentliche<br />

Betriebsleitung bildete. In der ersten Phase<br />

der Arbeiterselbstverwaltung wurden die Direktoren<br />

noch direkt durch den Staat eingesetzt,<br />

ab 1958 wurden sie von «Bewerbungskommissionen»<br />

gewählt, die sich paritätisch<br />

aus Vertretern der kommunalen Verwaltung<br />

und Vertretern der Beschäftigten zusammensetzten.<br />

Der Einfluss der Direktoren auf<br />

die Betriebe blieb bedeutend, da sie für die<br />

Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften<br />

verantwortlich waren und als Bindeglied<br />

zwischen Staat und Unternehmen fungierten.<br />

Nach und nach wurden Arbeiterräte in<br />

sämtlichen Betrieben, sei es in der Industrie,<br />

in sozialen Institutionen (Schulen, Krankenhäusern,<br />

Pflegeeinrichtungen) oder in landwirtschaftlichen<br />

Genossenschaften, eingeführt.<br />

Ein gesetzlich verankertes<br />

Rotationsprinzip verhinderte, dass Vertreter<br />

der Belegschaft zweimal hintereinander in<br />

einen Arbeiterrat gewählt werden durften.<br />

Der Beamtenapparat wurde um 100’000<br />

Stellen verkleinert, gleichzeitig wurden auf<br />

allen Ebenen (Gemeinden, Distrikte, Teilrepubliken,<br />

Bundesebene) gewählte Produzentenräte<br />

eingeführt, die fortan bei wirtschaftspolitischen<br />

und sozialen Fragen<br />

mitbestimmen durften.<br />

1959 waren in Jugoslawien rund eine halbe<br />

Million Menschen in Selbstverwaltungsräten<br />

(Industrie, Landwirtschaft, Soziale Institutionen)<br />

organisiert, dies bei einer Gesamtbevölkerung<br />

von damals rund 18<br />

Millionen und einer werktätigen Bevölkerung<br />

von 8 Millionen.<br />

Wirtschaftliche Erfolge<br />

Es ist bis heute umstritten, inwieweit die Arbeiterselbstverwaltung<br />

einen (positiven) Einfluss<br />

auf die Effizienz der wirtschaftlichen<br />

Entwicklung hatte. Unbestritten ist jedoch,<br />

dass sich die Qualität von Waren und<br />

Dienstleistungen während dieser Zeit allmählich<br />

verbesserte. Zwischen 1952 und<br />

1960 wuchs die industrielle Produktion im

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