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Debatte 25

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Zwischen Selbstverwaltung und Einparteienherrschaft – WISSENSCHAFT<br />

«Nach und nach wurden Arbeiterräte in sämtlichen Betrieben eingeführt. Ein gesetzlich<br />

verankertes Rotationsprinzip verhinderte, dass Vertreter der Belegschaft<br />

zweimal hintereinander in einen Arbeiterrat gewählt werden durften.»<br />

Schnitt um 13% jährlich, das Nationaleinkommen<br />

um rund 9%. Der Lebensstandard<br />

der Bevölkerung war im Vergleich zu westlichen<br />

Ländern tiefer, konnte aber ebenfalls<br />

allmählich angehoben werden. Die Aussenhandelsbilanz<br />

blieb allerdings negativ.<br />

Stärkung des Rätesystems<br />

Mit der neuen Verfassung von 1963 wurde<br />

das Rotationsprinzip, das bislang lediglich<br />

für die Arbeiterräte galt, auch auf öffentliche<br />

Mandate und Ämter auf regionaler und<br />

kommunaler Ebene ausgeweitet. Die Amtsdauer<br />

für Abgeordnete wurde auf zwei Legislaturperioden<br />

begrenzt, das Recht auf<br />

Selbstverwaltung als Verfassungsgrundsatz<br />

verankert. Auch die Kompetenzen der Arbeiterräte<br />

wurden im Laufe der Jahre ausgeweitet.<br />

Ab den späten 50er Jahren umfassten<br />

sie:<br />

- Die bereits erwähnte Wahl der Verwaltungsausschüsse,<br />

die den Arbeiterräten Rechenschaft<br />

schuldig waren und die bei Unzufriedenheit<br />

auch vorzeitig abberufen<br />

werden konnten<br />

Festlegung der Betriebsordnung und der Arbeitsreglemente<br />

- Billigung des Jahreswirtschaftsplans und<br />

Entscheidung über die zu produzierenden<br />

Güter, allerdings im Rahmen von vorgegebenen<br />

allgemeinen Wirtschaftsplänen<br />

- Entscheidung über die Verteilung des Reingewinns<br />

(nach Abzug eines gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Minimallohnes sowie steuerlicher<br />

Abgaben)<br />

- Entscheidung über Investitionen, Vergabe<br />

von Prämien an Angestellte<br />

- Preisfestlegung<br />

- Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern<br />

- Entscheidung über eventuelle Betriebsfusionen<br />

oder die Ausgliederung einzelner Bereiche<br />

eines Betriebes<br />

Grenzen der Selbstverwaltung<br />

«Das System der Selbstverwaltung schaffte es bei weitem nicht,<br />

seinem eigenen Anspruch gerecht zu werden und die staatliche<br />

Zentralgewalt in ein Rätesystem zu überführen.»<br />

So demokratisch und beeindruckend das<br />

Rätesystem formal auch gewesen sein mag,<br />

in der Praxis zeigten sich zahlreiche Schwächen<br />

und Gefahren. Neca Jovanov, damaliger<br />

Sekretär der Kommission für Selbstverwaltung<br />

beim Rat des jugoslawischen<br />

Gewerkschaftsbundes, konstatierte 1973 (1)<br />

ein «Nachlassen von Repräsentation und<br />

Einfluss der Arbeiterschaft». Demnach wurde<br />

die «relative Vertretungsstärke» der einfachen<br />

Arbeiter im Verlaufe der 50er und<br />

60er Jahre umso geringer, je weiter oben die<br />

Zentren der Gesellschaftlichen Macht angesiedelt<br />

waren (Bürokratisierung). Besonders<br />

in den Legislativorganen auf Bundesebene<br />

sowie innerhalb der KPJ, die sich 1952 in<br />

«Bund der Kommunisten» umbenannt hatte,<br />

herrschte weiterhin eine Kaste von Funktionären,<br />

die Vertretung durch die Arbeiterräte<br />

war gering.<br />

Die Bildung oppositioneller Parteien blieb<br />

weiterhin verboten, die Pressefreiheit eingeschränkt,<br />

nationalistische Tendenzen wurden<br />

wenn nötig gewaltsam unterdrückt, Parteisäuberungen<br />

kamen immer wieder vor.<br />

Tito blieb von 1945 bis zu seinem Tode 1980<br />

unangefochtener Führer innerhalb Jugoslawiens.<br />

Wer seine Autorität ernsthaft in Frage<br />

stellte, riskierte, in einem Gefangenenlager<br />

zu enden.<br />

Auch auf ökonomischer Ebene vergrösserten<br />

sich die Probleme Jugoslawiens ab Ende<br />

der 60er Jahre zusehends und führten zu<br />

einer Wiedererstarkung nationalistischer<br />

und separatistischer Tendenzen. Hauptgrund<br />

für die wirtschaftlichen Probleme war<br />

das ständige Handelsbilanzdefizit und die<br />

damit einhergehende Verschuldung. Auch<br />

die ökonomisch ungleiche Entwicklung der<br />

einzelnen Teilrepubliken und Streitigkeiten<br />

um die Verteilung finanzieller Mittel verstärkten<br />

die Spannungen. Der Zusammenhang<br />

zwischen diesen ökonomischen Problemen<br />

und der Selbstverwaltung selber<br />

kann schwer geklärt werden. Einige Autoren<br />

verweisen darauf, dass die Selbstverwaltung<br />

erhebliche personelle Ressourcen und<br />

Zeit beanspruchte und grosse Teile des jugoslawischen<br />

Proletariats «ungenügend gebildet»<br />

waren. Letzteres soll sich beispielsweise<br />

in der Tendenz der Arbeiterräte<br />

geäussert haben, in den Betrieben den Reingewinn<br />

fast ausschliesslich zur Auszahlung<br />

von Prämien zu verwenden, anstatt in eine<br />

Modernisierung der Produktionsmittel zu<br />

investieren. Dem entgegen bleibt festzuhalten,<br />

dass auch zahlreiche andere Staaten<br />

(ohne Selbstverwaltungssystem) unter ähnlichen<br />

wirtschaftlichen Problemen litten<br />

(und leiden).<br />

Die Widererstarkung nationalistischer Interessen<br />

in den 80er Jahren, die massive<br />

Wirtschaftskrise (Hyperinflation, Strukturanpassungsprogramme<br />

durch den IWF)<br />

und die darauf folgenden zahlreichen Kriege<br />

der 90er Jahre haben dem «jugoslawischen<br />

Sozialismus» ein brutales Ende bereitet.<br />

Die Hegemonieansprüche des Westens<br />

trugen das Ihrige dazu bei.<br />

Das System der Selbstverwaltung schaffte<br />

es bei weitem nicht, seinem eigenen Anspruch<br />

gerecht zu werden und die staatliche<br />

Zentralgewalt in ein Rätesystem zu überführen.<br />

Der Staat starb ganz offensichtlich nicht<br />

ab. Die Gründe (ungünstige Ausgangslage,<br />

mangelnder politischer Wille der Eliten,<br />

mangelnde Produktivität, internationale<br />

Konkurrenz, Fehler in der Wirtschaftsplanung,<br />

Verschuldung usw.) sind vielfältig und<br />

können hier nicht diskutiert werden. Die interessanten<br />

Ansätze und Teilerfolge der<br />

Selbstverwaltung verdienen dennoch unsere<br />

Beachtung und zeigen, dass Selbstverwaltung<br />

selbst unter erschwerten Bedingungen<br />

möglich ist.<br />

_______________<br />

(1) Siehe Neca Jovanov: Streik und Selbstverwaltung in Jugoslawien.<br />

In: Gewerk. Monatshefte 06/73, S. 355.: http://library.fes.de/gmh/main/jahresin/1973/jahres_06-1973.htm<br />

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