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Debatte 25

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Workfare. Die Falle schnappt zu – INTERNATIONAL<br />

«Der Auftrag an Sozialfirmen wird ausgebaut: Die Arbeitsintegrationszuschüsse<br />

für Langzeitarbeitslose in Sozialfirmen werden vom Bundesrat<br />

in einer Pilotphase eingeführt.»<br />

Ian Greer betonte, dass die britische Gesellschaft<br />

nicht fähig sei, Alternativen für Workfare<br />

zu entwickeln. Die Politker_innen haben<br />

kein Interesse daran. War es doch unter<br />

anderem die Labour Party, welche diese<br />

Programme begründete. Schlussendlich sind<br />

die Workfare-Programme gewinnorientiert.<br />

Sie scheitern in Bezug auf berufliche Integration<br />

schon jetzt, denn das sind keine richtigen<br />

Lohnarbeitsstellen, die sie anbieten.<br />

Dazu kommt, dass viel weniger solcher Arbeitsplätze<br />

angeboten werden, als es Erwerbslose<br />

gibt. Profitiert davon haben aber<br />

die Träger dieser Programme in Millionenhöhe.<br />

8 Dieser Reformprozess muss unbedingt<br />

gestoppt und rückgängig gemacht werden.<br />

10 Jahre Hartz IV in Deutschland<br />

Helga Spindler verwies auf die Entwicklung<br />

von Konzepten wie Workfare durch Clinton<br />

(USA) und Blair (Grossbritannien); das<br />

waren die Vorbilder für die so genannte<br />

Neo-Sozialhilfe in Deutschland. Sie brachten<br />

sozialen Abbau, Not für die Betroffenen<br />

und Sanktionsmassnahmen. Am krassesten<br />

von allen europäischen Ländern hätte England<br />

diese Entwicklung vorangetrieben. In<br />

Deutschland kam die Leiharbeit nur durch<br />

den Druck der Hartz-Behörden zustande.<br />

2005 wurde die Arbeitslosenhilfe für Menschen,<br />

die länger als ein Jahr erwerbslos<br />

sind, abgeschafft und durch eine Sozialleistung<br />

ersetzt, die sich nicht mehr am früheren<br />

Erwerbseinkommen orientiert, sondern<br />

am Sozialhilfeniveau (Hartz IV). Es geht<br />

grundsätzlich um die Verwaltung einer total<br />

kontrollierten Verfügbarkeit der arbeitslosen<br />

Erwerbsfähigen. Helga Spindler meinte,<br />

dass in Deutschland wieder eine<br />

zweijährige Arbeitslosenhilfe eingeführt<br />

werden müsste. Thematisch werden Zahlen<br />

und Motivationen jongliert. Sie verwies auf<br />

die Publikation von Gerd Bosbach: «Lügen<br />

mit Zahlen»; jede Statistik bedient je nach<br />

Vorgaben andere Interessen.<br />

2005 erhielt Nikolaus Dimmel den Kreisky-<br />

Anerkennungspreis für «Politische Kultur in<br />

Österreich». Er war von 1990 bis 1995<br />

Amtsleiter des Sozialamtes der Stadt Salzburg<br />

und konnte seitdem die Entwicklung<br />

der Neo-Sozialarbeit kritisch mitverfolgen<br />

und anfechten. Roland Atzmüller bezog sich<br />

auf die Forba-Studie, die den Umbau des<br />

arbeitsmarktpolitischen Arms des Wohlfahrtstaats<br />

nach Workfare-Vorgaben behandelt.<br />

Die Situation in der Schweiz<br />

Über die Zustände in der Schweiz in Bezug<br />

auf den Ausbau eines zweiten Arbeitsmarktes<br />

verweisen wir auf die <strong>Debatte</strong>-Nummern<br />

19/2012 und 21/2012. Die Ergebnisse dieser<br />

Ausbauversuche und Infrastrukturen<br />

sind Realitäten, welchen die beiden Betroffenen<br />

aus der Schweiz immer wieder begegnen<br />

und über welche sie in Wien berichteten:<br />

Druck und Sanktionen, berufsfremde<br />

Gratisarbeit, Dequalifizierung und Ausbeutung.<br />

In der Schweiz ist das Konzept «Nationales<br />

Programm zur Prävention und Bekämpfung<br />

von Armut» am 15. Mai 2013 durch den<br />

Bund veröffentlicht worden. 9 Auf den Seiten<br />

15 bis 17 werden «Angebote für Langzeitarbeitslose<br />

und Sozialhilfebeziehende»<br />

behandelt. Man denkt ernsthaft daran, den<br />

Sozialfirmen einen erweiterten Auftrag zu<br />

geben. In der Arbeitslosenversicherung<br />

(ALV) werden die «Arbeitsintegrationszuschüsse<br />

für Langzeitarbeitslose in Sozialfirmen»<br />

vom Bundesrat in einer zweiten Pilotphase<br />

landesweit eingeführt. Die vom<br />

SECO dazu geplante Evaluation biete einen<br />

idealen Untersuchungsrahmen an. Der Pilotversuch<br />

wird im Auftrag des SECO bezüglich<br />

der Eingliederungswirkung in den<br />

ersten Arbeitsmarkt evaluiert. Gestützt auf<br />

die Evaluation entscheidet das SECO im<br />

Herbst 2013, ob dem Bundesrat beantragt<br />

werden soll, die neue Massnahme «Arbeitsintegrationszuschüsse<br />

für Langzeitarbeitslose<br />

in Sozialfirmen» für maximal vier Jahre<br />

befristet landesweit einzuführen (Art. 75b<br />

AVIG). Bewährt sich die Massnahme auch<br />

landesweit, könnte sie als reguläre neue<br />

Massnahme in das AVIG aufgenommen<br />

werden. Die Schweiz macht sich auf den<br />

Weg Richtung England und versucht nun<br />

ihrerseits noch mehr Werkzeuge dafür auszubauen.<br />

Überflüssige Menschen sollen um<br />

jeden Preis beschäftigt werden. Profitieren<br />

werden davon auch hier die Anbieter, die<br />

Sozialfirmen.<br />

Würde und Widerstand<br />

Die Macht der Herrschenden scheint grenzenlos<br />

zu sein. Was ist mit den Betroffenen?<br />

Sind sie tatsächlich vollkommen machtlos?<br />

Wo verbleibt die Menschenwürde? Wo sind<br />

die Proteste? In der Schweiz herrscht überall<br />

das grosse Schweigen, mit wenigen Ausnahmen.<br />

Oftmals mit Zusehen der Gewerkschaften,<br />

vieler NGO und Linken. In<br />

anderen Ländern ist es ähnlich. Aber die<br />

Konferenz in Wien zeigt, dass es auch Widerstand<br />

gibt, und dass die Widerständigen<br />

begonnen haben, sich international zu vernetzen.<br />

____________<br />

1 www.aktive-arbeitslose.at<br />

2 In Österreich existieren seit 1920 die so genannten Arbeiterkammern,<br />

bei denen es sich um die gesetzliche Interessenvertretung<br />

aller Lohnabhängigen handelt. Im<br />

Gegensatz zu den Gewerkschaften sind hier die Arbeiter_innen<br />

und Angestellten obligatorisch Mitglieder.<br />

Ähnliche Einrichtungen gibt es in den deutschen Bundesländern<br />

Bremen und Saarland sowie in Luxemburg.<br />

3 Die Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt<br />

«Forba» in Wien ist ein unabhängiges Forschungsinstitut,<br />

das von linken Sozialwissenschaftler_innen gegründet<br />

wurde (http://www.forba.at).<br />

4 www.arbeiterkammer.at/online/page.php?P=29&IP=42720<br />

5 Mitte der 1990er Jahre wurden in Österreich die öffentlichen<br />

Arbeitsämter ausgelagert und in den so genannten<br />

Arbeitsmarkt-Service (AMS) umgewandelt.<br />

Der AMS soll wie ein Dienstleistungsunternehmen für<br />

Erwerbslose funktionieren.<br />

6 www.boycottworkfare.org<br />

7 www.humanrights.ch/de/Instrumente/UNO/ILO/Konventionen/index.html<br />

8 Ian Greer hat die «Aktivierungsindustrie», das heisst<br />

die Unternehmen, die ihr Geld mit Erwerbslosen verdienen,<br />

in folgendem Buch ausführlich beschrieben (mit<br />

Beispielen aus Grossbritannien und Deutschland): Karin<br />

Scherschel, Peter Streckeisen und Manfred Krenn,<br />

Neue Prekarität. Die Folgen aktivierender Arbeitsmarktpolitik<br />

- europäische Länder im Vergleich, Campus<br />

Verlag 2012.<br />

9 www.bsv.admin.ch/themen/gesellschaft/00074/01973/index<br />

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