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Riskante Forschung<br />

Zum Umgang mit Ungewißheit<br />

am Beispiel der Genforschung in Deutschland<br />

Eine sozial- und<br />

rechtswissenschaftliche Untersuchung<br />

Von Bernhard Gill, Johann Bizer und Gerhard Roller<br />

Gefördert im Rahmen des Programms "Recht und Verhalten"<br />

der VW-Stiftung (AZ II/69 244)<br />

Das Werk einschließlich aller seiner Teile sind urheberrechtlich geschützt.<br />

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und die Einspeicherung in elektronische Systeme.<br />

2


Inhalt<br />

Vorwort 13<br />

Kapitel 1: Einleitung 15<br />

1.1. Praktische Problemexposition 15<br />

1.2. Fachliche Problemexposition 22<br />

1.3. Fragestellung der vorliegenden Untersuchung 30<br />

1.4. Überblick über den Aufbau der Untersuchung 32<br />

Kapitel 2: Risikodimensionen der Gentechnologie im Vergleich 35<br />

2.1. Risiko- und Verantwortungsdimensionen der Forschung 35<br />

2.1.1. Neuartige und bekannte Risiken 36<br />

2.1.2. Selbst- und Fremdgefährdung 37<br />

2.1.3. Natürliche und anthropogen erzeugte Risiken: Verantwortung<br />

aufgrund von Handlungsabsicht 37<br />

2.1.4. Verantwortung aufgrund von Reflexions- und Handlungsfähigkeit 38<br />

2.1.5. Gesellschaftliche Bewertung des Handlungsziels 39<br />

2.1.6. Vermehrungs- und Ausbreitungsfähigkeit als spezifische<br />

Dimension biologischer Risiken 39<br />

2.2. Biologische Risiken 40<br />

2.2.1. ... am Beispiel des Umgangs mit Krankheitserregern<br />

(Mikrobiologie) 40<br />

2.2.2. ... am Beispiel des herkömmlichen Pflanzenbaus 42<br />

2.3. Die Debatte über 'besondere' Risiken der Bio- und Gentechnologie<br />

44<br />

2.3.1. Die ältere Diskussion um die Risiken beim Umgang im<br />

Geschlossenen System 45<br />

2.3.2. Die jüngere Diskussion auf internationaler Ebene 46<br />

2.3.3. Die Diskussion in der Bundesrepublik 50<br />

2.4. Schlußfolgerungen für die weitere Untersuchung 53<br />

Kapitel 3: Zur Geschichte der rechtlichen Vorsorge vor experimentellen<br />

Risiken 57<br />

3.1. Zur Geschichte forschungsrelevanter Gesetze 58<br />

3.2. Zur Geschichte der Gentechnikgesetzgebung 61<br />

4


3.2.1. Deutschland bis 1990 61<br />

3.2.2. EG-Richtlinien 63<br />

3.2.3. Novellierung des Gentechnikgesetzes und der EG-Richtlinien 64<br />

3.2.4. Derzeitiger Stand der Regulierung außerhalb der EG 67<br />

Kapitel 4: Risikosteuerung der gentechnischen Forschung 70<br />

4.1. Problembeschreibung 70<br />

4.2. Risikosteuerung unter Ungewißheitsbedingungen 71<br />

4.2.1. Krise der Steuerungsfähigkeit des Rechts? 71<br />

4.2.2. Selbststeuerung 74<br />

4.2.3. Die rechtliche Bewältigung des gentechnischen Risikos 76<br />

Gefahrenabwehr 76 Risikovorsorge 78 Restrisiko 80<br />

4.3. Rechtliche Steuerung als Risikomanagement 81<br />

4.3.1. Risikoermittlung 82<br />

Deterministische Risikoermittlung 83 Probabilistische Sicherheitskonzepte<br />

84<br />

4.3.2. Risikobewertung 86<br />

Bewertung möglicher Schäden 87 Bewertung der Wahrscheinlichkeit<br />

des Schadenseintritts 87 Folgenreversibilität 87 Vergleichende<br />

Risikobewertung 88 Risikobewertung als offener Prozeß 88<br />

4.3.3. Risikoentscheidung 88<br />

Behördliche Entscheidung (Genehmigung) 88 Interne Entscheidung<br />

(Hierarchie) 89<br />

4.3.4. Risikokommunikation 89<br />

4.3.5. Risikoforschung 90<br />

4.3.6. Risikokontrolle 91<br />

4.3.7. Risikoverantwortung 92<br />

4.4. Verfassungsrechtlicher Rahmen ungewißheitsbasierter<br />

Risikovorsorge 92<br />

4.4.1. Reichweite der Forschungsfreiheit 93<br />

Anwendungs- und Entwicklungsforschung 94 Veröffentlichungsbereitschaft<br />

95 Inanspruchnahme geschützter Rechtsgüter 96<br />

4.4.2. Risikovorsorge als Ausdruck staatlicher Schutzpflicht 97<br />

4.4.3. Risikosteuerung durch risikoadäquate Zuordnung 99<br />

Kapitel 5: Wirksamkeitsüberlegungen zu ordnungsrechtlichen<br />

Steuerungsinstrumenten 101<br />

5.1. Genehmigungs- und Anmeldevorbehalte 101<br />

5.1.1. Repressives Verbot 102<br />

5


5.1.2. Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt<br />

(Genehmigungsvorbehalt) 102<br />

5.1.3. Verbot mit Anmeldevorbehalt und Anzeige 103<br />

5.1.4. Erlaubnis mit präventivem Verbotsvorbehalt 104<br />

5.1.5. Versagung der Erlaubnis und Nebenbestimmungen 105<br />

5.1.6. Bewertung 105<br />

5.2. Nachweispflichten in Genehmigungs- und Anzeigeverfahren 106<br />

5.2.1. Angaben über Sicherheitsbewertung 106<br />

5.2.2. Bewertung 108<br />

5.3. Dynamisierung der Risikovorsorge 109<br />

5.3.1. Laufende Risikobewertungspflicht 109<br />

5.3.2. Step-by-step-Prinzip 110<br />

5.3.3. Prozedurale Erleichterungen 111<br />

5.4. Aufzeichnungspflichten 112<br />

5.4.1. Bedeutung der Aufzeichnungspflicht 112<br />

5.4.2. Inhalt der Aufzeichnungen 114<br />

5.4.3. Bewertung 114<br />

5.5. Anzeigepflichten 116<br />

5.5.1. Verdachtsstörfälle 116<br />

5.5.2. Neue Informationen 117<br />

5.5.3. Ergebnisse von Freisetzungen 118<br />

5.5.4. Bewertung 118<br />

5.6. Nachträgliche Eingriffsbefugnisse 119<br />

5.6.1. Nachträgliche Auflagen 119<br />

5.6.2. Widerruf, Rücknahme und Einstellung 120<br />

5.6.3. Untersagung 120<br />

5.6.4. Bewertung 121<br />

5.7. Zentrale Kommission für biologische Sicherheit 122<br />

5.7.1. Aufgaben 122<br />

5.7.2. Zusammensetzung 125<br />

5.7.3. Bewertung 125<br />

5.8. Behördlicher Informationsaustausch 128<br />

5.9. Innerbetriebliche Verantwortlichkeit 129<br />

5.9.1. Projektleiter 129<br />

5.9.2. Betriebsbeauftragter für Biologische Sicherheit 130<br />

5.9.3. Bewertung 131<br />

6


5.10. Öffentlichkeit 133<br />

5.10.1. Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung 134<br />

5.10.2. Beteiligung der Öffentlichkeit an Genehmigungsverfahren 135<br />

5.10.3. Erfahrungen aus der Praxis 138<br />

5.10.4. Öffentlichkeit als Beitrag zur Risikokommunikation 138<br />

Kapitel 6: Risikosteuerung durch zivil- und strafrechtliche<br />

Haftung 141<br />

6.1. Ziviles Haftungsrecht als "Selbststeuerungsinstrument" 141<br />

6.1.1. Funktion und Wirkung des Haftungsrechts 141<br />

6.1.2. Zur Steuerungsfähigkeit des Haftungsrecht 143<br />

6.1.3. Zur praktischen Wirksamkeit des Umwelthaftungsrechts 145<br />

Voraussetzungen 145 Erfahrungen mit dem Umwelthaftungsgesetz<br />

145<br />

6.2. Bestandsaufnahme: Das geltende gentechnikrechtliche<br />

Haftungssystem 148<br />

6.2.1. Gefährdungshaftung 148<br />

6.2.2. Reichweite der Haftung: "Normalbetrieb" und Entwicklungsrisiken 149<br />

6.2.3. Haftungsadressat 149<br />

6.2.4. Kausalität 150<br />

6.2.5. Ursachenvermutung 151<br />

Gesetzliche Regelung 151 Fallbeispiel "Tryptophan" 152<br />

6.2.6. Schadensbegriff 153<br />

6.2.7. Deckungsvorsorge 154<br />

6.2.8. Haftungshöchstbetrag 154<br />

6.2.9. Haftungsausschlüsse 155<br />

6.3. Steuerungsgrenzen des geltenden Gentechnikhaftungsrechts 155<br />

6.3.1. Gentechnikhaftung bei gewerblicher Tätigkeit 155<br />

6.3.2. Besonderheiten für den Bereich der Forschung 156<br />

Industrieforschung 156 Universitätsforschung 156<br />

6.4. Erhöhung der Steuerungsfähigkeit 159<br />

6.4.1. Verbesserung beim Kausalitätsnachweis 159<br />

6.4.2. Anreiz zur Wissensgenerierung 161<br />

6.4.3. Reflexives Haftungsrecht? 161<br />

6.4.4. Aufgabe des Selbstversicherungsprinzips bei der universitären Forschung163<br />

6.4.5. Haftung von Fördergebern 163<br />

6.4.6. Fazit 164<br />

6.5. Strafrechtliche Haftung 164<br />

7


6.5.1. Funktion und Grenzen strafrechtlicher Normen 164<br />

6.5.2. Bestehende Regelungen 165<br />

6.5.3. Weitergehende Steuerung der Forschung durch Strafrecht? 168<br />

Kapitel 7: Die Implementierung des Gentechnikgesetzes<br />

(Geschlossenes System) 170<br />

7.1. Theoretische Überlegungen zur Interessenstruktur im<br />

Regulierungsfeld 170<br />

7.2. Bundesebene: Sicherheitseinstufung durch die Zentrale<br />

Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBS) 177<br />

7.3. Landesebene: Genehmigung und Überwachung 180<br />

7.3.1. Organisations- und Personalstruktur 180<br />

7.3.2. Regulierungsfeld: Zahl und Dynamik der Labormeldungen 183<br />

7.3.3. Anmeldungs- und Genehmigungsverfahren 188<br />

7.3.4. Überwachung 190<br />

7.3.5. Behörden und Öffentlichkeit 193<br />

7.4. Organisierung der Betreiberpflichten in der Universitäts- und in<br />

der Industrieforschung 195<br />

7.5. Risikowahrnehmung und Risikokontrolle im Labor 199<br />

7.6. Das Gentechnikgesetz: Akzeptanzprobleme auf seiten der<br />

Forscher 207<br />

7.6.1. Probleme mit der bürokratischen Rationalität: das Verhältnis<br />

zwischen Forschern und Behörden 208<br />

7.6.2. Ungewißheits- versus erfahrungsbasierte Vorsorge 211<br />

7.6.3. Die Novellierung des Gentechnikgesetzes - Scheitern der<br />

subpolitischen Kommunikation 222<br />

Kapitel 8: Freisetzung von gentechnisch veränderten<br />

Organismen 228<br />

8.1. Ungewißheitsbasierte Vorsorge als internationalisiertes<br />

Rechtsprogramm 228<br />

8.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten der<br />

Europäischen Union 236<br />

8.2.1. EG-Ebene 236<br />

8.2.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten 239<br />

8


8.3. Betreiberinteressen und Öffentlichkeit 240<br />

8.4. Zum Stand des Step-by-step-Verfahrens in der EG 245<br />

8.4.1. Verlauf der internationalen Sicherheitsdiskussion 245<br />

8.4.2. Wandel der Schadensdefinitionen 246<br />

8.4.3. Der Streit um die Marktzulassungen 248<br />

8.5. Rechtliche und administrative Umsetzung der Freisetzungs-<br />

Richtlinie in der Bundesrepublik 249<br />

8.5.1. Zuständige Behörden 249<br />

8.5.2. Umsetzung des Step-by-step-Verfahrens in der Bundesrepublik 251<br />

8.6. Feldversuche in der Bundesrepublik 256<br />

8.7. Fallbeispiel: Ein Freisetzungsversuch in Deutschland 259<br />

8.7.1. Fixierung auf das Confinement 260<br />

8.7.2. Akzeptanz- oder Sicherheitsforschung? 263<br />

8.8. Ambivalenzen des Step-by-step-Prinzips im Überblick 266<br />

8.8.1. Ambivalenzen der Risikoerkennung 267<br />

8.8.2. Widersprüche des Verfahrens 270<br />

Kapitel 9: Somatische Gentherapie 275<br />

9.1. Regulierungssituation 276<br />

9.1.1. USA 276<br />

9.1.2. Europa 278<br />

9.1.3. Deutschland 279<br />

9.2. Entwicklung der somatischen Gentherapie in den USA<br />

und Europa 281<br />

9.3. Fallbeispiel: Gentherapie 'von innen' 284<br />

9.3.1. Perspektiven der Gentherapie 285<br />

9.3.2. Risiken der Gentherapie 289<br />

9.3.3. Zum Umgang mit todgeweihten Patienten 292<br />

9.3.4. Wahrnehmung der Kontrolle durch die Ethik-Kommission 294<br />

9.3.5. Einstellung zu anderen Regulierungsmechanismen 296<br />

9.3.6. Zwischenergebnis: Soziale Prozesse der Selbstregulierung 297<br />

9.4. Ungewißheitsbasierte Regulierung auf der Basis von<br />

Selbststeuerung oder Recht? 298<br />

9.4.1. Zur normativen Einordnung der Gentherapie 299<br />

9.4.2. Zur tatsächlichen Einordnung der Gentherapie in Deutschland 300<br />

9


9.4.3. Implizite Orientierung an einer ungewißheitsbasierten<br />

Regulierung 301<br />

Kapitel 10: Politische und rechtspolitische Vorschläge 304<br />

10.1. Zusammenfassung relevanter Ergebnisse und allgemeine Schlußfolgerungen<br />

305<br />

10.1.1. Regelakzeptanz und Regelbefolgung 305<br />

10.1.2. Wissenschaft als Regulierungsfeld 307<br />

10.1.3. Selbstregulierung und Regulierung 309<br />

10.1.4. Grundlegende Anforderungen an ungewißheitsbasierte Regelungen 310<br />

10.1.5. Implementierungsdefizite im Bereich erfahrungsbasierter<br />

Regulierung 313<br />

10.1.6. Wertentscheidung und Partizipation 314<br />

10.1.7. Zur mangelnden Systematik des Gentechnikrechts 316<br />

10.1.8. Ungewißheitsbasierte Regelungen als Standortfaktor 319<br />

Prozeßinnovationen 321 Produktinnovationen 322 Prozeß- versus<br />

Produktregulierung 323<br />

10.2. Konsequenzen für eine verbesserte Risikosteuerung im Forschungsbereich324<br />

10.2.1. Ausklammerung der Sicherheitsstufe 1 aus dem Gentechnikgesetz? 324<br />

10.2.2. Risikoermittlung, -bewertung und Risikoentscheidung 325<br />

10.2.3. Interne Risikokommunikation 326<br />

Bestehende Defizite 326 Verbesserte Aus- und Weiterbildung 327<br />

Verbesserung der Informationsbeziehungen, Zugang zu Informationen<br />

328 Aufzeichnungspflichten 328<br />

10.2.4. Sicherheitsforschung 329<br />

10.2.5. Dynamisierung der Risikosteuerung 331<br />

Dynamisierung der Gesetzgebung 331 Step-by-step-Prinzip 332<br />

10.2.6. Externe Risikokommunikation und Wertentscheidung 333<br />

Prüfaufträge im Step-by-step-Verfahren 334 Öffnung der ZKBS und<br />

des Behördenausschusses bei der EG-Kommission 335 Entscheidungsentlastete<br />

Diskursverfahren 336 Öffentlichkeitsbeteiligung beim<br />

Inverkehrbringen 336<br />

10.3. Ausblick: Von der Prozeßregulierung zur Produktregulierung 336<br />

10.3.1. Gründe für die Änderung der Produktzulassung 337<br />

Verbleibende Ungewißheit 337 Sozioökonomische Bedenken 338<br />

Kulturelles Unbehagen 338<br />

10.3.2. Demokratisierung der Produktzulassung 339<br />

Informationsrechte und Öffentlichkeitsbeteiligung 339 Prüfung des<br />

Bedarfs und der Sozialverträglichkeit 341 Informativere Kennzeichnung<br />

der Produkte 344<br />

10


Kapitel 11: Gesellschaftstheoretische Verortung - Ungewißheitsbasierte<br />

Regulierung im Prozeß 'reflexiver Modernisierung' 346<br />

11.1. Zur allgemeineren Einbeziehung von Ungewißheit im Umweltrecht 347<br />

11.2. Grundlegende Anknüpfungspunkte in der Theorie reflexiver<br />

Modernisierung 349<br />

11.3. Allgemeines Entwicklungsmodell für den Prozeß der reflexiven<br />

Modernisierung bei Umweltrisiken 351<br />

11.3.1. Stufe 1: Reflexion von Nahfolgen 352<br />

11.3.2. Stufe 2: Reflexion bekannter Fernfolgen 354<br />

11.3.3. Stufe 3: Reflexion von Ungewißheit 357<br />

11.4. Reflexive Modernisierung bei der Genforschung - die<br />

empirische Ebene 360<br />

11.4.1. Gesetzgebungsdebatte 361<br />

11.4.2. Exkurs zur Gentherapie 363<br />

11.4.3. Das Gentechnikrecht 365<br />

11.4.4. Verwaltungsverfahren in Deutschland 367<br />

11.4.5. Europäischer Vergleich (am Beispiel Dänemarks) 369<br />

11.4.6. Forschungsorganisation 371<br />

11.5. Perspektiven reflexiver Modernisierung 378<br />

11.5.1. Reflexive Akteure oder reflexive Institutionen? 378<br />

11.5.2. Probleme organisationaler und funktionaler Differenzierung 383<br />

11.5.3. Probleme und Perspektiven reflexiver Politik 386<br />

11.5.4. Interferenz verschiedener Risikosphären 388<br />

11.5.5. Unterwegs in eine 'andere Moderne'? 390<br />

Anhang 1: Methodische Überlegungen zu Auswahl, Verlauf und<br />

Auswertung der Interviews 393<br />

A 1. Erkenntnisziele beim Einsatz der Interviewmethode 393<br />

A 2. Überlegungen zur Auswahl der befragten Arbeitsgruppen 394<br />

A 3. Überlegungen zur Auswahl der übrigen Gesprächspartner 395<br />

A 4. Zugangsbedingungen 395<br />

A 5. Interviewmethode und Gesprächsverlauf 397<br />

A 6. Auswertung und Validierung 399<br />

A 7. Belastbarkeit und Generalisierbarkeit der Interviewdaten 400<br />

A 8. Redaktionelle Bearbeitung der zitierten Interviewpassagen 400<br />

A 9. Liste der Interviews und Hintergrundgespräche 401<br />

11


Literatur 402<br />

Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen 425<br />

12


Vorwort<br />

Die vorliegende Untersuchung ist am Interdisziplinären Institut für Wissenschaftstheorie<br />

und Wissenschaftsgeschichte an der Universität Erlangen/Nürnberg<br />

entstanden - im Rahmen eines von der VW-Stiftung von 1994 bis 1996 geförderten<br />

Drittmittelprojekts. Geleitet wurde das Projekt von dem Soziologen Christoph<br />

Lau, dessen anregender Hilfestellung und Beratung die vorliegende Untersuchung<br />

vieles verdankt. Mitgearbeitet haben an dem interdisziplinären Projekt die<br />

beiden Juristen Johann Bizer (Universität Frankfurt) und Gerhard Roller (Fachhochschule<br />

Bingen), die die Kapitel zum Normenprogramm (Kap. 4 - 6 sowie<br />

Teile von Kap. 10) verfaßt und darüber hinaus als rechtswissenschaftliche Berater<br />

und Diskussionspartner mitgewirkt haben. Die übrigen Kapitel wurden weitgehend<br />

von dem Sozialwissenschaftler Bernhard Gill erarbeitet und formuliert.<br />

Dank sagen möchten wir an dieser Stelle Karl-Heinz Ladeur, Rainer Wahl und<br />

Rainer Wolf aus dem Bereich der Rechtswissenschaft, Günther Gassen, Regine<br />

Kollek und Lothar Willmitzer von der Biologie sowie Ulrich Beck, Wolfgang<br />

Bonß und Peter Weingart von seiten der Soziologie für Anregungen und Hilfestellungen<br />

sowie allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern an dem im November 1995<br />

abgehaltenen Workshop, auf dem die Zwischenergebnisse der Untersuchung<br />

vorgestellt und diskutiert wurden. Zu danken ist ebenso den Interviewpartnerinnen<br />

und -partnern, die viel Zeit und Geduld aufgebracht haben, um uns Einblick<br />

in ihre Arbeit zu geben. Gleiches gilt auch für die Mitarbeiter von Behörden<br />

und Industrieunternehmen, die uns mit schriftlichen Auskünften weitergeholfen<br />

haben. Wichtige Anregungen gingen von dem europäischen Forschungsprojekt<br />

"GMO Releases: Managing Uncertainty about Biosafety" aus, das von Les Levidow,<br />

Susan Carr und David Wield an der Open University in Milton Keynes<br />

(UK) koordiniert wurde, und an dem Bernhard Gill als deutscher Partner beteiligt<br />

war. Thomas Saretzki hat uns als Politologe und Biologe bei einigen Fachfragen<br />

beraten. Unser Dank gilt auch den Kollegen in Erlangen, die uns des öfteren bei<br />

Diskussionen mit Anregungen und Kritik weitergeholfen haben. Last but not least<br />

möchten wir Michael Skalitzky und Stefan Böschen danken, die uns als studentische<br />

Hilfskräfte bei der Literaturbeschaffung behilflich waren, sowie Gerda<br />

Kugler, die als Institutssekretärin die mühevolle Transkription der Interviews auf<br />

sich genommen und bei der Projektorganisation mitgewirkt hat. Barbara Kuchler<br />

hat bei der Schlußredaktion die Mühe des Korrekturlesens übernommen.<br />

Zum Schluß noch drei Lesehinweise: Die empirische Arbeit an dem Projekt<br />

wurde Mitte 1996 abgeschlossen; spätere Entwicklungen konnten vereinzelt in<br />

den Fußnoten berücksichtigt werden. Da sich dieses <strong>Buch</strong> an eine interdisziplinäre<br />

Leserschaft wendet, wurde versucht, einen Kompromiß zwischen den sozial-<br />

13


und rechtswissenschaftlichen Zitiergewohnheiten zu finden, der für beide Fächer<br />

etwas ungewöhnlich anmuten mag. Wir sind außerdem, um Sperrigkeiten in der<br />

Schreibweise zu vermeiden, konventionellen Sprachgepflogenheiten gefolgt und<br />

haben auf die ausdrückliche Benennung des weiblichen Teils der jeweils erwähnten<br />

Gruppen verzichtet. Wenn also z.B. von Genforschern die Rede ist, sind Genforscherinnen<br />

selbstverständlich immer mitgemeint.<br />

Bernhard Gill, Johann Bizer, Gerhard Roller<br />

München, Frankfurt am Main, im November 1997<br />

14


Kapitel 1: Einleitung<br />

1.1. Praktische Problemexposition<br />

Von 'Staatsversagen' ist häufig die Rede, wenn in jüngeren sozialwissenschaftlichen<br />

Untersuchungen die Steuerungsfähigkeit des modernen Staates und rechtlicher<br />

Steuerungsmittel erörtert wird. Erklärt wird dies mit Kapazitätsgrenzen und<br />

Koordinationsproblemen angesichts wachsender Staatsaufgaben oder mit der<br />

Ohnmacht des Nationalstaates gegenüber den wachsenden transnationalen Interdependenzen<br />

der Gesellschaft. In der Theorie funktionaler Differenzierung, die<br />

'Politik', 'Recht', 'Wirtschaft' und 'Wissenschaft' (etc.) als kommunikativ geschlossene<br />

Subsysteme konzipiert, ist ein Steuerungszentrum schließlich gar nicht mehr<br />

vorgesehen. Nach der Enttäuschung der staatsfixierten Planungseuphorien der<br />

70er Jahre ist mittlerweile Fatalismus oder zumindest Ernüchterung eingekehrt.<br />

Erwartungen konzentrieren sich heute - in analytischer wie in präskriptiver Hinsicht<br />

- vor allem auf dezentrale Vorgänge oder Modelle der horizontalen Koordinierung<br />

zwischen den Akteuren (respektive Subsystemen) und der Selbstregulierung,<br />

wobei dem Staat allenfalls noch die Rolle eines Moderators zugewiesen<br />

wird.<br />

Diese zumeist auf hohem Abstraktionsniveau geführte Diskussion läßt aber<br />

häufig die Tuchfühlung mit dem empirischen Wandel der Regulierungsformen<br />

und Regulierungsaufgaben vermissen. So ist insbesondere zu konstatieren, daß<br />

heute in den Industrieländern die klassischen Verteilungskonflikte verstärkt von<br />

Risikokonflikten, vor allem bei der Einführung neuer wissenschaftlicher Methoden<br />

und ihrer technologischen Anwendungen, abgelöst oder zumindest überlagert<br />

werden. 1 Risikokonflikte sind zwar ebenfalls interessengeleitet, zugleich aber<br />

auch von der immer schon vorhandenen, allerdings erst in jüngerer Zeit verstärkt<br />

wahrgenommenen Ungewißheit und Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnis<br />

1 Risikokonflikte ergeben sich aus den intendierten oder nicht-intendierten Wirkungen von<br />

Entscheidungen, z.B. eine bestimmte Technologie einzuführen, auf zunächst Unbeteiligte,<br />

die diese Wirkungen als unerwünscht wahrnehmen. Weil solche Entscheidungen ubiquitär<br />

und die Folgen schwer berechenbar und a priori kaum begrenzbar sind, ist - im Unterschied<br />

zu Verteilungskonflikten - eine Herausbildung stabiler Interessengemeinschaften (Lager,<br />

Klassen etc.) relativ unwahrscheinlich. Die durch die Thematisierung von Risiken erzeugten<br />

Risse gehen vielmehr kreuz und quer durch die Gesellschaft und verschieben sich ständig<br />

(z.B. Beck, Risikogesellschaft, 1986; Lau, Soziale Welt 1989; Luhmann, Soziologie,<br />

1991).<br />

15


eeinflußt. Insofern könnte man erwarten, daß Versuche der Risikosteuerung mit<br />

komplexeren Wechselwirkungen zwischen sozialen und kognitiven Faktoren und<br />

noch schwerer überwindbaren Problemen konfrontiert sind, als sie von der Steuerungstheorie<br />

bisher thematisiert wurden.<br />

In der Tat stellen sich nach der vorläufigen historischen Konsolidierung des<br />

Rechtsstaates, des Wohlfahrts- und Sozialstaates mit der Globalisierung der Ökonomie<br />

und der Einsicht in die absehbar katastrophalen Effekte der Umweltzerstörung<br />

neue Probleme: Die Wirtschaft in den etablierten Industrieländern ist<br />

wachsender Standortkonkurrenz - im Hinblick auf Löhne, Lohnnebenkosten und<br />

Umweltstandards - durch die osteuropäischen Länder und die Schwellenländer<br />

ausgesetzt. Zugleich wächst in den Industrieländern das Bewußtsein, daß die<br />

ökologischen Effekte der hohen wirtschaftlichen Produktivität, zumal im Zuge<br />

ihrer Globalisierung, die Tragekapazitäten 2 der Erde überbeanspruchen. Verstärkte<br />

wissenschaftlich-technische Innovation erscheint daher als Zaubermittel einer<br />

zukunftsfähigen Entwicklung. 3 Einerseits soll sie nach dem Abbau von Handelsbarrieren<br />

und dem Schwinden von Transportkosten den Vorsprung der etablierten<br />

Industrieländer bzw. der vorwiegend mit ihrem Finanzkapital gebildeten Konzerne<br />

sichern. Zum anderen soll sie durch eine effizientere oder umweltgerechtere<br />

Nutzung natürlicher Ressourcen die Erschöpfung der Tragekapazitäten verhindern<br />

oder mindestens hinauszögern. Wenn man davon ausgeht, daß weltweit<br />

weder eine Reduzierung der Bevölkerungsdichte noch des Wirtschaftswachstums<br />

derzeit mit friedlichen Mitteln durchsetzbar ist, dann ist Innovation das einzige in<br />

der Diskussion um eine zukunftsfähige Entwicklung bisher konkreter sichtbar<br />

gewordene Mittel, den drohenden Kollaps zu verhindern. 4<br />

Andererseits ist mit der Einführung neuer Technologien stets auch das Risiko<br />

neuer, nicht-intendierter Nebenfolgen verbunden. Dieses Problem ist zwar nicht<br />

neu, doch wird es sich unter gesteigertem Innovationsdruck zuspitzen:<br />

2 'Ökologische Tragekapazität' ist ein zentraler Topos in der Diskussion um 'Sustainable<br />

Development'. Gemeint ist damit die Fähigkeit des Ökosystems, anthropogen verursachte<br />

Veränderungen des Stoffwechsels abzupuffern, ohne daß es zu katastrophalen Änderungen<br />

der Lebensbedingungen von Menschen kommt.<br />

3 Vgl. z.B. Huber, Nachhaltige, 1995.<br />

4 Wenn z.B. die Menschen in China jetzt vom Fahrrad auf die Massenmotorisierung umsteigen,<br />

wird man dies von westlicher Seite kaum verhindern können. Man kann allenfalls<br />

die Technologien für den Bau ressourcenschonender und schadstoffarmer Autos anbieten.<br />

Das ist auch mit den derzeitigen wirtschafts- und arbeitspolitischen Interessen in den Industrieländern<br />

kompatibel. Ob technologische Maßnahmen ausreichen werden, um einen<br />

ökologischen Kollaps zu verhindern, bleibt zwar fraglich. Aber der Export kultureller und<br />

sozialer Innovationen, wie z.B. umweltverträglicherer Lebensstile, ist bisher noch kaum<br />

absehbar, zumal diese auch in den Industrieländern selbst noch wenig erprobt und schon<br />

gar nicht allgemein durchgesetzt sind.<br />

16


- Mit 'leistungsfähigeren' Technologien ist nicht nur ein gesteigertes Gestaltungspotential<br />

verbunden; zugleich wachsen auch häufig - aber nicht zwangsläufig -<br />

die Mißbrauchsmöglichkeiten, Unfallrisiken und die nicht-intendierten Effekte<br />

des Normalgebrauchs.<br />

- Um betriebswirtschaftlich rentabel zu sein, müssen neue Technologien und<br />

Produkte bei steigenden Entwicklungskosten immer schneller in immer größere<br />

Märkte eingeführt werden. Damit wächst aber auch die Wahrscheinlichkeit,<br />

daß zunächst nicht erkennbare Schadenswirkungen sich erst nach der Markteinführung<br />

entfalten und dann schon ein größeres Ausmaß angenommen haben,<br />

als dies früher bei längeren Vorlaufzeiten und stärker abgeschotteten und daher<br />

kleineren Einzelmärkten der Fall war.<br />

- Mit der Zunahme des Innovationstempos erhöht sich nicht nur die Zahl der<br />

einzelnen Innovationen, sondern auch der möglichen Wechselwirkungen in<br />

insgesamt zunehmend dynamisierten Kontexten.<br />

- Mit steigendem Wohlstand wächst tendenziell auch die Risikosensibilität in<br />

den betroffenen Gesellschaften.<br />

Es ist deshalb notwendig, auch die Folgenerkenntnis im Prozeß technologischer<br />

Entwicklung vorzuverlagern, um die potentiell negativen Effekte des erhöhten<br />

Innovationstempos abzufangen. 5 Denn schon in der Vergangenheit hat sich gezeigt,<br />

daß gerade auch Innovationen, die zur Vermeidung bestehender Gesundheits-<br />

und Umweltgefahren eingesetzt wurden, ihrerseits wieder mit neuen, bis<br />

dahin unbekannten Schadwirkungen einhergehen können. So wurden etwa die<br />

FCKW, die heute als 'Ozonkiller' gelten, ursprünglich in Kühlgeräten als Ersatzstoff<br />

für das bis dahin gebräuchliche, jedoch atemgiftige Ammoniak eingesetzt.<br />

Mit der Vorverlagerung der Folgenerkenntnis gerät auch die Forschung selbst<br />

in den Blick. Denn das frühestmögliche Stadium der Risikoentstehung - und folglich<br />

der Risikoaufklärung - ist der Zeitpunkt, wenn Erfindungen erstmals im Labor<br />

oder in abgeschirmten Pilotanlagen erprobt werden. Forschung wird dann in<br />

doppelter Weise zum Gegenstand der Risikosteuerung:<br />

- Einmal, indem die im Forschungsprozeß unmittelbar auftretenden trivialen<br />

Risiken - wie Explosion, Infektion, Verbrennung und Vergiftung - im Sinne<br />

klassischen Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzes eingedämmt werden<br />

sollen. Soweit diese Risiken bekannt sind, kann man erwarten, daß sie im<br />

Rahmen der Sorgfaltspflicht bei der weiteren Entwicklung von der Forschungsidee<br />

zum Produkt auszuschließen sind.<br />

- Zum zweiten erhält Risikosteuerung eine neue Dimension, wenn im Labor<br />

frühzeitig nach Schadwirkungen gefahndet wird, die sich erst in einem späteren<br />

Stadium, bei der Umsetzung der Erfindung als Innovation bzw. Produkt, ent-<br />

5 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994.<br />

17


falten würden, oder wenn untersucht wird, inwieweit ggf. vorhandene, unmittelbare<br />

Risiken als Vorboten allgemeinerer, mit der beabsichtigten Innovation<br />

potentiell verbundener Schadwirkungen anzusehen sind. Insbesondere bei bisher<br />

noch nicht genau erkannten Risiken ist damit zu rechnen, daß sie sich sowohl<br />

in den unmittelbaren Wirkungen des Laborbetriebs als auch in den späteren<br />

Wirkungen des Produkts manifestieren können.<br />

Im Fall der Gentechnologie wurden rechtliche Zulassungsverfahren etabliert,<br />

bevor die Technologie in größerem Maßstab eingeführt wurde und bevor empirische<br />

Erfahrungen mit diesbezüglichen Schäden gemacht werden konnten. Insofern<br />

wird hier gegenwärtig der bisher ambitionierteste Versuch der Vorverlagerung<br />

der Folgenerkenntnis realisiert. Zum ersten Mal wurde eine wissenschaftliche<br />

Methode und die daraus resultierende Technologie schon auf bloßen<br />

Risikoverdacht hin unter Beobachtung gestellt. Weil es hier keine einschlägigen<br />

Erfahrungen mit spezifischen Schadwirkungen gibt, beruhen entsprechende Vorsorgemaßnahmen<br />

zwangsläufig auf mehr oder weniger umstrittenen wissenschaftlichen<br />

Hypothesen, deren Gültigkeit sich nur mit dem Eintritt der befürchteten<br />

Schäden bestätigen könnte, und die deshalb - jedenfalls im großen<br />

Maßstab - nach Meinung vieler Bürger gerade nicht überprüft werden sollten.<br />

Dieser Übergang von erfahrungsgestützten zu hypothesenbasierten Beobachtungs-<br />

und Prüfverfahren wird in der (englischsprachigen) Diskussion auf EG-<br />

Ebene häufig mit der Unterscheidung von 'Prevention' und 'Precaution' markiert, 6<br />

während er in der nivellierenden deutschen Rede vom 'Vorsorgeprinzip' nicht<br />

deutlich zum Ausdruck gebracht werden kann. 7 Wir wollen daher im folgenden<br />

zwischen erfahrungsbasierter und hypothesenbasierter bzw. ungewißheitsbasierter<br />

Regulierung ('Prevention' versus 'Precaution') unterscheiden. 8<br />

6 Tait/Levidow, Futures 1992.<br />

7 In der internationalen Rezeption der deutschen Umweltdiskussion wird 'Vorsorge' häufig<br />

einfach mit 'Precaution' übersetzt. Das deutsche Umweltrecht muß dann dem ausländischen<br />

Beobachter als überaus scharf erscheinen, weil durch diesen Übersetzungsfehler der falsche<br />

Eindruck erweckt wird, daß in Deutschland immer das - gegenüber 'Prevention' - weiterreichende<br />

'Precautionary principle' angewandt wird (vgl. Boehmer-Christiansen, Precautionary,<br />

1994).<br />

8 Dabei handelt es sich um eine analytische Unterscheidung, die in der Praxis niemals vollständig<br />

trennscharf sein kann. Denn auch zur Begründung von 'hypothesenbasierten' Regulierungen<br />

wird mittels Analogieschluß auf Erfahrungen in anderen Bereichen, z.B. mit<br />

der Einführung exotischer Arten, rekurriert (vgl. unten, Kap. 2.2.). Aber die Plausibilität<br />

der Analogiebildung und die Übertragbarkeit der Erfahrungen bleibt umstritten. Damit unterscheidet<br />

sich die Argumentation von der Begründung 'erfahrungsbasierter' Regulierungen,<br />

bei der mit engeren Analogiebildungen operiert wird. Strenggenommen liegen aber<br />

auch 'erfahrungsbasierten' Regulierungen Analogiebildungen zugrunde, weil kein 'Fall' wie<br />

18


Dabei ist man sich in der naturwissenschaftlichen Diskussion durchaus darüber<br />

einig, daß bei der Neukombination von Genen Risiken vorzubeugen ist, die sich<br />

aus den Eigenschaften, z.B. der Pathogenität der Herkunftsorganismen, herleiten<br />

lassen. Man spricht hier auch von einer 'additiven' Risikoabschätzung. 9 Mittlerweile<br />

wird in der Fachdiskussion eingeräumt, daß bei der Neukombination von<br />

Genen neue, unerwartete Effekte entstehen können, 10 die in der deutschen Diskussion<br />

häufig insgesamt als 'Synergismen' bezeichnet werden. Allerdings ist man<br />

vielfach der Ansicht, daß emergente Effekte mit gleicher Regelmäßigkeit auch in<br />

der Natur und bei herkömmlichen Züchtungsverfahren auftreten können und daher<br />

eine Sonderbehandlung der Gentechnologie als Forschungs- und Herstellungsmethode<br />

nicht vertretbar sei. Da technologiespezifische Risiken also nicht<br />

erkennbar seien, sollte man - nach Meinung vieler Befürworter - gentechnisch<br />

veränderte Organismen und mit Hilfe der Gentechnik hergestellte Präparate nur<br />

(noch) im Rahmen der herkömmlichen produktbezogenen Prüfverfahren (Arzneimittelzulassung,<br />

Saatgutzulassung etc.) auf ihre Eigenschaften testen. Ökologen<br />

und Umweltschützer halten dem entgegen, daß mit der Gentechnologie ein weit<br />

breiteres Spektrum von neuen Organismen mit bisher unbekannten Eigenschaften<br />

hergestellt würde, als sie - im gleichen evolutionären Zeitraum - in der Natur<br />

entstünden oder durch klassische Züchtung zu erzielen seien. Darüber hinaus sei<br />

damit zu rechnen, daß durch die Gentechnologie neue, bisher noch völlig unbekannte<br />

biologische Veränderungen angestoßen werden könnten (vgl. Kap. 2).<br />

An dieser Diskussion wird sichtbar, daß es im Prinzip einen Konsens über die<br />

Einleitung von Vorsorgemaßnahmen auf hypothetischer Basis gibt. Diese Hypothesen<br />

basieren regelmäßig auf Analogien zu bisherigen Ereignissen, wie man sie<br />

z.B. im Umgang mit natürlichen Krankheitserregern oder bei der Einführung<br />

nicht-einheimischer Organismen erfahren hat. Streit entzündet sich allerdings<br />

daran, ob nur leicht überprüfbare Hypothesen mit präzisem und eng gefaßtem<br />

Prognosegehalt oder auch allgemeinere und weiter gefaßte theoretische Überleder<br />

andere ist. Auch scheinbar unproblematische Klassifizierungen von konkreten Ereignissen,<br />

z.B. als 'Unfall im Straßenverkehr', implizieren Analogieschlüsse.<br />

9 Vgl. unten, Kap. 2.3.3. Das Risiko ergibt sich demnach aus den Eigenschaften des Empfängerorganismus<br />

und den Eigenschaften, die von dem übertragenen Gen im Spenderorganismus<br />

kontrolliert wurden. Zur Diskussion 'additiver' versus 'synergistischer', d.h. auch<br />

emergente Effekte berücksichtigender Risikoabschätzung vgl. Gloede et al., Biologische<br />

Sicherheit, 1993; Bonß et al., Kontext, 1992; aus rechtlicher Sicht Breuer, NuR 1994, S.<br />

158ff.<br />

10 Winnacker, Faden, 1993, S. 264ff., 297; Daele et al., Bewertung, 1994, S. 131ff. Dagegen<br />

wird in dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft autorisierten Memorandum zur<br />

'Forschungsfreiheit' auch weiterhin behauptet: "Hinweise auf die Existenz eines solchen Risikos<br />

gibt es bis heute nicht" (DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 26). Vgl. dazu näher<br />

Kap. 11.4.6.<br />

19


gungen zum Ungewißheits- und Überraschungspotential des gentechnischen Eingriffs<br />

(vgl. Schaubild 1, S. 21) zu Vorsorgemaßnahmen verpflichten sollen, und<br />

welche der mehr oder weniger absehbaren ökologischen Veränderungen als<br />

'Schaden' anzusehen sind. Die Diskussion kreist daher um die Frage, wie 'hypothetische',<br />

d.h. vorsorgepflichtige Risiken von 'spekulativen Risiken' abzugrenzen<br />

sind. 11<br />

An dieser neuen Differenzierung ('hypothetisch' versus 'spekulativ') wird ein<br />

normativer Lernprozeß deutlich, indem sich offenbar ein Bewertungswandel im<br />

Vergleich zur zeitgeschichtlich früheren Atomdebatte (vor Tschernobyl) vollzogen<br />

hat: Dort war es noch - zumindest rhetorisch - um die Abgrenzung zwischen<br />

'realen' und 'hypothetischen' - d.h. in diesem Kontext: nicht vorsorgepflichtigen<br />

- Risiken gegangen. 12 So ist auch zu konstatieren, daß in der Gentechnikdiskussion<br />

selbst sehr vage und vielfältige, gelegentlich sogar weitgehend<br />

unbestimmte Schädigungsmechanismen in Betracht gezogen werden, während in<br />

der Atomdebatte die Schadwirkungen von Kettenreaktionen und der Freisetzung<br />

von radioaktiven Stoffen weitgehend außer Frage stehen und lediglich die Zuverlässigkeit<br />

des Containments umstritten ist (vgl. Schaubild 2, S. 22).<br />

Die Ablösung der Risikosteuerung von Erfahrung ex post und ihre Umstellung<br />

auf wissenschaftliche Überlegungen ex ante ist freilich nicht ausschließlich auf<br />

die Gentechnologie oder andere neue Technologien beschränkt. Selbst in derart<br />

erfahrungsgesättigten Bereichen wie dem Autoverkehr ist zu beobachten, daß<br />

politischer Streit etwa über die Angemessenheit eines Tempolimits, der zunächst<br />

als eine Entscheidung zwischen Wertpräferenzen - 'Sicherheit' versus 'Freiheit' -<br />

erscheinen könnte, zunehmend mit kontroversen wissenschaftlichen Argumenten<br />

zu den Unfallursachen und über die Verknüpfung zu neuen Risikothemen<br />

(z.B. 'saurer Regen') ausgetragen wird. 13 Die jahrhundertealte Verbrennung<br />

fossiler Energieträger, die durch ihre lokale Massierung schon im 19.<br />

Jahrhundert zu örtlichen Umweltkonflikten führte, wird nun seit einiger Zeit für<br />

den Treibhauseffekt und globale Klimaveränderungen verantwortlich ge-<br />

11 Wahl/Melchinger, JZ 1994, S. 979; Daele et al., Bewertung, 1994, S. 134.<br />

12 Zur Kritik an der Ausgrenzung derartiger Ereignisse aus dem atomrechtlichen Schadensvorsorgebegriff<br />

Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 27ff. Im übrigen ist zu konstatieren,<br />

daß auch von Befürwortern der Atomtechnik die Notwendigkeit einer hypothesenbasierten<br />

Vorsorge zumindest in der Fachöffentlichkeit gelegentlich eingeräumt wurde<br />

(Häfele, Minerva 1974).<br />

13 Lau, Risikokonflikt, 1997.<br />

20


Schaubild 1: Heuristische Typologie potentieller Risiko- oder Überraschungsquellen der Gentechnologie<br />

Bezugnahme der Analogien Analoge Ereignisse Mögliche Vorsorge- Bewertung der Vor-<br />

(Risikogenese) in der Vergangenheit maßnahmen sorgemaßnahmen<br />

Eigenschaften der Aus- z.B. Pathogenitätssteige- erfahrungsbasiert: be- Konsens<br />

gangsorganismen ('addi- rung bei Mikroorganismen grenzbare und erprobte<br />

tive' Risikoabschätzung)<br />

Maßnahmen<br />

Wechselwirkung in neuen z.B. Einführung exotischer ungewißheitsbasiert: tendenzieller<br />

Kontexten ('synergistische' Organismen (vgl. Kap. 2) Step-by-step-Prinzip Dissens<br />

Risikoabschätzung) (vgl. Kap. 8)<br />

Entdeckung neuer z.B. 'transkingdom gene ungewißheitsbasiert: tendenzieller<br />

Wirkmechanismen transfer', 'springende Gene' Sicherheitsforschung, Dissens<br />

generelle Vorsicht<br />

Neue Theorien ⇒ Grund- z.B. Pasteur, Koch im 19. Jh.; Förderung paradigmati- Dissens, Nichtbesätzliche<br />

Neukonzeption heute: z.B. Theorie morphoge- scher Vielfalt, generelle achtung des<br />

der Wirkmechanismen netischer Felder (vgl. S. 52f.) Vorsicht Problems<br />

21


macht. 1 Durch die Wissenschaft werden so auch bei schon länger eingeführten<br />

Technologien alte Gewißheiten über Verursachung und Nicht-Verursachung von<br />

Gefahren angezweifelt und immer wieder neue Zusammenhänge zu bereits eingetretenen<br />

oder prognostizierten Gesundheits- und Umweltschäden hergestellt.<br />

Schaubild 2: Unterschiede zwischen atomaren und gentechnischen Risiken<br />

Kernkraft<br />

Gentechnik<br />

Schadenseignung: gewiß nur teilweise gewiß<br />

Wirkungsablauf: weitgehend bekannt weitgehend unbekannt<br />

Schadensausmaß: abschätzbar ungewiß<br />

Wahrscheinlichkeit: abschätzbar ungewiß<br />

Insgesamt gilt, daß 'schleichende Katastrophen', also Umweltwirkungen mit Akkumulationseffekten,<br />

langen Latenzzeiten und zunächst unklarem Feedback als<br />

Steuerungsproblem immer mehr an Bedeutung gewinnen, zugleich aber hier noch<br />

am wenigsten (wirksame) Steuerungsinstrumente zur Verfügung stehen. 2 Insofern<br />

ist der Übergang von erfahrungsbasierten zu ungewißheitsbasierten Regulierungsformen<br />

nicht singulär für neue Technologien, sondern ein sich verallgemeinerndes<br />

Phänomen der Umweltpolitik und von kontroversen verwissenschaftlichten<br />

Entscheidungen insgesamt.<br />

1.2. Fachliche Problemexposition<br />

Bei dem hier in Rede stehenden Regulierungsproblem ist man - neben den im<br />

Verlauf der Untersuchung näher darzustellenden Spezifika des Forschungsprozesses<br />

im allgemeinen und der Gentechnologie im besonderen - auf den allge-<br />

1 Der Zusammenhang zwischen CO 2 -Gehalt der Atmosphäre und Klimaveränderungen<br />

wurde zwar schon im 19. Jahrhundert postuliert, aber damals bezeichnenderweise noch<br />

nicht im Hinblick auf seine Risikopotentiale diskutiert (Tyndall, Philosophical Magazine<br />

1863; Arrhenius, Philosophical Magazine 1896).<br />

2 Wolf, Soziale Welt 1992.<br />

22


meineren theoretischen Rahmen der 'Entscheidungen unter Ungewißheit' verwiesen.<br />

Die Unterscheidung zwischen Gewißheit und Ungewißheit wird dabei -<br />

trotz der alltagssprachlichen Nähe von 'Gewißheit' und 'Sicherheit' - unabhängig<br />

von der Unterscheidung zwischen 'sicher' oder 'gefährlich' getroffen. Sie stellt<br />

diesbezüglich, also bei Entscheidungen mit potentiell schädlichen Folgen, eine<br />

andere, zusätzliche Dimension dar: Ob eine Handlung oder ein technisches Artefakt<br />

'sicher' oder 'gefährlich' ist, ist je nach Stand des Wissens mehr oder weniger<br />

'gewiß' oder 'ungewiß'. 'Gewißheit' oder 'Ungewißheit' gibt also den Grad der Prognose(un)sicherheit<br />

an, berührt aber zunächst gerade nicht den Inhalt der Prognose,<br />

z.B. als 'sicher' oder 'gefährlich' (vgl. Schaubild 3). 3<br />

Schaubild 3: Verhältnis von Prognoseinhalt (sicher versus gefährlich) und Prognosesicherheit<br />

(gewiß versus unbekannt)<br />

gewiß<br />

sehr wahrscheinlich<br />

wahrscheinlich<br />

↑<br />

gefährlich ←⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯ ⎯ ⎯ ⎯ ⎯ ⎯ ⎯ → sicher<br />

↓<br />

möglich<br />

ungewiß<br />

unbekannt<br />

Probleme insbesondere der staatlichen Regulierung wurden in der sozialwissenschaftlichen<br />

Literatur bisher vor allem als Macht-, Koordinations- und Informationsdefizite<br />

seitens der Steuerungsakteure gedeutet oder umgekehrt mit dem<br />

zunehmenden Werte- und Interessenpluralismus in der Gesellschaft, den Blokkade-<br />

und Verweigerungsmöglichkeiten seitens der Steuerungsadressaten und der<br />

3 Wenn man Gefahr als das Produkt von Schadensausmaß mal Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

definiert, lassen sich über Gefahren mit hoher Eintrittswahrscheinlichkeit (z.B. Verkehrsunfälle)<br />

relativ gewisse Aussagen treffen, weil hier relativ umfassende Erfahrungen vorliegen.<br />

Entsprechend niedriger liegt die Prognosesicherheit bei Gefahren mit niedriger Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

(z.B. schwere AKW-Unfälle). Sicherheitsaussagen lassen sich dagegen<br />

aufgrund der prinzipiellen Unabgeschlossenheit der Erfahrung niemals mit vollständiger<br />

Gewißheit treffen (deshalb ist die entsprechende Linie in Schaubild 3 nur gestrichelt<br />

gezeichnet). Prognoseunsicherheit läßt sich per definitionem nicht genau bestimmen<br />

(man weiß nicht genau, was man nicht weiß, sonst wüßte man es ja). Insofern sind Kombinationen<br />

zwischen den beiden Dimensionen - der Prognosesicherheit und des Prognoseinhalts<br />

(gefährlich/sicher) - nur bedingt möglich.<br />

23


Komplexität des Regulierungsfeldes begründet. 4 Mit dem Topos der 'Ungewißheit'<br />

ist nun aber ein zusätzlicher Aspekt des Problems berührt, der über die<br />

Aspekte der Informationsasymmetrie und der Komplexität des Gegenstands hinausweist.<br />

Denn in herkömmlichen Steuerungstheorien wird noch vorausgesetzt,<br />

daß das erforderliche Wissen grundsätzlich durchaus vorhanden ist, aber den<br />

Steuerungsakteuren aufgrund von (rechtsstaatlichen) Informationsbarrieren nicht<br />

zur Verfügung steht oder aufgrund von Koordinations- oder Kapazitätsproblemen<br />

nicht rechtzeitig oder nicht sinnvoll verarbeitet werden kann. Man kann daher<br />

sagen, daß herkömmliche Steuerungstheorien lediglich die Wirkungen 'subjektiver<br />

Ungewißheit' bei den Steuerungsakteuren und -adressaten berücksichtigen.<br />

Mit 'Ungewißheit' soll hier aber die Revidierbarkeit, also die Unabgeschlossenheit<br />

der Erfahrung und die Nicht-Extrapolierbarkeit des gegenwärtigen Wissens<br />

und Wertens bezeichnet werden. 5 Ungewißheit in diesem Sinne kann also<br />

aus dem Mangel an konkreten Daten und Erfahrungen, aus dem Streit zwischen<br />

Theorien, Paradigmen und Disziplinen, sowie aus Prozessen des Wertewandels<br />

resultieren. Diese Form der Ungewißheit gilt für alle Akteure prinzipiell in gleicher<br />

Weise, gleichgültig von welchen subjektiven Sicherheits- oder Schädlichkeitsüberzeugungen<br />

sie sich in ihrem Handeln und in ihren Argumentationen<br />

jeweils leiten lassen. Die Existenz dieses Phänomens ist jedenfalls abstrakt, d.h.<br />

in Ablösung vom jeweiligen Konfliktfall, unbestritten. Es kann deshalb als 'objektive<br />

Ungewißheit' bezeichnet werden, auch wenn konkret das 'Maß' und die Relevanz<br />

'objektiver Ungewißheit' gerade zur Debatte stehen mögen.<br />

Mit anderen Worten: 'Subjektive Ungewißheit' resultiert aus dem Mangel an<br />

aktuell für den jeweiligen Entscheidungsträger verfügbarem Wissen (über Handlungszusammenhänge<br />

und -intentionen), 'objektive Ungewißheit' resultiert aus<br />

dem Mangel an allgemein vorhandenem Wissen (über Wirkungszusammenhänge<br />

oder zukünftige Wertpräferenzen). 6<br />

4 Einen neueren Überblick über die Debatte geben Mayntz/Scharpf, Steuerung, 1995.<br />

5 Einen umfassenden Überblick über die Verwendung und Differenzierung des Begriffs der<br />

Unwissenheit und Ungewißheit (ignorance or uncertainty) in verschiedenen theoretischen<br />

Kontexten gibt Smithson, Ignorance, 1989; vgl. auch Wynne/Mayer, New Scientist 1993.<br />

6 Insofern unterscheidet sich 'objektive Ungewißheit' im hier angesprochenen Sinne auch von<br />

der Ungewißheit, wie sie die Spieltheorie normalerweise zugrundelegt. Spieltheoretisch<br />

kann man zwar auch zwischen 'subjektiver' und 'objektiver' Ungewißheit unterscheiden,<br />

etwa indem im ersten Fall die Spieler nicht wissen, welche 'Karten' ihre Mitspieler 'auf der<br />

Hand haben' und welche Spielzüge sie planen, während im zweiten Fall z.B. keiner der<br />

Spieler wissen kann, welche Zahl beim nächsten Spielzug gewürfelt wird. Aber allen Spielern<br />

ist aufgrund ihrer Kenntnis der Spielregeln der prinzipielle Möglichkeitsraum bekannt:<br />

Sie wissen, welche Karten im Spiel sind oder welche Zahlen gewürfelt werden können. In<br />

unserem Fall können die Spieler aber niemals endgültig sicher sein, welches Spiel überhaupt<br />

gespielt wird, weil beim 'Spiel mit der Natur' - als welches man die experimentelle<br />

24


Im Unterschied zur 'subjektiven Ungewißheit', die sich vor dem Hintergrund<br />

des zum jeweiligen Zeitpunkt prinzipiell vorhandenen, 'objektiven' Standes des<br />

Wissens relativ klar bestimmen läßt, kann 'objektive Ungewißheit' allerdings aus<br />

logischen Gründen nicht positiv definiert und erst recht nicht gemessen werden. 7<br />

Insofern sperrt sich dieses Phänomen, obwohl es nur allzu offensichtlich ubiquitär<br />

und relevant ist, einer wissenschaftlichen Bearbeitung, soweit diese streng auf die<br />

herkömmlichen Kriterien der Klarheit, Exaktheit und Berechenbarkeit fixiert<br />

bleibt. 8 Daher soll die Rede vom 'Maß der Ungewißheit' zwar auf ein Kontinuum<br />

mehr oder weniger großer Ungewißheit hindeuten. Letztlich kann sie aber nur<br />

alltagssprachlich verstanden werden: Es lassen sich zwar aus Erfahrung ex post<br />

Quellen der Ungewißheit angeben (Paradigmenwechsel, Unabgeschlossenheit der<br />

Erfahrung, Wertewandel), ihre Relevanz und Wechselwirkung lassen sich aber a<br />

priori allenfalls grob abschätzen. Schließlich ist auch klar, daß vollständige Unwissenheit<br />

wiederum aus logischen Gründen zu keiner Prognose - nicht einmal zu<br />

einer 'Ahnung' - und daher auch nicht zur Vorsorge Anlaß geben kann.<br />

Ungewißheit in diesem Sinne ist nicht neu, aber es ist eine 'soziale Tatsache',<br />

daß es zunehmend schwerer fällt, ihre kontroverse Thematisierung zu vermeiden,<br />

sei es, weil die Revidierbarkeit des Wissens gerade aufgrund der Beschleunigung<br />

der Wissensproduktion ins Auge sticht, oder sei es, weil die Konsequenzen vergangenen<br />

Nicht-Wissens über Nebenwirkungen - z.B. des CO 2 -Ausstoßes, der<br />

FCKW-Produktion oder jüngst der Verfütterung von Tierkadavern an Rinder<br />

(BSE) - immer deutlicher werden.<br />

Forschung konzipieren kann - die Spielregeln nicht von den Forschern allein gemacht werden.<br />

Sie wissen immer nur vorläufig und (hoffentlich) annäherungsweise, welche Spielregeln<br />

der Natur selbst zugrundeliegen, und sie können auch nicht wissen, welche Wertpräferenzen<br />

sich zukünftig in der Gesellschaft entwickeln.<br />

7 Lediglich der Begriff der Gewißheit läßt sich terminologisch definieren: "In Form objektiver<br />

Gewißheit tritt Gewißheit ... als Korrelat zu begründetem Wissen auf, in Form von<br />

subjektiver Gewißheit je nach dem Grad beanspruchter Klarheit als Korrelat entweder zu<br />

Überzeugung oder (bloßer) Meinung. ... Die Bedeutung des Terminus 'Gewißheit' ist damit<br />

ähnlich wie im Falle der Bedeutung von 'Evidenz' festgelegt, nämlich einerseits als objektive<br />

Form der Wahrheitsfindung ('Gewißheit' als 'Verfügbarkeit' eines Sachverhalts), andererseits<br />

als subjektive Form der Wahrheitsanerkennung ('Gewißheit' als 'Verfügen' über<br />

einen Sachverhalt)." (Mittelstraß, Gewißheit, 1980, S. 770; Herv. i. Orig.).<br />

8 Es ist daher auch verständlich, daß alle Wissenschaften, die vorwiegend deduktiv operieren<br />

- die Philosophie und die Rechtswissenschaft genauso wie diejenigen Strömungen in den<br />

Naturwissenschaften, die sich einer gesetzeswissenschaftlichen Methodologie verpflichtet<br />

fühlen - mit der hier vorgenommenen, bloß heuristischen Definition Schwierigkeiten haben<br />

werden. Andererseits sind (bewußt) unscharfe Ausgangsdefinitionen bei vorwiegend induktiven<br />

Verfahren der Hypothesengenerierung - z.B. in der qualitativen Sozialforschung<br />

oder der phänomenologischen Naturforschung - oft gerade hilfreich, bisher noch weitgehend<br />

unbegriffene Phänomene überhaupt zu erfassen und zur Diskussion zu stellen.<br />

25


Zugleich besteht Ungewißheit über die Entwicklung von Werten in der Gesellschaft.<br />

Konventionell war z.B. die Bewertung eines Vorgangs als 'Schaden'<br />

unmittelbar auf die Gesundheit und das Eigentum lebender Generationen der<br />

Bürger eines Staates beschränkt. Welche ökologischen Veränderungen zukünftig<br />

als 'Schaden' bewertet werden, ist seinerseits zwar wieder eng verschränkt mit<br />

wissenschaftlichen Entwicklungen, wie etwa der ökologischen Modellbildung,<br />

hängt aber zugleich auch ab von der gesellschaftlichen Entwicklung der zeitlichen,<br />

räumlichen und sozialen Wahrnehmungshorizonte und der ethischen und ästhetischen<br />

Orientierungen.<br />

Zwischen dem sicheren Wissen von der Gefahr und der vollständigen Unwissenheit<br />

scheint es eine Art von 'politischem Kulminationspunkt' zu geben: Während<br />

man klar erkannte und einhellig als schädlich bewertete Nebenfolgen<br />

menschlichen Tuns im allgemeinen entweder technologisch treffsicher eindämmen<br />

oder eben durch in diesem Falle einvernehmliches Nicht-Handeln vermeiden<br />

kann, gibt es bei bloß vermuteten Gefahren im allgemeinen keine klaren, treffsicheren<br />

und daher in ihrer Kosten-Nutzen-Bilanz eindeutigen Vorbeugemaßnahmen<br />

und keinen gesellschaftlichen Konsens, ob man die Vermutungen als<br />

plausibel und die Schäden als bedrohlich ansehen soll. Die politische Brisanz<br />

entsprechender Entscheidungen - gleichgültig ob sie für oder gegen die zur Verfügung<br />

stehenden Vorsorgemaßnahmen getroffen werden - wächst also zunächst<br />

mit zunehmender Ungewißheit, sinkt aber jenseits eines vorstellbaren und historisch<br />

'wandernden' Kulminationspunktes auch wieder ab, weil sich die Vermutungen<br />

schließlich ins vollkommen Diffuse und Ungewisse verlieren.<br />

Ungewißheit in diesem Sinne wurde zwar schon von der Risikosoziologie als<br />

gesellschaftliches Konfliktpotential und Integrationsproblem - häufig auf gesellschaftstheoretischer<br />

und sehr abstrakter Ebene - aufgegriffen. Es wurden aber<br />

bisher noch keine genaueren Überlegungen angestellt, ob, und wenn ja welche<br />

neuen Steuerungsprobleme daraus folgen und wie sie zu überwinden wären. 9<br />

Prima facie könnte man annehmen, daß die Thematisierung von Ungewißheit<br />

im hier definierten Sinn zu extremen Diskrepanzen der Bewertung und damit zu<br />

noch größeren Problemen führen müßte, als sie in herkömmlichen Steuerungssituationen<br />

gegeben sind. Denn gerade bei einem hohen Maß an Ungewißheit<br />

sind zwei völlig konträre Reaktionsformen gleichermaßen plausibel: Die Verdrängung<br />

der Ungewißheit, die Erfahrungen ermöglicht, 10 oder die Vermeidung<br />

9 Das einzige Steuerungsinstrument, das von der Risikosoziologie bisher eingehender thematisiert<br />

wurde, ist das Versicherungswesen. Weil Ungewißheit im hier definierten Sinne<br />

aber mangels anwendbarer Erfahrungswerte über Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

nicht auf ein versicherbares Risiko zu reduzieren ist, versagt dieses Steuerungsinstrument<br />

(Beck, Erfindung, 1993, S. 40ff.).<br />

10 So das zentrale Argument von Wildavsky, Searching, 1991.<br />

26


des Erfahrungsbereichs, die vor unliebsamen und potentiell katastrophalen Überraschungen<br />

schützt.<br />

Eine nähere Gegenüberstellung von herkömmlichen und mit 'objektiver' Ungewißheit<br />

belasteten Steuerungssituationen erlaubt aber auch den gegenteiligen<br />

Schluß: Bloße Informationsdefizite auf seiten des Steuerungsakteurs, z.B. der<br />

Umweltverwaltung, können zur Folge haben, daß ineffiziente Steuerungsprogramme<br />

formuliert oder Steuerungsprogramme nicht sinnvoll implementiert<br />

und nicht wirksam vollzogen werden können. Die Wasserbehörde z.B.<br />

weiß vielleicht nicht, welche Schadstoffe eingeleitet werden und wer als Einleiter<br />

in Frage kommt. 11 Die Steuerungsadressaten wissen dagegen recht genau - oder<br />

können es zumindest wissen -, welche Schadstoffe sie einleiten. Wenn sie dem<br />

Steuerungsprogramm nicht Folge leisten, so oft deshalb, weil klar definierte Interessen<br />

entgegenstehen und weil sie mit einer geringen Entdeckungswahrscheinlichkeit<br />

und milden Sanktionen rechnen können.<br />

Ungewißheit, so wie sie hier definiert wurde, z.B. über bisher unerkannte Anwendungsbereiche<br />

und Folgen der Gentechnologie, besteht aber prinzipiell und<br />

könnte auch die Betreiber verunsichern, sei es, weil sie ihre Interessen noch nicht<br />

klar definieren können, oder sei es, weil sie die Wahrscheinlichkeit von Schäden<br />

und das Ausmaß administrativer und gesellschaftlicher Sanktionen nicht abschätzen<br />

können.<br />

Ungewißheit muß also das Steuerungsproblem nicht zwangsläufig verschärfen.<br />

Denkbar ist im Gegenteil sogar, daß die Betreiber sowohl in hierarchischen wie in<br />

horizontalen Koordinations- und (Selbst-)Regulierungsbeziehungen kooperativer<br />

werden, etwa mit dem Ziel, die Folgen der Ungewißheit durch soziale Vertrauensbeziehungen<br />

zu kompensieren und durch Beteiligung an Entscheidungen die<br />

Verantwortung breiter - eventuell sogar auf potentielle Opponenten - zu verteilen.<br />

12 Die Bereitschaft zur Modifikation oder gar zum Abbruch von Technologiepfaden<br />

oder einzelnen Projekten könnte insbesondere bei Betreibern von neuen<br />

wissenschaftlichen Methoden und von neuen Technologien bestehen, soweit<br />

sie ihr Engagement - in Form von Reputation oder Arbeit oder Kapital - noch<br />

nicht in größerem Maße in deren Entwicklung investiert haben, ihnen alternative<br />

Investitionsmöglichkeiten offenstehen und sie aufgrund von Konkurrenzmechanismen<br />

auf das Wohlwollen ihrer sozialen Umwelt angewiesen sind. 13 Das setzt<br />

aber voraus, daß Ungewißheit auch als solche wahrgenommen und normativ von<br />

allen Beteiligten tendenziell ähnlich behandelt wird: Weder als quantité negligeable<br />

('Restrisiko') noch als unmittelbare Gefahr, die den sofortigen Abbruch der<br />

11 Vgl. z.B. Kriminologisches Seminar, Umweltstrafsachen, 1991.<br />

12 Vgl. z.B. die Einrichtung von 'Runden Tischen' durch das Chemieunternehmen Hoechst im<br />

Anschluß an die Störfallserie an hessischen Standorten im Jahr 1993.<br />

13 Vgl. Wiesenthal, Leviathan 1994, S. 144ff.<br />

27


in Rede stehenden Projekte erforderlich macht. Ein solcher Konvergenzprozeß ist<br />

aber höchst voraussetzungsvoll und daher zunächst nicht sehr wahrscheinlich.<br />

Nach den Regeln der Kombinatorik ist hier eine Vielzahl von Divergenzen und<br />

Mißverständnissen denkbar, die sich dann auch wechselseitig aufschaukeln können.<br />

Hier sollen nur die empirisch naheliegendsten erwähnt werden: Wenn die<br />

Betreiber das Problem der Ungewißheit ignorieren und sich sicher fühlen, daß in<br />

dem von ihnen wahrgenommenen Zeithorizont keine (identifizierbaren) Schäden<br />

auftreten werden, werden sie gegenteilige Befürchtungen bestenfalls als Informationsdefizite<br />

oder als 'ideologische Verbohrtheit' der Öffentlichkeit oder der Verwaltung<br />

abtun. Oder sie kalkulieren mit einer doppelten Ungewißheit: Schäden<br />

könnten zwar eintreten, aber es ist zugleich auch ungewiß, ob sie in einem relevanten<br />

Zeitraum auf die Verursacher zugerechnet werden können. Umgekehrt ist<br />

auch denkbar, daß die Betreiber bereit sind, über das Problem der Ungewißheit<br />

kooperativ zu kommunizieren, aber mit einer Verwaltung oder Öffentlichkeit<br />

konfrontiert sind, die ihrerseits Ungewißheit als unmittelbare Gefahr wahrnimmt<br />

und daher jedes Eingeständnis von Ungewißheit sofort in ein Argument zur Blockade<br />

des in Rede stehenden Projekts ummünzt.<br />

Aber nicht nur im Untersuchungsfeld, auch in und zwischen den an der Untersuchung<br />

beteiligten Disziplinen divergieren die Konzeptionen und Wahrnehmungen<br />

von Ungewißheit und die daraus abgeleiteten Modelle und Empfehlungen.<br />

In den Rechtswissenschaften neigt man vielfach dazu, 'Ungewißheit' je<br />

nach normativer Einstellung zur Ökologie entweder als vorsorgepflichtigen Tatbestand<br />

aufzufassen oder in den rechtsfolgenfreien Bereich des 'sozialadäquaten<br />

Restrisikos' 14 zu verbannen. Die Rezeption und Assimilation des Risikobegriffs<br />

erfolgt vielfach in der Form, daß das 'Risiko' als ein Ereignis mit geringerer Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

oder vermindertem Schadensausmaß, also als eine Art<br />

'kleinerer Gefahr' - mit entsprechend verminderter Vorsorgepflicht - angesehen<br />

wird. 15 Andererseits sind in der Rechtswissenschaft auch verstärkte Anstrengungen<br />

zu beobachten, Ungewißheit insbesondere im Hinblick auf die Revidierbarkeit<br />

des Wissens ('Stand der Wissenschaft') als eigenständige Kategorie zu behandeln<br />

und in verschiedenen Dynamisierungskonzepten zur Gesetzgebung oder<br />

Rechtsauslegung zu berücksichtigen - in Form von Temporalisierung, Prozeduralisierung,<br />

Lernfähigkeit und Partizipation. Allerdings ist mit diesen Dynamisierungskonzepten<br />

vielfach das Problem verbunden, daß die rechtsstaatlich-<br />

14 Der Begriff des 'Restrisikos' ist, wie in der 'Kalkar-Entscheidung' des Bundesverfassungsgerichts<br />

angedeutet, als Konzession an die erkenntnistheoretische Überlegung zu verstehen,<br />

daß 'Sicherheit' a priori nicht zu beweisen ist, weil sich das gegenwärtige Wissen "immer<br />

nur auf dem Stand unwiderlegten möglichen Irrtums befindet" (BVerfG, Bd. 49<br />

(1979), S. 89ff. (143)).<br />

15 Vgl. Scherzberg, VerwArch 1993.<br />

28


demokratische Funktion des Rechts, nämlich qua Setzung vorweg die Unabhängigkeit<br />

des Entscheidungsprogramms vom ereignisspezifischen Entscheidungsprozeß<br />

zu gewährleisten, 16 tendenziell aufgelöst wird, ohne daß dafür in<br />

vollem Umfang funktionale Äquivalente, etwa im Sinne demokratischpartizipativer<br />

Entscheidungsprozeduren, vorgeschlagen würden.<br />

Auch die Sozialwissenschaften haben sich bisher nicht auf breiter Front der<br />

Beschäftigung mit der Kategorie der Ungewißheit geöffnet. Hier besteht die Tendenz,<br />

einschlägige Regulierungsprobleme entweder, wie oben schon angedeutet,<br />

auf Implementations- und Vollzugsdefizite zu reduzieren, oder sie umgekehrt als<br />

Ergebnis einer - gemessen an statistischen Erfahrungswerten oder Experteneinschätzungen<br />

- verzerrten Risikowahrnehmung in der Öffentlichkeit zu interpretieren.<br />

17 In der neueren Risikosoziologie hat sich dagegen eine von Niklas Luhmann<br />

vorgeschlagene Unterscheidung von 'Gefahr' und 'Risiko' durchgesetzt, die von<br />

der rechtswissenschaftlichen Verwendung dieser Begriffe deutlich abweicht: Was<br />

für den Entscheider ein kalkulierbares oder von Ungewißheit belastetes, aber auf<br />

jeden Fall bewußt in Kauf genommenes 'Risiko' ist, stellt für die (von der Entscheidung)<br />

Betroffenen eine für sie unkalkulierbare 'Gefahr' dar. 18 In dem Maße,<br />

wie die Betroffenen die Gefahr nicht mehr als Schicksal akzeptieren, sondern auf<br />

Entscheidungen oder Nicht-Entscheidungen zurechnen, entstehen Risikokonflikte.<br />

Mit dieser Fragmentierung der Perspektiven wird Ungewißheit allerdings derart<br />

zum potentiellen Mißtrauen aller gegen alle verallgemeinert, daß zwar die oben<br />

geschilderten Mißverständnisse recht gut zu erklären sind. Am Ende bleibt dann<br />

aber nur noch der vage Appell, die Gesellschaft solle sich daran gewöhnen, mit<br />

Unsicherheit zu leben. 19<br />

In dem von Ulrich Beck formulierten Konzept 'reflexiver Modernisierung' werden<br />

Risikokonflikte zwar auch als zunächst reflexartiger Selbstblockierungsprozeß<br />

moderner Institutionen beschrieben. 20 Es wird jedoch angedeutet,<br />

daß hierdurch ein Zwang zur 'Reflexion', d.h. zur bewußten Modifikation konventioneller<br />

Modernisierungsziele (Erkenntnisfortschritt, Wirtschaftswachstum,<br />

Verrechtlichung etc.) und zur kooperativen Abstimmung zwischen den Teilsystemen<br />

entstehen könnte. Es bleibt aber offen, inwieweit 'Reflexion' bei Beck<br />

als empirisch-analytische Kategorie oder als präskriptive Idee zu verstehen ist.<br />

16 Vgl. Maus, KJ 1986.<br />

17 Z.B. Kepplinger et al., Gentechnik, 1991.<br />

18 Luhmann, Soziologie, 1991.<br />

19 Luhmann, Soziologie, 1991, S. 232f.<br />

20 Beck, Erfindung, 1993.<br />

29


1.3. Fragestellung der vorliegenden Untersuchung<br />

Während die Soziologie, soweit sie die Kategorie der Ungewißheit aufgreift, vor<br />

allem fragt, wie sich Entscheidungsprozesse unter der Bedingung von (wahrgenommener)<br />

Ungewißheit verändern, stellt sich für die Rechtswissenschaft vor<br />

allem die Frage, wie dennoch - innerhalb des verfassungsrechtlich vorgegebenen<br />

Rahmens - entschieden werden kann und soll. 21 Diese Unterschiede in der disziplinären<br />

Herangehensweise haben auch in der hier vorliegenden Untersuchung<br />

den Arbeitsprozeß und die Entwicklung der Fragestellung geprägt.<br />

Schon durch die Einordnung des Forschungsprojekts in das von der VW-<br />

Stiftung aufgelegte Förderungprogramm 'Recht und Verhalten' ist eine Ausgangsdifferenz<br />

markiert: 'Fiat justitia pereat mundi' - Gerechtigkeit soll sein, auch<br />

wenn die Welt untergeht - so lautete der Wahlspruch jener Dame Justitia, die, um<br />

Gerechtigkeit zu üben, die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen hält. Juristische<br />

Untersuchungen beziehen sich - zumindest traditionell - auf die immanente<br />

Konsistenz von Rechtssetzung und Gesetzesauslegung, ohne der sozialen Bedingtheit<br />

des Rechts und den Rückwirkungen des Rechts auf die soziale Wirklichkeit<br />

verstärkte Aufmerksamkeit zu widmen. Das Ziel der juristischen Arbeit<br />

sind normative Sätze: Was sein soll, weil es rechtmäßig ist. Soweit in neueren<br />

Untersuchungen verstärkt auch 'Rechtstatsachen' berücksichtigt werden, wird der<br />

empirische Ausschnitt doch kaum in seinen sozialen Kontextbezügen wahrgenommen,<br />

sondern vorwiegend durch die positiv-rechtliche Norm definiert.<br />

Die Verhaltenswissenschaften - hier die Soziologie - fragen dagegen, wie sich<br />

Menschen in gesellschaftlichen Formationen tatsächlich verhalten, welche Motivationen<br />

sie dazu antreiben und welche Regelmäßigkeiten dabei zu beobachten<br />

sind. Während die Rechtswissenschaft - aus der Verfassung hergeleitete - normative<br />

Aussagen zum Ziel hat, versuchen Soziologen sich eigener Bewertungen<br />

möglichst weitgehend zu enthalten und fragen daher zunächst gerade nicht, was<br />

sein sollte, sondern was der Fall ist. 22 Auch das Recht begegnet den Verhaltenswissenschaften<br />

als empirisches Phänomen, sei es, daß sie fragen, warum und wie<br />

es zustande kommt, oder warum und wie es in der Praxis wirkt. Seine immanente<br />

Logik ist für sie daher - zumindest traditionell - kein genuines Anliegen. Wider-<br />

21 Z.B. Ladeur, Umweltrecht, 1995.<br />

22 Ein in dieser Hinsicht typisches Mißverständnis ereignete sich auf dem Workshop zu diesem<br />

Projekt, als ein Rechtswissenschaftler uns aufforderte, zur gegenwärtigen Risikoeinschätzung<br />

des Gentechnikgesetzes (S 1-Standard) Stellung zu beziehen, und ich (B.G.) als<br />

Soziologe darauf hinwies, daß dies ein normatives Problem sei (ich meinte damit: das ist<br />

eine Frage, zu der ich wohl eine persönliche Meinung habe, die ich aber als Wissenschaftler<br />

gar nicht beantworten darf). Er antwortete daraufhin (sinngemäß): Genau, das ist eine<br />

normative Frage (womit er wohl meinte: deshalb muß sie beantwortet werden).<br />

30


sprüche im Recht, wie in anderen gesellschaftlichen Bereichen, müssen sie nicht<br />

beseitigen. Sie versuchen vielmehr, aus ihnen die Dynamik der sozialen Entwicklung<br />

herauszulesen. 23 Ein gemeinsames Erkenntnisinteresse entwickelt sich aber<br />

schon seit einiger Zeit bezüglich der Problemstellung, welche Steuerungsleistungen<br />

vom Recht ausgehen und wie sie gegebenenfalls verbessert werden können.<br />

Das impliziert eine gegenseitige Öffnung für empirisch-analytische, respektive für<br />

rechtsimmanente Denkweisen. So untersucht die Implementationsforschung die<br />

Wechselwirkungen zwischen politischen Zielsetzungen, die Formulierung entsprechender<br />

Rechtsprogramme, die Organisationsstruktur der mit der Umsetzung<br />

betrauten Behörden und das Verhalten der Normadressaten. 24<br />

In der vorliegenden Untersuchung geht es um die Implementation von Sicherheitsbestimmungen<br />

in der wissenschaftlichen Forschung, einem gesellschaftlichen<br />

Bereich, der von der allgemeinen Tendenz zur Verrechtlichung bisher weitgehend<br />

ausgenommen war. Im Bereich der Forschung und wissenschaftlichtechnologischen<br />

Innovation stellt sich, mehr als in allen anderen gesellschaftlichen<br />

Bereichen, jedoch das empirische wie normative Abgrenzungsproblem,<br />

inwieweit mit klassischen, erfahrungsbasierten Rechtsbefehlen operiert wird, oder<br />

inwieweit der bereichsspezifischen Entdeckung und Evozierung des Neuen, also<br />

auch potentiell riskanter neuer Wirkmechanismen, Rechnung getragen wird bzw.<br />

Rechnung getragen werden kann und soll.<br />

Am Beispiel der Genforschung gehen wir der Frage nach, wie sich der 'Umgang<br />

mit Ungewißheit' im oben definierten Sinn im Recht, im Verwaltungsvollzug<br />

und in der Forschungspraxis vollzieht und wie er besser gestaltet werden kann.<br />

Dabei soll herausgearbeitet werden, wie der staatliche Rechtsrahmen mit der<br />

Risikowahrnehmung und Selbststeuerung auf den jeweiligen Ebenen - im Verwaltungsvollzug,<br />

in den Betreiberorganisationen, und vor allem in den einzelnen<br />

Laboratorien - interagiert oder interagieren könnte. Ein die disziplinären Perspektiven<br />

überspannendes Motiv ist dabei die Frage, wie sich angesichts von forschungstypischer<br />

Ungewißheit ein vorausschauender Gesundheits- und Umwelt-<br />

23 Entsprechend sind auch viele Bezeichnungen mit verschiedenen Bedeutungen belegt. Auf<br />

das unterschiedliche Verständnis von 'Gefahr' und 'Risiko' in den beiden Disziplinen wurde<br />

schon oben verwiesen. Der Begriff der 'Norm' ist in der Soziologie sehr viel weiter gefaßt<br />

als in der Rechtswissenschaft. Er umfaßt alle verbindlichen sozialen Konventionen, gleichgültig<br />

ob sie rechtlich kodifiziert sind oder nicht. Zugleich werden viele Bezeichnungen in<br />

der Soziologie eher alltagssprachlich verwendet, zumindest dann, wenn es zunächst um eine<br />

qualitative Erfassung und eine allgemeinverständliche Beschreibung von empirischen<br />

Phänomenen geht. Die Funktion der Soziologie liegt vor allem in der Aufklärung - sie will<br />

Sachverhalte zur Diskussion stellen. Die Rechtswissenschaft analysiert dagegen Entscheidungen,<br />

deren Rechtsförmigkeit gerade aus ihrer terminologisch präzisen Herleitung resultiert.<br />

24 Vgl. Mayntz, Implementation I, 1980; Mayntz, Implementation II, 1983.<br />

31


schutz verbessern läßt, ohne dabei wissenschaftlich-technische Innovationen von<br />

vornherein zu unterbinden, und wie die in dieser Hinsicht divergierenden Interessen<br />

zu einem produktiveren Ausgleich gebracht werden können.<br />

1.4. Überblick über den Aufbau der Untersuchung<br />

Im folgenden Kapitel wird zunächst detailliert herausgearbeitet, welche Risiken<br />

im Zusammenhang mit der Gentechnik diskutiert werden und aufgrund welcher<br />

naturwissenschaftlicher und sozialphilosophischer Überlegungen eine rechtliche<br />

Regulierung speziell der gentechnischen Forschung angezeigt erscheint. In Kapitel<br />

3 wird die rechtspolitische Entwicklung, die zum Erlaß rechtlicher Regulierung<br />

gegenüber der Gentechnik - und damit besonders gegenüber der gentechnischen<br />

Forschung - geführt haben, im allgemeineren rechtshistorischen Kontext<br />

der Regulierung von riskanter experimenteller Forschung insgesamt betrachtet.<br />

Diesen, die Entstehung des Regulierungsfeldes skizzierenden Kapiteln folgt in<br />

einem zweiten Teil die Analyse des rechtlichen Normenprogramms. In Kapitel 4<br />

wird die Fortentwicklung rechtlicher Steuerungskonzepte gegenüber riskanten<br />

Technologien speziell unter dem Aspekt der Ungewißheit diskutiert und dabei<br />

werden insbesondere die Risikokonzepte im Atomrecht und im Gentechnikrecht<br />

miteinander verglichen. In Kapitel 5 werden die einzelnen verwaltungsrechtlichen<br />

Instrumente betrachtet und Überlegungen zu ihrer Wirksamkeit gegenüber den<br />

Steuerungsadressaten angestellt. In Kapitel 6 werden flankierende Rechtsinstrumente<br />

aus dem Bereich des Privatrechts und des Strafrechts untersucht. Insbesondere<br />

dem Haftungsrecht werden in der umweltrechtlichen Diskussion in jüngerer<br />

Zeit besondere Vorteile zugeschrieben, denn es scheint die Verlagerung von<br />

Vorsorgeaufgaben von der staatlichen Verwaltung auf private Institutionen zu<br />

ermöglichen ('schlanker Staat').<br />

Der Analyse des Normenprogramms folgt dann in einem weiteren Teil die empirische<br />

Untersuchung der Implementierung der Normen und ihrer Wirkung bei<br />

den Steuerungsadressaten, also den Genforschern. Dabei werden die Etablierung<br />

der entsprechenden administrativen Strukturen auf Seiten der staatlichen Verwaltungen<br />

und bei den Betreiberorganisationen nachgezeichnet sowie die öffentlichen<br />

Stellungnahmen seitens der betroffenen Forscher analysiert. Außerdem haben<br />

wir versucht, im Rahmen ausführlicher Interviewserien bei drei Forschungsgruppen<br />

auch interne, möglichst alltagsnahe Sichtweisen zu erheben. 25<br />

Besondere Aufmerksamkeit galt in diesem empirischen Teil der Untersuchung<br />

25 Die Überlegungen zur methodischen Vorgehensweise sind in Anhang 1 dargestellt.<br />

32


wiederum der Wahrnehmung und Berücksichtigung von Ungewißheit, sowie dem<br />

Umgang mit den ungewißheitsbasierten Regelungen des Gentechnikrechts.<br />

In Kapitel 7 werden diese Fragen für den Umgang mit der Genforschung im<br />

'Geschlossenen System', d.h. im Labor, behandelt. Implementierung und Auswirkung<br />

des Gentechnikrechts im Hinblick auf die experimentelle Freisetzung<br />

und Vermarktung sind Gegenstand von Kapitel 8. Bei der hier eingeführten Stepby-step-Regelung,<br />

dem schrittweisen Übergang vom Labor über kleinere und<br />

zunehmend größere Feldversuche bis zur vollständigen Freigabe, kommen in<br />

besonders deutlichem Umfang die ungewißheitsbasierten Elemente des Gentechnikrechts<br />

zum Tragen. Wichtig ist dabei auch die internationale Dimension: Zum<br />

einen ist die Freisetzung transgener Organismen auch in vielen anderen Ländern<br />

umstritten. Zum zweiten gelten Vermarktungsentscheidungen - als Endpunkt und<br />

Ziel der experimentellen Freisetzungen - für die gesamte EU, so daß die Regulierung<br />

der vorausgehenden experimentellen Freisetzungen nur im Rahmen der EGweiten<br />

Abstimmungsprozesse sinnvoll zu betrachten ist. Kapitel 9 ist der somatischen<br />

Gentherapie und damit einem Bereich gewidmet, der vom Gentechnikrecht<br />

bisher noch kaum erfaßt wird. Denn das deutsche Gentechnikgesetz gilt hier<br />

nur für die Zubereitung entsprechender Präparate im Labor, nicht aber für deren<br />

Anwendung am Menschen. Es handelt sich also um die empirische Untersuchung<br />

eines Kontrastfalls, insofern als hier der Umgang mit Ungewißheit im Modus der<br />

Selbstregulierung in einem bisher noch mehr oder weniger 'rechtsfreien', d.h. noch<br />

nicht spezialgesetzlich regulierten Raum zu beobachten ist.<br />

Im abschließenden Teil wird dann in zweierlei Hinsicht Resümee gezogen: In<br />

Kapitel 10 werden die in den vorausliegenden Kapiteln aufgezeigten Defizite und<br />

Schwierigkeiten noch einmal zusammengefaßt und rechtspolitische und politische<br />

Konsequenzen vorgeschlagen, mit denen unserer Ansicht nach der Umgang mit<br />

Ungewißheit zu verbessern ist. Zum einen geht es darum, wie die Kluft zwischen<br />

dem je aktuellen Noch-Nicht-Wissen und dem je aktuellen Noch-Nicht-Wissen-<br />

Können zu schließen ist, und wie zum zweiten dieses stets verbleibende Noch-<br />

Nicht-Wissen-Können durch eine Demokratisierung der Entscheidungen gesellschaftlich<br />

für alle erträglich gestaltet werden kann. In Kapitel 11 wird eine Einordnung<br />

der hier vorgestellten Befunde in die soziologische Theoriedebatte vorgenommen.<br />

Anknüpfend an die Theorie reflexiver Modernisierung wird abzuschätzen<br />

versucht, welche Veränderungen sich mit der Thematisierung von Ungewißheit<br />

in der Gesellschaft und in der Gesellschaftstheorie ergeben und inwieweit<br />

die Rede vom 'Weg in eine andere Moderne' vor dem Hintergrund der hier<br />

vorgelegten empirischen Ergebnisse gerechtfertigt scheint.<br />

Mit der Wahl dieses Untersuchungsfokus ergibt sich zugleich eine Einschränkung<br />

im Hinblick auf die Gesamtproblematik der Genforschung. Wir betrachten<br />

vor allem die Probleme, die sich aus nicht-intendierten und uner-<br />

33


wünschten Nebenfolgen ergeben können. Die Diskussion über die moralische<br />

Rechtfertigung der intendierten Handlungsziele - der beabsichtigten Veränderungen<br />

im Bereich des Lebendigen und des Menschen selbst - bleibt dagegen<br />

weitgehend ausgeklammert. Ob es also gesellschaftlich überhaupt wünschenswert<br />

ist, Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und Menschen 'nach Maß' zu schaffen,<br />

oder wie diesen Entwicklungen andernfalls Einhalt geboten werden könnte, ist<br />

nicht Gegenstand der Untersuchung. Überlegungen in diese Richtung spielen nur<br />

insoweit eine Rolle, wie es um die Frage geht, ob Ungewißheiten oder gar erkennbare<br />

Risiken in Kauf genommen werden sollen bei Handlungszielen, die in<br />

der Gesellschaft sehr umstritten sind. Entsprechende Überlegungen werden in<br />

Kapitel 10 eingeführt.<br />

34


Kapitel 2: Risikodimensionen der Gentechnologie im Vergleich<br />

Wissenschaftliche Forschung ist als gesellschaftliches Subsystem auf die Suche<br />

nach dem Neuen spezialisiert. Deshalb ist sie auch in besonderem Maße mit neuartigen,<br />

unerwarteten Gefahren konfrontiert. Kognitiv unproblematisch sind dabei<br />

Gefahren mit sofortiger und deutlicher Wirkung, weil sie kausal meist leicht zu<br />

erklären und entsprechend zielgerichtet zu vermeiden sind. 1 Lernen aus Erfahrung<br />

wird hingegen häufig verzögert oder blockiert, wenn Wirkungen nur mittelbar,<br />

undeutlich und räumlich oder zeitlich versetzt eintreten.<br />

So wurde die Gefährdung durch verschiedene giftige Chemikalien, Röntgenstrahlen<br />

und Radium lange Zeit von den betroffenen Wissenschaftlern bezweifelt<br />

oder gar nicht erkannt. Einige starben bei Selbstversuchen oder an den Langzeitwirkungen<br />

der von ihnen erforschten Instrumente oder Stoffe. 2 Gelegentlich<br />

kommt auch psychische Abwehr hinzu, wenn es sich um von den Forschern selbst<br />

erzeugte Nebenfolgen handelt. Befangenheit in eigener Sache ist nichts Ungewöhnliches,<br />

wird aber besonders problematisch, wenn sie kollektiv wirksam und<br />

mit dem Monopol der entsprechenden Sachkompetenz verbunden ist. 3<br />

Trotzdem ist die Befassung mit Risikosteuerung gerade im Bereich der Wissenschaft<br />

nicht selbstverständlich. Lange blieb dieser Bereich aus der gesetzlichen<br />

Regulierung ausgeklammert, wie im nächsten Kapitel noch näher zu zeigen<br />

sein wird. Wenn nun im Verlauf des 20. Jahrhunderts auch die Wissenschaft hier<br />

verstärkt ins Blickfeld gerät, so ist es zunächst erforderlich, die verschiedenen<br />

Risiko- und Verantwortungsdimensionen der Wissenschaft allgemein und speziell<br />

der Gentechnologie systematisch aufzuzeigen.<br />

2.1. Risiko- und Verantwortungsdimensionen der Forschung<br />

Wenn hier von Risikodimensionen die Rede ist, so ist damit nicht vorrangig die in<br />

den Rechtswissenschaften und der Versicherungswirtschaft gebräuchliche Formel<br />

1 Zur Bedeutung des Feedback beim Management von Risiken vgl. Morone/Woodhouse,<br />

Averting, 1986, S. 121ff.<br />

2 Hunter, The Lancet 1936.<br />

3 Berühmtes Beispiel aus dem 19. Jahrhundert ist hier die Reaktion auf die Beobachtung des<br />

Wiener Gynäkologen Ignaz Semmelweis, daß das zur damaligen Zeit gehäufte Auftreten<br />

des Kindbettfiebers von den Ärzten selbst bei ihren Untersuchungen übertragen wurde und<br />

sich durch einfache Hygienemaßnahmen vermeiden läßt. Semmelweis wurde geschmäht<br />

und verlor seine Anstellung. Erst einige Jahre später wurde seine Theorie allgemein akzeptiert<br />

und praktisch umgesetzt (Semmelweis, Lectures, 1850).<br />

35


- Schadensausmaß mal Eintrittswahrscheinlichkeit - gemeint. Wenn es, wie in der<br />

Einleitung angesprochen, auch um die Berücksichtigung von vorerst hypothetischen<br />

Risiken gehen soll, würde eine solche Betrachtungsweise zwangsläufig zu<br />

kurz greifen: Hypothetische Risiken zeichnen sich gerade dadurch aus, daß über<br />

Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit noch keine, oder zumindest<br />

noch keine empirischen Kenntnisse bestehen können. Normative Begründungen<br />

für Vorsorgemaßnahmen sind daher bei hypothetischen Risiken noch mehr als bei<br />

bekannten Risiken auf ethisch a priori bestimmbare und in unserer Gesellschaft<br />

allgemein geltende Verantwortlichkeitsgrundsätze angewiesen. 4<br />

2.1.1. Neuartige und bekannte Risiken<br />

Die Forschung kommt in zweierlei Weise mit neuartigen Gefährdungen in Berührung.<br />

Einesteils indem sie solche Gefährdungen selbst erzeugt (z.B. Radioaktivität,<br />

synthetische Chemie), anderenteils indem sie andernorts entstandene<br />

Gefährdungen aufklären soll. Denn auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen<br />

können neue risikobehaftete Stoffe, Wechselwirkungen, Handlungsabfolgen etc.<br />

auftreten, ebenso wie sich aufgrund natürlicher Prozesse neue Gefährdungslagen<br />

ergeben können. Allerdings können auch bei der Aufklärung andernorts auftretender<br />

Risiken diese wiederum durch die Forschungstätigkeit weiterpropagiert<br />

werden, die zunächst oft in Unkenntnis der erst später bekannt werdenden Wirkmechanismen<br />

vonstatten gehen muß.<br />

Das heißt aber nicht, daß alle Gefahren, die im Handlungsbereich der Forschung<br />

auftreten, nun ihrerseits neuartig sein müßten. Viele Gefahren der experimentellen<br />

Forschung - z.B. im Umgang mit explosivem, giftigem, infektiösem<br />

oder radioaktivem Material - sind schon länger bekannt und gut beschrieben.<br />

Soweit mit diesen Materialien oder Methoden auch in anderen Handlungsbereichen<br />

umgegangen wird, handelt es sich um Gefahren, die die Forschung nicht einmal<br />

in besonderem Maße betreffen, denn häufig werden die Stoffe in geringeren<br />

Mengen verwendet und die Prozesse laufen in kleinerem Maßstab ab als etwa im<br />

industriellen Betrieb.<br />

Allerdings lassen sich gegen bekannte Gefahren sehr viel leichter Vorkehrungen<br />

treffen als gegen bloß vermutete und in ihren Wirkdimensionen weitgehend<br />

unbekannte oder eben umstrittene Gefahren. Deswegen beziehen sich die<br />

4 Wie die Risikosoziologie gezeigt hat, ist die soziale Risikowahrnehmung - gleichgültig wie<br />

weit sie von 'objektiven' Risikokalkulationen abweicht - immer, also auch bei grundsätzlich<br />

bekannten Risiken, von Bedeutung (z.B. Bechmann, Risiko, 1993). Z.B. werden selbstverantwortlich<br />

eingegangene Risiken (z.B. Selbstschädigung durch Rauchen, Skifahren etc.)<br />

immer anders bewertet als fremd auferlegte Risiken.<br />

36


meisten bestehenden Regulierungen selbst dort, wo sie die Forschung betreffen,<br />

überwiegend auf bekannte Risiken. Die Regulierung neuartiger Risiken ist daher<br />

auch nicht einfach mit der Regulierung der Forschung gleichzusetzen. Vielmehr<br />

kommt es im folgenden (Kap. 2.3.) darauf an, diese beiden Risikodimensionen,<br />

die oft gleichzeitig und in nur analytisch unterscheidbaren Kombinationen vorliegen,<br />

näher zu betrachten.<br />

2.1.2. Selbst- und Fremdgefährdung<br />

Solange Wissenschaftler mit ihrer Forschungstätigkeit nur sich selbst gefährden,<br />

handeln sie in eigener Verantwortung. Tatsächlich ist dies, außer bei gezielten<br />

Selbstversuchen, aber selten der Fall. Mitarbeiter werden oft ebenfalls oder in<br />

erster Linie gefährdet, weil sie nicht informiert sind, die Situation schlecht einschätzen<br />

können oder weisungsgebunden handeln. Emissionen aus dem Labor<br />

können schließlich die Nachbarschaft und die Umwelt gefährden. Aber selbst<br />

wenn das nicht der Fall ist, kann zumindest die Aufklärung von Forschungsunfällen<br />

für die Öffentlichkeit von Interesse sein, wenn nicht auszuschließen ist, daß<br />

die im Labor aufgetretenen Schäden im Zuge wissenschaftlich-technischer Innovationen<br />

sich später auch außerhalb manifestieren können. Die Wissenschaftler<br />

sind hier in gewisser Weise die sich selbst erwählenden 'Versuchskaninchen' der<br />

Gesellschaft. 5 Um zukünftig ähnliche Forschungsunfälle zu vermeiden, sind sie<br />

auch in aller Regel an einer (fach-)öffentlichen Aufklärung interessiert. 6<br />

2.1.3. Natürliche und anthropogen erzeugte Risiken: Verantwortung aufgrund<br />

von Handlungsabsicht<br />

Negative Folgen menschlicher Handlungen werden normalerweise ihren Verursachern<br />

schuldhaft zugerechnet, natürlich bedingte Schäden gelten dagegen als<br />

schicksalhaft. Das zeigt sich auch in der Rechtsordnung, die hier zwischen Absicht,<br />

Vorsatz, grober und einfacher Fahrlässigkeit unterscheidet und mit ent-<br />

5 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994, S. 438f.<br />

6 Entsprechende Unfälle werden in der Fachliteratur auch häufig publiziert (vgl. z.B. Pike,<br />

Annual Review of Microbiology 1979). Gelegentlich kann die Publikation allerdings auch<br />

aufgrund verschiedener Interessenkonstellationen unterdrückt werden. Ein Chemiker, der<br />

infolge eines schweren Chemieunglücks in den 50er Jahren das später anläßlich eines neuen<br />

Unfalls so genannte 'Seveso'-Dioxin (2,3,7,8-TCDD) isolierte und von dieser Arbeit<br />

schwere Gesundheitsschäden davontrug, berichtete z.B. 1984, daß ihm die vorgesetzte<br />

Dienstbehörde die Publikation seiner Feststellungen damals untersagte, und zwar mit der<br />

Begründung, daß das billig herzustellende TCDD von militärischer Seite als Kampfstoff<br />

verwendet werden könnte (Sandermann, Naturwissenschaftliche Rundschau 1984).<br />

37


sprechend von Stufe zu Stufe jeweils abgeschwächten Sanktionen reagiert. Auch<br />

wenn nur in Ausnahmefällen 7 von Schädigungsabsicht auszugehen ist, werden<br />

gefährliche Experimente in der Wissenschaft moralisch anders wahrgenommen<br />

als durch natürliche Prozesse induzierte Risiken, selbst wenn sie in ihren Konsequenzen<br />

nach der Maßgabe von Schadensausmaß und Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

vergleichbar wären. 8<br />

2.1.4. Verantwortung aufgrund von Reflexions- und Handlungsfähigkeit<br />

Die soeben angeführte Abschichtung der moralischen Bewertung orientiert sich<br />

aber nicht nur an der Handlungsabsicht, sondern auch an der Reflexions- und<br />

Handlungsfähigkeit der verschiedenen Akteure. 9 Der Wissenschaft wird man<br />

aufgrund der von ihr beanspruchten Kompetenz - gerade auch bei neuartigen<br />

Risiken - regelmäßig die relativ weitestgehende Erkenntnisfähigkeit zuschreiben<br />

müssen. Auch präventive Handlungsfähigkeit wird man der Wissenschaft in hohem<br />

Maße zuschreiben, zumindest soweit sie von der öffentlichen Hand oder<br />

großen Industrieunternehmen getragen wird. Die empirisch begrenzte Erkenntnisund<br />

Handlungsfähigkeit der einzelnen Wissenschaftler aufgrund des fragmentierten<br />

Charakters der Einzelwissenschaften und der Organisationsdefizite<br />

z.B. an Universitäten wird man dagegen kaum als dauerhaft zureichenden Entschuldigungsgrund<br />

für ein entsprechendes Versagen der Wissenschaft in der Risikoforschung<br />

und -vorbeugung anführen können.<br />

7 Die Forschung an international geächteten Angriffswaffen fällt mit Sicherheit in diesen<br />

Bereich.<br />

8 Der Streit darüber, ob AIDS infolge zellbiologischer oder gentechnischer Experimente,<br />

wie manche behauptet haben, oder durch eine spontane Mutation eines bis dato nur für Affen<br />

infektiösen Virus (SIV -> HIV) entstanden ist, wie die meisten Wissenschaftler annehmen,<br />

ist daher moralisch gesehen durchaus von Belang, auch wenn die medizinischen<br />

Konsequenzen dieselben sind.<br />

9 Wenn z.B. ein Kind an einem auf öffentlichem Gelände angebrachten und leicht zugänglichen<br />

Ventilhebel einer Rohrleitung spielt und damit einen Schaden auslöst, wird man<br />

kaum dessen Eltern (rechtlich) zur Verantwortung ziehen, sondern diejenigen, die den Hebel<br />

dort angebracht haben, obwohl sie wissen konnten, daß er auch für Kinder zugänglich<br />

ist. Ebenso wird man entschuldigen, wenn das Kind dann vor Schreck wegläuft, anstatt die<br />

Feuerwehr zu verständigen. Anders verhält es sich, wenn ein Facharbeiter auf einem<br />

Firmengelände den gleichen Fehler begeht.<br />

38


2.1.5. Gesellschaftliche Bewertung des Handlungsziels<br />

Verständlicherweise gründet sich die gesellschaftliche Akzeptanz von nichtintendierten<br />

Gefährdungen auch auf die moralische Bewertung des Handlungsziels.<br />

Die Bewertung wird sich aber nicht nur danach richten, ob das Ziel als 'gut'<br />

oder 'schlecht' angesehen wird, sondern auch danach, ob alternative Mittel zur<br />

Verfügung stehen, die mit weniger gefährlichen oder ungewissen Nebenfolgen<br />

behaftet sind. Eine Begründungspflicht für die Wahl der Methoden wird also<br />

bereits in der Grundlagenforschung nicht immer von der Hand zu weisen sein. Im<br />

Bereich der anwendungsorientierten Forschung wird man sich gegen eine öffentliche<br />

Begründungspflicht auch für die Forschungsziele selbst kaum längerfristig<br />

sperren können. Empirisch ist in jedem Fall zu beobachten, daß Gefährdungen im<br />

Zusammhang mit allgemein akzeptierten Forschungszielen eher hingenommen<br />

werden als bei Forschungszielen, deren Bezug zum Allgemeininteresse schwer<br />

nachvollziehbar ist. 10<br />

2.1.6. Vermehrungs- und Ausbreitungsfähigkeit als spezifische Dimension biologischer<br />

Risiken<br />

Während im vorstehenden erkenntnistheoretische und soziale Kriterien der Verantwortlichkeit<br />

angesprochen wurden, soll hier das einzige auch bei neuartigen<br />

Risiken eventuell a priori gültige 'objektive' Abschätzungskriterium erläutert werden.<br />

Ein Spezifikum des Umgangs mit lebenden Organismen besteht darin, daß<br />

diese sich selbsttätig vermehren und ausbreiten können. Das bedeutet zweierlei:<br />

- Biologische Risiken sind häufig 'nicht rückholbar'. Anders als chemische Stoffe<br />

werden sie in der Umwelt auch nicht 'abgebaut', nachdem ihre Emission gestoppt<br />

wurde. Im Gegenteil: Sie können - zumindest theoretisch - immer mehr<br />

zunehmen.<br />

- Es gibt kaum ein im voraus abschätzbares Verhältnis der Menge der emittierten<br />

Organismen und den möglichen Schäden. In seltenen, aber kaum vorhersehbaren<br />

Situationen können wenige Exemplare maximalen Schaden anrichten.<br />

Entsprechend sind die Risiken der experimentellen biologischen Forschung nicht<br />

zwangsläufig geringer als die Risiken der Herstellung im großen Maßstab (vgl.<br />

oben, Kap. 2.1.1.). Aus diesen Gründen wurden in der biologischen Forschung,<br />

10 Daß Laien ihre Abschätzung kaum von reinen Risikokalkulationen, sondern von der komplexeren<br />

Abwägung der Ziel-Mittel-Relation unter Einbeziehung von Alternativen abhängig<br />

machen, zeigt u.a. ein Bürgergutachten, das von der Akademie für Technikfolgenabschätzung<br />

Baden-Württemberg initiiert wurde (Rauland, GAIA 1996).<br />

39


wie im nächsten Kapitel noch näher erläutert wird, bereits frühzeitig, nämlich zu<br />

Beginn dieses Jahrhunderts, entsprechende rechtliche Bestimmungen zur Vorbeugung<br />

gegen bekannte Risiken erlassen.<br />

2.2. Biologische Risiken<br />

Die Diskussion biologischer Risikodimensionen beschränkt sich im folgenden auf<br />

die Bereiche, die bei der Abschätzung der Risiken der Bio- und Gentechnologie<br />

bisher eine wichtige Rolle gespielt haben. Anhand der bisherigen Erfahrungen mit<br />

Risiken beim Umgang mit Krankheitserregern und im Pflanzenbau wurden nämlich<br />

Analogiemodelle generiert, aus denen entsprechende Risikoszenarien und<br />

Vorsorgemaßnahmen hergeleitet wurden (vgl. im folgenden auch Schaubild 1 in<br />

Kap. 1, S. 21).<br />

2.2.1. ... am Beispiel des Umgangs mit Krankheitserregern (Mikrobiologie)<br />

Die Zahl der weltweit bis in die 70er Jahre entdeckten und publizierten Laborinfektionen<br />

mit natürlich vorkommenden Krankheitserregern beträgt 4079; 173<br />

Todesfälle sind dokumentiert. 11 Insofern verfügt die Mikrobiologie auch über<br />

einige Erfahrungen im Umgang mit Laborrisiken. Entsprechend hat sie alle bis<br />

dato bekannten Erreger in Risikogruppen eingeteilt, die in Labors mit entsprechenden<br />

Sicherheitsstufen (von S 1 für normale Labors bis S 4 für Hochsicherheitslabors)<br />

bearbeitet werden.<br />

Viele Infektionen ereigneten sich dabei in Kenntnis der vorhandenen Gefahren.<br />

Nicht selten sind Unfälle, z.B. die Verletzung mit Injektionsnadeln, als Ursache<br />

identifiziert worden. Die Gründe für die Infektionen liegen oft in der mangelnden<br />

Ausbildung des Personals, fehlenden technischen oder organisatorischen Vorkehrungen<br />

oder der Verletzung von Sicherheitsbestimmungen aufgrund von Arbeitsüberlastung,<br />

heroischen Gruppenritualen, Selbstüberschätzung und nachlassender<br />

Aufmerksamkeit, wie sie häufig mit einem lange Zeit störungsfreien Betrieb einhergeht.<br />

12<br />

Dennoch sind nicht alle Vorkommnisse als triviale Unfälle einzuordnen. Zum<br />

einen ist bei einem Teil der oben angeführten Infektionen die Ursache nicht geklärt.<br />

Man nimmt lediglich an, daß es sich um Laborinfektionen und nicht um<br />

11 Pike, Annual Review of Microbiology 1979.<br />

12 Pike, Annual Review of Microbiology 1979; Collins, Laboratory, 1993; Phillips, American<br />

Industrial Hygiene Association Journal 1969. Vgl. allgemein zur Organisationspsychologie<br />

der Arbeitssicherheit Nold, Psychologie, 1993.<br />

40


andere Ansteckungsursachen handelt, weil mit einem relativ exotischen Organismus<br />

gearbeitet wurde, mit dem die Betroffenen sonst kaum in Kontakt kommen<br />

konnten, oder weil eine ungewöhnliche Häufung der Erkrankung unter dem<br />

Personal aufgetreten ist. 13<br />

Zweitens ist beim Umgang mit Isolaten aus natürlichen Umgebungen (z.B.<br />

Blutproben) nie endgültig bekannt, welche Krankheitserreger sie enthalten - theoretisch<br />

müßte man sie immer in die höchste Sicherheitsstufe einordnen, um zunächst<br />

ihr Gefahrenpotential zu bestimmen. Erst nach dieser Einordnung dürften<br />

sie in einer entsprechend niedrigeren Sicherheitsstufe weiterbearbeitet werden.<br />

Diese Vorgehensweise wird aber aus pragmatischen Gründen nur in besonderen<br />

Verdachtsfällen gewählt. 14<br />

Drittens wird man, wie etwa beim überraschenden Ausbruch des Marburg-<br />

Virus, 15 immer wieder mit neuen, bis dato vollkommen unbekannten Erkrankungen<br />

konfrontiert, die durch die Einführung von Organismen in neue Kontexte<br />

ausgelöst werden können. Eine Einführung in neue Kontexte kann sich z.B. ereignen:<br />

- unbeabsichtigt bei Fernreisen und Fernhandel (Krankheitskeime, Parasiten),<br />

- durch die Zerstörung natürlicher Habitate (z.B. Abholzen der Regenwälder),<br />

die die dort lebenden Tiere und ihre Krankheitskeime in andere Lebensräume<br />

drängt,<br />

- bei biologisch ungewöhnlichen Ernährungsweisen (z.B. der Verfütterung von<br />

Tiermehl an Wiederkäuer als wahrscheinliche Ursache für BSE),<br />

- bei der Übertragung von tierischem Gewebe auf Menschen (Xenotransplantation),<br />

- bei wissenschaftlichen Experimenten mit Zellkulturen. 16<br />

13 Umgekehrt gilt, daß gerade beim Umgang mit Erregern, die ohnehin in der Bevölkerung<br />

verbreitet sind, z.B. bei AIDS- oder Hepatitis-Viren, eine eindeutige Zurechnung als Laborunfall<br />

oft sehr schwer fällt. Mit verfeinerten (gentechnischen) Diagnostikmethoden läßt<br />

sich allerdings in jüngerer Zeit oft genauer eingrenzen, ob die Infektion von den im Labor<br />

bearbeiteten Proben herrührt oder nicht (vgl. Weiss et al., Science 1988; Barnes, Science<br />

1988).<br />

14 Ein spezifischer Verdacht besteht z.B. dann, wenn die Person, von der die Blutprobe<br />

stammt, schon die klinischen Symptome einer entsprechend ansteckenden und gefährlichen<br />

Krankheit entwickelt hat.<br />

15 Martini et al., German Medical Monthly 1968.<br />

16 Nicht nur die Berichte über 'Rinderwahnsinn' (BSE), sondern auch über andere aktuellere<br />

Entwicklungen sorgten vielfach in der Tagespresse für Aufregung, vgl. nur Flöhl, FAZ<br />

vom 14.2.1995, S. 33. Zu den wissenschaftlichen Hintergründen vgl. Culliton, Science<br />

1990; Kiper, Seuchengefahr, 1992; Crosby, Ecological, 1986; Chapman, New England<br />

Journal of Medicine 1995. Außerdem wird diskutiert, ob z.B. bei der Transplantation von<br />

Immunzellen des Pavians auf AIDS-Kranke die bisher weitgehend unbekannten Erreger<br />

41


Wie sich an diesen Beispielen für neuartige Risiken wiederum zeigt, sind nur die<br />

beiden letzteren durch wissenschaftliche Tätigkeiten direkt hervorgerufen. Für<br />

den oben erwähnten Ausbruch des Marburg-Virus war zwar der Import von grünen<br />

Meerkatzen als Versuchstieren für die biomedizinische Forschung verantwortlich.<br />

Ein vergleichbarer Unfall hätte sich aber auch bei der - u.U. auch illegalen<br />

- Einführung von exotischen Tieren aus anderen Motiven ereignen können.<br />

Aber früher oder später wird die Wissenschaft dann eingeschaltet und in den Umgang<br />

und die anfangs manchmal nicht ganz vermeidbare Weiterpropagierung des<br />

Risikos involviert. Vielfach befindet sich die Mikrobiologie dabei in einer moralischen<br />

Ausnahmesituation, weil auf ihren diagnostischen Einsatz beim Ausbruch<br />

einer neuartigen Infektionskrankheit - anders als in der Grundlagenforschung oder<br />

bei biotechnologischen Innovationen - nicht verzichtet werden kann.<br />

Und viertens ist es schließlich denkbar, daß Erkrankungen aufgetreten sind, die<br />

nicht in die oben genannte Zahl der Laborunfälle eingehen, weil ein unbekannter<br />

Wirkmechanismus zugrundeliegt und deswegen entsprechende Symptome auch<br />

nicht einem u.U. sogar unbekannten Agens zugerechnet werden können, mit dem<br />

die betroffene Person im Labor Kontakt hatte. Daß auch eine schon länger etablierte<br />

Disziplin hier nicht vor Überraschungen gefeit ist, scheint sich gegenwärtig<br />

in der wissenschaftlichen Diskussion um die Ursachen des 'Rinderwahnsinns'<br />

(BSE) zu zeigen. Wenn die derzeit vorherrschende These zutreffen sollte, propagiert<br />

sich der Erreger ('Prion') nicht durch die Multiplikation von Erbmaterial<br />

(DNA, RNA), wie dies bei allen bisher bekannt geworden Infektionskrankheiten<br />

der Fall ist, sondern durch die Umformung von Eiweißmolekülen. Weil dieser<br />

Ansteckungsmodus noch weitgehend rätselhaft ist, lassen sich bisher weder die<br />

Ausbreitungswege noch entsprechende Eindämmungsmaßnahmen zielgenau und<br />

zuverlässig bestimmen. 17<br />

2.2.2. ... am Beispiel des herkömmlichen Pflanzenbaus<br />

Weniger dramatisch, wenngleich durchaus beachtlich, sind die Risiken beim herkömmlichen<br />

Anbau von Pflanzen. Entsprechende Schäden betreffen den Menschen<br />

nicht direkt, machen sich aber in Form der Verunkrautung von Kulturflächen<br />

und der Verdrängung anderer (erwünschter) Arten und deren Vielfalt in<br />

naturnahen Standorten ökonomisch und ökologisch bemerkbar.<br />

von Paviankrankheiten durch Evolution in ihrer neuen Umwelt - dem betreffenden Patienten<br />

- für Menschen wirtsspezifisch und damit ansteckend werden könnten (Süddeutsche<br />

Zeitung vom 16./17. Dezember 1995, S. 12).<br />

17 Vgl. nur das Interview mit einem der führenden BSE-Forscher Charles Weissman (Weissman,<br />

Der Spiegel 1996).<br />

42


Einheimische Kulturpflanzen können aufgrund spontaner Kreuzungen mit verwandten<br />

Wildkräutern oder durch Rückmutation verwildern, soweit sie nicht<br />

hochgradig domestiziert und daher ganz von spezifischen Anbaubedingungen<br />

abhängig sind. Genauere Zahlen für ökologisch schädliche Wirkungen liegen im<br />

Hinblick auf die Einbürgerung von ursprünglich ortsfremden Arten vor:<br />

"Nach Angaben aus Großbritannien liegt die Wahrscheinlichkeit der Einbürgerung<br />

einer fremden Pflanzenart etwa bei 1:100 und die Wahrscheinlichkeit unerwünschter<br />

Veränderungen in den bestehenden Ökosystemen etwa bei 1:1000. Dies sind statistische<br />

Aussagen, denen die Gesamtzahl [32.000] aller absichtlich oder unabsichtlich<br />

auf die Britischen Inseln eingeführten Pflanzenarten zugrunde liegt." 18<br />

Die Wahrscheinlichkeit liegt also relativ niedrig, doch einzelne Arten können sich<br />

massiv ausbreiten. So werden z.B. die von eingeführten Pflanzen und Tieren im<br />

Verlauf des 20. Jahrhunderts in den USA angerichteten wirtschaftlichen Schäden<br />

auf mindestens 97 Milliarden US-Dollar geschätzt. 19 Vielfach liegt zwischen der<br />

Einführung und dem Beginn der spontanen Ausbreitung eine lange Zeitspanne.<br />

Bei Gehölzen wurde ein Durchschnitt von 147 Jahren, bei Stauden ein Durchschnitt<br />

von 32 Jahren ermittelt. 20<br />

Weitere ökologische Probleme werden durch Anbaupraktiken hervorgerufen,<br />

die sich - unter bestimmten ökonomischen Rahmenbedingungen - aus den Sorteneigenschaften<br />

von Nutzpflanzen ergeben können. 21 Zum Beispiel sind bei besonders<br />

ertragreichen Getreidesorten die Ähren so schwer, daß die Halme leicht vom<br />

Wind geknickt werden. Deshalb müssen chemische Wachstumshemmer oder<br />

Neuzüchtungen mit kürzeren Halmen eingesetzt werden. Wenn die Ähren aber<br />

näher zum Boden stehen, werden sie leichter von Pilzen befallen. Dies erfordert<br />

wiederum den Einsatz von human- und ökotoxikologisch nicht unbedenklichen<br />

Fungiziden.<br />

Selbstverständlich sind die genannten Risiken allenfalls in selteneren Fällen<br />

durch wissenschaftliche Experimente im engeren Sinne verursacht, sondern werden<br />

zumeist durch weniger bewußte und kontrollierte Wechselwirkungen zwischen<br />

natürlichen Prozessen - z.B. Auskreuzen und Rückmutation - und menschlichen<br />

Tätigkeiten wie unabsichtliche Verbringung bei Reisen und Transporten,<br />

gezielte Einführung, Pflanzenbau und Pflanzenzüchtung hervorgerufen. Aufgrund<br />

18 Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994, S. 58; die Gesamtzahl in eckigen Klammern ist<br />

auf S. 51 angegeben. Eine Studie des US-amerikanischen Office for Technology Assessment<br />

kommt zu ähnlichen Zahlenverhältnissen. Danach haben sich in den USA 4500 exotische<br />

Arten etablieren können, von denen ca. 15 Prozent ökonomische oder ökologische<br />

Schäden angerichtet haben (Kiernan, New Scientist 1993).<br />

19 Kiernan, New Scientist 1993.<br />

20 Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994, S. 109f.<br />

21 Torgersen, Ecological, 1996.<br />

43


der Erfahrungen in diesen Handlungsbereichen ist aber annähernd abzuschätzen,<br />

mit welchen (zeitverzögerten) Wirkungen und Schäden bei der Freisetzung von<br />

biotechnologisch oder gentechnisch, also durch wissenschaftsinduzierten Eingriff<br />

veränderten Pflanzen zu rechnen ist. 22<br />

Es wird bei solchen Abschätzungsversuchen also auf Erfahrungen mit biologisch<br />

einigermaßen vergleichbaren 23 Risiken zurückgegriffen. Allerdings ist zu<br />

bedenken, daß es sich lediglich um Beobachtungen ex post und statistische Mittelwerte<br />

handelt und die Risiken im einzelnen nur schwer abschätzbar sind, weil<br />

eine Vielzahl von ökologischen Faktoren über die Verwilderung und Entfaltung<br />

unerwünschter Eigenschaften entscheidet. 24 Lange Zeit wurden auch keine Versuche<br />

unternommen, diesen Risiken mit gesetzlichen Präventionsmaßnahmen zu<br />

begegnen. Allerdings ist zu beobachten, daß im Zuge der Diskussion um die Freisetzung<br />

gentechnisch veränderter Pflanzen in einigen Ländern, etwa in Kanada,<br />

alle neuartigen Pflanzen einer verschärften Zulassungspraxis unterzogen werden.<br />

25<br />

2.3. Die Debatte über 'besondere' Risiken der Bio- und Gentechnologie<br />

Wie in den letzten Abschnitten gezeigt, können auch bei schon länger eingeführten<br />

Praktiken und Disziplinen entweder bis dato völlig unbekannte Schädigungswirkungen<br />

oder zumindest im Einzelfall überraschende Schäden auftauchen.<br />

Wenn aber, wie gerade auch von den beteiligten Wissenschaftlern und Industrien<br />

vielfach behauptet, mit der Molekularbiologie und der Gentechnik weitgehend<br />

neue Wirklichkeitsbereiche erschlossen werden, so ist hier - prima facie - auch<br />

verstärkt mit der Entdeckung neuer, möglicherweise gefährlicher Wirkmechanismen<br />

zu rechnen. 26<br />

22 Vgl. Tiedje et al., Ecology 1989.<br />

23 Die Vergleichbarkeit ist allerdings auch umstritten. Auf der Grundlage von Plausibilitätsüberlegungen<br />

wird angeführt, daß die Risiken anhand dieser Analogiebildung sowohl<br />

unter- als auch überschätzt werden könnten (vgl. Daele et al., Risiken, 1994, S. 121ff.).<br />

24 Vgl. Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994.<br />

25 McHughen et al., Flax, 1994.<br />

26 In Organisationen, die eher auf hohe Zuverlässigkeit als auf Effizienz ausgerichtet sind<br />

(sogenannte 'High Reliability Organizations': Elektrizitätswerke, Flugzeugträger etc.), wird<br />

daher häufig ältere, bereits erprobte Technik eingesetzt: "The reliabilities of older hardware<br />

are more certain than are the reliabilities of newer hardware." (Roberts, California<br />

Management Review 1990, S. 106).<br />

44


2.3.1. Die ältere Diskussion um die Risiken beim Umgang im Geschlossenen<br />

System<br />

Diese Sorge hatten zunächst auch die Genforscher selbst, als sie im Anschluß an<br />

die ersten gentechnischen Experimente 1973 zu einem Moratorium aufriefen und<br />

auf der Konferenz von Asilomar Vorsichtsmaßregeln verabredeten, die im wesentlichen<br />

den Erfahrungen der Mikrobiologie im Umgang mit Krankheitserregern<br />

folgten. 27 Für den Umgang im Geschlossenen System wurden physikalische Barrieren<br />

etabliert, die den vier aus der Mikrobiologie bekannten Sicherheitsstufen<br />

entsprechen. Allerdings ist es - im Unterschied zur Mikrobiologie, wo es entsprechende<br />

Listen für alle bekannten Mikroorganismen gibt - bei gentechnischen<br />

Experimenten nicht immer ganz einfach, die aus dem Erbgut verschiedener Organismen<br />

neu rekombinierten Organismen vorab in diese Sicherheitsstufen einzuordnen.<br />

Diese Aufgabe wurde in den meisten Industrieländern an zentrale Expertengruppen<br />

übertragen. Außerdem wurde vorgeschlagen, die Experimente<br />

möglichst mit Organismen durchzuführen, die nur in geeigneten Labormedien<br />

überlebensfähig sind und sich daher in der Umwelt nicht ausbreiten können (sogenannte<br />

biologische Sicherheitsmaßnahmen). Von Freisetzungsexperimenten mit<br />

gentechnischen Konstrukten sollte anfangs vollständig abgesehen werden.<br />

Über Schäden im Zusammenhang mit der Verwendung von gentechnischen<br />

Methoden im Labor und in der industriellen Produktion ist bisher, nach nunmehr<br />

zwanzig Jahren, selten berichtet worden. Lediglich zwei Ereignisse sorgten für<br />

beträchtlichen Aufruhr in der öffentlichen Diskussion, eine Häufung von Krebsfällen<br />

am Institut Pasteur in Paris, die 1986 bekannt wurde, und eine Serie von<br />

Todesfällen und Erkrankungen weltweit im Jahr 1990, die auf Verunreinigungen<br />

in einem mit Hilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen hergestellten<br />

Präparat beruhte. Eine gentechnikspezifische Verursachung konnte aber in beiden<br />

Fällen weder bestätigt noch widerlegt werden. 28<br />

27 Vgl. Krimsky, Genetic, 1982; vgl. Kap. 11.3.1.<br />

28 Die Untersuchungen zum EMS-Syndrom, von 27 Todesfällen und vielen hundert schweren<br />

Erkrankungen, infolge der Einnahme des von der japanischen Firma Showa Denko mit einem<br />

gentechnisch optimierten Bakterienstamm erzeugten L-Tryptophans sind noch nicht<br />

abgeschlossen (Mayeno/Gleich, Trends in Biotechnology 1994). Eventuell sind sie auch<br />

inzwischen 'im Sande verlaufen'. Auf einer wissenschaftlichen Tagung führte ein Beamter<br />

der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde im Mai 1993 aus: "Genetic engineering cannot<br />

be ruled in or ruled out as the cause of EMS". Er berichtete dort auch, daß Showa<br />

Denko bisher keine Proben des verwendeten transgenen Bakterienstamms an seine Behörde<br />

gesendet habe (The Gene Exchange, vol.4, no.2, 1993, p.1; ed. by the National Wildlife<br />

Federation). Vgl. dazu auch unten, Kap. 6.1.5.2.<br />

Bei den 1986 im Institut Pasteur in Paris aufgetretenen Krebsfällen ist zwar, unseren Recherchen<br />

zufolge, eine Untersuchung des Tumorgewebes der betroffenen Forscher vorge-<br />

45


Doch neben der schnellen Etablierung der Gentechnik in der Grundlagenforschung<br />

und ihrer industriellen Anwendung in Laborfermentern zur Herstellung<br />

von Proteinen 29 entwickelten sich auch schon bald Ideen für praktische Anwendungen<br />

von gentechnisch veränderten Organismen im Freiland. 30 Mit Verweis auf<br />

die partiell negativen Erfahrungen bei der Einführung exotischer Arten (s.o.) opponierten<br />

Umweltschützer und Ökologen aber gegen diese Versuche. Nach längeren<br />

Auseinandersetzungen einigte man sich in der zweiten Hälfte der 80er Jahre<br />

zunächst darauf, die Organismen vor der endgültigen Marktzulassung in Einzelfallprüfungen<br />

('case by case') in zunächst kleineren und dann sukzessive erweiterten<br />

Versuchsfeldern ('step by step') zu testen.<br />

2.3.2. Die jüngere Diskussion auf internationaler Ebene<br />

Diese Sicherheitsmaßnahmen für den Umgang im Geschlossenen System sowie<br />

für die Freisetzung wurden in der EG und z.T. auch in anderen OECD-Ländern<br />

nommen worden. Ihre Ergebnisse wurden aber offenbar nie veröffentlicht. Auch unsere<br />

diesbezügliche briefliche Anfrage vom 23.11.1994 an den mit der Untersuchung betrauten<br />

Wissenschaftler, Dr. Gilbert M. Lenoir am Internationalen Krebsforschungszentrum in Lyon,<br />

blieb unbeantwortet. Der Zwischenbericht der Untersuchungskommision konstatiert,<br />

daß es sich 1986 um eine überzufällige Häufung von Krebsfällen am Institut Pasteur gehandelt<br />

hat (Cordier, Lancet 1990). Daraufhin wurde eine multizentrische Studie begonnen,<br />

in der die Erkrankungshäufigkeit in molekularbiologischen Forschungslabors allgemein<br />

erhoben werden sollten. Mittlerweile liegen Ergebnisse aus Großbritannien und eine<br />

genauere Untersuchung über die Beschäftigten am Institut Pasteur in Paris vor (Brown<br />

et al., British Journal of Cancer 1996; Cordier et al., Scandinavian Journal of Work, Environment<br />

and Health 1995). Grundsätzlich zeigen beide Studien, in Konkordanz mit vielen<br />

anderen arbeitsmedizinischen Untersuchungen über Wissenschaftsorganisationen, daß das<br />

Sterblichkeitsrisiko der Beschäftigten der untersuchten Institute deutlich niedriger ist als<br />

das der Gesamtbevölkerung. Während die britische Studie (Brown et al.) darüber hinaus<br />

keine signifikanten Ergebnisse zeigt, deutet die Pariser Studie (Cordier et al.) auf Zusammenhänge<br />

zwischen molekular- und mikrobiologischen Arbeitsmethoden, den dabei verwendeten<br />

Agentien (bestimmte Chemikalien, Mikroorganismen und radioaktive Substanzen)<br />

und der erhöhten Inzidenz von bestimmten, relativ seltenen Krebsarten hin. Wie bei<br />

epidemiologischen Studien auch kaum anders zu erwarten, war es nicht möglich, aus dem<br />

Set der verdächtigen Agentien ein bestimmtes Agens statistisch zu isolieren: "They all interact<br />

with DNA and as such are plausible candidates for initiating or promoting a carcinogenic<br />

process." (Cordier et al., S. 458).<br />

29 Auch bei der industriellen Herstellung von Eiweißstoffen handelt es sich um die Handhabung<br />

von transgenen Organismen im Geschlossenen System, insofern als die Produkte<br />

selbst kein Erbmaterial enthalten (sollten) und nicht mehr vermehrungsfähig sind. Die Organismen,<br />

mit denen die Stoffe hergestellt werden, verbleiben in der Anlage oder können<br />

vor ihrer Deponierung abgetötet werden.<br />

30 Vgl. Krimsky, Biotechnics, 1991.<br />

46


gesetzlich kodifiziert. Umstritten blieb aber bis heute, ob mit der Gentechnik<br />

überhaupt ein spezifisches Risiko verbunden sei, das eine spezialgesetzliche Regulierung<br />

rechtfertige, oder ob umgekehrt sogar aufgrund des spezifischen Risikos<br />

noch weitergehende Restriktionen erfolgen sollten.<br />

Auf der EG- und OECD-Ebene entfaltete sich dieser Disput um die Frage, ob<br />

eine Prozeß- oder eine Produktregulierung angemessener sei. Die Prozeßregulierung,<br />

so wie sie in der EG tatsächlich auch gehandhabt wird, impliziert, daß<br />

alle Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsprozesse, bei denen mit gentechnischen<br />

Methoden gearbeitet wird, in dieser Hinsicht der spezialgesetzlichen<br />

Regulierung unterfallen, gleichgültig zu welchen Produkten sie im Endeffekt beitragen<br />

mögen. 31<br />

Nachdem sich in der EG - hauptsächlich aus anderen Gründen 32 - eine allein<br />

für die Gentechnik geltende Prozeßregulierung durchgesetzt hatte, mußten spezifische<br />

Risiken auch nachdrücklich geltend gemacht werden, etwa in den Ausführungen<br />

von Jan Brinkhorst, dem Generaldirektor des Umweltressorts (DG XI) der<br />

EG-Kommission, aus dem Jahr 1991:<br />

"While the risks from biotechnology may be bigger or smaller, they are still different<br />

from the risks of other techniques. For example, I am also in charge of nuclear<br />

safety. The fact that nuclear energy produces electricity does not mean that it<br />

doesn't have different characteristics from the other means of doing this, like gas or<br />

oil or coal. I think people would be very surprised if we didn't take a specific look at<br />

nuclear power plants. Likewise with biotechnology." 33<br />

Mit der Etablierung einer umfassenden, sektorübergreifenden Prozeßregulierung<br />

war von Anfang an in den Vorstellungen der EG-Kommission - zumindest in<br />

Bezug auf Freisetzungen - auch der Übergang von einer erfahrungsbasierten zu<br />

einer ungewißheitsbasierten Regulierung, also von 'Prevention' zu 'Precaution'<br />

impliziert. Ein Report aus dem Industrieressort (DG III) stellt 1986 fest:<br />

"Existing regulation of products and processes has one essential common characteristic:<br />

it is designed to protect against risks and hazards which are, of their nature, i-<br />

dentifiable and predictable. In seeking to protect the environment from gaseous e-<br />

missions from motor-cars, the regulator knows in advance what the nature of the effects<br />

of such emissions is ... On the other hand, the distinguished feature of the potential<br />

hazards which could arise from deliberate release ... is that the hazards can-<br />

31 Da es sich bei der Gentechnik um eine Querschnittstechnologie handelt, die in unterschiedlichen<br />

Branchen und bei der Herstellung diverser Produkte (Arznei-, Nahrungs-,<br />

Futtermittel etc.) zum Einsatz kommt, spricht man auf EG-Ebene auch von einer horizontalen<br />

Regulierung, die quer zu den bestehenden produktbereichsspezifischen Regulierungs-<br />

und Kompetenzbereichen liegt.<br />

32 Siehe unten, Kap. 3.2.2.<br />

33 Zit. n. Balter, Science 1991.<br />

47


not (at this stage of development of science) be accurateley identified, or their scale<br />

predicted." 34<br />

Es wird hier also eine Unterscheidung zwischen zwei Bereichen vorgenommen,<br />

nämlich den schon länger eingeführten Technologien, deren Effekte bekannt, und<br />

der Gentechnologie, deren Effekte ungewiß seien. Die Gentechnologie erfordere<br />

daher eine andere als die herkömmliche Regulierung.<br />

Der Denkfehler dieser Bereichsunterscheidung besteht darin, daß von der Art<br />

der Regulierung auf die 'Natur' des regulierten Risikos rückgeschlossen wird:<br />

Tatsächlich reagieren die angesprochenen, damals bereits bestehenden Regulierungen<br />

nur auf bekannte Gefahren. Das heißt aber nicht, daß wir sicher sein<br />

könnten, daß z.B. von den genannten Abgasen des Straßenverkehrs nur die bereits<br />

schon bekannten Gefährdungen ausgehen würden. Auch ein Sprecher des<br />

Wissenschaftsressorts (DG XII) kritisierte von Anfang an diese Unterscheidung,<br />

allerdings in der politisch entgegengesetzten Stoßrichtung:<br />

"[I] was not satisfied that the fact of DNA recombination was an accurate criterion<br />

for distinguishing between predictable, assessable risks, and unpredictable risks requiring<br />

a different legislative approach; criteria such as pathogenicity, toxicity, ecotoxicity<br />

seemed more relevant to determination of regulatory requirements." 35<br />

Hier ist mit dem Plädoyer für die Einbeziehung der Gentechnologie in die existierende,<br />

vorwiegend produktorientierte Regulierungsstruktur zugleich auch gemeint,<br />

daß nur bekannte Risiken berücksichtigt werden sollten. Denn in der herkömmlichen<br />

Produktregulierung werden neuartige Risiken in den meisten Ländern<br />

gar nicht (Saatgutzulassung) oder nur in geringerem Maße (Arzneimittelzulassung)<br />

berücksichtigt, als dies bei der Freisetzungsregulierung in der EG der<br />

Fall ist. Entsprechend wird die Produktregulierung auch von den transatlantisch<br />

operierenden multinationalen Konzernen der Chemischen Industrie deutlich präferiert,<br />

die umgekehrt gegen die Prozeßregulierung in der EG einwenden, daß diese<br />

die Gentechnik als Herstellungsmethode stigmatisiere.<br />

In den USA wurden für die Gentechnik, zumindest auf nationaler Ebene, tatsächlich<br />

keine speziellen Gesetze erlassen und auch keine neuen Behörden geschaffen.<br />

Die Risikoabschätzung wird vielmehr im Rahmen der dort ohnehin sehr<br />

strengen Produktregulierung vorgenommen. Dies bedeutet jedoch nicht, daß man<br />

Unterschiede in der Herstellungstechnik vollständig außer acht ließe. Denn auch<br />

in den USA waren alle in Europa heute diskutierten Risikofragen zunächst heftig<br />

umstritten. 36 Zwar hatten sich auch Mitglieder der Ecological Society of America<br />

34 Zit. n. Gottweis, Governing, 1995, S. 439f.<br />

35 Zit. n. Gottweis, Governing, 1995, S. 440.<br />

36 Vgl. z.B. Krimsky, Genetic, 1982; Krimsky, Biotechnics, 1991.<br />

48


1989 der produktorientierten Sichtweise prinzipiell angeschlossen und ein methodenspezifisches<br />

Risiko der Gentechnik negiert:<br />

"Genetic engineered organisms should be evaluated and regulated according to their<br />

biological properties (phenotypes), rather than according to the genetic techniques<br />

used to produce them."<br />

Aber im nächsten Satz postulieren sie dann doch ein spezifisches Risiko, das sich<br />

aus der - gerade auch von den Befürwortern in ökonomischen Kontexten behaupteten<br />

- technischen Potenz der neuen Biotechnologien ergeben soll:<br />

"Nonetheless, because many novel combinations of properties can be achieved only<br />

by molecular and cellular techniques, products of these techniques may often be<br />

subjected to greater scrutiny than the products of traditional techniques." 37<br />

Unterhalb des eher symbolischen Grundsatzstreits über Produkt- versus Prozeßregulierung<br />

werden dann in der US-amerikanischen Verwaltungspraxis auch ähnliche,<br />

auf OECD-Ebene ohnehin permanent abgestimmte Prüfverfahren und -<br />

maßstäbe angelegt wie in der EG. 38 Unterschiede in der Restriktivität der Regulierungspraxis<br />

scheinen sich dann - zumindest im Bereich der Freisetzung - auf<br />

die in den USA schon weiter fortgeschrittene Standardisierung der Verwaltungspraxis<br />

zu beschränken, die sich aus dem größeren Erfahrungsvorlauf<br />

ergibt. 39<br />

Die oben zitierte Warnung der Ökologischen Gesellschaft von Amerika wurde<br />

unlängst eindrucksvoll bestätigt. Pioneer Hi-Bred International hatte transgene<br />

Sojabohnen mit einem höheren Gehalt an zwei für ein optimales Wachstum von<br />

Mastvieh wichtigen Aminosäuren (Methionin und Cystein) entwickelt. Die entsprechenden<br />

Gene stammen aus der Paranuß, die diese Aminosäuren in besonders<br />

reichlichem Maße enthält. In Untersuchungen, die von der US-amerikanischen<br />

Nahrungsmittelbehörde (FDA) verlangt wurden, zeigte sich, daß die transgenen<br />

Sojabohnen beim Verzehr durch Menschen, die gegen Nüsse allergisch sind,<br />

potentiell tödliche Wirkungen ausgelöst hätten. 40<br />

37 Tiedje et al., Ecology 1989, S. 298; im gleichen Sinne äußern sich auch Vertreter der USamerikanischen<br />

Union of Concerned Scientists: "There are no properties or risks attached<br />

to an organism just because it has been engineered." (Rissler/Mellon, Ecological, 1996, S.<br />

4).<br />

38 Vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996.<br />

39 Vgl. unten, Kap. 8; vgl. Hohmeyer et al., Internationale, 1994.<br />

40 Nordlee et al., New England Journal of Medicine 1996. Soja für Tierfutter und menschliche<br />

Ernährung wird normalerweise nicht getrennt angebaut und verarbeitet. Insofern hätte<br />

das für Mastvieh bestimmte Soja auch leicht in Nahrungsmittel gelangen können, die für<br />

den menschlichen Verzehr bestimmt sind. Pioneer Hi-Bred zog aufgrund dieser Ergebnisse<br />

seine Vermarktungspläne zurück.<br />

49


Das Risiko wurde also nicht durch die gentechnische Methode selbst ausgelöst,<br />

sondern ist auf die Inhaltstoffe des Spenderorganismus, also der Paranuß,<br />

zurückzuführen. Mit herkömmlichen Züchtungstechniken hätte man die entsprechenden<br />

Gene aber nicht zwischen zwei biologisch so entfernt stehenden<br />

Organismen wie der Sojabohne und der Paranuß übertragen können. Das Risiko<br />

konnte in diesem Fall auch nur entdeckt werden, weil das Allergierisiko der Paranuß<br />

bekannt ist. 41 Wenn Gene aus Spenderorganismen übertragen werden, die<br />

vorher in der menschlichen Ernährung keine Rolle gespielt haben, gibt es auch<br />

keine Möglichkeit, Allergierisiken vor der Vermarktung gezielt zu testen. So wird<br />

im renommierten New England Journal of Medicine in einem Begleitkommentar<br />

zur Veröffentlichung des oben angeführten Untersuchungsberichts gewarnt:<br />

"[M]ost biotechnology companies use microorganisms rather than food plants as<br />

gene donors, even though the allergenic potential of these newly introduced microbial<br />

proteins is uncertain, unpredictable and untestable." 42<br />

Das Risiko, vor dem hier gewarnt wird, rührt also nicht von der Übertragungsmethode<br />

als solcher her, sondern von der Tatsache, daß viele der verwendeten<br />

Spenderorganismen nicht hinreichend bekannt sind, und zwar deshalb, weil sie<br />

ohne die neuen Übertragungsmethoden in der menschlichen Ernährung bisher<br />

keine Rolle spielen konnten. Insofern liegen in den neuartigen Möglichkeiten der<br />

Methode auch neue Risiken.<br />

2.3.3. Die Diskussion in der Bundesrepublik<br />

In der Bundesrepublik wurde ein inhaltlich ähnlicher Streit mit einer anderen<br />

Terminologie geführt. Von Kritikern wurde gegen die herrschenden Sicherheitsvorkehrungen<br />

eingewandt, daß die dort zugrundegelegte 'additive Risikoabschätzung'<br />

unzureichend sei. Damit ist gemeint, daß das Risiko der transgenen<br />

Organismen aufgrund des (bekannten) Gefahrenpotentials der Ausgangsorganismen,<br />

aus denen die genetischen Teilkomponenten stammen, eingestuft werde.<br />

43 Dagegen wird eingewandt, daß die Einzelkomponenten aufgrund unvorsehbarer<br />

Wechselwirkungen bzw. Emergenzen andere Wirkungen als in den Ausgangsorganismen<br />

entfalten könnten. 44 Wie schon in der Einleitung (s. S. 19) an-<br />

41 Die Paranuß gehört zur Gruppe der acht bis zehn am häufigsten Allergien auslösenden<br />

Nahrungsmitteln. Wenn Gene aus dieser Gruppe auf andere Nahrungsmittel übertragen<br />

werden, verlangt die FDA Allergietests.<br />

42 Nestle, New England Journal of Medicine 1996, S. 726.<br />

43 Diese Kritik zielt auch auf das Gentechnikgesetz. Dabei wird übersehen, daß das Gentechnikgesetz<br />

sehr wohl einige ungewißheitsbasierte Regelungsaspekte enthält, wie in dieser<br />

Arbeit noch ausführlich zu zeigen sein wird.<br />

44 Bonß et al., Kontext, 1992; vgl. Gloede et al., Biologische, 1993.<br />

50


gedeutet, wird dieser Einwand der 'synergetischen Risikophilosophie' mittlerweile<br />

weitgehend akzeptiert. Allerdings wird entgegengehalten, daß synergetische Prozesse<br />

- bzw. unerwartete Risiken im allgemeinen - nicht nur durch gentechnische,<br />

sondern auch durch andere biotechnische Eingriffe sowie natürliche Ereignisse<br />

ausgelöst werden könnten. Ein besonderes Risiko der Gentechnik sei daher auch<br />

weiterhin nicht auszumachen. 45<br />

Viele deutsche Umweltschützer halten dagegen an der Behauptung eines besonderen<br />

Risikos der Gentechnik als Übertragungsmethode fest. 46 Insofern als<br />

entsprechende Schäden empirisch bisher nicht nachgewiesen werden konnten<br />

(s.o.), müßte diese Behauptung aber zumindest theoretisch untermauert werden.<br />

Theoretisch - und damit vor dem empirischen Auftreten entsprechender Schäden<br />

- ließe sich ein besonderes Risiko der Gentechnologie als Übertragungsmethode<br />

aber nur begründen, wenn man über ein konkurrierendes Paradigma und<br />

damit über einen unabhängigen Standpunkt verfügte, von dem aus man sowohl<br />

die Gentechnologie als auch die Züchtung analysieren könnte und dann eventuell<br />

andere als die bekannten und in der Diskussion schon allseits berücksichtigten<br />

Differenzen feststellen könnte. 47 Die Behauptung, daß 'die Gentechnik nichts<br />

45 Daele et al., Bewertung, 1994.<br />

46 Z.B. Raubuch/Baufeld, GID 1996; vgl. Gill, Wechselwirkung 1996.<br />

47 Das von Arnim von Gleich (TA-Datenbank-Nachrichten 1996) in diesem Zusammenhang<br />

vorgeschlagene Kriterium der besonderen 'Eingriffstiefe' stellt auch keine schlüssige Begründung<br />

eines 'besonderen Risikos' dar. Dieses Kriterium, das Gleich bisher in der Chemiediskussion<br />

verfochten hat, ist u.E. auf biologische Prozesse nicht sinnvoll anzuwenden:<br />

Schon logisch ist es widersprüchlich, einerseits - zu Recht - von unbekannten Prozessen<br />

und Folgen zu sprechen, aber andererseits eine besondere 'Wirkmächtigkeit' oder gar 'graduell<br />

meßbare' Eingriffstiefe 'der' Gentechnologie zu behaupten. Zum zweiten läßt die Vorstellung,<br />

daß die Gentechnologie, anders als 'sanfte Biotechnologien', nicht nur an den<br />

'Phänomenen', sondern an den 'Strukturen' des Lebendigen, d.h. dem Genom ansetze, die<br />

u.E. wohlbegründete Kritik am genetischen Reduktionismus außer Acht. Diese weist darauf<br />

hin, daß die im molekularbiologischen Dogma begründete Vorstellung einer 'Steuerung'<br />

biologischer Phänomene durch 'Gene' zumindest sehr verkürzt ist. Dieser Einwand<br />

könnte praktisch auch bedeuten, daß die Gentechnologie weder im Hinblick auf intendierte<br />

noch auf nicht-intendierte Wirkungen so 'mächtig' ist, wie Befürworter und viele Kritiker<br />

annehmen. Außerdem wird von Ökologen argumentiert, daß es bei der Beurteilung von<br />

Folgen nicht auf den Prozeß oder die Methode der genetischen Veränderung, sondern gerade<br />

auf den biologischen Phänotyp und seine Anpassung an das jeweilige Habitat ankomme.<br />

Ein schwerer Schaden kann z.B. auch dadurch herbeigeführt werden, daß ein Organismus,<br />

etwa ein natürlich vorkommender Krankheitserreger, unabsichtlich in ein Habitat<br />

eingeführt wird, in dem er zufällig besonders günstige Ausbreitungschancen vorfindet (siehe<br />

oben, Kap. 2.2.1.). Von einem besonders tiefen, wissensbasierten und absichtlich an den<br />

'Strukturen' ansetzenden Eingriff kann man aber gerade im letzteren Fall nicht sprechen.<br />

51


anderes mache als die Natur', 48 erscheint aus der Binnensicht der Molekularbiologie<br />

schlüssig, weil sie die Natur eben nur im Rahmen ihres eigenen experimentellen<br />

Paradigmas begreifen kann, in dem wissenschaftliche Erklärung und die<br />

kontrollierte Veränderung natürlicher Phänomene in eins gesetzt sind. Den Molekularbiologen<br />

erscheint die Gentechnik deshalb sogar als berechenbarer und sicherer<br />

als die herkömmliche Züchtung, weil bei der Gentechnik die übertragenen<br />

Sequenzen weitgehend oder vollständig bekannt sind, während bei der Züchtung<br />

die Genome verschiedener Organismen blind durcheinandergewürfelt werden. 49<br />

Gegen diesen Berechenbarkeitsmythos der Molekularbiologen hat die Ökologie<br />

erfolgreich eingewandt, daß es bei den Wirkungen eines Organismus auf den<br />

Phänotyp und nicht auf den Genotyp ankomme. Insoweit als ein bestimmter Phänotyp<br />

aber durch verschiedene gentechnisch oder nicht-gentechnisch erzeugte<br />

Mutationsereignisse hervorgerufen werden kann, macht die Ökologie hier gar<br />

keine Aussagen über besondere Risiken der Gentechnik als Übertragungsmethode.<br />

50<br />

Andere konkurrierende Paradigmen, die aus dem Blickwinkel der Theorie<br />

morphogenetischer Felder oder der Beobachtung epigenetischer Prozesse auch<br />

die molekulare Ebene miteinbeziehen, machen vor allem auf Erklärungsprobleme<br />

des vorherrschenden genetischen Determinismus aufmerksam. 51 Soweit sie generell<br />

auf die Instabilität genetischer Prozesse hinweisen, verdeutlichen sie zunächst<br />

nur das allgemeine Ungewißheitspotential in der Biologie, das mitterweile ohnehin<br />

vom Mainstream der Molekularbiologen anerkannt wird. 52 Soweit aber aus<br />

konkurrierender theoretischer Perspektive auch ein besonderes Risiko der Gentechnik<br />

als Übertragungsmethode behauptet wird, bleibt dieses bisher nur metaphorisch:<br />

"Biotechnology has been likened to nuclear technology in that natural processes are<br />

accelerated so that runaway reactions become potentially unstable and need stringent<br />

controls to avoid melt-down. We face the equivalent of nuclear meltdown in<br />

ecosystems by destabilisation of genetic processes that are fluid but have many<br />

checks and balances in the natural world due to the isolating mechanisms that prevent<br />

most species from interbreeding. Those checks and balances remain in place<br />

with traditional breeding methods, but they have now been removed by the techni-<br />

48 Z.B. Reich, Die Zeit 1994. Dagegen stellt Ernst-Ludwig Winnacker, ein renommierter<br />

Genforscher, neuerdings fest: "Die Legende von der Natürlichkeit der Gentechnik ist eine<br />

Legende. ... Eine solche Komponente der totalen Verfügbarkeit hat es bislang nicht gegeben;<br />

sie könnte unnatürlicher nicht sein." (zit. n. Die Zeit vom 13.9.1996, S. 34).<br />

49 Z.B. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 131.<br />

50 Tiedje et al., Ecology 1989; Sukopp/Sukopp, Lang-Zeiteffekte, 1994.<br />

51 Goodwin et al., Journal of Theoretical Biology 1993; Strohman, Bio/Technology 1994.<br />

52 Vgl. unten, Kap. 8.4., Kap. 9.3.2.<br />

52


ques of direct gene transfer between any species. Some gene transfer will be benign<br />

and possibly beneficial while others will have severe ecological consequences." 53<br />

Allerdings ist es möglich, daß mit dem theoretischen und experimentellen Fortschritt<br />

konkurrierender Paradigmen ein besonderes Risiko der Gentechnik auch<br />

schlüssig zu zeigen sein wird.<br />

Ohnehin wird in Deutschland auch von denjenigen, die ein besonderes Risiko<br />

der Gentechnik negieren, die Prozeßregulierung auf spezialgesetzlicher Grundlage<br />

zumeist nicht infrage gestellt. So stellen die Veranstalter des Verfahrens zur<br />

Technikfolgenabschätzung der gentechnisch erzeugten Herbizidresistenz am Wissenschaftszentrum<br />

Berlin fest:<br />

"Regulierungen, die nicht an den erkennbaren Risiken, sondern an der Neuheit der<br />

Gentechnik ansetzen, sind international zunehmend als innovationsfeindlich in Verruf<br />

geraten. Trotzdem waren sie im TA-Verfahren auch bei den Befürwortern der<br />

Technik nicht grundsätzlich umstritten. Sie tragen der problematischen Akzeptanz<br />

der Gentechnik Rechnung (wenn auch aus der Sicht der Kritiker nicht weit genug)."<br />

54<br />

Die Ungleichbehandlung der Gentechnik gegenüber herkömmlichen Techniken<br />

wird also hier aus politisch-pragmatischen Gründen akzeptiert.<br />

2.4. Schlußfolgerungen für die weitere Untersuchung<br />

Wenn man nun schlußfolgert, daß die Gentechnik 'kein besonderes Risiko' aufweist,<br />

55 kann damit zweierlei gemeint sein. Isoliert und umgangssprachlich verstanden<br />

signalisiert dieser Satz, daß das Risiko 'nicht besonders hoch' sei. Obwohl<br />

diese Bedeutung gelegentlich wohl auch suggeriert werden soll, ist sie durch<br />

die Fachdiskussion in keiner Weise gedeckt. In der Fachdiskussion wird dagegen<br />

mehrheitlich nur behauptet, daß die Ungewißheiten und absehbaren Risiken nicht<br />

höher seien als bei anderen biologischen Techniken sowie bei mehr oder weniger<br />

natürlichen ökologischen Prozessen. Wenn man behauptet, daß die Gentechnik<br />

'nichts anderes mache als die Natur', dann müßte man in der Logik dieser Behauptung<br />

auch einräumen, daß sie partiell auch so gefährlich sein kann wie das AIDS-<br />

Virus, dessen Mutation und Übergreifen auf den Menschen gerade von den Befürwortern<br />

der Gentechnik als natürliches Ereignis angesehen wird.<br />

Auch die wissenschaftliche Aussage, daß die Gentechnik kein spezifisches Risiko<br />

darstelle, ist interpretationsbedürftig. Für die Gegenbehauptung, daß die<br />

53 Goodwin, Species, 1996, S.76f.<br />

54 Daele et al., Bewertung, 1994, S. 142.<br />

55 So Daele, Soziale Technik 1995.<br />

53


Übertragungsmethode als solche besonders riskant sei, scheint es derzeit keine<br />

schlüssigen Begründungen zu geben. Die Potenzen neuer biotechnischer Methoden,<br />

Gene auf nicht-artverwandte Organismen zu übertragen, scheinen dagegen<br />

zumindest in einigen Bereichen - etwa bei der Nahrungsmittelproduktion (s.o.) -<br />

im Vergleich zu herkömmlichen Techniken besondere Risiken zu beinhalten.<br />

Schwierig dürfte es allerdings sein, ein generelles Urteil über die Risikopotentiale<br />

der Gentechnik im Vergleich zu allen anderen Eingriffen und natürlichen Prozessen<br />

zu fällen, das dann auf eine sehr allgemeine theoretische Betrachtung humaninduzierter<br />

versus spontaner Evolutionsprozesse abheben müßte. Wir lassen<br />

das hier, auch mangels eingehender eigener biowissenschaftlicher Fachkompetenz,<br />

dahingestellt.<br />

Wir halten lediglich fest, was durch den Mainstream der Fachdiskussion gedeckt<br />

ist: daß bei der Gentechnik sowohl mit prinzipiell bekannten als auch mit<br />

unerwarteten Risiken zu rechnen ist. Es bleibt dann zu fragen, ob - gleichartige<br />

Überraschungspotentiale vorausgesetzt - die Gentechnik oder auch andere neue<br />

Biotechnologien einer ungewißheitsbasierten Regulierung unterzogen werden<br />

können, die weitergehend ist als die Regulierung von älteren, teils mehr und teils<br />

weniger absichtlichen Eingriffen im Bereich des Lebendigen. Dafür sprechen drei<br />

heuristische Gründe:<br />

1. Bei der modernen Gen- und Biotechnologie handelt es sich um einen absichtsvollen<br />

und bewußten Eingriff im Bereich des Lebendigen. 56 Die anwendungsorientierten<br />

Handlungsziele sind teilweise gesellschaftlich sehr umstritten. 57<br />

Oft stehen überdies besser erprobte und brauchbare Handlungsalternativen zur<br />

Verfügung. 58 Daher kann zumindest die anwendungsorientierte Forschung - im<br />

Lichte der in Punkt 2.1.2. bis 2.1.6. angeführten Erwägungsgründe - weitergehenden<br />

Verantwortungs- und Begründungspflichten unterzogen werden als andere<br />

Eingriffe im Bereich des Lebendigen.<br />

2. Die Gentechnik ist eine relativ neue Technik. Es hat sich in der Vergangenheit<br />

gezeigt, daß sich die meisten mit neuen Eingriffen verbundenen Überra-<br />

56 Wenn dagegen z.B. ein Reisender eine Tropenkrankheit einschleppt, handelt er in aller<br />

Regel nicht absichtsvoll. Wenn exotische Tiere oder Pflanzen eingeführt werden, handeln<br />

die Protagonisten zwar meistens absichtsvoll, aber oft nicht sehr bewußt, d.h. sie sind zur<br />

wissenschaftlichen Reflexion ihres Tuns oft kaum befähigt.<br />

57 So ist das Handlungsziel bei dem oben angeführten Beispiel der Einführung von Paranuß-<br />

Genen in Soja zur rationelleren Mästung von Schlachtvieh zumindest fragwürdig.<br />

58 Die Mikrobiologie, die sich in neuerer Zeit ebenfalls gentechnischer Methoden bedient,<br />

handelt bei der Erforschung zwar absichtsvoll und auch ebenso bewußt, d.h. wissenschaftlich<br />

reflexionsfähig, wie die Biotechnologie, aber sie hat selten eine moralisch akzeptable<br />

Alternative: Sie hat die Krankheitskeime, die sie erforscht und u.U. auch unabsichtlich<br />

weiterpropagiert, nicht selbst erzeugt.<br />

54


schungen in überschaubaren Zeiträumen zeigen. Das rechtfertigt Sicherheitszuschläge<br />

zumindest für die Anfangszeit. Selbstverständlich ist damit nicht zu<br />

gewährleisten, daß 'danach' - was auch immer das heißen mag - keine Überraschungen<br />

mehr auftreten können. Diese können besonders heimtückisch sein,<br />

weil es aufgrund des lange verzögerten Feedbacks zu besonders umfangreichen<br />

Ausbreitungen kommen kann, wie sich u.a. bei der Einführung exotischer Arten<br />

gezeigt hat. 59<br />

3. Bei steigendem Wohlstand und zunehmenden Handlungskapazitäten ist generell<br />

in modernen Gesellschaften eine wachsende Risikoaversion zu beobachten.<br />

Dabei wurden dann auch im Chemikalien- und Arzneimittelrecht zunächst die<br />

neueren Produkte und Techniken einer verschärften Regulierungspraxis unterzogen;<br />

ältere Produkte und Prozesse werden dann gegebenenfalls sukzessive<br />

ebenfalls einbezogen, wie das in Deutschland z.B. mit schon länger gebräuchlichen<br />

Arzneimitteln der Fall ist. Man muß mit der Einführung neuer Standards<br />

"irgendwo anfangen dürfen, ohne immer gleich alles zu regeln". 60<br />

Die analytische Unterscheidung der Risikodimensionen bedeutet allerdings noch<br />

nicht, daß die angeführten Kriterien - z.B. Neuartigkeit, Fremdgefährdung, Vorhandensein<br />

von erprobten Alternativen - immer, in hohem Maße und unter allen<br />

Umständen auf die Genforschung zutreffen müßten oder in anderen Bereichen<br />

nicht zutreffen könnten.<br />

Auch innerhalb der Genforschung lassen sich anhand dieser Dimensionen keine<br />

einfachen Bereichsabgrenzungen treffen. So wäre es z.B. irrig anzunehmen,<br />

daß die Ungewißheit der Sicherheitsstufe S 1 vorbehalten wäre, in allen anderen<br />

Sicherheitsstufen aber nur mit bekannten Risiken zu rechnen sei. Die Ungewißheit<br />

besteht eben unabhängig von der Einstufung in Sicherheitsstufen, die immer<br />

nur anhand von a priori vermuteten Risiken im Hinblick auf Human-, Tier-, oder<br />

Pflanzenpathogenität erfolgt.<br />

So kann auch ein bekanntermaßen gefährlicher transgener Mikroorganismus,<br />

der z.B. nach S 4 eingestuft ist, unvorhergesehen noch andere gefährliche Wirkungen<br />

entfalten als die, die zu dieser Einstufung geführt haben. Umgekehrt wäre<br />

es auch denkbar, daß ein ursprünglich nach S 1 eingestufter transgener Mikroorganismus<br />

einen anderen Stoffwechselweg im Stickstoffkreislauf der Erde eröffnet<br />

und folglich eine andere Zusammensetzung der Erdatmosphäre zur Folge<br />

hätte. Die Folgen könnten weit dramatischer sein als die Ausbreitung eines gegenwärtig<br />

nach S 4 eingestuften Organismus (z.B. Ebola-Virus), ohne daß der<br />

neu entstandene Organismus in irgendeiner Form human-, tier-, oder pflan-<br />

59 Vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 138ff.<br />

60 Vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 139.<br />

55


zenpathogen sein müßte. Ein neuer Wirkmechanismus ist mit der Einstufung nach<br />

bekannten Kriterien eben nicht zu erfassen.<br />

Insofern müssen aus der Berücksichtigung der Ungewißheit andere Rechtsfolgen<br />

erwachsen als bei der nach herrschender juristischer Lehre erfolgenden<br />

Abschichtung zwischen Gefahr und Restrisiko, die tatsächlich der Abstufung von<br />

S 4 zu S 1 folgt.<br />

56


Kapitel 3: Zur Geschichte der rechtlichen Vorsorge vor experimentellen<br />

Risiken<br />

Obwohl die wissenschaftliche Forschung, wie wir im vorigen Kapitel gezeigt<br />

haben, sowohl mit neuartigen als auch mit bekannten Risiken konfrontiert ist, war<br />

sie bisher nur peripher Gegenstand der gesetzlichen Regulierung. Dafür lassen<br />

sich, neben der verfassungsrechtlichen Privilegierung der Forschungsfreiheit, drei<br />

weitere Gründe nennen:<br />

- Ihre unmittelbaren Wirkungen sind in der Regel aufgrund der geringen Menge<br />

an Stoffen, die experimentell genutzt werden, tendenziell zu vernachlässigen.<br />

- Aufgrund der Vielfalt an Stoffen und Umgangsformen, die experimentell erprobt<br />

werden, ist eine Regulierung schwieriger als bei technisch bereits standardisierten<br />

Prozessen industrieller Produktion.<br />

- Wissenschaftler publizieren und rezipieren Warnungen vor bisher wenig bekannten<br />

Laborunfällen in den normalen Fachzeitschriften. Anders als Arbeiter<br />

in der industriellen Produktion sind sie für ihre Arbeitssituation in relativ hohem<br />

Maße selbst verantwortlich. Zumindest existiert diese Vorstellung als<br />

Selbst- wie als Fremdbild. Daher kommt es weder zu einer nachhaltigen gewerkschaftlichen<br />

noch staatlichen Thematisierung von Arbeitsschutzproblemen.<br />

Trotzdem finden sich einige auch für die Forschung geltende Gesetze (vgl. Tabelle<br />

1, S. 58), die aber im wesentlichen auf andere Tätigkeitsbereiche, wie etwa die<br />

industrielle Produktion, zugeschnitten sind. Entsprechend ihrer Genese und ihrem<br />

primären Geltungsbereich beziehen sie sich daher überwiegend auf erkannte<br />

Gefahren. Erst mit dem Gentechnikgesetz bzw. den entsprechenden EG-<br />

Richtlinien wurden Vorschriften erlassen, die von vornherein auch für die Forschung<br />

konzipiert waren und auch der Vorsorge vor neuartigen Risiken dienen<br />

sollen.<br />

Im folgenden wird anhand eines zumindest kursorischen Vergleichs der Geschichte<br />

und der Regelungsstruktur der verschiedenen Gesetze untersucht, wie<br />

der spezifische Umgang mit der Forschung normativ gestaltet ist und inwieweit<br />

insbesondere das bereits im ersten Kapitel theoretisch skizzierte Problem des<br />

forschungstypischen Umgangs mit Ungewißheit dabei berücksichtigt wird.<br />

57


Tabelle 1:<br />

Bereich<br />

Naturwissenschaftliche<br />

Laboratorien<br />

Gesetzliche Regulierung des Arbeits-, Gesundheits- und Umweltschutzes<br />

in der Forschung<br />

Gesetze (G) bzw. Verordnungen (V)<br />

GefahrstoffV (TRG 451), StrahlenschutzV<br />

RöntgenV, AbfallG, AbwasserherkunftsV<br />

Biowissenschaftliche<br />

Labors (zusätzlich)<br />

Tierversuche (zusätzlich)<br />

Medizinische Menschenversuche<br />

Empirische Sozialforschung/Epidemiologie<br />

BundesseuchenG, TierseuchenerregerV,<br />

PflanzenschutzG, GentechnikG<br />

TierschutzG<br />

ArzneimittelG, StrahlenschutzV<br />

StGB §§ 223ff. (Körperverletzung)<br />

Datenschutzrecht<br />

Arztgeheimnis<br />

3.1. Zur Geschichte forschungsrelevanter Gesetze<br />

Die ersten nachweisbaren Vorschriften, die die von manchen Forschungsarbeiten<br />

potentiell ausgehenden Gesundheitsgefahren zum Gegenstand haben, finden sich<br />

bereits im Reichsseuchengesetz, das im Jahre 1900 verabschiedet wurde und die<br />

bis dahin auf Landesebene erlassenen Bestimmungen zur Seuchenhygiene im<br />

Deutschen Reichsgebiet vereinheitlichen sollte. Darin war auch eine Verordnungsermächtigung<br />

zur Regulierung von Laborarbeiten enthalten. Deutschland -<br />

wie schon im Jahr zuvor Belgien - reagierte damit auf einige Pestfälle, die 1898 in<br />

einem Laboratorium in Wien aufgetreten waren. 1 Es wurden zunächst Strafvorschriften<br />

für den Umgang mit Pesterregern und in der Folge auch allgemeine<br />

Bestimmungen für den Umgang mit Krankheitserregern erlassen, 2 die später in<br />

1 Gesetz, betreffend die Bekämpfung gemeingefährlicher Krankheiten vom 30.6.1900,<br />

Reichs-Gesetzblatt Jg. 1900, S. 306ff. § 27 lautet: "Der Bundesrath ist ermächtigt, über<br />

die bei der Ausführung wissenschaftlicher Arbeiten mit Krankheitserregern zu beobachtenden<br />

Vorsichtsmaßregeln sowie über den Verkehr mit Krankheitserregern und deren<br />

Aufbewahrung Vorschriften zu erlassen." Die Strafvorschrift betreffend Verstöße gegen<br />

die zu erlassende Verordnung ist in § 46 Nr. 3 des Gesetzes zu finden.<br />

2 Veröffentlichungen des Kaiserlichen Gesundheitsamtes, 1899, S. 1149 (Vorschriften in<br />

Belgien); Reichsgesetzblatt 1900, S. 860ff. (Vorschriften über das Arbeiten und den Verkehr<br />

mit Pesterregern); Reichsgesetzblatt 1904, S. 159ff. (Vorschriften über das Arbeiten<br />

58


veränderter Fassung ins Bundesseuchengesetz Eingang fanden und noch heute<br />

Gültigkeit besitzen.<br />

Die Verabschiedung des Gesetzes war von heftigen Debatten im Reichstag begleitet,<br />

in denen um die Grenzen der staatlichen Reglementierung der Krankenbehandlung<br />

gestritten wurde. Währenddessen passierte die erwähnte Verordnungsermächtigung<br />

das Parlament ohne größere Aufmerksamkeit. Allerdings<br />

monierte ein Abgeordneter (mit Beifall von links) in seiner Rede,<br />

"... daß derjenige, der seine ganze Persönlichkeit im Kampfe für das Wohl der<br />

Menschheit im Dienste der Wissenschaft einsetzt, nicht unter kleinliche Gesetzesbestimmungen<br />

gestellt werden soll. Die Gesammtheit ist ihm schon deshalb, weil<br />

sein eigenes Ich im unmittelbaren Verkehr mit den Krankheitserregern doch den<br />

größten Gefahren ausgesetzt ist, sich selbst in die Bresche stellt, zu viel zu großem<br />

Danke verpflichtet, als daß sie ihn mit polizeilichen Bestimmungen chikaniren und<br />

drangsaliren lassen dürfte." 3<br />

Der für den Gesetzentwurf verantwortliche Staatsminister antwortete (mit Zustimmung<br />

von rechts):<br />

"... der Paragraph [richtet sich nicht] gegen ordnungsmäßige Untersuchungen, amtliche<br />

Laboratorien, wo wirklich zuverlässige Sachverständige diese Versuche anstellen.<br />

Es hat sich aber jetzt mit solchen Krankheitserregern geradezu eine Art Handel<br />

gebildet. Solche Versuche werden unter Umständen in sehr ungenügender Form, in<br />

sehr ungenügenden Lokalen und vielleicht auch von Unberufenen angestellt. Da ist<br />

es im Interesse der Sicherheit der Volksgesundheit absolut nothwendig, daß man mit<br />

energischer Hand gegen Vorgänge auf diesem Gebiete, die äußerst gemeingefährlich<br />

sind, gesetzlich vorgeht!" 4<br />

Mit der frühen gesetzlichen Regelung reagierte man also auf die - damals noch<br />

nicht ganz unumstrittene 5 - Erkenntnis, daß Krankheitserreger sich selbst vermehren<br />

und daher unabhängig von der ursprünglich verwendeten Menge eine<br />

Gefahr darstellen können. In den übrigen gesetzlichen Bestimmungen - etwa zum<br />

Umgang mit Gift- und Arzneistoffen - sind in dieser Zeit noch keine forschungsspezifischen<br />

Regelungen zu finden, was ihre allgemeine Geltung auch für<br />

die Forschung zwar nicht ausschließt. Vorherrschend schien jedoch ein heroiund<br />

den Verkehr mit Krankheitserregern, ausgenommen Pesterregern); Reichsgesetzblatt<br />

1917, S. 1069ff. (Vorschriften über Krankheitserreger).<br />

3 Reichstag, 10. Legislaturperiode, 179. Sitzung am 24.4.1900, Stenographische Berichte,<br />

S. 5067.<br />

4 Reichstag, 10. Legislaturperiode, 179. Sitzung am 24.4.1900, Stenographische Berichte,<br />

S. 5069.<br />

5 Von einigen Abgeordneten wurde dieser Zusammenhang in den Reichstagsdebatten bestritten.<br />

Sie traten deshalb besonders vehement gegen die freiheitsberaubenden Wirkungen<br />

von Quarantänemaßnahmen auf.<br />

59


sches Selbst- und Fremdbild gewesen zu sein, das auch in Selbstversuchen - mit<br />

gelegentlich tödlichem Ausgang - zum Ausdruck kam. 6<br />

Ein allgemein gestiegenes Problembewußtsein - zunächst allerdings gegenüber<br />

den mittelbaren Folgen der Innovationsdynamik - ist vorübergehend nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg bei den Verhandlungen zum Grundgesetz und zu den Verfassungen<br />

der Länder zu verzeichnen. Die ursprüngliche, auf der Konferenz von<br />

Herrenchiemsee 1948 formulierte Fassung der Wissenschaftsfreiheit lautete:<br />

"(1) Die Kunst, die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei.<br />

(2) Zum Schutz des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Benutzung<br />

wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staatliche<br />

Aufsicht gestellt, beschränkt und untersagt werden." 7<br />

Einen derartigen Gesetzesvorbehalt enthält Art. 5 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht<br />

mehr. Aber Anklänge an den dort formulierten Grundgedanken finden sich später<br />

noch in der Vorschrift des Hessischen Universitätsgesetzes von 1974, das die<br />

Forscher verpflichtet, "die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis<br />

mitzubedenken" 8 , oder im Niedersächsischen Hochschulgesetz, das neben<br />

einer Berücksichtigung der gesellschaftlichen und ökologischen Folgen der Forschung<br />

auch die Ausrichtung auf friedliche Zwecke vorschreibt und eine Geheimhaltung<br />

von Forschungsergebnissen zu unterbinden versucht. 9<br />

Eine stärkere Sensibilisierung der Gesetzgebung für den Arbeits- und Umweltschutz<br />

in der Forschung ist im übrigen allerdings erst in jüngerer Zeit zu beobachten.<br />

Während noch im "Gesetz über gesundheitsschädliche oder feuergefährliche<br />

Arbeitsstoffe" von 1939 die Aufsicht über die Einhaltung der entsprechenden<br />

Vorschriften im staatlich organisierten Bereich - also auch in den Hochschulen -<br />

den vorgesetzten Dienstbehörden übertragen war, wurde dieses Privileg der ressortinternen<br />

'Selbstregulierung' erst mit der Neufassung der Gefahrstoffverordnung<br />

von 1987 vollständig aufgehoben. Seitdem sind alle Hochschulangehörigen<br />

den Arbeitnehmern gleichgestellt und unterliegen auch der<br />

6 Vgl. den programmatischen Titel 'Saints and Martyrs' (Hunter, The Lancet 1936).<br />

7 Deutscher Bundestag (Hrsg.): Der Parlamentarische Rat 1948-1949. Akten und Protokolle,<br />

Bd. 2, Boppard 1981, S. 581. In der Verfassung von Bremen heißt es noch heute in<br />

Art. 12: "Der Mensch steht höher als Technik und Maschine. Zum Schutz der menschlichen<br />

Persönlichkeit und des menschlichen Zusammenlebens kann durch Gesetz die Benutzung<br />

wissenschaftlicher Erfindungen und technischer Einrichtungen unter staatliche<br />

Aufsicht und Lenkung gestellt sowie beschränkt und untersagt werden."<br />

8 1978 hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechtskonformität von § 6 des Hess.<br />

UnivG festgestellt; vgl. Freundlich, Interpretation, 1984.<br />

9 Niedersächsisches Hochschulgesetz in der Fassung vom 21.1.1994, insbesondere § 4 Abs.<br />

6, §§ 27f.; vgl. Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 270ff.<br />

60


Aufsicht durch die allgemein zuständigen Behörden (Gewerbeaufsicht etc.). 10 Die<br />

Initiative zur Neuregelung ging von den wissenschaftlichen Fachverbänden, den<br />

Gewerkschaften und der chemischen Industrie aus. 11 Sie kam - im Unterschied<br />

zur Regulierung der Gentechnik - ohne größeres Medienecho zustande.<br />

3.2. Zur Geschichte der Gentechnikgesetzgebung<br />

3.2.1. Deutschland bis 1990<br />

Im Unterschied zu den USA wurden Sicherheitsfragen der Gentechnologie in<br />

Deutschland, und allgemein in Europa, erst spät zum Thema öffentlicher Debatten.<br />

Zwar hatte in Deutschland das Bundesministerium für Forschung und Technologie<br />

schon relativ früh, nämlich gegen Ende der 70er Jahre, einen Gesetzentwurf<br />

vorgelegt, mit dem die zuvor aus den USA übernommenen Sicherheitsrichtlinien<br />

auf eine allgemeinverbindliche Grundlage gestellt werden sollten. 12 Der<br />

Entwurf war jedoch am Widerstand von Forschung und Industrie gescheitert. 13<br />

Öffentliche Aufmerksamkeit, sowohl im konservativen wie im linksliberalen<br />

Spektrum, setzte erst ein, als ab 1982 auch in der Bundesrepublik die ersten 'Retortenbabys'<br />

zur Welt kamen. Mit dem Einzug der 'Grünen' in den Bundestag und<br />

auf Initiative der SPD-Fraktion wurde dann das Thema auf breiterer Basis diskutiert.<br />

Die vom Bundestag eingesetzte Enquête-Kommission schlug unter anderem<br />

vor, die Sicherheitsfragen der Gentechnologie im Rahmen einer Neufassung des<br />

Bundesseuchengesetzes zu regulieren und ein fünfjähriges Moratorium für die<br />

Freisetzung von transgenen Mikroorganismen zu statuieren. 14 Diese Vorschläge<br />

stießen erneut auf den Widerstand der Wissenschafts- und Industrieverbände<br />

sowie des Forschungsministeriums, das mittlerweile von der CDU geführt wurde<br />

und das nun an der auf freiwilliger Selbstbindung beruhenden Regelung durch die<br />

ZKBS-Richtlinien festhalten wollte.<br />

10 Sozialversicherungsrechtlich sind allerdings weiterhin die landeseigenen Unfallversicherungen<br />

und nicht die im Hinblick auf Überwachungsaufgaben weitaus fachkompetentere<br />

Berufsgenossenschaft Chemie zuständig.<br />

11 Universitätsabsolventen gelten im ersten Berufsjahr in der chemischen Industrie vielfach als<br />

'Sicherheitsrisiko' (Franfurter Allgemeine Zeitung vom 25.7.1990). Vgl. im übrigen Rinze,<br />

Gefahrstoffe, 1992; Köhler, Universität, 1987; Hamburger Behörde für Wissenschaft und<br />

Forschung, Bericht, 1990; Köhler/Schlichthörl, Arbeitssicherheit, 1986.<br />

12 Deutsch, Medizin, Mensch, Gesellschaft 1982.<br />

13 Vgl. im folgenden Gill, Gentechnik, 1991, S. 103ff.<br />

14 Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. XLVff.<br />

61


Unterdessen sollten die ersten gentechnischen Produktionsanlagen den Betrieb<br />

aufnehmen. Sie waren aber teilweise, insbesondere in Hessen, mit lokalem und<br />

überregionalem Widerstand aus der Öffentlichkeit konfrontiert. Entsprechend<br />

suchten die Länder nach einer spezifischen gesetzlichen Handhabe, um die Genehmigung<br />

der Anlagen juristisch abzusichern. Über den Bundesrat wurden zunächst<br />

Artikeländerungen in der Gefahrstoffverordnung, der Abwasserherkunftsverordnung<br />

und im Arzneimittelgesetz eingebracht. Durch die Erweiterung des<br />

Bundesimmissionsschutzgesetzes wurde für die Genehmigung von gentechnischen<br />

Produktionsanlagen eine öffentliche Anhörung erforderlich. Durch die<br />

Vielzahl der Einwendungen und anfängliche Überforderung der Zulassungsbehörden<br />

kamen die meisten Genehmigungsverfahren daraufhin praktisch zum Erliegen.<br />

Der Bau einer Produktionsanlage für Insulin der Firma Hoechst wurde schließlich<br />

vom Hessischen Verwaltungsgerichtshof vorübergehend gestoppt. Das Gericht<br />

argumentierte, daß Genehmigungen für eine so grundsätzliche und in die<br />

Rechte von Bürgern eingreifende Technologie nur auf spezialgesetzlicher Grundlage<br />

erfolgen könnte. 15 Unter dem Eindruck dieser Entscheidung wurde der Beratungsprozeß<br />

erheblich beschleunigt und das Gentechnikgesetz im Mai 1990 vom<br />

Bundesrat endgültig verabschiedet. 16<br />

Unterdessen war die Bundesregierung allerdings von der Empfehlung der Enquête-Kommission<br />

abgewichen, die Gentechnikregulierung in das Bundesseuchengesetz<br />

zu integrieren und dieses dann umzubenennen in "Gesetz zur Regelung<br />

der biologischen Sicherheit". 17 Damit hätte die später von Industrie und<br />

Wissenschaft vielfach beklagte 'Sonderbehandlung' der Gentechnik 18 vermieden<br />

werden können, zumal das Bundesseuchengesetz schon seit längerer Zeit, auch<br />

vor dem Hintergrund der Diskussion um die EG-Richtlinie zum "Schutz der Arbeitnehmer<br />

gegen Gefährdung durch biologische Arbeitsstoffe" (90/679), überarbeitet<br />

werden sollte. Man hätte also die Gentechnik zusammen mit anderen potentiell<br />

gefährlichen biologischen Substanzen und Methoden regulieren können.<br />

Schon 1988 hatte sich das Bundeskabinett geeinigt, den Vorschlag der Enquête-<br />

Kommission zu verwerfen, weil ein Gesetz, das ausschließlich auf die Vermeidung<br />

ansteckender Krankheiten wie z.B. AIDS ausgerichtet sei, negative Effekte<br />

auf die gesellschaftliche Akzeptanz der Gentechnik hervorrufen würde. 19<br />

15 VGH Kassel, NJW 1990, S. 336.<br />

16 Zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. auch Opfermann, ZG 1990, S. 31ff.<br />

17 Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. LIV.<br />

18 Vgl. oben, Kap. 2.3.2.<br />

19 Gottweis, Governing, 1995, S. 357 (G. zitiert die Bundestagsdrucksache 11/3908, S. 2).<br />

62


3.2.2. EG-Richtlinien 20<br />

Gegen Ende der 70er Jahre initiierte die Generaldirektion für Forschung und<br />

Technologie der EG-Kommission (DG XII) eine Rahmengesetzgebung für die<br />

Forschung mit gentechnischen Methoden. 21 Der gesetzgeberische Vorstoß wurde<br />

nach längerer Diskussion abgelehnt und endete zunächst in einer bloßen Empfehlung<br />

an die Mitgliedstaaten, Gentechniklabors auf freiwilliger Basis registrieren<br />

zu lassen. 22 Bemerkenswerterweise verlief die Entwicklung also zu diesem Zeitpunkt,<br />

sowohl im Hinblick auf die Ressortzuständigkeit als auch im Hinblick auf<br />

das Ergebnis der Initiative, ähnlich wie in der Bundesrepublik.<br />

Mitte der 80er Jahre, reagierend auf einen Bericht der OECD, 23 der vor allem<br />

die frühe US-amerikanische Diskussion um die Freisetzung von transgenen Organismen<br />

reflektierte, wurde von der EG-Kommission ein erneuter gesetzgeberischer<br />

Vorstoß unternommen, diesmal unter Federführung des Umweltressorts<br />

(DG XI). Allerdings negierte der OECD-Bericht, ausgehend von der 'wissenschaftlichen<br />

Basis' erkannter Risiken, den Bedarf für eine Gesetzgebung speziell<br />

zur Gentechnik. Dagegen wollte DG XI das für die Umweltpolitik auf EG-<br />

Ebene neu formulierte 'Precautionary principle' 24 , das eine gesetzliche Regulierung<br />

auch auf der Basis von Ungewißheit erlaubt, auf die Biotechnologie anwenden.<br />

Interessanterweise war dabei der Regulierungsfokus zunächst nicht auf die<br />

Gentechnik beschränkt, sondern sollte generell ökologisch potentiell problematische<br />

Organismen umfassen, gleichgültig ob sie exotischer Herkunft, konventionell<br />

gezüchtet oder mit biotechnologisch avancierteren Methoden hergestellt<br />

wären. 25 Dieser weite Regulierungsfokus hätte aber einen Eingriff in Zuständigkeitsbereiche<br />

des Landwirtschaftsressorts (DG VI) nach sich gezogen. Erst auf<br />

dessen Widerstand beschränkte DG XI den Regulierungsfokus auf transgene<br />

Organismen und zog sich nun auf die von Anbeginn an umstrittene Argumentation<br />

20 Die Entstehung der EG-Richtlinien 219/90 und 220/90 ist bisher noch nicht sehr breit<br />

aufgearbeitet worden. Vgl. im folgenden Gottweis, Governing, 1995, S. 420ff. sowie<br />

Shackley et al., Contending, 1993. Diese beiden unabhängig voneinander entstandenen<br />

Manuskripte sind im Tenor weitgehend gleichlautend. Wir danken den Autoren, daß sie<br />

uns die Manuskripte zur Verfügung gestellt haben.<br />

21 Shackley et al., Contending, 1993, S. 4.<br />

22 ABl. L 213, 21.7.1982, S. 15f.<br />

23 OECD, Recombinant, 1986.<br />

24 Die deutsche Übersetzung 'Vorsorgeprinzip' wäre hier mißverständlich, weil im Englischen<br />

(und auf EG-Ebene) zwischen 'Prevention' (Gefahrenabwehr und Vorsorge auf der Basis<br />

erkannter Risiken) und 'Precaution' (Vorsorge auf der Basis von Ungewißheit) unterschieden<br />

wird; vgl. oben, Kap. 1.1.<br />

25 Shackley et al., Contending, 1993, S. 13.<br />

63


zurück, daß mit der Gentechnik größere Ungewißheiten verbunden seien als mit<br />

traditionellen Züchtungsmethoden oder der Einführung nicht-einheimischer Organismen.<br />

26<br />

Das 'Precautionary principle' wurde aber - zu diesem Zeitpunkt - sowohl vom<br />

Landwirtschaftsressort als auch vom Industrieressort (DG III) mitgetragen, das<br />

vor allem an einer europaweiten Regulierung zur Entwicklung des gemeinsamen<br />

Marktes interessiert war. Aufgrund der öffentlichen Proteste in Deutschland,<br />

Dänemark und den Niederlanden war ohnehin mit nationalen Gesetzgebungen zu<br />

rechnen, die zu einer uneinheitlichen Regulierungssituation in der EG geführt<br />

hätten. Innerhalb der Kommission opponierte lediglich DG XII gegen diesen<br />

Ansatz und versuchte, an der von der OECD vorgegebenen Linie festzuhalten.<br />

Das Europaparlament versuchte auf Initiative von sozialdemokratischen und<br />

grünen Abgeordneten, die von der Kommission vorgelegten Entwürfe zu verschärfen.<br />

27 Ein von den tatsächlichen Konsequenzen her wenig bedeutsamer, aber<br />

symbolisch wichtiger Moratoriumsantrag war 1989 im Europaparlament nur<br />

knapp - mit 67 zu 68 Stimmen - gescheitert. 28 Die Verhandlungen zwischen den<br />

Mitgliedstaaten (im Ministerrat), der Kommission und dem Parlament gestalteten<br />

sich kompliziert. 29 Während Dänemark, Deutschland und die Niederlande für<br />

relativ strikte Richtlinien votierten, tendierten vor allem Frankreich und Großbritannien<br />

dazu, ihre Verabschiedung zu blockieren. Letztlich setzten sich aber die<br />

von DG XI Mitte der 80er Jahre entworfenen Gesetzgebungsvorschläge in einer<br />

im 'Hin und Her' der Verhandlungen sogar noch verschärften Fassung durch. 30<br />

3.2.3. Novellierung des Gentechnikgesetzes und der EG-Richtlinien<br />

Das deutsche Gentechnikgesetz und die EG-Richtlinien waren kaum in Kraft<br />

getreten, als bereits die ersten Initiativen einsetzten, die eine Lockerung oder<br />

Abschaffung der Vorschriften zum Ziel hatten.<br />

Infolge des Beitritts der ostdeutschen Länder, des allgemein wachsenden Interesses<br />

an der 'Standortfrage' und dem Scheitern der Grünen bei den Bundestagswahlen<br />

1990 hatten sich die Kräfteverhältnisse innerhalb kürzester Zeit<br />

geändert. Außerdem stieß das Gesetz nun auf breiten Widerstand, weil es aufgrund<br />

eines relativ raschen und strikten Vollzugs zumindest anfangs im For-<br />

26 Vgl. oben, Kap. 2.3.<br />

27 Lake, Project Appraisal 1991.<br />

28 Es wurde ein fünfjähriges Moratorium für die Vermarktung einiger - damals ohnehin noch<br />

nicht marktreifer - transgener Produkte gefordert (vgl. Dickman/Coles, Nature 1989, S.<br />

413).<br />

29 Eine sehr genaue Darstellung findet sich bei Gottweis, Governing, 1995, S. 420ff.<br />

30 Gottweis, Governing, 1995, S. 484.<br />

64


schungsalltag deutlich spürbar wurde. 31 In Deutschland formierten sich schon<br />

1991 die Wissenschafts- und Industrieverbände zu einer breiten öffentlichen<br />

Kampagne und beklagten eine mit der Implementation des Gentechnikgesetzes<br />

verbundene 'Überbürokratisierung'. Obwohl die empirische Evidenz zweifelhaft<br />

war, weil die angeführten Phänomene ebensogut als typische Anlaufschwierigkeiten<br />

bei der Umsetzung eines neuen und präzedenzlosen Gesetzes interpretiert<br />

werden konnten, gelang es diesen Verbänden, 1993 die Novellierung des Gesetzes<br />

und 1994 die Revision der wichtigsten Verordnung (GenTSV) durchzusetzen.<br />

Weitergehende Lockerungen, wie sie insbesondere mit der Abschaffung der<br />

Anmeldepflicht für Arbeiten der untersten Sicherheitsstufe (S 1) von den Regierungsfraktionen<br />

angestrebt wurden, schienen allerdings im Rahmen der EG-<br />

Richtlinien nicht möglich. Daher konzentrierten sich entsprechende Vorstöße der<br />

Bundesregierung auch auf die EG-Ebene. Dort haben sich die Kräfteverhältnisse<br />

mittlerweile ebenfalls stark verschoben: 32 Das Landwirtschafts- und das Industrieressort<br />

haben ihre Positionen geändert und versuchen nun, zu einer stärker am<br />

herkömmlichen Regulierungsschema ('vertikal' bzw. 'produktorientiert') orientierten<br />

und ausschließlich auf erkannte Risiken abzielenden Vorgehensweise zurückzukehren.<br />

33 Beeinflußt wird diese Haltung durch die Gründung der Senior Advisory<br />

Group on Biotechnology (SAGB), einer von den bisher bekannten Industrieverbänden<br />

unabhängigen Lobbyorganisation, in der ausschließlich Repräsentanten<br />

der großen transatlantisch operierenden Chemieunternehmen vertreten sind, 34 und<br />

durch eine ebenfalls zu Beginn der 90er Jahre in den USA auf den Weg gebrachte<br />

Deregulierungsinitiative. DG XI befindet sich seitdem in der Defensive. Entsprechend<br />

beklagte sich Jan Brinkhorst, der damalige Generaldirektor der DG XI<br />

schon 1991, als die Richtlinien gerade verbindlich wurden:<br />

"When industry was afraid it was going to be banned, it came to us and said 'Please<br />

pass a law to stop them from banning things'. Now that there's no danger of that,<br />

they are saying we don't really need the law at all." 35<br />

Nun versucht DG XI, durch eine Reihe von Anpassungen und Differenzierungen<br />

der Richtlinien, die mit den mittlerweile gewonnen Erfahrungen begründet werden,<br />

einer Beschneidung des Anwendungsbereichs - und ihrer Kompetenzen -<br />

zuvorzukommen.<br />

31 Vgl. unten, Kap. 7, insb. Kap. 7.6.3.<br />

32 Vgl. im folgenden Levidow et al., S&PP 1996; Levidow, Technology Analysis & Strategic<br />

Management 1994; Shackley et al., Contending, 1993.<br />

33 Vgl. oben, Kap. 2.3.2.<br />

34 Zur Vertretungsstruktur der biotechnologischen Industrie auf europäischer Ebene vgl. Ronit,<br />

Wirtschaftsverbände, 1997.<br />

35 zit. n. Balter, Science 1991, S. 1367.<br />

65


Es kann nicht verwundern, daß mit dem plötzlichen Wechsel der Regulierungsrichtung<br />

sowohl in der Bundesrepublik als auch auf EG-Ebene eine Reihe<br />

von Argumentationswidersprüchen auftreten. Während früher die Bundesregierung<br />

die Gesetzgebung einführte, um den gesellschaftlichen Konflikt um die Gentechnik<br />

zu überwinden, und offensichtlich ein Interesse daran hatte, die eigene<br />

Gesetzgebung auch auf EG-Ebene durchzusetzen, um Standortnachteile zu vermeiden,<br />

behauptet sie jetzt, die Gesetzgebung stigmatisiere die Gentechnik als<br />

'gefährlich' und führe deshalb zu Akzeptanz- und folglich Standortproblemen in<br />

der Bundesrepublik. 36 Während man also in Brüssel auf eine Lockerung der<br />

Richtlinien drängt, 37 erstaunt man die übrigen Europäer jedoch zugleich damit,<br />

daß man die bereits vorhandenen Spielräume in der eigenen Verwaltungspraxis<br />

allenfalls zögerlich ausschöpft. 38<br />

Offenbar ist also die ohnehin unorthodox anmutende Einschätzung, daß eine<br />

schärfere Regulierung zu Akzeptanzproblemen auf seiten der Öffentlichkeit führe,<br />

zumindest ambivalent. Die besondere Widersprüchlichkeit der deutschen Politik<br />

39 kontrastiert mit Erfahrungen in den meisten anderen EU-Ländern, in denen<br />

36 "In der Bundesrepublik ist man vertraut mit Problemen, die sich aus der mangelnden öffentlichen<br />

Akzeptanz dieser neuen Technik ergeben. Gerade daher sollte aber vermieden<br />

werden, unbegründete Ängste durch überzogene bürokratische Vorschriften scheinbar zu<br />

rechtfertigen." (Brief von G. Schubert, Bundesministerium für Gesundheit, an G. del Bino,<br />

seinerzeit zuständiger Abteilungsleiter der Biotechnologieabteilung der DG XI, vom<br />

2.5.1994 (GZ 375-407101/5).<br />

37 Schubert, EG-Recht, 1993; BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 264ff.<br />

38 Vgl. Kap. 8.5.2., S. 256f. Im übrigen steht dieser Forderung auch die 'Staatsraison' der EG<br />

entgegen, wie ein Beamter aus dem deutschen Gesundheitsministerium 1992 konstatiert:<br />

"Als Ergebnis dieser Diskussion ist wohl herausgekommen, daß die deutschen Bemühungen<br />

von Seiten der Industrie und der Forschung, die EG-Richtlinien zu ändern, mehrheitlich<br />

international nicht unterstützt werden. Acht Mitgliedstaaten haben bisher überhaupt<br />

keine Gesetze, mit denen sie die EG-Richtlinien umsetzen und die Mehrheit der Mitgliedstaaten<br />

war wohl der Meinung, daß man zuerst eine Mehrheit der Mitgliedstaaten dazu<br />

bringen sollte überhaupt umzusetzen, bevor man an eine Novellierung denken könne. Denn<br />

wenn man jetzt gleich novellieren würde, ohne daß national umgesetzt worden ist, würden<br />

sich die Mitgliedstaaten, die bisher noch keine nationale Regelungen gemacht haben, natürlich<br />

zurücklehnen und sagen: Was sollen wir jetzt ein Gesetz machen, wenn schon gleichzeitig<br />

novelliert wird?" (BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 267).<br />

39 Diese Widersprüchlichkeit wird auch deutlich an der Haltung Deutschlands zur Novel<br />

Food-Richtlinie. Der deutsche Gesundheitsminister setzte sich im Europäische Rat zuletzt<br />

für eine sehr weitgehende Kennzeichnungspflicht ein, nachdem diese von den deutschen<br />

Repräsentanten in den Verhandlungen zuvor vehement abgelehnt worden war.<br />

66


mittlerweile praktikable Kompromisse bei der Umsetzung der EG-Richtlinien<br />

gefunden wurden. 40<br />

3.2.4. Derzeitiger Stand der Regulierung außerhalb der EG<br />

Auch in anderen Industrieländern gibt es Gesetze, die die Forschung und Entwicklung<br />

mit gentechnischen Methoden betreffen. In den USA, dem 'Mutterland<br />

der Gentechnologie', ist die Forschung im Labor lediglich einer Selbstregulierung<br />

auf relativ formalisiertem Niveau unterworfen. Anders als die bundesdeutschen<br />

Verfahren der Selbstregulierung, die vor dem Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes<br />

biologische Sicherheit im gentechnischen Forschungsbetrieb<br />

garantieren sollten, 41 sind die US-amerikanischen Verfahren der Selbstregulierung<br />

in der Forschung stärker rechtsförmig organisiert. 42 Es existiert ein relativ<br />

umfassender und detaillierter Korpus von Normen, dessen Fortschreibung zum<br />

Teil unter der Ägide von staatlichen Behörden vollzogen wird. Das Verfahren der<br />

Normensetzung und Normenauslegung ist transparenter und stärker an der Vertretung<br />

und Berücksichtigung gesamtgesellschaftlicher Belange orientiert. Die<br />

Verfahren zur Kontrolle der externen Normen sind verbindlicher und nicht wie in<br />

Deutschland als kollegiale Beratung für den Versuchsleiter ausgelegt. Versuchsprotokolle<br />

müssen den zuständigen Kontrollgremien an den Universitäten und<br />

eventuell auch nationalen Ausschüssen vorgelegt werden; das Votum dieser Instanzen<br />

ist zu befolgen, andernfalls kann ein Sanktionsmechanismus 43 in Gang<br />

gesetzt werden.<br />

Man muß sich also darüber im klaren sein, daß mit 'Selbstregulierung' in den<br />

USA nicht die Effekte verbunden sind, die man sich hierzulande häufig pauschal<br />

von einer 'Deregulierung' verspricht: Der US-amerikanische Modus der 'Selbst're-<br />

40 Vgl. zur Umsetzung der in den Mitgliedsländern wenig umstrittenen System-Richtlinie<br />

(90/219), die den Umgang im Labor und in der Produktion regelt, DG XI, Summary, 1994.<br />

Zur Umsetzung der Freisetzungs-Richtlinie (90/220) vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996.<br />

41 Vgl. Gill, Gentechnik, 1991, S. 142ff., 247ff.<br />

42 Selbstregulative Verfahren der hier geschilderten Art werden in den USA außerdem zur<br />

Überwachung gentherapeutischer Versuche (vgl. unten, Kap. 9.1.1) und allgemein zur<br />

Kontrolle der Einhaltung von Ethik-Richtlinien bei medizinischen Menschenversuchen sowie<br />

zur Aufklärung von Betrug in der Forschung eingesetzt (vgl. United States General<br />

Accounting Office, Biotechnology, 1987; Bereano, STHV 1984; Levine, Ethics, 1988;<br />

Swazey/Scher, Whistleblowing, 1982; Stegemann-Boehl, Fehlverhalten, 1994).<br />

43 Bekanntwerdende Verstöße müssen dem Leiter der Wissenschaftsorganisation gemeldet<br />

werden, der arbeitsrechtliche Sanktionen erlassen kann. Der Leiter ist seinerseits verpflichtet,<br />

die Befolgung der nationalen Regularien zu garantieren. Andernfalls kann die zuständige<br />

staatliche Behörde (z.B. NIH) gegen die jeweilige Forschungsorganisation Sanktionen<br />

verhängen.<br />

67


gulierung ist ausgesprochen bürokratisch, konfliktträchtig und aufwendig, 44 auch<br />

wenn oder gerade weil er z.T. in Eigenregie und nicht von einer zentralisierten<br />

und professionellen Verwaltung durchgeführt wird. Da er mit Sanktionen für die<br />

Forscher bewehrt ist und im US-amerikanischen Recht auch ohne spezialgesetzliche<br />

Grundlage für interessierte Bürger und Verbände weitaus umfangreichere<br />

Klagemöglichkeiten gegeben sind, 45 muß er im Zweifelsfall auch einer gerichtlichen<br />

Nachprüfung standhalten.<br />

Allerdings ist zu konstatieren, daß das US-amerikanische Verfahren insofern<br />

flexibler ist, als es je nach öffentlichem Legitimationsbedarf kontinuierlich verschärft<br />

und auch relativ leicht wieder gelockert werden kann. Das mag auch der<br />

Grund sein, weshalb Gesetzesinitiativen zur Gentechnik in den USA noch stets<br />

abgewehrt werden konnten. 46 Dagegen stellte der Erlaß des Gentechnikgesetzes<br />

in Deutschland einen viel abrupteren Sprung im Regulierungsniveau gegenüber<br />

den vormals vollständig wissenschaftsinternen, aber öffentlich wenig legitimationsträchtigen<br />

Verfahren 'echter' Selbstregulierung dar.<br />

Für experimentelle Freisetzungen und die Marktzulassung gelten keine speziellen<br />

gentechnikspezifischen Vorschriften, 47 aber allgemein wird die Produktzulassung<br />

in den USA sehr restriktiv gehandhabt. 48 Auch ohne spezialgesetzliche<br />

Grundlage waren daher die ersten experimentellen Freisetzungen mit erheblichem<br />

bürokratischem Begründungsaufwand verbunden. 49 Gleiches gilt auch heute noch<br />

für das Inverkehrbringen transgener Produkte. Insbesondere die weitaus umfangreichere<br />

Produkthaftung in den USA - auch für sogenannte Entwicklungsrisiken 50<br />

- wird von den Herstellern als große Belastung aufgefaßt. 51<br />

In Japan wird der Umgang im Geschlossenen System relativ sorglos gehandhabt,<br />

während Freisetzungen dort mit erheblichen kulturellen Vorbehalten verbunden<br />

sind und bisher nur sehr zögerlich vorgenommen wurden. 52<br />

44 Hierzu auch Böhm, Prozeduralisierung, 1996, S. 201ff.<br />

45 Vgl. etwa Robbins, Public, 1995, S. 5ff. Vgl. demgegenüber zur Situation in Europa: Ormond,<br />

Access, 1995, S. 71ff.; sowie den Tagungsband von Führ/Roller, Participation,<br />

1991.<br />

46 Vgl. Krimsky, Genetic, 1982.<br />

47 Vgl. oben, Kap. 2.3.2.<br />

48 Das gilt insbesondere für die Zulassung von Arzneimitteln durch die Food and Drug Administration<br />

(FDA); die Zulassung für mit gentechnischen Methoden hergestellte Arzneimittel<br />

dauert in den USA bedeutend länger als in den Länder der EG (Bienz-Tadmor,<br />

Bio/Technology 1993).<br />

49 Krimsky, Biotechnics, S. 95ff.; vgl. außerdem unten, Kap. 8.3.<br />

50 Vgl. unten, Kap. 6.2.2.<br />

51 Zur Regulierungssituation in den USA insgesamt Hohmeyer et al., Internationale, 1994, S.<br />

49ff.; Mahro, RIW 1987.<br />

52 Hohmeyer et al., Internationale, 1994, S. 82ff.<br />

68


Die Verhandlungen um ein weltweit verbindliches Protokoll zur Biologischen<br />

Sicherheit, wie sie in der Nachfolge der Konferenz von Rio (1992) im Rahmen<br />

des Biodiversity-Abkommens geführt werden, sind noch nicht abgeschlossen. Die<br />

Entwicklungsländer, die kaum über eigene Kontrollkapazitäten verfügen und<br />

deren Territorien von Forschungsorganisationen aus den Industrieländern als<br />

Testgelände genutzt werden, 53 dringen auf ein solches Protokoll, die USA und<br />

andere Industrieländer leisten bisher zumindest hinhaltenden Widerstand. Parallel<br />

dazu werden von anderen internationalen Organisationen Anstrengungen unternommen,<br />

Sicherheitsfragen im Technologietransfer auf freiwilliger Basis oder<br />

durch bilaterale Abkommen zu regeln. 54<br />

53 Als Grund wird von den Firmen angegeben, daß sie mithilfe von Teststationen auf der<br />

Südhalbkugel das ganze Jahr über Freilandversuche durchführen können. In einem Fall<br />

kam es allerdings zu erheblichen Konflikten, als US-amerikanische Wissenschaftler in Argentinien<br />

einen Tollwutimpfstoff testeten, ohne die Behörden davon zu informieren (Palca,<br />

Nature 1988, S. 470).<br />

54 Plän, Süddeutsche Zeitung 1994; Leskien, Wechselwirkung 1996.<br />

69


Kapitel 4: Risikosteuerung der gentechnischen Forschung<br />

4.1. Problembeschreibung<br />

Fehlendes Erfahrungswissen über ihre Folgen ist der Forschung wesensgemäß.<br />

Forschung, die "als planmäßig-methodische, erfolgreiche oder nicht erfolgreiche<br />

Suche nach Erkenntnissen" 1 betrieben wird, verfügt nicht über den Erfahrungshorizont<br />

einer bestimmte Abläufe ständig wiederholenden Anwendung. Als<br />

Suche nach Erkenntnis kann Forschung begrifflich nicht schon die Erkenntnis<br />

voraussetzen, die sie zu gewinnen erwartet. Fehlendes Erfahrungswissen ist der<br />

Forschung also insofern inhärent, als sie Wissen gerade zu gewinnen sucht. 2<br />

So können etwa die Eigenschaften und das Verhalten der gentechnisch konstruierten<br />

Organismen erst nach ihrer Herstellung untersucht werden. 3 Allerdings<br />

sind die Grenzen zwischen Nichtwissen und entstehendem Erfahrungswissen im<br />

Bereich gentechnischer Forschung fließend. Mit einer wachsenden Zahl durchgeführter<br />

gentechnischer Experimente, etwa im Rahmen von Freisetzungsvorhaben,<br />

wird auch das (zumindest theoretisch) zur Verfügung stehende Erfahrungswissen<br />

über das Gefährdungspotential der eingesetzten Spender- und Empfängerorganismen<br />

und der erzeugten gentechnisch veränderten Organismen 4 steigen<br />

und somit auch in die Konstruktions- und Versuchsplanungen folgender gentechnischer<br />

Forschungsprojekte Eingang finden können. 5 Zudem ermöglichen<br />

interdisziplinär und weltweit vernetzte Wissenssysteme der gentechnischen Forschung,<br />

das Erfahrungswissen Dritter zu berücksichtigen. 6 Schließlich könnte<br />

auch der Übergang von der Grundlagenforschung zur Entwicklungs- bzw. Anwendungsforschung<br />

in einigen Bereichen der Gentechnik als Indiz für eine sich<br />

entwickelnde Wissensbasis verstanden werden.<br />

1 Denninger, Alternativkommentar zum Grundgesetz, 1989, Art. 5 Rn. 47; BVerfG, Bd. 35<br />

(1974), S. 79ff. (113): "alles, was nach Inhalt und Form als ernsthafter planmäßiger Versuch<br />

zur Ermittlung der Wahrheit anzusehen ist".<br />

2 Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 8f.<br />

3 Vgl. amtliche Begründung zu § 5 GenTSV, zit. nach Eberbach et al., Gentechnikrecht, § 5<br />

GenTSV Rn. 2.<br />

4 Vgl. § 4 ff GenTSV.<br />

5 Nichts anderes wird im übrigen auch für andere Bereiche der Genforschung, wie z.B. für<br />

die Gentherapie gelten.<br />

6 Auf diese Erfahrungsbasis verweisen z.B. Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung,<br />

1992, S. 86ff.<br />

70


Gentechnische Forschung muß demnach nicht nur das für das Sicherheitsniveau<br />

erforderliche Erfahrungswissen selbst generieren, sondern auch die Erfahrungswerte<br />

und Hypothesen Dritter heranziehen, bewerten und berücksichtigen.<br />

Jedoch wäre selbst eine statische Betrachtung derartiger Wissensgenerierungsprozesse<br />

unzureichend, da bei einem dynamisch verlaufenden Erkenntnisprozeß<br />

permanent neu entstandenes Wissen 7 ebenso wie seine Neubewertung<br />

zu berücksichtigen ist. Damit besteht jedoch für jedes gentechnische Forschungsprojekt<br />

ein mehr oder weniger starkes Maß an Ungewißheit über seine Schadenseignung<br />

und die jeweiligen Wirkungsketten. 8<br />

Das Gentechnikrecht muß somit eine Antwort auf zwei Fragen geben: Zum einen<br />

sind im Bereich 'erkannter' Risiken 9 Vorsorgemaßnahmen geboten. Insoweit<br />

bewegt man sich (rechtlich) auf durchaus bekanntem Terrain, was vor allem für<br />

die Arbeiten in geschlossenen Systemen gilt. 10 Das technische Sicherheitsrecht<br />

bietet seit langem ein Instrumentarium zum Umgang mit insbesondere anlagenbedingten<br />

Gefahren und Risiken, welches bereits für das Gentechnikrecht fruchtbar<br />

gemacht wurde. 11 Zum anderen, und dies ist die eigentlich neue Fragestellung,<br />

muß das Gentechnikrecht auf die Situation fehlenden Erfahrungswissens eine<br />

Antwort geben.<br />

4.2. Risikosteuerung unter Ungewißheitsbedingungen<br />

4.2.1. Krise der Steuerungsfähigkeit des Rechts?<br />

Nach verbreiteter Auffassung durchlebt das Recht insbesondere im Umwelt- und<br />

Technikbereich eine Krise der 'Steuerungsfähigkeit'. 12 Als empirischer Ausgangspunkt<br />

gilt das vielfach zitierte Implementations- und Wirkungsdefizit rechtlicher<br />

Regelungen. 13 Das klassische Instrumentarium des 'interventionistischen' oder<br />

auch 'regulativen' Rechts wird häufig als auslaufendes Modell thematisiert, das<br />

7 Ladeur, Prozeduralisierung, 1994, S. 329.<br />

8 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 495, insbesondere bei Freisetzungen und hinsichtlich des<br />

Entstehens pathogener Ausgangssubstanzen im Labor.<br />

9 Zur Differenzierung zwischen 'Risiken mit erkannter Gefahrenqualität' und 'Risiken ohne<br />

erkannte Gefahrenqualität' vgl. Bender, NJW 1979, S. 1426ff. und ders., DÖV 1980,<br />

S. 634ff.; Murswiek, Bewältigung., 1990, S. 212f.<br />

10 Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 8f.<br />

11 Dazu unten, Kap. 5.<br />

12 Vgl. z.B. die Beiträge in Grimm, Staatsaufgaben, 1990; Schuppert, Steuerung, 1993, S.<br />

75; zuletzt Deckert, ZRP 1995, S. 63ff.<br />

13 Mayntz, Vollzugsprobleme, 1978; dies., Regulative, 1979, S. 55ff.<br />

71


wiederum als Ausgangspunkt diverser analytischer und normativer rechtstheoretischer<br />

Bemühungen dient. 14 Mittlerweile hat die Debatte über die Steuerungsfähigkeit<br />

des Rechts, nach einigen theoretischen Vorarbeiten im Zuge der<br />

Diskussion über eine Reform des Umweltverwaltungsrechts 15 wie auch des allgemeinen<br />

Verwaltungsrechts 16 , allerdings eine konkretere, instrumentenbezogene<br />

Ebene erreicht. 17<br />

Ob tatsächlich der generelle Befund zutrifft, daß die Entwicklung der modernen<br />

Technik durch das Recht nicht gesteuert werden kann, 18 erscheint in dieser<br />

Allgemeinheit zweifelhaft. Eine Verallgemeinerung der Analyse singulärer Steuerungsdefizite<br />

erscheint ebenso unzulässig wie ein ungebrochener Steuerungsoptimismus,<br />

der auf die Wirksamkeit der traditionellen Mittel des Umweltverwaltungsrechts<br />

vertraut. Sinnvoller erscheint es demgegenüber, die Möglichkeiten<br />

und Grenzen einer rechtlichen Steuerung nach den spezifischen Eigenheiten<br />

der jeweiligen Technik und ihrer sozialen Anwendungsumgebung zu untersuchen.<br />

19 Ob und mit welchen rechtlichen Mitteln eine effektive Risikominimierung<br />

erreicht werden kann, ist deshalb bereichsspezifisch für das Untersuchungsfeld<br />

gentechnischer Forschung zu ermitteln.<br />

Bei der (gentechnischen) Forschung stößt jedoch das klassische Instrumentarium<br />

des Verwaltungsrechts an seine Leistungsgrenzen. Die traditionelle konditionale<br />

Normstruktur - wenn bestimmte Bedingungen erfüllt sind, dann ist eine<br />

bestimmte Entscheidung zu treffen 20 - erweist sich insbesondere bei der Lösung<br />

komplexer, dynamischer und in ihren Folgenwirkungen noch nicht überschaubarer<br />

Sachverhalte als unzureichend. Die Bedingung ('conditio'), mit der der Normgeber<br />

eine Entscheidung der Verwaltung 'programmiert', setzt klare und einfach strukturierte<br />

Sachverhalte voraus, deren Problematik im voraus auch programmierbar ist.<br />

Hypothesenbasierte Forschungsprozesse, die sich durch die Generierung des<br />

Wissens auszeichnen, mit dem ihre Konstrukte erst bewertet werden können, sind<br />

durch den Normgeber mangels verfügbaren Erfahrungswissens kaum program-<br />

14 Vgl. hier vor allem die Beiträge in der Jahresschrift für Rechtspolitologie unter dem Titel<br />

"Regulative Umweltpolitik" (1991) und "Postinterventionistisches Recht" (1990), mit Darstellungen<br />

über die Ansätze reflexiven, medialen und prozeduralen Rechts. Im übrigen<br />

Teubner, ARSP 1982, S.109ff.; zum prozeduralen Recht: ders., Entwicklung, 1982, S.<br />

38ff.; Sudhoff, Jahresschrift für Rechtspolitologie 1990, S. 53ff.<br />

15 Vgl. Koch, Umweltgesetzbuch, 1992.<br />

16 Hoffmann-Riem et al., Reform, 1993; Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann, Innovation,<br />

1994.<br />

17 Vgl. auch die verwaltungswissenschaftliche Untersuchung von König/Dose, Klassifikationsansätze,<br />

1993, S. 3ff.<br />

18 Vgl. dazu Wolf, Leviathan 1987, S. 357ff.<br />

19 Vgl. auch Mayntz, Steuerungsprobleme, 1987, S. 107.<br />

20 Luhmann, Rechtssoziologie, 1987, S. 227.<br />

72


mierbar. Schließlich zeichnet sich die gentechnische Forschung sowohl durch den<br />

Umgang mit erkannten als auch mit unbekannten Risiken aus.<br />

Bei hochkomplexen Entscheidungsprozessen ist es deshalb sinnvoller, starre<br />

konditionale Normen durch flexiblere, im Sinne einer Risikoaufklärung und -minimierung<br />

zielführende Bestimmungen zu ersetzen. 'Finales' Recht beschränkt sich<br />

gegenüber dem Rechtsanwender auf die Vorgabe eines bestimmten Ziels, überläßt<br />

diesem aber einen größeren Entscheidungsspielraum bei dessen Verwirklichung.<br />

Typisches Beispiel für eine solche finale Normstruktur sind die planungsrechtlichen<br />

Vorschriften des Öffentlichen Rechts. Sie sind vor allem durch Abwägungsspielräume<br />

der Verwaltung gekennzeichnet. Die planungsrechtliche Abwägungsentscheidung<br />

verarbeitet eine Vielzahl verschiedener, teils gegenläufiger<br />

Interessen und Belange und faßt sie schließlich zu einer Verwaltungsentscheidung<br />

zusammen. 21 Das Gentechnikrecht ist durch solche planerischen Entscheidungsstrukturen<br />

bislang zwar nicht gekennzeichnet. Allerdings hat die Rechtsprechung<br />

durch die Einräumung von Beurteilungsspielräumen der Genehmigungsbehörden<br />

bei der Risikoentscheidung bereits einen Schritt von der konditionalen<br />

Programmierung zu einer stärker final angelegten Entscheidung eröffnet.<br />

Darüber hinaus hat bereits de lege lata die Vorschrift des § 16 Abs. 1 Nr. 3<br />

GenTG einen stark planungsrechtlichen Einschlag durch Einräumung einer Risiko-Nutzen-Abwägung.<br />

Danach ist die Genehmigung einer Freisetzung daran<br />

gekoppelt, daß nach dem Stand der Wissenschaft "im Verhältnis zum Zweck der<br />

Freisetzung" keine unvertretbaren schädlichen Einwirkungen zu erwarten sind. 22<br />

Das geltende, auf die Gentechnik bezogene Instrumentarium ist, wie wir später<br />

näher darstellen werden, 23 bereits vielschichtig ausgerichtet. Das Gentechnikrecht<br />

enthält eine Mischung teils konditional, teils final programmierter Normen. Der<br />

Genehmigungstatbestand des § 13 GenTG beispielsweise ist formal konditional<br />

programmiert, aber in einzelnen Tatbestandsvoraussetzungen 'offen' für den Einbau<br />

des jeweils verfügbaren Sicherheitswissens formuliert. So muß nach § 13<br />

Abs. 1 Nr. 4 gewährleistet sein,<br />

"daß für die erforderliche Sicherheitsstufe die nach dem Stand der Wissenschaft und<br />

Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen sind und deshalb schädliche Einwirkungen<br />

auf die in § 1 Nr. 1 bezeichneten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind".<br />

Flexibel sind auch die in § 6 Abs. 1 GenTG geregelten Grundpflichten, wonach<br />

der Betreiber die Risiken nicht nur vorher umfassend zu bewerten, sondern, nach<br />

21 Vgl. Ladeur, Abwägung, 1984.<br />

22 Zweifelhaft ist allerdings, ob die Vorschrift EG-rechtskonform ist. Die Hinnahme von<br />

Gefahren ist jedenfalls unter keinen Umständen mit Nutzenerwägungen zu rechtfertigen;<br />

vgl. zu diesem Themenkomplex Führ, DVBl. 1991, S. 559ff.<br />

23 Vgl. unten, Kap. 5.<br />

73


der nunmehr erfolgten Änderung des Gentechnikgesetzes, diese Bewertung dem<br />

Stand der Wissenschaft auch fortlaufend anzupassen hat. 24<br />

Wie auch immer die rechtliche Programmierung gestaltet wird, bleibt jedoch<br />

das Verhältnis von Forschung und staatlicher Aufsicht ungleichzeitig und dissonant.<br />

Nicht nur die Eigengesetzlichkeiten einer auf ihre Autonomie - zumal im<br />

universitären Bereich - bedachten Forschung, sondern vor allem die unterschiedlichen<br />

Interessen, Wissensstrukturen und Handlungsrhythmen der universitären<br />

Forschung einerseits und der staatlichen Aufsicht andererseits lassen sich<br />

nur mit Mühe aufeinander abstimmen. Während industrielle Forschung zur Absicherung<br />

getätigter und geplanter Investitionen frühzeitige Abstimmungen mit den<br />

Behörden initiieren muß, sieht die universitäre Forschung durch staatliche Kontrollmaßnahmen<br />

ihre verfassungsrechtlich verbürgte Autonomie gefährdet. 25<br />

Konflikte zwischen Forschung und Aufsichtsbehörde sind jedoch nur ein Teil<br />

der Problematik. Letztlich ist die Verbesserung der behördlichen Aufsicht nur ein<br />

Steuerungsmittel. Das Ziel hingegen ist die effektive Risikoaufklärung und -minimierung<br />

gentechnischer Forschung. Das eigentliche Steuerungsproblem besteht<br />

demnach in der Generierung des hierfür erforderlichen Wissens sowie den daraus<br />

in den jeweiligen Entscheidungsstrukturen zu ziehenden Konsequenzen. 26 Ob<br />

dieses Ziel jedoch gerade im Bereich der Forschung durch eine primär behördlich<br />

veranlaßte Außensteuerung erreicht werden kann, ist fraglich.<br />

4.2.2. Selbststeuerung<br />

Vor dem Hintergrund der komplexen Strukturen gentechnischer Forschung und<br />

ihrer Wissensbestände erscheint als weitere Option für die Risikosteuerung der<br />

Forschung eine Stärkung der Selbststeuerung diskussionswürdig. 27 Für eine derartige<br />

Orientierung könnte die größere Problem- und Sachnähe der Forscher zu<br />

den von ihnen ausgelösten Risiken, die Möglichkeit einer flexiblen und risikoadäquaten<br />

Problembearbeitung und schließlich eine Entbürokratisierung der Kontrolle<br />

sprechen. 28 Zudem könnte eine Selbststeuerung an die zumindest im Bereich<br />

der Hochschulforschung bestehende Tradition der universitären Selbstverwaltung<br />

24 Vgl. unten, Kap. 6.3.1.<br />

25 Vgl. die Ergebnisse der empirischen Untersuchung, unten, Kap. 7.4.<br />

26 Zu diesem Problem vor allem Ladeur, Umweltrecht, 1995, S. 65ff., 77ff.<br />

27 Zur Option der Selbststeuerung als Ausweg aus der regulativen Krise des Rechts vgl. z.B.<br />

Teubner, Verrechtlichung, 1984, S. 333ff.; Fuchs/Rucht, Jahresschrift für Rechtspolitologie<br />

1988, S. 183ff.; Schuppert, AöR 1989, S. 141ff.<br />

28 Vgl. die hier und im folgenden modellhaft skizzierten Vor- und Nachteile einer Selbststeuerung<br />

bei Fuchs/Rucht, Jahresschrift für Rechtspolitologie 1988, S. 173; Schuppert,<br />

Steuerung, 1993, S. 87f.<br />

74


anknüpfen. Andererseits steht diesen denkbaren Vorteilen die wahrscheinliche<br />

Dominanz der forschungsinternen Rationalitätskriterien, die fehlende externe<br />

Kontrolle und die fehlende Verbindlichkeit von Sicherheitsstandards gegenüber<br />

Dritten entgegen.<br />

Schließlich ist festzustellen, daß die in der Literatur angeführten Beispiele einer<br />

Selbststeuerung zumeist gerade nicht die Fälle konfligierender Entfaltungsund<br />

Schutzinteressen im Bereich des Risiko-Umweltrechts erfassen, 29 die möglicherweise<br />

aus gesellschaftspolitischen, aber vor allem auch verfassungsrechtlichen<br />

Gründen eines stärkeren staatlichen Ausgleichs bedürfen. 30<br />

Gleichwohl ist die Stärkung der Selbstverantwortung sinnvoll, wo immer dies<br />

möglich und erfolgversprechend ist. Dabei sollte die Intention im Vordergrund<br />

stehen, Selbststeuerungspotentiale des jeweiligen Anwendungsbereichs für die<br />

Verwirklichung der Steuerungsziele nutzbar zu machen. 31<br />

Vor diesem Hintergrund ist eine schematische Alternative von staatlicher Steuerung<br />

versus Selbststeuerung unzureichend. Ohnehin ist gegenüber der einseitigen<br />

Betonung von Selbststeuerungsmechanismen den jeweiligen tatsächlichen und<br />

rechtlichen Rahmenbedingungen stärkere Beachtung zu schenken, die die Integration<br />

von Selbststeuerungspotentialen in ein umfassendes Risikoaufklärungs- und -<br />

minimierungskonzept ermöglichen. 32<br />

Erforderlich ist es also, Steuerungsinstrumente im Hinblick auf ihre diesbezügliche<br />

Leistungsfähigkeit zu untersuchen. 33 Dabei ist denjenigen Instrumentarien<br />

und Regelungsmechanismen, die die Verantwortung der Forschung für die<br />

29 Schimank/Glagow, Formen, 1984, S. 14ff., differenzieren drei Arten von nicht-etatistischer<br />

Selbststeuerung: Subsidiarität als staatlich gewährte Selbststeuerung der Sozialpolitik,<br />

wahrgenommen durch die freien Träger der Wohlfahrtverbände, Delegation als staatlich<br />

verordnete gesellschaftliche Selbststeuerung im Bereich der wirtschaftlichen oder berufsständischen<br />

Selbstverwaltung, und schließlich Korporatismus als ausgehandelte gesellschaftliche<br />

Selbststeuerung für die wirtschaftliche oder gesundheitspolitische Globalsteuerung<br />

in Form Konzertierter Aktionen.<br />

Demgegenüber beziehen sich lediglich Fuchs/Rucht, Jahresschrift für Rechtspolitologie<br />

1988, als Beispiel auf Sicherheitsrichtlinien, die von der Wissenschaft selbst verfaßt sind.<br />

30 Siehe unten, Kap. 5.<br />

31 Vgl. Schuppert, Steuerung, 1993, S. 88.<br />

32 In der Sprache der Systemtheorie wird eine solche Regelungsstrategie, die Rahmenrecht<br />

und Selbststeuerung zu verbinden sucht, als "Konditionierung von Selbststeuerung" bezeichnet<br />

(Willke, Kontextsteuerung, 1987, S. 12). Vgl. auch Deckert, ZRP 1995, S. 68.<br />

33 Unten, Kap. 5 und 6.<br />

75


Aufklärung und Minimierung von Risiken stärken, besondere Beachtung zu<br />

schenken. 34<br />

4.2.3. Die rechtliche Bewältigung des gentechnischen Risikos<br />

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Recht der Gentechnik in besonderem<br />

Maße durch den Umgang mit 'Risiken' und 'Ungewißheiten' geprägt ist. 35<br />

Soweit bekannte Risikosituationen zu bewältigen sind ('erfahrungsbasierte Vorsorge'<br />

36 ), bietet das Gentechnikgesetz durchaus ein ansehnliches Arsenal an Instrumenten<br />

der Risikovorsorge, deren weitere Verbesserung zwar sinnvoll erscheint,<br />

die aber keiner grundsätzlichen Neuausrichtung bedürfen. Das eigentliche<br />

Problem liegt in der rechtlichen Steuerung solcher Situationen, die einer Risikoprognose<br />

kaum zugänglich sind, weil das hierfür erforderliche Erfahrungswissen<br />

(noch) nicht besteht. Die Frage, ob und in welchem Umfang das Recht in diesen<br />

Fällen zur Generierung neuen Wissens und damit letztlich zur weiteren Risikominimierung<br />

beitragen kann, ist jedoch ohne Berücksichtigung der bestehenden<br />

Risikovorsorgekonzepte im Bereich der 'erkannten' Risiken nicht zu beantworten.<br />

4.2.3.1. Gefahrenabwehr<br />

Die rechtliche Verankerung einer 'Risikovorsorge' ist - rechtshistorisch betrachtet<br />

- eine neue Erscheinung. Traditionell ist das Recht auf den Umgang mit 'Gefahren',<br />

nicht aber mit Risiken eingestellt. Die rechtliche Bedeutung der Begriffe<br />

'Gefahr' und 'Risiko' unterscheidet sich von sozialwissenschaftlichen 37 und naturwissenschaftlichen<br />

38 Begriffsbestimmungen.<br />

Während die klassische Definition des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs auf<br />

eine lange Tradition zurückblicken kann und in ihren wesentlichen Grundelementen<br />

bereits durch die Rechtsprechung des Preußischen Oberverwaltungsgerichts<br />

determiniert wurde, 39 herrscht über die rechtliche Verortung des<br />

Risikobegriffs nach wie vor Unklarheit.<br />

34 Ladeur, Umweltrecht, 1995, S. 77, spricht z.B. davon, daß Ungewißheit ein äußerst vielgestaltiges<br />

Phänomen sei, "das eine proaktive strategische Gestaltung verlangt, für die<br />

neue Formen der Prozeduralisierung gefunden werden müssen".<br />

35 Vgl. auch: Nicklisch, NJW 1986, S. 2287ff.; Ladeur, NuR 1987, S. 60ff.; Richter, Gentechnologie,<br />

1989.<br />

36 Vgl. oben, Kap. 1.<br />

37 Vgl. oben, Kap. 1.3.<br />

38 Speziell für die Gentechnik: Sinemus, Risikoanalyse, 1995, S. 92.<br />

39 Erstmals in der 'Kreuzbergentscheidung' PrOVG, Bd. 9 (1882), S. 353ff. und seitdem<br />

ständige Rechtsprechung: PrOVG, Bd. 77 (1922), S. 333ff. (338); PrOVG, Bd. 87<br />

(1932), S. 301ff. (310).<br />

76


Die beiden konstitutiven Merkmale des rechtlichen Gefahrenbegriffs sind der<br />

Schaden einerseits und die Wahrscheinlichkeit seines Eintritts andererseits. Bereits<br />

das Preußische Oberverwaltungsgericht hat den Begriff der Gefahr im polizeirechtlichen<br />

Sinne beschrieben als eine die erkennbare objektive Möglichkeit<br />

eines Schadens enthaltende Sachlage, der nach verständigem Ermessen vorzubeugen<br />

sei. 40 Im wesentlichen wird das allgemeine Polizei- und Gefahrenabwehrrecht<br />

noch heute von dieser Begriffsbestimmung geprägt. 41 Diese Grundstruktur<br />

des Gefahrenbegriffs hat schließlich auch in das technische Sicherheitsrecht,<br />

zunächst in das Atomrecht 42 und später auch in das Gentechnikrecht,<br />

Eingang gefunden. 43 Dabei wurden freilich gewisse Modifikationen notwendig:<br />

Die erforderliche Prognosebasis für die Entscheidung über das Vorliegen<br />

einer Gefahr konnte nicht mehr die Erfahrung des 'Durchschnittspolizeibeamten'<br />

abgeben. An deren Stelle trat der Steuerungsmaßstab des 'Standes von Wissenschaft<br />

und Technik'. 44 Auf diese Weise wurde die wissenschaftliche Erkenntnis<br />

zum 'Einfallstor' für behördliche Prognoseentscheidungen. 45<br />

Als zentrale Frage des technischen Sicherheitsrechts wurde und wird dabei<br />

stets die Bestimmung der Grenze der noch abzuwehrenden Gefahr bzw. der vorsorgebedürftigen<br />

von den hinzunehmenden Risiken 46 diskutiert: Wie sicher ist<br />

sicher genug? 47<br />

Zur Lösung werden verschiedene 'Formeln' angeboten. Die 'Je-desto-Formel'<br />

verknüpft die beiden Elemente des Gefahrenbegriffs: Je geringer der zu erwartende<br />

Schaden ist, um so höher muß der Wahrscheinlichkeitsgrad für dessen<br />

Eintritt sein; umgekehrt reicht bei befürchteten erheblichen Schäden eine geringe<br />

Eintrittswahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer Gefahr aus. Demgegenüber<br />

versucht der 'Standard der praktischen Vernunft' eine von Wahrscheinlichkeitsbetrachtungen<br />

weitgehend unabhängige, auf den Erkenntnisstand "der führenden<br />

40 PrOVG, Bd. 77 (1922), S. 333ff. (338).<br />

41 Drews et al., Gefahrenabwehr, 1986, S. 223, ausführlich zum Schadensbegriff: Hansen-<br />

Dix, Gefahr, 1982, S. 23ff.; Denninger, Polizeiaufgaben, 1992, Kap. E, Rn. 29ff.<br />

42 Ausführlich zur Rezeption des polizeirechtlichen Gefahrenbegriffs im Atomrecht: Steinberg/Roller,<br />

Schadensvorsorge, 1991, S. 14ff.<br />

43 Breuer, NuR 1994, S. 159, verweist ausdrücklich auf das Vorbild der Kerntechnik.<br />

44 Vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 4 GenTG, 16 Abs. 1 Nr. 2 GenTG, aber auch schon § 7 Abs. 2 Nr. 3<br />

AtG.<br />

45 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 7 GenTSV, Rn. 52.<br />

46 Je nach dem, ob man die risikosteuernden Tatbestände (etwa § 7 Abs. 2 Nr. 3 AtG) als<br />

'eingliedrige' oder 'zweigliedrige' Vorsorgetatbestände ansieht, geht es auch um die Grenzbestimmung<br />

von Gefahrenabwehr - Vorsorge - Restrisiko. Zu diesen Differenzierungen<br />

vgl. ausführlich: Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 19ff.<br />

47 Roßnagel, UPR 1986, S. 46.<br />

77


Naturwissenschaftler und Techniker" gegründetes Schadensausschlußpostulat zu<br />

treffen, jenseits dessen eine rechtlich beachtliche Gefahr nicht mehr besteht. 48<br />

4.2.3.2. Risikovorsorge<br />

Neben diesem auch im Gentechnikrecht rezipierten Gefahrenbegriff tritt im technischen<br />

Sicherheitsrecht die Risikovorsorge als eigenständige Kategorie in Erscheinung.<br />

Im Gentechnikgesetz ist erstmals der Begriff des Risikos gesetzlich<br />

verankert worden, ohne daß allerdings eine Begriffsbestimmung erfolgt. 49 Nach<br />

§ 6 Abs. 1 S. 2 hat der Betreiber einer Anlage, einer Freisetzung oder derjenige,<br />

der transgene Organismen in Verkehr bringt, "die damit verbundenen Risiken<br />

vorher umfassend zu bewerten." Auch die Sicherheitseinstufung nach § 7 GenTG<br />

erfolgt nach Risikoklassen.<br />

Nachdem anfangs über die rechtliche Bedeutung des Begriffs Unsicherheit bestand,<br />

hat sich heute wohl die Auffassung durchgesetzt, daß ein Risiko weniger<br />

ein qualitatives als vielmehr ein quantitatives aliud zur Gefahr darstellt: Ein Risiko<br />

besteht unterhalb der 'Schwelle' der Gefahr und beschreibt die bloße Möglichkeit<br />

des Schadenseintritts. Ein Risiko ist also zum einen dann anzunehmen, wenn<br />

die Eintrittswahrscheinlichkeit von Schäden so gering ist, daß dieses Risiko als<br />

unterhalb der Gefahrenschwelle liegend bewertet wird. 50 Es handelt sich somit<br />

um erkannte Risiken und korrespondiert mit dem Bereich, den wir aus soziologischer<br />

Perspektive als 'erfahrungsbasierte Vorsorge' bezeichnet haben.<br />

Mit dieser Begriffsbestimmung wird die Problematik jedoch nicht vollständig<br />

erfaßt. Ein Risiko besteht auch dann, wenn aufgrund fehlenden Erfahrungswissens<br />

eine Wahrscheinlichkeitsprognose nicht getroffen werden kann, gleichwohl<br />

aber ein "Besorgnispotential" 51 besteht. Der rechtliche Umgang mit diesen Besorgnispotentialen<br />

und die Rationalisierung der ohne ausreichende Prognosegrundlage<br />

zu treffenden Entscheidung ist das heute vor allem zu bewältigende<br />

Problem. Risikovorsorge erfordert somit vor allem die Bewältigung der Ungewißheit<br />

bei der Risikoprognose. Damit ist typischerweise das Risiko der Fehleinschätzung<br />

des Risikos verbunden. 52<br />

48 Breuer, DVBl. 1978, S. 836f. Ähnlich, wenngleich zur Bestimmung der 'Restrisikogrenze',<br />

das Bundesverfassungsgericht in der Kalkar-Entscheidung, BVerfG, Bd. 49 (1979), S.<br />

89ff. (137, 143), hierzu auch Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 20f.<br />

49 Kritisch: Scherzberg, VerwArch 1993, S. 498.<br />

50 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 2 Rn. 17; Kritisch aber Bechmann, KritV 1991, S. 214f.<br />

Vgl. zur Überschneidung mit dem Begriff des Gefahrenverdachts auch Di Fabio: Risikoentscheidungen,<br />

1994, S. 106.<br />

51 BVerwG, Bd. 72 (1986), S. 300ff. (315); vgl. hierzu: Steinberg/Roller, Schadensvorsorge,<br />

1991, S. 27ff.<br />

52 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 498 m.w.N.<br />

78


Das Recht knüpft nach verbreiteter Auffassung an das Vorliegen einer Gefahr<br />

oder eines Risikos unterschiedliche Rechtsfolgen. Während Gefahren, jedenfalls<br />

im technischen Sicherheitsrecht, bei drohenden erheblichen Schäden (Leben und<br />

Gesundheit) 'kategorisch' ausgeschlossen werden müssen, soll die Risikovorsorge<br />

nur nach Maßgabe von Verhältnismäßigkeitserwägungen erfolgen. 53 Jenseits der<br />

Grenze 'praktischer Vernunft' und der "Grenzen des menschlichen Erkenntnisvermögens"<br />

54 beginnt der Bereich des sogenannten 'Restrisikos', welches hinzunehmen<br />

ist und gegen das keine Sicherheitsmaßnahmen ergriffen werden müssen. 55<br />

Ob das Gentechnikgesetz die Abschichtung zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge<br />

mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen ebenfalls aufgegriffen<br />

hat, erscheint aber durchaus zweifelhaft. Zu Recht weisen Wahl/Appel darauf hin,<br />

daß die in § 6 Abs. 2 GenTG enthaltene und an das herkömmliche Modell anknüpfende<br />

terminologische Unterscheidung von Gefahrenabwehr und Risikovorsorge<br />

vom Gesetz in den übrigen Vorschriften nicht mehr aufgegriffen wird. 56<br />

Insbesondere die Einstufung der verschiedenen Risikoklassen in § 7 Abs. 1<br />

GenTG läßt eine derartige Differenzierung nicht erkennen, die auch praktisch auf<br />

erhebliche Probleme stoßen würde angesichts des fließend ineinander übergehenden<br />

Risikopotentials. Wo Gefahren enden und Risiken bzw. Restrisiken beginnen,<br />

dürfte nämlich in der Gentechnik noch erheblich schwerer auszumachen sein<br />

als in anderen technischen Bereichen. Dies spricht dafür, die gentechnische Risikovorsorge<br />

als einheitliche Vorsorge zu begreifen, die insbesondere auch umfassenden<br />

Drittschutz vermittelt.<br />

Die gentechnische Risikovorsorge nimmt somit nicht nur bereits erkannte Risiken<br />

in Bezug, sondern verlagert den Vorsorgebereich ein erhebliches Stück ins<br />

Ungewisse hinein. Damit ist der Bereich, den wir als 'ungewißheitsbasierte Vorsorge'<br />

bezeichnet haben, 57 auch aus der rechtlichen Perspektive beachtlich. Dies<br />

gilt im übrigen auch dann, wenn man eine einheitliche Betrachtungsweise des<br />

Vorsorgetatbestandes ablehnt und zwischen Gefahrenabwehr und Risikovorsorge<br />

differenzieren wollte.<br />

Die rechtlichen Folgen des Vorsorgegebots wurden aus der atomrechtlichen<br />

Judikatur entwickelt und auf das Gentechnikrecht übertragen:<br />

"Vorsorgemaßnahmen müssen auch solche Schadensmöglichkeiten in Betracht ziehen,<br />

die sich nur deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wis-<br />

53 Breuer, DVBl. 1978, S. 836f.; Marburger, Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, 1983, S. 63.<br />

Kritisch zu dieser Konzeption für die atomrechtliche Risikovorsorge: Steinberg/Roller,<br />

Schadensvorsorge, 1991, S. 57ff.<br />

54 Zur Widersprüchlichkeit der Abgrenzungsformel vgl. Roßnagel, NVwZ 1984, S. 141.<br />

55 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 25ff.<br />

56 Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 104ff.<br />

57 Vgl. zur Erläuterung dieser Terminologie oben, Kap. 1.<br />

79


sensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden<br />

können und daher ein 'Besorgnispotential' oder ein Gefahrenverdacht besteht ... ." 58<br />

Die Übertragung der atomrechtlichen Judikatur mit ihrer Emanzipation der atomrechtlichen<br />

Schadensvorsorge vom polizeirechtlichen Gefahrenbegriff und der<br />

damit verbundenen Sensibilisierung für bloß 'hypothetische' Risiken bedeutet, daß<br />

auch der Betreiber gentechnischer Anlagen gegen unterhalb der Gefahrenschwelle<br />

angesiedelte Risiken Vorsorge zu treffen hat. 59 Die Vorsorgepflicht ist somit auch<br />

ein spezifisches Instrument des Rechts, um dem Ungewissen in Wissenschaft und<br />

Technik Rechnung zu tragen. 60<br />

Damit ist die Risikovorsorgepflicht eine rechtliche Reaktion auf die Tatsache,<br />

daß Kenntnisse über schädliche Wirkungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

nicht ausreichend vorhanden sind. 61 Die Risikoprognose muß freilich wissenschaftlich<br />

substantiiert sein, bloße Spekulationen genügen nicht. Dies bedeutet im<br />

Ergebnis, daß Vorsorgemaßnahmen auch dann schon geboten sein können, wenn<br />

eine quantifizierbare Wahrscheinlichkeitsaussage über den Schadenseintritt nicht<br />

möglich ist oder wenn Kausalverläufe nicht ausreichend bestimmbar sind. Das<br />

Gentechnikgesetz verlangt somit von seiner Zielrichtung her auch Vorsorge gegen<br />

'hypothetische' Risiken. 62<br />

Einzuräumen ist allerdings, daß die praktische Umsetzung dieses im Gentechnikgesetz<br />

verankerten Prinzips ungewißheitsbasierter Vorsorge erhebliche<br />

Schwierigkeiten bereitet. 63<br />

4.2.3.3. Restrisiko<br />

Auch bei einer weitgefaßten Risikovorsorgepflicht, die sich der Begrenztheit<br />

ihres jeweiligen Erkenntnisstandes bewußt ist, ist es letztlich notwendig, über das<br />

Tun oder Unterlassen einer risikobehafteten Tätigkeit eine Entscheidung zu treffen.<br />

Der nach Vornahme aller Vorsorgemaßnahmen verbleibende Risikobereich<br />

58 VG Hamburg, Beschl. vom 30.7.1994 - 10 VG 1152/94 - ZUR 1994, S. 322ff. Diese Vorsorge<br />

vermittelt, wie im Atomrecht, auch Drittschutz, so bereits VG Neustadt, Beschl.<br />

vom 16.12.1991 - 7 L 1319/91 - NVwZ 1992, S. 1008 (insb. 1011); VG Gießen, Beschl.<br />

vom 2.9.1992 - I/1 H 193/91 - NVwZ-RR 1993, S. 534 (537 l. Sp.); Hirsch/Schmidt-<br />

Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 13 Rn. 76.<br />

59 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rn. 16.<br />

60 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rn. 16 unter Hinweis auf Nicklisch, NJW 1986,<br />

S. 2290; Graf Vitzthum/Steinacher-Geddert, Standortgefährdung, 1992, S. 81.<br />

61 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, § 6 Rn. 17.<br />

62 Hypothetische Risiken umfassen hypothetische Kausalverläufe, für deren Möglichkeit es<br />

(noch) keinen empirischen Beweis gibt; Murswiek, Bewältigung, 1990, S. 213;<br />

Wahl/Masing, JZ 1990, S. 560.<br />

63 Vgl. unten, Kap. 7.6.2.<br />

80


wird gemeinhin als 'Restrisiko' bezeichnet. 64 Dieser Bereich ist, wie gezeigt, nicht<br />

mit den 'hypothetischen' Risiken identisch. 65 Die Aufgabe des Rechts ist es folglich,<br />

Entscheidungsstrukturen zur Verfügung zu stellen, um angesichts defizitärer<br />

Kenntnisse das hinnehmbare vom nicht hinnehmbaren Risiko abzugrenzen.<br />

Auf diese Problemlage gibt das geltende Recht jedoch nur eine ungenügende<br />

Antwort. Das grundlegende Sicherheitsproblem der Gentechnik besteht weniger<br />

in der zuverlässigen Eindämmung und Kontrolle bekannter Gefahren, als in der<br />

Bewertung der Erfahrungsbasis 66 und der sich daran anschließenden Entscheidung<br />

über die Zulassung oder Nicht-Zulassung eines bestimmten Vorhabens vor<br />

dem Hintergrund vorhandenen, aber eben beschränkten Wissens. Daher bedarf es<br />

solcher Vorsorgeinstrumente, die weniger entscheidungsfixiert sind als vielmehr<br />

dem prozeßhaften Charakter der Wissensentwicklung Rechnung tragen. Deshalb<br />

rückt die Frage nach solchen Instrumenten in den Vordergrund, die Anreize zur<br />

Wissenserzeugung schaffen. Die Steuerungsziele der Risikoerforschung und Risikokommunikation<br />

gewinnen damit gegenüber den Zielen der Risikoermittlung<br />

und Risikobewertung eine eigenständige Bedeutung. 67 Es stellt sich darüber hinaus<br />

die Frage, ob die 'Sozialädaquanz' des Restrisikos einfach vorausgesetzt werden<br />

kann, oder ob sie durch möglichst breite demokratische Zustimmung der<br />

potentiell Betroffenen erst herzustellen ist.<br />

4.3. Rechtliche Steuerung als Risikomanagement<br />

Soweit es im Bereich gentechnischer Forschung an dem erforderlichen (Erfahrungs-)Wissen<br />

fehlt, um Wahrscheinlichkeit und Schadenseintritt bestimmen und<br />

dementsprechende Vorsorgemaßnahmen anordnen zu können, steht zunächst<br />

einmal die Frage nach der Generierung des erforderlichen Wissens im Vordergrund.<br />

Bei erkannten Risiken liegt das Steuerungsziel in der Minimierung des<br />

64 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (137, 141, 143); BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (59).<br />

65 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 84, differenzieren danach,<br />

ob die Ungewißheit auf fehlende Erkenntnismöglichkeiten oder auf mangelnde Erfahrung<br />

zurückzuführen ist. Im letzteren Fall soll sie dem Vorsorgebereich zuzuordnen<br />

sein. Diese Differenzierung dürfte allerdings mehr Fragen aufwerfen, als sie zu beantworten<br />

im Stande ist.<br />

66 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 86.<br />

67 Dazu unten, Kap. 4.3.4.<br />

81


Risikos. Beide Aspekte lassen sich am besten mit dem allgemeinen Steuerungsziel<br />

eines effizienten Risikomanagements umschreiben: 68<br />

"Verfahren des Risikomanagements haben den experimentellen Charakter des Umgangs<br />

mit gefahrengeneigten Technologien zu verarbeiten und die Lernfähigkeit des<br />

im Einzelfall zur Entscheidung berufenen Organs sicherzustellen". 69<br />

Dieses Ziel läßt sich nach einzelnen Funktionen, die erfüllt werden müssen, näher<br />

differenzieren. Diese Unterziele lassen sich allerdings nicht trennscharf voneinander<br />

unterscheiden, vielmehr sind die Übergänge fließend. Gleichwohl ist eine<br />

Differenzierung sinnvoll, um die vielschichtigen Facetten der Risikosteuerung zu<br />

erfassen und auf ihre Tauglichkeit überprüfen zu können.<br />

Die Steuerungsziele präjudizieren noch nicht die Mittel, mit denen sie zu erreichen<br />

sind. Ob das staatliche Ordnungsrecht, ökonomische oder selbstregulative<br />

Instrumente zur Zielerfüllung besser geeignet sind und welche Instrumente das<br />

geltende Recht insoweit bereits vorsieht, ist Gegenstand des 5. und 6. Kapitels.<br />

4.3.1. Risikoermittlung<br />

Risikosteuerung setzt zunächst voraus, daß das Risiko bekannt ist, dessen Beherrschung<br />

erreicht werden soll. Die Risikoermittlung im hier verstandenen Sinn<br />

ist ein Steuerungsziel im Bereich erkannter oder treffender: erkennbarer Risiken.<br />

Um ein Risiko ermitteln zu können, bedarf es ausreichenden Wissens und geeigneter<br />

Methoden. Inhalt der Risikoermittlung ist die Erhebung aller relevanten bekannten<br />

Informationen und Sachverhalte, die den Anwender (Forscher) oder Entscheidungsträger<br />

(beispielsweise die Behörde) in die Lage versetzen, eine rational<br />

begründbare Entscheidung zu treffen. 70<br />

Im Bereich der Kernenergie haben sich - unterhalb des gesetzlichen Normengeflechts<br />

- bestimmte Risikoermittlungs- und -bewertungsmethoden herausgebildet,<br />

die dort als 'Sicherheitsphilosophien' bezeichnet werden. Im folgenden wird diese<br />

überhöhende Begrifflichkeit jedoch nicht übernommen, sondern, sachlich zutreffender,<br />

von Risikoermittlungsmethoden gesprochen, wobei die Grenze zur Bewertung<br />

fließend ist, da wertende Elemente in jeden Versuch der Risikoermittlung<br />

eingehen.<br />

68 Vgl. zum Risikomanagement auch Scherzberg, VerwArch 1993, S. 499; Ladeur, NuR<br />

1987, S. 61f.; Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1994, S. 115ff.; Trute, Vorsorgestrukturen,<br />

1989, S. 52ff.<br />

69 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 503.<br />

70 Begrifflich wird auch von Risikoerhebung gesprochen; vgl. Scherzberg, VerwArch 1993,<br />

S. 499.<br />

82


Während im Bereich der Kernenergie die 'Sicherheitsphilosophien' in einer<br />

rechtlichen Grauzone angesiedelt sind und erst durch die konkrete Genehmigungsentscheidung<br />

im Einzelfall verbindlich gemacht werden, ist im Gentechnikrecht<br />

durch eine Vielzahl von Rechtsverordnungen, insbesondere die Gentechnik-Sicherheitsverordnung,<br />

aber auch durch die teilweise vorhandene Risikoklassifizierung<br />

im Gesetz selbst, eine erheblich stärkere rechtliche Fundierung der<br />

Risikoermittlung und -bewertung erreicht. Die verbindliche rechtliche Verankerung<br />

der Sicherheitskonzepte erscheint geeignet, die Steuerungswirkung des<br />

Rechts zu erhöhen.<br />

Vom Grundansatz her lassen sich zwei Risikoermittlungsmodelle unterscheiden.<br />

4.3.1.1. Deterministische Risikoermittlung<br />

Die traditionelle Technikentwicklung folgt dem Prinzip von 'Trial-and-error',<br />

wonach sich das Wissen zur Verhütung zukünftiger Unfälle aus den vorangegangenen<br />

Erfahrungen speist. 71 Aus diesem Erfahrungswissen der mit der Entwicklung<br />

befaßten Ingenieure und Techniker ergibt sich wiederum die Kenntnis<br />

darüber, wie eine Anlage auszulegen sei, damit sie sicher funktioniert. Gegen die<br />

bekannten und im Laufe der Zeit neu erkannten Gefahren werden Vorsorgemaßnahmen<br />

definiert, die in umfangreichen Regelwerken niedergelegt und<br />

für die Genehmigung neuer Anlagen verbindlich gemacht werden. Dieses Prinzip<br />

versagt jedoch dort, wo es kaum Erfahrungswissen gibt, andererseits aber erhebliche<br />

Risiken drohen. Das Lernen nach dem Trial-and-error-Prinzip ist dann ein<br />

riskantes Unterfangen, da Irrtümer irreversible Folgen nach sich ziehen können.<br />

Im deterministischen Sicherheitskonzept der Techniksteuerung ist die Beherrschung<br />

bestimmter Sicherheitspostulate das entscheidende Element. 72 So müssen<br />

bestimmte 'Auslegungsstörfälle', deren Eintritt unterstellt wird, sicher beherrscht<br />

werden. Explizite Wahrscheinlichkeitsüberlegungen liegen dem deterministischen<br />

Modell der Techniksteuerung nicht zugrunde. Vielmehr führen die mit dem System<br />

gewonnenen Erfahrungen sowie die intuitive Erfassung und der Umgang mit<br />

vermuteten Gefährdungen letztendlich zu einer für den Techniker 'plausiblen' oder<br />

'unplausiblen' Gefährdungsmöglichkeit. 73<br />

71 Deterministische Risikosteuerung beruht typischerweise auf dem Lernen aus Erfahrung;<br />

Birkhofer, Risikokonzept, 1983, S. 33; Roßnagel UPR 1986, S. 51f.; Ladeur, UPR 1986,<br />

S. 364ff.<br />

72 So definiert etwa § 45 der Strahlenschutzverordnung für den 'bestimmungsgemäßen Betrieb'<br />

einer Atomanlage ein 'Dosis-Grenzwert-Konzept', wonach die von der Anlage ausgehenden<br />

Immissionen die Dosis von 0,3 mSv nicht überschreiten dürfen. Für Störfälle werden<br />

bestimmte 'Auslegungsstörfälle' determiniert, die von der Anlage zu beherrschen sind.<br />

73 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 37 m.w.N.<br />

83


Die deterministische Betrachtungsweise läßt sich mit dem 'additiven Modell'<br />

der Risikobewertung in der Gentechnik vergleichen, dessen Grundannahme darauf<br />

beruht, daß das Risikopotential eines gentechnisch veränderten Organismus<br />

aus der Addition der Eigenschaften der jeweils verwendeten Komponenten besteht.<br />

74 Die Annahmen diese Modells beruhen auf den bisher gewonnenen Erfahrungen<br />

mit gentechnologischen Experimenten und dem Hinweis auf die bisherige<br />

'Unfallfreiheit' beim Arbeiten mit rekombinanter DNA.<br />

Die deterministische Risikovorsorge ist erstmals bei der Kerntechnik als nicht<br />

ausreichend erachtet worden. Es liegt auf der Hand, daß das Vertrauen auf bislang<br />

gemachte Erfahrungen nicht ausreicht, wenn maximale Schäden drohen.<br />

Gleichwohl ist auch die Entwicklung der Kerntechnik, und dies gilt auch für die<br />

Reaktorsicherheitsforschung im engeren Sinne, ganz wesentlich von einem Lernen<br />

aus Erfahrung geprägt. 75 Aus diesen Erfahrungen gehen die Sicherheitspostulate<br />

hervor, die deterministisch festgelegt werden. Die Festlegung deterministischer<br />

Sicherheitsanforderungen, die immerhin auch vorausschauend Anforderungen<br />

an die Sicherheit technischer Systeme definiert, ist zwar gegenüber<br />

einem reinen Trial-and-error-Verfahren ein Fortschritt. Aber auch die Unterstellung<br />

bestimmter Ereignisse verkürzt mögliche Risiken auf bestimmte Auslegungsstörfälle<br />

und blendet andere Risikopfade aus. Deterministische Risikokonzepte<br />

bedürfen deshalb einer Ergänzung durch probabilistische Modelle.<br />

Diese Überlegungen gelten auch für das Gentechnikrecht. 76<br />

4.3.1.2. Probabilistische Sicherheitskonzepte<br />

Kennzeichnend für probabilistische Risikobetrachtungen sind sogenannte 'Risikostudien',<br />

in denen Aussagen über das mögliche Schadensausmaß und die Eintrittswahrscheinlichkeit<br />

getroffen werden. 77 Im Gegensatz zu einem deterministischen<br />

Konzept, in dem Wahrscheinlichkeitsaussagen nur implizit enthalten sind, werden<br />

nach dieser Methode durch 'Fehlerbaumanalysen' Wahrscheinlichkeiten explizit<br />

und quantitativ bestimmt. 78<br />

Auch für die Beurteilung gentechnischer Risiken scheinen probabilistische Risikoabschätzungen<br />

grundsätzlich möglich zu sein und sollten deshalb so weit wie<br />

möglich angewandt werden. 79 Dies gilt jedenfalls für den Betrieb gentechnischer<br />

74 Vgl. Breuer, NuR 1994, S. 158. Zur Kritik an dem Modell vgl. Riedel et al., KJ 1989, S.<br />

349ff.<br />

75 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 36.<br />

76 Breuer, NuR 1994, S. 157ff.<br />

77 Vgl. Rengeling, Probabilistische, 1986, S. 130ff.<br />

78 Rengeling, Probabilistische, 1986, S. 97f.<br />

79 So auch Breuer, NuR 1994, S. 165. Zur Entwicklung eines Modells einer biologischen<br />

Risikoanalyse bei Freisetzungen herbizidresistenter Nutzpflanzen vgl. Sinemus, Risiko-<br />

84


Anlagen. Darüber hinaus wird derzeit im Umweltbundesamt an vergleichbaren<br />

Konzepten für die Bewertung von Freisetzungsvorhaben gearbeitet. 80<br />

Die Notwendigkeit einer (ergänzenden) probabilistischen Risikoermittlung ist<br />

auch rechtlich begründbar:<br />

"Vorsorge bedeutet des weiteren, daß bei der Beurteilung von Schadenswahrscheinlichkeiten<br />

nicht allein auf das vorhandene ingenieurmäßige Erfahrungswissen zurückgegriffen<br />

werden darf, sondern Schutzmaßnahmen auch anhand 'bloß theoretischer'<br />

Überlegungen und Berechnungen in Betracht gezogen werden müssen, um<br />

Risiken aufgrund noch bestehender Unsicherheiten oder Wissenslücken hinreichend<br />

zuverlässig auszuschließen." 81<br />

Dieses Zitat aus der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zum Kernkraftwerk<br />

Wyhl belegt, daß es auch rechtlich nicht mit der deterministischen<br />

Risikosteuerung sein Bewenden haben kann. Vielmehr sind auch "bloß theoretische<br />

Überlegungen und Berechnungen" in Betracht zu ziehen. Das Bundesverwaltungsgericht<br />

hat damit zwar nicht die Ersetzung der deterministischen Risikosteuerung<br />

durch eine probabilistische Betrachtungsweise verlangt. Welche Betrachtungen<br />

im einzelnen anzustellen sind, ist im Rahmen von Genehmigungsentscheidungen<br />

zunächst einmal von der Behörde festzulegen. 82 Gleichwohl dürfte<br />

damit in der Regel eine ergänzende probabilistische Betrachtungsweise des Risikos<br />

gefordert sein. 83 Dies gilt um so mehr, wenn aufgrund unzureichenden Erfahrungswissens<br />

eine deterministische Risikobewertung praktisch ausscheidet.<br />

Probabilistische Risikostudien sind primär Teil der Risikoermittlung. Sie liefern<br />

selbst keine Entscheidungsmaßstäbe über die Hinnahme von Risiken 84 , sondern<br />

dienen der Rationalisierung des Entscheidungsprozesses, indem sie das Risiko<br />

konkretisieren und quantifizieren und damit Erkenntnisse über Tatsachen vermitteln.<br />

Als Teil des wissenschaftlichen Erkenntnisprozesses ist die Probabilistik<br />

damit eine Domäne der Naturwissenschaftler. Demgegenüber ist die sich anschließende<br />

Risikobewertung primär Aufgabe der staatlich gebundenen Stellen,<br />

analysen, 1995, insb. S. 98ff. Dort findet zwar keine Quantifizierung des Risikos statt, aber<br />

es werden nachvollziehbare Parameter für eine qualitative Risikoabschätzung entwickelt.<br />

80 Umweltbundesamt (1995): Konzept zur Risikoabschätzung von Freisetzungen gentechnisch<br />

veränderter Organismen, Berlin 1995, unveröffentlichtes Manuskript.<br />

81 BVerwG, Bd. 72 (1986), S. 300ff. (315).<br />

82 BVerwG, NVwZ 1989, S. 1169.<br />

83 Ausführlich: Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 40ff.<br />

84 Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 45f. So auch nachdrücklich Breuer, NuR<br />

1994, S. 160. Die Ergebnisse probabilistischer Untersuchungen, etwa daß ein bestimmtes<br />

Schadensereignis mit der Eintrittswahrscheinlichkeit von 10 -6 eintritt, sagt auch nichts darüber<br />

aus, ob damit die Genehmigungsvoraussetzungen im Einzelfall erfüllt sind. Insoweit<br />

bleibt es bei einer Entscheidung anhand normativer Maßstäbe, die "juristische Verlegenheit"<br />

auslöst; Breuer, ebd. S. 165.<br />

85


wenngleich der wissenschaftliche Sachverstand hierbei eine wichtige Rolle spielt<br />

und kooperativ eingebunden werden kann.<br />

Schwierigkeiten der Übertragung einer 'probabilistischen Risikoermittlung' auf<br />

die Gentechnik ergeben sich aber insofern, als nur beim Umgang im Geschlossenen<br />

System der Ausfall von Sicherungskomponenten relevant ist. Bei der Freisetzung<br />

und insbesondere beim Inverkehrbringen kommt es auf das Verhalten und<br />

die Interaktion lebender Organismen in vielen verschiedenen 'Umwelten' an. Anders<br />

als bei technischen Systemen ist hier die Vielzahl der intervenierenden Variablen<br />

kaum zu übersehen. Dies gilt erst recht im Hinblick auf längerfristige<br />

Wechselwirkungen. Daher zeichnen sich in der Praxis auch deutliche Grenzen<br />

einer wissenschaftlichen Risikoermittlung ab. 85<br />

4.3.2. Risikobewertung<br />

Die Bewertung eines Risikos ist ein komplexer Vorgang, der sich durch einfache<br />

Formeln kaum zureichend erfassen läßt. Der rechtlichen Steuerung dieses Prozesses<br />

sind Grenzen gesetzt, die das OVG Münster in einer vom Bundesverwaltungsgericht<br />

gebilligten atomrechtlichen Entscheidung einmal mit den<br />

Worten beschrieben hat, es handele sich dabei "letztlich (um) eine Wertungsfrage<br />

in politischer Verantwortung", die "sich nicht allein in Anwendung rechtlicher<br />

Maßstäbe beantworten" lasse. 86 Die 'Je-desto-Formel' oder der 'Maßstab der<br />

praktischen Vernunft' können dabei als entscheidungsbegründende Hilfen dienen;<br />

sie können aber kaum über den begrenzten Maßstab hinwegtäuschen, den das<br />

Recht insoweit nur zu bieten vermag. Bei der Risikobewertung gibt es nur selten<br />

eine eindeutig 'richtige' oder 'falsche' Entscheidung. Es kommt deshalb darauf an,<br />

die Risikobewertung - ebenso wie die Risikoermittlung - als offenen Prozeß zu<br />

gestalten, dessen Bewertungsfaktoren transparent gemacht und nachvollziehbar<br />

dargelegt werden.<br />

Soweit es um erkennbare Risiken geht, sind als Bewertungsfaktoren zunächst<br />

die möglichen Schäden sowie die Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts zu nennen.<br />

Dabei sind jedoch nicht nur naturwissenschaftlich-technische Bewertungen anzustellen,<br />

wie etwa die Ausfallwahrscheinlichkeit von Sicherheitskomponenten,<br />

sondern auch 'soziale Versagenswahrscheinlichkeiten' wie menschliches Fehlverhalten<br />

zu berücksichtigen. 87 Darüber hinaus sind im Hinblick auf fehlendes Erfahrungswissen<br />

und die damit verbundenen Prognoseunsicherheiten oder -<br />

85 Vgl. unten, Kap. 8.4. und 8.8.<br />

86 BVerwG, Beschl. vom 5.4.1989 - KKW Würgassen, NVwZ 1989, S. 1170 (1171).<br />

87 Scherzberg, VerwArch 1993, S. 501; Steinberg/Roller, Schadensvorsorge, 1991, S. 39,<br />

94f.<br />

86


unmöglichkeiten weitere Bewertungskriterien notwendig. Hierzu zählt das Kriterium<br />

der Reversibilität der aufgrund der Bewertung getroffenen Entscheidung<br />

sowie eine vergleichende Risikobewertung, die den Folgen des Tuns die Folgen<br />

des Unterlassens der jeweiligen risikobehafteten Maßnahme gegenüberstellt.<br />

4.3.2.1. Bewertung möglicher Schäden<br />

Welche Auswirkungen einer Technik und welche Folgen von Forschung überhaupt<br />

als Schaden zu bewerten sind, ist zunächst eine Frage der gesellschaftlichen<br />

Vereinbarung und Akzeptanz. Entsprechend werden geschützte Rechtsgüter definiert,<br />

die nicht ein für allemal festliegen. Während Personen und Eigentum seit<br />

jeher zu den von der Rechtsordnung geschützten Gütern zählen, ist die Umwelt<br />

und ihre Bestandteile erst in jüngerer Zeit als schutzfähig anerkannt worden. Dabei<br />

ist das Recht keineswegs konsistent: Während die präventiven Bestimmungen<br />

des Umweltverwaltungsrechts den Schutz der Naturgüter seit längerem ausdrücklich<br />

in ihre Zielkataloge aufgenommen haben, ist im Haftungsrecht der reine 'Öko-Schaden'<br />

nach wie vor nicht ersatzfähig. 88<br />

Die Risikobewertung setzt voraus, daß Gewicht, Anzahl und Ausmaß der jeweils<br />

betroffenen Rechtsgüter in den Bewertungsprozeß Eingang finden. Soweit<br />

Leben und Gesundheit von Personen betroffen sind, kommt dem Schadensausmaß<br />

deshalb eine besondere Bedeutung bei der Risikobewertung zu. Aber<br />

auch der Verlust ganzer Arten ist anders zu gewichten als die Gefährdung eines<br />

einzelnen Biotops.<br />

4.3.2.2. Bewertung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts<br />

In den Fällen, in denen eine ausreichende Prognosebasis vorhanden ist, kann für<br />

die Risikobewertung auf eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit, mit der der<br />

Eintritt des Schadens zu erwarten ist, nicht verzichtet werden. Nur wenn man<br />

diese Wahrscheinlichkeit kennt, kann man eine Aussage über die Größe des Risikos<br />

treffen.<br />

4.3.2.3. Folgenreversibilität<br />

Die Reversibilität einer technischen Entwicklung wird häufig als wichtiges Kriterium<br />

für die Risikobewertung genannt. 89 Sie kann durch die Initiierung einzelner<br />

'prototypischer Vorhaben' nach Maßgabe des jeweiligen Erkenntniswissens gesichert<br />

werden. 90<br />

88 Vgl. unten, Kap. 6.2.6.<br />

89 Vgl. auch Breuer, NuR 1994, S. 161 m.w.N.<br />

90 Wolf, Soziale Welt 1988, S. 186; Preuß, Risikovorsorge, S. 543.<br />

87


4.3.2.4. Vergleichende Risikobewertung<br />

Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind schließlich daraufhin zu überprüfen, ob<br />

sie offen für eine vergleichende Risikobewertung sind. Bei der Risikodiskussion<br />

ist auch darauf der Blick zu richten, daß die jeweilige Tätigkeit einen Nutzen<br />

haben kann, der im Verhältnis zu dem Risiko zu bewerten ist. Dies ist bei der<br />

Arzneimittelherstellung augenfällig. Kaum ein Arzneimittel ist ohne Risiken,<br />

seine Zulassung und Anwendung wird gleichwohl vorgenommen, soweit der<br />

Nutzen überwiegt. Gerade bei der anwendungsorientierten Forschung könnte der<br />

vergleichenden Risikobewertung besondere Bedeutung zukommen. 91<br />

Für die vergleichende Risikobewertung können probabilistische Analysen eine<br />

entscheidende Hilfe sein. 92 Das gegenwärtige Gentechnikrecht mit seiner "imperativen<br />

Struktur" 93 - insbesondere mit seinem Genehmigungsanspruch und der<br />

Form der gebundenen Entscheidung 94 - ist hierfür jedoch nur unzureichend gerüstet.<br />

4.3.2.5. Risikobewertung als offener Prozeß<br />

Begreift man die Risikobewertung als offenen Prozeß der Entscheidungsfindung,<br />

so eröffnet dies zugleich die Möglichkeit, den Akteuren an diesem Prozeß die<br />

Hauptverantwortung zuzuweisen. Die Aufgabe des Staates besteht dabei vor<br />

allem darin, geeignete Verfahren und Regeln zur Verfügung zu stellen, in denen<br />

dieser Prozeß stattfinden kann. Die Risikobewertung selbst fände in einem derart<br />

'prozeduralisierten' Verfahren demgegenüber zwischen Nutzern und Betroffenen<br />

des Techniksystems statt. 95 Die Übertragbarkeit dieses Ansatzes auf die spezifischen<br />

Besonderheiten gentechnischer Forschung bedarf dabei weiterer Untersuchung.<br />

96<br />

4.3.3. Risikoentscheidung<br />

4.3.3.1. Behördliche Entscheidung (Genehmigung)<br />

Die (behördliche) Entscheidung über die Zulassung einer bestimmten Anlage,<br />

einer gentechnischen Arbeit, einer Freisetzung oder eines Inverkehrbringens er-<br />

91 Zum gentechnischen Forschungsstand in der Medizin vgl. Winnacker, Politische Studien<br />

1993, S. 7ff. Für eine derartige Abwägung unter Hinweis auf die Risiken der gentechnischen<br />

Arzneimittelherstellung vgl. auch Kollek, Politische Studien 1993, S. 62.<br />

92 Breuer, NuR 1994, S. 164.<br />

93 Breuer, NuR 1994, S. 164f.<br />

94 Vgl. aber auch § 16 Abs. 1 Nr. 3 GenTG.<br />

95 Vgl. auch Roßnagel, Ansätze, 1994, S. 440.<br />

96 Unten, Kap. 5, Kap. 10.3.<br />

88


fordert notwendigerweise eine Entscheidung über das hinzunehmende Risiko<br />

unter den jeweils aktuellen Erkenntnisbedingungen. Die der gentechnischen Forschung<br />

eigenen Ungewißheitsbedingungen erfordern angepaßte Entscheidungstrukturen.<br />

Es geht deshalb weniger um "Schluß- und Gesamtfeststellungen<br />

der technologischen oder ökologischen Unbedenklichkeit" als vielmehr um "Zwischen-<br />

und Teilfeststellungen". 97<br />

Das Gentechnikrecht hat derart angepaßte Entscheidungsstrukturen jedoch nur<br />

in rudimentärer Form aufgegriffen. Insbesondere das Step-by-step-Prinzip, wonach<br />

ein Schritt der nächsten Risikostufe erst nach Auswertung der in der niedrigeren<br />

Stufe gemachten Erfahrungen vorgenommen werden darf, ist weitgehend<br />

ohne rechtliche Kontur. 98<br />

4.3.3.2. Interne Entscheidung (Hierarchie)<br />

Risikoentscheidungen werden jedoch nicht nur auf der Seite der staatlichen Verwaltung<br />

getroffen. Wichtige Entscheidungen fallen auf der Ebene der internen<br />

Willensbildung in der Forschungseinrichtung. Der Stellung eines Forschungsantrags,<br />

der Aufnahme einer forschenden Tätigkeit und der jeweils vorgesehenen<br />

Sicherheitsmaßnahmen gehen - jedenfalls implizit - Risikoentscheidungen<br />

voraus, die das mit der jeweiligen Tätigkeit verbundene Risiko als<br />

beherrschbar bewerten. Diesen internen Entscheidungen geht jedoch selten eine<br />

explizite Risikoermittlung und -bewertung voraus. 99<br />

4.3.4. Risikokommunikation<br />

Ein wesentliches Element des Risikomanagements ist die Kommunikation unter<br />

und zwischen den beteiligten Akteuren. Der "Diskussion als wesentlichster Voraussetzung<br />

für das Erkennen von Gefahren" 100 kommt besondere Bedeutung für<br />

den Prozeß der Risikosteuerung zu. Die Risikokommunikation 101 setzt voraus,<br />

daß Wissen gesichert, bewahrt und ausgetauscht wird. Die Risikokommunikation<br />

ist zugleich unverzichtbare Voraussetzung für die Risikoforschung. 102 Das geltende<br />

Recht kennt bereits weitgehende Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten,<br />

die den ersten beiden Zielen dienen. Der Wissensaustausch kann über<br />

97 Breuer, NuR 1994, S. 161.<br />

98 Dazu unten, Kap. 5.3.2.<br />

99 Vgl. unten, Kap. 7.5.<br />

100 Irrgang, Politische Studien, 1993, S. 81 unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Ausbildung<br />

eines Standesethos und standesethischer Organisationsformen.<br />

101 Vgl. auch Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, vor § 14 GenTSV Rn. 10.<br />

102 Siehe unten, Kap. 4.3.5.<br />

89


Fachtagungen, Publikationen, Kommissionen und öffentliche Erörterungen erfolgen.<br />

Unterscheiden lassen sich interne und externe Risikokommunikation. Institutionell<br />

liegt die Wissensgenerierung zunächst im Einzelfall in der Hand der jeweiligen<br />

gentechnischen Forschungsträger. Hier ist vornehmlich der Informationsaustausch<br />

zwischen dem Projektleiter, seinen Mitarbeitern, dem Beauftragten<br />

für Biologische Sicherheit und den jeweils im Unternehmen oder der Körperschaft<br />

nach außen hin verantwortlichen Personen (Vorstand des Unternehmens,<br />

Präsident der Universität) zu nennen.<br />

Der Austausch zur Verbreiterung und Überprüfung der Wissensbasis muß jedoch<br />

institutionen- und disziplinenübergreifend organisiert werden. Soweit der<br />

Kommunikationsprozeß im Rahmen der Forschungsgemeinde im weiteren Sinne<br />

bleibt, soll im folgenden von interner Risikokommunikation gesprochen werden.<br />

Hierzu gehört auch noch der interdisziplinäre Diskurs.<br />

Demgegenüber erfaßt die externe Risikokommunikation sowohl die durch<br />

Aufzeichnungs- und Aufbewahrungspflichten geprägte Kommunikation mit der<br />

Genehmigungs- oder Überwachungsbehörde als auch die Diskussion mit der<br />

Öffentlichkeit. 103 Wissen über Risiken darf nämlich weder von der Forschung<br />

monopolisiert werden noch bürokratisches Herrschaftswissen bleiben. Aus diesem<br />

Grund darf sich die Risikokommunikation nicht auf die Vertreter der Forschung<br />

und der staatlichen Aufsicht beschränken, sondern muß andere Forschergruppen<br />

ebenso einbeziehen wie die Träger drittbetroffener Rechtsgüter und die<br />

Öffentlichkeit. 104 Auf diese Weise sind die Wertungsentscheidungen, welches<br />

Restrisiko letztlich hinzunehmen ist und welche Vorsorgemaßnahmen als unverhältnismäßig<br />

anzusehen sind, transparent zu gestalten.<br />

Die Risikobewertung und die getroffene Entscheidung ist deshalb auch gegenüber<br />

betroffenen Dritten und einer interessierten Öffentlichkeit begründungs- und<br />

erörterungspflichtig. Folgt dies gegenüber jenen auch aus der verfahrensrechtlichen<br />

Dimension der staatlichen Schutzpflicht, so ergibt sich die<br />

Notwendigkeit gegenüber dieser als politische Bringschuld einer auf Akzeptanz<br />

angewiesenen risikobehafteten Forschung.<br />

4.3.5. Risikoforschung<br />

Das Wissen über gentechnische Risiken ist begrenzt, entwickelt sich aber auch<br />

dynamisch. Seine Generierung kann daher nicht dem Zufall überlassen bleiben,<br />

103 Vgl. hierzu auch unten, Kap. 5.10.<br />

104 Begriffsgeschichtlich beschränkte sich "Risikokommunikation" auf die gesellschaftliche<br />

Rezeption technischer Risiken; vgl. Krüger/Ruß-Mohl, Risikokommunikation, 1991.<br />

90


sondern sollte systematisch betrieben werden. 105 Das Gebot einer den jeweiligen<br />

Erkenntnisstand befördernden Risikoforschung findet seine rechtliche Entsprechung<br />

in dem vom Bundesverfassungsgericht entwickelten Gebot dynamischen<br />

Grundrechtsschutzes. 106<br />

Dem Problem fehlenden Wissens kann nur durch 'planmäßig-methodische Suche<br />

nach Erkenntnissen', eben durch Forschung abgeholfen werden. Die Erzeugung<br />

neuen Wissens, sei es durch Begleitforschung oder durch eine eigenständige<br />

Risikoforschung, ist somit zentraler Bestandteil des Risikomanagements. Anders<br />

als bei der oben beschriebenen Risikoermittlung ist das Ziel der Risikoforschung<br />

nicht die Bestandsaufnahme vorhandener Erkenntnisse, sondern die Suche nach<br />

neuen Erkenntnissen über Risiken.<br />

Das geltende Gentechnikrecht enthält - anders als das Arzneimittelrecht 107 -<br />

keine Verpflichtung der Betreiber für eine kontinuierliche Sicherheitsforschung.<br />

108<br />

4.3.6. Risikokontrolle<br />

Da das Erfahrungswissen über Risiken nicht statisch ist, kann sich auch die Risikobeurteilung<br />

ständig ändern. Das Recht muß auf diesen dynamischen Entwicklungsprozeß<br />

eine angemessene Antwort geben. Mit einer einmal vorgenommenen<br />

Risikobewertung kann es deshalb nicht sein Bewenden haben. Vielmehr<br />

ist die einmal getroffene Entscheidung ständig auf ihre weiterhin bestehende<br />

Gültigkeit angesichts voranschreitender Erkenntnisse zu überprüfen und gegebenenfalls<br />

anzupassen. Auch insofern erweist sich die Reversibilität der Entscheidung<br />

109 als unverzichtbarer Bestandteil eines sachgerechten Risikomanagements.<br />

Das Recht muß deshalb flexibel und innovationsoffen sein. 110 Auch wenn das<br />

Gentechnikgesetz bereits Ansätze eines Konzepts erkennen läßt, welches rechtliche<br />

Regelung und Kontrolle als "prozeßhaften Vorgang in der Zeit" 111 begreift,<br />

so liegt doch gerade in diesem Bereich eine noch stärker zu entwickelnde Aufgabe<br />

des Rechts.<br />

105 Murswiek, Bewältigung, 1990, S. 215; Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 41ff.<br />

106 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (137) Kalkar; Roßnagel, NVwZ 1984, S. 137ff.<br />

107 Murswiek, Bewältigung, 1990, S. 217f.<br />

108 Kritisch Murswiek, VVDStRL 1990, S. 218; Groth, KJ 1988, S. 261; Richter, Gentechnologie,<br />

1989, S. 257f., 286f. Zu den rechtspolitischen Konsequenzen vgl. unten, Kap.<br />

10.<br />

109 Siehe oben, Kap. 4.3.2.5.<br />

110 Vgl. hierzu auch Wahl/Appel, Prävention, 1995, S. 31f.<br />

111 Wahl, GenTG, § 6 Rn. 75.<br />

91


4.3.7. Risikoverantwortung<br />

Der Umgang mit Risiken wirft die Frage auf, wer bei einer Verwirklichung des<br />

Risikos die Verantwortung für die Folgen zu tragen hat. Diese Verantwortung<br />

muß durch eine sachgerechte Risikoverteilung zwischen Forschern, Staat und<br />

Dritten zugewiesen werden. Diese Zuweisung ist in erster Linie Aufgabe des<br />

Haftungsrechts, daß durch eine entsprechende Ausgestaltung - insbesondere im<br />

Bereich der Beweislastregeln - eine angemessene Zuweisung von Verantwortung<br />

gewährleisten muß und darüber hinaus durch eine präventive Ausrichtung zur<br />

Verwirklichung der übrigen Steuerungsziele, insbesondere der Risikoerforschung<br />

und Risikokommunikation, beitragen kann. 112 In diesem Zusammenhang spielen<br />

ebenso Fragen der Versicherung der Risiken eine Rolle. Schließlich ist im Bereich<br />

gesellschaftlich nicht erwünschter und deshalb von der Rechtsordnung untersagter<br />

Risikotätigkeiten die Sicherstellung der Verantwortung mit den Mitteln<br />

des Strafrechts zu gewährleisten.<br />

4.4. Verfassungsrechtlicher Rahmen ungewißheitsbasierter Risikovorsorge<br />

Die Forschungsfreiheit und der staatliche Schutz vor Risiken stehen in einem<br />

verfassungsrechtlichen Spannungsverhältnis. Diese im Technik- und Umweltrecht<br />

auch als "Dreiecksverhältnis" bezeichnete Situation beinhaltet das grundrechtlich<br />

geprägte Verhältnis zwischen dem Betreiber bzw. Verursacher einer gefährlichen<br />

Tätigkeit, dem zum Schutz von Rechtsgütern verpflichteten Staat und den verfassungsrechtlich<br />

geschützten Rechtsgütern, inbesondere den von Auswirkungen betroffenen<br />

Dritten. 113 Im folgenden wird der Begriff des Risikodreiecks verwendet,<br />

um den Gesichtspunkt einer nicht schon gefährlichen, sondern lediglich riskanten<br />

oder in ihren Folgen ungewissen Tätigkeit herauszuheben. 114<br />

Ob und inwieweit die möglichen und hypothetischen Risiken gentechnischer<br />

Forschung auch im Bereich ungewißheitsbasierter Vorsorge eine auf Generierung<br />

von Erfahrungswissen und auf Risikominimierung gerichtete Steuerung zulassen,<br />

ist Gegenstand des folgenden Abschnitts.<br />

112 Hierzu unten, Kap. 6.<br />

113 Aus der Literatur zum Dreiecksverhältnis bzw. den Schutzpflichten im Umwelt- und<br />

Technikrecht vgl. beispielsweise Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 25ff.; Wahl/Masing,<br />

JZ 1990, S. 553ff.; Hermes, Grundrecht, 1987; Trute, Vorsorgestrukturen, 1989, S.<br />

217ff. Allgemein zur Schutzpflichtenproblematik: Böckenförde, Der Staat 1990, S. 1ff.;<br />

Dreier, Dimensionen, 1993; Isensee, Grundrecht, 1992, § 111 Rn. 25ff.; Klein, DVBl.<br />

1994, S. 489ff.<br />

114 Siehe zum Risikobegriff oben, Kap. 4.2.3.2.<br />

92


4.4.1. Reichweite der Forschungsfreiheit<br />

In welchem Umfang gentechnische Forschung auch verfassungsrechtlich als Forschung<br />

im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG und damit vorbehaltlos geschützt ist, wird<br />

unterschiedlich bewertet. Art. 5 Abs. 3 GG ist ein vorbehaltlos gewährtes Grundrecht.<br />

Dies bedeutet, daß der Verfassungstext selbst keine Einschränkungen des<br />

Grundrechts vorsieht. Gleichwohl kann auch die Forschungsfreiheit beschränkt<br />

werden. Für die Rechtfertigung von Eingriffen in vorbehaltlose Grundrechte gelten<br />

aber nach der Lehre von den verfassungsimmanenten Schranken höhere Anforderungen<br />

als für die mit einem einfachen Gesetzesvorbehalt versehenen<br />

Grundrechte, wie etwa die Berufsausübungsfreiheit des Art. 12 GG. 115<br />

Der Schutzbereich der Forschungsfreiheit wird weit gefaßt. In der Auslegung<br />

des Bundesverfassungsgerichts ist wissenschaftliche Forschung "die geistige<br />

Tätigkeit mit dem Ziel, in methodischer, systematischer und nachprüfbarer Weise<br />

neue Erkenntnisse zu gewinnen". 116 Zum Gegenstandsbereich der Forschungsfreiheit<br />

gehören die Themen- und Fragestellung, die forschungsnotwendigen<br />

Vorarbeiten, die praktische Durchführung beispielsweise eines Experiments,<br />

die Bewertung der Ergebnisse, ihre schriftliche oder sonstige Niederlegung<br />

und ihre Veröffentlichung und Diskussion. 117 Demnach ist es jedenfalls für<br />

den Grundrechtsschutz einer Forschungstätigkeit unerheblich, ob sie in einem<br />

großen oder kleinen Maßstab durchgeführt wird. 118 Jedoch kann die Beschränkung<br />

eines gentechnischen Forschungsvorhabens auch durch die Dimensionierung<br />

gentechnischer Arbeiten gerechtfertigt sein, wenn damit eine Risikosteigerung für<br />

die Rechtsgüter Dritter verbunden ist.<br />

Umstritten ist nun, ob Forschung im Sinne des Art. 5 Abs. 3 GG<br />

1. Zweckforschung im Sinne einer Entwicklung von Anwendungen umfaßt,<br />

2. die nicht auf Veröffentlichung angelegte Forschung beinhaltet und<br />

3. die grundgesetzlich garantierte Forschungsfreiheit die Inanspruchnahme von<br />

Rechtsgütern Dritter schützt.<br />

115 Zur Einschränkung von Art. 5 Abs. 3 GG BVerfG, Bd. 30 (1971), S. 173ff. (193); Pieroth/Schlink,<br />

Grundrechte, 1994, Rn. 690; Lorenz, Wissenschaft, 1993, S. 268.<br />

116 BVerfG, Bd. 35 (1974), S. 79ff. (113). Vgl. auch BVerwG, NVwZ 1987, S. 681 (682):<br />

"selbständige Erarbeitung objektiv neuer Erkenntnisse".<br />

117 Nach Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 257. BVerfG, Bd. 35 (1974), S. 79ff. (113):<br />

Methodik, Bewertung und Verbreitung.<br />

118 Diese Kontroverse spielte bei der Auslegung der EG-Richtlinien sowie des deutschen<br />

Gentechnikgesetzes eine Rolle. Der Begriff der "gentechnischen Arbeit zu Forschungszwecken"<br />

umfaßt nach der Legaldefinition in § 3 Nr. 5 auch Arbeiten für Lehr- und Entwicklungszwecke<br />

oder Arbeiten für nichtindustrielle bzw. gewerbliche Arbeiten im kleinen<br />

Maßstab.<br />

93


4.4.1.1. Anwendungs- und Entwicklungsforschung<br />

Die Bedenken gegen einen verfassungsrechtlichen Schutz einer Anwendungs- und<br />

Entwicklungsforschung speisen sich aus der Vermutung, daß einer solchen Forschung<br />

die erforderliche Unabhängigkeit gegenüber Fremdinteressen fehlt. Unabhängigkeit<br />

der Forschung ist jedoch Voraussetzung, damit Wissenschaft ihre<br />

(selbst-)kritische Funktion wahrnehmen kann. 119 Jedoch würde eine vornehmlich<br />

an einem derartigen Wissenschaftsideal einer zweckfreien Grundlagenforschung<br />

orientierte Vorstellung 120 den grundrechtlichen Schutzzweck wissenschaftlicher<br />

Forschung nur unzureichend erfassen. Suche nach Erkenntnis schließt die Verfolgung<br />

von Anwendungs- und Entwicklungszwecken nicht aus, vielmehr kann sich<br />

eine solche Orientierung gerade aus der "Schlüsselfunktion" rechtfertigen, "die<br />

einer freien Wissenschaft sowohl für die Selbstverwirklichung des Einzelnen als<br />

auch für die gesellschaftliche Entwicklung zukommt". 121 Von gesellschaftlichem<br />

Nutzen ist aber nicht nur eine anwendungsfreie Grundlagenforschung, sondern<br />

auch eine die technische Entwicklung und damit möglicherweise den gesellschaftlichen<br />

Nutzen vorantreibende und sich an Anwendungszwecken orientierende<br />

wissenschaftliche Forschung. Schließlich ist fraglich, ob angesichts der erheblichen<br />

finanziellen Mittel, gerade in den Naturwissenschaften, eine lediglich<br />

zweckfreie Grundlagenforschung überhaupt denkbar ist. Auch wenn Grundlagenforschung<br />

nicht auf konkrete Anwendungen hin orientiert ist, ist sie auf jeden Fall<br />

zielorientiert.<br />

Von wissenschaftlicher Forschung kann allerdings keine Rede mehr sein, wenn<br />

die Suche nach Erkenntnis abgeschlossen ist, weil das (gentechnische) Herstellungsverfahren<br />

oder das Produkt bereits entwickelt ist. Suche nach Erkenntnis ist<br />

nicht identisch mit Sammeln von Erfahrungen. Dabei kann die Frage, ob ein entwickeltes<br />

Verfahren oder Produkt die in es gesetzten Erwartungen erfüllt, selbst<br />

wiederum Gegenstand einer Begleituntersuchung nach den Maßstäben wissenschaftlicher<br />

Forschung sein. Jedoch ist die Anwendung eines bereits entwickelten<br />

Herstellungsverfahrens oder eine Produktion vorrangig zu gewerblichen Zwecken<br />

nicht mehr wissenschaftliche Forschung.<br />

Demnach ist Zweckforschung aus dem Schutzbereich der Forschung prinzipiell<br />

nicht ausgeklammert. 122 Wohl aber kann die Zweckabhängigkeit von Forschung<br />

119 Blankenagel, Wissenschaft, 1986, S. 145f.; ebenso bereits Köttgen, Freiheit, 1954, S. 291<br />

(301, 304, 306); zurückhaltend Winter, Grundprobleme, 1993, S. 71f.<br />

120 Dazu Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 259ff. m.w.N.<br />

121 Vgl. BVerfG, Bd. 35 (1974), S. 79ff. (114); BVerfG, Bd. 47 (1978), S. 327ff. (368).<br />

122 Mit unterschiedlichen Begründungen im Ergebnis ebenso Graf Vitzthum/Geddert-<br />

Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 69f.: "Gentechnische Grundlagenforschung und<br />

anwendungsbezogene Produktentwicklung erscheinen gelegentlich kaum weiter als einen<br />

Wimpernschlag voneinander entfernt"; Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 29: Defini-<br />

94


auf der Ebene der Rechtfertigung von Eingriffen eine Rolle spielen. 123 Beeinflussen<br />

die Anwendungszwecke ein Forschungsvorhaben, so daß die Suche nach<br />

Erkenntnis fremdbestimmt ist, dann ist sie nicht in dem Maße schutzbedürftig wie<br />

ein eigenbestimmtes Vorhaben.<br />

4.4.1.2. Veröffentlichungsbereitschaft<br />

Der zweite Kontroverspunkt betrifft die Frage, ob Forschung ohne Veröffentlichungsabsicht,<br />

die sich und ihre Ergebnisse dem kritischen Diskurs der (Fach-)<br />

Öffentlichkeit entzieht, Forschung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG sein kann. Für<br />

eine tatbestandliche Einschränkung der Forschungsfreiheit plädiert vor allem<br />

Dickert, der aus dem konditionalen Zusammenhang zwischen Forschung und<br />

Lehre ableitet, daß sich auf die Forschungsfreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG<br />

nur ein Forscher berufen kann,<br />

"wenn er prinzipiell bereit und in der Lage ist, die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit<br />

der fachlichen und allgemeinen Öffentlichkeit zugänglich zu machen." 124<br />

Nach dieser Auffassung verliert ein Forscher, der sich "rechtlichen, vor allem<br />

vertraglichen Veröffentlichungsverboten, -beschränkungen oder -vorbehalten,"<br />

unterwirft, seinen grundrechtlichen Schutz aus Art. 5 Abs. 3 GG. 125 Der Zusammenhang<br />

zwischen Forschungsfreiheit und Veröffentlichungsbereitschaft führt des<br />

weiteren zu einer kritischen Einschätzung gesetzlicher Regelungen, die die Veröffentlichungsbereitschaft<br />

oder -fähigkeit des Forschers hemmen. 126<br />

Dieser Auslegung wird im wesentlichen entgegengehalten, daß eine volle Publizität<br />

mit Industrieforschung nicht vereinbar sei. 127 Zwar stünde nach einer Patentierung<br />

einer Veröffentlichung von Forschungsergebnissen nichts im Wege,<br />

aber Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung würden aus Gründen des wissenschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Vorsprungs geheimgehalten. 128<br />

Zuzugestehen ist, daß die Veröffentlichungsbereitschaft einer gewissen Prognoseunsicherheit<br />

unterliegt und schließlich auch ein zeitlicher Rahmen abgetion<br />

des Schutzbereichs soll sich auf formale Umschreibungen beziehen; Denninger, Alternativkommentar<br />

zum Grundgesetz, 1989, Art. 5 Abs. 3 Rn. 16: "Wissenschaftliche Ergebnisse<br />

als solche sind zweckfrei"; Wendt, in: Münch/Kunig, Grundgesetz, Art. 5<br />

Rn. 101. Umfassend Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 259ff., S. 269f. m.w.N.<br />

123 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 271, S. 491.<br />

124 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 277ff., 287f.; zustimmend Winter, Grundprobleme,<br />

1993, S. 71.<br />

125 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 294.<br />

126 Dickert, Naturwissenschaften, 1991, S. 295ff. zum Urheberrecht, Arbeitserfinderrecht,<br />

Erfinderschutzrecht und Beamtenrecht.<br />

127 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 73f.<br />

128 Graf Vitzthum/Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 74 Fn. 163.<br />

95


steckt werden muß, innerhalb dessen ein Forschungsergebnis veröffentlicht sein<br />

muß, damit es Forschung im Sinne von Art. 5 Abs. 3 GG ist. Andererseits aber ist<br />

die Veröffentlichungsbereitschaft ein sicheres Indiz einer unabhängigen und insofern<br />

allein wahrheitsgeleiteten Suche nach Erkenntnissen.<br />

Das Junktim zwischen Forschung und Veröffentlichungsbereitschaft ist gerechtfertigt,<br />

weil die prinzipielle Kommunikationsbereitschaft von Wissenschaft<br />

ein maßgebliches Charakteristikum wissenschaftlicher Tätigkeit ist. 129 Die Suche<br />

nach Erkenntnis, oder emphathisch ausgedrückt nach Wahrheit wird durch eine<br />

prinzipiell auf einen kritischen (Fach-)Diskurs ausgerichtete Forschung abgestützt.<br />

Solange Forschungsergebnisse dem Diskurs der (Fach-)Öffentlichkeit aus<br />

Wettbewerbsgründen entzogen sind, werden somit keine Forschungszwecke,<br />

sondern gewerbliche Zwecke verfolgt, und zwar nicht nur als Nebenzweck. Mit<br />

bemerkenswerter Klarheit hat auch der Niedersächsische Landesgesetzgeber in<br />

§ 27 Abs. 3 seines Hochschulgesetzes formuliert: 130<br />

"Vereinbarungen oder Zusagen, durch welche die Veröffentlichung von Forschungsvorhaben<br />

ausgeschlossen oder über einen die wissenschaftliche Entwicklung<br />

beeinträchtigenden Zeitraum hinausgeschoben wird, sind unzulässig."<br />

Eine derartige "Forschung" bliebe dann allerdings immer noch der grundrechtliche<br />

Schutz durch Art. 12 GG.<br />

4.4.1.3. Inanspruchnahme geschützter Rechtsgüter<br />

Die dritte These, wonach die Inanspruchnahme von geschützten Rechtsgütern<br />

nicht von der grundrechtlichen Forschungsfreiheit geschützt werde, 131 ist allenfalls<br />

im Rahmen der erfahrungsbasierten Vorsorge relevant. Nach dieser Auffassung<br />

werden bestimmte Forschungstätigkeiten, die mit der Inanspruchnahme von<br />

Rechtsgütern Dritter verbunden sind, von vornherein aus dem Schutzbereich der<br />

Forschungsfreiheit ausgeklammert. 132 Der Gesetzgeber könnte dann nach Belieben<br />

derartige Forschungstätigkeiten regulieren.<br />

129 Denninger, Alternativkommentar zum Grundgesetz, 1989, Art. 5 Rn. 16; Blankenagel,<br />

AÖR 105 (1980), S. 61ff. "Kommunalismus".<br />

130 Bekannmachung der Neufassung des Nieders. Hochschulgesetzes vom 21. Januar 1994,<br />

GVBl. S. 13.<br />

131 Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 31ff.; Mit anderer Begründung Lerche, Verfassungsrechtliche,<br />

1986, S. 91f.; Lorenz, Wissenschaft, 1993, S. 270; Herdegen in: Eberbach<br />

et al., GenTG, Einleitung, Rn. 47; Scherzberg, VerwArch 1993, S. 510f.; Pieroth/Schlink,<br />

Grundrechte, 1994, Rn. 684.<br />

132 Vgl. zu dieser Diskussion: Wahl, Anwendungskontrolle, 1991, S. 33; Graf Vitzthum/<br />

Geddert-Steinacher, Standortgefährdung, 1992, S. 70f.; Dickert, Naturwissenschaften,<br />

1991, S. 255; zurückhaltend auch Winter, Grundprobleme, 1993, S. 72. Zum vergleichbaren<br />

rechtsdogmatischen Problem bei der Kunstfreiheit vgl. die Kammerentscheidung zum<br />

96


Für den Bereich der ungewißheitsbasierten Risikosteuerung ist diese Diskussion<br />

jedoch nicht relevant, da sie auf die 'Inanspruchnahme' geschützter Rechtsgüter<br />

beschränkt ist. Inanspruchnahme bedeutet aber eine Schädigung der<br />

Rechtsgüter Dritter. Die bloße Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts diesseits<br />

oder jenseits der Gefahrenschwelle genügt nicht, um von einer Inanspruchnahme<br />

fremder Rechtsgüter sprechen zu können. Deshalb wird der Bereich<br />

der ungewißheitsbasierten Vorsorge von diesem Auslegungsmodell erst recht<br />

nicht erfaßt. Inanspruchnahme von Rechtsgütern einerseits und Ungewißheit oder<br />

die bloße Möglichkeit (Risiko) einer zukünftigen Schädigung andererseits sind<br />

zwei unterschiedliche Qualitäten. 133 Maßnahmen im Bereich der ungewißheitsbasierten<br />

Vorsorge müssen deshalb mit der Forschungsfreiheit abgewogen werden.<br />

4.4.2. Risikovorsorge als Ausdruck staatlicher Schutzpflicht<br />

Es ist heute allgemein anerkannt, daß staatliche Schutzpflichten bereits im Vorfeld<br />

konkreter Gefahren bestehen. Das Bundesverfassungsgericht bestimmt die<br />

Schutzpflicht zunächst allgemein als<br />

"Pflicht der staatlichen Organe, sich schützend und fördernd vor die darin genannten<br />

Rechtsgüter zu stellen und sie insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten<br />

anderer zu bewahren". 134<br />

Aus der Formulierung "sich schützend vor die Rechtsgüter zu stellen" und "bewahren"<br />

ist zu entnehmen, daß die Funktion der Schutzpflicht auch und gerade<br />

den vorbeugenden Grundrechtsschutz und damit die "Risikovorsorge" umfaßt. 135<br />

Entsprechendes ist bereits der Kalkar-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts<br />

zu entnehmen, denn danach können verfassungsrechtliche<br />

Schutzpflichten auch gebieten,<br />

"rechtliche Regelungen so auszugestalten, daß auch die Gefahr von Grundrechtsverletzungen<br />

eingedämmt bleibt. Ob, wann und mit welchem Inhalt sich eine solche<br />

Ausgestaltung von Verfassungs wegen gebietet, hängt von der Art, der Nähe und<br />

Fall des Sprayers von Zürich "Nägeli" BVerfG, NJW 1984, S. 1293f.; vgl. auch Pieroth/Schlink,<br />

Grundrechte, 1994 Rn. 677.<br />

133 Allenfalls im Bereich der Humangenetik wären also mit Hilfe dieser tatbestandskonkretisierenden<br />

Auslegungen Gewinne in dem Sinne zu verzeichnen, daß Kollisionslösungen<br />

überhaupt vermieden werden könnten.<br />

134 BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (57) - Mülheim-Kärlich.<br />

135 Ausdrücklich BVerfG, Bd. 56 (1981), S. 54ff. (78): "Daß auch eine auf Grundrechtsgefährdungen<br />

bezogene Risikovorsorge von der Schutzpflicht der staatlichen Organe umfaßt<br />

werden kann, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits mehrfach<br />

zum Ausdruck gekommen". Vgl. nur Trute, Vorsorgestrukturen, 1989, S. 226f.<br />

m.w.N.<br />

97


dem Ausmaß möglicher Gefahren, der Art und dem Rang des verfassungsrechtlich<br />

geschützten Rechtsguts sowie von den schon vorhandenen Regelungen ab". 136<br />

Insbesondere die Formulierung, wonach sich die Eingriffsschwelle der grundrechtlichen<br />

Schutzpflicht nach der Art der Gefahren richtet, weist darauf hin, daß<br />

sie technikspezifisch zu bestimmen ist. Diese Interpretation wird bestätigt durch<br />

die auf die Gefahren der Kernernergie abgestimmten Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts,<br />

denn weiter heißt es, daß<br />

"angesichts der Art und Schwere möglicher Gefahren bei der friedlichen Nutzung<br />

der Kernenergie bereits eine entfernte Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts genügen<br />

müsse, um die Schutzpflicht des Gesetzgebers konkret auszulösen". 137<br />

Eine technikspezifische Konkretisierung der Eingriffsschwelle einer grundrechtlichen<br />

Schutzpflicht muß demnach die besonderen Gefahren und Risiken der<br />

gentechnischen Forschung berücksichtigen. 138 Die Schutzpflicht ermächtigt den<br />

Gesetzgeber demnach zu risikoadäquaten Maßnahmen, um den technikspezifischen<br />

Gefahren und Risiken begegnen zu können.<br />

Bei der Frage, welche Maßnahmen risikoadäquat sind, genießt der Gesetzgeber<br />

allerdings einen weiten Gestaltungsspielraum. Dabei ist auch bei der verfassungsrechtlichen<br />

Güterabwägung zwischen erfahrungsbasierter und ungewißheitsbasierter<br />

Vorsorge zu unterscheiden. Während bei jener auch einschneidende<br />

Maßnahmen bis hin zu Forschungsverboten risikoadäquat sein können, wird man<br />

bei dieser in erster Linie weitere Aufklärungsmaßnahmen im Sinne der Wissenserweiterung<br />

als risikoadäquat anzusehen haben. Gesetzliche Beobachtungs- und<br />

Monitoringpflichten sind demnach auch vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen<br />

Forschungsfreiheit zulässig. Insoweit besteht ein gesetzlicher Gestaltungsspielraum,<br />

der nicht eindeutig von der Verfassung vorgegeben ist. Es ist<br />

deshalb auch nicht möglich, konkrete risikoadäquate Maßnahmen oder Handlungspflichten<br />

aus der Verfassung selbst abzuleiten. 139 Die jetzigen Regelungen<br />

des Gentechnikgesetzes im Bereich der ungewißheitsbasierten Vorsorge schöpfen<br />

aber den zulässigen verfassungsrechtlichen Rahmen im Hinblick auf eine Risikosteuerung<br />

nicht vollständig aus.<br />

136 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (142).<br />

137 BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (142); BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (57).<br />

138 Vgl. oben, Kap. 2.<br />

139 Zur Frage, ob sich aus dem 'Untermaßverbot' konkrete Handlungspflichen ableiten lassen:<br />

Isensee, HdbStR § 111. Zur Diskussion um § 218 StGB vgl. BVerfG, Bd. 88 (1993), S.<br />

203ff. Ablehnend Denninger, Elend, 1994, S. 561ff.; Hesse, Verfassungsrechtliche, 1994,<br />

S. 553ff. Für den Bereich des Umweltrechts hat dies das BVerfG im übrigen bislang nicht<br />

angenommen. Anders für den Schwangerschaftsabbruch: BVerfG, Bd. 88 (1993), S.<br />

203ff.<br />

98


4.4.3. Risikosteuerung durch risikoadäquate Zuordnung<br />

Welche konkreten Maßnahmen der Risikosteuerung verfassungsrechtlich zulässig<br />

sind, richtet sich nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, das die Funktion einer<br />

Feinsteuerung zwischen Forschungsfreiheit und Schutzpflicht übernimmt. Ermächtigt<br />

die Schutzpflicht nur zu risikoadäquaten Vorsorgemaßnahmen, so gilt<br />

umgekehrt, daß die Forschungsfreiheit auch nur Eingriffe dulden muß, die zur<br />

Vorsorge geeignet, erforderlich und aus diesem Grund auch zumutbar sind. Maßnahmen<br />

der Risikovorsorge können ungeeignet sein, wenn die Wahrscheinlichkeit<br />

eines Schadenseintrittes ausgeschlossen werden kann. Einzelne Maßnahmen sind<br />

nicht mehr erforderlich, wenn die Schadensprognose geringere Maßnahmen ausreichen<br />

läßt. Und unzumutbar sind Maßnahmen, die vom Risikoträger einen<br />

Aufwand erfordern, der in Abhängigkeit von der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts<br />

in keinem Verhältnis zu einem möglichen Vorsorgegewinn stehen.<br />

Die Abwägung zwischen Forschungsfreiheit und Schutzpflicht mündet im Ergebnis<br />

in der Rechtsfolge eines risikoadäquaten Risikomanagements 140 , dessen<br />

charakteristisches Merkmal es ist, daß es dynamisch und flexibel auf den jeweiligen<br />

Erkenntnisstand über Risiken angepaßt werden kann. Diese Flexibilität findet<br />

ihre grundrechtliche Entsprechung in dem sich aus den Schutzpflichten ergebenden<br />

Gebot der dynamischen Grundrechtsvorsorge, das gegebenenfalls nicht nur in<br />

der Rechtsanwendung, sondern auch durch Nachbessern der gesetzlichen Grundlagen<br />

zu befolgen ist. 141 Umgekehrt muß - im Bereich erfahrungsbasierter Risikovorsorge<br />

- der einzelne Forscher nur solche Einschränkungen seiner Tätigkeit<br />

hinnehmen, die aufgrund des Erkenntnisstands über die mit seiner Tätigkeiten<br />

verbundenen Risiken erforderlich sind.<br />

Für das Risikomanagement im Bereich der ungewißheitsbasierten Vorsorge<br />

sind die jeweiligen Instrumente zu definieren, die eine Wissensgenerierung und<br />

ihre Implementierung in die Entscheidungsstrukturen ermöglichen. Dies bedeutet<br />

insbesondere eine Pflicht zur Risikobeobachtung und -aufklärung, die mit fortschreitender<br />

Klärung des Sachverhaltes bei Bestätigung der vermuteten Ursacheoder<br />

Wirkungszusammenhänge in konkrete Minimierungs- und Vermeidungspflichten<br />

umschlagen können. Möglicherweise können Risikoaufklärungspflichten<br />

zu einer bloßen Beobachtungspflicht abgeschwächt werden oder<br />

auch ganz entfallen, wenn die bis dahin gewonnene Erfahrung die Annahme eines<br />

hypothetischen Risikos nicht mehr rechtfertigt. Andererseits können neue Erkenntnisse<br />

aber auch dazu führen, daß eine "schlummernde" Pflicht zu begleitender<br />

Risikoforschung wieder auflebt.<br />

140 Vgl. allgemein z.B. Scherzberg, VerwArch 1993, S. 509; Von einer "Staatspflicht zur<br />

Risikominderung" spricht Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1995, S. 41ff.<br />

141 Vgl. BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (130, 137) - Kalkar.<br />

99


100


Kapitel 5: Wirksamkeitsüberlegungen zu ordnungsrechtlichen<br />

Steuerungsinstrumenten<br />

In diesem Kapitel wird eine Auswahl bestehender ordnungsrechtlicher Steuerungsinstrumente<br />

für den Umgang mit gentechnischen Risiken dargestellt und auf<br />

ihre Tauglichkeit für ein effektives Risikomanagement unter Ungewißheitsbedingungen<br />

untersucht. Die Bewertung der Instrumente orientiert sich an den<br />

Steuerungszielen, die in Kapitel 4 näher beschrieben sind, sowie an den Ergebnissen<br />

der empirischen Untersuchung (Kap. 7ff.).<br />

Im folgenden werden auch Regelungen berücksichtigt, die sich an gewerbliche<br />

Betreiber und Hersteller richten. Gerade in diesem Bereich nimmt die Erkenntnis<br />

zu, daß die Stärkung der Selbstverantwortlichkeit und die Verankerung proaktiver<br />

unternehmerischer Strategien die entscheidenden umweltpolitischen Akzente der<br />

nächsten Jahre sein werden. 1 Diese Ansätze könnten für die Stärkung der Selbstverantwortung<br />

in der Forschung jedenfalls zum Teil fruchtbar gemacht werden.<br />

Das GenTG ist in weiten Teilen ordnungsrechtlich geprägt. Aber auch das<br />

Ordnungsrecht weist in zunehmendem Maße flexible und dynamische Elemente<br />

mit einem Selbststeuerungspotential auf. 2 Dies kommt etwa in solchen Regelungen<br />

zum Ausdruck, die bestehende Anmelde- und Genehmigungspflichten<br />

dynamisieren und die Eigenverantwortung des Normadressaten stärken.<br />

5.1. Genehmigungs- und Anmeldevorbehalte<br />

Das traditionelle ordnungsrechtliche Instrumentarium der Gefahrenabwehr und<br />

Risikovorsorge, auf das sich das Gentechnikgesetz primär stützt, versucht, Risiken<br />

durch Erlaubnis- und Anmeldevorbehalte zu steuern. Im einzelnen lassen sich<br />

verschiedene Regelungstypen unterscheiden, die jeweils in unterschiedlichem<br />

Maße die Risikoverantwortung dem Anwender/Forscher oder der Behörde zuweisen.<br />

Erlaubnis- und Anmeldevorbehalte sind primär Instrumente, die der Risikosteuerung<br />

im Bereich 'erkannter' bzw. 'erkennbarer' Risiken zuzuordnen sind. In<br />

der hier verwandten Terminologie gehören sie zum Bereich der erfahrungsbasierten<br />

Regulierung ('Prevention'). Sie eröffnen die Möglichkeit einer präventiven<br />

Risikoermittlung und -bewertung vor Beginn der Tätigkeiten und sichern<br />

1 Vgl. zu ausländischen Ansätzen: Führ et al., Proaktive, 1995. Vgl. auch Führ, ZfU 1994,<br />

S. 445ff.<br />

2 Vgl. generell im Umweltrecht: Lübbe-Wolff, Modernisierung, 1996, S. 97ff.<br />

101


durch weitere Verfahrensvorgaben den Prozeß der behördlichen Entscheidungsfindung.<br />

Im Hinblick auf die Eingriffsintensität lassen sich folgende Typen unterscheiden.<br />

5.1.1. Repressives Verbot<br />

Als schärfstes Regelungsinstrument steht dem Gesetzgeber das sogenannte repressive<br />

Verbot zur Verfügung. Er kann damit ein bestimmtes Verhalten wegen<br />

seiner Gefährlichkeit oder sozialen Unerwünschtheit grundsätzlich verbieten. 3 In<br />

der Regel werden solche Verbote mit der Möglichkeit gekoppelt, in besonderen<br />

Fällen Ausnahmen zuzulassen. Im Unterschied zum präventiven Erlaubnisvorbehalt<br />

hat der Antragsteller bei diesem repressiven Verbot keinen Anspruch auf<br />

eine Erlaubnis, sondern allenfalls auf fehlerfreie Ermessensausübung. 4 Rechtstechnisch<br />

hat die Behörde ein Versagungsermessen. 5 Entsprechende Verbote<br />

kennt das Gentechnikgesetz nicht.<br />

5.1.2. Präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Genehmigungsvorbehalt)<br />

Der Genehmigungsvorbehalt 6 ist das klassische ordnungsrechtliche Instrument<br />

der Gefahrenabwehr und Risikovorsorge. Das präventive Verbot 7 ermächtigt die<br />

Behörde, vor Inbetriebnahme einer Anlage oder Aufnahme einer Tätigkeit die<br />

Risiken zu ermitteln und zu bewerten. Das Verbot gilt solange, bis das Prüfungsverfahren<br />

abgeschlossen ist und die Unbedenklichkeit der Tätigkeit feststeht.<br />

Dem Genehmigungsvorbehalt korrespondiert ein Anspruch des Antragstellers auf<br />

Erteilung der Genehmigung, soweit die Genehmigungsvoraussetzungen erfüllt<br />

sind (sogenannte gebundene Entscheidung). Dieser Regelungsstruktur folgen die<br />

3 Vgl. etwa die Regelungen des Embryonenschutzgesetzes, dazu auch unten, Kap. 6.5.2.<br />

4 Vgl. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 9 Rn. 55; Kloepfer, Umweltrecht,<br />

1989, § 4 Rn. 46.<br />

5 Beispiele für eine solche Regelungsform sind die wasserrechtliche Erlaubnis nach § 7<br />

WHG, die Bewilligung nach § 8 WHG oder das Waldrodungsverbot nach § 9 BWaldG.<br />

Eine Mischform stellt die atomrechtliche Anlagengenehmigung nach § 7 AtomG dar, in der<br />

ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt mit einem Versagungsermessen gekoppelt<br />

ist.<br />

6 Die Terminologie ist in einzelnen Sachgebieten unterschiedlich, so ist auch von Genehmigungen,<br />

Bewilligungen oder Zulassungen die Rede, jedoch ohne Differenz in der Sache.<br />

7 Vgl. zum präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt: Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4<br />

Rn. 37, 45; Breuer, Umweltrecht, 1992, Rn. 72f.<br />

102


Anlagengenehmigung nach § 13 GenTG und die Genehmigungen für Freisetzungen<br />

und Inverkehrbringen nach § 16 Abs. 1 und Abs. 2 GenTG.<br />

Ein präventiver Erlaubnisvorbehalt kann auch mit Anzeigepflichten verknüpft<br />

sein. Auf diese Weise erhält die Behörde Kenntnis von der Tätigkeit und kann<br />

entscheiden, ob sie einschreiten muß. Derartige Anzeige- und Mitteilungspflichten<br />

bestehen, um eine fortlaufende Überwachung einer gefährlichen<br />

Tätigkeit zu ermöglichen. 8 Sie sind damit zugleich wichtige Instrumente der Risikokommunikation<br />

und notwendige Voraussetzung der Risikokontrolle. Beispielhaft<br />

sei hier auf § 21 Abs. 4 GenTG verwiesen, wonach der Betreiber nach<br />

Abschluß einer Freisetzung dem Robert-Koch-Institut (als Nachfolgeeinrichtung<br />

des Bundesgesundheitsamtes 9 ) die Ergebnisse der Freisetzung im Zusammenhang<br />

mit der Gefährdung der menschlichen Gesundheit und der Umwelt anzuzeigen<br />

hat.<br />

5.1.3. Verbot mit Anmeldevorbehalt und Anzeige<br />

Von diesen Fällen ist das Verbot mit Anmeldevorbehalt zu unterscheiden. Es<br />

setzt voraus, daß die Tätigkeit solange verboten ist, wie sie nicht angemeldet<br />

ist. 10 Häufig ist dieser Anmeldevorbehalt mit einer Frist gekoppelt, nach deren<br />

Ablauf die Tätigkeit als erlaubt gilt, wenn sie von der Zulassungsbehörde nicht<br />

ausdrücklich untersagt oder eingeschränkt wird. 11<br />

Dieser Regelungsstruktur entspricht das Anmeldeverfahren nach § 12 Abs. 7<br />

GenTG. Auch hier kann der Anmelder nach Fristablauf mit seiner Tätigkeit beginnen,<br />

unabhängig davon, ob die zuständige Behörde dem Vorhaben ausdrücklich<br />

zugestimmt hat. 12 Nach der amtlichen Begründung steht dieses Anzeigeverfahren<br />

nicht unter einem (präventiven Verbot mit) Erlaubnisvorbehalt. 13<br />

Allerdings kann der Nachweis umfangreicher Unterlagen, die von dem Anzeigepflichtigen<br />

vorgelegt werden müssen, die Eingriffsintensität des Anzeigevorbehalts<br />

dem eines Erlaubnisvorbehalts stark annähern. 14<br />

Die Steuerungswirkung dieses Instruments hängt, stärker als beim präventiven<br />

Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, von der Kapazität und Intensität der behördlichen<br />

8 Sogenannte Befolgungskontrolle, Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4 Rn. 36.<br />

9 Art. 5 § 1 des Gesundheitseinrichtungen-Neuordnungs-Gesetz (GNG), BGBl.I 1994, S.<br />

1416.<br />

10 Dazu Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 9 Rn. 54.<br />

11 Diese Verfahrensstruktur geht auf entsprechende EG-Richtlinien zurück.<br />

12 § 12 Abs. 7 Satz 3 GenTG. Vgl. die amtliche Begründung zu § 12, in: Eberbach et al.,<br />

Gentechnikrecht, 1996, GenTR, § 12, Rdn. 5.<br />

13 Auch Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 12 Rn. 2.<br />

14 Kloepfer, Umweltrecht, 1989, § 4 Rn. 35.<br />

103


Prüfung ab. Da bei behördlicher Untätigkeit nach Fristablauf mit der jeweiligen<br />

Forschungstätigkeit begonnen werden kann, ist es im Extremfall denkbar, daß<br />

eine präventive behördliche Kontrolle überhaupt nicht stattfindet. Die Mehrzahl<br />

der gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken (in Anlagen) unterfällt dieser<br />

Regelungsstruktur.<br />

Vereinzelt kennt das Gentechnikgesetz auch eine bloße Anzeige ohne Frist (§ 9<br />

Abs. 3 GenTG). In diesen Fällen kann unmittelbar nach der Anzeige mit der Tätigkeit<br />

begonnen werden. Eine entsprechende Regelung enthält nunmehr auch der<br />

Vorschlag für eine Änderung der EG-Containment-Richtline. 15 Nach den vorgeschlagenen<br />

Änderungen in Art. 8 und 9 der Richtlinie sollen Tätigkeiten der Gefahrenklasse<br />

1 nur einer Anmeldung ohne Wartefrist unterliegen. Der Betreiber<br />

kann danach unmittelbar nach der Anmeldung mit der Tätigkeit beginnen, ohne<br />

daß er eine Entscheidung der Behörde abzuwarten braucht. 16 Die Behörde ist<br />

dann auf eine nachträgliche Kontrolle im Rahmen der Überwachung verwiesen.<br />

5.1.4. Erlaubnis mit präventivem Verbotsvorbehalt<br />

Ein schwächeres Steuerungsinstrument ist schließlich die Erlaubnis mit (präventivem)<br />

Verbotsvorbehalt. Danach ist die Tätigkeit grundsätzlich erlaubt, kann im<br />

Rahmen einer nachträglichen Verwaltungskontrolle aber aus präventiven Gründen<br />

beschränkt oder verboten werden. 17 Grundsätzlich sind somit Risikoermittlung, -<br />

bewertung und -entscheidung in die Hände des jeweiligen Anwenders gelegt. Die<br />

Behörde zieht die Entscheidungsmacht nur im Bedarfsfall an sich.<br />

Als Beispiel für eine derartige Regelungsstruktur kann die Forschungsprivilegierung<br />

nach § 20 Abs. 1 Satz 1 des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG) angesehen<br />

werden, die öffentliche Forschungseinrichtungen von dem Erlaubnisvorbehalt<br />

bestimmter Arbeiten mit Krankheitserregern ausdrücklich ausnimmt.<br />

Gleichwohl kann die zuständige Behörde erlaubnisfreie Arbeiten unter bestimmten<br />

Voraussetzungen untersagen, wenn sich die ausführende Person als unzuverlässig<br />

erwiesen hat oder wenn geeignete Räume oder Einrichtungen nicht vorhanden<br />

sind, § 20 Abs. 3 BSeuchG.<br />

15 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der Richtlinie 90/219/EWG über die<br />

Anwendung genetisch veränderter Mikroorganismen in geschlossenen Systemen,<br />

KOM(95) 640 endg. vom 6.12.1995.<br />

16 Die Kommission erachtet diese Regelung als sachgerecht, da Tätigkeiten der Klasse 1<br />

keine oder nur sehr geringe Gefahren aufwiesen (Begründung zu Art. 8, KOM(95) 640<br />

endg. vom 6.12.1995, S. 5).<br />

17 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1994, § 9 Rn. 54.<br />

104


5.1.5. Versagung der Erlaubnis und Nebenbestimmungen<br />

Die dargestellten Erlaubnisverfahren implizieren die Möglichkeit, daß die zuständige<br />

Behörde die beantragte Erlaubnis versagt, weil die gesetzlich vorgeschriebenen<br />

Voraussetzungen nicht erfüllt werden. Für das Gentechnikgesetz<br />

ergibt sich dies implizit aus § 13 GenTG, für das Anmeldeverfahren aus § 12<br />

Abs. 10 GenTG. Die Behörde kann ihre Entscheidung aber auch mit Nebenbestimmungen<br />

versehen, soweit dies erforderlich ist, um die Genehmigungsvoraussetzungen<br />

sicherzustellen, § 19 Satz 1 GenTG. Insbesondere kann die Behörde<br />

eine Genehmigung auch befristen. 18 Daneben hat die Behörde auch die Möglichkeit,<br />

durch Auflagen bestimmte Verfahrensabläufe oder Sicherheitsvorkehrungen<br />

anzuordnen, § 19 Satz 2 GenTG.<br />

5.1.6. Bewertung<br />

Die verschiedenen Regelungsstrukturen weisen ein unterschiedliches Steuerungspotential<br />

auf. Ein der Tätigkeit vorgeschaltetes Genehmigungsverfahren hält<br />

den Antragsteller/Forscher im wohlverstandenen Eigeninteresse dazu an, die<br />

gesetzlichen Voraussetzungen schon zum Zeitpunkt der Antragstellung zu erfüllen,<br />

um möglichst schnell eine Erlaubnis zu erhalten. Zudem wird der Antragsteller/Forscher<br />

versuchen, im Wege des 'vorauseilenden Gehorsams' Nebenbestimmungen<br />

nach Möglichkeit zu vermeiden. Die entscheidende Wirkung dürfte hier<br />

vom Zeitmoment ausgehen. Da der Antragsteller seine Tätigkeit nicht beginnen<br />

darf, bevor die Genehmigung erteilt ist, gehen Zeitverzögerungen bei der Genehmigungserteilung<br />

zu seinen Lasten. Das Interesse des Antragstellers an einer<br />

zügigen behördlichen Entscheidung wird im GenTG durch gesonderte Fristenregelungen<br />

geschützt. 19<br />

Demgegenüber ist die Steuerungswirkung des Anmeldevorbehalts stark von<br />

der zu erwartenden Überwachungstätigkeit der Behörde bestimmt. Das Zeitmoment<br />

wirkt sich hier zugunsten des Anmelders aus. Handelt die Behörde nicht,<br />

so kann er nach Fristablauf mit der Tätigkeit beginnen. Das Interesse an einem<br />

möglichst schnellen Anmeldeverfahren bietet somit nicht unbedingt einen Anreiz<br />

zum normkonformen Verhalten. Bei den bloßen Anzeigeverfahren ohne Wartefrist<br />

sowie bei der Erlaubnis mit präventivem Verbotsvorbehalt besteht die Steuerungswirkung<br />

allenfalls in dem Drohpotential der Behörde, gegebenenfalls einzu-<br />

18 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 19 Rn. 10.<br />

19 Vgl. § 11 Abs. 5, wonach der Eingang der Unterlagen unverzüglich schriftlich zu bestätigen<br />

und die Vollständigkeit der Unterlagen zu prüfen ist. § 11 Abs. 6 GenTG regelt Fristen,<br />

in denen die Behörde zu entscheiden hat.<br />

105


schreiten. Die Wirksamkeit dieser Instrumente hängt somit entscheidend von der<br />

tatsächlichen bzw. vom Betreiber erwarteten Vollzugspraxis der Behörde ab. 20<br />

5.2. Nachweispflichten in Genehmigungs- und Anzeigeverfahren<br />

Im Genehmigungs- und Anzeigeverfahren können die Risiken einer beabsichtigten<br />

gentechnischen Arbeit, einer Freisetzung oder des Inverkehrbringens zunächst<br />

nur berücksichtigt werden, wenn sie zum Zeitpunkt der Erlaubnis - im Fall<br />

einer Anmeldung: der gesetzlichen Erlaubnisfiktion - bekannt oder wenigstens<br />

erkennbar waren. Für diese Risikobewertung spielen die Angaben der Antragsteller<br />

und Anmelder über das beabsichtigte Vorhaben und ihre sicherheitsrechtliche<br />

Einordnung eine besondere Rolle, denn sie bilden den Ausgangspunkt der behördlichen<br />

Überprüfung.<br />

Prinzipiell liegt die Nachweispflicht für das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen<br />

beim Antragsteller. 21 Dieser hat dem Genehmigungsantrag "die<br />

Unterlagen beizufügen, die zur Prüfung der Voraussetzungen der Genehmigung"<br />

22 erforderlich sind. 23<br />

5.2.1. Angaben über Sicherheitsbewertung<br />

Diese Angaben setzen daher nicht nur erste Überlegungen des Antragstellers<br />

voraus, sondern implizieren eine Festlegung des Antragstellers gegenüber der<br />

Behörde auf bestimmte beabsichtigte Vorhaben. Dabei hat der Antragsteller seine<br />

geplanten gentechnischen Arbeiten auch in Hinblick auf die erforderliche Sicherheitsstufe<br />

hin zu beschreiben, vgl. § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5, sowie auf die "verfügbaren<br />

Techniken zur Erfassung, Identifizierung und Überwachung des gentechnisch<br />

veränderten Organismus", § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 6 GenTG, auf deren<br />

Grundlage dann die Genehmigungsbehörde prüft, ob<br />

20 Im Bereich gentechnischer Anlagen ist die Überwachungstätigkeit der Behörden - im<br />

Verhältnis zu anderen umweltrelevanten Vollzugsbereichen - insgesamt als eher hoch einzustufen,<br />

vgl. unten, Kap. 7.3.<br />

21 Vgl. Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 13 Rn. 14.<br />

22 § 11 Abs. 2 Satz 1 GenTG. Entsprechende Regelungen enthält für das Anmeldeverfahren<br />

§ 12 Abs. 3 Satz 1 GenTG, für Freisetzungen und Inverkehrbringen ebenso § 15 Abs. 1<br />

Satz 1 GenTG.<br />

23 Die einzelnen Genehmigungsvoraussetzungen werden durch die Gentechnik-Sicherheitsverordnung<br />

(GenTSV) i.d.F. der Bekanntmachung vom 14.3.1995, BGBl. I S. 297, sowie<br />

der Gentechnik-Verfahrensordnung (GenTVfV) vom 4.11.1996, BGBl. I 1996, S. 1657ff.<br />

weiter konkretisiert.<br />

106


"für die erforderliche Sicherheitsstufe die nach dem Stand von Wissenschaft und<br />

Technik notwendigen Vorkehrungen getroffen sind und deshalb schädliche Einwirkungen<br />

auf die in § 1 Nr. 1 GenTG geschützten Rechtsgüter nicht zu erwarten sind"<br />

(§ 13 Abs. 1 Nr. 4 GenTG).<br />

Bei gentechnischen Arbeiten zu Forschungszwecken erfolgt die Sicherheitseinstufung<br />

gegebenenfalls nach einer 'vorläufigen' Bewertung des Gefährdungspotentials<br />

des gentechnisch veränderten Organismus, § 5 Abs. 2, § 7 Abs. 3 Nr. 1 b,<br />

Nr. 2 b, Abs. 4. GenTSV. Sowohl die Beschreibung des Vorhabens als auch der<br />

verfügbaren Sicherheitsvorkehrungen setzt voraus, daß der Antragsteller zunächst<br />

von sich aus eine Zuordnung seiner beabsichtigten Arbeiten zu einer Sicherheitsstufe<br />

vornimmt. 24<br />

Entsprechende Angaben über das geplante Vorhaben und seine sicherheitsrechtliche<br />

Bewertung sind vom Antragsteller auch bei Freisetzungen und dem<br />

Inverkehrbringen von gentechnisch veränderten Organismen vorzulegen. So ist<br />

bei Freisetzungen zu gewährleisten, "daß alle nach dem Stand von Wissenschaft<br />

und Technik erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden" (§ 16<br />

Abs. 1 Nr. 2 GenTG). Der Antragsteller hat daher bei Freisetzungsvorhaben in<br />

den Antragsunterlagen darzulegen:<br />

- eine dem Stand der Wissenschaft entsprechende Beschreibung der sicherheitsrelevanten<br />

Eigenschaften des freizusetzenden Organismus und der Umstände,<br />

die für das Überleben, die Fortpflanzung und die Verbreitung von Bedeutung<br />

sind, § 15 Abs. 1 Nr. 3 GenTG,<br />

- eine Darlegung der durch die Freisetzung möglichen sicherheitsrelevanten<br />

Auswirkungen auf die geschützten Rechtsgüter, § 15 Abs. 1 Nr. 4 GenTG,<br />

- und eine Beschreibung der geplanten Überwachungsmaßnahmen, § 15 Abs. 1<br />

Nr. 5 GenTG.<br />

Im einzelnen sind die zu machenden Angaben in der Gentechnikverfahrens-<br />

Verordnung (GentVfV) weiter konkretisiert. 25<br />

Der Beschreibung des Antragsgegenstandes und der Sicherheitsvorkehrungen<br />

korrespondiert die Verpflichtung des Antragstellers, die mit dem Vorhaben verbundenen<br />

Risiken "vorher umfassend zu bewerten", § 6 Abs. 1 Satz 2. Diese<br />

Bewertung ist Genehmigungsvoraussetzung nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 GenTG und<br />

ist mit den Antragsunterlagen nachzuweisen, § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 5 GenTG. 26<br />

24 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 11 Rn. 13; vgl. auch § 4 Abs. 1<br />

Satz 2, Anlage I Teil II, 4. Spiegelstrich GenTVfV.<br />

25 Vgl. Anlage 2 zu § 5 GenTVfV.<br />

26 Vgl. amtl. Begründung zu § 2 GenTAufzV, abgedruckt bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung,<br />

1996, § 2 Rn. 13.<br />

107


Entsprechendes gilt für das Anzeigeverfahren sowie der Sache nach für Freisetzungen<br />

und das erstmalige Inverkehrbringen. 27<br />

Bei Freisetzungen hat der Antragsteller darüber hinaus auch Unterlagen über<br />

vorangegangene Arbeiten in einer geschlossenen Anlage und über Freisetzungen<br />

beizufügen, § 15 Abs. 1 Nr. 3, 2. Halbsatz GenTG (Step-by-step-Prinzip). Diese<br />

Angaben bilden als Erfahrungswerte die Grundlage für die Bewertung der sicherheitsrelevanten<br />

Auswirkungen des Vorhabens auf geschützte Rechtsgüter, vgl.<br />

§ 5 Abs. 2 GenTVfV.<br />

Im übrigen soll die zuständige Behörde den Betreiber, sobald sie über das geplante<br />

gentechnische Vorhaben unterrichtet worden ist, diesen im Hinblick auf<br />

die Antragstellung oder auf eine notwendige Anmeldung beraten, § 2 GenTVfV.<br />

5.2.2. Bewertung<br />

Die Beschreibung der beabsichtigten Tätigkeit sowie deren sicherheitsrechtliche<br />

Einstufung verlangt vom Betreiber eine kritische Reflexion der gesetzlichen und<br />

behördlichen Erwartungshaltung. Auch organisationsintern kann die Erfüllung der<br />

Voraussetzungen den Antragsteller unter erheblichen Begründungszwang setzen,<br />

weil derartige Verfahren personelle und finanzielle Kapazitäten binden. Insofern<br />

beinhalten die den Genehmigungsverfahren vorgelagerten Nachweis- und Bewertungspflichten<br />

ein gewisses Selbststeuerungspotential. Andererseits ist die<br />

Wirkung auf die Betroffenen, die von diesen Anforderungen ausgeht, ambivalent.<br />

Insbesondere bei niedrigeren Risikostufen, bei denen nach Auffassung der Forscher<br />

kein Risiko besteht, können derartige Nachweispflichten auch zu einer<br />

geringeren Aufmerksamkeit gegenüber (unbekannten) Risiken führen.<br />

Der Risikoermittlung dienen die mit der Beschreibung des Vorhabens vom Antragsteller<br />

nachzuweisenden Sicherheitsüberlegungen. Die Angaben des Antragstellers<br />

über sein Vorhaben in Verbindung mit seiner Verpflichtung zur vorherigen<br />

und umfassenden Risikoabschätzung sind Merkpunkte eines gleichsam präventiven<br />

Reflexionsprogramms des eigenen Vorhabens, seiner Auswirkungen und<br />

der eigenen Leistungsfähigkeit zur Risikovorsorge. Gleichzeitig bilden diese Unterlagen<br />

neben den behördlichen Informationen eine Grundlage der Risikobewertung<br />

und -entscheidung der Behörde. Die Vorschriften über die Antragsunterlagen<br />

sollen sicherstellen, daß die Behörde auch über die Informationen des Antragstellers<br />

verfügt. 28 Die Vorlage der Antragsunterlagen kann im Zusammenhang mit<br />

27 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 6 Rn. 4 unter Hinweis auf § 15<br />

Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 und 4 (für Freisetzungen) und Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 und 4 (für das Inverkehrbringen)<br />

GenTG.<br />

28 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 6, Rn. 2.<br />

108


der Beratungspflicht der Behörde nach § 2 GenTVfV als Teil einer Risikokommunikation<br />

zwischen Antragsteller und Behörde angesehen werden.<br />

Offenbar gibt es jedoch gerade in diesem Bereich erhebliche Kommunikationsprobleme<br />

zwischen den Behörden und den Adressaten dieser Regelungen.<br />

Forscher beklagen sich teilweise über mangelnde Kommunikationsbereitschaft<br />

der Behörden und einen formalistischen und bürokratischen Umgang im Kommunikationsprozeß.<br />

Andererseits werden Beratungsangebote teilweise nicht<br />

wahrgenommen. 29<br />

5.3. Dynamisierung der Risikovorsorge<br />

5.3.1. Laufende Risikobewertungspflicht<br />

Die Beurteilung des Risikos und der erforderlichen Vorsorgemaßnahmen liegt<br />

zunächst beim verantwortlichen Betreiber als dem potentiellen Risikoverursacher.<br />

Nach § 6 Abs. 1 GenTG haben der Betreiber gentechnischer Anlagen und diejenigen,<br />

die gentechnische Arbeiten durchführen, gentechnisch veränderte Organismen<br />

freisetzen oder in den Verkehr bringen, die damit verbundenen Risiken<br />

vorher umfassend zu bewerten und diese Bewertung dem Stand der Wissenschaft<br />

anzupassen. Dieser Bewertungs- und Anpassungspflicht korrespondiert die Vorsorgepflicht<br />

nach § 6 Abs. 2 Satz 1 GenTG.<br />

Im Ergebnis verpflichten § 6 Abs. 1 und 2 den Betreiber zu einer dynamischen<br />

Vorsorge. So ist die Risikobewertung dem jeweils neuesten Erkenntnisstand der<br />

Wissenschaft anzupassen ("Stand von Wissenschaft") und die notwendigen Vorkehrungen<br />

müssen sich am Erkenntnisstand von "Wissenschaft und Technik"<br />

orientieren. 30 Ein Beispiel sind die geplanten Überwachungsmaßnahmen und<br />

Notfallpläne bei Freisetzungen nach § 15 Nr. 5 GenTG, § 5 Abs. 1 Nr. 5<br />

GenTVfV i.V.m. Anlage 2 Teil III, deren Beschreibung Bestandteil der Genehmigungsunterlagen<br />

ist und die gegebenenfalls anzupassen sind.<br />

Das Vorsorgegebot erstreckt sich auf die nach dem GenTG geschützten<br />

Rechtsgüter, nämlich Leben und Gesundheit von Menschen, Tieren, Pflanzen<br />

sowie der sonstigen Umwelt in ihrem Wirkungsgefüge, § 6 Abs. 2 i.V.m. § 1<br />

Nr. 1 GenTG. Näher konkretisiert wird es durch die allgemeinen Schutzpflichten<br />

29 Dazu unten, Kap. 7.6.1.<br />

30 Vgl. BVerfG, Bd. 49 (1979), S. 89ff. (135f.): "Entwicklungsstand fortschrittlichster Verfahren,<br />

Einrichtungen und Betriebsweisen ..., die nach Auffassung führender Fachleute aus<br />

Wissenschaft und Technik auf der Grundlage neuester wissenschaftlich vertretbarer Erkenntnisse<br />

im Hinblick auf das gesetzlich vorgegebene Ziel für erforderlich gehalten werden<br />

und die Erreichung des Ziels als gesichert erscheinen lassen".<br />

109


nach § 8 Abs. 1 GenTSV 31 , der neben einer Bezugnahme auf die geschützten<br />

Rechtsgüter den Betreiber auch konkret auf die Einhaltung der geltenden Arbeitsschutz-<br />

und Unfallverhütungsvorschriften verpflichtet. 32 Insbesondere sind die<br />

allgemeinen sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen und hygienischen Regeln,<br />

die sonstigen gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnisse sowie die<br />

allgemeinen Empfehlungen der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit<br />

zu beachten, § 8 Abs.1 Satz 2 GenTSV. Hinzu tritt die Ermittlungs- und Bewertungspflicht<br />

von Gefahren im Hinblick auf die Beschäftigten nach § 8 Abs. 4<br />

GenTSV. Arbeitssicherheitsmaßnahmen sind in § 12 GenTSV konkretisiert.<br />

Die Verpflichtung des Betreibers zur dynamischen Vorsorge beschränkt sich<br />

nicht auf den Zeitpunkt bis zur Genehmigung oder Anmeldung eines Vorhabens,<br />

sondern sie geht zeitlich darüber hinaus und gilt während des gesamten Vorhabens.<br />

Andererseits beschränkt sich die Anpassungspflicht der Risikobewertung<br />

auf den jeweils bestehenden Erkenntnisstand der Wissenschaft, eine eigenständige<br />

Pflicht zur begleitenden Risikoforschung kennt das Gentechnikgesetz nicht.<br />

Entsprechende Nebenstimmungen oder nachträgliche Auflagen nach § 19 GenTG<br />

sind nur zulässig, um die Einhaltung der Genehmigungsvoraussetzungen durchzusetzen.<br />

33 Der gentechnische Vorsorgetatbestand verpflichtet demnach die Betreiber<br />

nicht zu einer vorsorgenden Risikoforschung, um insbesondere hypothetische<br />

Risiken aufzuklären. 34 Er ist insoweit lediglich verpflichtet, seine eigenen Erkenntnisse<br />

der zuständigen Behörde anzuzeigen.<br />

5.3.2. Step-by-step-Prinzip<br />

Als besonderer Ausdruck der gentechnikrechtlichen Dynamisierung der Vorsorgepflicht<br />

kann das sogenannte Step-by-step-Prinzip angesehen werden. Danach<br />

ist in einem gestuften Verfahren vom Labor über die Freisetzung bis zum<br />

Inverkehrbringen der Eintritt in die jeweils nächste Stufe immer erst dann zulässig,<br />

wenn auf der vorherigen Stufe genügend Erfahrungen für eine Beurteilung der<br />

31 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 8 Rn. 8.<br />

32 Unterschiede zwischen Forschungs- und gewerblichen Zwecken bei gentechnischen Arbeiten<br />

liegen hier nicht in der Vorsorgepflicht, wohl aber in der Vorlage von Unterlagen z.B.<br />

über Zahl und Ausbildung des Personals sowie Unfallverhütungsmaßnahmen, § 11 Abs. 2<br />

Nr. 7 GenTG.<br />

33 Winter, Grundprobleme, 1993, S. 51. Weitergehend ist hier das Arzneimittelrecht, vgl.<br />

§ 28 Abs. 3 a und 3b AMG.<br />

34 Zur Möglichkeit, Risikoforschung als Begleitforschung im Rahmen der Genehmigung<br />

sowie durch Überwachungsmaßnahmen festzusetzen, vgl. Roller/Jülich, ZUR 1996, S.<br />

77f.<br />

110


Risiken gesammelt wurden. 35 Diese Stufung wird ausdrücklich in der Freisetzungs-Richtlinie<br />

der EG im 11. Erwägungsgrund eingeführt. 36 Im deutschen<br />

Recht ist dieses Stufenverhältnis allerdings nicht ausdrücklich verankert. 37<br />

Gleichwohl enthält das Gentechnikgesetz und das untergesetzliche Regelwerk<br />

Vorschriften, die als Ausdruck dieses Prinzips verstanden werden können. 38<br />

Die nur rudimentäre Verankerung des Step-by-step-Prinzips im geltenden<br />

Recht ist insofern zu bedauern, als es sich hierbei um ein im Umwelt- und Technikrecht<br />

grundsätzlich neues Instrument handelt, welches in besonderer Weise<br />

geeignet erscheint, bei der Risikobewertung auf vorhandene Wissensbestände<br />

zuzugreifen und Erfahrungen aus früheren Versuchen einzubeziehen. 39<br />

5.3.3. Prozedurale Erleichterungen<br />

§ 14 Abs. 4 GenTG enthält eine Verordnungsermächtigung zur Einführung eines<br />

vereinfachten Genehmigungsverfahrens, "soweit mit der Freisetzung von Organismen<br />

im Hinblick auf die in § 1 Nr. 1 genannten Schutzzwecke genügend Erfahrungen<br />

gesammelt sind". Damit hat der Gesetzgeber gewissermaßen eine umgekehrte<br />

Dynamisierung dahingehend geschaffen, daß unter den dort genannten<br />

Voraussetzungen eine verfahrensmäßige Vergünstigung für den Antragsteller<br />

eintritt.<br />

Mit dieser - allerdings ungewöhnlich schwammigen - Formulierung wird Art. 6<br />

Abs. 5 der Freisetzungs-Richtlinie umgesetzt. EG-rechtlich sind vereinfachte<br />

35 Zu weiteren Bedeutungsgehalten des Prinzips vgl. auch unten, Kap. 8.1.<br />

36 RL 90/220/EWG vom 23.4.1990, ABl. L 117 vom 8.5.1990, S. 15. Der 11. Erwägungsgrund<br />

lautet: "Die Einbringung von GVO in die Umwelt sollte nach dem 'Stufenprinzip' erfolgen,<br />

d.h., die Einschließung der GVO wird nach und nach stufenweise gelockert und ihre<br />

Freisetzung in der gleichen Weise ausgeweitet, jedoch nur dann, wenn die Bewertung<br />

der vorherigen Stufen in bezug auf den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt<br />

ergibt, daß die nächste Stufe eingeleitet werden kann."<br />

37 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 16 Rn. 3. Dies wurde ebenfalls von<br />

der Europäischen Kommission gerügt, vgl. Aufforderungsschreiben vom 6.8.1992, Ziffer<br />

14; vgl. bereits Führ, DVBl. 1991, S. 566; kritisch auch: Winter, Grundprobleme, 1993, S.<br />

50.<br />

38 Etwa § 15 Abs. 1 Nr. 3, § 15 Abs. 3 Nr. 2 GenTG, § 5 Abs. 2 GenTVfV. Auch die<br />

GenTVfV hat das Prinzip insofern berücksichtigt, als bei den vorzulegenden Informationen<br />

im Rahmen des Genehmigungsverfahrens auch eine Beschreibung der Zielsetzung und der<br />

geplanten Produkte der Freisetzung erfolgen muß, Anlage 2 zu § 5 GenTVfV, Abschnitt<br />

A, Teil II, A. 1.<br />

39 Zu den sich im Vollzug ergebenden Widersprüchen des Step-by-step-Prinzips vgl. unten,<br />

Kap. 8.8.<br />

111


Genehmigungsverfahren derzeit bereits bei bestimmten Pflanzen zugelassen. 40<br />

Über die genaueren Beurteilungskriterien herrscht allerdings weitgehend Unklarheit.<br />

5.4. Aufzeichnungspflichten<br />

Eine Aufzeichnungspflicht über die Durchführung von gentechnischen Arbeiten<br />

und Freisetzungen besteht nach § 6 Abs. 3 Satz 1 GenTG. Näheres über Form,<br />

Inhalt und Aufbewahrungsdauer der Aufzeichnungen ergibt sich aus der Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung<br />

(GenTAufzV) 41 und zum Teil auch aus der<br />

Gentechnik-Sicherheitsverordnung (GenTSV). 42 Bis zur Neufassung der Gen-<br />

TAufzV war der Anwendungsbereich dieser Verordnung nur auf gentechnische<br />

Arbeiten beschränkt. Im Rahmen von Freisetzungsvorhaben ergab sich die Aufzeichnungspflicht<br />

aber auch schon zuvor unmittelbar aus § 6 Abs. 3 Satz 1<br />

GenTG, es fehlte jedoch an einer Festlegung der aufzuzeichnenden Details. 43<br />

Nunmehr gilt die GenTAufzV entsprechend ihres in § 1 erweiterten Anwendungsbereichs<br />

auch für Freisetzungen. 44<br />

5.4.1. Bedeutung der Aufzeichnungspflicht<br />

Die Aufzeichnungen sind zunächst Grundlage einer nachlaufenden behördlichen<br />

Kontrolle, beispielsweise durch einen Vergleich der vom Betreiber eingereichten<br />

Antragsunterlagen und der späteren Aufzeichnungen. 45 Zu diesem Zweck sind die<br />

Aufzeichnungen vom Betreiber aufzubewahren, bei gentechnischen Arbeiten der<br />

Sicherheitsstufe 1 zehn Jahre, bei den anderen Sicherheitsstufen und bei Freisetzungen<br />

dreißig Jahre nach Abschluß der Arbeiten bzw. der Freisetzung. Die Aufzeichnungen<br />

sind der zuständigen Behörde auf ihr Ersuchen vorzulegen. 46 Au-<br />

40 Entscheidung der Kommission 93/584/EWG vom 22.10.1993 sowie Entscheidung<br />

94/730/EG vom 4.11.1994.<br />

41 Vom 24.10.1990, BGBl. I S. 2338. In der Neubekanntmachung vom 8.11.1996, BGBl. I<br />

1996, S. 1645.<br />

42 Kritisch zur nicht ausreichenden Abstimmung von GenTG, GenTAufzV und GenTSV,<br />

Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, § 2 Rn. 74ff.<br />

43 Die Behörde kann Aufzeichnungspflichten gegenüber dem Betreiber auch im Wege einer<br />

Auflage nach § 19 GenTG im Genehmigungsbescheid anordnen oder gegebenenfalls im<br />

Wege einer Überwachungsanordnung erteilen, Roller/Jülich, ZUR 1996, S. 77.<br />

44 Die aufzuzeichnenden Angaben ergeben sich aus § 2 Abs. 5 GenTAufzV.<br />

45 Vgl. aber unten, Kap. 5.4.3.<br />

46 Vgl. § 6 Abs. 3 Satz 1 GenTG, § 4 Abs. 1 GenTAufzV.<br />

112


ßerdem können die mit der Überwachung beauftragten Personen die zur Erfüllung<br />

ihrer Aufgaben erforderlichen Unterlagen, wozu auch die Aufzeichnungen zählen,<br />

47 einsehen und hieraus Ablichtungen oder Abschriften anfertigen. 48<br />

Die Aufzeichnungspflicht dient auch der Selbstkontrolle des Betreibers 49 über<br />

den Verlauf seiner gentechnischen Arbeiten und damit zumindest indirekt der<br />

Risikovorsorge. Die Aufzeichnungen sollen zur laufenden Reflexion der eigenen<br />

Tätigkeit anregen, zumindest aber eine Rekonstruktion des jeweiligen Projektverlaufes,<br />

der beteiligten und verantwortlichen Mitarbeiter und der jeweils vorgenommenen<br />

Sicherheitsvorkehrungen ermöglichen. Schließlich können die Aufzeichnungen<br />

im Schadensfall den Ursachennachweis erleichtern. 50<br />

Aufzeichnungspflichtig ist zunächst der Betreiber, § 6 Abs. 3 GenTG, der allerdings<br />

den Projektleiter mit der Führung der Aufzeichnungen beauftragen kann,<br />

§ 4 Abs. 2 GenTAufzV. Die Aufzeichnungen sind von dem jeweils Verantwortlichen<br />

zu unterschreiben, der damit die Richtigkeit der Aufzeichnungen<br />

bestätigen soll. 51 Das kann nach § 3 Abs. 3 Satz 1 GenTAufzV der Betreiber, der<br />

Projektleiter oder eine von diesem bestimmte Person sein. Eine Wahrnehmung<br />

der Aufzeichnungspflicht durch sich abwechselnde Personen wird für zulässig gehalten.<br />

52<br />

Die Verletzung einer Aufzeichnungspflicht ist ordnungsrechtlich sanktioniert,<br />

§ 5 GenTAufzV. Im Rahmen eines Haftungsanspruches kann die Verletzung der<br />

Aufzeichnungspflicht auch zu einer Beweiserleichterung des Geschädigten bis zur<br />

Umkehr der Beweislast führen. 53<br />

Gesonderte Bedeutung hat die Aufzeichnungspflicht bei weiteren gentechnischen<br />

Arbeiten zu Forschungszwecken der Sicherheitsstufe 1, da hier keine Antrags-<br />

oder Anmeldeunterlagen zu erstellen sind, sondern im Wege der Aufzeichnung<br />

nur eine Selbsteinschätzung durch den Betreiber erfolgt. 54<br />

47 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 25 Rn. 14.<br />

48 § 25 Abs. 3 Nr. 3 GenTG.<br />

49 Vgl. auch Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, Einl., Rn. 5.<br />

50 Amtl. Begründung, abgedruckt bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996,<br />

GenTAufzV, vor § 1 Rn. 3.<br />

51 Vgl. Begründung zu § 2 GenTAufzV, bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung,<br />

1996, GentAufzV, § 2 Rn. 24.<br />

52 Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, § 2 Rn. 94, § 4 Rn. 14.<br />

53 Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, GentAufzV, Einl. Rn. 7; Landsberg/Lülling<br />

in: ebenda, GenTG, § 35 Rn. 33, 34, Rn. 12, 14, 20; Hirsch/Schmidt-<br />

Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 35 Rn. 14 a.E. Vgl. auch unten, Kap. 6.<br />

54 Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, § 2 Rn. 87.<br />

113


5.4.2. Inhalt der Aufzeichnungen<br />

Nach der GenTAufzV müssen die Aufzeichnungen gentechnischer Arbeiten insbesondere<br />

die Angaben über die Risikobewertung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GenTG<br />

enthalten. 55 Da diese Risikobewertung bereits vor Beginn der Arbeiten vorzunehmen<br />

ist, wird sie häufig bereits in den Antrags- bzw. Genehmigungsunterlagen<br />

enthalten sein, vgl. § 2 Abs. 6 GenTAufzV. Eine eigenständige Bedeutung hat die<br />

Aufzeichnungspflicht der Risikobewertung also nur in den Fällen, in denen weder<br />

eine Genehmigung noch eine Anmeldung erforderlich ist. 56<br />

Nach § 2 Abs. 7 Satz 1 GenTAufZV sind die Aufzeichnungen, soweit erforderlich,<br />

fortlaufend zu führen. Andererseits läßt es die GenTAufzV auch ausdrücklich<br />

zu, daß aufzuzeichnende Angaben durch Angaben in den Genehmigungs-<br />

und Anmeldeunterlagen ersetzt werden können, § 2 Abs. 6 GenTAufzV.<br />

Wann fortlaufende Aufzeichnungen im Sinne einer ständigen Protokollierung der<br />

einzelnen Arbeitsschritte erforderlich sind, richtet sich nach dem Inhalt der Aufzeichnungen.<br />

So sind die Angaben über die einzelnen Arbeitsschritte bei Arbeiten<br />

der Sicherheitsstufe 3 und 4 ständig (§ 2 Abs. 4 Nr. 1 GenTAufzV), die Risikobewertung<br />

nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GenTG bereits vor Beginn der Arbeiten<br />

(Abs. 7 Satz 2) und besondere Ereignisse jeweils bei ihrem Auftreten (Abs. 1<br />

Satz 1 Nr. 11 und Abs. 5 Nr. 13) aufzuzeichnen. Weitere Aufzeichnungspflichten<br />

bestehen nach der Gentechniksicherheits-Verordnung (GenTSV).<br />

5.4.3. Bewertung<br />

Grundsätzlich sollen die Aufzeichnungspflichten dazu beitragen, in einem Bereich<br />

von Unsicherheit Wissen zu erzeugen und Vorgänge nachvollziehbar zu machen.<br />

57 Gerade für die ungewißheitsbasierte Risikovorsorge kommt diesem Instrument<br />

deshalb besondere Bedeutung zu.<br />

Ob die so gewonnenen Daten zur Risikoermittlung und -kontrolle und darüber<br />

hinaus als Grundlage für eine begleitende oder spätere Risikoforschung - insbesondere<br />

im Hinblick auf die Erforschung hypothetischer Risiken - geeignet sind,<br />

ist angesichts der aufzuzeichnenden Tatbestände jedoch fraglich. Lediglich bei<br />

Arbeiten der Sicherheitsstufe 3 und 4 ist eine Aufzeichnung der einzelnen Arbeitsschritte<br />

erforderlich. Offen ist jedoch, ob diese Angaben mit denen über die<br />

"voraussichtliche" Anzahl der gentechnisch veränderten Organismen bzw. bei<br />

Mikroorganismen oder Zellkulturen dem "voraussichtlichen" Volumen der einzel-<br />

55 § 2 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 2 Abs. 7 Satz 2 GenTAufzV.<br />

56 Das ist der Fall bei weiteren Arbeiten der Stufe 1 zu Forschungszwecken.<br />

57 Wahl, Gentechnikgesetz, § 6 Rn. 78.<br />

114


nen Ansätze korrelieren müssen, vgl. § 2 Abs. 4 GenTAufzV. Aus der amtlichen<br />

Begründung ergibt sich immerhin, daß die fortlaufende Aufzeichnung dem<br />

"Nachvollzug der Risikoabschätzung durch die zuständige Behörde" dienen<br />

soll. 58 Zu diesem Zweck sollten diese Angaben zumindest eine fortlaufende Risikoabschätzung<br />

ermöglichen.<br />

Die Aufzeichnungspflicht unerwarteter Vorkommnisse nach § 2 Abs. 1 Satz 1<br />

Nr. 11 GenTAufzV enthält keine Verpflichtung, die vorgenommenen Sicherheitsmaßnahmen<br />

mit Ausnahme einer Änderung der Sicherheitsstufe, § 2 Abs. 2<br />

Nr. 2 GenTAufzV, aufzuzeichnen. Ergriffene Notfallmaßnahmen unterliegen<br />

demnach nicht einer Aufzeichnungspflicht, sind allerdings der zuständigen Behörde<br />

anzuzeigen, § 12 Abs. 3 GenTG.<br />

Von ihrer Zweckbestimmung beschränken sich die aufzuzeichnenden Angaben<br />

auf die Selbstkontrolle des Betreibers sowie das Überwachungsverhältnis zwischen<br />

diesem und der zuständigen Behörde. Im Einklang mit der Zweckbestimmung<br />

der Aufzeichnungen fehlen Vorschriften, die einen horizontalen Wissenstransfer<br />

zwischen Forschungseinrichtungen aus den Aufzeichnungen ermöglichen.<br />

Die Möglichkeit einer begleitenden oder vergleichenden Risikoforschung<br />

durch Dritte ist bei den Aufzeichnungspflichten nicht vorgesehen. Die einzige<br />

Rechtsvorschrift, die ausdrücklich eine Verwendung von Unterlagen Dritter vorsieht,<br />

gilt nur für Antrags- bzw. Anmeldeunterlagen und nur zur Vermeidung von<br />

Tierversuchen, § 17 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 GenTG. Im übrigen bedarf es zur<br />

Verwendung der Unterlagen Dritter grundsätzlich dessen schriftlicher Zustimmung,<br />

§ 17 Abs. 1 Satz 4 GenTG.<br />

Darüber hinaus sind die aufgezeichneten Informationen nur im Vergleich mit<br />

den Angaben in den Antrags- oder Anmeldeunterlagen sinnvoll für Zwecke einer<br />

Risikoforschung zu verwenden. Insoweit bedürfte es deshalb einer Vereinheitlichung<br />

der aufzuzeichnenden Daten mit den im Genehmigungs- und Anmeldeverfahren<br />

vorzulegenden Unterlagen. Als Grundlage für eine sinnvolle Risikoforschung<br />

müßte deshalb der Katalog des § 2 Nr. 1 und 5 GenTAufzV erheblich<br />

um sicherheitsrelevante Tatbestände erweitert werden. Derzeit ist zweifelhaft,<br />

ob die rechtlich verlangten Aufzeichnungen für eine laufende oder nachträgliche<br />

Selbstkontrolle der gentechnischen Forschung überhaupt eine ausreichende<br />

Aussagekraft haben. Im übrigen hängen die Rekonstruktionsmöglichkeiten gentechnischer<br />

Forschungsverläufe von der Qualität der aus anderen Gründen geführten<br />

Dokumentationen ab (Laborbücher, Benutzerbücher). 59<br />

58 Abgedruckt bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, § 2 Rn. 19.<br />

59 Die Begründung zur GenTAufzV verweist z.B. zu den Angaben nach § 2 Abs. 4 Nr. 1<br />

GenTAufzV (Dokumentation der einzelnen Arbeitsschritte der Sicherheitstufe 3 und 4) auf<br />

die in diesen Anlagen geführten 'Benutzerbücher', ohne daß deutlich ist, worauf Bezug ge-<br />

115


Die Aufzeichnungspflichten sind schließlich vor allem auf anlagenbezogene<br />

Arbeiten zugeschnitten. Zwar enthält nunmehr die GenTGAufzV in § 2 Abs. 5<br />

auch die bei einer Freisetzung aufzuzeichnenden Angaben. Diese sind allerdings<br />

überwiegend formaler Natur. Insoweit besteht ein auffälliges Mißverhältnis zwischen<br />

den detaillierten Angaben, die bei der Genehmigung gemäß Anlage 2 zu §<br />

5 der GenTVfV vorzulegen sind, und den im Rahmen der laufenden Versuchsüberwachung<br />

vorzunehmenden Aufzeichnungen, die hierauf, insbesondere<br />

im Hinblick auf umweltrelevante Daten, 60 praktisch keinen Bezug nehmen. Hier<br />

zeigt sich einmal mehr die 'Genehmigungsfixiertheit' des geltenden Gentechnikrechts<br />

und die unzureichend ausgeprägte Sensibilität für die Notwendigkeit<br />

der Generierung neuen Risikowissens.<br />

5.5. Anzeigepflichten<br />

Der Betreiber ist in bestimmten Fällen verpflichtet, der zuständigen Überwachungsbehörde<br />

gegenüber Änderungen, Vorkommnisse und Informationen mitzuteilen,<br />

die die Durchführung und Bewertung seiner Vorhaben betreffen. Im<br />

folgenden stehen die Anzeigepflichten im Vordergrund, die für die Ermittlung von<br />

Risiken gentechnischer Vorhaben von besonderer Bedeutung sein könnten. 61<br />

5.5.1. Verdachtsstörfälle<br />

Der Betreiber ist verpflichtet, der Überwachungsbehörde Verdachtsstörfälle anzuzeigen.<br />

Nach § 21 Abs. 3 Satz 1 GenTG hat er der zuständigen Behörde<br />

"unverzüglich jedes Vorkommnis anzuzeigen, das nicht dem erwarteten Verlauf der<br />

gentechnischen Arbeit oder der Freisetzung oder des Inverkehrbringens entspricht<br />

und bei dem der Verdacht einer Gefährdung der in § 1 Nr. 1 GenTG bezeichneten<br />

Rechtsgüter besteht".<br />

Demnach muß auch bei Arbeiten zu Forschungszwecken jede Abweichung vom<br />

geplanten Verlauf, die einen konkreten Gefahrenverdacht begründet, angezeigt<br />

nommen wird; vgl. bei Fluck, Gentechnik-Aufzeichnungsverordnung, 1996, § 2 Rn. 19,<br />

69.<br />

60 Vgl. Anlage 2 zu § 5 GenTVfV, insbesondere Abschnitt A, Teil II B, C und D sowie<br />

Abschnitt B, Teil IV und VII.<br />

61 Weitere Anzeigepflichten gelten etwa bei einer Änderung der Beauftragung des Projektleiters,<br />

des Beauftragten für die Biologische Sicherheit etc.<br />

116


werden. 62 Zusätzlich sind alle für die Sicherheitsbewertung notwendigen Informationen<br />

sowie geplante oder getroffene Notfallmaßnahmen mitzuteilen, § 21<br />

Abs. 3 Satz 2 GenTG.<br />

Die Anzeigepflicht endet nicht mit dem formellen Ende der Arbeiten bzw. mit<br />

dem Abschluß einer Freisetzung, sondern besteht solange fort, wie Folgewirkungen<br />

möglich sind. 63 Darüber hinaus hat der Betreiber jedoch weder eine<br />

eigene Risikoermittlungs- noch eine (ausdrückliche 64 ) Marktbeobachtungspflicht<br />

hinsichtlich besonderer Vorkommnisse. 65<br />

Die besonderen Vorkommnisse sind der für die Anmeldung bzw. der Genehmigung<br />

zuständigen Behörde sowie der Überwachungsbehörde anzuzeigen, § 21<br />

Abs. 3 Satz 1 GenTG. Soweit das Robert-Koch-Institut nicht zu diesen Behörden<br />

zählt (bei gentechnischen Arbeiten), ist es nach § 28 Abs. 1 GenTG von der zuständigen<br />

Landesbehörde zu unterrichten.<br />

5.5.2. Neue Informationen<br />

Weiterhin hat der Betreiber neue Informationen über Risiken für die menschliche<br />

Gesundheit oder die Umwelt unverzüglich der zuständigen Behörde anzuzeigen,<br />

§ 21 Abs.5 GenTG. Diese Anzeigepflicht korrespondiert mit der Verpflichtung<br />

nach § 6 Abs. 1 Satz 2 GenTG, seine vor Beginn seines Vorhabens vorzunehmende<br />

Risikobewertung dem Stand der Wissenschaft anzupassen. Anzuzeigen<br />

sind demnach nicht nur eigene Erkenntnisse, sondern vor allem auch Informationen<br />

Dritter. Hierzu zählen auch Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Literatur<br />

oder aus Vorträgen. 66 Diese neuen Informationen müssen allerdings im Zusammenhang<br />

mit den gentechnischen Vorhaben des Betreibers stehen. 67<br />

Neu sind die Informationen, wenn sie zum Zeitpunkt der Anmeldung bzw. der<br />

Genehmigung in breiteren Fachkreisen noch nicht bekannt waren. 68 Darüber hinaus<br />

sind Informationen aber auch bereits dann neu, wenn sie nicht in den An-<br />

62 So allgemein für alle Zwecke Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn.<br />

6,; Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 84-87.<br />

63 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn. 6. Anderer Auffassung:<br />

Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 GenTG, Rn. 92.<br />

64 Eine haftungsrechtliche Marktbeobachtungspflicht kann jedoch im Einzelfall bestehen.<br />

65 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn. 6; Fluck, Gentechnikgesetz,<br />

1996, § 21 GenTG Rn. 92.<br />

66 Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 102.<br />

67 So Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 21 Rn. 11; Fluck, Gentechnikgesetz,<br />

1996, § 21 Rn. 102.<br />

68 Fluck, Gentechnikgesetz, 1996 § 21 Rn. 103.<br />

117


tragsunterlagen enthalten waren. 69 Denn nach Sinn und Zweck soll die Anzeigepflicht<br />

gewährleisten, daß die Behörde nicht nur aus eigener Kraft über den Stand<br />

der Wissenschaft informiert ist, sondern durch den Betreiber über relevante Erkenntnisänderungen<br />

unterrichtet wird. 70 Im übrigen hat der Betreiber diese neuen<br />

Informationen ohnehin im Rahmen seiner Verpflichtung, die Risikobewertung an<br />

den Stand der Wissenschaft anzupassen, zu berücksichtigen. So gesehen markiert<br />

die Anzeigepflicht den Einstieg in eine an dem einzelnen Vorhaben orientierte<br />

Risikokommunikation zwischen Betreiber und Behörde, an deren Ende allerdings<br />

auch Maßnahmen einer behördlichen Risikokontrolle stehen können.<br />

5.5.3. Ergebnisse von Freisetzungen<br />

Schließlich hat der Betreiber nach Abschluß einer Freisetzung dem Robert-Koch-<br />

Institut als zuständiger Genehmigungsbehörde die Ergebnisse der Freisetzung im<br />

Zusammenhang mit der Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Umwelt<br />

anzuzeigen. 71 Dabei ist ein geplantes Inverkehrbringen besonders zu berücksichtigen,<br />

§ 21 Abs. 4 GenTG. Mitzuteilen sind sowohl bestätigende als auch potentielle<br />

Gefährdungen ausschließende Informationen. 72 Diese Anzeigepflicht kann<br />

eine Rückkoppelung der Freisetzungsergebnisse in die laufende Genehmigungspraxis<br />

ermöglichen und kann insofern als potentielles Instrument einer<br />

dynamischen Risikokontrolle angesehen werden.<br />

Die Verletzung der drei hier aufgeführten Anzeigepflichten ist nach § 38<br />

Abs. 1 Nr. 9 GenTG bußgeldbewehrt.<br />

5.5.4. Bewertung<br />

Die dargestellten Anzeigepflichten über<br />

- Verdachtsstörfälle<br />

- neue vorhabensrelevante Informationen und<br />

- Freisetzungsergebnisse<br />

69 Anderer Auffassung: Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 103.<br />

70 Entsprechendes ergibt sich aus den umzusetzenden EG-Richtlinien: Art. 12 Abs. 1 EG-<br />

System-Richtlinie (90/219/EWG) und Art. 5 Nr. 6 b) und Art. 11 Abs. 6, Spiegelstrich 2<br />

EG-Freisetzungs-Richtlinie (90/220/EWG). Zur unzureichenden Umsetzung von Art. 5 Nr.<br />

6 vgl. Mahnschreiben der Kommission vom 6.8.1992 - SG (92) D/10908 - Ziff. 10 sowie<br />

die Stellungnahme der Bundesregierung vom 7.10.1992; zum Ganzen vgl. auch Führ,<br />

DVBl. 1991, S. 566.<br />

71 Umgesetzt wird damit Art. 8 der EG-Freisetzungs-Richtlinie.<br />

72 Fluck, Gentechnikgesetz, 1996, § 21 Rn. 96.<br />

118


haben die Funktion, wenngleich in unterschiedlicher Weise, eine ausreichende<br />

Information der Behörde durch den Betreiber über vorhabensrelevante Risiken zu<br />

gewährleisten. In erster Linie dürfte die Meldepflicht daher als ein Instrument der<br />

Risikokontrolle einzustufen sein. Ebenfalls der Risikokontrolle dient die Anzeigepflicht<br />

neuer Informationen, da die Behörde auf diese Weise die Wahrnehmung<br />

der Anpassungspflicht der Risikobewertung an den Stand der Wissenschaft prüfen<br />

kann. Andererseits erweitert diese Informationspflicht aber auch die allgemeine<br />

Wissensbasis der Behörde und könnte gleichzeitig zum Einstieg in eine kritische<br />

Kommunikation zwischen Betreiber und Behörde über eine vorhabensrelevante<br />

Bewertung dieser neuen Informationen führen.<br />

Informationen über die Ergebnisse von Freisetzungen erweitern die Wissensbasis<br />

der Genehmigungsbehörde für zukünftige Genehmigungsverfahren gerade<br />

im Bereich ungewißheitsbasierter Vorsorge, in dem das Generieren von Wissen<br />

besondere Bedeutung hat. Die übrigen Meldepflichten scheinen aber in der Praxis<br />

- jedenfalls bei Arbeiten im Geschlossenen System - kaum eine Relevanz zu haben.<br />

Nachträgliche Informationen werden nämlich so gut wie nicht angezeigt. 73<br />

Dies könnte unter anderem in der der Meldepflicht inhärenten Ambivalenz zwischen<br />

Risikokontroll- und Risikokommunikationsinstrument liegen, die den<br />

Betreiber möglicherweise ordnungsbehördliche Nachteile befürchten läßt.<br />

5.6. Nachträgliche Eingriffsbefugnisse<br />

Die zuständigen Genehmigungs- und Aufsichtsbehörden haben zur Durchführung<br />

des Gentechnikgesetzes und seiner Verordnungen nachträgliche Eingriffs- und<br />

Überwachungsbefugnisse.<br />

5.6.1. Nachträgliche Auflagen<br />

Die Genehmigungsbehörde hat die Möglichkeit, bestehende Erlaubnisse auch<br />

durch nachträgliche Auflagen zu ändern, § 19 Satz 3 GenTG. Entsprechendes gilt<br />

für das Anmeldeverfahren, § 12 Abs. 10 i.V.m. § 19 Satz 3 GenTG. Der Gesetzgeber<br />

hat diese den Bestandsschutz einer Genehmigung beschränkende Regelung<br />

ausdrücklich damit begründet, daß<br />

"für gentechnische Arbeiten und Freisetzungen sowie das Inverkehrbringen gentechnisch<br />

veränderter Organismen noch keine abschließenden wissenschaftlichen<br />

Erkenntnisse und Erfahrungen vorliegen". 74<br />

73 Vgl. unten, Kap. 7.6.2.<br />

74 Abgedruckt bei Eberbach et al., Gentechnikrecht, 1996, § 19 Rn. 4.<br />

119


Die Genehmigungsbehörde müsse die Möglichkeit haben, auch nachträglich die<br />

durch die fortschreitende Entwicklung der Wissenschaft und Technik oder durch<br />

neuere Erfahrungen gebotenen Auflagen festzusetzen. Im Wege der Anordnung<br />

nachträglicher Auflagen kann die Genehmigungsbehörde demnach auf neue wissenschaftliche<br />

Erkenntnisse reagieren, die Entwicklung neuer, verbesserter Verfahren<br />

und Sicherheitsvorkehrungen anordnen und Änderungen der tatsächlichen<br />

oder rechtlichen Verhältnisse berücksichtigen. 75<br />

5.6.2. Widerruf, Rücknahme und Einstellung<br />

Als ultima ratio kann die Genehmigungsbehörde die Genehmigung nach den Regeln<br />

des Verwaltungsverfahrensrechts widerrufen oder zurücknehmen, wenn sich<br />

herausstellt, daß die Genehmigungsvoraussetzungen von Anfang an nicht bestanden<br />

haben oder nachträglich weggefallen sind. Demgegenüber ist die Anordnung<br />

einer einstweiligen Einstellung der Tätigkeit ein milderes Mittel, denn sie gibt<br />

dem Betreiber die Möglichkeit, die Voraussetzungen für eine Fortführung seines<br />

Vorhabens zu schaffen, § 20 Abs. 1 GenTG. 76 Für das Inverkehrbringen von<br />

gentechnisch veränderten Organismen (GVO) kann, wenn der begründete Verdacht<br />

besteht, daß die Voraussetzungen für das Inverkehrbringen nicht vorliegen,<br />

das Robert-Koch-Institut das Ruhen der Genehmigung bis zur Entscheidung der<br />

EG-Kommission bzw. des Rates anordnen, § 20 Abs. 2 GenTG.<br />

5.6.3. Untersagung<br />

Die nach Landesrecht zuständigen Überwachungsbehörden können den Betrieb<br />

einer gentechnischen Anlage, gentechnische Arbeiten, eine Freisetzung oder ein<br />

Inverkehrbringen ganz oder teilweise untersagen, § 26 Abs. 1 Satz 2 GenTG. 77<br />

Eine solche Untersagungsverfügung kann beispielsweise ergehen, wenn<br />

- gegen Nebenbestimmungen oder nachträgliche Auflagen nach § 19 verstoßen<br />

wird (Satz 2 Nr. 3) oder<br />

- die vorhandenen sicherheitsrelevanten Einrichtungen und Vorkehrungen nicht<br />

oder nicht mehr ausreichen (Satz 2 Nr. 4).<br />

75 So Hirsch/Schmidt-Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 19 Rn. 18.<br />

76 Vgl. die amtliche Begründung, abgedruckt bei Eberbach et al., Gentechnikrecht, 1996,<br />

§ 20 Rn. 2.<br />

77 Zur Abgrenzung zwischen Überwachungskompetenzen und nachträglichen Eingriffsbefugnissen<br />

der Genehmigungsbehörde bei Freisetzungen vgl. Roller/Jülich, ZUR 1996, S.<br />

74ff.<br />

120


Die letzte Alternative flankiert die Verpflichtung des Betreibers zur dynamischen<br />

Anpassung seiner Vorkehrungen an den Stand der Wissenschaft nach § 6 Abs. 1<br />

GenTG. Weitere Befugnisse ergeben sich aus § 26 Abs. 2 und 3 GenTG. Die<br />

zuständigen Behörden haben gegenüber den Betreibern die Befugnis, die Einhaltung<br />

der Betreiberpflichten zu überwachen.<br />

5.6.4. Bewertung<br />

Optimistisch formuliert können nachträgliche Eingriffsbefugnisse der Überwachungsbehörde<br />

gegenüber dem Betreiber präventive Wirkungen entfalten, vorausgesetzt<br />

die Überwachungsbehörde ist prinzipiell bereit, ihre rechtlichen Befugnisse<br />

unter den gesetzlichen Voraussetzungen auch tatsächlich anzuwenden.<br />

Das Gentechnikgesetz hat mit den Instrumenten der nachträglichen Anordnungen<br />

und Auflagen die klassischen ordnungsrechtlichen Instrumente übernommen, die<br />

bereits aus dem Gewerberecht bekannt sind. Daher ist zu befürchten, daß auch<br />

die rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten, die bei der Umsetzung nachträglicher<br />

Anforderungen an bestehende Anlagen, namentlich im Immissionsschutzrecht<br />

und im Atomrecht, bestehen, mitübertragen werden. Gegen die im<br />

Grundsatz statische Genehmigung vermögen sich die 'dynamischen' Eingriffsinstrumente<br />

nur schwer durchzusetzen. Dies gilt um so mehr, je 'unsicherer' die<br />

Erkenntnisfortschritte sind. Im Bereich der Risikovorsorge wirkt allgemein der<br />

Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit nachträglicher Auflagen als Korrektiv gegen<br />

übermäßige Dynamisierungsbemühungen. Zur sogenannten 'Restrisikominimierung'<br />

sollen nachträgliche Auflagen nach verbreiteter Ansicht ganz ausscheiden. 78<br />

Auch wenn bei der gentechnischen Forschung - zumindest im Laborbereich -<br />

die Vollzugsdichte (noch) relativ hoch ist, so können diese Instrumente allenfalls<br />

im Bereich der erkannten Risiken ('Prevention') wirken, bzw. dann, wenn ein<br />

neues Risiko (das vorher nicht bekannt war) erkannt wird. Zur Generierung neuen<br />

Wissens selbst ('Precaution') vermögen sie jedoch nichts beizutragen. Auch stoßen<br />

die Überwachungsmöglichkeiten der Behörden auf tatsächliche Grenzen. 79<br />

Die in anderen Bereichen des Umweltrechts diskutierte Frage der Dynamisierung<br />

der Genehmigungsentscheidung durch eine Befristung der Genehmigung 80<br />

stellt sich in dieser Form jedoch im Bereich gentechnischer Forschung nicht, da<br />

Freisetzungsvorhaben ohnehin auf eine bestimmte Dauer angelegt sind. Für Laborforschung<br />

gilt dies in ähnlichem Maße. Insoweit vermag eine dynamisierte<br />

78 Für das Atomrecht vgl. Roller, Genehmigungsaufhebung, 1994, S. 79, 115ff.<br />

79 Vgl. im einzelnen unten, Kap. 7.3.4.<br />

80 Grundsätzlich: Wickel, Bestandsschutz, 1996, S. 278ff.<br />

121


Risikobewertungspflicht, wie sie in § 6 Abs. 1 S. 1 GenTG enthalten ist, mehr zu<br />

bringen als eine pauschale zeitliche Befristung.<br />

5.7. Zentrale Kommission für biologische Sicherheit 81<br />

Mit der Einrichtung der Zentralen Kommission für Biologische Sicherheit<br />

(ZKBS) wollte der Gesetzgeber den für die<br />

"Bewertung von gentechnischen Arbeiten im geschlossenen System, Freisetzungen<br />

und des Inverkehrbringens gentechnisch hergestellter Organismen und Produkte<br />

spezifisch erforderlichen Sachverstand institutionalisieren". 82<br />

5.7.1. Aufgaben<br />

Die ZKBS hat nach § 5 Satz 1 GenTG<br />

- sicherheitsrelevante Fragen nach den Vorschriften des GenTG zu prüfen und<br />

zu bewerten,<br />

- hierzu Empfehlungen zu geben und<br />

- die Bundesregierung und die Länder in sicherheitsrelevanten Fragen der Gentechnik<br />

zu beraten.<br />

Weiterhin ist Aufgabe der ZKBS, jährlich der Öffentlichkeit über ihre Tätigkeit<br />

zu berichten, § 5 Satz 3 GenTG.<br />

Die Aufgaben der ZKBS im Zusammenhang mit der Bearbeitung sicherheitsrelevanter<br />

Fragen konzentrieren sich vor allem auf<br />

- Stellungnahmen im Rahmen der Anhörung zum Erlaß von Rechtsverordnungen<br />

83 und Verwaltungsvorschriften 84 ,<br />

- Stellungnahmen im Rahmen von Genehmigungs- und Anmeldeverfahren zur<br />

sicherheitstechnischen Einstufung der vorgesehenen Arbeiten und zu den erforderlichen<br />

Sicherheitsmaßnahmen 85 ,<br />

- Prüfung und Bewertung von Freisetzungsanträgen sowie Abgabe entsprechender<br />

Empfehlungen zu möglichen Gefahren unter Berücksichtigung der geplanten<br />

Sicherheitsmaßnahmen, § 16 Abs. 5 GenTG.<br />

81 Vgl. unten, Kap. 7.3.<br />

82 Amtliche Begründung, abgedruckt in Eberbach et al., Gentechnikrecht, 1996, GenTG, § 5<br />

Rn. 1.<br />

83 Nach § 7 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, § 14 Abs. 4, § 18 Abs. 2 Satz 2 und § 30 GenTG.<br />

84 Nach § 30 Abs. 5 GenTG.<br />

85 § 11 Abs. 8, § 12 Abs. 5 GenTG.<br />

122


Bei ihren Empfehlungen soll die ZKBS auch den Stand der internationalen Entwicklung<br />

auf dem Gebiet der gentechnischen Sicherheit angemessen berücksichtigen,<br />

§ 5 Satz 2 GenTG.<br />

Wenn die ZKBS als Beratungsgremium bei der Verordnungsgebung tätig wird,<br />

sind ihre Stellungnahmen für die Behörden unverbindlich. Gleichwohl hat die<br />

Kommission in der Praxis einen großen, vor allem auch die Rechtsanwendung<br />

vereinheitlichenden Einfluß. 86 Tatsächlich kann davon gesprochen werden, daß<br />

die Stellungnahmen und Empfehlungen der ZKBS eine faktische Bindungswirkung<br />

haben 87 , auch wenn eine rechtliche Bindung an die Empfehlungen der<br />

ZKBS nicht besteht.<br />

Insbesondere im Genehmigungs- und Anmeldeverfahren geht das GenTG von<br />

dem Regelfall aus, daß die zuständigen Genehmigungsbehörden der Stellungnahme<br />

der ZKBS folgen werden. Zwar ist ausdrücklich nur geregelt, daß die<br />

Behörde die Stellungnahme der ZKBS bei ihrer Entscheidung zu berücksichtigen<br />

hat, § 11 Abs. 8 Satz 2, § 12 Abs. 5, § 16 Abs. 5 GenTG, aber sie hat, wenn sie<br />

von dieser Empfehlung abweichen will, ihre Gründe schriftlich darzulegen, § 11<br />

Abs. 8 Satz 3 GenTG. Auf diese Weise wird ein Begründungszwang erzeugt, mit<br />

dem die von dem Votum der ZKBS abweichende Behörde in einen wissenschaftlichen<br />

Diskurs eingebunden wird. 88 In der Praxis kommt es freilich selten vor,<br />

daß die Behörde von einem Votum der ZKBS abweicht oder überhaupt in einen<br />

entsprechenden Diskurs eintritt, da dies behördliche Ressourcen erfordern würde,<br />

die in der Regel nicht zur Verfügung stehen. 89<br />

Erheblichen Einfluß hat die ZKBS auch im Zusammenhang mit der Einstufung<br />

gentechnischer Arbeiten in die verschiedenen Sicherheitsstufen nach § 7 Abs. 1<br />

GenTG. Diese Einstufung erfolgt anhand des Risikopotentials der gentechnischen<br />

Arbeiten, das wiederum durch die Eigenschaften der Empfänger- und Spenderorganismen,<br />

der Vektoren sowie des gentechnisch veränderten Organismus be-<br />

86 Vgl. etwa Di Fabio, Gentechnikgesetz, 1993, § 5 Rn. 15; Hirsch/Schmidt-Didczuhn,<br />

Gentechnikgesetz, 1991, § 5 Rn. 5; Eberbach/Ferdinand, Gentechniksicherheitsverordnung,<br />

1996, § 6 Rn. 66, 69f.<br />

87 Di Fabio, Gentechnikgesetz, 1993, § 5 Rn. 16 für das Anmelde- und Genehmigungsverfahren.<br />

88 Vgl. Di Fabio, Gentechnikgesetz, 1993, § 5 Rn. 16ff. mit Hinweisen auf das Arzneimittelrecht;<br />

Breuer, Ansätze, 1991, S. 58.<br />

89 Bisher hat sich die ZKBS vor allem über eine Abweichung von ihren Empfehlungen (durch<br />

die zuständige Behörde des Landes Hamburg) beklagt (vgl. unten, Kap. 7, Fn. 30). Ein in<br />

Ansätzen erkennbarer Versuch in diese Richtung stellt auch die Stellungnahme des Landes<br />

Hessen in einem Freisetzungsgenehmigungsverfahren gentechnisch veränderter Pflanzen<br />

dar. Hierbei ging es jedoch um eine Landesstellungnahme im Rahmen des § 16 Abs. 4 S. 2<br />

GenTG. Vgl. außerdem den Beschluß des VG Berlin vom 20.1.1995, abgedruckt in Eberbach<br />

et al., Entscheidungssammlung, 1996, Nr.1 zu § 5 GenTG.<br />

123


stimmt ist, § 7 Abs. 1 Satz 2 GenTG i.V.m. §§ 4ff. GenTSV. Für diese Risikobewertung<br />

legt die GenTSV i.V.m. mit Anhang I nähere Kriterien fest.<br />

So ergibt sich aus § 6 Abs. 2 Satz 1 GenTSV das bei gentechnischen Arbeiten<br />

zu Forschungszwecken für eine solche Risikobewertung zu beachtende Gefährdungspotential<br />

von Spender- und Empfängerorganismus aus der Zuordnung der<br />

Organismen zu den Risikogruppen 1 bis 4 anhand der in Anhang I Teil B Nr. 1<br />

genannten Kriterien, soweit diese nach dem Stand der Wissenschaft im Einzelfall<br />

von Bedeutung sind. Allerdings können diese Bewertungen auch in Listen zusammengefaßt<br />

werden. Nach § 5 Abs. 6 GenTSV veröffentlicht das Bundesministerium<br />

für Gesundheit nach Anhörung der ZKBS regelmäßig Listen von<br />

Organismen, in denen diese den Risikogruppen nach den allgemeinen Kriterien<br />

zugeordnet sind.<br />

Große Bedeutung für die Risikobewertung des gentechnisch veränderten Organismus<br />

haben die anzuwendenden biologischen Sicherheitsmaßnahmen nach<br />

§ 6 GenTSV. Bei Anwendung derartiger Sicherheitsmaßnahmen kann das an sich<br />

ermittelte Gefährdungspotential prinzipiell niedriger bewertet werden, § 5 Abs. 5<br />

GenTSV. Biologische Sicherheitsmaßnahmen werden zunächst durch die<br />

GenTSV formuliert, § 6 GenTSV i.V.m. Anhang II. Im übrigen können neue<br />

biologische Sicherheitsmaßnahmen durch die ZKBS im Rahmen von Genehmigungs-<br />

und Anmeldeverfahren anerkannt werden, § 6 Abs. 3 GentSV. Soweit der<br />

Antragsteller nicht widerspricht, kann die ZKBS neu anerkannte biologische Sicherheitsmaßnahmen<br />

auch regelmäßig öffentlich im Bundesgesundheitsblatt bekanntgeben,<br />

§ 6 Abs. 3 Satz 2 GenTSV. Ein Widerspruch des Betreibers hindert<br />

eine derartige Veröffentlichung nur für einen Zeitraum von drei Jahren, § 6 Abs. 3<br />

Satz 3 GenTSV.<br />

Ferner veröffentlicht die ZKBS nach der Novelle des Gentechnikgesetzes im<br />

Jahr 1993 "allgemeine Stellungnahmen" zu häufig durchgeführten gentechnischen<br />

Arbeiten, mit den jeweils zugrunde liegenden Kriterien der Vergleichbarkeit, § 11<br />

Abs. 6a GenTG. Im Rahmen ihrer Aufgabe, Empfehlungen nach § 5 Satz 1<br />

GenTG, § 1 Abs. 1 ZKBSV zu erlassen, kann die ZKBS allgemeine Sicherheitsstandards<br />

für das Gentechnikrecht formulieren. 90 Auf diese Weise gewinnen die<br />

Stellungnahmen in ihrer verallgemeinerten Form die Bedeutung faktischer Standards,<br />

die bei der Genehmigungs- und Überwachungspraxis zu beachten sind.<br />

90 Vgl. auch Eberbach/Ferdinand, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 6 Rn. 70, 80.<br />

Die bisherigen Empfehlungen der ZKBS sind abgedruckt in Eberbach et al., Gentechnikrecht,<br />

1996, Teil G.<br />

124


5.7.2. Zusammensetzung<br />

Entsprechend diesen Aufgaben soll die Kommission mit Sachverständigen besetzt<br />

sein, die über besondere und möglichst auch internationale Erfahrungen in<br />

den Bereichen Mikrobiologie, Zellbiologie, Virologie, Genetik, Hygiene, Ökologie<br />

und Sicherheitstechnik verfügen, § 4 Abs. 1 Nr. 1 GenTG. Weiterhin sollen<br />

fachkundige Personen aus den Bereichen der Gewerkschaften, des Arbeitsschutzes,<br />

der Wirtschaft, des Umweltschutzes und der forschungsfördernden Organisationen<br />

benannt werden. 91<br />

Berufen werden die sachverständigen Mitglieder auf Vorschlag des Wissenschaftsrates<br />

durch das zuständige Ministerium im Einvernehmen mit anderen<br />

Fachministern sowie im Benehmen mit den Landesregierungen, vgl. § 4 Abs. 2<br />

GenTG i.V.m. § 2 Abs. 1 ZBKSV. 92 Die Kommission ist dem Robert-Koch-<br />

Institut zugeordnet, § 4 Abs. 1 Satz 1 GenTG. Ihre Mitglieder sind kraft Gesetz<br />

unabhängig und nicht an Weisungen gebunden, § 4 Abs. 3 Satz 1 GenTG. Für<br />

ihre praktische Arbeit kann die ZKBS im übrigen auch Sachverständige hören,<br />

Gutachten beiziehen, Untersuchungen durch Dritte vornehmen lassen oder einzelne<br />

Mitglieder mit besonderen Aufgaben betrauen, § 7 ZKBSV.<br />

5.7.3. Bewertung<br />

In Anbetracht des großen Einflusses der ZKBS auf Normsetzung und Rechtsanwendung<br />

im Einzelfall gewinnen die Zusammensetzung der Kommission sowie<br />

das Verfahren, in dem die Stellungnahmen und Empfehlungen zustande kommen,<br />

an Gewicht.<br />

Kritisch ist die Zusammensetzung der ZKBS unter dem Gesichtspunkt einer<br />

ausreichende "Intention auf Gemeinwohlrichtigkeit" gewürdigt worden. 93 Ist der<br />

Gesetzgeber wegen der Komplexität der Risikofaktoren nicht in der Lage, selbst<br />

die umweltrechtlichen Standards vorzugeben, unter denen Umwelt- und Gesundheitsbelastungen<br />

hinzunehmen sind, dann muß der Gesetzgeber wenigstens "Organisation<br />

und Ablauf des Normerzeugungsprozesses unter dem Gesichtspunkt<br />

optimaler Grundrechtsberücksichtigung entwerfen". 94 Er muß insbesondere selbst<br />

Sorge dafür tragen, daß "die im Sinne der Gemeinwohlintention produktiven<br />

Prinzipien der Gegenmachtbildung, der Erkenntnisförderung durch Kontrastin-<br />

91 Vgl. unten, Kap. 7.2, Fn. 25.<br />

92 Verordnung über die Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit (ZKBSV) vom<br />

30.10.1990, BGBl. I S. 2418.<br />

93 Denninger, Verfassungsrechtliche, 1990, Rz. 115, 149, 171; Vgl. Bizer, Expertengremien,<br />

1991, S. 46f.; Führ, IUR 1992, S. 203.<br />

94 Denninger, Verfassungsrechtliche, Rz. 149.<br />

125


formation und des Minderheitenschutzes im Normsetzungsverfahren ausreichende<br />

Berücksichtigung finden". 95 Unter diesem Gesichtspunkt ist insbesondere die<br />

schwache Beteiligung des Umweltschutzes kritisch zu würdigen (ein Vertreter),<br />

der noch nicht einmal zwingend von den Umwelt- und Naturschutzverbänden<br />

vorgeschlagen werden muß. 96 Als eine weitere faktische Hürde hat sich erwiesen,<br />

daß die Tätigkeit in der ZKBS ehrenamtlich ist, § 3 Abs. 1 ZKBSV. Vorausgesetzt<br />

wird demnach, daß die Mitglieder der Kommission von ihrem jeweiligen<br />

Arbeitgeber für die Tätigkeit in der ZKBS freigestellt werden, was für Vertreter<br />

altruistischer Interessen wie dem Umweltschutz mit ganz anderen Schwierigkeiten<br />

verbunden ist als für einen in der Industrie oder an einer Universität beschäftigten<br />

Wissenschaftler. 97<br />

Das Übergewicht von zehn Sachverständigen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen<br />

kann sich prinzipiell vor seiner Funktion als Einrichtung zur fachwissenschaftlichen<br />

Bewertung gentechnischer Sicherheitsfragen rechtfertigen. Soll<br />

der Stand der Wissenschaft Niederschlag in den Bewertungen der ZKBS finden,<br />

dann ist eine Implementation der 'vordersten Front' der wissenschaftlichen Erkenntnis<br />

in die Arbeit der Kommission, sei es durch Ernennung von an der gentechnischen<br />

Forschung beteiligten Sachverständigen oder zusätzlichen Gutachtern,<br />

unausweichlich. Gleichzeitig liegt gerade für den Forschungsbereich in einer<br />

derartigen Verzahnung von Kenntnis aus eigener Forschung und notwendiger<br />

Distanz und Unabhängigkeit das eigentliche Regelungsdilemma.<br />

In der Wissenschaft wird dieses generelle Problem normalerweise dadurch gelindert,<br />

daß nur veröffentlichte und damit diskursfähige und nachprüfbare Erkenntnisse<br />

anerkannt werden. Demgegenüber sind jedoch die Mitglieder der<br />

ZKBS zur Vertraulichkeit verpflichtet, § 4 Abs. 3 Satz 2 GenTG, insbesondere<br />

haben die Teilnehmer an Sitzungen der ZKBS über deren Inhalt Verschwiegenheit<br />

zu wahren, § 10 Abs. 5 ZKBS. Auf diese Weise wird ein Wissens- und Erfahrungsaustausch<br />

zwischen Kommissionsmitgliedern und anderen Wissenschaftlern<br />

praktisch untersagt. 98 Vor allem aber fehlt es an der für eine wissen-<br />

95 Denninger, Verfassungsrechtliche, Rz. 179. Das BVerfG hat für die Zusammensetzung<br />

eines anderen Bewertungsgremiums, nämlich der Prüfstelle für jugendgefährdende Schriften<br />

gefordert, "daß die in den beteiligten Kreisen vertretenen Auffassungen zumindest tendenziell<br />

vollständig erfaßt werden", EuGRZ 1991, S. 33ff. (38).<br />

96 Derzeit (1997) ist in der Tat kein Vertreter der Umweltverbände in der ZKBS.<br />

97 Zu den erfolglosen Versuchen, diese Situation für die Vertreter des Umweltschutzes zu<br />

beheben, Führ, IUR 1992, S. 203. In diesem Zusammenhang sind auch die Fristen zur Abgabe<br />

einer Stellungnahme nach § 14 ZKBSV von in der Regel 6 Wochen als kaum realisierbar<br />

für Vertreter von vorwiegend auf ehrenamtlicher Basis arbeitenden Umweltverbänden<br />

einzuschätzen, sofern diesen nicht die dafür erforderlichen Mittel zur Verfügung<br />

gestellt werden.<br />

98 Führ, IUR 1992, S. 203.<br />

126


schaftliche Bewertung erforderlichen Transparenz des Verfahrens und der Argumente.<br />

Gleichwohl enthält die ZKBSV durchaus auch Vorschriften, die zumindest begrenzt<br />

eine Öffentlichkeit der Kommissionsergebnisse sicherstellen können. Neben<br />

dem jährlichen Tätigkeitsbericht der ZKBS nach § 5 Satz 3 GenTG, § 15<br />

Abs. 1 ZKBSV, kann die ZKBS der Öffentlichkeit auch sonst<br />

"in geeigneter Weise über Stellungnahmen von allgemeiner Bedeutung berichten,<br />

jedoch nicht vor Abschluß des jeweiligen Verfahrens nach dem Gentechnikgesetz"<br />

(§ 15 Abs. 2 ZKBSV).<br />

Ansonsten können nur die beteiligten Behörden, gegebenenfalls auch die Antragsteller,<br />

an der Risikokommunikation innerhalb der ZKBS partizipieren. Der Bundesgesundheitsminister<br />

sowie die zuständigen obersten Landesbehörden haben<br />

das Recht, zu den Sitzungen der Kommission, ihrer Ausschüsse und Arbeitskreise<br />

Vertreter zu entsenden, § 4 Abs. 1 ZKBSV. Auf Beschluß der ZKBS können<br />

weiterhin der Antragsteller und von ihm beauftragte Sachverständige zum mündlichen<br />

Vortrag vor der Kommission zugelassen werden, § 4 Abs. 2 ZKBSV.<br />

Ziel dieser Bestimmungen ist es offenbar, zwar einerseits ein gewisses Maß an<br />

öffentlicher Legitimation für die ZKBS-Entscheidungen sicherzustellen, andererseits<br />

aber die Beratungen selbst vor einer Einflußnahme durch die Öffentlichkeit<br />

abzuschirmen. Dabei geht es wohl kaum um die Geheimhaltung wissenschaftlicher<br />

Detailinformationen aus Konkurrenzgründen - denn dies wäre auch anders<br />

sicherzustellen gewesen. Beim Recombinant DNA Advisory Committee (RAC) in<br />

den USA zum Beispiel, das dort eine der ZKBS vergleichbare Funktion erfüllt,<br />

hat die Öffentlichkeit ein Teilnahme-, Rede- und Initiativrecht. Wichtige Anträge,<br />

Beschlüsse und die Wortprotokolle der Sitzungen werden regelmäßig veröffentlicht.<br />

Nur wenn der Antragsteller dies ausdrücklich verlangt, werden speziellere<br />

Aspekte in geheimen Unterlagen vom öffentlichen Verfahren abgetrennt und<br />

hinter verschlossenen Türen verhandelt.<br />

Die ZKBS entscheidet über ihre Ergebnisse durch Mehrheitsbeschluß. Überstimmte<br />

Mitglieder der Kommission können verlangen, daß ein Minderheitenvotum<br />

bei der Veröffentlichung oder Weiterleitung von Stellungnahmen zum<br />

Ausdruck gebracht wird, näher § 11 Abs. 3 ZKBSV. Ergebnisse der Sitzungen<br />

der ZKBS und ihre Begründungen sowie das Stimmenverhältnis sind im Sitzungsprotokoll<br />

niederzulegen, § 12 Abs. 1 ZKBSV. Das Sitzungsprotokoll erhalten<br />

die Mitglieder und stellvertretenden Mitglieder, die zuständigen Bundes- und<br />

Landesministerien auf Anforderung. Die zuständige Behörde erhält nur Auszüge<br />

aus dem Sitzungsprotokoll, soweit der Antragsteller oder der Anmelder sowie<br />

von diesem beauftragte Sachverständige angehört worden sind, § 12 Abs. 4<br />

ZKBSV.<br />

127


Immerhin hat die ZKBS die Möglichkeit, eine eingeschränkte eigene Risikoforschung<br />

zu initiieren, denn nach § 7 kann sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben auch<br />

Untersuchungen durch Dritte veranlassen.<br />

5.8. Behördlicher Informationsaustausch<br />

Neben dem Informationsaustausch zwischen den Genehmigungs- und Überwachungsbehörden<br />

und der ZKBS, der rechtlich wesentlich über die Stellungnahmen<br />

der ZKBS zu einzelnen Antragsverfahren sowie die allgemeinen Empfehlungen<br />

und Stellungnahmen läuft, hat das Gentechnikgesetz noch einen weiteren Informationsstrang<br />

zwischen den Behörden organisiert, der über das Robert-Koch-<br />

Institut 99 abgewickelt wird.<br />

Das Robert-Koch-Institut ist zuständig und berechtigt, Daten über gentechnische<br />

Anlagen und Arbeiten, Freisetzungen und Inverkehrbringen zum Zweck der<br />

Beobachtung, Sammlung und Auswertung sicherheitsrelevanter Sachverhalte zu<br />

verarbeiten und zu nutzen, § 29 Abs. 1 Satz 1 GenTG. Diese Informationen erhält<br />

das Robert-Koch-Institut von den zuständigen Behörden, die verpflichtet sind, es<br />

unverzüglich über<br />

- die im Vollzug getroffenen Entscheidungen zu unterrichten,<br />

- sicherheitsrelevante Erkenntnisse,<br />

- die ihnen angezeigten oder im Rahmen der Überwachung bekanntgewordenen<br />

sicherheitsrelevanten Vorkommnisse,<br />

- Zuwiderhandlungen oder einen Verdacht auf Zuwiderhandlungen gegen<br />

Rechtsvorschriften des GenTG oder gentechnikrechtlicher Rechtsverordnungen<br />

sowie gegen Auflagen oder angeordnete Maßnahmen.<br />

zu unterrichten, soweit gentechnische Arbeiten, Freisetzungen oder Inverkehrbringen<br />

berührt sind, § 28 Abs. 1 GenTG. Umgekehrt gibt das Robert-Koch-<br />

Institut seine Erkenntnisse, soweit sie für den Gesetzesvollzug von Bedeutung<br />

sein können, den zuständigen Behörden bekannt, § 28 Abs. 2 GenTG.<br />

Das Robert-Koch-Institut kann den zuständigen Behörden zur Verwendung im<br />

Rahmen von Anmelde- und Genehmigungsverfahren auch Daten über Stellungnahmen<br />

der ZKBS zur Sicherheitseinstufung und zu Sicherheitsmaßnahmen<br />

gentechnischer Arbeiten sowie über die von den Behörden getroffenen Maßnahmen<br />

übermitteln, § 29 Abs. 1 Satz 2 GenTG. Allerdings dürfen die Empfänger<br />

diese Daten nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie übermittelt wurden, § 29<br />

Abs. 1 Satz 3 GenTG.<br />

99 Heute das Robert-Koch-Institut als Nachfolgeeinrichtung des Bundesgesundheitsamtes.<br />

128


5.9. Innerbetriebliche Verantwortlichkeit<br />

Ein bewußterer Umgang mit Risiken kann schließlich auch dadurch erreicht werden,<br />

daß einzelne Personen für die Risikobewertung und -minimierung innerbetrieblich<br />

ausdrücklich verantwortlich gemacht werden. Die Beobachtung spezifischer<br />

Sicherheitsinteressen kann gesonderten Beauftragten mit eigenen Kontrollund<br />

Überwachungskompetenzen übertragen werden. Das Gentechnikgesetz folgt<br />

einem solchen Konzept, indem es Sicherheit durch die Zuweisung von Verantwortung<br />

an bestimmte Personen zu gewährleisten sucht. 100 Der Betreiber ist verpflichtet,<br />

einen Projektleiter sowie einen Betriebsbeauftragten für Biologische<br />

Sicherheit (BBS) zu bestellen und diesen definierte Aufgaben und Kompetenzen<br />

zuzuweisen. Während also der Betreiber die Außenverantwortung gegenüber der<br />

Überwachungsbehörde wahrnimmt, sind Projektleiter und BBS innerhalb des<br />

Betriebes für die Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen verantwortlich.<br />

Eine entsprechende innerbetriebliche Abschichtung der Verantwortlichkeiten<br />

besteht beim Inverkehrbringen gentechnisch veränderter Produkte nach dem<br />

GenTG jedoch nicht.<br />

5.9.1. Projektleiter<br />

Projektleiter ist<br />

"eine Person, die im Rahmen ihrer beruflichen Obliegenheiten die unmittelbare Planung,<br />

Leitung und Beaufsichtigung der gentechnischen Arbeiten oder Freisetzungen<br />

durchführt", § 3 Nr. 10 GenTG.<br />

Verantwortlich ist der Projektleiter für die Beachtung der gesamten Sicherheitsund<br />

Schutzvorschriften, die im einzelnen in den §§ 8 bis 14 GenTSV 101 geregelt<br />

sind, sowie darüber hinaus für die Einhaltung der seuchen,- tierseuchen-, artenschutz-<br />

und pflanzenschutzrechtlichen Vorschriften. Weiterhin ist der Projektleiter<br />

gegenüber der zuständigen Behörde verpflichtet, auf deren Verlangen die<br />

zur Überwachung erforderlichen Auskünfte unverzüglich zu erteilen, § 25 Abs. 2<br />

GenTG.<br />

100 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, vor § 14 Rn. 6f., spricht von "personellen<br />

Sicherheitsmaßnahmen", die die technischen, nämlich die biologischen und die physikalischen<br />

bzw. chemischen Maßnahmen ergänzen.<br />

101 Die genannten Schutzvorschriften der GenTSV umfassen die Allgemeine Schutzpflicht,<br />

Arbeitssicherheitsmaßnahmen, die technische und organisatorische Sicherheit im Laborund<br />

Produktionsbereich sowie in Gewächshäusern und Tierhaltungsräumen, und die Anforderungen<br />

an die Abwasser- und Abfallbehandlung.<br />

129


Die besondere Stellung des Projektleiters als dem innerbetrieblich Verantwortlichen<br />

ergibt sich auch daraus, daß der Projektleiter in den Antragsunterlagen<br />

gentechnischer Vorhaben namentlich mit Nachweis seiner Sachkunde zu benennen<br />

ist, § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 12 Abs. 2, § 15 Abs. 1 GenTG. Weiterhin hat<br />

der Betreiber jede Änderung in der Beauftragung des Projektleiters der zuständigen<br />

Behörde vorher anzuzeigen; bei einer unvorhergesehenen Änderung hat dies<br />

unverzüglich zu geschehen, § 21 Abs. 1 GenTG.<br />

Der Projektleiter muß die erforderliche Sachkunde nachweisen, nämlich<br />

"Kenntnisse insbesondere in klassischer und molekularer Genetik und praktische Erfahrungen<br />

im Umgang mit Mikroorganismen, Pflanzen oder Tieren und die erforderlichen<br />

Kenntnisse über Sicherheitsmaßnahmen und Arbeitsschutz bei gentechnischen<br />

Arbeiten besitzen", § 15 Abs. 1 Satz 1 GenTSV.<br />

Der Projektleiter muß darüber hinaus die notwendige Zuverlässigkeit aufweisen.<br />

102 Die Anforderung der Zuverlässigkeit ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz<br />

sowie aus der Berechtigung des Robert-Koch-Instituts, personenbezogene<br />

Daten zu verarbeiten und zu nutzen, soweit dies für die Beurteilung des Projektleiters<br />

erforderlich ist, § 29 Abs. 3 GenTG. An der erforderlichen Zuverlässigkeit<br />

kann es vor allem mangeln, wenn der Projektleiter bereits in der Vergangenheit<br />

gentechnikrechtliche Vorschriften verletzt hat. 103<br />

5.9.2. Betriebsbeauftragter für Biologische Sicherheit<br />

Während die Funktion des Projektleiters in der innerbetrieblichen Wahrnehmung<br />

der Betreiberpflichten besteht, soll der Betriebsbeauftragte für die Biologische<br />

Sicherheit (BBS) die Aufgabenerfüllung des Projektleiters überprüfen und den<br />

Betreiber beraten, § 3 Nr. 11 GenTG. Insofern ist der BBS ein internes Kontrollund<br />

Überwachungsinstrument, der die Einhaltung der sicherheitsrechtlichen Bestimmungen<br />

gewährleisten soll. Derartige Beauftragte für die Einhaltung bestimmter<br />

Sicherheitsvorkehrungen sind im übrigen auch in zahlreichen anderen<br />

Umweltgesetzen vorgesehen. 104<br />

Im Unterschied zum Projektleiter ist der BBS wegen seiner Beratungspflichten<br />

auch in Fragen des Arbeitsschutzes nach Anhörung des Betriebs- oder Personalrats<br />

vom Betreiber zu bestellen, § 16 Abs. 1 Satz 1 GenTSV. Jede Änderung der<br />

102 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 15 Rn. 113ff.; Hirsch/Schmidt-<br />

Didczuhn, Gentechnikgesetz, 1991, § 13 Rn. 6f.; Ebenso für Freisetzungen § 16 Abs. 1<br />

Nr. 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 1 GenTG.<br />

103 Eberbach, Gentechniksicherheitsverordnung, 1996, § 15 Rn. 135ff.<br />

104 Zu nennen sind der Gewässerschutzbeauftragte nach § 21 a-f WHG, der Betriebsbeauftragte<br />

für Abfall, § 11a-f AbfG, der Immissionsschutzbeauftragte, § 53-58 BImSchG oder<br />

der Strahlenschutzbeauftragte nach § 29 StrlSchV.<br />

130


Beauftragung des BBS ist der zuständigen Behörde gegenüber vorher anzuzeigen,<br />

vgl. § 21 Abs. 1 GenTG. Auch der BBS muß die erforderliche Sachkunde besitzen<br />

(§ 17 Abs. 1 Satz 1 GenTSV) und zuverlässig sein. 105<br />

Aufgabe des BBS ist zunächst eine Kontrolle des Projektleiters. So ist der BBS<br />

nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 GenTSV verpflichtet, die Erfüllung der Sicherheitsaufgaben<br />

durch den Projektleiter zu überwachen, insbesondere durch Kontrolle<br />

der gentechnischen Anlagen oder Freisetzungsorte in regelmäßigen Abständen,<br />

durch Mitteilung festgestellter Mängel und durch Überprüfung der Beseitigung<br />

dieser Mängel, § 18 Abs. 1 Nr. 1 GenTSV.<br />

Beratungsaufgaben hat der BBS gegenüber dem Betreiber, aber auch gegenüber<br />

dem Betriebs- oder Personalrat auf dessen Verlangen sowie gegenüber verantwortlichen<br />

Betriebsangehörigen, wozu auch der Projektleiter zu zählen ist,<br />

§ 18 Abs. 1 Nr. 2 GenTSV. Diese hat der BBS umfassend bei sämtlichen Sicherheitsfragen<br />

zu beraten.<br />

Schließlich ist der BBS gegenüber den zuständigen Behörden zur Erteilung der<br />

für die Überwachung erforderlichen Auskünfte verpflichtet, § 25 Abs. 2 GenTG.<br />

Im Rahmen einer Einsichtnahme in Unterlagen des Betreibers wird die Überwachungsbehörde<br />

auch den jährlich vom BBS gegenüber dem Betreiber zu erstattenden<br />

Bericht über die getroffenen und beabsichtigten Maßnahmen einsehen<br />

können, § 18 Abs. 2 GenTSV.<br />

Der Betreiber seinerseits ist verpflichtet, den BBS bei der Erfüllung seiner<br />

Aufgaben zu unterstützen, soweit erforderlich durch Hilfspersonal, Räume, Einrichtungen,<br />

Geräte und Arbeitsmittel sowie eine erforderliche Fortbildung, § 19<br />

Abs. 1 GenTSV. Arbeitsrechtlich ist der BBS lediglich durch ein Benachteiligungsverbot<br />

geschützt, § 19 Abs. 2 GenTSV. Ein besonderer Kündigungsschutz<br />

besteht jedoch nicht. Für den Konfliktfall zwischen BBS und Projektleiter<br />

hat der Betreiber dafür zu sorgen, daß der BBS seine Vorschläge und Bedenken<br />

unmittelbar der entscheidenden Stelle vortragen kann, wenn er wegen der Bedeutung<br />

der Sache eine Entscheidung dieser Stelle für erforderlich hält, § 19 Abs. 4<br />

GenTSV.<br />

5.9.3. Bewertung<br />

Die Institutionalisierung des Projektleiters bewirkt die Festlegung einer innerbetrieblichen<br />

Verantwortlichkeit und kann dadurch zu einer stärkeren Konzentration<br />

auf die gesetzlich definierten Sicherheitspflichten führen. Durch die Zuweisung<br />

eindeutiger personaler Verantwortung kann vermieden werden, daß<br />

Beobachtungen und anstehende Problemlösungen unberücksichtigt und ungelöst<br />

105 Zur Zuverlässigkeit des BBS gilt dasselbe wie zur Zuverlässigkeit des Projektleiters.<br />

131


leiben. Gleichzeitig wirkt die Festlegung von Verantwortung jedoch nicht nur<br />

nach innen, sondern ist rechtlich auch Voraussetzung für die Durchführung gentechnischer<br />

Vorhaben gegenüber der Behörde. Allerdings scheint gerade in universitären<br />

Forschungseinrichtungen eine ausreichende Sachnähe des gleichwohl<br />

rechtlich verantwortlichen Projektleiters durch die vorherrschenden Delegationsmechanismen<br />

auf untere Hierarchieebenen verwischt zu werden. 106<br />

Die Verletzung von rechtlichen Pflichten durch den Projektleiter sind bis auf<br />

wenige Ausnahmefälle nicht bußgeld- oder strafbewehrt. 107 Jedoch werden sie<br />

rechtlich die fehlende Zuverlässigkeit des Projektleiters begründen und können<br />

auch haftungs- und arbeitsrechtliche Folgen haben.<br />

Grundsätzlich zu bemängeln ist im Hinblick auf den Fachkundenachweis, daß<br />

weder Projektleiter noch der Beauftragte für Biologische Sicherheit grundlegende<br />

Kenntnisse in Ökologie nachweisen müssen. Dies wäre für eine angemessene<br />

Sicherheitsbewertung aber erforderlich. 108 Da in die Sicherheitsstufe 1 durch den<br />

Projektleiter und den BBS eine Selbsteinstufung erfolgt, die auch durch die ZKBS<br />

nicht mehr überprüft wird, werden bei einem Großteil der Versuche die Sicherheitseinstufungen<br />

derzeit ohne ökologische Fachkenntnisse vorgenommen. In<br />

besonderem Maße wirkt sich dieses Defizit bei Freisetzungen aus. Notwendige<br />

Wissensbestände werden somit ausgeblendet. Dies wirkt sich notwendigerweise<br />

auch negativ auf die laufende Risikokontrolle bei Aufzeichnungen und Meldungen<br />

aus.<br />

Gleichwohl könnte als Teil eines betriebsinternen Kontrollsystems dem BBS<br />

im Rahmen einer Stärkung der Eigenverantwortung des Betreibers eine besondere<br />

Bedeutung für ein effizientes Risikomanagement zukommen. In industriellen<br />

Einrichtungen hängt die Effektivität derartiger Betriebsbeauftragter zum einen<br />

von der persönlichen Durchsetzungsfähigkeit, aber vor allem von der hierarchischen<br />

Verankerung innerhalb des Unternehmens ab. In einigen Unternehmen<br />

kommt dem BBS durchaus auch tatsächlich die Stellung zu, die das GenTG ihm<br />

einräumt. 109 Die faktische Stellung des BBS in den universitären Forschungseinrichtungen<br />

ist demgegenüber schwach ausgeprägt und besteht praktisch<br />

nur auf dem Papier. 110 Tatsächliche Verantwortung wird dort, aufgrund der<br />

spezifischen Struktur universitärer Forschungsgruppen, eher von Technischen<br />

106 Vgl. unten, Kap. 7.4.f.<br />

107 Z.B. nach § 38 Abs. 1 Nr. 10 i.V.m. § 38 Abs. 2 GenTG nicht, nicht rechtzeitige, nicht<br />

vollständige oder nicht richtige Auskunft gegenüber der Überwachungsbehörde. Sowie<br />

auch § 38 Abs. 1 Nr. 11 i.V.m. § 25 Abs. 3 Satz 3 GenTG.<br />

108 Vgl. im einzelnen auch Roller/Tappeser, Handlungsspielräume, 1994, S. 14, 22.<br />

109 Vgl. unten, Kap. 7.4.<br />

110 Vgl. unten, Kap. 7.4.<br />

132


Mitarbeitern ('Laborältesten') wahrgenommen. Diesem Umstand trägt das GenTG<br />

bislang jedoch nicht Rechnung.<br />

Das Gentechnikgesetz sieht nicht vor, daß sich der BBS bei Rechtsverstößen<br />

unmittelbar an die Überwachungsbehörde wenden kann. 111 Rechtlich nicht institutionalisiert<br />

ist schließlich auch ein offener und beiderseitiger Informationsaustausch<br />

zwischen BBS und Überwachungsbehörde. Der BBS ist lediglich<br />

zu Auskünften gegenüber der Überwachungsbehörde verpflichtet, wenn diese es<br />

verlangt, § 25 Abs. 2 GenTG. Ebensowenig rechtlich institutionalisiert ist ein<br />

Erfahrungstransfer zwischen den BBS und der ZKBS; immerhin sind die BBS<br />

auch für die Beratung bei der Risikobewertung zuständig. Der Beitrag des BBS<br />

ist demnach auf eine rein innerbetriebliche Risikoüberwachung und<br />

-kommunikation beschränkt. Es handelt sich somit um eine typische Einrichtung<br />

der Selbstkontrolle.<br />

Der Erfolg der Tätigkeit des BBS hängt als Instrument der Selbstkontrolle wesentlich<br />

von der innerbetrieblichen Unterstützung ab. Innerbetrieblich kann der<br />

BBS dabei Unterstützung vom Personal- und Betriebsrat erwarten, soweit es um<br />

Fragen des Arbeitsschutzes und der Arbeitssicherheit geht. Für die Wahrung<br />

anderer Rechtsgüter wie der Interessen Dritter oder von geschützten Naturgütern<br />

fehlen innerbetriebliche Bündnispartner. Hier hängt der innerbetriebliche Stellenwert<br />

des BBS wesentlich von der Intensität der behördlichen Kontrolle ab,<br />

möglicherweise auch vom Erwartungsdruck der Öffentlichkeit. Es zeigt sich, 112<br />

daß gerade Unternehmen aus Marketinggesichtspunkten und ökonomischem Eigeninteresse<br />

größeres Gewicht auf ein funktionierendes internes Kontrollsystem<br />

legen, als dies bei relativ autonom agierenden universitären Forschungseinrichtungen<br />

der Fall ist.<br />

5.10. Öffentlichkeit<br />

Der Diskurs mit der Öffentlichkeit wurde als ein wesentliches Steuerungsziel<br />

unter dem Stichwort der externen Risikokommunikation bereits thematisiert. 113<br />

Im folgenden geht es nicht um den Bereich der internen Risikokommunikation<br />

innerhalb des Wissenschaftsbetriebs, sondern um die Funktion von Öffentlichkeit<br />

im Rahmen der Risikosteuerung gentechnischer Forschung.<br />

111 Anders z.B. der betriebliche Datenschutzbeauftragte, § 37 Abs. 1 Satz 2 BDSG.<br />

112 Unten, Kap. 7.4 und 7.5.<br />

113 Oben, Kap. 4.3.4.<br />

133


5.10.1. Funktionen der Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

Partizipation und Erweiterung von Teilhaberechten wurde in der Vergangenheit<br />

als eine Variante der Prozeduralisierung des (Umwelt-)Rechts angesehen. Mit der<br />

zunehmenden Abnahme materieller Steuerung durch das Recht und der Zurücknahme<br />

der gerichtlichen Kontrolldichte im Umwelt- und Technikrecht 114 geriet<br />

das Verfahren zunehmend in den Blickpunkt des Interesses. Durch die Anerkennung<br />

einer auch grundrechtsschützenden Funktion des Verfahrens im Vorfeld<br />

von Verwaltungsentscheidungen 115 ("vorverlagerter Grundrechtsschutz") ist die<br />

klassische Sichtweise der Öffentlichkeitsbeteiligung über die bloße Informationsbeschaffungsfunktion<br />

für die Verwaltung 116 hinaus erweitert worden. Neben der<br />

Informationsbeschaffungs- und grundrechtssichernden Funktion werden Beteiligungs-<br />

und Verfahrensrechte zunehmend auch unter einem demokratietheoretischen<br />

Aspekt als notwendiger Gegenpol zu der Kooperation und Kommunikation<br />

zwischen Antragsteller und Behörde gesehen. 117 Teilhabe als Kern jeder demokratischen<br />

Forderung kann danach auch vor einer Einflußnahme auf Verwaltungsentscheidungen<br />

nicht halt machen. Dies gilt um so mehr angesichts einer<br />

zunehmenden Verlagerung weitreichender, das Gemeinwesen betreffender Entscheidungen<br />

auf die Verwaltung, wie sie gerade im Umwelt- und Technikrecht<br />

verbreitet ist. 118<br />

Neben diesen stärker rechtlich fundierten Funktionen kommen weitere hinzu.<br />

Öffentlichkeit dient auch der Akzeptanzgewinnung. Dabei meint Akzeptanzgewinnung<br />

nicht das 'Verkaufen' billiger Lösungen, sondern setzt echte Kooperationsbereitschaft<br />

bei Behörden, Antragstellern und Einwendern voraus. In einem<br />

zunehmend kooperativen Staat, der auf Kompromißlösungen und Interessenausgleich<br />

angewiesen ist und Entscheidungen nicht mehr in erster Linie mit<br />

den überkommenen Mechanismen des Verwaltungsbefehls durchsetzen kann, ist<br />

es auch für die Forschung unerläßlich, sich gesellschaftlicher Akzeptanz zu vergewissern.<br />

Die Kommunikation mit der Öffentlichkeit gibt dem Forscher somit<br />

jenseits der wissenschaftlichen Ebene ein Feedback über die gesellschaftliche<br />

Akzeptanz seiner Forschung. Dabei ist davon auszugehen, daß Forschung generell<br />

von allen gesellschaftlichen Gruppen erwünscht ist. Ein besonderer Recht-<br />

114 Exemplarisch: BVerwG, Bd. 72 (1986), S. 300ff. (316) - Wyhl. Zur Einschränkung der<br />

gerichtlichen Kontrolle im Gentechnikrecht vgl. auch die oben in Kap. 4.2.3.2., Fn. 60 zitierte<br />

Rechtsprechung sowie OVG Berlin, Beschl. vom 29.3.1994, abgedruckt bei Eberbach<br />

et al., Gentechnikrecht, 1996, Band 3, Nr. 3 zu § 16.<br />

115 BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (62ff.).<br />

116 Jarass, Bundes-Immissionsschutzgesetz, § 10 Rn. 1, 42.<br />

117 Vgl. Bora, KJ 1994, S. 310 m.w.N.<br />

118 Zu den Problemen heutiger demokratischer Ordnung aufgrund der modernen technischen<br />

Entwicklung vgl. auch Hesse, Grundzüge, 1995, S. 68-70 (Rn. 162-165).<br />

134


fertigungsbedarf besteht jedoch in den Bereichen, in denen weitreichende soziale,<br />

ethische oder ökologische Auswirkungen der Forschung eintreten können.<br />

5.10.2. Beteiligung der Öffentlichkeit an Genehmigungsverfahren<br />

Die Beteiligung der Öffentlichkeit an Genehmigungsverfahren setzt zunächst<br />

einmal voraus, daß die jeweilige Forschungstätigkeit überhaupt einem Genehmigungsvorbehalt<br />

unterliegt und deshalb ein Genehmigungsverfahren stattfindet.<br />

Dies ist bei gentechnischen Anlagen nach der Änderung des GenTG 1993 nur<br />

noch für Anlagen der Sicherheitsstufen 2-4 erforderlich. Anlagen der Sicherheitsstufe<br />

S 1 sind demgegenüber nur noch anzumelden. 119 Ein Anhörungsverfahren<br />

nach § 18 GenTG findet jedoch auch bei den genehmigungsbedürftigen Anlagen<br />

nur für gewerbliche Anlagen (der Stufe S 3 und 4, sowie eingeschränkt S 2) statt.<br />

Insofern sind Forschungsanlagen verfahrensmäßig privilegiert. Selbst Forschungsanlagen<br />

der Sicherheitsstufen 3 und 4 können somit ohne Beteiligung der<br />

Öffentlichkeit genehmigt werden. Nach der Änderung des GenTG 1993 wurde<br />

zudem der Erörterungstermin im Rahmen des Anhörungsverfahrens bei Freisetzungen<br />

abgeschafft. 120 Eine Beteiligung der Öffentlichkeit im Rahmen gentechnischer<br />

Forschung findet nach der derzeit geltenden Rechtslage somit - rudimentär -<br />

nur noch bei Freisetzungen statt.<br />

Bewertet man das GenTG vor diesem Hintergrund, so ist festzustellen, daß die<br />

Partizipationsmöglichkeiten insgesamt gering sind. Bereits zur alten Rechtslage<br />

bemerkt Gerd Winter, daß das Gesetz einen Rückschritt gegenüber der vor dem<br />

Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes geltenden Rechtslage darstelle. 121 Mit der<br />

Novellierung des Gentechnikgesetzes 1993 wurde diese Rechtslage noch einmal<br />

zu Lasten von Partizipationsmöglichkeiten verändert; im Forschungsbereich sind<br />

diese nur noch rudimentär vorhanden.<br />

Öffentliche Genehmigungsverfahren bestehen in der Regel aus zwei Hauptphasen,<br />

einem schriftlichen Einwendungsverfahren und einer mündlichen Erörterung.<br />

Die oben dargestellten Funktionen der Beteiligung Dritter am Genehmigungsverfahren<br />

werden zunächst wesentlich durch das schriftliche Einwendungs-<br />

119 Vgl. oben, Kap. 5.1.3.<br />

120 Da Freisetzungen als standortgebundene Entscheidungen für die Nachbarschaft relevant<br />

sein können, erscheint dies auch vor dem Hintergrund der grundrechtssichernden Funktion<br />

des Verfahrens bedenklich. Der Gesetzgeber hat hier wohl die derzeit stattfindenden<br />

Freisetzungsverfahren mit höheren Pflanzen vor Augen gehabt. Angesichts der Reichweite<br />

der Genehmigungsvorschrift des § 16 GenTG, der immerhin auch Freisetzungen<br />

potentiell gefährlicher Organismen nicht von vornherein ausschließt, kann dies aber nur<br />

als rechtspolitisch verfehlt bezeichnet werden.<br />

121 Winter, Grundprobleme, S. 58.<br />

135


verfahren sichergestellt. Die Ziele der mündlichen Erörterung decken sich im<br />

wesentlichen mit den Zielen des Einwendungsverfahrens generell. Zu nennen<br />

sind:<br />

- Information der Einwender,<br />

- Sachaufklärung der Behörde, ob die Genehmigungsvoraussetzungen vorliegen,<br />

- Gewährung vorverlagerten Rechtsschutzes für in ihren Rechten betroffene<br />

Einwender,<br />

- Akzeptanz durch umfassende und objektive Erörterung.<br />

Der Erörterungstermin wird häufig als 'Höhepunkt' des öffentlichen Beteiligungsverfahrens<br />

angesehen. 122 Formal gesehen ist er allerdings gerade nicht öffentlich;<br />

nur diejenigen, die Einwendungen erhoben haben, sind berechtigt, am<br />

Termin teilzunehmen. Dies wird als rechtspolitisch verfehlt kritisiert; 123 in der<br />

Praxis wird häufig aber auch die Öffentlichkeit zugelassen.<br />

Das Besondere des Erörterungstermins besteht in den Prinzipien der Mündlichkeit<br />

und Unmittelbarkeit. 124 Er ermöglicht den direkten Austausch von Argumenten<br />

und Informationen und eröffnet damit eine unmittelbare (Risiko-) Kommunikation<br />

der beteiligten Akteure, die in dieser Form sonst nicht möglich ist.<br />

Nicht zu Unrecht wird er auch als eine "Sonderform der mündlichen Verhandlung"<br />

125 bezeichnet. Die Prinzipien der Mündlichkeit und Unmittelbarkeit erwecken<br />

in der Tat Assoziationen mit der mündlichen Verhandlung im Gerichtsprozeß,<br />

die den Kern des Verfahrens ausmacht. Die besondere Bedeutung, die<br />

der Gesetzgeber diesen Prinzipien seit jeher beimißt, drückt sich in zahlreichen<br />

gesetzlichen Bestimmungen aus. 126<br />

Man mag gegen diesen Vergleich einwenden, daß es im Rahmen der Erörterung<br />

von Genehmigungsentscheidungen nicht um eine 'Beweisaufnahme' geht,<br />

und daß auch der persönliche Eindruck der Beteiligten nicht im Vordergrund der<br />

Entscheidungsfindung steht; schließlich ist hier niemand 'angeklagt', wie etwa im<br />

Strafprozeß. So richtig diese Einwände auch sind, so vermag dieser Vergleich<br />

gleichwohl den Blick auf wichtige Parallelen zu eröffnen: Die Pflicht der Behörde<br />

zur umfassenden Sachverhaltsermittlung läßt sich mit der entsprechenden Verpflichtung<br />

des Gerichts durchaus vergleichen. Im direkten Austausch, nicht nur<br />

der Einwender und der Antragsteller, sondern auch der verschiedenen Gutachter<br />

und Sachbeistände, können auch wissenschaftlich-technische Sachverhalte aufge-<br />

122 Bender et al., Umweltrecht, 1995, S. 83; Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S.<br />

80 ("zentrale Nahtstelle").<br />

123 Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S. 81.<br />

124 Bora, KJ 1994, S. 312.<br />

125 Bender et al., Umweltrecht, 1995, S. 83.<br />

126 Im Verwaltungsgerichtsverfahren: §§ 96, 101 VwGO, im Strafprozeß: §§ 250, 261 StPO.<br />

136


arbeitet werden; unmittelbare Rückfragen und Antworten können einen über<br />

schriftliche Gutachten hinausgehenden Erkenntnisgewinn vermitteln. 127<br />

Insofern kann auch für das hier im Vordergrund stehende Thema einer verbesserten<br />

Erzeugung von Risikowissen die unmittelbare mündliche Kommunikation<br />

einen Beitrag liefern. Gerade in den frühen (anlagenbezogenen) gentechnischen<br />

Genehmigungsverfahren lieferten die Erörterungstermine, die zum Teil<br />

auf hohem wissenschaftlichen Niveau geführt wurden, den Genehmigungsbehörden<br />

einen erheblichen Erkenntnisgewinn. 128 Diese Funktion des Erörterungstermins<br />

- wie der Öffentlichkeitsbeteiligung generell - schwindet allerdings<br />

in dem Maße, wie vergleichbare Sachverhalte zur Diskussion stehen und die<br />

Verfahren in eine eingespielte Routine der beteiligten Akteure übergehen. 129<br />

Auch im Hinblick auf die Funktion der Akzeptanzgewinnung ist der Erörterungstermin<br />

unverzichtbar. Nur dieser und nicht das schriftliche Einwendungsverfahren<br />

kann dem verbreiteten Gefühl entgegenwirken, zwischen Behörden und<br />

Antragstellern werde 'gemauschelt'. 130 In der Praxis geht der Erörterungstermin<br />

denn auch teilweise über eine eigentliche 'Erörterung' hinaus, er hat auch Schlichtungsfunktion.<br />

131 Unverzichtbar hierfür ist wiederum eine 'Waffengleichheit' im<br />

Verfahren, die sich auch umfassend auf die vorhandenen Informationen einschließlich<br />

eingeholter Gutachten bezieht.<br />

127 Bora, KJ 1994, S. 312.<br />

128 Zum Erörterungstermin in immissionsschutzrechtlichen Verfahren: Führ, Sanierung, S.<br />

80. Zu den Voraussetzungen eines erfolgreichen Termins aus Sicht der Verwaltung: Willenbücher,<br />

Behörde, 1994, S. 63ff.<br />

129 Diesen Umstand hat offenbar Bora vor Augen, wenn er davon ausgeht, daß nur selten<br />

festzustellen sei, "daß die betreffenden Fachbehörden neue entscheidungsrelevante Sachgesichtspunkte<br />

aus dem Erörterungstermin mitnehmen" (KJ 1994, S. 317). Dies mag für<br />

die von ihm beobachteten Freisetzungsverfahren, die praktisch weitgehend vergleichbare<br />

Sachverhalte (transgene, herbizidresistente Pflanzen) betreffen, und denen auch eine umfangreiche<br />

fachwissenschaftliche und halböffentliche Diskussion voranging, zutreffen. Insofern<br />

verwundert auch die Einschätzung des Robert-Koch-Instituts nicht, welches unter<br />

dem Gesichtspunkt der Informationsbeschaffung den Erörterungstermin als überflüssig<br />

betrachtete.<br />

130 Vgl. etwa die bemerkenswerte Kritik an einem solchen Verfahren (betreffend AKW<br />

Mülheim-Kärlich): BVerfG, Bd. 53 (1980), S. 30ff. (70), Minderheitsvotum Simon/<br />

Heußner. Zur Bedeutung des Erörterungstermins für ein erfolgreiches 'Akzeptanzmanagement':<br />

Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S. 80ff.<br />

131 Würtenberger, Akzeptanzmanagement, 1993, S. 80; ähnlich Bender et al., Umweltrecht,<br />

1995, S. 84 ("Verhandlungsmodell").<br />

137


5.10.3. Erfahrungen aus der Praxis<br />

Die bisherigen praktischen Erfahrungen mit Erörterungsterminen bei Freisetzungen<br />

werden eher verhalten bewertet. Insbesondere im Hinblick auf die Informationsfunktion<br />

für die Behörde und die Kontrollfunktion, aber auch hinsichtlich<br />

Legitimation und Akzeptanz erfülle die mündliche Erörterung nicht die Wirkungen,<br />

die ihr von Rechts wegen zugedacht seien. 132 Diese Sichtweise ist auf die<br />

Beobachtung einiger Freisetzungsverfahren gestützt. Berichtet wird auf beiden<br />

Seiten von Frustrationen, die allerdings bei den Antragstellern wohl darauf beruhen,<br />

daß die öffentliche Auseinandersetzung jenseits des Wissenschaftsbetriebs<br />

für Forscher eine ungewohnte Situation darstellt, während auf seiten der Einwender<br />

nicht selten zu hoch gesteckte Erwartungen herrschen über die Funktionen<br />

des Beteiligungsverfahrens und die Möglichkeiten, in dessen Rahmen grundsätzliche<br />

Fragen der Gentechnik zu thematisieren.<br />

Falls die These generell zuträfe, daß die öffentliche Erörterung keinen neuen<br />

Erkenntnisgewinn brächte, so wäre der Erörterungstermin unter dem Gesichtspunkt<br />

der Generierung neuen Risikowissens irrelevant. Dies mag für einen Teil<br />

der bisherigen Verfahren zwar zutreffen, im übrigen ist es aber, auch angesichts<br />

des potentiell breiten Anwendungsfeldes von Freisetzungen, keineswegs ausgemacht,<br />

daß die Genehmigungsbehörde auch zukünftig in diesen Verfahren<br />

'bereits alles weiß'. Erfahrungen mit gentechnischen Anlagengenehmigungsverfahren<br />

bestätigen diese Vermutung. Auch aus dem Immissionsschutzrecht wird<br />

berichtet, daß eine Beteiligung der Öffentlichkeit dazu führen könne, daß die<br />

Schutzziele des Gesetzes besser verwirklicht werden. 133<br />

Die ersatzlose Streichung des Erörterungstermins bei Freisetzungen durch das<br />

1. GenTG-ÄndG muß als rechtspolitisch verfehlt bezeichnet werden. Insbesondere<br />

ist es, in Anbetracht der dargelegten Funktionen des Erörterungstermins,<br />

verkürzt, lediglich auf die Frage der Informationsbeschaffung abzustellen.<br />

5.10.4. Öffentlichkeit als Beitrag zur Risikokommunikation<br />

Grundsätzlich kann Öffentlichkeit einen Beitrag zur Risikosteuerung insofern<br />

leisten, als sie einen Zwang zur Strukturierung der Verfahren, eine Offenlegung<br />

von Optionen und generell eine Verbesserung der Selbst- und Fremdkontrolle der<br />

Entscheidungsfindung herbeiführen kann. 134<br />

132 Bora, KJ 1994, S. 317f.<br />

133 Führ, Sanierung, 1989, S. 98.<br />

134 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 183.<br />

138


Die derzeitige Ausgestaltung der Verfahren vermag die intendierten Funktionen<br />

der Öffentlichkeitsbeteiligung jedoch, wie dargelegt, nur teilweise zu erfüllen. Im<br />

Hinblick auf die Generierung neuen Risikowissens dürfte insbesondere die Entscheidungsfixierung<br />

des Verfahrens hinderlich sein. Da das Verfahren nicht unmittelbar<br />

der Gewinnung neuen Risikowissens dient, sondern das vorhandene<br />

Wissen mit dem Ziel verarbeiten soll, eine konkrete Genehmigungsentscheidung<br />

herbeizuführen, ist eine vollständig offene Risikodiskussion kaum möglich, denn<br />

die verschiedenen Akteure verknüpfen auch strategische und taktische Interessen<br />

mit dem Verfahren. Aufgrund der gestiegenen Komplexität von Entscheidungsprozessen<br />

und der Vielzahl der zu berücksichtigenden Faktoren gelangen die<br />

Verfahren im übrigen an Grenzen ihrer Funktionsfähigkeit. 135<br />

An Grenzen gelangt die derzeitige entscheidungsfixierte Struktur der Verfahren<br />

vor allem im Bereich der ungewißheitsbasierten Risikovorsorge. Da es hier verstärkt<br />

darum geht, notwendiges Entscheidungswissen über längere Zeiträume erst<br />

zu produzieren, kann die punktuelle Einbeziehung von Öffentlichkeit hierzu kaum<br />

einen Beitrag leisten. Erforderlich wäre deshalb, auch die Verfahren stärker auf<br />

ein 'dynamisches Modell des Lernens' umzustellen. 136 Voraussetzung dafür, daß<br />

der Entscheidungsprozeß insoweit wieder stärker auf "private Organisationsentscheidung"<br />

137 zurückverlagert wird, ist allerdings eine Ergänzung der<br />

Selbstevaluation durch Fremdkontrolle, 138 an der die Öffentlichkeit in geeigneter<br />

Form teilhaben kann.<br />

Deshalb erscheinen entscheidungsunabhängige Kommunikationsverfahren<br />

notwendig, die auch die Einbindung der Öffentlichkeit dynamisieren. Daß hierfür<br />

auch in der Praxis ein Bedürfnis besteht, zeigen die zunehmend durchgeführten<br />

"Runden Tische" zwischen Chemieunternehmen und Anwohnern. Derartige Ansätze<br />

erscheinen tendenziell geeignet, Wissen auszutauschen, aber auch Konsens<br />

und Dissens herauszuarbeiten, gegenseitiges Mißtrauen abzubauen und zu einer<br />

beiderseitigen Akzeptanzverbesserung beizutragen. 139<br />

135 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 183ff.<br />

136 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 187.<br />

137 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 187.<br />

138 'Kritische' Gutachter, vgl. zum Erfordernis der 'adversativen' Sicherheitsforschung auch<br />

unten, Kap. 10.2.4.<br />

139 Beispielhaft können hier die seit 1993 durchgeführten regelmäßigen Treffen der Hoechst<br />

AG mit Anwohnern angeführt werden. Beide Seiten scheinen hierin zwar einen äußerst<br />

mühsamen, aber offenbar im Ergebnis doch lohnenden Schritt zu sehen.<br />

139


140


Kapitel 6: Risikosteuerung durch zivil- und strafrechtliche Haftung<br />

Im Gegensatz zum staatlichen Ordnungsrecht setzen ökonomische Steuerungsinstrumente,<br />

zu denen auch das Haftungsrecht gezählt wird, auf wirtschaftliche<br />

Anreize und Sanktionen. In die Steuerungswirkung ökonomischer Instrumente<br />

werden zum Teil große Erwartungen gesetzt. Auch dem Umwelthaftungsrecht<br />

werden präventive Wirkungen zugeschrieben, die im Bereich risikobehafteter<br />

Tätigkeiten das Verhalten der Normadressaten beeinflussen sollen. Wenn es zutrifft,<br />

daß das Haftungsrecht als ein "typisches Mittel der rechtlichen Steuerung<br />

einer Technologie mit immanenter Prognoseunsicherheit" 1 anzusehen ist, so<br />

könnten sich die Haftungsvorschriften des Gentechnikgesetzes als ideale Ergänzung<br />

oder auch als Ersatz ordnungsrechtlicher Steuerungsmechanismen anbieten.<br />

Diese Fragestellung hat grundsätzliche Bedeutung, weshalb ihr, über die spezifische<br />

forschungsrechtliche Ebene hinaus, größere Aufmerksamkeit gewidmet<br />

wird. Im folgenden geht es daher zunächst um die Steuerungswirkung des Umwelthaftungsrechts<br />

allgemein, wobei erste praktische Erfahrungen mit dem neuen<br />

Umwelthaftungsgesetz berücksichtigt werden. Sodann wird das geltende gentechnikrechtliche<br />

Haftungsregime dargestellt. Die Besonderheiten, mit denen das<br />

Haftungsrecht im Bereich der gentechnischen Forschung konfrontiert ist, werden<br />

im dritten Abschnitt untersucht, bevor abschließend Optionen für eine Verbesserung<br />

der Steuerungsfähigkeit erörtert werden.<br />

6.1. Ziviles Haftungsrecht als "Selbststeuerungsinstrument"<br />

6.1.1. Funktion und Wirkung des Haftungsrechts<br />

Neben dem Ausgleichsgedanken, der heute unbestrittener Hauptzweck des Haftungsrechts<br />

ist, ist in den letzten Jahren als Begründung und als Funktion des<br />

Haftungsrechts zunehmend der Gedanke der Prävention in den Vordergrund gerückt.<br />

Insbesondere das Umwelthaftungsrecht wird als präventives, verhaltenssteuerndes<br />

Instrument des Umweltschutzes sowohl national 2 und internatio-<br />

1 So Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1194.<br />

2 Bereits 1987 wurden von den Ländern Nordrhein-Westfalen (BrDrs. 217/87) und Hessen<br />

(BrDrs. 100/87) Gesetzentwürfe für ein Umwelthaftungsgesetz in den Bundesrat eingebracht,<br />

1989 ein Entwurf der Fraktion der "Grünen" in den Bundestag, BT-Dr. 11/4247<br />

vom 21.3.1989.<br />

141


nal 3 auf der politischen Ebene als auch im rechtswissenschaftlichen Schrifttum<br />

diskutiert. 4 Vor allem im Bereich industrieller Risiken ist die Notwendigkeit einer<br />

Reform des Haftungsrechts seit langem erkannt worden, da die überkommenen<br />

Strukturen der deliktsrechtlichen Haftungsvorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches<br />

als nicht mehr ausreichend angesehen wurden. Das Umwelthaftungsrecht<br />

wird dabei gezielt als Instrument der Umweltvorsorge und zur Verwirklichung<br />

des Verursacherprinzips eingesetzt. 5 Auch die Diskussion um die europäische<br />

Umwelthaftung steht ganz unter diesem Vorzeichen. 6<br />

Diese Betrachtungsweise wird auch maßgeblich durch die ökonomische Analyse<br />

des Rechts gestützt. 7 Daß dem Haftungsrecht überhaupt eine präventive Wirkung<br />

im Sinne einer Verhaltenssteuerung in Richtung eines schadenvermeidenden<br />

Verhaltens des Normadressaten zukommt, dürfte deshalb nicht ernsthaft in Streit<br />

stehen. Da Haftung ökonomisch nichts anderes als einen Verlust darstellt, wird<br />

der potentielle Schädiger versuchen, diesen zu vermeiden. Entsprechend soll nach<br />

allgemeiner Auffassung auch den Haftungsvorschriften des Gentechnikgesetzes<br />

eine - zumindest flankierende - präventive Wirkung zukommen. 8<br />

3 Zu nennen sind hier zum einen die Europarats-Konvention zur Umwelthaftung (Convention<br />

on Civil Liability for damage resulting from activities dangerous to the environment,<br />

Lugano 21.6.1993) - vgl. dazu: Sadeleer, Revue Générale des Assurances et des Responsabilités<br />

(1994), S. 12367 - sowie das "Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden",<br />

KOM(93) 47 endg. vom 14.5.1993.<br />

4 Zum Diskussionsstand vgl. Salje, Umwelthaftungsgesetz, 1993, §§ 1 3 Rn. 6ff.<br />

5 Bericht Umwelthaftungsrecht der interministeriellen Arbeitsgruppe Umwelthaftung- und<br />

Umweltstrafrecht vom 19.4.1988. Vgl. zu den Gesetzgebungsarbeiten auch Diederichsen,<br />

PHI 1990, S. 78ff.; Roller, Haftung, 1989, S. 32ff.<br />

6 So ausdrücklich das "Grünbuch über die Sanierung von Umweltschäden", KOM(93) 47<br />

endg. vom 14.5.1993, S. 4: "Dank dieser Anlastung der Kosten von Umweltschäden erfüllt<br />

die zivilrechtliche Haftung außerdem die wichtige Aufgabe, Verhaltensnormen durchzusetzen<br />

und von künftigen Schäden abzuschrecken." Vgl. auch die Stellungnahme des Wirtschafts-<br />

und Sozialausschusses zum Grünbuch vom 23.2.1994, Dok. CES 226/94, Bemerkung<br />

1.4., sowie die Stellungnahmen der Umweltverbände im Rahmen der gemeinsamen<br />

Anhörung von Kommission und Parlament zum "Grünbuch", European Parliament, Working<br />

Papers, Preventing and Remedying Environmental Damage, Summary of a Joint Public<br />

Hearing, Environment, Public Health and Consumer Protection Series W-8, S. 69ff.<br />

7 Vgl. etwa Panther, Haftung, 1992, insb. S. 134ff.; zur Wirkung von Verschuldenshaftung<br />

und Gefährdungshaftung vgl. auch Endres, Haftpflichtrecht, S. 1ff.; aus rechtlicher Sicht:<br />

Rehbinder, NuR 1989, S. 151.<br />

8 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, vor § 32 Rn. 5; Schubert, Regelungsfragen,<br />

1990, S. 107.<br />

142


6.1.2. Zur Steuerungsfähigkeit des Haftungsrecht<br />

Geht man von der Prämisse aus, daß "dem Recht" auch im Bereich der technischen<br />

Risiken eine, wenn auch eingeschränkte, Steuerungswirkung zukommt, 9<br />

und daß weiterhin am ehesten die Kombination verschiedener (rechtlicher) Instrumente<br />

geeignet erscheint, eine optimale Steuerung zu erreichen, so stellt sich<br />

die Frage des (generellen) Ersatzes ordnungsrechtlicher Regelungen durch das<br />

Haftungsrecht nicht. Die frühere Instrumentendiskussion krankte vor allen Dingen<br />

daran, daß regulative und wohlfahrtsökonomische Regelungskonzepte als sich<br />

ausschließende Ansätze gegenübergestellt wurden, 10 während heute allgemein ein<br />

"Instrumentenmix" verschiedener rechtlicher und ökonomischer Instrumente als<br />

unter Steuerungsgesichtspunkten optimale Lösung angesehen wird. 11<br />

Die Frage der Steuerungsfähigkeit haftungsrechtlicher Vorschriften ist demnach<br />

vor dem Hintergrund eines bestehenden ordnungsrechtlichen Rahmens zu<br />

beantworten; die Funktion haftungsrechtlicher Normen wird dabei stets darin<br />

erblickt, eine den regulatorischen Rahmen ergänzende Rolle zu spielen. 12 Haftungsrechtliche<br />

Regelungen können Defizite der ordnungsrechtlichen Risikosteuerung<br />

auffangen, sie vermögen jedoch nicht als gleichwertiger Ersatz an<br />

die Stelle eines ausgefeilten Systems ordnungsrechtlicher Genehmigungs- und<br />

Eingriffsvorbehalte zu treten. Inwieweit partielle Modifikationen ordnungsrechtlicher<br />

Vorschriften und eine Verlagerung auf haftungsrechtliche Regelungen in<br />

Betracht kommen, hängt vom jeweiligen Einzelfall ab und ist danach zu beantworten,<br />

mit welchem Instrument das jeweilige Steuerungsziel am besten zu erreichen<br />

ist.<br />

Im Gegensatz zum Ordnungsrecht legt das Haftungsrecht - wenn man einmal<br />

von einer obligatorischen Versicherung in bestimmten Fällen absieht - dem Haftpflichtigen<br />

(Unternehmer, Forscher) keine unmittelbare Handlungspflicht auf. Im<br />

Prinzip bleibt es ihm überlassen, wie er mit der latent vorhandenen "Drohung"<br />

einer Inanspruchnahme umgeht: Er kann Vorkehrungen treffen, um das von seiner<br />

Anlage oder seinem Tun ausgehende Risiko zu mindern. Er kann aber auch als<br />

Hazardeur auf das Ausbleiben eines schadenstiftenden Ereignisses vertrauen und<br />

in diesem Vertrauen ein Maximum an kurzfristigem Profit aus seinem Tun ziehen,<br />

indem er sich Aufwendungen für Sicherheitsvorkehrungen erspart. Der rational<br />

Handelnde wird das Risiko soweit minimieren, daß die Kosten, die er zur Risikominimierung<br />

einsetzen muß, nicht höher sind als die Kosten, die er im Scha-<br />

9 Vgl. oben, Kap. 1.<br />

10 Symptomatisch die Kontroverse zwischen Frank, KJ 1989, S. 36ff. einerseits und Wolf, KJ<br />

1989, S. 55ff. andererseits.<br />

11 Vgl. in Bezug auf die Umweltpolitik der EG etwa Sprenger, Ökonomische, 1991, S. 223ff.<br />

12 Rehbinder, Umweltgesetzbuch, 1990, S. 417 m.w.N.<br />

143


densfall für einen Ausgleich aufwenden müßte. An einen derart rational Handelnden<br />

knüpft die ökonomische Analyse des Rechts an. Aus ihrer Perspektive wird<br />

die Gefährdungshaftung - bei der es auf den Nachweis eines schuldhaften Verhaltens<br />

des Schädigers nicht ankommt 13 - der Verschuldenshaftung im Hinblick auf<br />

die Präventionswirkung sogar als überlegen angesehen. 14 Denn die Gefährdungshaftung<br />

bietet einen Anreiz, über die Einhaltung bestehender Sorgfaltsmaßstäbe<br />

hinaus das Risiko zu minimieren.<br />

In die Kalkulation des potentiellen Schädigers werden darüber hinaus jedoch<br />

noch weitere Faktoren Eingang finden. Hierzu gehört insbesondere die Überlegung,<br />

mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Schadenseintritt der maximalen Größe<br />

zu gewärtigen ist, darüber hinaus aber auch, mit welcher Gewißheit er hierfür zur<br />

Verantwortung gezogen werden kann: Anspruchsstellungs- und Anspruchsdurchsetzungswahrscheinlichkeit<br />

15 haben so entscheidende Rückwirkungen auf die<br />

"Risikobereitschaft" des potentiellen Schädigers. 16<br />

Ob in der Praxis derart rationales Handeln überwiegt, 17 ist jedoch eine andere<br />

Frage. Auch wird man davon auszugehen haben, daß innerhalb größerer Organisationen<br />

- seien es Wirtschafts- oder Forschungsorganisationen - Rechtsnormen<br />

nur selektiv wahrgenommen werden und infolge der Arbeitsteilung zwischen<br />

verschiedenen Abteilungen die rechtliche Botschaft partiell verloren geht, zumindest<br />

aber gefiltert wird. 18<br />

Trotz dieser Wirkungen - die letztlich für jede Rechtsnorm zutreffen - kann<br />

man dem Haftungsrecht eine indirekte verhaltenssteuernde Wirkung kaum absprechen.<br />

19 Da es dem Adressaten einen Handlungsspielraum im Hinblick auf den<br />

Umgang mit bestehenden Risiken läßt, erscheint es grundsätzlich als geeignet, -<br />

von der "Eingriffsintensität" her gedacht: unterhalb des Ordnungsrechts - einen<br />

Rahmen zu setzen, innerhalb dessen eine weitere "Feinsteuerung" mittels selbstregulativer<br />

Instrumente möglich ist, und zugleich einen Anreiz für proaktives Ver-<br />

13 Vgl. auch unten, Kap. 6.2.1.<br />

14 Vgl. die Nachweise in diesem Kapitel in Fn. 7.<br />

15 Vgl. unten, Kap. 6.1.3.1.<br />

16 Vgl. auch Assmann, Rechtsfragen, S. 49ff.<br />

17 Dies dürfte Wolf, KJ 1989, S. 59 zu Recht bezweifeln: "... als Mitglieder der realen Welt<br />

wissen sie [die Emittenten] anders als die Theoretiker ökonomisch-rationalen Verhaltens,<br />

daß der Weg zum Gericht steinig ist, daß anspruchsmindernde Vergleiche die Regel, voll<br />

stattgebende Urteile dagegen die Ausnahme sind, und daß da, wo kein Kläger auch kein<br />

Richter ist."<br />

18 Teubner, "Cupola", 1994, S. 121f. Auch im Rahmen der von uns durchgeführten empirischen<br />

Untersuchung haben sich diese Annahmen bestätigt.<br />

19 Dies erkennt letztlich auch Teubner an, der insbesondere die Chancen des Haftungsrechts<br />

für ein kollektives Risikomanagement durch Risikopools hervorhebt ("Cupola", 1994, S.<br />

131ff.).<br />

144


halten darzustellen. Denn gerade die latent vorhandene Drohung einer haftungsrechtlichen<br />

Inanspruchnahme wirkt auf den Adressaten präventiv: Er wird<br />

"freiwillig" diejenigen Anstrengungen unternehmen, die am effizientesten das von<br />

seiner Tätigkeit ausgehende Risiko mindern. Wie er das im einzelnen tut, bleibt<br />

zunächst ihm überlassen.<br />

6.1.3. Zur praktischen Wirksamkeit des Umwelthaftungsrechts<br />

6.1.3.1. Voraussetzungen<br />

Ob das Haftungsrecht die ihm zugedachte Präventivfunktion erfüllen kann, hängt<br />

wesentlich davon ab, wie das Schadens- und das Inanspruchnahmerisiko verteilt<br />

sind. Die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme im Schadensfall wird von<br />

zwei Determinanten bestimmt: Von der Anspruchsstellungs- und der Anspruchsdurchsetzungswahrscheinlichkeit.<br />

20 Beide sind eng miteinander verknüpft. Während<br />

erstere von der sozialen Verankerung des Haftungsrechts in der Gesellschaft<br />

abhängt (wie groß ist traditionell die "Prozeßfreudigkeit", werden eher verwaltungsrechtliche<br />

oder zivilrechtliche Rechtsmittel eingelegt etc.), hängt die Frage<br />

der Durchsetzbarkeit eines Anspruchs im wesentlichen von der rechtlichen Ausgestaltung<br />

des Haftungssystems ab. Die rechtliche Ausgestaltung kann den Schädiger<br />

oder den Geschädigten begünstigen: Je mehr Entlastungsmöglichkeiten dem<br />

Schädiger zur Verfügung stehen und je mehr Anspruchsvoraussetzungen der<br />

Geschädigte darlegen und beweisen muß, um so geringer ist die Chance, im<br />

Schadensfall einen Ersatzanspruch durchsetzen zu können. Dies wirkt auf die Anspruchsstellungswahrscheinlichkeit<br />

zurück: Wenn sich Ansprüche nicht erfolgreich<br />

realisieren lassen oder wenn die rechtlichen oder tatsächlichen Hürden von<br />

Anfang an zu hoch sind, so wird der Geschädigte von der Anspruchsstellung von<br />

vornherein absehen.<br />

6.1.3.2. Erfahrungen mit dem Umwelthaftungsgesetz<br />

Das Umwelthaftungsgesetz (UmweltHG) knüpft die Haftung an den Betrieb bestimmter<br />

Anlagen. Wer durch den Betrieb einer Anlage Schäden an den Rechtsgütern<br />

Dritter verursacht, haftet verschuldensunabhängig 21 für die eingetretenen<br />

Schäden.<br />

20 Schmidt-Salzer, VersR 1991, S. 17.<br />

21 Die Haftung ist auch unabhängig von der Rechtswidrigkeit der Handlung, denn auch der<br />

sogenannte Normalbetrieb, der im Einklang mit der verwaltungsrechtlichen Genehmigung<br />

steht, wird erfaßt. Genauer ist deshalb von einer rechtswidrigkeitsunabhängigen Kausalhaftung<br />

zu reden; vgl. Schmidt-Salzer, NJW 1994, S. 1309.<br />

145


Betrachtet man zunächst die veröffentlichte Judikatur zum Umwelthaftungsgesetz,<br />

so ist die Ausbeute gering. Lediglich ein Urteil des OLG Köln aus dem<br />

Jahr 1992 22 sowie jüngst ein nicht veröffentlichtes Urteil des OLG Düsseldorf 23<br />

haben sich überhaupt mit dem UmweltHG beschäftigt. Der Befund fehlender<br />

gerichtlicher Entscheidungen allein beweist freilich einen möglichen Mangel an<br />

präventiver Wirkung nicht. Man könnte ihn ebenso als Beleg für eine erfolgreiche<br />

Prävention ansehen, die das Eintreten von Schäden verhindert hat. Darüber liegen<br />

jedoch keine gesicherten Erkenntnisse vor. Eine kleine Anfrage der SPD-Fraktion<br />

im Deutschen Bundestag 24 vom April 1994 hat insoweit ebenfalls keine Erkenntnisse<br />

zu Tage gefördert. Allerdings bestehen nach Auffassung der Bundesregierung<br />

Indizien dafür,<br />

"daß von seiten der Betreiber verstärkt Maßnahmen zu einem verbesserten Risiko-<br />

Management ergriffen werden und damit das UmweltHG Schadensverhinderung<br />

und Umweltvorsorge fördert." 25<br />

Diese Auffassung dürfte in gewisser Weise zutreffen. Man wird sicher nicht<br />

bestreiten können, daß allein die jahrelange Diskussion um die Verschärfung des<br />

Umwelthaftungsrechts zu einer verstärkten Bewußtseinsbildung in den Unternehmen<br />

geführt hat, ganz unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Gesetzes.<br />

Die zahlreichen Seminare und Fachtagungen zur betrieblichen Umwelthaftung<br />

sind dafür ein Beispiel.<br />

Auch die Regelung des § 6 Abs. 2 UmweltHG hat zu einer Verbesserung der<br />

innerbetrieblichen Dokumentation in einigen Unternehmen geführt. Eine solche<br />

verbesserte Dokumentation hat nicht nur für den Unternehmer, sondern im Schadensfall<br />

auch für den Geschädigten Vorteile, denn das Fehlen notwendiger Informationen<br />

ist ein wesentliches Hemmnis für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen.<br />

Einen Beitrag zur Präventionswirkung können schließlich auch die Haftpflichtversicherer<br />

leisten. Zwar wird durch die Versicherung zunächst das Haftungsrisiko<br />

auf das Versichertenkollektiv verlagert. 26 Auf der anderen Seite kann<br />

diese Einbuße der Steuerungswirkung insbesondere durch eine aktivere Rolle des<br />

Versicherers im Bereich des "risk-management" kompensiert werden. Große<br />

Versicherer haben längst damit begonnen, eigene Risk-management-Abteilungen<br />

aufzubauen und ein entsprechendes Know-how zu erwerben und es, gegebenen-<br />

22 Urt. vom 3.12.1992, VersR 1993, S. 894.<br />

23 Urt. vom 10.12.1993, OLG-Rp Düsseldorf 1994, S. 147.<br />

24 BT-Dr. 12/7301 vom 14.4.1994.<br />

25 BT-Dr. 12/7500 vom 9.5.1994, S. 2.<br />

26 Gleiches gilt im übrigen für die Wirkung von Haftungsfonds. Sie sind deshalb nur dort<br />

sinnvoll, wo ein Schädiger nicht ermittelt werden kann oder aus anderen Gründen der Geschädigte<br />

leer ausgehen würde. Zu skeptisch allerdings Ladeur, VersR 1993, S. 257 (263).<br />

146


falls auch unter Einschaltung von externen Consultant-Büros, den Betrieben zur<br />

Verfügung zu stellen. Diese Angebote dürften gerade für kleinere und mittlere<br />

Unternehmen von erheblicher Bedeutung sein, die bei der Risikoeinschätzung<br />

ihrer Anlagen häufig erhebliche Defizite aufweisen. Darüber hinaus kann durch<br />

eine abgestufte, risikoadäquate Prämiengestaltung und die entsprechende Ausgestaltung<br />

der Versicherungsbedingungen und ihre Kontrolle ein weiterer Beitrag zu<br />

einem risikomindernden Verhalten geleistet werden. 27<br />

Die dargestellten Wirkungen weisen letztlich in eine Richtung, die mit dem<br />

Stichwort 'Förderung proaktiver Unternehmensstrategien' beschrieben werden<br />

kann. Der Begriff der proaktiven Strategien wurde im Zusammenhang mit der<br />

Diskussion um eine umweltgerechte Stoffstrompolitik geprägt. Unter proaktivem<br />

Verhalten eines Unternehmens sind Maßnahmen und Programme zu verstehen,<br />

die zur Verwirklichung der stoffstrompolitischen Zielsetzung beitragen, ohne daß<br />

dieses Verhalten direkt gesetzlich vorgeschrieben ist.<br />

Im Mittelpunkt steht dabei die Entscheidungsfindung in Unternehmen, mit der<br />

Zielsetzung, Ressourcenverbrauch und Umweltbelastung durch den Umgang mit<br />

Stoffen auf ein Maß zu reduzieren, das als nachhaltig umweltverträgliche Wirtschaftsweise<br />

bezeichnet werden kann. Wichtige proaktive Instrumente sind Umweltmanagement<br />

und Umweltaudit, betriebliche Umweltrechnungslegung und<br />

vergleichbare Ansätze. 28 Im Mittelpunkt steht bei proaktiven Ansätzen das Unternehmen<br />

und seine umweltbewußte Innovationsbereitschaft.<br />

Proaktive Ansätze müssen eingebettet sein in entsprechende Rahmenbedingungen.<br />

Hierzu gehört auch, daß die Preise für die Inanspruchnahme von Umweltgütern<br />

die tatsächlichen Kosten abbilden. Insofern vermag das Umwelthaftungsrecht<br />

auch einen Beitrag zur Förderung derartiger Ansätze zu leisten. Im<br />

Hinblick auf den durch das deutsche Umwelthaftungsgesetz verursachten Anreiz<br />

zur innerbetrieblichen Dokumentationsverbesserung wird bereits darauf hingewiesen,<br />

daß entsprechende Maßnahmen für das Unternehmen nur dann lohnend<br />

seien, wenn gleichzeitig ein umfassendes System der innerbetrieblichen Kontrolle<br />

und Dokumentation eingeführt und damit auch die Effizienz des Betriebs erhöht<br />

werde. 29 Die Nähe zu dem Instrument des Umweltaudits wird hier besonders<br />

deutlich. Die Verzahnung mit derartigen Ansätzen dürfte für die Weiterentwicklung<br />

des Umwelthaftungsrechts von zunehmender Bedeutung sein.<br />

Faßt man die bisherigen Erfahrungen mit dem UmweltHG zusammen, so ist bei<br />

der Beurteilung der Präventionswirkung, trotz der dargestellten positiven Anreize,<br />

allerdings wohl eher Zurückhaltung geboten. Der Präventionswirkung stehen<br />

27 Wagner, VersR 1991, S. 249ff.<br />

28 Vgl. hierzu Führ et al., Proaktive, 1995.<br />

29 Schmidt-Salzer, UHG, § 6 Rn. 227ff.<br />

147


nämlich tatsächliche und rechtliche Wirksamkeitshemmnisse entgegen, auf die<br />

hier im einzelnen nicht näher eingegangen werden kann. Hierzu gehört jedenfalls<br />

der weitgehende Ausfall des Haftungsrechts bei Umweltschäden 30 sowie die<br />

Fehlallokation im Bereich der Gesundheitsschäden, da umweltbedingte Gesundheitsschäden<br />

von den Krankenkassen ersetzt werden und diese praktisch keinen<br />

Regreß bei den Schädigern nehmen.<br />

6.2. Bestandsaufnahme: Das geltende gentechnikrechtliche Haftungssystem<br />

6.2.1. Gefährdungshaftung<br />

§ 32 GenTG ordnet eine umfassende Gefährdungshaftung für solche Schäden an,<br />

die von Eigenschaften eines Organismus, die auf gentechnischen Arbeiten beruhen,<br />

verursacht werden. Die Haftung ist verschuldensunabhängig und gilt für<br />

Schäden, die von Anlagen, Freisetzungen und dem erstmaligen Inverkehrbringen<br />

ausgehen. Dabei kommt es nicht darauf an, ob es sich um eine Forschungs-, Entwicklungs-<br />

oder Produktionsarbeit handelt; auch greift die Haftungsnorm auf<br />

allen Sicherheitsstufen ein. Im Unterschied zur Haftung nach dem Umwelthaftungsgesetz<br />

ist die Haftung nach dem GenTG somit als Handlungshaftung und<br />

nicht als Anlagenhaftung ausgestaltet. 31 Die dogmatische Begründung der Anordnung<br />

der Gefährdungshaftung folgt dabei der Idee, daß derjenige, der eine zwar<br />

sozial erwünschte, aber doch als Quelle erhöhter Gefahr anzusehende Tätigkeit<br />

unternimmt, die damit verbundenen Folgen zu tragen hat. 32<br />

Für Arzneimittel und für gentechnisch veränderte Produkte, die bereits aufgrund<br />

einer Genehmigung in den Verkehr gebracht wurden, enthält § 37 GenTG<br />

einen Vorrang des Arzneimittel- bzw. Produkthaftungsgesetzes. Die Haftungsregelung<br />

gilt für alle - und nur für die 33 - vom gesetzlichen Anwendungsbereich<br />

des GenTG erfaßten gentechnischen Verfahren.<br />

30 Vgl. zum Gentechnikrecht unten, Kap. 7.2.6. Zu den Schutzlücken des geltenden Umwelthaftungsrechts<br />

auch Salje, UmweltHG, §§ 1, 3 Rn. 11ff.<br />

31 Landsberg/Lülling, GenTG, vor § 32 Rn. 11.<br />

32 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1193; Deutsch, Haftung, 1991, S. 120. Zu<br />

dogmatisch unterschiedlichen Begründungsansätzen in anderen Staaten vgl. Roller, PHI<br />

1990, S. 154ff.<br />

33 Der Haftungstatbestand deckt damit nicht alle spezifischen Risiken der Gentechnologie ab;<br />

Koch/Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, 1992, § 32 Rn. 11.<br />

148


Die Einführung einer verschuldensunabhängigen Gefährdungshaftung wird allgemein<br />

als sachgerecht angesehen und mit den noch weitgehend unbekannten<br />

Gefahren der Gentechnik begründet. 34<br />

6.2.2. Reichweite der Haftung: "Normalbetrieb" und Entwicklungsrisiken<br />

Die Haftung nach dem GenTG erfaßt sowohl Schäden, die durch Unfälle entstehen,<br />

als auch solche Schäden, die während des genehmigten "Normalbetriebs"<br />

eintreten. 35 Im Hinblick auf bestehende Prognoseunsicherheit stellt bereits der<br />

Normalbetrieb die besondere Gefahrenquelle dar, die eine Gefährdungshaftung<br />

rechtfertigt. 36 Es kommt deshalb nicht darauf an, ob eine Tätigkeit genehmigt ist<br />

oder in Übereinstimmung mit den öffentlich-rechtlichen Vorschriften oder dem<br />

Genehmigungsbescheid durchgeführt wird.<br />

Da das primäre Gefahrenpotential darin liegt, daß die Reaktionsweisen der in<br />

ihrer natürlichen Erbsubstanz veränderten Organismen nicht mit letzter Sicherheit<br />

prognostizierbar sind, aber gerade dieses Risiko haftungsrechtlich erfaßt werden<br />

soll, 37 sind auch sogenannte Entwicklungsrisiken vom Anwendungsbereich der<br />

Vorschrift erfaßt. Der Betreiber haftet also auch dann, wenn die mögliche Verursachung<br />

des Schadens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zum Zeitpunkt<br />

der gentechnischen Arbeit trotz Anwendung größter Sorgfalt objektiv von<br />

niemandem erkannt werden konnte. 38<br />

6.2.3. Haftungsadressat<br />

Haftpflichtig nach § 32 GenTG ist der Betreiber. Betreiber ist derjenige, der den<br />

bestimmenden Einfluß auf die Ausführung und den Betrieb des gentechnischen<br />

34 Landsberg/Lülling, GenTG, vor § 32 Rn. 6-8; Damm, NuR 1992, S. 1ff.; zweifelnd:<br />

Koch/Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, 1992, § 32 Rn. 3; vgl. auch die Gesetzesbegründung:<br />

"Dennoch bleibt ein Restrisiko, das selbst dann zu Schäden führen kann, wenn beim Umgang<br />

mit gentechnisch veränderten Organismen jede erdenkliche Sorgfalt beachtet wurde.<br />

Dies gilt um so mehr, als die Gentechnologie erst am Anfang ihrer Entwicklung steht und<br />

eine Prognose etwaiger Schadensverläufe kaum zu stellen ist. Nur um den Preis, daß der<br />

Betreiber, der die Gefahrenquelle in Gang setzt und unterhält, auch ohne schuldhaftes Verhalten<br />

für etwaige Schäden einsteht, kann dem Bürger das gesteigerte Gefahrenrisiko zugemutet<br />

werden."<br />

35 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 14.<br />

36 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 14.<br />

37 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, 2. Aufl., vor § 32 Rn. 4; Landsberg/Lülling,<br />

GenTG, vor § 32 Rn. 9; Koch/Ibelgaufts, Gentechnikgesetz, 1992, § 32 Rn. 7.<br />

38 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 13; Landsberg/Lülling, GenTG, § 32<br />

GenTG, Rn. 95f.<br />

149


Vorhabens ausübt und nach außen als der Verantwortliche auftritt. Betreiber kann<br />

nach § 3 Nr. 9 GenTG eine natürliche oder eine juristische Person sein. Bei einer<br />

Anlage ist dies typischerweise der Genehmigungsinhaber. Im Bereich der universitären<br />

Forschung ist dies in der Regel die Universität als rechtsfähige Körperschaft.<br />

Sie kann jedoch die Betreibereigenschaft auf Dritte, etwa einen Institutsleiter<br />

übertragen. 39<br />

Daneben können aus anderen Rechtsvorschriften auch weitere Personen haften.<br />

Die deliktische Verschuldenshaftung des § 823 BGB kommt grundsätzlich neben<br />

der Gefährdungshaftung aus § 32 GenTG zur Anwendung. Angesichts zahlreicher<br />

gesetzlicher Sorgfaltspflichten, die insbesondere dem Projektleiter sowie dem<br />

Beauftragten für Biologische Sicherheit auferlegt sind, kommen insbesondere<br />

diese Personen als Haftungsadressaten des § 823 BGB in Betracht.<br />

6.2.4. Kausalität<br />

Die Haftung des Gentechnikgesetzes greift nur dann ein, wenn der Schaden durch<br />

den gentechnisch veränderten Organismus verursacht wurde. Dabei muß es sich<br />

gerade um die Verwirklichung der gentechnisch bedingten Gefährdung handeln:<br />

Wird also durch einen gentechnisch veränderten, pathogenen Organismus die<br />

Gesundheit eines Menschen verletzt, so greift die Gefährdungshaftung des § 32<br />

GenTG nicht schon dann ein, wenn durch die pathogene Wirkung der Schaden<br />

entstand, sondern nur dann, wenn gerade die gentechnische Veränderung hierfür<br />

ursächlich ist. Die Haftungsnorm des § 32 GenTG erfordert also eine mehrstufige<br />

kausale Verknüpfung:<br />

150<br />

Gentechnische Arbeit<br />

↓<br />

Eigenschaftsveränderung des Organismus<br />

↓<br />

Schaden<br />

Es liegt auf der Hand, daß diese Kausalkette im Einzelfall - gerade wegen der<br />

Erkenntnislücken im Bereich der Ursache-Wirkungs-Mechanismen, um derentwillen<br />

der Gesetzgeber eine strenge Gefährdungshaftung eingeführt hat - nur<br />

schwer zu beweisen sein wird. Ist schon der Kausalitätsnachweis, daß ein Schaden<br />

überhaupt durch einen gentechnisch veränderten Organismus und nicht durch<br />

eine andere Ursache eingetreten ist, nicht leicht zu führen, so dürfte der Nach-<br />

39 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 3 Rn. 56. Zu den haftungsrechtlichen Konsequenzen<br />

vgl. unten, Kap. 7.3.2.2.


weis, daß der Schaden gerade auf der gentechnischen Veränderung beruht, für<br />

den Geschädigten praktisch unmöglich sein. 40 Entscheidend kommt es deshalb<br />

darauf an, wer die Beweislast für die einzelnen Stufen trägt und welches Beweismaß<br />

erforderlich ist.<br />

6.2.5. Ursachenvermutung<br />

6.2.5.1. Gesetzliche Regelung<br />

Der Gesetzgeber ist dabei zum Teil geforderten Beweiserleichterungen in Form<br />

einer Reduktion des Beweismaßes auf einen Maßstab überwiegender Wahrscheinlichkeit<br />

nicht gefolgt, 41 sondern hat in § 34 Abs. 1 GenTG eine Ursachenvermutung<br />

42 (in Form einer "kleinen" Lösung 43 ) eingeführt. Danach ist für<br />

den Verursachungsnachweis im ersten Schritt - der Nachweis, daß der Schaden<br />

durch einen gentechnisch veränderten Organismus verursacht worden ist - der<br />

volle Kausalitätsbeweis zu erbringen. Hinsichtlich des zweiten Schrittes greift die<br />

Verursachungsvermutung des § 34 Abs. 1 GenTG ein: Hat der gentechnisch veränderte<br />

Organismus den Schaden verursacht, so gilt die Vermutung, daß dieser<br />

Schaden auf der gentechnischen Veränderung beruht. Um in den Genuß dieser<br />

Ursachenvermutung zu gelangen, braucht der Geschädigte keine weiteren, außerhalb<br />

des Tatbestands liegenden Indizien vorzutragen. 44 Das Problem, daß aufgrund<br />

fehlender Erfahrungswerte der Nachweis des Ursachenzusammenhangs<br />

zwischen gentechnischer Veränderung und Schaden nicht zu führen ist, wird<br />

damit an den Verursacher (Betreiber) zurückgegeben.<br />

Der Betreiber wiederum kann diese Ursachenvermutung widerlegen. Nach<br />

§ 34 Abs. 2 ist die Ursachenvermutung entkräftet, wenn es wahrscheinlich ist,<br />

daß der Schaden auf anderen Eigenschaften des Organismus beruht. Der Betreiber<br />

muß seinerseits also ebenfalls nicht den Vollbeweis eines anderen Verursachungsweges<br />

bringen. Es reicht aus darzutun, daß der von dem Geschädigten<br />

40 Vgl. im einzelnen: Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1196.<br />

41 Vgl. zu den verschiedenen Möglichkeiten: Wilmowsky/Roller, Civil, 1992, S. 59f. sowie<br />

den dortigen Vorschlag für ein "Sphärenmodell". Dazu auch Salje, UmweltHG, § 6 Rn.<br />

20. Im Rahmen der Bemühungen um eine Regulierung der europäischen Abfallhaftung verfolgte<br />

der Erste Richtlinienentwurf der Kommission in Art. 4 Abs. 6 den Ansatz einer Beweismaßreduzierung,<br />

ABl. C 251/1989, S. 3. Der geänderter RL-Vorschlag von 1991 enthält<br />

diese Regelung nicht mehr, ABl. C 192/1991, S. 7. Zu den Hintergründen vgl. Wilmowsky/Roller,<br />

ebd., S. 51-52.<br />

42 Die dogmatische Einordnung dieser Vorschrift ist umstritten; vgl. Deutsch, Haftung, 1991,<br />

S. 125, sowie Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 103-105.<br />

43 Damm, NuR 1992, S. 5f.<br />

44 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1197.<br />

151


nach § 34 Abs. 1 dargelegte Ursachenzusammenhang nicht wahrscheinlich, sondern<br />

eine andere Ursache wahrscheinlicher ist. Nicht ausreichend für die Widerlegung<br />

der Vermutung ist es somit, wenn der Betreiber bloße Zweifel an der gentechnisch<br />

bedingten Verursachung vorbringt oder die Möglichkeit einer anderen<br />

Verursachung darlegt. Entscheidend dürfte in diesem Zusammenhang sein, daß<br />

die praktisch häufig vorkommende non-liquet-Situation zu Lasten des Betreibers<br />

geht: Sind beide Verursachungsmöglichkeiten gleich (un-)wahrscheinlich, so<br />

bleibt es bei der Ursachenvermutung des § 34 Abs. 1 GenTG. 45 Hat der Betreiber<br />

seinerseits die Ursachenvermutung widerlegt, so verbleibt dem Geschädigten die<br />

Möglichkeit, im Wege des Vollbeweises die Verursachung durch die gentechnische<br />

Eigenschaftsveränderung nachzuweisen; ein Fall, der in der Praxis freilich<br />

kaum vorkommen dürfte.<br />

Gegenüber der Vermutungsregelung des UmweltHG bleibt die "kleine" gentechnische<br />

Lösung jedoch deutlich zurück: Dem Anspruchsteller obliegt nach<br />

dem GenTG der volle Nachweis für die Emissions- sowie die Immissionskausalität.<br />

Den Nachweis, daß der Schaden nicht auf anderen Umwelteinflüssen,<br />

einem eigenen Verhalten oder einer Erbkrankheit beruht, sondern durch den gentechnisch<br />

veränderten Organismus verursacht wurde, hat der Geschädigte somit<br />

nach den Maßstäben des Vollbeweises zu erbringen. 46<br />

6.1.5.2. Fallbeispiel "Tryptophan"<br />

Die Praktikabilität dieser Regelung soll nachfolgend anhand eines Beispiels<br />

durchgespielt werden. Dabei bleiben hier die Abgrenzungen zur Arzneimittelhaftung<br />

zunächst außer Betracht und es wird unterstellt, der gentechnikrechtliche<br />

Haftungstatbestand sei auf diesen Fall anwendbar.<br />

Eine neue Erkrankung, die zunächst in den USA, dann auch in der Bundesrepublik<br />

auftrat, das sogenannte EMS-Syndrom, kann mit hoher Wahrscheinlichkeit<br />

auf die Einnahme des gentechnisch hergestellten Medikaments L-Tryptophan des<br />

japanischen Herstellers Showa Denko zurückgeführt werden. Einmal unterstellt,<br />

die Verursachung sei mit der für den Vollbeweis erforderlichen Sicherheit erbracht<br />

- nach klinischen und epidemiologischen Untersuchungen ist davon auszugehen,<br />

daß die Erkrankungen auf eine Änderung des Herstellungsprozesses dieses<br />

Medikaments in den Jahren 1985-1988 zurückzuführen sind 47 -, so wäre die erste<br />

Stufe des Kausalitätsnachweises überwunden.<br />

45 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, VersR 1990, S. 1198.<br />

46 Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 268. Bereits dieser Nachweis kann erhebliche<br />

Schwierigkeiten bereiten, instruktiv das Beispiel des Leptospira-Falles; BGH, NJW 1989,<br />

S. 2947f.; dazu auch Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 198.<br />

47 Mayeno/Gleich, Trends in Biotechnology 1994, S. 347.<br />

152


Die Verursachung müßte aber gerade auf der gentechnisch veränderten Eigenschaft<br />

des Organismus beruhen. Diesen Nachweis zu führen, begegnet folgenden<br />

tatsächlichen Schwierigkeiten: Im Dezember 1988 wurde der Herstellungsprozeß<br />

des Medikaments bei Showa Denko auf gentechnische Produktion umgestellt,<br />

jedoch auch eine Änderung im - nicht-gentechnischen - Reinigungsvorgang vorgenommen.<br />

Deshalb läßt sich nicht sicher feststellen, daß gerade die gentechnische<br />

Veränderung des Produkts für die Erkrankung ursächlich war. 48 In dieser<br />

Situation greift nun die Ursachenvermutung des § 34 Abs. 1 ein: Der Geschädigte<br />

braucht diesen Zusammenhang nicht darzulegen, er wird gesetzlich vermutet. Der<br />

Hersteller seinerseits kann die Vermutung widerlegen: Er muß dann nachweisen,<br />

daß es wahrscheinlicher ist, daß die Änderung im Reinigungsvorgang ursächlich<br />

für den Schaden gewesen ist. Gelingt ihm dies nicht, so haftet er nach dem<br />

GenTG.<br />

Tatsächlich tritt in diesem Beispielfall die Haftung nach dem GenTG allerdings<br />

zurück: Da L-Tryptophan ein zulassungspflichtiges Arzneimittel war, welches an<br />

die Verbraucher im Geltungsbereich des AMG abgegeben wurde, ist ausschließlich<br />

§ 84 AMG anwendbar. Im Ergebnis macht dies keinen Unterschied, da es bei<br />

der Haftung nach dem AMG nicht darauf ankommt, aufgrund welcher Inhaltsstoffe<br />

oder Veränderungen das Arzneimittel schädigende Wirkung entfaltet hat.<br />

6.2.6. Schadensbegriff<br />

Der Schadensbegriff des Gentechnikgesetzes entspricht dem bisherigen Recht.<br />

Danach sind Personen- und Sachschäden ersatzfähig, nicht dagegen reine Vermögensschäden<br />

und Umweltschäden. Für die Schädigung von Naturgütern, die nach<br />

der Rechtsordnung in niemandes Eigentum stehen, ist nach dem Gentechnikgesetz<br />

somit kein Ersatz zu leisten. Im Hinblick auf den Umfang des Schadensersatzes<br />

bei der Schädigung von eigentumsrechtlich zugeordneten Naturgütern<br />

(Biotop auf Grundstück) ordnet § 32 Abs. 7 GenTG jedoch abweichend vom<br />

Normalfall des § 251 Abs. 1 BGB an, daß die Wiederherstellung des Biotopes<br />

("Naturalrestitution") nicht deshalb ausgeschlossen ist, weil der Aufwand der<br />

Wiederherstellung den Wert der Sache erheblich übersteigt.<br />

Da gerade ökologische Veränderungen durch den Einsatz bestimmter Anwendungsformen<br />

der Gentechnik nicht ausgeschlossen sind, erweist sich die fehlende<br />

Ersatzfähigkeit von Umweltschäden als wesentliche Lücke im Gesetz. Zudem<br />

geht die bislang ergangene Rechtsprechung zu Freisetzungsversuchen davon aus,<br />

daß eine Eigentumsbeeinträchtigung durch transgene Übertragung von Pflanzen<br />

nur dann gegeben sei, wenn sich dadurch ein besonderes ökologisches Risiko<br />

48 Mayeno/Gleich, Trends in Biotechnology 1994, S. 349.<br />

153


verwirkliche. Allein die Tatsache einer Vermischung von transgenen mit "normalen"<br />

Pflanzen sei selbst dann keine Eigentumsverletzung, wenn die Pflanzen biologisch<br />

angebaut werden und als solche dann nicht mehr vermarktet werden können.<br />

49<br />

6.2.7. Deckungsvorsorge<br />

Für Anlagen, in denen gentechnische Arbeiten der Sicherheitsstufe 2-4 durchgeführt<br />

werden, und für Freisetzungen kann die Bundesregierung durch Rechtsverordnung<br />

bestimmen, daß der Betreiber eine Deckungsvorsorge nachweisen muß,<br />

§ 36 Abs. 1 GenTG. Eine entsprechende Verordnung wurde bislang jedoch nicht<br />

verabschiedet. 50 Die Verpflichtung greift deshalb bislang nicht; auch wurde davon<br />

abgesehen, den Nachweis der Deckungsvorsorge zur Genehmigungsvoraussetzung<br />

zu machen. 51<br />

Unter Präventionsgesichtspunkten ist diese Vorschrift nur insoweit von Interesse,<br />

als die Deckungsvorsorge durch eine Haftpflichtversicherung erbracht wird.<br />

Dies ist jedoch nicht zwingend, vielmehr besteht die Möglichkeit, den Nachweis<br />

durch eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung des Bundes oder<br />

eines Landes zu erbringen, § 36 Abs. 2 Nr. 2 GenTG. Letzteres ist bei der universitären<br />

Forschung regelmäßig der Fall. 52<br />

6.2.8. Haftungshöchstbetrag<br />

§ 33 GenTG legt eine Haftungshöchstgrenze fest. Danach haftet der Betreiber bis<br />

zu einem Höchstbetrag von 160 Millionen Deutscher Mark pro Ereignis. Der<br />

Höchstbetrag gilt absolut; sind mehrere Geschädigte vorhanden, so ist der Betrag<br />

aufzuteilen.<br />

49 VG Berlin, Beschl. vom 12.9.1995, ZUR 1996, S. 147ff. mit zu Recht ablehnender Anmerkung<br />

von Ginzky, ebd., S. 151ff. Zum Schadensbegriff aus praktischer Sicht vgl. auch<br />

unten, Kap. 8.8.1.<br />

50 Der Entwurf einer entsprechenden Verordnung ist abgedruckt bei Landsberg/Lülling, in:<br />

Eberbach et al., GenTG, 1994, Anh. zu § 36 GenTG.<br />

51 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 13 Rn. 38 sowie § 36 Rn. 2.<br />

52 Landsberg/Lülling, in: Eberbach et al., GenTG, 1994, § 36 Rn. 25. Vgl. auch unten, Kap.<br />

7.3.2.<br />

154


6.2.9. Haftungsausschlüsse<br />

Abweichend von anderen Gefährdungshaftungstatbeständen kennt das GenTG<br />

keinen Haftungsausschluß bei höherer Gewalt. 53 Der Betreiber haftet somit selbst<br />

dann, wenn außergewöhnliche Naturereignisse wie Erdbeben, Blitzschlag etc.<br />

den Schaden ausgelöst haben.<br />

6.3. Steuerungsgrenzen des geltenden Gentechnikhaftungsrechts<br />

6.3.1. Gentechnikhaftung bei gewerblicher Tätigkeit<br />

Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß die Bedeutung des Haftungsrechts in<br />

der Regel darin zu sehen ist, bestehende ordnungsrechtliche Instrumente zu ergänzen.<br />

Darüber hinaus übernimmt das Haftungsrecht dort, wo es an entsprechenden<br />

ordnungsrechtlichen Genehmigungsvorbehalten fehlt, Präventivfunktionen.<br />

So ist durch die Änderung des Gentechnikgesetzes 1993 der gesamte<br />

Bereich gentechnischer Arbeiten der Sicherheitsstufe 1 aus der Genehmigungspflicht<br />

entlassen und lediglich unter Anmeldevorbehalt gestellt worden. Die Gefährdungshaftung<br />

des § 32 GenTG erfaßt diese Arbeiten jedoch ausnahmslos, 54<br />

so daß die rechtliche Verantwortung des Betreibers für seine Tätigkeit insoweit<br />

bestehen bleibt.<br />

Für die Bewertung der Steuerungsfähigkeit der gentechnikrechtlichen Haftungsvorschriften<br />

im Bereich der gewerblichen Tätigkeit dürfte das für das Umwelthaftungsrecht<br />

gezogene Fazit in verschärfter Form zutreffen. Angesichts der<br />

noch ausgeprägteren Schwierigkeiten beim Kausalitätsnachweis wird auch in<br />

Zukunft kaum mit Haftungsfällen zu rechnen sein, so daß die Anspruchsstellungswahrscheinlichkeit<br />

und damit das aus Sicht des Betreibers zu kalkulierende<br />

Haftungsrisiko tendenziell eher abnehmen wird.<br />

Eine gewisse Wirkung dürfte das Haftungsrecht bei größeren Unternehmen<br />

entfalten, bei denen ein größeres Know-how und eine unmittelbare Vernetzung<br />

von Rechts-, Konzessions-, Entwicklungs- und Forschungsabteilungen besteht. 55<br />

Kleineren Betrieben fehlen demgegenüber häufig bereits die notwendigen Kenntnisse,<br />

um das Risiko eines Haftungsfalles zu beurteilen.<br />

53 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 27.<br />

54 Koch/Ibelgaufts, GenTG, 1992, § 32 Rn. 16.<br />

55 Instruktiv zum Projektmanagement im Vorfeld der Genehmigungserteilung in einem chemischen<br />

Großbetrieb Henrich, Genehmigungsverfahren, 1994, S. 71ff.<br />

155


6.3.2. Besonderheiten für den Bereich der Forschung<br />

Die bisherigen Erfahrungen mit dem Umwelthaftungsrecht beschränken sich auf<br />

den Bereich der industriellen technischen Risiken. Es ist jedoch nicht ohne weiteres<br />

sicher, daß die dort gemachten Erfahrungen auf den Bereich der Forschung<br />

übertragen werden können.<br />

Zunächst ist zu differenzieren zwischen Industrieforschung und universitärer<br />

Forschung.<br />

6.3.2.1. Industrieforschung<br />

Im Bereich der Industrieforschung dürften die Wirkungen des Haftungsrechts<br />

ebenfalls weitgehend mit den skizzierten Erfahrungen des Umwelthaftungsgesetzes<br />

vergleichbar sein. Industrielle Anwender sind mit Haftungsrisiken eher<br />

vertraut als universitäre Forscher. Einschränkend ist jedoch auch hier darauf hinzuweisen,<br />

daß dies in erster Linie für größere Industrieunternehmen gilt, die nicht<br />

ausschließlich Forschung betreiben, sondern auch industrielle Produktionsanlagen<br />

unterhalten. Für diese Unternehmen ist der Umgang mit Haftungsrisiken nichts<br />

prinzipiell Neues. Der Betreiber wird auch die im Zusammenhang mit der Forschung<br />

möglicherweise vorhandenen Risiken abschätzen und sich gegebenenfalls<br />

versichern. Auch ist der Übergang von Forschung, Entwicklung und Anwendung<br />

häufig fließend. Die Kanalisierung der Haftung auf den Betreiber führt zudem<br />

dazu, daß letztlich eine rechtliche Identität von Forschungsverantwortlichen und<br />

Haftpflichtigen besteht. 56 Dies alles spricht dafür, der Gentechnikhaftung im Bereich<br />

der Industrieforschung eine prinzipielle Eignung zur Verhaltenssteuerung<br />

zuzuschreiben. Für kleinere und mittlere Unternehmen gelten auch hier die bereits<br />

angeführten Einschränkungen.<br />

6.3.2.2. Universitätsforschung<br />

Gänzlich anders sieht es im Bereich der universitären Forschung aus. Die Frage<br />

des rechtlichen Haftungsrisikos ist eine untypische Materie, mit der sich der Laborforscher<br />

normalerweise nicht beschäftigt. Die bisher vorliegenden empirischen<br />

Befunde deuten ebenfalls in diese Richtung. Danach spielen eventuelle Haftungs-<br />

56 Ob sich das 'Haftungsrisiko' allerdings bis in das Bewußtsein der Forscher im Labor fortsetzt,<br />

erscheint eher zweifelhaft. Aussagen zu diesem Fragenkomplex ("Wüßte ich nicht.<br />

Es kann durchaus sein, daß dies dann durch unsere Sicherheitsabteilung aufgefangen wird.<br />

Für viele dieser Fragen, muß ich ehrlich sagen, wäre es günstiger gewesen, wenn Sie mit<br />

unserem Sicherheitsbeauftragten diskutiert hätten ...", Int. Nr. 17, S. 47) deuten eher das<br />

Gegenteil an. Man wird hier aber eine ähnliche 'Filterwirkung' wie bei der Umsetzung der<br />

Gentechnikpflichten aus dem GenTG durch innerbetriebliche Zuständigkeitsverteilungen<br />

annehmen können.<br />

156


isiken im Bewußtsein des Forschungspersonals bei der praktischen Arbeit im<br />

Labor so gut wie keine Rolle. Dies gilt auch für das Leitungspersonal. 57<br />

Durch die bestehende Rechtslage wird dieser Umstand begünstigt. Aufgrund<br />

des öffentlich-rechtlichen Charakters der Universität ist Betreiber im Sinne des §<br />

3 Abs. 9 GenTG die juristische Person Universität, 58 vertreten durch ihren Präsidenten.<br />

Selbst wenn sie die Betreibereigenschaft auf einen Institutsleiter delegiert,<br />

so ist dies für die haftungsrechtliche Zuordnung ohne Belang, denn die Haftung<br />

der juristischen Person bleibt bestehen. Dabei besteht die gesetzliche Gefährdungshaftung<br />

des § 32 GenTG grundsätzlich neben anderen Haftungsvorschriften,<br />

etwa einer Amtshaftung aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG, fort. 59<br />

Die Universitäten sind Körperschaften des öffentlichen Rechts und zugleich<br />

staatliche Einrichtungen (§ 2 HHG, § 58 Abs. 1 HRG) des Landes (vgl. etwa § 1<br />

Abs. 2 HUG). Während die Rechtsnatur der Hochschulen als Körperschaften des<br />

öffentlichen Rechts der Freiheit von Wissenschaft und Lehre vor staatlichen Eingriffen<br />

Rechnung trägt, verdeutlicht die Einordnung der Hochschulen als staatliche<br />

Einrichtungen, daß Finanz- und Personalhoheit bei dem jeweiligen Land liegen.<br />

Danach deckt das Land den Finanzbedarf der Hochschulen im Rahmen der<br />

vom Landtag bewilligten Mittel (so § 22 Abs. 1 HHG). Letztlich tritt somit der<br />

Staat in die Haftung ein. 60 Dies gilt auch für die Gefährdungshaftung des § 32<br />

GenTG.<br />

Die staatliche Haftung folgt dabei dem Selbstversicherungsprinzip. Erforderliche<br />

Mittel zum Schadensausgleich sind danach im Haushaltsplan einzustellen.<br />

Eine Fremdversicherung erfolgt grundsätzlich nicht. Dies wird mit dem haushaltsrechtlichen<br />

Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit begründet, da<br />

die Selbstversicherung gegenüber der Fremdversicherung die wirtschaftlich günstigere<br />

Lösung sei. 61 Dem korrespondiert die Regelung in § 36 Abs. 3 GenTG,<br />

wonach Bund, Länder und juristische Personen des öffentlichen Rechts (also auch<br />

Universitäten) von der Pflicht zur Deckungsvorsorge befreit sind. Der Gesetzgeber<br />

ging insoweit davon aus, daß die Adressaten dieser Regelung regelmäßig in<br />

57 Auf Haftungsfragen ging von sich aus nur einer der befragten Genforscher ein, weil dieses<br />

Problem bei einer Freisetzung von der Universitätsverwaltung aufgeworfen worden war<br />

(Int. Nr.12, S. 36).<br />

58 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 3 Rn. 56.<br />

59 Zum grundsätzlichen Nebeneinander von Amtshaftung und staatlicher Gefährdungshaftung:<br />

Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1995, § 28 Rn. 16.<br />

60 Diese Haftung ist nicht subsidiär, sondern trifft das Land unmittelbar, Hirsch/Schmidt-<br />

Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 17.<br />

61 Vgl. im einzelnen Frischmann, WissR 1989, S. 148.<br />

157


der Lage seien, auch Risiken mit besonders hohem Schadenspotential selbst abzudecken.<br />

62<br />

Die damit verbundenen Probleme einer adäquaten Bewältigung von Großschadensereignissen<br />

können hier nicht weiter vertieft werden. 63 Unter Präventionsgesichtspunkten<br />

ist jedoch festzuhalten, daß damit die von einer (Fremd-)<br />

Versicherung ausgehenden Präventionsanreize - etwa durch Prämiengestaltung<br />

oder "risk-management"-Maßnahmen - ebenfalls entfallen. Da das finanzielle<br />

Risiko von der eigentlichen Tätigkeit entkoppelt ist und sich im allgemeinen<br />

Staatshaushalt verflüchtigt, besteht ein Anreiz zur Risikominimierung durch das<br />

Haftungsrecht für die jeweiligen Vorhabenträger nicht.<br />

Für die staatlich geförderte außeruniversitäre Forschung gilt dieser Befund e-<br />

benfalls. Privatrechtlich organisierte Forschungseinrichtungen sind zwar nicht<br />

nach § 36 Abs. 3 GenTG von der Deckungsvorsorgepflicht befreit. Sie können<br />

jedoch nach Abs. 2 die Deckungsvorsorge auch durch eine Freistellungs- oder<br />

Gewährleistungsverpflichtung des Bundes oder eines Landes erbringen. Dadurch<br />

sollte sichergestellt werden, daß staatlich geförderte Forschungseinrichtungen,<br />

wie etwa die Max-Planck-Institute, sich unmittelbar beim Staat absichern können.<br />

64 Da dies der praktische Regelfall sein dürfte, 65 gilt im Hinblick auf die wegfallende<br />

Präventionswirkung einer Fremdversicherung das zur universitären Forschung<br />

ausgeführte entsprechend.<br />

Daneben bleibt die deliktsrechtliche Verschuldenshaftung des jeweiligen (angestellten)<br />

Bediensteten nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 823ff. BGB<br />

bestehen. Soweit der jeweilige Verantwortliche jedoch Beamter (z.B. Hochschulprofessor)<br />

ist, geht die Haftung nach Art. 34 GG i.V.m § 839 BGB auf das Land<br />

über. Dies gilt unabhängig davon, ob man die Forschungstätigkeit als dem hoheitlichen<br />

Bereich zuzuordnende 66 oder als privatrechtliche Tätigkeit auffaßt. Im<br />

letzteren Fall haftet der Beamte zwar nach § 839 auch selbst, er kann jedoch bei<br />

62 Vgl. die amtl. Begr. zu § 30 des Regierungsentwurfs, abgedr. bei Landsberg/Lülling, in:<br />

Eberbach et al., GenTG, 1994, § 36 Rn. 6.<br />

63 Kritisch: Frischmann, WissR 1989, S. 148ff.<br />

64 So die amtl. Begründung, vgl. Landsberg/Lülling, in: Eberbach et al., GenTG, 1994, § 36<br />

Rn. 5.<br />

65 Im Rahmen der staatlichen Forschungsförderung wird offenbar regelmäßig durch Nebenbestimmungen<br />

in den Zuwendungsbescheiden eine Fremdversicherung ausgeschlossen.<br />

Dies ist zwar dann nicht möglich, wenn eine Versicherung gesetzlich vorgeschrieben ist.<br />

Da § 36 Abs. 2 die Absicherung über eine Freistellungs- oder Gewährleistungsverpflichtung<br />

eröffnet und somit eine Fremdversicherung gerade nicht zwingend vorschreibt, wären<br />

entsprechende Auflagen in den Zuwendungsbescheiden nach wie vor möglich. Hierzu ausführlich<br />

Frischmann, WissR 1989, S. 149ff.<br />

66 Für die Lehrtätigkeit der Hochschullehrer wird dies angenommen, vgl. Steinberg/Lubberger,<br />

Staatshaftung, 1991, S. 279.<br />

158


fahrlässigem Handeln den Geschädigten auf die Haftung des Staates verweisen, §<br />

839 Abs. 1 S. 2 BGB. 67<br />

Die tatsächliche Risikoverantwortung des Forschers im Labor und die rechtliche<br />

Zuweisung des Haftungsrisikos fallen somit auseinander. Von daher besteht<br />

für die Leiter und Mitarbeiter der universitären Forschungslabors kein haftungsrechtlicher<br />

Anreiz zur Minderung von Haftungsrisiken. Zudem entfallen die von<br />

einer Haftpflichtversicherung zu erwartenden Präventionsanreize aufgrund des<br />

Selbstversicherungsprinzips der staatlichen Forschung. Aufgrund der fehlenden<br />

Verzahnung zwischen den für etwaige Schadensfälle zuständigen staatlichen<br />

Organen einerseits und den für die universitäre Forschung verantwortlichen Forschern<br />

andererseits bestehen auch keine unmittelbaren Rückkoppelungen. Ein der<br />

Umwelthaftpflichtversicherung vergleichbares Risikomanagement zur Minimierung<br />

des Haftpflichtrisikos geht von der staatlichen Landeshaushaltsverwaltung<br />

nicht aus und ist von dieser auch nicht zu erwarten. Die eingangs angeführten<br />

empirischen Befunde verwundern deshalb nicht.<br />

6.4. Erhöhung der Steuerungsfähigkeit<br />

6.4.1. Verbesserung beim Kausalitätsnachweis<br />

Von entscheidender Bedeutung für die Wirksamkeit eines Haftungsregimes ist die<br />

Regelung des Kausalitätsnachweises. Daß gerade bei Umwelthaftungsfällen hier<br />

die größten Schwierigkeiten liegen, ist vielfach hervorgehoben worden. Der<br />

Nachweis der kausalen Verknüpfung zwischen Gefahrenquelle und eingetretenem<br />

Schaden in der Gentechnik könnte so "zum Kardinalproblem" werden. 68<br />

Andererseits kann das Recht gerade durch Regelungen über Beweismaß und<br />

Beweislast einen Beitrag zum Umgang mit Ungewißheit leisten und eine angemessene<br />

Risikoverteilung vornehmen. Für den Zivilprozeß ist das Phänomen der<br />

"Ungewißheit" durchaus ein typisches: Regelungen über Beweismaß und Beweislast<br />

verteilen das prozessuale Risiko der Unaufklärbarkeit bestimmter Sachverhalte.<br />

Eine Erleichterung beim Kausalitätsnachweis kann dabei auf zwei Wegen erfolgen,<br />

die im praktischen Ergebnis nicht weit auseinanderliegen dürften. 69 Zum<br />

einen könnte das Beweismaß auf den Nachweis der überwiegenden Wahr-<br />

67 Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 1990, § 25 Rn. 59.<br />

68 Damm, NuR 1992, S. 2.<br />

69 Ebenso Damm, JZ 1989, S. 566.<br />

159


scheinlichkeit gesenkt werden. 70 Entsprechende rechtspolitische Vorschläge wurden<br />

bislang freilich stets zurückgewiesen, wenngleich der erste Entwurf einer<br />

Richtlinie zur Abfallhaftung der EG eine vergleichbare Beweismaßsenkung enthielt.<br />

71 Im Schrifttum wird dies zum Teil befürwortet. 72<br />

In das bestehende deutsche System würde eine verbesserte Vermutungsregelung<br />

eher passen, die die Beweislast zugunsten des Geschädigten verschiebt.<br />

Über die bestehende Regelung in § 34 GenTG hinaus könnte die Vermutungsregel<br />

auch die Emissions- und Immissionskausalität erfassen 73 und nicht lediglich<br />

die Verursachung aufgrund der gentechnischen Veränderung des Organismus.<br />

Ein entsprechender Gesetzesvorschlag wurde im Gesetzgebungsverfahren des<br />

Gentechnikgesetzes bereits vom Rechtsausschuß des Bundesrates sowie von der<br />

SPD-Fraktion unterstützt. 74 Gegen eine derartig erweiterte Vermutungsregel läßt<br />

sich nicht einwenden, daß im Bereich der Gentechnik das Erfahrungswissen fehle,<br />

um eine entsprechende Vermutungsregel aufzustellen. Zutreffend wird darauf<br />

hingewiesen, daß die Beweisnot, die aus der Lückenhaftigkeit des Wissens der<br />

Gentechnologie resultiert, gerade ein Argument für und nicht gegen die Aufnahme<br />

von Beweiserleichterungen ist. 75 Die Gefahr einer Verdachtshaftung besteht dabei<br />

nicht. Fehlen die notwendigen tatsächlichen Erfahrungswerte für die "Eignung"<br />

einer Schädigung im konkreten Fall, so würde die Vermutungsregel zu<br />

Lasten des Geschädigten leerlaufen. Dies schließt aber nicht aus, daß durch fortschreitende<br />

Erkenntnisse ein entsprechendes Wissen erzeugt wird, welches in<br />

Zukunft die Inanspruchnahme der Vermutungsregel begründen könnte. Das Gesetz<br />

wäre damit offen für die Aufnahme neuer Erkenntnisse, womit ein Stück<br />

"Lernfähigkeit" in das Gesetz eingebaut wäre. 76<br />

Neben der Verbesserung der Vermutungsregel ist jedoch auch daran zu denken,<br />

unter bestimmten Voraussetzungen weitere Beweiserleichterungen zuzulassen.<br />

In der Kommentarliteratur wird dies insbesondere bei einem Verstoß gegen<br />

Sicherheitspflichten erwogen. 77 Der BGH hat eine Beweislastumkehr in der<br />

'Kupolofenentscheidung' bei einer Überschreitung von Emissionsgrenzwerten für<br />

70 Teilweise wird die Anwendung eines verringerten Beweismaßes bereits de lege lata in der<br />

Literatur befürwortet; die Rechtsprechung neigt gelegentlich ebenfalls dazu, vgl. Stecher,<br />

Ursachenvermutungen, 1995, S. 203ff.<br />

71 Dazu: Wilmowsky/Roller, Civil, 1992, S. 52-54.<br />

72 Assmann, Rechtsfragen, 1990, S. 72.<br />

73 Vgl. oben, Kap. 7.2.4.<br />

74 Vgl. die Nachweise bei Damm, NuR 1992, S. 4.<br />

75 Damm, NuR 1992, S. 4; im Ergebnis ebenfalls für eine Angleichung an das UmweltHG<br />

Stecher, Ursachenvermutungen, 1995, S. 272.<br />

76 Damm, NuR 1992, S. 4.<br />

77 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 34 Rn. 16.<br />

160


denkbar erachtet. 78 Der Gesetzgeber könnte eine Beweislastumkehr in Fällen<br />

anordnen, in denen gegen Sicherheits-, Aufzeichnungs- oder Informationspflichten<br />

verstoßen wird, soweit ein Zusammenhang mit den eingetretenen<br />

Schäden vermutet werden kann. Ob demgegenüber auch an den Verstoß gegen<br />

die Risikokommunikationspflicht 79 im Sinne des Erfordernisses eines Wissensaustauschs<br />

weitere Beweiserleichterungen geknüpft werden könnten, erscheint<br />

eher zweifelhaft. Es ist nämlich nicht gesichert, daß insoweit ein Bezug zu einem<br />

konkreten Schadensereignis herstellbar ist.<br />

6.4.2. Anreiz zur Wissensgenerierung<br />

Gesetzliche Vermutungsregelungen werden allgemein auch als Anreiz zur Wissensproduktion<br />

verstanden. Hierzu trägt auch die Einbeziehung des Entwicklungsrisikos<br />

in die gesetzliche Haftung bei. Beides kann einen Anreiz zu<br />

einer verstärkten Sicherheitsforschung geben. 80 Damit kann zwar das Grundproblem<br />

fehlenden Wissens und bestehender Unsicherheit nicht gelöst werden;<br />

das Recht kann jedoch zu einer interessengerechten Verteilung der Lasten beitragen,<br />

die mit dem Mangel an Wissen verbunden sind. 81 Die Ungewißheit trifft<br />

beide Seiten gleichermaßen, aber nur der Betreiber ist in der Lage, Wissensdefizite<br />

durch zielgerichtete Forschung zu beheben.<br />

6.4.3. Reflexives Haftungsrecht?<br />

Allerdings darf man auch von einer erweiterten Kausalitätsvermutung nicht zu<br />

viel erwarten. Angesichts der beschriebenen Besonderheiten im universitären<br />

Forschungsbereich, der einen Großteil der bundesdeutschen Genforschung ausmacht,<br />

und des damit verbundenen praktischen Ausfalls der Steuerungswirkung<br />

der gentechnischen Haftungsvorschriften kann auch die beste Beweislastregelung<br />

nicht weiterhelfen. Zu überlegen ist deshalb, ob das Haftungsrecht nicht als Anreiz<br />

für eine Selbstregulierung - in der Sprache der Systemtheorie: Kontextsteuerung<br />

- genutzt werden kann. Vergleichbares wird für das Strafrecht diskutiert:<br />

Herzog hat darüber nachgedacht, eine "Art von strafrechtlicher Garantie<br />

prozedural geregelter Foren der Selbstkontrolle und Folgenreflexion" zu schaffen.<br />

82 Ausgangspunkt der Überlegung ist dabei, daß sich gerade For-<br />

78 BGHZ 92, 143 (146f.).<br />

79 Vgl. oben, Kap. 1, 3.<br />

80 Hirsch/Schmidt-Didczuhn, GenTG, 1991, § 32 Rn. 13.<br />

81 Assmann, Rechtsfragen, 1990, S. 51.<br />

82 Herzog, ZStW 1993, S. 749.<br />

161


schungsprozesse weitgehend einer konditionalen Programmierung durch Recht<br />

entziehen.<br />

Überträgt man diesen Gedanken in den Bereich des Haftungsrechts, 83 so wäre<br />

zu erwägen, die Haftung daran zu koppeln, daß die Forschung verfahrensmäßigen<br />

Pflichten unterworfen wird, die sie "in die Lage versetzen, die externen Folgen<br />

ihres Wirkens mitzubedenken und als mögliche Rückwirkungen auf sie selbst in<br />

ihre Entscheidungsprozesse einzustellen". 84 Zu denken ist insbesondere an die<br />

Konsultation von Ethik-Kommissionen, aber auch an die Pflicht, die gewonnenen<br />

Forschungsergebnisse in der eigenen Forschungsgemeinde sowie mit externen<br />

Kritikern eigener und anderer Disziplinen zu reflektieren. 85 Hierzu müßten Verfahren<br />

der "Forschungsfolgenabschätzung" entwickelt werden. Entsprechende<br />

Gremien sind so zu besetzen, daß eine möglichst weitgehende plurale Vertretung<br />

wissenschaftlicher Disziplinen und Meinungen gewährleistet ist. Auch wäre<br />

denkbar, risikobehaftete Forschung unter den Vorbehalt einer entsprechenden<br />

Risikobegleitforschung zu stellen.<br />

Bei Erfüllung dieser internen und externen Risikokommunikationspflicht 86 wäre<br />

es denkbar, die zuvor geschaffenen strengen Haftungsvoraussetzungen zu lockern,<br />

etwa eine Verursachungsvermutung zu entkräften. Damit würde derjenige<br />

begünstigt, dessen Forschung transparent ist, sich einer kritischen Prüfung stellt<br />

und zur weiteren Risikoaufklärung beiträgt. Das Haftungsrecht könnte so zum<br />

Motor einer verstärkten Selbstkontrolle werden.<br />

Da gerade im Bereich der universitären Forschung rechtliche Haftung und tatsächliche<br />

Verantwortung auseinanderfallen, wäre darüber hinaus zu erwägen, die<br />

verantwortlichen Leitungspersonen in die Haftung einzubeziehen. Dies gilt insbesondere<br />

für den Projektleiter, der eine herausgehobene Position einnimmt und<br />

einen wesentlichen Teil der Verantwortlichkeit des Betreibers wahrnimmt. 87 Dabei<br />

dürfte allerdings die Haftung nur insoweit auf diese Personen ausgedehnt<br />

werden, als sie entsprechende Pflichten der Selbstkontrolle nicht wahrnehmen.<br />

Dies könnte etwa für die Informations-, Dokumentations- sowie für die näher zu<br />

bestimmende Risikokommunikationspflicht gelten. Insoweit würde es sich um<br />

eine modifizierte Verschuldenshaftung handeln: Erst der Verstoß gegen die gesetzlich<br />

festgelegte Pflicht begründet dann die Haftung.<br />

Da jedoch eine Haftung der verantwortlichen Personen nach § 823 BGB ohnehin<br />

besteht, und diese Haftung gerade auch an Sorgfaltspflichtverletzungen an-<br />

83 Demgegenüber erscheint die Anwendung des Strafrechts in diesem Bereich weniger angemessen,<br />

vgl. hierzu unten, Kap. 6.5.3.<br />

84 Herzog, ZStW 1993, S. 749.<br />

85 Interne "Risikokommunikation", vgl. Eberbach, GenTR, 1994, vor § 14 GenTSV Rn. 10.<br />

86 Vgl. auch oben, Kap. 4.3.4.<br />

87 Eberbach, vor § 14 GenTSV, Rn. 17; vgl. im einzelnen oben, Kap. 4.<br />

162


knüpft, besteht der Unterschied zur geltenden Rechtslage im wesentlichen darin,<br />

daß der Geschädigte in den Genuß der gentechnikrechtlichen Beweiserleichterungen<br />

kommt.<br />

6.4.4. Aufgabe des Selbstversicherungsprinzips bei der universitären Forschung<br />

Mit den vorstehenden Überlegungen ist jedoch das Auseinanderfallen von tatsächlicher<br />

Verantwortung und rechtlicher Haftung bei der universitären Forschung<br />

nicht gelöst. Da eine grundsätzliche Änderung des staatshaftungsrechtlichen<br />

Prinzips der Übernahme der Haftung durch den Staat bereits aus<br />

Gründen des Geschädigtenschutzes nicht sinnvoll ist, erscheint als Haupthindernis<br />

einer Präventionswirkung das Prinzip der Selbstversicherung. Dieses Prinzip<br />

sollte deshalb überdacht werden. Es ist nicht einzusehen, warum nicht auch<br />

staatliche Einrichtungen, sofern sie wie Private einer risikoträchtigen Forschungstätigkeit<br />

nachgehen, eine Fremdversicherung in Anspruch nehmen sollen. Zu einer<br />

unzumutbaren Belastung des Staatshaushaltes dürfte dies kaum führen, zumal die<br />

positiven Präventionsanreize, die damit verbunden sind, zu einer Risikoreduzierung<br />

führen können.<br />

6.4.5. Haftung von Fördergebern<br />

Forschung, insbesondere Grundlagenforschung, kommt ohne staatliche Fördermittel<br />

nicht aus. Mit der Vergabe von Forschungsgeldern ist somit eine wesentliche<br />

Voraussetzung für die Forschung überhaupt gegeben. Damit verbunden sind<br />

freilich auch entsprechende forschungspolitische Steuerungsmöglichkeiten und<br />

letztlich eine staatliche Mitverantwortung für mit der Forschung verbundene Risiken.<br />

Denkbar wäre deshalb, über das Haftungsrecht einen Anreiz für den Fördergeber<br />

zu schaffen, bei der Forschungsförderung verstärkt mögliche Risikofolgen der<br />

Forschung einzubeziehen. Vorbild könnte insoweit die US-amerikanische Kreditgeberhaftung<br />

("lender liability") sein. Ob dies unter Steuerungsgesichtspunkten<br />

sinnvoll ist, wäre allerdings im einzelnen weiter zu überprüfen. 88<br />

88 Zur Wirkung der Kreditgeberhaftung als proaktives Instrument vgl. Führ et al., Proaktive,<br />

1995, Kap. XIII.<br />

163


6.4.6. Fazit<br />

Bei der gentechnischen Forschung, insbesondere im universitären Bereich, erweist<br />

sich das geltende Haftungsrecht weitgehend als nicht geeignet, präventive<br />

Steuerungsimpulse zu geben. Ob dies durch eine umfangreiche Umgestaltung des<br />

geltenden Haftungsrechts, die weit in die bestehenden Strukturen des Staatshaftungsrechts<br />

hineinreichen würde, möglicherweise geändert werden könnte, ist<br />

nicht sicher. Denkbar wäre allerdings, das Prinzip der Selbstversicherung zu ü-<br />

berdenken und durch ein Fremdversicherungsprinzip zu ersetzen.<br />

Sinnvolle Verbesserungen des Haftungsregimes könnten darüber hinaus im Bereich<br />

der gewerblichen Produktion durch eine Verbesserung der Beweislastregeln<br />

sowie durch eine Einbeziehung von Umweltschäden in die Haftung erreicht werden;<br />

"Vergünstigungen" für den potentiellen Verursacher sollten an die Erfüllung<br />

von Risikovorsorge- und Risikokommunikationspflichten geknüpft werden.<br />

6.5. Strafrechtliche Haftung<br />

6.5.1. Funktion und Grenzen strafrechtlicher Normen<br />

Als "schärfstes" Steuerungsinstrument kommen strafrechtliche Regelungen in<br />

Betracht. Im steuerungstheoretischen Zusammenhang stellt sich allerdings die<br />

Frage, in welchem Umfang strafrechtliche Normen überhaupt verhaltenssteuernde<br />

Wirkung entfalten. Die Wirkung von Strafrechtsnormen auf einzelne Personen<br />

bzw. die Eignung solcher Normen zur Steuerung von gesellschaftlichen bzw.<br />

gruppenspezifischen Verhaltensweisen wird mit dem Begriff der generalpräventiven<br />

Wirkung des Strafrechts umschrieben. Während die klassische, in der Aufklärung<br />

begründete, generalpräventive Straftheorie als Theorie des psychologischen<br />

Zwanges auf die abschreckende Wirkung der Strafdrohung setzt,<br />

versuchen neuere Theorien das Strafrechtssystem als einen Teilbereich sozialer<br />

Kontrolle zu begreifen. Dementsprechend ist nicht Abschreckung, sondern Behauptung<br />

und Sicherung der grundlegenden Normen das generalpräventive Ziel<br />

des Strafrechts. 89 Schon daraus erhellt, daß strafrechtliche Sanktionen nur als<br />

äußerstes Mittel zur Sicherung eines grundlegenden (sozialen) Normenbestandes<br />

sinnvoll sind und nicht dazu dienen, "avantgardistische Änderungen der Wertvorstellungen<br />

der Bevölkerung" herbeizuführen. 90 Dementsprechend ergibt sich auch<br />

für den Regelungsbereich Gentechnik im weitesten Sinne, daß nur dort strafrecht-<br />

89 Hassemer, Einführung, 1981, S. 296.<br />

90 Günther, Strafrechtlicher, 1991, S. 140.<br />

164


liche Normen zur Anwendung kommen sollten, wo es um elementare Normabweichungen<br />

geht. Strafrecht ist somit gegenüber anderen Regelungsinstrumenten<br />

stets subsidiär; es stellt die "ultima ratio" gesetzgeberischer Steuerungsmöglichkeiten<br />

dar.<br />

Auch in der neueren generalpräventiven Straftheorie kann im übrigen die Frage,<br />

"inwiefern Strafdrohung und Strafvollzug als Vorbild und Muster sozialer<br />

Kontrolle wirken", nicht abschließend beantwortet werden. 91 Diese Frage muß<br />

hier auf sich beruhen. Es ist jedoch davon auszugehen, daß gerade im Bereich des<br />

industriellen Umweltschutzes strafrechtliche Sanktionsdrohungen eine gewisse<br />

Wirkung entfalten, die eher größer sein dürfte als in "klassischen" Strafrechtsbereichen.<br />

Da strafrechtliche Normen nur gesellschaftlich in erhöhtem Maße unerwünschtes<br />

Verhalten sanktionieren sollen, ist der mögliche Anwendungsbereich<br />

hier von vornherein begrenzt. Strafrechtliche Normen kommen somit vor allem in<br />

zwei Bereichen der Gentechnik in Betracht: Zur Verhinderung ethisch unerwünschter<br />

Experimente, insbesondere im Bereich der Anwendung gentechnischer<br />

Methoden am Menschen, sowie zur Vermeidung sozial unerwünschter Folgen für<br />

die Allgemeinheit und die Umwelt, die sich aus einer unkontrollierten Anwendung<br />

sonstiger gentechnischer Methoden ergeben können.<br />

6.5.2. Bestehende Regelungen<br />

Insbesondere im Bereich der experimentellen Forschung am Menschen gibt es<br />

einen breiten gesellschaftlichen Konsens, bestimmte Verfahren nicht zuzulassen.<br />

92 Dementsprechend stellt das Embryonenschutzgesetz v. 13.12.1990 93 die<br />

künstliche Veränderung der menschlichen Keimbahnzellen - also die Veränderung<br />

der menschlichen Erbinformation - durch § 5 Abs. 1 ESchG unter Strafe. 94<br />

91 Hassemer, Einführung, S. 298.<br />

92 Vgl. etwa aus konservativer Sicht: Vorndran, ZRP 1987, S. 113; im übrigen auch Günther,<br />

Strafrechtlicher, 1991, S. 142 Fn. 18 m.w.N. und S. 143.<br />

93 BGBl. I, 2746.<br />

94 Das Verbot geht zurück auf die klare Empfehlung der Enquête-Kommission, BT-Dr.<br />

10/6775, Abschnitt C 6, 6.3.3.5 (S. 190). Darüber hinaus sind in § 6 ESchG unter anderem<br />

die künstliche Herstellung eines Embryos, der in seinem Genom erbgleich ist mit einem anderen<br />

menschlichen Lebewesen (sogenanntes "klonen") sowie in § 7 die Vereinigung von<br />

Embryonen zu einem Zellverband (d.h. die Herstellung eines mit dem Erbgut von mindestens<br />

vier Elternteilen versehenen Embryos, sogenannte Chimärenbildung) und die Bildung<br />

von Lebewesen, die mit Keimzellen von Mensch und Tier erzeugt wurden (Hybridbildung),<br />

unter Strafe gestellt. Sämtliche dieser Tatbestände schützen die Menschenwürde. Forschungsspezifische<br />

Straftatbestände enthalten auch die §§ 1 und 2 ESchG im Hinblick auf<br />

165


Angesichts der gegenwärtigen Unmöglichkeit, derartige Eingriffe technisch zu<br />

beherrschen, hat sich der Gesetzgeber für ein umfassendes Verbot entschieden.<br />

Ratio legis der Vorschrift ist allerdings nicht die Verhinderung einer "positiven"<br />

Eugenik, also die Züchtung "besserer" Menschen, 95 sondern der Schutz des Lebens,<br />

der körperlichen Unversehrtheit und der Menschenwürde vor Experimenten,<br />

die irreversible Folgen für die Probanden haben würden. 96 Die eigentlichen<br />

grundsätzlichen ethischen Fragen bleiben somit ausgeklammert; der Gesetzgeber<br />

hat sich vielmehr aus technisch-pragmatischen Gründen für ein Verbot<br />

entschieden. 97 Die somatische Gentherapie ist von diesem Verbot allerdings nicht<br />

erfaßt. 98 Insoweit gelten lediglich die allgemeinen Strafrechtsnormen, insbesondere<br />

der §§ 223ff. StGB. Danach ist grundsätzlich in jedem ärztlichen Eingriff<br />

eine tatbestandsmäßige Körperverletzung zu erblicken, 99 die einer besonderen<br />

Rechtfertigung - Einwilligung des Patienten - bedarf. Insoweit wird die Notwendigkeit<br />

einer gesetzlichen Regelung erwogen. 100<br />

Reproduktionstechniken und Embryonenforschung. Das Verbot der Embryonenforschung<br />

gilt als strafbewehrtes Forschungsmoratorium; Günther, Strafrechtlicher, 1991, S. 168f.<br />

95 Daß derartige Vorstellungen nicht bloß in den apokalyptischen Vorstellungen von Gentechnikkritikern<br />

an die Wand gemalt werden, sondern gerade auch bei den Verfechtern der<br />

Gentechnik zu finden sind, belegt in aller Eindrücklichkeit Shapiro, Bauplan, 1995, S. 379:<br />

"Nach dieser Idee ... könnten werdende Eltern aus einer Liste genetischer Möglichkeiten<br />

auswählen, welche Eigenschaften ihr Kind erhalten und welche Defekte korrigiert werden<br />

sollten. Ein Ehepaar in der Zukunft könnte den Wunsch haben, daß ihr Kind zwei Kopien<br />

eines mit musikalischem Talent verknüpften Gens besitzen, aber eines verlieren sollte, das<br />

eine größere Anfälligkeit für umweltbedingten Krebs verleiht. Andere Paare hätten ihre eigene<br />

Wunschliste. Da keine zentrale Planung durch eine kontrollierende Behörde hinsichtlich<br />

der Gesamtbevölkerung beteiligt sein würde, wäre es ebenso wahrscheinlich, daß sich<br />

die Vielfalt erhöht, wie daß sie abnimmt. Die Frage, welche Änderungen 'bessere' Menschen<br />

bescheren, müßte jeder für sich selbst entscheiden. Die Antworten würden unterschiedlich<br />

ausfallen, so wie heute die individuelle Lebensweise variiert.".<br />

96 Keller et al., Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 5 Rn. 3 sowie die Gesetzesbegründung<br />

der Bundesregierung, zit. ebd. Rn. 4.<br />

97 Keller et al., Kommentar zum Embryonenschutzgesetz, 1992, § 5 Rn. 5. Ausdrücklich die<br />

Gesetzesbegründung: "Unter diesen Umständen kann ... offenbleiben, ob es überhaupt -<br />

etwa zur Verhinderung schwerster Erbleiden - verantwortet werden könnte, eine künstliche<br />

Veränderung menschlicher Erbanlagen auf dem Wege eines Gentransfers in Keimbahnzellen<br />

zuzulassen ...", zit. n. Keller et al., Kommentar zum Embryonenschutzgesetz,<br />

1992, § 5 Rn. 4. Eine Lockerung des Verbots in eben diesem Sinne hält Bickel, VerwArch<br />

1996, S. 175 offenbar für möglich, allerdings unter Hinweis auf die Mißbrauchsgefahren.<br />

98 Schreiber, Rechtliche, 1995, S. 255. BR-Drs. 417/89, 25; BT-Drs. 11/5460.<br />

99 So jedenfalls die Rechtsprechung des BGH; vgl. zum ganzen Schreiber, Rechtliche, 1995,<br />

S. 253f.<br />

100 Unter Hinweis auf die Rechtsprechung zur "Wesentlichkeit" des Bundesverfassungsgerichts<br />

dafür: Bickel, VerwArch 1996, S. 175.<br />

166


Spezifisch gentechnische Straftatbestände enthält § 39 GenTG. Nach Abs. 2<br />

wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer<br />

- ohne Genehmigung gentechnisch veränderte Organismen freisetzt (Nr. 1),<br />

- ohne Genehmigung eine gentechnische Anlage betreibt (Nr. 2).<br />

Mit dieser Strafvorschrift werden besondere Normabweichungen sanktioniert, die<br />

ein erhebliches Gefahrenpotential verursachen können. Die Strafbarkeit knüpft<br />

allerdings nicht an eine tatsächliche Gefährdung an, sanktioniert wird vielmehr<br />

bereits der "Verwaltungsungehorsam": Wer eine Genehmigung nicht einholt,<br />

macht sich unabhängig davon strafbar, wie gefährlich sein Tun tatsächlich ist. Es<br />

handelt sich insoweit um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Das Gefährdungsausmaß<br />

kann allenfalls bei der Strafzumessung Berücksichtigung finden. Die<br />

Strafbarkeit rechtfertigt sich in diesem Fall aus der Tatsache, daß aufgrund der<br />

besonderen Risiken der jeweiligen Tätigkeit diese unter Genehmigungsvorbehalt<br />

gestellt sind. 101<br />

Eine Erhöhung der Strafdrohung bis zu fünf Jahren tritt ein, wenn durch eine<br />

der vorbezeichneten Handlungen Leib oder Leben anderer, fremde Sachen von<br />

bedeutendem Wert oder Bestandteile des Naturhaushaltes von erheblicher ökologischer<br />

Bedeutung gefährdet werden (Abs. 3). Gleiches gilt, wenn bestimmte,<br />

sonst lediglich als Ordnungswidrigkeiten verfolgte Handlungen derartig qualifizierte<br />

Folgen haben, so etwa die vorsätzlich unterlassene, nicht rechtzeitige oder<br />

nicht richtige Anzeige des Projektleiterwechsels. Bei Abs. 3 handelt es sich um<br />

ein konkretes Gefährdungsdelikt. 102 Strafbar ist darüber hinaus, wer der Dekkungsvorsorgeverordnung<br />

zuwiderhandelt, soweit in dieser Rechtsverordung auf<br />

die Strafvorschrift des Gentechnikgesetzes verwiesen wird (Abs. 1). Der Versuch<br />

und die fahrlässige Handlung sind strafbar.<br />

Diese Regelungen im Gentechnikgesetz erscheinen angemessen. Sie entsprechen<br />

im wesentlichen dem geltenden § 327 Abs. 2 StGB für immissionsschutzrechtliche<br />

Anlagen. Ein Wertungswiderspruch besteht allerdings insoweit, als<br />

eine ohne Genehmigung erfolgte Freisetzung strafbar ist, während das Inverkehrbringen<br />

gentechnisch veränderter Produkte ohne Genehmigung eine bloße<br />

Ordnungswidrigkeit darstellt (§ 38 Abs. 1 Ziff. 7). Da von einem unkontrollierten<br />

Inverkehrbringen unter Umständen für die Verbraucher erheblich höhere Risiken<br />

ausgehen können, erscheint diese Differenzierung nicht plausibel.<br />

101 Zur Vorverlagerung der Strafbarkeit in den Gefährdungsbereich bei Umweltdelikten vgl.<br />

auch Breuer, JZ 1994, S. 1088ff.<br />

102 Eberbach, vor § 14 GenTSV Rn. 72.<br />

167


6.5.3. Weitergehende Steuerung der Forschung durch Strafrecht?<br />

Unter bestimmten Voraussetzungen 103 ist auch die Forschungsfreiheit gesetzlich<br />

begrenzbar; als ultima ratio kann Forschung auch strafrechtlich untersagt werden.<br />

Abgesehen davon, daß bereits die allgemeinen Strafgesetze forschungsbeschränkend<br />

wirken können, 104 wird dies durch die Tatbestände des<br />

ESchG verdeutlicht, die allgemein als verfassungsrechtlich zulässig angesehen<br />

werden.<br />

Ob über die beschriebenen bestehenden Strafrechtsnormen hinaus eine Risikosteuerung<br />

der Forschung durch Strafrecht sinnvoll und überhaupt möglich ist,<br />

erscheint eher zweifelhaft. Zu denken wäre hier etwa daran, daß bereits die Erzeugung<br />

bestimmten Wissens ethisch unerwünscht ist. Die fortschreitende Entschlüsselung<br />

des menschlichen Genoms eröffnet nicht nur neue Chancen der Prävention,<br />

sondern birgt die Gefahr eines "gläsernen Menschen" 105 sowie möglicherweise<br />

einer veränderten Sichtweise auf bestehende - dann vermeidbare -<br />

Krankheiten und Behinderungen. Trotz der berechtigten Vorbehalte gegen diese<br />

Forschungen ist es doch nicht angezeigt, insoweit mit dem Strafrecht zu reagieren.<br />

Die bloße Generierung neuen Wissens zu unterbinden, stellte einen kaum<br />

zu rechtfertigenden Eingriff in die Forschungsfreiheit dar. Die bloße Möglichkeit<br />

sozial-schädlicher Verwendung neuen Wissens vermag deshalb Einschränkungen<br />

der Forschungsfreiheit nicht zu rechtfertigen. Erst wenn die Verwendung dieses<br />

Wissens seinerseits geschützte (Verfassungs-)Rechtsgüter bedroht, kann auch der<br />

Strafgesetzgeber zum Handeln berufen sein. 106 Dies gilt insbesondere für sämtliche<br />

Anwendungsformen der Humangenetik, die die Rechtsgüter Leben, körperliche<br />

Unversehrtheit, Menschenwürde und Persönlichkeitsrecht verletzen können.<br />

Ein non-liquet geht hier zu Lasten der Humangenetik. 107 Zum Schutz dieser fundamentalen<br />

Rechtsgüter können strafrechtliche Normen erforderlich sein. Insbesondere<br />

reichen Maßnahmen der Selbstregulation aufgrund ihrer mangelnden<br />

Verbindlichkeit nicht aus.<br />

Soweit Gefahren im Bereich der "grünen" Gentechnik betroffen sind, etwa<br />

schwerwiegende Auswirkungen auf die Evolution, so ist festzuhalten, daß Strafrechtsnormen<br />

auf klar umrissene Tatbestände, auf konditionierbare Lebenssachverhalte<br />

angewiesen sind. Selbst die hier allein in Frage kommenden Eignungs-<br />

103 Dazu im einzelnen oben, Kap. 4.4.<br />

104 Herzog, ZStW 1993, S. 731.<br />

105 Günther, Strafrechtlicher, 1991, S. 273f.<br />

106 In diesem Sinne auch die Enquête-Kommission "Chancen und Risiken der Gentechnologie",<br />

BT-Dr. 10/6775, Abschnitt E, 1.2.2 (S. 284). Berücksichtigt werden kann allerdings<br />

bereits das Ziel der Forschung, so auch Bickel, VerwArch 1996, S. 169 (176).<br />

107 Günther, ZStW 1990, S. 276.<br />

168


und Gefährdungstatbestände setzen das Wissen um mögliche Gefährdungen voraus.<br />

108 Auf den Umgang mit (objektiver) 109 Ungewißheit ist das Strafrecht noch<br />

viel weniger angelegt als die präventiv wirkenden Normen des Ordnungs- oder<br />

Haftungsrechts. "Unwissenheit schützt vor Strafe nicht"; diese Regel läßt sich<br />

eben nicht auf objektiv nicht bekannte Risiken anwenden, will man nicht ein völlig<br />

konturenloses Strafrecht hinnehmen.<br />

Neuere Überlegungen, die dahingehen, im Wege "reflexiven Strafrechts" die<br />

Unterwerfung unter Verfahren der Selbstkontrolle den Forschern zur Pflicht zu<br />

machen, erkennen demgegenüber an, daß der "rechtliche Hase" dem "technologischen<br />

Igel" ohnehin unterlegen ist 110 und verzichten auf materielle Vorgaben<br />

zugunsten prozedural geregelter Muster der Konfliktbewältigung. 111 Auch insoweit<br />

erscheinen jedoch Strafrechtsnormen verfehlt. Reflexion, Selbststeuerung<br />

und Selbstverantwortung können nicht durch strafrechtliche Sanktionsdrohungen<br />

erzwungen werden. In diesem Bereich besteht darüber hinaus die Gefahr, daß das<br />

Strafrecht kontraproduktiv wirkt. 112 Sinnvoller erscheint es insoweit, durch Anreize<br />

(Forschungsförderung), möglicherweise auch durch haftungsrechtliche<br />

Sanktionen, 113 die Bereitschaft der Forscher zu erhöhen, sich auf entsprechende<br />

Verfahren einzulassen.<br />

108 Instruktiv zu den zu erwartenden Problemen bei der Schaffung eines Straftatbestandes<br />

"Menschheitsgefährdende Forschungsausrichtung" als Gefährdungs- oder Eignungsdelikt:<br />

Herzog, ZStW 1993, S. 746f.<br />

109 Vgl. oben, Kap. 1, S. 24.<br />

110 So das Bild von Herzog, ZStW 1993, S. 732.<br />

111 So das angedachte Modell bei Herzog, ZStW 1993, S. 749f.<br />

112 So im Ergebnis wohl auch Herzog, ZStW 1993, S. 750.<br />

113 Oben, Kap. 6.4.3.<br />

169


170


Kapitel 7: Die Implementierung des Gentechnikgesetzes (Geschlossenes<br />

System)<br />

Bezugnehmend auf die bisher herausgearbeitete analytische Unterscheidung zwischen<br />

'erfahrungsbasierter' und 'ungewißheitsbasierter Regulierung' kann man die<br />

Umsetzung des Gentechnikgesetzes unter zwei Perspektiven betrachten: Zum<br />

einen als die Implementierung herkömmlichen Vorsorgerechts (erfahrungsbasierte<br />

Regulierung), das sich im gegenwärtigen, noch vorwiegend embryonalen Stadium<br />

der technisch-industriellen Umsetzung der Gentechnik überwiegend auf Forschungshandeln<br />

bezieht. Zum zweiten als die Implementierung eines Gesetzes,<br />

das erstmals in stärkerem Maße auch dem Phänomen der Ungewißheit, wie es<br />

insbesondere - aber nicht nur - Merkmal der Forschung ist, Rechnung trägt (ungewißheitsbasierte<br />

Regulierung).<br />

Beide Perspektiven sollen in den nächsten Kapiteln empirisch verfolgt werden:<br />

Welche Sichtweisen machen sich die Behörden, die Wissenschaftler und die Öffentlichkeit<br />

jeweils zu eigen und welche Interaktionsdynamik entwickelt sich<br />

hier?<br />

In diesem Kapitel soll nach der Implementierung des Gentechnikgesetzes, soweit<br />

es die Laborforschung betrifft, gefragt werden. Dabei sollen zunächst die<br />

theoretisch zu erwartenden Interessen erörtert werden und dann die tatsächlich zu<br />

beobachtenden Diskurse und Aktionen auf den einzelnen Ebenen vom Normsender<br />

zu den Normadressaten - und via Novellierungsdebatte zurück - herausgearbeitet<br />

werden.<br />

7.1. Theoretische Überlegungen zur Interessenstruktur im Regulierungsfeld<br />

Zunächst soll vorab gefragt werden, welche Steuerungsinteressen und -kapazitäten<br />

im Regulierungsfeld der die Laborforschung betreffenden Abschnitte des<br />

Gentechnikgesetzes zu erwarten sind, und welche Präferenzen und Optionen für<br />

Folgebereitschaft, Abwanderung oder Widerspruch demnach bestehen. 1<br />

1 Vgl. im folgenden zu Eigeninteressen von Forschungsorganisationen gegenüber politischen<br />

Steuerungsversuchen im allgemeinen Hohn/Schimank, Konflikte, 1990; Schimank/Stucke,<br />

Coping, 1994; Schimank, ZfS 1995; und Schimank, Steuerung, 1995. Zu Eigeninteressen<br />

von Forschungsorganisationen gegenüber der Risikosteuerung im besonderen vgl. Hasse/Gill,<br />

Biotechnological, 1994; sowie Gläser et al., People, 1994. Zu grundsätzlichen<br />

Handlungsoptionen vgl. Hirschman, Exit, 1970.<br />

170


Die Behörden sind zwar grundsätzlich an die Vorschriften des Gentechnikgesetzes<br />

gebunden, aber bei seiner Anwendung ergeben sich Auslegungs- und<br />

Ermessensspielräume. Insbesondere Art und Inhalt der Überwachung ist im Gesetz<br />

nicht näher festgelegt. 2 Als genuines Eigeninteresse kann man den Behörden<br />

unterstellen, daß sie am Erhalt und Ausbau ihrer Kompetenzen und Ressourcen<br />

interessiert sind, dabei aber in der Selektion und Strukturierung ihrer Aufgaben<br />

den Weg des geringsten erwartbaren Widerstands - von seiten der politisch gewählten<br />

Amtsspitze, von anderen Dienststellen, von den Rechtsadressaten oder<br />

aus der Öffentlichkeit - wählen. 3 Dabei sind selbstverständlich auch die amtlicherseits<br />

besonders engen Bindungen an Haushalts-, Dienst- und Datenschutzrecht<br />

zu berücksichtigen. Hinzu kommen spezifische Motive und Interessen, die<br />

sich aus dem angestammten Aufgabenfeld der mit der Umsetzung betrauten Ressorts,<br />

ihrer Vernetzung 4 mit den Klienten und anderen gesellschaftlichen Interessen<br />

und aus persönlichen und professionellen Hintergründen der Behördenvertreter<br />

ergeben.<br />

Auf seiten der Forschungsorganisationen kann man prima facie ein Interesse<br />

am Erhalt der Handlungsautonomie, d.h. Widerstand gegen Einschränkungen bei<br />

der Wahl der Forschungsmethoden und gegen kostenträchtige Sicherheitsmaßnahmen<br />

erwarten. Allerdings ist hier zwischen der betrieblichen und der<br />

disziplinenbezogenen Organisierung der Forschung zu unterscheiden. 5 Betriebliche<br />

Forschungsorganisationen (Universitäten, Großforschungseinrichtungen,<br />

Forschungsabteilungen in Industrieunternehmen etc.) verfügen meistens über<br />

alternative Methoden des Erkenntnisgewinns, repräsentiert vor allem durch die<br />

Konkurrenz verschiedener wissenschaftlicher Kompetenzen, sowie über die Möglichkeit<br />

der Umdefinierung der Erkenntnisziele. Sie können also bei Bedarf auf<br />

andere Forschungsmethoden und Forschungsfelder ausweichen, ohne daß dadurch<br />

per se ihre Organisationsziele gefährdet wären.<br />

Das bedeutet, daß in den seltensten Fällen durch die gesetzliche Restriktion einer<br />

einzelnen Forschungsmethode der Forschungsbetrieb als ganzer stark behindert<br />

wird. Auch sind nicht alle Mitglieder der Forschungsorganisation gleichermaßen<br />

an der Abwehr der Restriktion interessiert. Wissenschaftler, die die Auflagen<br />

leicht erfüllen können oder alternative Methoden beherrschen, können sich<br />

vielmehr von der Restriktion einen Konkurrenzvorteil erwarten. 6 Multinationale<br />

2 Vgl. § 25 GenTG; Roller/Jülich, ZUR 1996, S. 74ff.<br />

3 Vgl. z.B. Frank/Lombness, Administration & Society 1988.<br />

4 Vgl. z.B. Schneider, Politiknetzwerke, 1988.<br />

5 Vgl. Geser, Paradigmatischer, 1974.<br />

6 Gerade in Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie läßt sich bei den<br />

nach wie vor dominanten Chemikern mit ihrer klassischen Orientierung an der Stoffsynthese<br />

Skepsis und Widerstand gegenüber den neuen biotechnologischen Methoden beo-<br />

171


Unternehmen verfügen außerdem über die Option, ihre Forschung in andere Länder<br />

zu verlagern, die oft auch noch eine ganze Reihe weiterer Standortvorteile<br />

bieten.<br />

Schließlich sind öffentliche Forschungsorganisationen aufgrund ihres Finanzierungsmodus<br />

auf das Wohlwollen der politisch organisierten Öffentlichkeit und<br />

gewerbliche Forschungsorganisationen auf die Unterstützung durch Kapitalzufluß<br />

und Produktnachfrage angewiesen. Deswegen können sie nicht allzu offensichtlich<br />

gegen Gesetze verstoßen und dürfen bei ihren Revisionsbegehren nur Argumente<br />

einsetzen, die ans Allgemeinwohl appellieren. 7<br />

Eine etwas andere Interessenlage kann man den subdisziplinär organisierten<br />

wissenschaftlichen Berufsverbänden, also disziplinenbezogenen Forschungsorganisationen<br />

unterstellen: Sie sind meist stärker an einzelnen Methoden orientiert.<br />

Außerdem sind sie vor allem auf die freiwillige Unterstützung durch ihre<br />

Mitglieder angewiesen und müssen zunächst keine anderen Rücksichten nehmen.<br />

Man kann von ihnen daher erwarten, daß sie ungefilterter die Interessen direkt<br />

betroffener Wissenschaftler vertreten.<br />

Es ist anzunehmen, daß die Selbststeuerungsfähigkeit von Forschungsorganisationen<br />

ganz erheblich vom jeweiligen Organisationsmodus abhängt. 8 Generell<br />

wird man erwarten können, daß je nach Verfügbarkeit von Ressourcen (Geld,<br />

Personal) und je nach Koordinierungsgrad und Verbindlichkeit von bürokratisch<br />

oder kollektiv hergestellten Entscheidungen sowohl die Fähigkeit zur im Gentechnikgesetz<br />

vorgesehenen Selbststeuerung - z.B. im Sinne der Organisierung<br />

der Betreiberverantwortung - als auch zur politisch organisierten und empirisch<br />

fundierten Artikulation von Widerspruch gleichermaßen steigt oder fällt.<br />

Organisationen der wissenschaftlichen Communities dürften aufgrund der Tatsache,<br />

daß man hier für die Mitgliedschaft zahlt und nicht bezahlt wird, grundsätzlich<br />

eher als Beratungsorgane im Prozeß der Normensetzung, weniger aber<br />

für die Normendurchsetzung im Bereich der Risikosteuerung geeignet sein. Zwar<br />

können sie aufgrund ihrer Autorität auch über den Kreis der formellen Mitgliedschaft<br />

über Sanktionswirkung verfügen. Ihre Schiedssprüche können daher von<br />

bachten (vgl. Dolata, Internationales, 1994). Ähnliches gilt für die deutsche Pflanzenzuchtbranche,<br />

wo ebenfalls Zurückhaltung bei der Einführung gentechnischer Methoden<br />

vorherrscht (Hasse et al., Technologisierung, 1994).<br />

7 Vgl. den auffallend maßvollen Tenor in der Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz<br />

in der Novellierungsdebatte zum Gentechnikgesetz: "Das Gentechnik-Gesetz hat also<br />

zu einer Versachlichung der Diskussion um die Anwendung gentechnischer Methoden in<br />

den Hochschulen geführt. Es wird daher in den Hochschulen nicht nur im Sinne einer gesetzlichen<br />

Auflage, sondern auch im Interesse der ihm zugrundeliegenden Intentionen von<br />

allen Beteiligten akzeptiert." (HRK, Stellungnahme, 1992, S. 2).<br />

8 Vgl. Mayntz/Scharpf, Ansatz, 1995, S. 19ff.<br />

172


Belang sein, wenn artikulationsfähige Interessen innerhalb der Community gegeneinanderstehen,<br />

z.B. bei Konflikten über Plagiate oder wissenschaftlichen<br />

Betrug. 9 Sie können ihre knappen Ressourcen aber kaum für eine prophylaktische<br />

- und das heißt notwendigerweise dem Anspruch nach lückenlose - Überwachung<br />

von Sicherheitsstandards einsetzen, wie sie etwa vom Gentechnikgesetz angestrebt<br />

wird. Die vielfach beschworene 'wissenschaftliche Selbstregulierung' kann<br />

hier nur greifen, wenn das 'Standesethos' nicht nur als unverbindliche moralische<br />

Willenserklärung, sondern auch in Form klarer, subsumtionsfähiger Normen formuliert<br />

ist und tatsächlich organisatorische Kapazitäten für die Selbstüberwachung<br />

und wirksame Sanktionen bei Normenverstößen zur Verfügung stehen. 10<br />

Dies ist aber allenfalls dann zu erwarten, wenn die jeweilige Fachorganisationen<br />

über eine Art von Monopolstellung verfügen.<br />

Das führt nun zu der Frage, welche Interessen bei potentiellen Anwendern von<br />

gentechnischen Methoden, also den betroffenen Wissenschaftlern selbst, zu erwarten<br />

sind. Spätestens seit Mary Shelleys 'Frankenstein' von 1817 ist in der<br />

kollektiven Vorstellung das Bild vom verantwortungslosen, heimlich alle Tabus<br />

brechenden Wissenschaftler verankert. Durch besonders vehemente Stellungnahmen<br />

gegen das Gentechnikgesetz und das Pochen auf unbedingte Wissenschaftsfreiheit<br />

wird dieses Klischee wohl tendenziell verstärkt. Dagegen ist aber<br />

zunächst festzuhalten, daß viele wichtige Regeln der Laborhygiene, die auch dem<br />

Arbeits- und Umweltschutz dienen, schon aus funktionellem Eigeninteresse eingehalten<br />

werden müssen, wenn die Experimente zu wissenschaftlich sinnvollen<br />

Ergebnissen führen sollen. 11 Man spricht hier in Anlehnung an die industrielle<br />

Praxis auch von 'Produktschutz'. Eine Regulierung kann hier schon deshalb von<br />

Vorteil sein, weil sie für relativ einheitliche Arbeits- und Ausbildungsbedingungen<br />

sorgt und daher den Transfer von Nachwuchsforschern und<br />

von Forschungsmethoden erleichtert.<br />

Leider decken sich die Maßnahmen zum Produktschutz nicht vollständig mit<br />

den Anforderungen des Arbeits- und des Umweltschutzes, z.T. widersprechen sie<br />

9 Vgl. z.B. Lamnek, Soziologie 1994.<br />

10 Entsprechend ist etwa auch der Versuch weitgehend gescheitert, moralische Standards bei<br />

Menschenversuchen im Rahmen der Auswahl der zur Publikation eingereichten Beiträge<br />

seitens renommierter medizinischer Fachzeitschriften durchzusetzen. Obwohl es eine entsprechende<br />

Willenserklärung des Council of Biology Editors gibt, ist schon ihre Anwendbarkeit<br />

auf konkrete Fälle umstritten. Erst recht scheint es an der Bereitschaft zu mangeln,<br />

die zur Veröffentlichung eingereichten Manuskripte genauer auf die Einhaltung ethischer<br />

Standards zu überprüfen (Brackbill/Hellegers, Hastings Center Report 1980).<br />

11 Andernfalls sind die Reaktionsgefäße mit einer Vielzahl von Keimen kontaminiert, so daß<br />

man Ergebnisse erhält, die weder interpretierbar noch reproduzierbar sind. Das bedeutet<br />

allerdings nicht, daß die Regeln der Laborhygiene auch immer eingehalten würden.<br />

173


sich sogar und sind dann nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen. 12 Insofern<br />

stellen sie tatsächlich eine zusätzliche Belastung dar, die sich nicht nur auf diejenigen<br />

Forscher auswirkt, die bereits mit gentechnischen Methoden arbeiten und<br />

dann vielleicht davon Abstand nehmen, sondern auch auf diejenigen, die dies<br />

gerne tun möchten, aber sich vielleicht aufgrund realistischer oder auch - infolge<br />

strategischer Übertreibungen im Regulierungsdiskurs 13 - verzerrter Erwartungen<br />

über den damit verbundenen Aufwand abschrecken lassen.<br />

Da der Umgang mit gentechnisch veränderten Organismen im Geschlossenen<br />

System in verschiedene Risikostufen eingeteilt ist, die verschieden aufwendige<br />

Sicherheitmaßnahmen (S 1 - S 4) erfordern, können die Forscher allerdings auch<br />

auf die niedrigeren Sicherheitsstufen ausweichen. Umgekehrt besteht für diejenigen,<br />

die über Laboratorien der höheren Sicherheitsstufen verfügen, u.U. ein Innovationsvorteil<br />

gegenüber Konkurrenten, die ähnlichen Sicherheitsanforderungen<br />

unterworfen sind: Sie können dann andere als die zumeist in die niedrigen Sicherheitsstufen<br />

eingruppierten Standardorganismen und -methoden benutzen. 14<br />

Dafür, daß Standardorganismen und -methoden in niedrigere Sicherheitsstufen<br />

eingruppiert werden, gibt es zwei sich wechselseitig verstärkende Gründe: Es<br />

12 Z.B. wird bei manchen Werkbänken ein Luftstrom von hinten nach vorne über die Kulturgefäße<br />

geblasen, um eine Kontaminierung der Kulturen durch die Atemluft des Experimentators<br />

zu vermeiden (Produktschutz). Allerdings kann dadurch umgekehrt der Experimentator<br />

leicht mit den über den Kulturgefäßen aufsteigenden Aerosolen infiziert werden<br />

(Problem des Arbeitsschutzes).<br />

13 Die Sorge um den 'Standort' und die vehemente Klage über die angeblich zu restrikive<br />

Regulierungssituation kann sich also auch als self-fulfilling prophecy auswirken und zu<br />

dem nicht-intendierten Effekt führen, den 'Standort kaputtzureden' (vgl. Kraus, Regulation,<br />

1994, S. 10f.).<br />

14 Hohe Sicherheitsstandards werden von denen, die sie vertreten, selbstverständlich immer<br />

inhaltlich gerechtfertigt. Aber diejenigen, die diese Sicherheitsstandards nicht ohne weiteres<br />

erfüllen können, unterstellen dann häufig ein Interesse an der Abwehr von unliebsamer<br />

Konkurrenz. So bemerkte ein Vertreter der Bundesregierung in einer deutschen Diskussionsrunde<br />

zu den auf EG-Ebene geführten Verhandlungen über die Richtlinie zum Umgang<br />

mit biologischen Arbeitsstoffen: "Im Moment ist es ... aus politischen Gründen so,<br />

daß in ungefähr einem Dutzend Fälle die Einstufungen der EG-Arbeitsschutzlisten höher<br />

sind, als die der GenTSV. Sollte das so bleiben, steigt der Druck, die GenTSV zu novellieren."<br />

(Schmitz in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 275) Und in der Diskussion<br />

fügte er dann hinzu: "Manche wollen es zum Teil auch möglichst hochgesetzt haben, um<br />

nationale Konkurrenz zu unterdrücken, wenn sie selbst einmal die Ausstattung haben." (S.<br />

313). Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß die European Molecular Biology<br />

Organisation im Anschluß an Asilomar davon ausging, daß Laborsicherheitsmaßnahmen<br />

für die höher eingestuften Experimente so aufwendig wären, daß sie nur in europäischer<br />

Kooperation zu tragen seien, und daß daher mit einem Bedeutungszuwachs der eigenen<br />

Organisation zu rechnen sei (Gottweis, Governing, 1995, S. 114).<br />

174


werden nur solche Organismen zu Standardorganismen, die weniger aufwendige<br />

Sicherheitsmaßnahmen erforderlich machen und deshalb von vielen benutzt werden<br />

können. Indem mit bestimmten Organismen, Vektoren und Methoden viele<br />

Experimente unternommen werden (und sie auf diese Weise zum Standard werden),<br />

wächst der Grad der Vertrautheit ('familiarity'), der oft eine niedrigere Risikoeinstufung<br />

erlaubt. 15 Man kann also behaupten, daß von Restriktionen aus<br />

Arbeits- und Umweltschutzgründen ein Standardisierungsdruck für Forschungmethoden<br />

ausgeht. Diese Standardisierung kann sich, sobald sie etabliert ist, auch<br />

unter wissenschaftlichen oder wirtschaftlichen Gesichtspunkten als funktional<br />

erweisen, indem sie die Diffusionsbedingungen für Methoden und Technologien<br />

verbessert. 'Newcomern' und Wissenschaftlern, die sich nicht primär als 'Gentechniker'<br />

verstehen, sondern diese Methoden nur nutzen wollen, um bestimmte<br />

Forschungsfragen zu beantworten, dürfte damit der Einstieg erleichtert werden.<br />

Der im Endeffekt wahrscheinlich allseits wünschenswerte, aber zunächst nicht<br />

intendierte Nebeneffekt der Standardisierung, wie er von Arbeits- und Umweltschutzauflagen<br />

ausgeht, dürfte allerdings die Interessenwahrnehmung der betroffenen<br />

Wissenschaftler kaum beeinflussen, selbst wenn er 'objektiv' in ihrem Interesse<br />

liegt. Denn bis eine solche Standardisierung vollzogen ist, sind schmerzhafte<br />

Selektionen erforderlich, die, weil sie nicht freiwillig vorgenommen werden, als<br />

Angriff auf die wissenschaftliche Handlungsautonomie erlebt werden können.<br />

Und solange auch der Umgang mit Standardorganismen mit administrativen Auflagen<br />

versehen ist (z.B. S 1-Standard), sehen gerade die 'Newcomer' nur diese<br />

Auflagen und den Aufwand, den sie ihnen abverlangen, nicht aber die systemare<br />

Wirkung des gesamten Regulierungsprozesses, der die Methoden in technischer<br />

Hinsicht erst in ihre Reichweite gerückt hat.<br />

Wenn die Auflagen als zu scharf wahrgenommen werden, besteht für die Wissenschaftler<br />

auch die Möglichkeit, ins Ausland abzuwandern 16 oder Kooperationsbeziehungen<br />

einzugehen, die eine Auslagerung der in Deutschland als besonders<br />

riskant geltenden Arbeitsschritte ermöglichen. Sie könnten aber auch die<br />

Restriktionen ignorieren in der Hoffnung, daß das nicht auffällt oder die möglichen<br />

Sanktionen im Vergleich zum andernfalls zu betreibenden Aufwand relativ<br />

15 Organismen, Vektoren und Methoden, die sich u.U. als gefährlicher erweisen als anfangs<br />

angenommen, scheiden dann als Standardorganismen aus, es sei denn, es gibt wissenschaftlich<br />

oder wirtschaftlich zwingende Gründe, den erforderlichen Sicherheitsaufwand<br />

trotzdem zu tragen.<br />

16 Dies ist eine Option (bzw. eine Drohgebärde), die sich nur dem einzelnen Wissenschaftler,<br />

nicht aber für öffentlich finanzierte Forschungsorganisationen anbietet. Aufgrund der im<br />

Ausland herrschenden Konkurrenz (z.B. USA) oder den schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen<br />

(z.B. Schwellenländer) ist dies für die meisten Wissenschaftler wahrscheinlich<br />

keine sehr attraktive Option.<br />

175


milde ausfallen. Schließlich besteht noch die Möglichkeit, auf den verschiedenen<br />

Ebenen - in Verhandlungen mit Vollzugsorganen, vor den Verwaltungsgerichten<br />

oder im Verfahren der Normenrevision - auf eine Abänderung der Restriktionen<br />

zu dringen.<br />

Zu fragen ist schließlich noch, wie das ungewißheitsbasierte Vorsorgeprinzip<br />

('Precautionary principle') von den Wissenschaftlern aufgenommen werden kann.<br />

Wenn es als einfacher 'Sicherheitszuschlag' zur Verschärfung von präventiven<br />

Maßnahmen führt (etwa indem man Containmentanforderungen erhöht), so ist<br />

davon auszugehen, daß keine anderen als die zuletzt angeführten Interessen berührt<br />

werden - eben in verschärfter Weise. Wenn das ungewißheitsbasierte Vorsorgeprinzip<br />

dagegen als zusätzlicher Bedarf an Informationsgewinnung und<br />

Informationsaustausch interpretiert wird, 17 müßte es, zumindest abstrakt, mit<br />

wissenschaftlichen Motiven hochgradig kompatibel sein: Es gälte dann Neues zu<br />

entdecken, auch wenn dieses Neue als unerwünschte Nebenfolge aufzufassen<br />

wäre. Wenn nur die Kriterien der Wahrheitsfähigkeit und der Originalität der<br />

Entdeckung für den innerwissenschaftlichen Reputationsgewinn in Anschlag<br />

gebracht würden, müßte Risikoforschung genauso attraktiv sein wie 'normale',<br />

d.h. an technologischen Anwendungszielen orientierte Forschung. Tatsächlich<br />

wurde 1995 der Nobelpreis, also die höchste Auszeichnung in den Naturwissenschaften,<br />

erstmals für die Entdeckung eines Risikos verliehen. Der Preis für Chemie<br />

ging an Paul Crutzen, Mario Molina und Sherwood Rowland, die sich um die<br />

Entdeckung des Zusammenhangs zwischen FCKW-Emissionen und dem Abbau<br />

des Ozonschilds der Erde verdient gemacht hatten. 18<br />

Zu berücksichtigen ist allerdings, daß die Entdeckung von neuen Risiken bei<br />

gentechnischen Experimenten unmittelbar auf deren Verwendbarkeit als wissenschaftliche<br />

Methoden rückwirken und insofern nicht nur außerwissenschaftliche,<br />

sondern zunächst vor allem innerwissenschaftliche Interessen tangieren<br />

würde. Hinzu kommt, daß sich Vorbehalte, die aufgrund des ungewißheitsbasierten<br />

Vorsorgeprinzips formuliert werden, oftmals empirisch sowieso nur<br />

schwer oder nicht mit den disziplinären Methoden klären lassen, die den betroffenen<br />

'Gentechnikern' selbst zur Verfügung stehen. Insofern kann Widerstand<br />

gegen Risikohypothesen nicht nur aus außerwissenschaftlichen Interessen resultieren,<br />

etwa aus den wirtschaftlichen Vorteilen technologischer Innovation, sondern<br />

auch aus innerwissenschaftlichen Interessengegensätzen, wie sie sich aus der<br />

Verfügbarkeit von Methoden, unterschiedlichen Denkstilen und Professionsinteressen<br />

ergeben. 19<br />

17 Vgl. dazu näher unten, Kap. 10.1.4.<br />

18 Der Spiegel Nr.42/1995, S. 272.<br />

19 Vgl. dazu auch unten, Kap. 8.7.2., Kap. 10.1.2. und Kap. 11.4.6.<br />

176


7.2. Bundesebene: Sicherheitseinstufung durch die Zentrale Kommission<br />

für Biologische Sicherheit (ZKBS) 20<br />

Wenn man nun empirisch nach dem tatsächlichen Implementationsprozeß und<br />

den dabei artikulierten Interessen 21 fragt, ist zunächst festzustellen, daß seit 1990<br />

der Einfluß zentraler Instanzen wie der ZKBS und der Zulassungsstelle für biologische<br />

Sicherheit beim Robert-Koch-Institut (RKI) im Bereich des Umgangs im<br />

Geschlossenen System tendenziell reduziert wurde.<br />

Denn mit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes (1990) wurde den Ländern,<br />

aufgrund von Interventionen des Bundesrates und der Industrie und gegen<br />

Stellungnahmen aus dem Bereich der öffentlich finanzierten Forschung, die Zuständigkeit<br />

für die Genehmigung und Überwachung gentechnischer Anlagen (Labors,<br />

Produktionsstätten) übertragen. 22 Allerdings verblieb der ZKBS die wichtige<br />

Aufgabe, den Landesbehörden die Sicherheitseinstufung der beantragten Experimente<br />

vorzugeben und sie auf diese Weise bundesweit zu vereinheitlichen. 23<br />

Seit der Novellierung des Gentechnikgesetzes im Jahr 1993 nimmt die ZKBS die<br />

20 Vgl. oben, Kap. 5.7. Die nachfolgenden Angaben - zu Kap. 7.2ff. - sind, sofern nicht näher<br />

vermerkt, Tätigkeitsberichten der Behörden entnommen oder gehen aus der Beantwortung<br />

von parlamentarischen Angaben hervor, die in vielen Ländern insbesondere von den Landtagsfraktionen<br />

von Bündnis 90/Die Grünen oder der PDS gestellt wurden. Eine hervorragende<br />

Informationsquelle stellt auch der von der Berufsgenossenschaft der Chemischen<br />

Industrie herausgegebene Tagungsband (BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992) dar,<br />

der sich gegenüber den umfangreichen, im Zuge der Novellierungsdiskussion erstellten<br />

Anhörungsunterlagen dadurch auszeichnet, daß dort in beschränkterem Maße 'Fensterreden'<br />

dokumentiert, sondern die vorhandenen Probleme in ungewohnt offener Weise angesprochen<br />

werden. Außerdem wurden in drei Ländern Interviews mit Behördenvertretern<br />

geführt (Int. Nr. 18, Int. Nr. 19, Int. Nr. 20).<br />

21 Man kann Interessen nur anhand theoretischer Überlegungen unterstellen (s.o.) oder auf<br />

artikulierte Interessen rekurrieren. Welchen Interessen (oder anderen Motivationen) die<br />

Akteure aber in ihren Handlungen 'tatsächlich' folgen, läßt sich nicht feststellen. Wenn man<br />

- mit der Psychoanalyse - davon ausgeht, daß es auch unbewußte Motive gibt, kennen<br />

nicht einmal die Akteure selbst ihre 'tatsächlichen' Motive.<br />

22 Der Industrie war an einer Konzentration des Genehmigungsverfahrens gelegen, bei dem<br />

auch andere gesetzliche Auflagen, etwa nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz, zu berücksichtigen<br />

sind, deren Vollzug ohnehin in die Zuständigkeit der Länderbehörden fällt.<br />

Die Vertreter der öffentlich finanzierten Wissenschaft wollten dagegen vor allem an den<br />

angestammten Beziehungen zur ZKBS und zum RKI festhalten, die (unter dem Selbstreglement)<br />

in der Zeit vor der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes etabliert wurden. Vgl.<br />

Gill, Gentechnik, 1991, S. 142ff.<br />

23 Formell besehen handelt es sich um eine Stellungnahme der ZKBS, die von den Landesbehörden<br />

bei der Entscheidung zu berücksichtigen ist und von der diese nur unter schriftlicher<br />

Darlegung der Gründe abweichen können (vgl. § 11 Abs. 8 , § 12 Abs. 5 GenTG).<br />

177


Einstufung nicht mehr in allen Einzelfällen vor, sondern erstellt nur noch Kriterienlisten,<br />

anhand derer die Landesbehörden selbst die Einstufung vornehmen<br />

können, und wird von diesen nur noch in Präzedenzfällen eingeschaltet, d.h. wenn<br />

über neuartige Experimente - z.B. mit exotischen Organismen oder Vektoren - zu<br />

entscheiden ist. 24<br />

Ihrer Geschichte als Selbstregulierungsorgan der Wissenschaft folgend versteht<br />

sich die ZKBS, zumindest soweit man den Ausführungen ihres gegenwärtigen<br />

Vorsitzenden folgt, als Repräsentantin wissenschaftlicher Interessen. Daran hat<br />

sich durch die Verabschiedung des Gentechnikgesetzes offenbar wenig geändert,<br />

obwohl die ZKBS als ein Beratungsorgan zwischen wissenschaftlicher Expertise<br />

und gesellschaftspolitischem Proporz 25 konzipiert ist und nun - im Unterschied zu<br />

ihrer früheren Rolle in einem auf freiwilliger Selbstbindung basierenden Reglement<br />

- ihre Autorität einer bindenden demokratischen Entscheidung verdankt:<br />

"Die in die staatlichen Regelungen - wenngleich eher als eine Art Widerlager - eingebaute<br />

Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit versucht durch ihre Tätigkeit<br />

deutlich zu machen, in welchem Maße die ihr vorgelegten Projekte entweder risikolos<br />

sind (S 1) und damit eigentlich gar keiner Regelung bedürften oder doch mit<br />

geeigneten Vorsorgemaßnahmen in ihrem geringen Risiko sicher zu beherrschen<br />

sind (S 2). ... In ihrer Beratungspflicht gegenüber dem Bund und den Ländern weist<br />

sie auf die bestehenden Überregulierungen hin, versucht Änderungen an dem Gengesetz<br />

entsprechend vorzubereiten und ähnlich weit eingreifende Regelungen in den<br />

skizzierten Nachbarfeldern durch ihre Argumente zu verhindern. Sie hat weder die<br />

verzerrten Darstellungen in den Medien noch deren Wirkung auf die Gesetzgebung<br />

aufhalten können." 26<br />

An den Ausführungen des Vorsitzenden der ZKBS wird deutlich, daß er ungewißheitsbasierte<br />

Vorsorge ('Precaution') nicht mehr für gerechtfertigt hält und nun<br />

zu einer rein auf dem Stand des gegenwärtigen Wissens ('Prevention') basieren-<br />

24 Es handelt sich bei diesem Schritt um einen Standardisierungsprozeß, der vorgenommen<br />

wurde, um die Anmelde- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und die ZKBS<br />

von Routineaufgaben zu entlasten. Denn es waren (vor der Novellierung) mehrere hundert<br />

Anträge pro Jahr zu bescheiden. Die langen Anmelde- und Genehmigungsfristen, die in der<br />

Novellierungsdebatte beklagt wurden, waren vielfach von der ZKBS mitverursacht worden.<br />

25 Die ZKBS setzt sich aus zehn sachverständigen Wissenschaftlern, die vom Wissenschaftsrat<br />

vorgeschlagen werden, und aus fünf sachkundigen Personen zusammen, die von<br />

Interessenverbänden (Industrie, Gewerkschaften, Berufsgenossenschaften, Wissenschaft,<br />

Umweltschutz) nominiert werden. Der Vorsitzende und seine zwei Stellvertreter sind aus<br />

dem Kreis der Wissenschaftler zu wählen. Für alle Mitglieder der ZKBS wird, um die Beschlußfähigkeit<br />

zu gewährleisten, je ein Stellvertreter bestellt.<br />

26 Hobom, Erfahrungen, 1994, S. 428.<br />

178


den Risikoeinschätzung übergehen möchte. 27 Damit folgt er der überwiegenden<br />

Einschätzung in den betroffenen Wissenschaftlerkreisen, gerät aber in den Widerspruch<br />

zwischen Schiedsrichterrolle und Partikularinteresse, der fast unausweichlich<br />

ist, wenn Entscheidungen im Allgemeininteresse nur von dem Personenkreis<br />

getroffen werden können oder getroffen werden sollen, der selbst betroffen ist.<br />

Auch wenn der gegenwärtige Vorsitzende wahrscheinlich nicht die Meinung aller<br />

ZKBS-Mitglieder repräsentiert, so ist doch festzustellen, daß die Vertreterinnen<br />

des Umweltschutzes in der ZKBS ihre Arbeit dort als weitgehend fruchtlos ansahen<br />

und 1993 von ihrem Amt zurückgetreten sind. 28<br />

Entsprechend wird die ZKBS offenbar gelegentlich direkt von den Antragstellern<br />

angesprochen, um Auflagen der Genehmigungsbehörden zu umgehen. 29<br />

Zugespitzter Dissens mit den Landesbehörden ergab sich auch, als Hamburg, das<br />

zumindest vorübergehend eine eigene wissenschaftliche Beratungskommission<br />

eingerichtet hatte, von der ZKBS-Empfehlung abwich und ein Experiment in eine<br />

höhere Risikogruppe (S 2 statt S 1) einstufte. 30 Soweit die ZKBS mit ihren Empfehlungen<br />

zur Risikoeinstufung auf Kritik seitens der betroffenen Wissenschaftler<br />

stößt, beruft sich der Vorsitzende auf das Gentechnikgesetz, dem er dann eine<br />

generelle Tendenz zur Auferlegung von Sicherheitszuschlägen (entsprechend dem<br />

Prinzip der ungewißheitsbasierten Vorsorge) unterschiebt:<br />

"Das ist das Prinzip dieser Gesetzgebung. Daran kann kein ZKBS-Beschluß vorbei,<br />

daß der genetische Organismus von dem potentiellen Risiko her betrachtet als gefährlicher<br />

eingestuft werden muß als der jeweilige Ausgangsorganismus. Daß das in<br />

vielen Fällen tatsächlich nicht so ist, im Ergebnis auch anders festgestellt wird, ist<br />

eine andere Sache, die aber der grundsätzlichen Konzeption des GenTG nicht zuwiderläuft.<br />

Bei einer Vorwegbegutachtung muß man von dem Gegenteil, also von einer<br />

Risikosteigerung ausgehen. Dazu sind wir gehalten. Das ist Gesetz." 31<br />

27 Bezeichnend ist auch, daß der Vorsitzende der ZKBS in der angesprochenen Veröffentlichung<br />

die Redewendung "hypothetische Gefahren" in dem in der frühen Atomdebatte<br />

(vor Tschernobyl) gebräuchlichen, verharmlosenden Sinn verwendet (vgl. oben, Kap. 1.1.<br />

und Kap. 4.2).<br />

28 Zu den Gründen siehe Mertens, Stellungnahme, 1992. Mertens war bis 1993 als Vertreterin<br />

des Dt. Naturschutzrings Mitglied in der ZKBS.<br />

29 Vgl. die Ausführungen von Eichler, eines Vertreters der Landesbehörden von Nordrhein-<br />

Westfalen, in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 173.<br />

30 Dies ist einer der wenigen bekannt gewordenen Fälle einer Abweichung der Landesbehörden<br />

vom Votum der ZKBS (vgl. dazu Hamburger Umweltbehörde, Stellungnahme, 1992<br />

sowie ZKBS, Tätigkeitsbericht, 1994, S. 3). Vgl. außerdem Beschluß des VG Berlin vom<br />

20.1.1995, abgedruckt in Eberbach et al., Entscheidungssammlung, 1996, Nr.1 zu § 5<br />

GenTG.<br />

31 Hobom in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 170f.; die Ausführungen beziehen sich<br />

offenbar auf § 7 Abs. 1 GenTG. Dort ist vorgeschrieben, daß nicht nur das Risikopotential<br />

179


Die Abteilung 'Biologische Sicherheit' beim RKI, 32 bei der die ZKBS mit ihrer<br />

Geschäftsstelle angesiedelt ist, hat durch die Verabschiedung des Gentechnikgesetzes<br />

einen erheblichen Stellenzuwachs erfahren. 33 Primär ist dies sicher auf<br />

die Stellung des RKI als Genehmigungsbehörde für Freisetzungs- und Vermarktungsanträge<br />

zurückzuführen. 34 Zum Teil übernimmt die Abteilung aber<br />

auch Hilfestellungen bei Vollzugsaufgaben der Länderbehörden, die generell für<br />

Anmeldung, Genehmigung und Überwachung der Arbeiten im Geschlossenen<br />

System zuständig sind. 35<br />

Nach Ansicht vieler Beobachter ist insbesondere die Abteilungsspitze, ebenso<br />

wie die ZKBS, als wissenschafts- und industriefreundlich einzuschätzen. 36 Aber<br />

im Unterschied zum derzeitigen Vorsitzenden der ZKBS verteidigt sie die Einbeziehung<br />

der Sicherheitsstufe S 1 durch das Gentechnikgesetz. 37 Tatsächlich würde<br />

mit einer Herausnahme des S 1-Standards aus dem Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes,<br />

wie vom Vorsitzenden der ZKBS vorgeschlagen, für gegenwärtig<br />

75 Prozent der gentechnischen Arbeiten im Geschlossenen System jegliche<br />

behördliche Zuständigkeit entfallen.<br />

7.3. Landesebene: Genehmigung und Überwachung<br />

7.3.1. Organisations- und Personalstruktur<br />

In den Flächenstaaten sind die Vollzugsaufgaben zumeist auf drei Ebenen verteilt:<br />

Die Fach- und Dienstaufsicht sowie die Koordinierung zwischen den Ländern im<br />

des Spender- und Empfängerorganismus, sondern auch das erwartete Risikopotential des<br />

gentechnisch veränderten Organismus zu berücksichtigen ist. Für Arbeiten zu Forschungszwecken<br />

ist nach §§ 4ff. GenTSV von der ZKBS eine vorläufige Risikobewertung<br />

vorzunehmen, die je nach Art des Experiments häufig niedriger (Subklonierung, § 5 Abs. 3<br />

GenTSV) und selten höher ausfallen kann als die Risikoeinstufung von Spender- und Empfängerorganismus.<br />

Ein linearer Sicherheitszuschlag ist jedenfalls im Gesetz nicht vorgesehen.<br />

Vgl. hierzu auch die differenzierte Darstellung des Problems bei Mertens, Arbeit,<br />

1993, S. 83f.<br />

32 Vor 1990 als "Zulassungsstelle für biologische Sicherheitsmaßnahmen" bezeichnet.<br />

33 Vgl. das Organigramm der Abteilung im Tätigkeitsbericht des Bundesgesundheitsamts<br />

(BGA, Tätigkeitsbericht, 1993, S. 85); gesprächsweise war zu erfahren, daß es sich um ca.<br />

50 Stellen handeln soll.<br />

34 Vgl. unten, Kap. 8.5.1.<br />

35 Vgl. §§ 28, 29 GenTG.<br />

36 Vgl. Gottweis, Governing, 1995, S. 353.<br />

37 Vgl. Fn. 128 in diesem Kapitel.<br />

180


Rahmen des Länderausschusses für Gentechnik (LAG) 38 wird federführend entweder<br />

von den für Arbeitsschutz oder für Umweltschutz zuständigen Ministerien<br />

(und nachgeordneten Landesämtern) wahrgenommen. Die Anmeldungen und<br />

Genehmigungen werden in den Flächenstaaten in der Regel von den Mittelbehörden<br />

(Regierungspräsidien) bearbeitet. Für die Überwachung sind meistens die<br />

örtlichen Gewerbeaufsichtsämter zuständig.<br />

Wichtige Modifikationen ergeben sich allerdings aus der Tatsache, daß für viele<br />

Vollzugsaufgaben besonderer Fachverstand erforderlich ist, der nicht gleichmäßig<br />

über alle drei Ebenen und dezentral in der Fläche verteilt werden kann. In<br />

einigen Ländern werden daher zumindest Teile der Vollzugsaufgaben auf die<br />

Ministerialebene oder einzelne Regierungspräsidien konzentriert. 39<br />

Die Aufgabenverteilung zwischen Arbeitsschutz- und Umweltschutzbehörden<br />

auf den einzelnen Ebenen ist unterschiedlich geregelt und scheint vor allem mit<br />

den jeweiligen Besonderheiten des Verwaltungsaufbaus in den Ländern zusammenzuhängen.<br />

Die politische Ausrichtung der Landesregierungen scheint bei der<br />

Entscheidung über die Ressortzuständigkeit keine besondere Rolle zu spielen.<br />

Entsprechend sind auch die häufig thematisierten Unterschiede im Vollzugsstil -<br />

einige SPD-geführte Länder stehen in dem Ruf, einer etwas strengeren Auslegung<br />

38 Im LAG werden vor allem Fragen der Rechtsauslegung und praktische Vollzugsaufgaben<br />

diskutiert (vgl. Neuner, Stellungnahme, 1992; Knoche, DVBl. 1993; Vitzthum/Geddert-<br />

Steinacher, Standortgefährdung, S. 157ff.). Mit Empfehlungen an die Länder versucht der<br />

LAG auf einen bundeseinheitlichen Vollzug hinzuwirken. Die für die Genehmigung oder<br />

Anmeldung von gentechnischen Anlagen und Arbeiten in allen Bundesländern verwendeten<br />

Formulare wurden vom LAG erarbeitet. Es existieren nach unserem Kenntnisstand bisher<br />

keine Regelwerke unterhalb der vom Gesetzgeber verabschiedeten Verordnungen (Verwaltungsrichtlinien,<br />

technische Normen). Zu erwähnen sind lediglich die Vorschriften und<br />

Merkblätter der Berufsgenossenschaften, die allerdings in ihrem Präzisierungsgrad nicht<br />

über die - im übrigen sehr detaillierten - Verordnungen hinausgehen.<br />

39 In Hessen sind die Genehmigungsaufgaben bei einem Regierungspräsidium konzentriert<br />

(RP Gießen). In Baden-Württemberg gilt dies sowohl für die Genehmigungs- als auch die<br />

Überwachungsaufgaben (RP Tübingen). In Berlin sind die gesamten Vollzugsaufgaben für<br />

den Bereich öffentlich finanzierter Forschung in einer Abteilung der Senatsverwaltung für<br />

Soziales konzentriert; für private Anlagenbetreiber ist die Senatsverwaltung für Umwelt<br />

zuständig. In einem Regierungsbezirk in Nordrhein-Westfalen ist eine molekularbiologisch<br />

ausgebildete Fachkraft beim Gewerbeaufsichtsamt beschäftigt und leistet der zuständigen<br />

Abteilung im Präsidium inhaltliche Hilfestellung bei ihren Genehmigungsaufgaben. In<br />

Rheinland-Pfalz sind das Landesamt für Umweltschutz und die Gewerbeaufsicht für Genehmigungen<br />

zuständig; die Überwachung liegt bei den Gewerbeaufsichtsämtern. In Bayern<br />

werden Genehmigung und Überwachung von den Regierungspräsidien übernommen.<br />

In Sachsen-Anhalt sind Genehmigungs- und Überwachungsaufgaben bei einem Regierungspräsidium<br />

konzentriert; allerdings obliegt die Überwachung speziell des Arbeitsschutzes<br />

der örtlich zuständigen Gewerbeaufsicht.<br />

181


der Vorschriften zuzuneigen 40 - nicht auf die Ressortzuständigkeit zurückzuführen.<br />

41 Insgesamt sind an der Genehmigung und Überwachung noch<br />

weitere Fachbehörden (Bauaufsicht, Feuerwehr etc.) beteiligt, die als tendenziell<br />

Außenstehende offenbar häufig die Gentechnik generell als relativ gefährlich<br />

einschätzen und daher zu schärferen Auflagen neigen. 42<br />

Soweit ersichtlich, wurden in allen Bundesländern in größerem Umfang neue<br />

Planstellen für die Vollzugsaufgaben geschaffen, so daß bundesweit hochgerechnet<br />

ca. 70-100 Personalstellen hauptamtlich auf diesen Bereich entfallen. 43<br />

Besondere Probleme haben sich in der Anfangszeit daraus ergeben, daß Behördenvertreter<br />

mit Verwaltungserfahrung in der Regel keine Fachkenntnisse im<br />

Bereich der Gentechnik und neu rekrutierte Mitarbeiter mit gentechnischen<br />

Kenntnissen in der Regel keine Verwaltungserfahrung hatten. Daher war für bei-<br />

40 Dieser 'Ruf' läßt sich nur schwer anhand brauchbarer empirischer Vergleichsindikatoren<br />

überprüfen. Die Dauer von Genehmigungsverfahren (s.u.) ist nicht nur auf die Genauigkeit<br />

der Überprüfung, sondern u.U. auch auf Organisationsmängel bei den Behörden, Engpässe<br />

bei der Sicherheitseinstufung durch die ZKBS (s.o.) und auf die Unvollständigkeit der von<br />

den Betreibern vorgelegten Unterlagen zurückzuführen.<br />

41 Eine Ausnahme scheint Berlin darzustellen: Die Umweltverwaltung pflegt dort offenbar<br />

einen deutlich strengeren Vollzugsstil als die Sozialverwaltung. Gegen Auflagen der Umweltverwaltung<br />

hat ein betroffenes Industrieunternehmen erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht<br />

geklagt - das ist bisher das einzige Gerichtsverfahren eines Betreibers gegen<br />

eine Behörde. Vgl. dazu Beschluß des VG Berlin vom 20.1.1995, abgedruckt in Eberbach<br />

et al., Entscheidungssammlung, 1996, Nr.1 zu § 5 GenTG. Einwender haben dagegen<br />

schon häufiger - erfolglos - gegen Genehmigungsbescheide für Anlagen und Freisetzungen<br />

prozessiert.<br />

42 Aus Rheinland-Pfalz wird z.B. berichtet, daß die Wasserbehörden die vollständige Inaktivierung<br />

der Abwässer aus allen Laboratorien verlangen (Meffert, VerwArch 1992, S. 474).<br />

43 Eine genauere Abschätzung des Personalaufwands ist aufgrund der vielfältigen Zuständigkeiten<br />

nur schwer möglich. Es liegen uns nur für einige Länder mit zentralisiertem<br />

Vollzug entsprechende Angaben vor: In Berlin sind in der Senatsverwaltung für Soziales<br />

fünf Personen zu ca. 60-90% ihrer Arbeitszeit mit der Genehmigung und Überwachung<br />

von 180 Anlagen beschäftigt. Bei der Senatsverwaltung sind drei Personen für den Vollzug<br />

gegenüber 30 Anlagen von privaten Betreibern zuständig. Außerdem verwenden zwei Personen<br />

im Landesamt für Arbeitssicherheit ca. 60-80% ihrer Arbeitszeit auf entsprechende<br />

Vollzugsaufgaben. In Hessen sind beim RP Gießen fünf Gentechniker und ein Jurist hauptamtlich<br />

für Gentechnik zuständig. Bei den für die Überwachung zuständigen Ämtern für<br />

Immissions- und Strahlenschutz in Frankfurt und Marburg haben jeweils drei Bedienstete<br />

den Aufgabenbereich Gentechnik inne. In Hessen gibt es ca. 240 gentechnische Anlagen.<br />

In Baden-Württemberg (RP Tübingen) sind 13 Personen, davon vier Chemiker, vier Biologen,<br />

ein Biochemiker, ein Mediziner, zwei Juristen und eine Verwaltungskraft für die gesamten<br />

Vollzugsaufgaben gegenüber den ca. 370 Anlagen im Land zuständig. In Sachsen<br />

(acht Anlagen) sind drei Personen hauptamtlich und zwei zur Unterstützung mit Vollzugsaufgaben<br />

betraut.<br />

182


de Personengruppen eine besonders 'buchstabengetreue' Auslegung der Vorschriften<br />

als Absicherungsmodus naheliegend, zumal die Verwaltung unter besonderer<br />

öffentlicher Beobachtung stand.<br />

7.3.2. Regulierungsfeld: Zahl und Dynamik der Labormeldungen<br />

Die überwiegende Zahl der gentechnischen Anlagen und Arbeiten wird von Organisationen<br />

im Bereich öffentlich finanzierter Forschung, insbesondere den Universitäten,<br />

betrieben; Privatunternehmen unterhalten dagegen vergleichsweise<br />

wenig Forschungslabors und halten sich mit dem Einsatz der Gentechnik zu unmittelbar<br />

gewerblichen Zwecken zurück (vgl. Tabelle 1, S. 186). 44<br />

Seit der Verabschiedung des Gentechnikgesetzes hat sich an diesen Relationen<br />

wenig geändert, 45 allerdings ist sowohl im öffentlichen wie im privaten Bereich<br />

immer noch eine absolute Zunahme gentechnischer Anlage zu Forschungszwecken<br />

zu registrieren, obwohl, wie der Vorsitzende der ZKBS anmerkt,<br />

"zu berücksichtigen ist, daß auch manche Unternehmen, und nicht nur Hochschullehrer,<br />

sich rechtzeitig vor dem Einstieg in das GenTG mit entsprechenden<br />

Genehmigungen noch nach den Richtlinien versorgt hatten ..." 46<br />

Bemerkenswert ist allerdings, daß der freiwilligen Registrierung überhaupt in<br />

umfangreicherem Maße Folge geleistet wurde, denn andernfalls hätten die entsprechenden<br />

Zahlen mit dem Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes noch viel stärker<br />

in die Höhe schnellen müssen, als das aus den unten aufgeführten Aufstellungen<br />

ersichtlich ist. 47<br />

44 Bei den in Tabelle 1 genannten Zahlen ist allerdings zu berücksichtigen, daß die ehemalige<br />

Registrierung von LP-Einrichtungen sich streng am 10-Liter-Maßstab orientierte, während<br />

das Gentechnikgesetz eine Einordnung nach dem 'wissenschaftlichen' oder 'gewerblichen'<br />

Zweck vorsieht. In der Praxis sind offenbar viele LP-Einrichtungen in Anlagen zu Forschungszwecken<br />

überführt worden (vgl. Meffert, VerwArch 1992, S. 469). Insofern ist<br />

auch kein Rückgang der industriellen Entwicklungs- und Produktionstätigkeit aus den<br />

Zahlen herauszulesen.<br />

45 Da es im Bereich der öffentlichen Forschung eine höhere Fluktuation gibt, markieren<br />

Neumeldungen hier nicht zwangsläufig einen Zuwachs. Insofern könnten sich die relativen<br />

Gewichte etwas stärker zugunsten der Industrieforschung verschoben haben, als es in den<br />

Verhältniszahlen ausgedrückt ist (vgl. Hobom (Vorsitzender der ZKBS) in BG Chemie,<br />

Gentechnikrecht, 1992, S. 72).<br />

46 Hobom in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 72.<br />

47 Wie in dem Zitat schon angedeutet, erfolgten viele Registrierungen nach den alten Vorschriften<br />

im ersten Halbjahr 1990, als die Verabschiedung des Gentechnikgesetzes schon<br />

absehbar war: entweder haben die Betreiber damals schon länger bestehende Labors noch<br />

schnell nachgemeldet oder sich im Vertrauen auf die Bestandsgarantie in § 41 GenTG ge-<br />

183


Die Forschungsanlagen verteilen sich auf die einzelnen Bundesländer etwa in<br />

der Relation zum Anteil an den allgemeinen Wissenschaftsausgaben, 48 was darauf<br />

hindeutet, daß gentechnische Instrumente sich eines zunehmend ubiquitären<br />

Gebrauchs in der Wissenschaft erfreuen (vgl. Tabelle 2, S. 187). Eine Sättigungsgrenze<br />

ist dabei offenbar noch nicht erreicht. 49<br />

Im Bereich der öffentlichen Forschung ist eine anhaltende Diffusion gentechnischer<br />

Methoden in den unterschiedlichsten naturwissenschaftlichen und<br />

medizinisch-klinischen Forschungsbereichen zu beobachten. 50 Mit der zunehmenden<br />

Standardisierung der Methoden werden diese auch für weitere Fachkreise<br />

zugänglich, ohne daß eine vertiefte Einarbeitung in die molekularbiologischen<br />

Grundlagen oder die anfangs geführten Risikodiskussionen noch erforderlich<br />

sind (s.o., Kap. 7.1.). Das kommentiert eine Molekularbiologin der 'ersten<br />

Generation' im Interview mit den Worten:<br />

"Diese zweite Generation, die jetzt kommt, die bekommt das alles sozusagen schon<br />

vorgesetzt, und das ist so, als wenn ich aus dem Kühlschrank einfach eine Cola<br />

nehme, so kaufe ich mir meinen Kitt zum Klonieren." (Int. Nr. 7, S. 22)<br />

Für die Standardisierungsthese spricht auch die zunehmende Einordnung von<br />

Arbeiten und vor allem von Anlagen in die unterste Sicherheitsstufe (vgl. Tabelle<br />

3, S. 188). 51<br />

wissermaßen auf Vorrat mit Registrierungen 'eingedeckt' (vgl. Gill, GID 1990). Nach der<br />

Verabschiedung des Gentechnikgesetzes sind die Landesbehörden bei ihren Begehungen<br />

an den Universitäten allerdings in drei bekannt gewordenen Fällen auf Labors gestoßen,<br />

die nicht (Hamburg) oder nicht formgerecht (Göttingen, Marburg) gemeldet waren.<br />

48 Vgl. Spalte 6 und 7 in Tabelle 2, S. 187. Erklärbare Abweichungen von dieser Relation<br />

finden sich in den Ländern Hessen und Baden-Württemberg, in denen die Industrieforschung<br />

verstärkt zu <strong>Buch</strong>e schlägt, sowie in den Neuen Ländern, in denen noch Nachholbedarf<br />

bei der Modernisierung der Forschungseinrichtungen besteht.<br />

49 Über den gegenwärtigen Bestand in Niedersachsen (Stand 25.1.1995) sind genauere Angaben<br />

veröffentlicht (Niedersächsischer Landtag, Drucksache 13/712). Danach läßt sich<br />

bei der Anlagenzulassung der folgende zeitliche Verlauf aggregieren:<br />

1987 1988 1989 1990 1991 1992 1993 1994<br />

36 20 33 30 28 34 36 16<br />

50 Vgl. auch Hobom in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 72. In Zukunft könnte sich die<br />

DNA-Diagnostik als Forschungsmethode sogar in der Archäologie ausbreiten (vgl. Der<br />

Spiegel Nr. 13/1996, S. 162-175).<br />

51 Die Pionierdisziplinen, d.h. die Kernbereiche der Molekularbiologie und Biochemie, in<br />

denen mit neuen und exotischen Organismen, Vektoren und Methoden experimentiert<br />

wird, die tendenziell eine höhere Sicherheitseinstufung erforderlich machen, sind weitgehend<br />

mit gentechnischen Anlagen versorgt (sie melden aber immer noch neue Arbeiten an).<br />

Wer heute noch eine Anlage anmeldet, arbeitet in der Regel auf einem weiter entfernten<br />

Gebiet und benutzt daher standardisierte gentechnische Systeme, die fast alle nach S 1 eingestuft<br />

sind. Gleiches gilt auch für den zunehmenden Einsatz der Gentechnik in Praktika.<br />

184


Eine ähnliche Tendenz ist bei der Diffusion gentechnischer Methoden in der<br />

Industrieforschung zu beobachten: Sie dienen nicht in erster Linie der Entwicklung<br />

gentechnischer Herstellungsverfahren (z.B. für Enzyme) oder Produkte<br />

(transgene Pflanzen, Tiere, Mikroorganismen), sondern als analytische Instrumente<br />

im Rahmen herkömmlicher FuE-Prozesse, sei es in Pflanzenzucht 52 oder bei<br />

der chemischen Wirkstoffsynthese 53 .<br />

Die starke Diffusion der Gentechnik ist auch insofern bemerkenswert, als gerade<br />

im Bereich der öffentlichen Forschung angesichts von Ressourcenknappheit<br />

und Organisationsmängeln über die Auflagen des Gentechnikgesetzes geklagt<br />

wird (s.u.). Die vielfach aufgestellte Behauptung, daß das Gentechnikgesetz die<br />

Forschung behindere, wird jedenfalls durch die Entwicklung der Anmelde- und<br />

Genehmigungszahlen nicht gestützt. 54<br />

Die starke Diffusion als analytisches Instrument und der relativ zurückhaltende<br />

Einsatz in der Produktion könnte einen spezifisch 'deutschen' Pfad der Technologieentwicklung<br />

darstellen. Dieser wird sicherlich am wenigsten von der gesetzlichen<br />

Regulierung bestimmt, sondern eher noch von der Mobilisierung sozialer<br />

Bewegungen speziell gegen gentechnische Industrieanlagen, Frei-<br />

Daneben mag es auch innerhalb der ZKBS das Bedürfnis geben, Arbeiten generell niedriger<br />

einzustufen, wobei ihr aber durch die GenTSV enge Grenzen gesetzt sind (s.o., Kap.<br />

7.2.).<br />

52 Hasse et al., Technologisierung, 1994.<br />

53 Dolata, Politische, 1996, S. 29; Gill, Gentechnik, 1991, S. 60ff.<br />

54 Sie wird aber auch nicht widerlegt, weil man nicht wissen kann, wie sich die Zahlen ohne<br />

Erlaß des Gentechnikgesetzes entwickelt hätten. Die Tatsache, daß die Zahlen im Bereich<br />

der Industrie relativ niedrig liegen und weitgehend stagnieren, scheint vor allem dadurch<br />

bedingt, daß die großen deutschen Chemieunternehmen Teile der Forschung und Entwicklung<br />

schon vor dem Erlaß des Gentechnikgesetzes ins Ausland verlegt haben. Abschreckungseffekte<br />

für Neuansiedlungen aus dem Ausland scheinen nicht auf tatsächliche<br />

Wirkungen des Gesetzes, sondern - von anderen Faktoren wie Wechselkursen und hohen<br />

Lohnkosten abgesehen - eher auf die psychologischen Wirkungen zurückzuführen sein, die<br />

vor allem von der permanentem Klage über das Gentechnikgesetz und den angeblich so<br />

schlechten 'Standort' ausgehen (vgl. Kraus, Regulation, 1994).<br />

185


Tabelle 1: Neumeldung gentechnischer Arbeiten und Anlagen 55<br />

Arbeiten Anlagen Arbeiten Anlagen<br />

bis 1986 1986-1990 1990-1993 1990-1993<br />

Wissenschaftlicher Zweck<br />

Öff. Betreiber 1136 1104 716 577<br />

Uni 697 744<br />

MPI 200 170<br />

GFE 128 79<br />

andere 111 74<br />

Private Betreiber 135 242 123 98<br />

Anteil in % * 11% 18% 15% 15%<br />

Größerer Maßstab/gewerblicher Zweck **<br />

über 10 Liter 100 *** 53<br />

gewerbl. Zweck 27 5<br />

setzungsversuche und gentechnisch veränderte Nahrungsmittel beeinflußt. In<br />

erster Linie beruht dieser 'Pfad' aber wohl auf einem 'historischen Kompromiß'<br />

zwischen traditionellem Know-how und biotechnologischer Innovation, der einer<br />

relativ konservativen Industriekultur in den betreffenden Bereichen<br />

(Pflanzenzüchtung, Großchemie, Nahrungsmittelbranche) geschuldet ist. 56 Die<br />

auf der Konservierung von traditionellem Know-how beruhenden Widerstände<br />

gegen die Einführung neuer Biotechnologien in der Bundesrepublik wurden bemerkenswerterweise<br />

schon 1979, also vor jeder öffentlichen Mobilisierung, in<br />

einer einschlägigen Studie festgestellt. 57<br />

55 Eigene Zusammenstellung aus Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. 269; BGA,<br />

Liste, 1990; Lange, Entsorgung, 1994, S. 3. *: Anteil in Prozent am Gesamtaufkommen<br />

von Anlagen und Arbeiten. **: Bis zum Erlaß des GenTG wurde nach Maßstab, erst danach<br />

nach dem Zweck der Anlage unterschieden. ***: Die angegebene Zahl bezieht sich<br />

auf den Zeitraum 1981-1988 (ZKBS, Bundesgesundheitsblatt, 1989). Zu den jeweils neuesten<br />

Daten vgl. hier und im folgenden die neu eingerichtete Internetadresse<br />

http://www.rki.de.<br />

56 Wie sich dieser 'Sonderweg' wirtschaftlich auswirkt, wird sich erst noch zeigen. Denn<br />

bisher werden mit der Entwicklung gentechnischer Produkte - auch im Ausland - noch ü-<br />

berwiegend Verluste gemacht (vgl. Dolata, Politische, 1996).<br />

57 <strong>Buch</strong>holz, Gezielte, 1979. Der konservativen Haltung der Industrie voraus geht allerdings<br />

auch eine relativ späte Aufnahme molekularbiologischer Theorien und Methoden durch die<br />

deutsche Wissenschaft, wie die DFG 1958 in einer "Denkschrift zur Lage der Biologie"<br />

feststellte (Gottweis, Governing, 1995, S. 68f.).<br />

186


Tabelle 2:<br />

Bestand gentechnischer Anlagen in den Ländern und allgemeiner<br />

Anteil des jeweiligen Bundeslandes an den Wissenschaftsausgaben<br />

der Länder im Jahr 1992 58<br />

1990 1991 1992 1993 1994 Labor- Wiss.<br />

1995 anteil Ausg.<br />

BaWü 296 276 370 19,3% 14,3%<br />

Bay 215 159 250 13,1% 14,1%<br />

BlnW 94 104 135 9,6% 8,9%<br />

Brem 3 0,2% 0,8%<br />

Ham 52 80 4,2% 3,9%<br />

Hess 185 242 12,7% 7,7%<br />

NiSa 162 234 12,2% 8,4%<br />

NRW 234 293 382 20,0% 19,8%<br />

RhP 41 63 3,3% 3,6%<br />

Saar 7 0,4% 1,5%<br />

SWH 20 1,1% 3,5%<br />

BlnO 11 49 *<br />

Bran 4 2 FNL: 4,1% 13,5%<br />

MeVop 9 13 **<br />

Sachs 5 8 **<br />

SaAn 22 26 38 **<br />

Thür 4 17 **<br />

58 Eigene Zusammenstellung aus BGA, Liste, 1990; Hartmann/Voß, Biologische, 1991, S. 44<br />

(zu Zahlen in den neuen Ländern); BMFT, Bundesbericht, 1993, S. 573ff. (zu Spalte 7)<br />

und einer Vielzahl von Dokumenten, die uns von den zuständigen Landesbehörden zur<br />

Verfügung gestellt wurden. Spalte 1 und 2: Die Zahlen für Westdeutschland bis zum<br />

1.7.1990 beziehen sich auf den kumulierten Bestand der Neumeldungen. Stillegungen von<br />

Anlagen sind dabei nicht herausgerechnet; daraus (und aus Zusammenlegungen) erklären<br />

sich auch die in Bayern und Baden-Württemberg zunächst abfallenden Zahlen für 1991,<br />

denn nach dem Erlaß des Gentechnikgesetzes haben die Behörden bei der Überführung<br />

von Altanlagen nach § 41 GenTG erstmals eine realistische Bestandaufnahme gemacht. Zu<br />

berücksichtigen ist ohnehin, daß es eine Auslegungsfrage ist, was als 'Gentechnische Anlage'<br />

aufzufassen ist: Es kann sich dabei - je nach Bauart und Konzeption der Forschungsanlage<br />

- um einen Laborraum oder auch um einen Komplex von bis zu 30 Räumen<br />

handeln. "Im Durchschnitt kann man davon ausgehen, daß etwa 6 einzelne Räume eine<br />

gentechnische Anlage bilden" (Brief des RP Braunschweig vom 21.3.1995 an den Autor<br />

[B.G.]). Die Zahlen für Ostdeutschland von 1991 beziehen sich auf "Forschungseinheiten",<br />

weil nach dem Gentechnikgesetz der DDR keine Anlagen registriert wurden. Insgesamt<br />

dürfte es derzeit ca. 1900 - 2000 gentechnische Anlagen geben. Spalte 6: Bei der Berechnung<br />

des prozentualen Laboranteils wurden die jeweils neuesten verfügbaren Zahlen zugrundegelegt.<br />

*: Berlin (W+O) 8,9%. **: Neue Länder zusammen 4,1% Laboranteil und<br />

13,5% Anteil an den Wissenschaftsausgaben der Länder.<br />

187


Tabelle 3: Sicherheitseinstufung gentechnischer Arbeiten und Anlagen zu Forschungszwecken<br />

59<br />

Arbeiten Anlagen Arbeiten Anlagen<br />

1981-1988 1986-1990 1990-1993 1990-1993<br />

S 1 178 556 630 602<br />

S 2 1030 667 184 67<br />

S 3 24 31 25 6<br />

S 4 0 0 0 0<br />

S 1-Anteil in % 14% 44% 75% 89%<br />

7.3.3. Anmeldungs- und Genehmigungsverfahren<br />

Gentechnische Arbeiten und Anlagen müssen seit Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes<br />

bei den Landesbehörden entweder angemeldet oder von diesen genehmigt<br />

werden (vgl. Kap. 5.1.). Im Unterschied zu der seit 1978 bzw. 1986 (nach<br />

ZKBS-Richtlinien) geltenden Registrierungsempfehlung für Arbeiten und Anlagen<br />

sind diese Verfahren mit einem erheblichen formalen Aufwand verbunden,<br />

der allerdings im Zuge der Novellierung des Gentechnikgesetzes und der Sicherheitsverordnung<br />

1993 bzw. 1995 wieder deutlich reduziert wurde.<br />

In der Anfangsphase kam es dann offensichtlich in allen Bundesländern zu einer<br />

erheblichen Überschreitung der im Gesetz vorgesehenen Fristen bei den Anmelde-<br />

und Genehmigungsprozeduren. Dafür gibt es drei Ursachen, die häufig<br />

gleichzeitig wirkten:<br />

- Die Behörden waren unzureichend organisiert und kaum mit eingearbeitetem<br />

Personal besetzt (s.o.).<br />

- Die ZKBS war überlastet und konnte aufgrund ihres bloß monatlichen Tagungsrhythmus<br />

der ehrenamtlichen Mitglieder die Sicherheitseinstufung nicht<br />

rechtzeitig abschließen (s.o.).<br />

- Die Antragsteller, zum ersten Male als Forscher mit einem ernsthaft vollzogenen<br />

Gesetz konfrontiert, legten unvollständige Unterlagen vor (s.u.).<br />

Dabei ist aber zu konstatieren, daß es den Landesbehörden schon meist vor der<br />

Novellierung des Gentechnikgesetzes gelungen ist, die von ihnen verschuldeten<br />

Fristüberschreitungen abzubauen. Aus einer detaillierten Aufstellung des Landes<br />

Nordrhein-Westfalen geht hervor, daß bei den fünf Anmeldeverfahren für Forschungsanlagen<br />

in der Sicherheitsstufe 1 im Jahr 1990 die Antragslaufzeiten bei<br />

59 Eigene Zusammenstellung aus ZKBS, Bundesgesundheitsblatt 1989; BGA, Liste, 1990;<br />

Lange, Entsorgung, 1994, S. 3.<br />

188


den Behörden im Schnitt 58 Wochen 60 und die Fristaussetzungen aufgrund unvollständiger<br />

Unterlagen im Schnitt acht Wochen betrugen. Im darauffolgenden<br />

Jahr lagen diese Zahlen für die 29 aufgeführten Anmeldeverfahren der Stufe 1 bei<br />

22 Wochen für die behördeninternen Antragslaufzeiten respektive bei 17 Wochen<br />

für Fristunterbrechungen. Die Behörden arbeiteten also - trotz des nun höheren<br />

Antragsaufkommens - schon bedeutend zügiger, während die Fristaussetzungen<br />

aufgrund unvollständiger Antragsunterlagen auf Darlegungsschwierigkeiten seitens<br />

der Antragsteller hindeuten. 61 Für ebenfalls 29 Verfahren der Stufe 1 im Jahr<br />

1992 lagen die Zahlen mit 17 respektive 5 Wochen schon fast in dem vom Gentechnikgesetz<br />

vorgesehenen Bearbeitungszeitraum. Es ist also sowohl bei den<br />

Behörden wie auch den Betreibern eine zunehmende Vertrautheit mit dem Anmeldeverfahren<br />

zu beobachten. 62<br />

Bei genauerer Betrachtung fällt allerdings auf, daß sowohl die behördlichen<br />

Laufzeiten als auch die Fristaussetzungen innerhalb der einzelnen Regierungspräsidien<br />

nicht so stark streuen wie zwischen den Regierungspräsidien. Dabei<br />

lassen sich tendenziell drei Verteilungsformen unterscheiden: ein RP mit sehr<br />

langen behördlichen Laufzeiten, drei RP's mit fristgerechten behördlichen Laufzeiten<br />

und z.T. überdurchschnittlichen Fristaussetzungen, und ein RP mit fristgerechten<br />

internen Laufzeiten und deutlich unterdurchschnittlicher Fristaussetzung.<br />

Im letztgenannten Regierungsbezirk werden die gentechnischen Anlagen von<br />

einer Universität unterhalten, die wegen der besonders guten Erfüllung ihrer<br />

Betreiberpflichten und der Einhaltung besonders hoher, die gesetzlichen Vorgaben<br />

überschreitenden Sicherheitsstandards in dem Behördenbericht, der ansonsten<br />

gerade gegenüber den Universitäten sehr kritisch ausfällt, lobend erwähnt<br />

wird. 63<br />

60 Nach § 12 Abs. 6 war im GenTG alter Fassung eine Frist von drei Monaten vorgesehen.<br />

Mit dem Ablauf der Frist war eine Zustimmungsfiktion verbunden.<br />

61 Häufige und relativ lange Fristaussetzungen werden auch von der für Gentechnik zuständigen<br />

Senatsverwaltung in Berlin berichtet, die sich vielleicht deutlicher als die Behörden<br />

in NRW um einvernehmliche Beziehungen zu den Betreibern bemüht: "Die Verfahren dauern<br />

in der Regel zwischen 2 Wochen bis 6 Monate - hiervon sind die Zeiten, in denen das<br />

Verfahren ruht, abzuziehen. Zu einer vorübergehenden Unterbrechung der Fristen von ca.<br />

1 Woche bis zu 5 Monaten kam es wegen fehlender Unterlagen gemäß § 11 bzw. § 12<br />

GenTG in der Mehrzahl der Fälle." (Antwort des Senats vom 3.1.95 auf die Kleine Anfrage<br />

Nr. 6125 der MdA Judith Demba).<br />

62 In Baden-Württemberg wurden mit der beim RP Tübingen zentralisierten Verwaltungsstruktur<br />

bereits Mitte 1992 durchschnittliche Antragslaufzeiten von zwei Monaten erreicht<br />

(Maier-Greiner in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 242).<br />

63 Wahrscheinlich kann man generell die niedrige Streuung der Fristaussetzung innerhalb der<br />

einzelnen Regierungsbezirke (RB) damit erklären, daß die meisten Labors hier jeweils von<br />

einer im jeweiligen RB angesiedelten großen Forschungsorganisation betrieben werden.<br />

189


Andere Anlaufschwierigkeiten - anfangs gab es z.B. noch nicht genügend Fortbildungsveranstaltungen<br />

für die erforderlichen Sachkundenachweise, oder die den<br />

Labors zugrundeliegenden Bauakten waren nicht aufzufinden - scheinen sich ca.<br />

zwei Jahre nach Inkrafttreten des Gentechnikgesetzes weitgehend erledigt zu<br />

haben.<br />

Allerdings ist zu berücksichtigen, daß ein Rückgang der Fristaussetzungen<br />

zwar auf eine bessere Organisierung der Betreiberpflichten, aber nicht zwangsläufig<br />

auf einen für die betroffenen Forscher reibungslosen Verlauf hindeutet.<br />

Denn gerade die bessere Organisierung der Betreiberpflichten kann dazu führen,<br />

daß die anfänglichen Friktionen zwischen Behörden und Betreibern nun in die<br />

internen Beziehungen der Forschungsorganisationen verlagert werden. 64<br />

7.3.4. Überwachung<br />

Bemerkenswert ist die im Vergleich zum sonstigen Umweltrecht 65 offenbar relativ<br />

rege Überwachungstätigkeit der Behörden. Soweit genauere Angaben vorliegen,<br />

kann man davon ausgehen, daß alle Labors, abhängig auch von der Sicherheitseinstufung,<br />

ca. alle ein bis zwei Jahre im Rahmen von Kontrollgängen intensiv<br />

untersucht werden. 66 Dabei berichten einige Behörden von relativ häufigen<br />

Wenn diese ihre Betreiberaufgaben ziemlich gut im Griff hat, fallen die Fristaussetzungen<br />

kurz aus - andernfalls lang. Wären die Verzögerungen hingegen eher auf Versäumnisse<br />

von einzelnen Forschungsinstituten - innerhalb der Universitäten oder Industrieunternehmen<br />

- zurückzuführen, müßte dies zu einer höheren Streuung innerhalb der<br />

Regierungsbezirke führen. Dies gilt zumindest dann, wenn man davon ausgeht, daß die<br />

Betreiber selbst für die Fristaussetzungen verantwortlich sind, und nicht unterstellt, daß<br />

lange Fristaussetzungen durch besonders penible Nachforderungen einzelner RP verursacht<br />

sind.<br />

64 An einer von uns befragten Universität wurde eine zentrale Verwaltungsstelle eingerichtet,<br />

die für die Betreiberpflichten nach dem GenTG zuständig ist und alle Antragsunterlagen<br />

vor der Abgabe an die Behörden nun selbst auf Vollständigkeit prüft und gegebenenfalls an<br />

die Institute zurückgibt. Die mit dieser Aufgabe betraute Person berichtete, daß die Institute<br />

dann oft monatelang bräuchten, bis sie die Unterlagen vervollständigt hätten (Hintergrundgespräch<br />

Nr. 1). Die Institute haben dann wohl vor allem mit den Problemen zu<br />

ringen, die sich auch bei der Formulierung von Drittmittelanträgen ergeben: "Ich glaube,<br />

die größten Schwierigkeiten zahlreicher Antragsteller beruhen darauf, sich selbst und der<br />

Behörde Art und Umfang der beabsichtigten Arbeiten begreiflich zu machen", resümierte<br />

ein Behördenvertreter im Verlauf einer fachöffentlichen Diskussion seine Erfahrungen bei<br />

der Beratung von Antragstellern (Eichler in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 202).<br />

65 Häufig werden die Behörden nur auf Anzeigen aus der Nachbarschaft hin tätig (vgl. z.B.<br />

Klitzsch, Behörden, 1986, S. 165).<br />

66 In NRW entfielen im Berichtsjahr 1992 auf 293 Anlagen 201 Begehungen und im Berichtsjahr<br />

1993 auf 382 Anlagen 187 Begehungen.<br />

190


Mängeln, die allerdings in den meisten Fällen von den Betreibern abgestellt wurden,<br />

ohne daß die Einleitung von formellen Sanktionsmaßnahmen erforderlich<br />

wurde. 67 Die Mängelrügen bezogen sich oft auf allgemeinere Aspekte des Arbeitsschutzes,<br />

auf Bestimmungen der Gefahrstoffverordnung und des Seuchenrechts,<br />

aber auch auf die für die Gentechnik spezifischen Sicherheitsvorkehrungen.<br />

68 Die Ursachen liegen u.a. in der veralteten baulichtechnischen<br />

Ausstattung, beengten Räumlichkeiten und unklaren Verantwortlichkeiten,<br />

wie sie für öffentliche Forschungsorganisationen, insbesondere die<br />

Universitäten, typisch sind und in der (Groß-)Industrie dagegen offenbar höchst<br />

selten angetroffen werden. Ein besonderes Problem stellt die starke Fluktuation<br />

des Personals in öffentlichen Forschungsorganisationen dar. Diese führt u.a. zu<br />

erheblichen Engpässen bei der Bestellung der Funktion des Projektleiters und des<br />

Beauftragten für Biologische Sicherheit. Die Berliner Behörde gibt an, hier in<br />

67 Es sind uns allerdings drei Fälle (Göttingen, Marburg, Hamburg) bekannt geworden, in<br />

denen umfassendere rechtliche Ermittlungen eingeleitet wurden. Zu den beiden gut dokumentierten<br />

Fällen in Marburg und Göttingen siehe unten, Kap. 7.6.1.<br />

68 Aus zwei Bundesländern (NRW und Berlin) liegen dazu genauere Angaben vor. Es fällt<br />

auf, daß NRW mit seiner eher dezentralen, vor allem auf die staatliche Gewerbeaufsicht<br />

rekurrierenden Vollzugsstruktur den Aspekt klassischer Arbeitssicherheit stärker betont als<br />

die zentralisierte und auf den Gentechnikvollzug spezialisierte Behörde in Berlin. Zu den<br />

Verstößen gegen klassische Arbeitsschutzvorkehrungen zählen z.B. typischerweise stolpergefährliche<br />

Stufen und Schwellen oder überlastete elektrische Leitungen (Feuergefahr).<br />

Spezifisch nach Gentechnikrecht wurden u.a. folgende Mängel gerügt:<br />

- Durchführung nicht angemeldeter Arbeiten der Sicherheitsstufe 1;<br />

- fehlende oder unvollständige Aufzeichnungen;<br />

- zu niedrige Sicherheitseinstufung bei der Durchführung weiterer Arbeiten (zum Teil werden<br />

aber, u.a. aus Produktschutzgründen, von den Forschern höhere Sicherheitsstandards<br />

vorgeschlagen und freiwillig eingehalten);<br />

- mangelhafte oder fehlende Sachkundenachweise bei Projektleitern und Beauftragten für<br />

Biologische Sicherheit (BBS) sowie Unkenntnis des Gentechnikrechts; Unterlassen der<br />

Sicherheitsanweisung für die Mitarbeiter; zu große Zahl der von einem BBS zu betreuenden<br />

Projekte;<br />

- keine oder falsche Kennzeichnung der Anlage;<br />

- fehlende oder mangelhafte Betriebsanweisungen, Hygienepläne und Notfallpläne; keine<br />

oder falsche Kennzeichnung der Anlage; unbefriedigende Zutrittsregelung bei Anlagen<br />

mit Publikumsverkehr (Studenten, Patienten);<br />

- Personen und Arbeiten können den Weisungsstrukturen und der Anlage nicht spezifisch<br />

zugeordnet werden; Durchführung gentechnischer Arbeiten außerhalb der 'Anlage' (z.B.<br />

GVO's in Kühlschränken auf dem Flur);<br />

- Einsatz von Werkbänken, die aus Produktschutzgründen die Luft auf den Experimenator<br />

zublasen (Ansteckungsgefahr), anstatt sie abzusaugen;<br />

- fugenreiche und schlecht desinfizierbare Oberflächen; mangelhafte Desinfektion, ungenügende<br />

Wartung bei Sicherheitswerkbänken.<br />

191


zahlreichen Fällen sogar die vorübergehende Stillegung der betroffenen Anlagen<br />

verfügt zu haben. 69<br />

Mit der beschriebenen Überwachung in Form von Kontrollgängen sind allerdings<br />

in der Regel nur offensichtliche Normverstöße im Bereich organisatorischer<br />

und technischer Voraussetzungen sicheren Arbeitens in gemeldeten Anlagen zu<br />

erfassen. Nicht zu erfassen sind damit hingegen in der Regel<br />

1. gentechnische Arbeiten in nicht gemeldeten Anlagen,<br />

2. Arbeiten mit anderen als den angebenen Organismen und Vektoren,<br />

3. die Einhaltung der Vorschriften auf der Ebene individuellen Verhaltens seitens<br />

der Labormitarbeiter.<br />

Eine möglichst lückenlose Kontrolle würde - ad 1 und 2 - umfangreiche Recherchen<br />

in der Forschungs- und Patentliteratur sowie die Überwachung bei Firmen<br />

erfordern, die einschlägige Reagenzien vertreiben; ad 2 und 3 wären Probeentnahmen<br />

und ihre Untersuchung durch gentechnisch arbeitende Kontrollabors<br />

erforderlich.<br />

Als einziges Land hat Bayern relativ frühzeitig ein staatliches Kontrollabor<br />

aufgebaut und gibt an, gelegentlich auch Proben aus den Labors und ihrer Umgebung<br />

zu untersuchen. Hessen kann in dieser Hinsicht mittlerweile auf ein Labor<br />

des TÜV zurückgreifen. 70 Berlin verfügt seit 1995 über ein halbstaatlich organisiertes<br />

Labor. Auch bei anderen Ländern war der Aufbau entsprechender Einrichtungen<br />

im Gespräch, die auch bundesweit koordiniert werden sollten. Sachsen-<br />

Anhalt verweist in diesem Zusammenhang auch auf die Möglichkeit, eine diesbezügliche<br />

Eigenüberwachung der Betreiber anzuordnen. Berlin erwähnt Literaturrecherchen<br />

zwar als Möglichkeit; es ist aber von keinem Land bekannt, ob sie<br />

tatsächlich durchgeführt werden. Mit dem Zweifel, ob die Kontrollen greifen,<br />

begründet auch ein Projektleiter im Interview seine Skepsis gegenüber dem Gentechnikgesetz:<br />

69 Im Jahresbericht 1993 werden für den Berichtszeitraum 20 "Bescheide zum Ruhen der<br />

Tätigkeit bzw. zur vorübergehenden Stillegung mit Untersagungsverfügung" sowie 79<br />

"Beanstandungen zu Anlagen (graue und schwarze Reiter)" und 175 "Beanstandungen zu<br />

Aufzeichnungen" aufgeführt. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage (Berlin Nr.<br />

12/6720) wird angegeben, daß bis Mitte 1995 insgesamt sieben Ordnungswidrigkeitsverfahren<br />

wegen versäumter Anmelde- bzw. Anzeigepflichten eingeleitet wurden. In mehreren<br />

Fällen seien Genehmigungsanträge wegen fehlender Voraussetzungen abgewiesen worden.<br />

70 Im 'Fall Marburg' (s.u., Kap 7.6.1.) hatte es sich als Problem erwiesen, daß die von der<br />

Staatsanwaltschaft sichergestellten Proben nicht untersucht werden konnten, u.a. auch<br />

deshalb, weil es dazu wiederum einer speziellen Genehmigung für gentechnische Anlagen<br />

und Arbeiten bedurft hätte, die damals noch für kein den hessischen Behörden verfügbares<br />

Labor vorlag.<br />

192


"Was hat denn dieser Filter nach dem sowieso [Regelwerk] letztlich für eine Aussagekraft,<br />

wenn es vielleicht genügt, nur eine Zelle irgendwo entweichen zu lassen?<br />

Doch gar keine! Dann wird doch nur geguckt, ist der Filter eingebaut und wird jährlich<br />

der Differenzdruck und alles mögliche gemessen. Es löst letztendlich das inhaltliche<br />

Problem nicht. Aber das Schwerwiegende ist doch, sie können wirklich nicht<br />

kontrollieren, was dort in diesen Kühlschränken ist. Und Sie können doch auch<br />

nicht ... entscheiden ob es dieses Gefahrenpotential gibt, das ich erstmal verneine. ...<br />

Insofern denke ich, dieses ganze Gesetzeswerk geht an sich von dem aus, wo sie nur<br />

noch wissen, dort ist die Tür an der richtigen Stelle und wie ist denn dort die Luftdruckdifferenz<br />

oder sonst was, aber mehr auch nicht. Sie können nicht mal, wenn an<br />

diesen Dingern steht, das ist der Stamm sowieso, z.B. X 1776 71 , oder sonst so obskure<br />

Konstrukte, die es früher einmal gab, nicht mal das können Sie kontrollieren,<br />

ob das dort drin ist. Wie viele seroverwandte Dinge gibt es denn? Sie müßten jedesmal<br />

das ganze Ding sequenzieren ..." (Int. Nr. 9, S. 59f.)<br />

7.3.5. Behörden und Öffentlichkeit<br />

Die Form der Beziehungen zwischen Behörden und Öffentlichkeit ist z.T. durch<br />

das Gentechnikgesetz vorgegeben: Genehmigungen für Forschungsanlagen (ab<br />

Sicherheitsstufe 2) müssen in der Zeitung veröffentlicht werden. 72 Lokal betroffene<br />

Bürger haben dann das Recht, den Genehmigungsbescheid anzufordern und<br />

gegebenenfalls dagegen schriftlichen Widerspruch zu erheben. 73 Dies ist auch in<br />

mindestens zwei uns bekanntgewordenen Fällen - es handelte sich um S 3-Labors<br />

- geschehen; die Widersprüche waren erfolglos.<br />

Im Unterschied zu den Freisetzungsversuchen und der Errichtung gewerblicher<br />

Industrieanlagen hat es zu einzelnen Forschungslabors selten eine breitere Mobilisierung<br />

in der politischen Öffentlichkeit gegeben. 74 Die Vielzahl parlamentarischer<br />

Anfragen zum Vollzug des Gentechnikgesetzes deutet aber an, daß<br />

das Thema trotzdem eine gewisse Aufmerksamkeit genießt. Dies könnte auch<br />

71 Ein Sicherheitsstamm der Stufe B 2.<br />

72 Ein Genehmigungsantrag für eine gewerbliche Anlage (S 1) wurde zurückgezogen, als der<br />

Betreiber erfuhr, daß eine Veröffentlichung in einer Tageszeitung erforderlich sei. Als Begründung<br />

wird kolportiert: "Ich kann doch meine Produkte überhaupt nicht mehr verkaufen,<br />

wenn das öffentlich ruchbar wird, daß ich gentechnisch arbeite!" (Eichler in BG<br />

Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 57).<br />

73 Rechtsgrundlage ist § 12 GenTVfV. Das Verfahren der Öffentlichkeitsbeteiligung vor<br />

Genehmigungserteilung, das vor der Novellierung auch mit einer mündlichen Anhörung<br />

verbunden war, gilt nur für einen Teil der gewerblichen Anlagen und für die experimentelle<br />

Freisetzung (vgl. oben, Kap. 5.10.).<br />

74 Ausnahme ist der Streit um das biomedizinische Zentrum der Universität Tübingen (vgl.<br />

Fachschaft Biologie, GID 1991).<br />

193


erklären, warum für den Vollzug des Gentechnikgesetzes bei ansonsten stagnierenden<br />

Haushalten und dem politischen Ruf nach 'Deregulierung' eine relativ<br />

große Zahl von Planstellen geschaffen wurde.<br />

Insgesamt ist auch zu beobachten, daß sich die meisten Länderbehörden um eine<br />

relativ starke Transparenz ihrer Vollzugsanstrengungen bemühen - die parlamentarischen<br />

Anfragen z.B. wurden in den meisten Ländern relativ ausführlich<br />

und substantiiert beantwortet, Verstöße gegen das Gentechnikgesetz werden von<br />

manchen Behörden relativ klar benannt. Letzteres könnte allerdings auch im Eigeninteresse<br />

der zuständigen Verwaltungsstellen liegen, die ihre vergleichsweise<br />

gute Personalausstattung rechtfertigen müssen und andererseits nicht - wie bei<br />

schon länger etablierten Gesetzen - der Untätigkeit geziehen werden können,<br />

wenn sie Regelverstöße in ihrem Zuständigkeitsbereich einräumen. Außerdem<br />

wären sie mit einer proaktiven Informationspolitik auf der sicheren Seite für den<br />

Fall, daß Regelverstöße oder gar Schäden in der Öffentlichkeit skandalisiert würden;<br />

sie könnten dann die Verantwortung leichter ganz auf die Betreiber überwälzen.<br />

Ein Abteilungsleiter erklärte uns auch den scheinbaren Widerspruch zwischen<br />

seiner dezidiert befürwortenden Haltung gegenüber der Gentechnik und der berichteten,<br />

relativ strikten Kontroll- und Sanktionstätigkeit seiner Behörde: Seine<br />

Abteilung bemühe sich, vor allem durch Beratung, aber auch durch Überwachung<br />

die Genforscher zur Einhaltung des Gesetzes zu motivieren, um die Genforschung<br />

angesichts der politischen Aktivitäten im Verwaltungsbezirk vor einer Skandalisierung<br />

zu bewahren. Die vielen parlamentarischen Anfragen würden ihm zwar<br />

eine Menge Arbeit bereiten, stellten aber, da sie von einer Oppositionspartei<br />

gestellt würden, eine politisch vollständig unverdächtige Möglichkeit dar, die<br />

Öffentlichkeit über die Tätigkeit seiner Abteilung zu informieren (Int. Nr. 19).<br />

Allerdings ist diese Haltung nicht durchgängig: Es finden sich auch vielfach lapidare<br />

Formulierungen wie etwa 'bloß geringfügige Regelabweichungen'. Eine<br />

Verwaltungsstelle hat uns am Telefon die Zustände in öffentlich finanzierten<br />

Forschungseinrichtungen in ziemlich düsteren Farben geschildert, aber in schriftlicher<br />

Form festgestellt, daß gravierende Verstöße gegen das Gentechnikgesetz<br />

nicht bekannt geworden seien.<br />

Insgesamt halten sich die Länderbehörden - etwa bei der Beantwortung parlamentarischer<br />

Anfragen - mit der Artikulation von Eigeninteressen zurück und<br />

verweisen, wenn immer möglich, auf das Gesetz. Zumindest in Bayern und Berlin<br />

sind die für den Gentechnikvollzug zuständigen Behördenspitzen allerdings im<br />

Interesse der regionalen Wissenschafts- und Wirtschaftsförderung für die Ansiedlung<br />

von gentechnischen Anlagen auch aktiv in der Öffentlichkeit eingetreten.<br />

194


7.4. Organisierung der Betreiberpflichten in der Universitäts- und in der<br />

Industrieforschung 75<br />

Die Betreiberpflichten sind in der (Groß-)Industrie offenbar ziemlich straff organisiert.<br />

Es herrschen sehr klare Vorstellungen über die Delegation von Verantwortung<br />

und die Rollenverteilung zwischen Projektleiter, Beauftragten für Biologische<br />

Sicherheit und sonstigen Leitungspersonen. In dieser Hinsicht ist das Gentechnikgesetz,<br />

insbesondere in seinen organisationsrechtlichen Aspekten, erkennbar<br />

auf die in der Industrie bereits vorhandenen Organisationsformen zugeschnitten.<br />

Sowohl das Gesetz als auch sein Vollzug beruhen in hohem Maße auf einem<br />

Erfahrungstransfer aus der Industrieforschung:<br />

"Ich bin seit 1977 im Unternehmen und von Anfang in die Thematik involviert, also<br />

mit den Richtlinien vertraut. Es war immer ein Repräsentant der Firma in einschlägigen<br />

Gremien vertreten. Nachdem dann 1989 das Gentechnikgesetz verabschiedet<br />

worden war, hatten wir kein wesentliches Problem, weil die Anlagen bereits vorschriftsmäßig<br />

standen und das Unternehmen schon viele Produkte gentechnisch vertrieb<br />

und im großen Maßstab mit rekombinanten Bakterien gearbeitet hatte und dabei<br />

bereits alle Richtlinien gemäß des Gesetzes eingehalten hatte, so daß wir keine<br />

wesentlichen Änderungen vornehmen mußten.<br />

Wir haben praktisch mit den Mitarbeitern der Landesbehörden, die für das Gentechnikgesetz<br />

zuständig waren, immer sehr eng zusammengearbeitet. Dadurch haben<br />

sich sehr gute Beziehungen aufgebaut. Man kennt sich, und das ist gut, wenn man<br />

Probleme lösen muß." 76<br />

Rechte und Pflichten der betreffenden Personen werden von den befragten Forschungsleitern<br />

in detaillierter Form referiert; dabei wird auch immer wieder auf<br />

schriftlich festgelegte Organisationspläne verwiesen. Es wird erkennbar, daß<br />

lange Erfahrungen bei der Umsetzung von Sicherheitsvorkehrungen existieren.<br />

Die Vorschriften des Gentechnikrechts werden zusammen mit anderen Sicherheitsanforderungen<br />

in integrierter Form im Rahmen eines relativ dichten Netzes<br />

75 Die Industrieforschung (in Großunternehmen) und die Universitäten wurden von uns zur<br />

näheren Untersuchung ausgewählt, weil wir aufgrund allgemeinerer Informationen davon<br />

ausgehen, daß sie Extremtypen auf einer Skala zwischen straffen, relativ zentralisierten und<br />

gut ausgestatteten sowie lockeren, zentrifugalen und schlecht ausgestatteten Organisationsformen<br />

darstellen. Die diesbezüglichen Organisierungsformen in kleinen und mittleren<br />

Unternehmen, in Max-Planck-Instituten, in staatlichen Großforschungseinrichtungen und<br />

anderen lehrfreien Forschungsorganisationen der öffentlichen Hand dürften typischerweise<br />

zwischen diesen beiden Extremen zu verorten sein.<br />

76 Int. Nr. 17, S. 6f. Über die Beratung von Behördenvertretern wurde uns allerdings auch<br />

von einer schon lange etablierten gentechnischen Arbeitsgruppe im Bereich der öffentlichen<br />

Forschung berichtet.<br />

195


interner Kontrollen umgesetzt. So charakterisiert ein Forschungsleiter plastisch<br />

einen Unterschied zur Universität:<br />

'Bei den Universitäten wird von den Aufsichtsbehörden z.B. Anstoß daran genommen,<br />

daß Kühlschränke mit transgenen Organismen auf dem Flur stehen. Bei uns<br />

kann das nicht passieren, einfach deshalb, weil die Werksfeuerwehr das auf ihren<br />

regelmäßigen Kontrollgängen entdecken würde. Sie hätte auch die Befugnis, dafür<br />

zu sorgen, daß die Kühlschränke wegkommen.' 77<br />

Die Beauftragten für Biologische Sicherheit nehmen ihre Aufgaben z.T. hauptamtlich<br />

war. Sie üben dabei einerseits Kontrollaufgaben aus:<br />

"Zunächst habe hauptsächlich ich die Sicherheitsthemen bearbeitet, Anträge gestellt,<br />

kurz, alles erledigt, was zum Thema gehört. Als dann die Gruppe größer geworden<br />

ist, wuchs auch der Arbeits- und Zeitaufwand enorm, so daß wir entschieden haben,<br />

jemanden einzustellen, der alle im Zusammenhang mit gentechnischer Sicherheit<br />

anfallenden Aufgaben erledigt. Dieser promovierte Molekularbiologe bearbeitet die<br />

Zulassungen und kontrolliert die Labors. Außerdem, und das ist von großem Vorteil,<br />

kontrolliert er auch uns Forscher, denn er betrachtet die Dinge aus einer anderen<br />

Perspektive als wir. Wir standen einerseits in der Verantwortung, dachten andererseits<br />

aber als Forscher." (Int. Nr. 17, S. 7)<br />

Zum anderen entlasten sie die Forscher auch durch die in ihrer Funktion zentralisierte<br />

Erfahrung im Umgang mit den Behörden:<br />

"Die Antragsformulare für Labor- oder Projektzulassungen liegen als Schablone im<br />

Computer vor, so daß der Forscher nur die notwendigen Daten über das Plasmid,<br />

das Gen oder den Empfängerstamm einsetzen muß. Der oder die Beauftragte für<br />

Biologische Sicherheit vervollständigt dann den Antrag. Dadurch haben unsere Leute<br />

wenig zusätzlichen Aufwand und das Gesetz belastet uns nicht." 78<br />

Die Universitäten stehen dagegen grundsätzlich vor dem Problem, daß sie mit<br />

einer dualen Verwaltungsorganisation operieren, in der sich zwei historische<br />

Organisationsmodi - der ständisch-korporative Modus der akademischen Kollegialorgane<br />

und der bürokratische Modus der professionellen Amtshierarchie -<br />

überlagern: 79 "Es gibt innerhalb dieser Struktur Konstellationen und 'Pfründe', die<br />

unantastbar und vertraglich geregelt sind." 80<br />

Hier kommt es zumindest in der Praxis immer wieder zu Konflikten, wenn<br />

hauptberufliche Verwaltungsangestellte gegenüber akademischen Mitgliedern der<br />

Hochschule Vorschriften durchsetzen sollen. 81 Die dominante Stellung der Pro-<br />

77 Hintergrundgespräch Nr. 2, sinngemäßes Zitat.<br />

78 Int. Nr. 17, S. 8. Eine ähnliche Stellung des Beauftragten für Biologische Sicherheit findet<br />

sich allerdings auch in manchen öffentlichen Forschungsorganisationen.<br />

79 Vgl. Bahrdt, Wissenschaftssoziologie, 1971, S. 187ff.<br />

80 Siller in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 139.<br />

81 Vgl. auch Hamburger Behörde für Wissenschaft und Forschung, Bericht, 1990.<br />

196


fessoren in der Organisationsstruktur der Universität führt zugleich auch zu besonderen<br />

Engpässen, wenn sich das 'Berufungskarussell' dreht. Technische Sicherheitsauflagen<br />

erfordern überdies Investitionen, für die wiederum die kollegiale<br />

Zustimmung in den entsprechenden Gremien eingeworben werden muß. 82<br />

Die zwei von uns befragten Universitäten 83 bedienen sich unterschiedlicher<br />

Organisierungsformen zur Wahrnehmung der Betreiberpflichten: An der Universität<br />

A nimmt die entsprechende Stelle beim Präsidenten die Betreiberaufgaben<br />

vollverantwortlich wahr. Das heißt auch, daß der gesamte Schriftverkehr mit den<br />

Genehmigungs- und Überwachungsbehörden von dieser Stelle abgewickelt wird.<br />

Diese Stelle berät zugleich die Labors, wie sie den Formvorschriften des Gesetzes<br />

Genüge tun können. So hat es sich etwa als ein Problem erwiesen, daß aufgrund<br />

der hohen Fluktuation des Universitätspersonals häufig Probleme mit der<br />

Bestellung des Projektleiters und des Beauftragten für Biologische Sicherheit<br />

auftreten. Das hat in der Vergangenheit mehrfach zu vorübergehenden Stillegungsverfügungen<br />

für die betroffenen Labors geführt. Entsprechend hat das<br />

Rechtsreferat den Instituten nun vorgeschlagen, mehrere Personen für diese Befugnisse<br />

auszubilden und bestellen zu lassen, so daß personelle Engpässe überbrückt<br />

werden können. Zugleich nimmt das Rechtsreferat aber, nach eigenem<br />

Bekunden, eine, so wörtlich, "rigorose" Haltung gegenüber den Instituten ein. Die<br />

jährlichen Berichte der Beauftragten für Biologische Sicherheit werden hier überprüft,<br />

ob sie den gesetzlichen Bestimmungen genügen. Genehmigungs- und Anmeldungsanträge<br />

werden nur an die Behörde wietergeleitet, wenn sie erkennbar<br />

die entsprechenden Formvorschriften erfüllen, und ansonsten mit den entsprechenden<br />

Hinweisen zurückgegeben. Als interne Überwachungsinstanz fungiert<br />

der technische Sicherheitsdienst der Universität, der der Rechtsstelle berichtet.<br />

Die andere Universität (B) hat die Betreiberpflichten an die Institutsleiter delegiert.<br />

Das ist dort auch bei anderen Sicherheitsvorschriften, etwa der Gefahrstoffverordnung,<br />

üblich. Die zuständige Stelle hat dementsprechend lediglich beratende<br />

Funktion und ist im Referat für Arbeitssicherheit angesiedelt. Gleichwohl berichtet<br />

auch sie über Konflikte mit Institutsleitern, die allerdings in diesem Modell<br />

einen doppelten Charakter haben: Zum einen beschweren sich die Institutsleiter,<br />

daß sie sich selbst um alles kümmern müssen; andererseits scheint das Arbeitssi-<br />

82 Öffentliche Forschungsorganisationen sind zwar grundsätzlich von der Entrichtung von<br />

Verwaltungsgebühren an die Landesbehörden freigestellt. Allerdings müssen sie für die<br />

Beiziehung der ZKBS - und bei Freisetzunganträgen auch für die Kosten des Beteiligungsverfahrens<br />

- aufkommen. Dies kann eine zusätzliche Belastung darstellen, zumindest<br />

solange dafür in den Etats der Forschungsorganisationen oder bei den Drittmittelgebern<br />

keine ausgewiesenen Haushaltposten bereitstehen.<br />

83 Int. Nr. 16; Hintergrundgespräch Nr. 1; vgl. auch Siller in BG Chemie, Gentechnikrecht,<br />

1992, S. 138ff.<br />

197


cherheitsreferat trotz seiner nominell nur beratenden Funktion de facto auch Ü-<br />

berwachungsfunktionen auszuüben und verfügt nach eigenem Bekunden mit einem<br />

Stillegungshinweis bei exponierten Gefährdungen über ein ausreichendes<br />

Durchsetzungspotential.<br />

Trotz der in den Interviews dargestellten Straffheit interner Kontrollen ist anzumerken,<br />

daß zumindest anfänglich an vielen Universitäten größere Schwierigkeiten<br />

bestanden, die Betreiberpflichten zu organisieren. 84 Für Irritationen bei<br />

den Forschern sorgt - zumindest im Organisationsmodus A (s.o.) - die Dreiecksstellung<br />

'Forscher - Betreiber - Behörde', die nur in beschränktem Maße eine<br />

direkte Kommunikation zwischen den Labors und den Vollzugsbehörden erlaubt.<br />

Im Extremfall sieht man die Universitätsverwaltung sogar "im anderen Lager":<br />

"Der Kanzler und seine Mitarbeiter ... sind nicht primär an dem zügigen Fortgang<br />

gentechnischer Forschungsarbeiten interessiert. Vielmehr werden sie die Priorität<br />

ihres Tuns in der Absicherung der Verwaltung gegenüber der Aufsichtsbehörde sehen.<br />

... Der Gesetzgeber hatte ja - seine Behörden kennend - als Obergrenze für Bearbeitungsfristen<br />

2 - 3 Monate vorgeschrieben; dann sollten Anträge automatisch<br />

angenommen sein. Um diese Fristen zu unterbrechen, hielt der Betreiber [gemeint<br />

ist wohl die Universitätsverwaltung] unsere 'auf den Dienstweg' gebrachten Anträge<br />

erst einmal zurück und schickte informelle Vorabkopien an die Aufsichtsbehörde."<br />

85<br />

Gegen den Vorwurf, daß das Gentechnikgesetz nicht auf die Universitätsstrukturen<br />

zugeschnitten sei, wenden Behördenvertreter ein, daß die Universitäten für<br />

ihre Desorganisation selbst verantwortlich seien und es sich im übrigen auch nicht<br />

um ein gentechnik-spezifisches, sondern ein allgemeines arbeitsschutzrechtliches<br />

Problem handele. 86 Ein mit der Koordination der Betreiberpflichten betrauter<br />

Universitätsvertreter erklärte auf diesen Vorhalt, warum dieses allgemeine Defizit<br />

erst durch das Gentechnikgesetz aufgedeckt wird:<br />

"Bei den bisherigen Rechtsverordnungen aus dem genannten Bereich, wie z.B. der<br />

GefStoffV oder ähnlichen, hatte der Gesetzgeber Fehler begangen, weil er etwas geschaffen<br />

hatte, was nicht umsetzbar war. Sozusagen als Konzession hat er die Umsetzung<br />

dann einfach wenig kontrolliert. Dies hat dazu geführt, daß bei den Universitäten<br />

immer alles einfach weiterlief. Und nun kommen sie eben in die Situa-<br />

84 Auch in den Fällen 'Göttingen' und 'Marburg' waren Verletzungen der Betreiberpflichten<br />

entscheidend für den Konfliktverlauf (s.u., Kap. 7.6.1.).<br />

85 Bujard in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 76ff.<br />

86 Knoche und Maier-Greiner in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 181 respektive S.<br />

244f. Zusätzlich ist anzumerken, daß die Universitäten auch nicht, wie Industrieunternehmen,<br />

der Kontrolle durch fachlich spezialisierte Berufsgenossenschaften unterliegen;<br />

sozialrechtlich zuständig sind die Eigenunfallversicherungen der Länder, die sich allenfalls<br />

mit Gefährdungen befassen, wie sie für Büroarbeitsplätze typisch sind.<br />

198


tion, daß sie durch dieses neue Gesetz, bei dem eine Strafbewehrung und strengere<br />

Kontrollen vorhanden sind, auf einmal vieles neu strukturieren müßten. Und das<br />

stellt die Universitäten vor ein Problem, welches durch das GenTG aufgeworfen<br />

wird." 87<br />

7.5. Risikowahrnehmung und Risikokontrolle im Labor<br />

Um die Organisation der Risikokontrolle im Labor selbst kennenzulernen, insbesondere<br />

im Bezug auf Wahrnehmungs- und Verhaltenskomponenten, die von der<br />

behördlichen Überwachung nicht erfaßt werden (können), haben wir mit drei<br />

universitären Arbeitsgruppen aus dem Bereich der molekularbiologischen Grundlagenforschung,<br />

der klinischen Medizin und der Pflanzengenetik ausführliche<br />

Interviews geführt. 88 Um ein möglichst vollständiges Bild exemplarischer Organisationsabläufe<br />

zu erhalten, wurden dabei möglichst alle der mit einem Projekt<br />

betrauten Arbeitsgruppenmitglieder befragt. Selbstverständlich müssen die Antworten<br />

vorsichtig interpretiert werden, weil sie weder repräsentativ sein können,<br />

noch zwangsläufig eine 'ungeschminkte' Abbildung der tatsächlichen Verhältnisse<br />

darstellen. 89<br />

Soweit sich erkennen läßt, sind grundlegende Sicherheits- und Hygieneregeln<br />

bei den Labormitarbeitern präsent. Ob dies auf Einflüsse des Gentechnikgesetzes<br />

zurückzuführen ist, läßt sich jedoch kaum sagen, weil die meisten dieser Regeln<br />

ohnehin für den Produktschutz erforderlich sind und die meisten Labormitarbeiter<br />

- z.B. als Doktoranden - keine Erfahrungen über die Zeit vor 1990 besitzen. Die<br />

Herkunft und die genaueren Funktionsaspekte der Regeln bezüglich des Produkt-,<br />

Arbeits- und Umweltschutzes sind vielen der noch weniger erfahrenen Labormitarbeiter<br />

nur rudimentär bewußt: "So gut bin ich nicht informiert. Ich habe jetzt<br />

nicht alle Bestimmungen im Kopf, da muß man eben nachfragen." (Int. Nr. 6, S.<br />

43)<br />

Denn eine offenbar typische Situation sieht so aus: Ein Biologie- oder ein Medizinstudent<br />

bewirbt sich um eine Diplom- oder Doktorarbeit. Er kommt in ein<br />

Labor und wird dort von einem der 'Laborältesten' in die für seine Arbeit grundlegenden<br />

Techniken eingeführt. Insgesamt herrscht in akademischen Organisationen<br />

auch in höheren Positionen, etwa bei Postdocs, eine hohe Fluktuation, so daß<br />

87 Siller in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 182.<br />

88 In den Interviews ging es darüber hinaus auch um Fragestellungen, die in den nächsten<br />

beiden Kapiteln behandelt werden.<br />

89 Zu näheren methodischen Hinweisen vgl. Anhang 1.<br />

199


die Situation des 'Neulings' für die Forschung fast die Regel ist. 90 Bei der Einweisung<br />

durch den Laborältesten lernt der Neuling auch die entsprechenden Sicherheits-<br />

und Hygieneregeln, die im Labor mehr oder weniger ritualisiert sind.<br />

Dasselbe gilt im übrigen auch für den Strahlenschutz (Int. Nr. 5, S. 17ff.). Diese<br />

Regeln werden nicht hinterfragt, nach gesetzlicher Verankerung, den verschiedenen<br />

Funktionsaspekten etc., weil es erstens 'Wichtigeres' zu tun gibt und zweitens<br />

eine Auseinandersetzung mit dem im Labor gepflegten Ritual gruppendynamisch<br />

sehr aufwendig wäre. Zu erwarten ist allenfalls, daß der einzelne Regeln, die er<br />

nicht einsieht, individuell mißachtet, wenn er sich unbeobachtet glaubt.<br />

Interessant ist dabei, daß besonders die allgemeine Risikowahrnehmung gegenüber<br />

der Gentechnik innerhalb einer Arbeitsgruppe überraschend stark - analog<br />

der Einstellung zu sonstigen Umweltthemen - variieren kann, während gleichzeitig<br />

der im Gruppenritual sich manifestierende Sicherheitsstandard offenbar<br />

klaglos akzeptiert wird. Eine Gruppe z.B. arbeitet grundsätzlich in der Sicherheitsstufe<br />

2, obwohl ihre Arbeiten von der Behörde in Stufe 1 eingruppiert wurden.<br />

Dies wird zwar von einzelnen Arbeitsgruppenmitgliedern unterschiedlich begründet<br />

- mit Arbeitsschutz, Produktschutz und Tradition -, aber von niemandem<br />

beklagt. Auch die Zielsetzung eines Projekts kann von den einzelnen Beteiligten<br />

sehr unterschiedlich interpretiert werden; das von uns untersuchte Freisetzungsprojekt<br />

z.B. wird von einigen Mitarbeitern als ernstgemeinte Risikoforschung<br />

verstanden, während es der Initiator, der die Freisetzung von transgenen Organismen<br />

im allgemeinen für unbedenklich hält, als Maßnahme zur publikumswirksamen<br />

Akzeptanzbeschaffung betrachtet (unten Kap. 8.7.2., Int. Nr. 11 und Int.<br />

Nr. 12.).<br />

Weniger überraschend als die arbeitsgruppen-interne Varianz der Risikowahrnehmung<br />

sind die Unterschiede zwischen den von uns befragten Arbeitsgruppen.<br />

In der eher egalitären Arbeitsgruppe ist insgesamt eine höhere Risikosensibilität<br />

zu verzeichnen als in den beiden eher hierarchisch koordinierten<br />

90 Eine Mitarbeiterin der Überwachungsbehörden bemerkt dazu: "Gerade in [öffentlichen]<br />

Forschungseinrichtungen stellt sich die Frage: Wer sind überhaupt die Beschäftigten? Die<br />

festangestellten Wissenschaftler und das festangestellte technische Personal sind dabei mit<br />

Sicherheit in der Minderzahl. In der Regel werden in gentechnischen Labors, vor allem in<br />

Universitäten, die Arbeiten von Doktoranden, Diplomanden, Drittmittelbeschäftigten, Stipendiaten,<br />

Studenten, sogar Schülern durchgeführt. ... Diese Mehrheit nichtfestangestellter<br />

Beschäftigter kann ein erhöhtes Risiko mit sich bringen. Denn oft ist eine hohe Fluktuation,<br />

wenig Verantwortungsbewußtsein für das Labor und die Geräte und leider auch eine<br />

'allgemeine Unaufgeräumtheit' die Folge" (Hoffmann in BG Chemie, Gentechnikrecht,<br />

1992, S. 255).<br />

200


Gruppen. 91 In der eher egalitär organisierten Gruppe wird auch gelegentlich heftig<br />

über Risiko- und Ethikfragen diskutiert: 92<br />

"Also emotionsgeladen häufig auch deshalb, weil bestimmte Leute eine sehr eingefahrene<br />

Meinung zu bestimmten Sachen haben, also für die einen ist das überhaupt<br />

kein Problem, für die anderen ist das ein Riesenproblem, und dann rutscht das<br />

manchmal auch auf eine sehr persönliche Ebene." (Int. Nr. 7, S. 82)<br />

Währenddessen wird in den eher hierarchisch organisierten Gruppen über die dort<br />

durchaus vorhandenen Meinungsunterschiede kaum kommuniziert. 93 Aber in<br />

keiner der befragten Gruppen werden Meinungsunterschiede so intensiv ausgetragen,<br />

daß eine vollständige Konvergenz der Sichtweisen zu konstatieren wäre. 94<br />

Mögliche Dissonanzen werden offenbar durch die zum Teil sehr ausgeprägte<br />

Arbeitsteilung und Entkopplung - besonders zwischen den verschiedenen an einem<br />

Projekt beteiligten Arbeitsgruppen 95 - absorbiert. Hierbei ist allerdings zu<br />

berücksichtigen, daß es sich um Meinungsunterschiede in Bezug auf die weitere<br />

Entwicklung und Verwendung des Laborkonstrukts in der natürlichen und gesell-<br />

91 Eine der eher hierarchischen Gruppen arbeitet in der klinischen Medizin, einem Bereich,<br />

der sich in seiner Risikosensibilität, wie auch von anderer Seite mehrfach bestätigt, gegenüber<br />

der Gentechnik auch aus inhaltlichen Gründen unterscheidet: Ärzte treffen mit ihren<br />

Eingriffen am Patienten täglich riskante Entscheidungen, deren Auswirkungen zumindest<br />

weitaus unmittelbarer sind als die Folgen der Gentechnik. Zudem sind sie mit einer beständigen<br />

natürlichen Ansteckungsgefahr durch ihre Patienten konfrontiert, die mit Sicherheitsmaßnahmen<br />

sehr viel weniger als im Labor einzudämmen sind. Außerdem sind Gruppen<br />

in der klinischen Medizin fast zwangsläufig hierarchisch organisiert, weil anders als in<br />

den handlungsentlasteten Bereichen der Grundlagenforschung in der Patientenbehandlung<br />

schnelle Entscheidungen getroffen und vom Chefarzt zumindest symbolisch verantwortet<br />

werden müssen (vgl. Bosk, Forgive, 1979).<br />

92 Vgl. Kap 9.3.3.<br />

93 Explizit dazu Int. Nr. 1, S. 26ff.<br />

94 Generell ist zu bemerken, daß sich die geäußerten Gefahreneinschätzungen bei den Arbeitsgruppenmitgliedern<br />

sehr stark von der Risikowahrnehmung durch die interessierte Öffentlichkeit<br />

unterscheiden, die generell als übertrieben angesehen wird. In Rechnung zu<br />

stellen ist dabei insbesondere die Vertrautheit ('familiarity') im Umgang mit einer eng umgrenzten<br />

Zahl unterschiedlicher transgener Organismen, von denen man sich einfach nicht<br />

vorstellen kann, daß sie irgendwie gefährlich sein könnten, während bei Fragen nach Experimenten<br />

und transgenen Organismen, mit denen man weniger Erfahrung hat, sich die Aussagen,<br />

auch im Sprachduktus, sehr viel stärker der Diskussion in der interessierten<br />

(Fach)Öffentlichkeit annähern (vgl. z.B. Int. Nr. 14, S. 11ff.). Dabei ist allerdings bei akademischen<br />

Anfängern häufig festzustellen, daß sie von der fachöffentlichen Sicherheitsdiskussion<br />

noch wenig berührt wurden, während umgekehrt besonders die Projektleiter mit<br />

dieser Diskussion gut vertraut sind, gerade weil sie weniger im Labor, sondern eben in<br />

(fach)öffentlichen Foren engagiert sind.<br />

95 An den von uns untersuchten Fallbeispielen zur Freisetzung und Gentherapie waren jeweils<br />

mindestens zwei Arbeitsgruppen beteiligt.<br />

201


schaftlichen Umwelt handelt, also in Bezug auf Freisetzung oder Gentherapie<br />

(vgl. Kap. 8 und 9), während die Regeln für den direkten Umgang im Labor, also<br />

im Geschlossenen System, offenbar nirgends umfassender diskutiert werden.<br />

Abweichendes Verhalten wird hier innerhalb der Arbeitsgruppen durch offenbar<br />

erwartete - oder explizit ausgeübte - Sanktion unterbunden.<br />

In einer Arbeitsgruppe wird von einer eher egalitär funktionierenden sozialen<br />

Kontrolle berichtet:<br />

"Wenn jetzt irgendwie alles schiefläuft, ... Also es sind häufig so lästige Sachen, wo<br />

dann irgendjemand den Autoklaven mit dem Müll nicht ausgeräumt hat oder ..., und<br />

es jetzt immer einer machen soll und immer wieder der gleiche es macht und die<br />

anderen keinen 'Bock' darauf haben, dann gibt es irgendwann, wenn's dann geknallt<br />

hat, halt eine Laborbesprechung und da kommt das alles auf den Tisch, und dann<br />

sagt jeder jedem die Meinung und dann reguliert sich das wieder." (Int. Nr. 7, S. 55)<br />

In den beiden anderen Arbeitsgruppen scheint dagegen die Kontrollfunktion stärker<br />

dem Projektleiter bzw. der Technischen Angestellten zu obliegen. Von Bedeutung<br />

für die Einhaltung alltäglicher Sicherheitsregeln ist in jedem Fall die<br />

funktionelle Hierarchie, die sich in der praktischen Labororganisierung etabliert.<br />

Die Bezeichnung 'Laborältester' (oder 'Laborälteste') haben wir gewählt, um eine<br />

Funktion zu markieren, wie sie in der offiziellen Rollenbeschreibung z.B. des<br />

Gentechnikgesetzes nicht vorgesehen ist: Als Projektleiter im Sinne des Gesetzes<br />

fungiert in der Regel der Instituts- oder Arbeitsgruppenchef, meist ein Hochschullehrer,<br />

der aber selbst kaum noch im Labor steht. Durch seine Erfahrung und die<br />

Involviertheit in die (fach-)öffentliche Sicherheitsdiskussion kann er die generelle<br />

Gefährlichkeit der Experimente gut einschätzen, ist aber andererseits von den<br />

kleinen Entscheidungen und Beobachtungen im Laboralltag weitgehend abgeschnitten.<br />

Das bedeutet zugleich, daß ihm unerwartete und überraschende Vorkommnisse,<br />

die er mit seinem vergleichsweise umfassenderen Wissens- und Erfahrungshorizont<br />

vielleicht auch besser deuten könnte, häufig gar nicht mitgeteilt<br />

werden.<br />

Die praktischen Aufgaben des Projektleiters - u.a. Sicherheitsbelehrungen und<br />

Überwachung - werden vielmehr von einem 'Majordomus' wahrgenommen, der<br />

als ein Bindeglied zwischen experimenteller Arbeit auf der einen und Theorie und<br />

Forschungsmanagement auf der anderen Seite fungiert, zugleich aber auch eine<br />

dritte Instanz darstellt. Häufig ist der 'Laborälteste' ein Labortechniker (TA), u.a.<br />

deshalb, weil es bei den TA's die niedrigste Fluktuation gibt. 96 Die Frage des<br />

positionellen Status ist dabei nebensächlich, weil der Neuling in jedem Fall auf<br />

die Kooperation des 'Laborältesten' angewiesen ist.<br />

96 Int. Nr. 5, insbesondere S. 2ff.<br />

202


Wenn man die überaus komplizierten Sicherheitsregeln im Gentechnikrecht betrachtet,<br />

fragt man sich, wie die Mitarbeiter im Labor diese überhaupt kennen<br />

können. Hier findet eine zweifache Komplexitätsreduktion statt. Die erste wird<br />

von der Behörde bzw. vom Rechtsreferat des Betreibers vorgenommen, die im<br />

Genehmigungsbescheid die für die entsprechenden Arbeiten relevanten Regeln<br />

aufführen. Der Genehmigungsbescheid wiederum wird von dem Laborältesten<br />

rezipiert, mit den aus Produktschutzgründen ohnehin geltenden Hygieneregeln<br />

abgestimmt und im Laboralltag an die übrigen Mitarbeiter in praxistauglicher<br />

Form weitervermittelt und schließlich im Gruppenritual eingeübt. Dies verdeutlicht<br />

noch einmal die Schlüsselstellung, die dem 'Laborältesten' in praktischen<br />

Sicherheitsfragen zukommt.<br />

Angesichts der Tatsache, daß die Funktion des 'Laborältesten' häufig von einem<br />

TA wahrgenommen wird, ist allerdings umso erstaunlicher, daß in der Ausund<br />

Fortbildung der Labortechniker die speziellen Sicherheitsfragen der Gentechnik,<br />

anders als die konventionellen Bestimmungen zur Mikrobiologie, noch keinen<br />

Eingang gefunden haben (Int. Nr. 7, S. 75).<br />

Hingegen war bei den Arbeitsgruppen festzustellen, daß der formell vorgesehene<br />

Beauftragte für Biologische Sicherheit (BBS), dem im Gentechnikrecht<br />

wichtige Kontrollfunktionen zukommen, mehr auf dem Papier als in Wirklichkeit<br />

existiert. Zum Teil wurde, um seine Unabhängigkeit zu garantieren, auf Vorschlag<br />

der Behörde 97 nicht ein Mitarbeiter der Arbeitsgruppe, der dem Projektleiter<br />

zwangsläufig positionell untergeben ist, sondern eine außenstehende Person<br />

gewählt. Damit wird aber in der Praxis offenbar nicht nur die gewünschte Unabhängigkeit,<br />

sondern auch die praktische Abwesenheit und Funktionslosigkeit<br />

garantiert. 98<br />

Das Alltagsgefühl bei der Laborarbeit wird, auch im Unterschied zum allerdings<br />

selteneren Umgang mit radioaktiven Substanzen im Isotopenlabor, als wenig<br />

befangen beschrieben. Man könnte dies als Nonchalance interpretieren.<br />

Wahrscheinlicher ist allerdings, daß dieses Sicherheitsgefühl aus der Einhaltung<br />

fester Sicherheitsregeln resultiert und Verunsicherungsgefühle nur eintreten, wenn<br />

die konventionalisierten Regeln verletzt werden. So wird aus der Gruppe, in der<br />

grundsätzlich auch bei in Risikostufe 1 eingestuften Experimenten unter S 2-Bedingungen<br />

gearbeitet wird, berichtet:<br />

"Wenn ich in ein anderes Labor komme und sehe ... mir vorstelle, daß ich jetzt mit<br />

meinen Pullis auf dem Tisch da rumarbeiten würde, das wäre mir persönlich unangenehm.<br />

... Ich glaube, es liegt einfach daran, ich kenne das nicht anders. Also auch<br />

97 Zum Problem der organisationalen Stellung von BBS in öffentlichen Forschungseinrichtungen<br />

vgl. Hoffmann in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 254.<br />

98 Int. Nr. 15, S. 65; Int. Nr. 11, S. 47.<br />

203


die Vorstellung, nicht mit Handschuhen zu arbeiten, oder nicht mit einem Kittel zu<br />

arbeiten, das ist ..., nein, ich finde das eklig." (Int. Nr. 7, S. 43)<br />

Verunsicherungsgefühle werden auch als eher kontraproduktiv für den praktischen<br />

Umgang mit Sicherheitsregeln beschrieben:<br />

"Ich erlebe das bei manchen anderen, wenn die denken, es ist sehr, sehr gefährlich,<br />

was sie da machen, dann erlebe ich das eher so, daß die dann häufiger Fehler machen<br />

oder dann eher mal was umkippen - und dann 'oh Gott, oh Gott jetzt ist da alles<br />

umgekippt' - und in dem Moment anfangen ... und ein bißchen Panik kriegen. Da<br />

sehe ich es eben auch als meine Aufgabe oder überhaupt als Aufgabe derer, die<br />

schon erfahrener sind, diese Angst erst mal abzubauen oder auch zu sagen, wenn Du<br />

da was umkippst, selbst wenn Du es über die Finger kippst, was machst Du dann eigentlich,<br />

... da den Leuten auch klarzumachen, gut es ist nicht schön, wenn so was<br />

passiert, aber man muß dann einfach die Nerven behalten und irgendwie die notwendigen<br />

Schritte einleiten ..." (Int. Nr. 7, S. 57)<br />

Man kann die Beschreibungen einzelner Labormitarbeiter also so interpretieren,<br />

daß bei Einhaltung der mehr oder weniger ins Unterbewußtsein abgesunkenen<br />

Sicherheitsregeln auch ein unbefangenes Sicherheitsgefühl eintritt, ähnlich wie bei<br />

einem Autofahrer, der sich ohne Sicherheitsgurt zwar irgendwie nackt fühlt, aber<br />

bei angelegten Sicherheitsgurt auch nicht immer an die Gefahren des Autofahrens<br />

denkt.<br />

In Übereinstimmung mit dieser Interpretation von der Konventionalisierung der<br />

Risikokontrolle kann man also zum einen konstatieren, daß trotz unterschiedlicher<br />

Risikosensibilitäten innerhalb der Arbeitsgruppen relativ einheitliche<br />

Sicherheitsstandards hergestellt werden können. Wie effektiv diese Sicherheitsstandards<br />

sind, läßt sich mit sozialwissenschaftlichen Methoden nicht feststellen -<br />

dazu müßte mit mikrobiologischen Methoden die Zahl und Art der Keime auf<br />

Laborflächen, -kitteln und -abwässern bestimmt werden. 99 Entscheidend ist aber<br />

ohnehin die Frage, ob die Einhaltung der Hygieneregeln - jenseits des aus Produktschutzgründen<br />

Erforderlichen - überhaupt als sinnvolles Ziel angesehen wird.<br />

Da alle befragten Labormitarbeiter spontan 100 bestreiten, daß ihre eigenen nach<br />

S 1 eingestufte Organismen im Laborumgang gefährlich sein könnten, verschwimmen<br />

die Maßstäbe und die Motivation zu einer präziseren Verhaltenskontrolle.<br />

So kommentiert ein Projektleiter die Arbeit in der Stufe S 1 in Absetzung<br />

von seiner Ansicht nach 'fahrlässigen' Verstößen gegen die Vorschriften der höheren<br />

Sicherheitsstufen:<br />

99 Eine Arbeitsgruppe gibt auch an, daß sie gelegentlich auf Anraten der Behörde durch<br />

sogenannte Abklatschtests die Keimzahlen auf Laboroberflächen bestimmt (Int. Nr. 7, S.<br />

59f.). Es handelt sich also um eine Art von Eigenüberwachung.<br />

100 Auf nähere Nachfrage werden dann eventuell doch Ungewißheiten eingeräumt.<br />

204


"Während Sie in einem undefinierbaren Gefahrenpotential [S 1] natürlich auch diese<br />

Fahrlässigkeit nicht haben: Wenn einer nur das Regelwerk verletzt, weil es eigentlich<br />

egal ist, ob er es nun erfüllt oder nicht, die Konsequenzen sind die gleichen."<br />

(Int. Nr. 9, S. 61)<br />

Und er stuft die Einhaltung der Hygieneregeln des Gentechnikgesetzes in seinem<br />

Labor im Vergleich so ein:<br />

"[E]s gibt da auch Leute, die es lächerlich machen, indem sie ihre Werke demonstrieren<br />

oder sonst was tun oder die Formalien erfüllen und bewußt daran vorbeiarbeiten<br />

und das ab und zu auch sagen, seht mal, wie schlecht es nun ist [das Gentechnikgesetz],<br />

oder Leute, die es relativ distanziert sehen, vielleicht wie wir, die<br />

sagen wir erfüllen diese Auflagen. Ich bin durchaus der Meinung, daß, was in den<br />

Auflagen drinsteht, daß das auch so sein sollte, und wir bemühen uns, das auch so<br />

zu machen, aber natürlich sehen wir auch unser tagtägliches Chaos und sagen 'mein<br />

Gott, wenn das nur nach dem Gentechnikgesetz aufgearbeitet werden würde und<br />

was dort alles gleich zum Tragen gekommen wäre ...' Das sind vielleicht so die Dimensionen.<br />

Es gibt auch andere Leute, die das ungeheuer penibel erfüllen, wobei<br />

denke, dann können sie wahrscheinlich nicht mehr richtig forschen." 101<br />

Die Konventionalisierung bedeutet zugleich, daß eine Reflexion und Diskussion<br />

der Standards zumindest in Bezug auf den Umgang im Geschlossenen System<br />

nicht (mehr) stattfindet. Das scheint in früheren Zeiten zum Teil anders gewesen<br />

zu sein:<br />

"... ich kenne ja nun die Zeiten vor dem Gesetz, und da kenne ich aus eigener Erfahrung,<br />

was hier am Institut so gelaufen ist an Überlegungen zur Sicherheit. Was ich<br />

wirklich gut fand, weil mit so einem Verantwortungsgefühl daran gegangen wurde<br />

und gesagt wurde, 'gut wir richten unsere Labors eben so ein, daß sie lieber eine<br />

Nummer zu sicher sind, als daß sie eine Nummer zu unsicher sind, und überlegen<br />

uns jetzt einfach, wie kann man jetzt, wenn bestimmte Kulturgefäße umfallen oder<br />

umkippen, wie kann man da vorher die Geräte anders aufstellen oder umbauen', o-<br />

der so einen Kleinkram, und da eigentlich mit so einem Verantwortungsgefühl herangegangen<br />

wird, was ich jetzt, seit es nun das Gentechnikgesetz gibt, und ich jetzt<br />

ganz häufig eben auf solchen größeren Veranstaltungen bin, [nicht mehr sehe]. Wo<br />

Leute aus anderen Instituten kommen, viele aus medizinischen Instituten, wo ich<br />

den Eindruck habe, die Leute kümmern sich eigentlich nur noch darum, wie erfülle<br />

ich das Gesetz richtig und wie fülle ich diesen Antragbogen richtig aus, und daß<br />

jetzt gar nicht mehr wirklich nachgedacht wird, welchen Sinn das hat." (Int. Nr. 7,<br />

S. 21)<br />

Die gleiche Mitarbeiterin stellt aber später im Interview auch den gegenteiligen<br />

Effekt heraus, daß nämlich durch das Gentechnikgesetz wenigstens ein Min-<br />

101 Int. Nr. 9, S. 61. Verstöße im Detail aus pragmatischen Gründen werden gelegentlich<br />

auch von anderen Interviewteilnehmern eingeräumt (z.B. Int. Nr. 14, S. 43).<br />

205


destmaß an Reflexion erzwungen würde. Sie antwortet auf die Frage, ob man S 1-<br />

Experimente vom Gentechnikgesetz ganz ausnehmen sollte:<br />

"Also wenn ich mir vorstelle, es wäre ganz abgeschafft, und das meiste ist ja nun<br />

nur noch S 1, und die müßten sich dann nie Gedanken drüber machen, ... Viele wissen<br />

dann auch einfach gar nicht, was ist daran gefährlich oder was nicht, oder machen<br />

die sich eben auch keine Gedanken, wenn sie jetzt irgendeinen anderen Bakterienstamm<br />

aus dem Nachbarlabor kriegen, ist der jetzt wirklich noch S 1 oder nicht.<br />

Die machen sich dann irgendwie gar keine Gedanken mehr drüber. ... Nein, also ich<br />

finde es albern, jetzt für S 1 diesen Riesenpapierkrieg zu führen, ich finde diesen<br />

Papierkrieg sowieso teilweise albern, aber doch, ich finde, ein bißchen gezwungen<br />

werden müssen die Leute schon, daß sie sich Gedanken machen." (Int. Nr. 7, S. 62)<br />

Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß zwar ein Mindestmaß an konventionalisierten<br />

Hygieneregeln in den meisten Labors wohl eingehalten wird,<br />

obwohl deren Sinnhaftigkeit - jenseits des Produktschutzes - gerade im S 1-<br />

Bereich durchaus bezweifelt wird. Generell wird zwar auf Nachfrage von allen<br />

Interviewpartnern eingeräumt, daß ein verborgenes Risiko, so wie man es etwa<br />

bei den FCKW mit starker zeitlicher Verzögerung im Nachhinein erkannt hat,<br />

auch bei der Gentechnik nicht auszuschließen ist. Eine ständige fachkundige Beobachtung<br />

und eine Dauerreflexion unerwarteter Vorkommnisse findet aber - bei<br />

Arbeiten im Geschlossenen System - kaum (mehr) statt, obwohl auch hier viele<br />

Experimente nach wie vor nicht zuverlässig reproduzierbar, also im klassisch<br />

naturwissenschaftlichen Sinne nicht vollständig verstanden sind:<br />

" ... oder einfach diese Zellen mal nicht exprimieren und keiner weiß mal wieder<br />

warum, obwohl alles genauso gemacht worden ist wie früher ..." (Int. Nr. 9, S. 14)<br />

Ungewißheitsbasierte Vorsorge reduziert sich also auf einen mehr oder weniger<br />

'lax' gehandhabten Sicherheitszuschlag; erfahrungsbasierte Vorsorge, also der<br />

Umgang mit anerkanntermaßen pathogenen Organismen, dürfte etwas ernster<br />

genommen werden, auch wenn aufgrund der in der Universität grundsätzlich<br />

bestehenden Rahmenbedingungen - Fluktuation, Koordinierungsmängel und Ressourcenengpässe<br />

- keine wirklich 'zuverlässige Sicherheitsorganisation' 102 zu<br />

erwarten ist.<br />

102 'High reliability organizations' sind von der organisationssoziologischen Literatur am<br />

Beispiel der NASA, von Flugzeugträgern und Atomkraftwerken untersucht worden (Pigeon,<br />

Journal of Cross-Cultural Psychology 1991; Roberts, California Management Review<br />

1990; Schulmann, Administration & Society 1993; Heimann, American Political<br />

Science Review 1993). Sie sind mit dem paradoxen Organisationserfordernis konfrontiert,<br />

permanente Wachsamkeit und rigide Verhaltenskontrollen angesichts bekannter Gefahrenanzeichen<br />

mit kognitiver Offenheit und koordinierter Kommunikation angesichts<br />

unerwarteter Vorkommnisse zu verbinden.<br />

206


7.6. Das Gentechnikgesetz: Akzeptanzprobleme auf seiten der Forscher<br />

Trotz der pauschalen Polemik, mit der Genforscher gelegentlich in öffentlichen<br />

Statements das Gentechnikgesetz attackieren, können wir aufgrund unserer Interviewerfahrung,<br />

die auch von einer anderen, in dieser Hinsicht ähnlich verfahrenden<br />

Studie bestätigt wird, 103 kein generelles Akzeptanzdefizit gegenüber dem<br />

Gesetz bei den befragten Genforschern feststellen. Es wird zwar viel Kritik im<br />

Detail - an der Widersprüchlichkeit einzelner Vorschriften und am Vorgehen<br />

einzelner Vollzugsbehörden - geäußert, der Sinn einer gesetzlichen Regelung aber<br />

nicht grundsätzlich bezweifelt.<br />

Der unterschiedliche Tenor der öffentlichen Stellungnahmen und der Interviewaussagen<br />

dürfte zwei Gründe haben: Der erstgenannte Artikulationsmodus<br />

befördert zugespitzte, der letztere moderate Äußerungen. Um in medienwirksamen<br />

Debatten Gehör zu finden, müssen sich Genforscher aktiv engagieren oder<br />

über eine wichtige Stellung in Professionsverbänden verfügen. Beide Bedingungen<br />

wirken wahrscheinlich selektiv zugunsten zugespitzter Wahrnehmungen<br />

und Äußerungen. Umgekehrt kommen bei Befragungen Genforscher zu Wort, die<br />

nicht zwangsläufig in öffentlichen Debatten engagiert sind oder durch ihre Teilnahme<br />

an Studien, die nicht erkennbar auf bloße Akzeptanzbeschaffung ausgerichtet<br />

sind, ihre Bereitschaft zu einer differenzierteren Auseinandersetzung dokumentieren.<br />

Es ist jedenfalls festzustellen, daß sie als Beteiligte der hier erzeugten<br />

Sprechsituationen zu moderaten Äußerungen neigen.<br />

Sprechsituationen, die direkte Nachfragen erlauben, zwingen die Befragten<br />

stärker, auf Widersprüche in ihren Aussagen einzugehen, als das in den meisten<br />

publikumswirksamen Debatten der Fall ist. So äußerst ein Projektleiter zu der<br />

Frage, ob Sicherheits- und Hygienerichtlinien für die Gentechnik gesetzlich verankert<br />

sein sollten:<br />

"Ja, die beste Antriebskraft ist doch für die einzelnen Leute: Klappt das Experiment?<br />

Die Mikrobiologen regeln das eigentlich immer so: Jeder, der nicht sauber<br />

mikrobiologisch arbeitet, kriegt auch kein Experiment zustande. ... Das ist ja ein<br />

Phänomen, was es seit 1960 und länger schon gibt, daß man versucht, erst mal die<br />

inhaltliche Seite zu vermitteln, also: 'Du mußt sauber arbeiten, damit Dein Experiment<br />

auch funktioniert. Und wenn Dein Experiment nicht funktioniert hat und die<br />

Ratio stimmt, dann hast Du garantiert nicht sauber gearbeitet. Anstatt zu sagen:<br />

wenn Du das und das alles einhältst und Dich an diesen Spielraum hältst, dann bist<br />

Du ein anständiger Mensch und dann wollen wir Dich auch nicht bestrafen.'"<br />

103 Hasse et al., Technologisierung, 1994.<br />

207


Interviewer: "Aber es gibt doch Situationen, in denen sich der Forscher weder selbst<br />

gefährdet noch seine Kulturen verschmutzt, wenn er z.B. irgendetwas ins Abwasser<br />

gibt."<br />

Projektleiter: "Ja, das ist ein gutes Argument. Ich denke der Abwasserbereich erfordert<br />

Regeln und Gesetze, erfordert dies nicht nur im Gentechnikbereich. ... Ich lehne<br />

das Gesetz zwar grundsätzlich ab, und bezweifle, daß es ein Gesetzkonstrukt geben<br />

muß. Aber viele dieser Dinge sind durchaus sinnvoll. Im Abwasserbereich hätte<br />

man auf jeden Fall geregelt, so wie man im Krankenhaus Abfall und Abwasserbereich<br />

geregelt hat, ohne daß dort Gentechnik eine Rolle spielt, oder wie man das im<br />

Chemikalienbereich geregelt hat. Da ist Regelungsbedarf und da kann man ja auch<br />

sagen, bitte wir wollen dieses Zeug nicht im Abwasser sehen. Wenn wir es sehen,<br />

dann hast Du da was falsch gemacht und dann werden wir Dich rankriegen." (Int.<br />

Nr. 9, S. 63f.)<br />

Insofern entwickelt sich in interneren und informierteren Sprechsituationen - wie<br />

sie nicht nur durch die Interviews, sondern auch in anderen nicht direkt publikumswirksamen<br />

Diskussionen 104 entstehen - eine andere Kritik als in öffentlichkeits-<br />

und politikwirksamen Foren, wie sie etwa von Verbandsvertretern in Bundestagshearings<br />

vorgebracht wird.<br />

7.6.1. Probleme mit der bürokratischen Rationalität: das Verhältnis zwischen<br />

Forschern und Behörden<br />

Im Vollzug des Gentechnikgesetzes kommt es zur Konfrontation zwischen der<br />

bürokratischen Rationalität der Behörden und der wissenschaftlichen Rationalität<br />

der Forschung. Grundsätzlich ist dies schon seit längerem ein Problem der Forschungsverwaltung.<br />

105 Besonders zugespitzt hat es sich gerade bei der Implementierung<br />

des Gentechnikgesetzes, weil die öffentlich finanzierte Wissenschaft<br />

erstmals mit einem ernsthaft vollzogenen Gesetz konfrontiert wurde und sich die<br />

Behörden und entsprechende für die Organisierung der Betreiberverantwortung in<br />

den Forschungsorganisationen zuständige Stellen, aufgrund interner Anlaufschwierigkeiten<br />

(s.o.) und der erregten öffentlichen Debatte, zumindest in der<br />

Anfangszeit bei Interpretationsschwierigkeiten auf eine möglichst 'buchstabengetreue'<br />

Auslegung zurückgezogen haben.<br />

Ein Institutsleiter beschreibt die Vorzüge einer gleichberechtigten Nutzung einer<br />

gemeinsamen Forschungsinfrastruktur (Zellkultur-, Brut- und Kühlräume,<br />

Tierställe, Meß- und Zentrifugenräume etc.) und zeigt den Konflikt mit der im<br />

Gesetz vorgesehenen Verantwortungszuweisung auf:<br />

104 Vgl. etwa die in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992 dokumentierte Tagung.<br />

105 Bahrdt, Wissenschaftssoziologie, 1971; Hohn/Schimank, Konflikte, 1990.<br />

208


"Das erste Problem trat auf, als wir nach dem Inkrafttreten des Gentechnik-Gesetzes<br />

unsere vernetzte Struktur in einzelne gentechnische Anlagen aufgliedern mußten.<br />

Bis dahin waren nur die Hauptlabors des Z<strong>MB</strong>H als Genlaboratorien bei der ZKBS<br />

angemeldet gewesen. Diese wurden nun per Gesetz zu "Gentechnischen Anlagen".<br />

Dies löste jedoch nicht das Problem der vielen gemeinsam benutzten "Nebenräume",<br />

in denen z.T. sowohl S 1- als auch S 2-Arbeiten durchgeführt werden, also<br />

Projekte, die von unterschiedlichen Leitern in mehr als einer Anlage durchgeführt<br />

werden.<br />

Obwohl eine Neugliederung der Anlage eigentlich die Aufgabe des Betreibers ist,<br />

der sich dazu jedoch nicht in der Lage sah, habe ich als Institutsdirektor versucht,<br />

die gemeinsam genutzten Nebenräume für alle betroffenen Anlagen anzumelden.<br />

Dies wurde von der Aufsichtsbehörde nicht akzeptiert: Sie bestand auf der Regel<br />

'Ein Raum kann nicht Teil mehrerer Anlagen sein'. Nach langer Diskussion wurde<br />

schließlich ein Lösungsvorschlag von den Behörden akzeptiert: Gemeinsame Nebenräume,<br />

wie z.B. die Spül- und Autoklavräume, werden einer der S 2-Anlagen<br />

zugeordnet. Man kann nun ein gentechnisches Projekt in mehreren Anlagen durchführen,<br />

wobei jedoch Fragen zur Protokollführung [gemäß GentechnikaufzeichnungsV]<br />

nach wie vor offen sind." 106<br />

Solche Probleme sind weder für die Wissenschaft im allgemeinen noch für die<br />

Gentechnik im besonderen spezifisch, sondern treten immer auf, wenn die Logik<br />

von universellen, detaillierten und mit der übrigen Rechtsordnung kompatiblen<br />

Gesetzen in heterogene Lebensbereiche eingreift, deren Organisation zunächst<br />

anderen - ehemals oder gegenwärtig funktionalen - Prämissen folgt. Auch 'antibürokratische'<br />

Mentalitäten und Diskurse finden sich nicht nur in der Wissenschaft,<br />

sondern ebenso im 'freien Unternehmertum' und generell bei der Mehrzahl der<br />

Gesetzesunterworfenen.<br />

Eine besondere Konfliktdynamik scheint aber daraus zu resultieren, daß die individuelle<br />

Kommunikation zwischen (leitenden) Wissenschaftlern und Behördenvertretern<br />

von Statusinkongruenzen gekennzeichnet ist: Der 'große Professor' muß<br />

Verhaltensanweisungen entgegennehmen von einem 'kleinen' Verwaltungsangestellen,<br />

der vielleicht erst kürzlich bei einem 'Kollegen' promoviert worden ist<br />

und 'nur deshalb' zur Behörde gegangen ist, weil er für eine Karriere in Wissenschaft<br />

oder Industrie 'zu risikoscheu' oder 'zu wenig kreativ' ist.<br />

Verbunden ist diese Statusinkongruenz auch mit einem vermeintlichen Kompetenzgefälle.<br />

Da die Sicherheitsregeln in der Öffentlichkeit wissenschaftlich<br />

begründet werden und nach Meinung zumindest der meisten Wissenschaftler<br />

auch nur Geltung beanspruchen können, soweit sie 'wissenschaftlich begründet'<br />

sind (s.u.), glauben die meisten Wissenschaftler - ungeachtet der Tatsache, daß<br />

sie sich mit Sicherheitsfragen und ihren interdisziplinären Bezügen meistens nicht<br />

106 Bujard in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 77f.<br />

209


sehr intensiv beschäftigt haben - eher im Sinne 'der Wissenschaft' sprechen zu<br />

können als die Verwaltungsangestellten, mit denen sie konfrontiert sind.<br />

Empirisch korrespondiert diese Interpretation der Konfliktdynamik mit der Beobachtung<br />

von Behördenvertretern, daß die gesetzlich vorgeschriebene und von<br />

den Behörden angebotene Beratung zum Umgang mit dem Gentechnikgesetz<br />

zumindest anfänglich kaum in Anspruch genommen wurde. 107 In den Interviews<br />

wird von fast allen mit Überwachungsfunktionen betrauten Personen berichtet,<br />

daß sie des öfteren - insbesondere bei den Professoren an Universitätskrankenhäusern<br />

- mit besonderem Widerstand und herablassendem und verletzendem<br />

Verhalten konfrontiert sind: 108<br />

"Die Uneinsichtigsten sind wahrscheinlich die Mediziner ... Das hängt vermutlich<br />

damit zusammen, daß sie vor allem den kranken Menschen vor Augen haben. Zum<br />

Beispiel einen HIV-infizierten Menschen. Und dagegen ist es nicht einsichtig zu<br />

machen, daß der Umgang mit dem HI-Virus in einer S 3-Anlage erfolgen muß; das<br />

ist das eine. Zum zweiten bringen sie aufgrund der hierarchischen Struktur und der<br />

noch weit verbreiteten 'Halbgottheit-in-Weiß'-Mentalität auch die wenigste Bereitschaft<br />

mit, sich mit den Überwachungsbehörden auseinanderzusetzen und offen zu<br />

sein für Sicherheitsfragen. Sie reagieren dann auch oft am cholerischsten, wenn sie<br />

sich, sozusagen als 'Halbgott-in-Weiß' von so einem 'Verwaltungsfuzzi' kritisiert sehen.<br />

Und das dritte ist, daß sie auch oft unter einem von den Patienten und deren<br />

Angehörigen erzeugten Druck stehen, auch noch nicht erprobte und unter Umständen<br />

unsichere Verfahren einzusetzen. Dies gilt vielleicht auch beim zunehmenden<br />

Einsatz der Gentherapie. Während Naturwissenschaftler, die sich zum Beispiel mit<br />

Mikroorganismen, speziell eventuell mit Pathogenitätsfragen beschäftigen, oder sich<br />

im Bereich der Pflanzenzüchtung mit Freisetzungsfragen und dabei auch mit ökologischen<br />

Fragestellungen befassen, ein größeres Risikobewußtsein haben." (Int. Nr.<br />

18, S. 44f.)<br />

Man kann davon ausgehen, daß ein entsprechendes Auftreten die Behördenvertreter<br />

nicht immer ermuntert, ihre Ermessensspielräume in einer für die Forscher<br />

besonders günstigen Weise zu nutzen.<br />

Öffentlichkeitswirksam aufgeschaukelt hat sich ein Konflikt in Marburg. Behördenvertrer<br />

stießen bei einem Kontrollgang an der dortigen Universität auf<br />

nicht-registrierte Räume, in denen gentechnisch gearbeitet wurde. Der Projektleiter<br />

verweigerte die Auskunft über die durchgeführten Experimente. Daraufhin<br />

ließ die Behörde das Labor vom Staatsanwalt schließen. Die beschlagnahmten<br />

Laborproben sollten untersucht werden, was jedoch zum damaligen Zeitpunkt<br />

u.a. deshalb nicht möglich war, weil es für diesen Fall des Umgangs mit einer<br />

Probe unbekannten Inhalts und daher unbekannter Risikostufe keine Genehmi-<br />

107 Eichler in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 201.<br />

108 Int. Nr. 16; Int. Nr. 18.<br />

210


gungsmöglichkeit für die Arbeiten in einem Untersuchungslabor gab. 109 Es wurde<br />

allerdings der Verdacht geäußert, daß die bearbeiteten Organismen in einer nicht<br />

näher definierten Weise krebserregend sein könnten. Das führte u.a. auch zur<br />

Gründung einer Bürgerinitiative, weil sich neben dem Laborgebäude ein Kinderspielplatz<br />

befindet. Feststellbar war schließlich nur, daß der hausinterne Umzug<br />

des Labors der Universitätsleitung zwar mitgeteilt worden war, diese ihn aber<br />

nicht formgerecht an die Behörde weitergeleitet hatte. Deswegen wurde ein Ordnungswidrigkeitsverfahren<br />

eingeleitet. Umgekehrt hat der betroffene Projektleiter<br />

die Behörde wegen "unschuldig erlittener Strafverfolgungsmaßnahmen" erfolgreich<br />

vor einem Zivilgericht auf Schadensersatz verklagt. 110 Von diesem Fall<br />

abgesehen ist es aber, soweit erkennbar, bisher nirgends von seiten der öffentlichen<br />

Wissenschaft zu gerichtlichen Klagen gegen Bescheide der Behörden gekommen.<br />

111<br />

Andererseits kann man auch feststellen, daß Genforscher die behördlichen<br />

Kontrollen gelegentlich sogar begrüßen, weil sie ihnen bei Bau- und Ausstattungsfragen<br />

Einfluß gegenüber der Universitätsverwaltung verschaffen:<br />

"Das ist vor allen Dingen die Verwaltung, die sich sehr schwer damit tut, für [Sicherheitsanforderungen]<br />

entsprechende Räumlichkeiten oder Finanzen bereitzustellen.<br />

Z.B. haben wir ein Zellkulturlabor, in dem die Gasflaschen praktisch immer<br />

ohne den notwendigen Sicherheitsabstand gelagert waren - immer, solange ich denken<br />

kann. Im Rahmen einer Begehung ist dann ... klargemacht worden, es hat dafür<br />

eben entsprechende Sicherheitsbehälter zu geben. Das war einer dieser Vorteile dieser<br />

Begehung. Das wurde einmal im Protokoll festgehalten und der Verwaltung zugeleitet,<br />

und nach einem Jahr kamen die [Vertreter der Überwachungsbehörde] wieder<br />

und haben festgestellt, da hat sich überhaupt nichts bewegt. Dann ging es allerdings<br />

relativ zügig, als es dann nochmal bemängelt wurde. Daß das überhaupt zugelassen<br />

wird, daß der Arbeitgeber da immer so schlurt, ist schwer verständlich. Und<br />

für uns, selbst wenn wir da Projektleiter sind, ist es kaum möglich, Druck bei solchen<br />

Fragen auszuüben." (Int. Nr. 4, S. 27)<br />

7.6.2. Ungewißheits- versus erfahrungsbasierte Vorsorge<br />

Eine viel kompliziertere, zugleich aber auch spannendere Frage ergibt sich aus<br />

dem Verhältnis von ungewißheits- versus erfahrungsbasierter Vorsorge - respektive<br />

der jeweiligen Wahrnehmung dieses Verhältnisses durch die beteiligten Ak-<br />

109 Diese Situation wurde bei der Novellierung des Gentechnikgesetzes berücksichtigt.<br />

110 Vgl. Oberhessische Presse vom 20.11.1992, 22.1.1993, 21.5.93, 24.6.1994. Berichtet<br />

wurde anfangs auch überregional, z.B. in der Frankfurter Rundschau.<br />

111 Dagegen hat ein Industrieunternehmen - erfolgreich - gegen einen Auflagenbescheid der<br />

Behörden geklagt (vgl. Fn. 41 in diesem Kapitel).<br />

211


teure. Hier sind verschiedene Mißverständnis-Konstellationen denkbar. 112 Wie<br />

allerdings eingangs in diesem Kapitel bemerkt, muß die Wissenschaft nicht per se<br />

dem Gedanken der ungewißheitsbasierten Vorsorge abgeneigt sein. Tatsächlich<br />

waren es auch zunächst die Genforscher selbst, die in der Debatte von Asilomar<br />

die Notwendigkeit einer Regelung auf die bestehende Ungewißheit gegründet<br />

hatten. So führt auch der gegenwärtige Vorsitzende der ZKBS aus:<br />

"Dies geschah aus dem damaligen, sehr begrenzten Wissensstand der molekularbiologischen<br />

Forschung heraus ... Die Triebfeder der Vorsorge gegenüber möglichen<br />

Gefahren bei offenkundig begrenztem Wissen hat damals auch dazu geführt,<br />

daß die Sicherheitsauflagen zunächst sehr hoch angesetzt ... wurden, mit dem erklärten<br />

Ziel, diese Vorkehrungen schrittweise mit wachsendem Erkenntnisstand zu reduzieren."<br />

113<br />

Es stellt sich dann aber die Frage, wann man genug weiß, um entsprechende Vorkehrungen<br />

fallen zu lassen, und wer dies definieren soll. Dazu wieder der Vorsitzende<br />

der ZKBS:<br />

"Das am Ausgangspunkt stehende Ereignis der Asilomar-Konferenz mit der Initiative<br />

zu wissenschaftsinternen Regelungen der Gentechnik hat den Gesetzgeber stimuliert,<br />

solche Regelungen durch Gesetze verbindlich zu machen. Nachdem sich<br />

herausgestellt hat, daß die für möglich gehaltenen Gefahren weitgehend hypothetischer<br />

Natur 114 sind, fällt es offenbar schwer, die einmal geschaffenen Regelungen<br />

wirklich wieder zurückzufahren, also z.B. die Vielzahl der risikofreien Experimente<br />

der Stufe S 1 auch tatsächlich aus dem Geltungsbereich des Gesetzes zu entlassen."<br />

115<br />

Mit anderen Worten: Der Vorsitzende der ZKBS hält (1994) den Zeitpunkt für<br />

gekommen, von einer ungewißheitsbasierten Regelung auf eine erfahrungsbasierte<br />

Regelung umzuschalten. Aber bereits in der 1990 verabschiedeten Fassung<br />

des Gentechnikgesetzes war die Stufe S 1 im Sinne erfahrungsbasierter Regulierung<br />

als risikofrei definiert:<br />

"Der Sicherheitsstufe 1 sind gentechnische Arbeiten zuzuordnen, bei denen nach<br />

dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit<br />

und die Umwelt auszugehen ist." (§ 7 Abs.1 Nr.1 GenTG)<br />

Auch damals schon hatten viele Genforscher auf die mittlerweile im Umgang mit<br />

der Gentechnik gewonnenen Erfahrungen und die damals schon 15-jährige Praxis<br />

eines unfallfreien Verlaufs hingewiesen. Auch die NIH- und ZKBS-Richtlinien<br />

waren im Zuge der innerwissenschaftlichen Risikodiskussion zu diesem Zeitpunkt<br />

112 Vgl. oben, Kap. 1.2., S. 28.<br />

113 Hobom, Erfahrungen, 1994, S. 422.<br />

114 Gerd Hobom benutzt den Topos der 'hypothetischen Gefahren' offenbar im alten Sinne<br />

des 'nicht-vorsorgepflichtigen Restrisikos'; vgl. oben, Kap. 1.1.<br />

115 Hobom, Erfahrungen, 1994, S. 428.<br />

212


längst gelockert worden. Wenn der Gesetzgeber mit der Verabschiedung des<br />

Gentechnikgesetzes (bzw. der EG-Richtlinie) die S 1-Experimente trotz der Definition<br />

als 'risikofrei' einer Kontrollpflicht unterworfen hat, dann macht diese Entscheidung<br />

nur Sinn, wenn er damit auf verbleibende Ungewißheit abzielen wollte.<br />

Da die Unterscheidung zwischen erfahrungsbasierter und ungewißheitsbasierter<br />

Vorsorge aber nie explizit in die politische Debatte eingeführt wurde - und auch<br />

die Gesetzesbegründung in dieser Hinsicht unklar geblieben ist -, wird die Erfassung<br />

von S 1-Experimenten durch das Gesetz von Genforschern immer wieder als<br />

widersinnig, nämlich als Regelung eines Nicht-Risikos angeführt. Dies wird dann<br />

häufig auch mit der laxen Handhabung von präventiven, d.h. auf klar erkennbare<br />

Risiken abzielenden Regularien, wie etwa dem Bundesseuchengesetz, kontrastiert:<br />

"Die Mikrobiologie ist einer der Bereiche gewesen, der über Jahrzehnte völlig unreguliert<br />

war. Als das Gentechnikgesetz aufkam, war prb 322 [ein Sicherheitsplasmid<br />

in der Gentechnik] ein Gefahrenträger, während nebenan unter Umständen die Leute<br />

mit Pockenviren [völlig ungeregelt] arbeiten konnten." 116<br />

Mit der Abstufung von S 4 bis S 1 wird zudem suggeriert, daß die Sicherheitsstufe<br />

S 1, die nur unter dem Gesichtspunkt ungewißheitsbasierter Regulierung<br />

sinnvoll ist, zwangsläufig ein effektiv geringeres Gefährdungspotential impliziere<br />

als die höheren Sicherheitsstufen. 117 Dabei wird übersehen, daß die a priori Einteilung<br />

von Experimenten in Sicherheitsstufen nur auf der Basis erkennbarer Risiken<br />

erfolgen kann und weitgehend dem Grad der abschätzbaren Pathogenität der<br />

erzeugten transgenen Organismen folgt (vgl. Kap. 2.4.). Es entsteht also der Eindruck,<br />

als ob es sich hier einfach um einen linearen Sicherheitszuschlag handele<br />

und nicht um die Maßgabe eines anderen, nämlich ungewißheitsbasierten Vorsorgeprinzips.<br />

Dieser Aspekt des Gesetzes wird aber durch die doppelte Konstruktionsleistung<br />

"Gentechnik = Natur = ungefährlich/wohltuend" (vgl. Kap. 2) von vielen<br />

Genforschern im Risikodiskurs negiert. Entsprechend wenig werden deshalb<br />

116 Int. Nr. 9, S. 61; vgl. auch Int. Nr. 12, S. 42 zum herkömmlichen Umgang mit Schutzbestimmungen<br />

gegen die Verbreitung von Pflanzenpathogenen. Verstöße gegen präventives<br />

Sicherheitsrecht (GefahrstoffV, StrahlenschutzV, Seuchenrecht und allgemeine Arbeitsschutzbestimmungen)<br />

werden im Zuge der Überwachung von Genlabors immer wieder<br />

festgestellt (vgl. Maier-Greiner und Hoffmann in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S.<br />

245 respektive S. 257f.). Es ist davon auszugehen, daß sie in Labors, die nicht gentechnisch<br />

arbeiten, ebenfalls festzustellen wären, wenn diese in gleicher Weise überwacht<br />

würden.<br />

117 Dieser Suggestion folgt z.B. auch die Stellungnahme der Hochschulrektorenkonferenz<br />

zur Novellierung des Gentechnikgesetzes, die auf einer Umfrage bei 40 Hochschulen beruht<br />

(HRK, Stellungnahme, 1992).<br />

213


gerade die Vorschriften des Gentechnikgesetzes 118 akzeptiert, die S 1-Experimente<br />

betreffen, während die Notwendigkeit von Regelungen in Bezug auf die<br />

übrigen Sicherheitsstufen (S 2 - S 4) - zumindest unter präventiven Gesichtspunkten<br />

- häufig eingeräumt wird.<br />

Selbstverständlich kann man fragen, ob die Genforscher die Intention ungewißheitsbasierter<br />

Vorsorge im Gentechnikgesetz nicht sehen können oder - aus strategischen<br />

Gründen - nicht sehen wollen. In den Interviews und in Diskussionen<br />

haben wir, im Anschluß an die Erörterung der erkennbaren Risiken, immer die<br />

Frage gestellt, ob auch bisher nicht erkennbare Risiken vorstellbar seien, und<br />

dabei zur Erläuterung auf den heute als sehr wahrscheinlich geltenden Zusammenhang<br />

von FCKW-Emissionen und Ozonschichtabbau verwiesen, der lange<br />

Zeit ebenfalls nicht erkennbar war. Hier haben die meisten Befragten - oft nach<br />

einigem Zögern und einigen Mißverständnissen - eingeräumt, daß ähnliche Prozesse<br />

auch bei der Gentechnik nicht auszuschließen seien. Ein Industrieforscher,<br />

den wir nur schriftlich befragen konnten, kommentiert die Frage nach der Möglichkeit<br />

einer der historischen Entwicklung der FCKW vergleichbaren, gegenwärtig<br />

unerkannten Gefahr: 119<br />

"Warum bezieht sich diese Frage nur auf die Gefahren? Theoretisch muß diese Frage,<br />

will man sie wissenschaftlich seriös beantworten, mit ja kommentiert werden.<br />

Dieses ja bezieht sich aber auch darauf, daß es Nutzen und Chancen geben kann,<br />

von denen wir heute noch nichts wissen." 120<br />

In einem Interview wurde von einem leitenden Universitätsforscher unumwunden<br />

eingeräumt, daß es bisher unerkannte Schadensmechanismen geben könnte, er<br />

bezweifelte allerdings, daß diesen mit gesetzlichen Vorschriften sinnvoll begegnet<br />

werden könnte:<br />

"Wenn man sehr genau weiß, was das Gefahrenpotential ist, kann man auch sehr<br />

gute Regelwerke machen. ... Nur so ein generelles Gefahrenpotential dadurch beherrschen<br />

zu wollen, daß man in diversen Situationen versucht, Regeln zu schaffen,<br />

dann können die Regeln auch nur divers sein und sind dann einfach zu breit, um<br />

richtig greifen zu können." (Int. Nr. 9, S. 61)<br />

118 Diese sind für die Praxis aufgrund der Vielzahl der dieser Stufe zugeordneten Experimente<br />

am wichtigsten. Aber auch andere, auf Ungewißheit abzielende Vorschriften wie<br />

z.B. die gelegentlich nach § 7 GenTSV angezeigte vorläufige Einstufung eines Experiments<br />

in eine höhere Sicherheitsstufe stoßen auf Unverständnis und Ablehnung (vgl. die<br />

Diskussion in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 169ff.).<br />

119 Sie lautete in diesem Fall wörtlich: "Halten Sie es für denkbar, daß von gentechnischen<br />

Prozessen oder Produkten Gefahren ausgehen, von denen man heute - vergleichbar etwa<br />

der seinerzeitigen Unkenntnis über den Zusammenhang zwischen FCKW und Ozonabbau<br />

- noch nichts weiß?"<br />

120 Brief vom 13.9.1995 an den Autor (B.G.).<br />

214


Bei der Ablehnung der ungewißheitsbasierten Regelungsintention des Gentechnikgesetzes<br />

mag es auch eine Rolle spielen, daß diese selten spezifisch vermittelt<br />

wird und in der allgemeinen Wahrnehmung ein linearer - und damit unspezifischer<br />

- Sicherheitszuschlag beim Containment im Vordergrund steht. Allerdings<br />

ist auch zu konstatieren, daß einige Betreiber, wenn sie es sich von der<br />

Ressourcenausstattung leisten können, beim Containment von sich aus einen<br />

Sicherheitszuschlag vorsehen, um das Problem der Ungewißheit zu bewältigen.<br />

Ein leitender Industrieforscher führt dazu aus:<br />

"Am Schluß der Produktionskette gewährleisten starke Erhitzung und eine chemische<br />

Reaktion, daß die DNA oder RNA abgebaut ist, daß weder Nukleinsäure noch<br />

Mikroorganismen aus den Produktionsstätten hinausgeraten. Wir haben also kein<br />

Problem damit, ob Mikroorganismen in der Kläranlage überleben oder nicht, Experimente<br />

haben bewiesen, daß nichts Lebendes in die Kläranlage gelangt." (Int. Nr.<br />

17, S. 35)<br />

Instrumente zur Informationsgewinnung - insbesondere Anmelde- und Aufzeichnungspflicht<br />

(vgl. Kap. 5.2. - 5.5.) -, die gegenüber dem Moment der Ungewißheit<br />

spezifischer wirken könnten, werden von den meisten Forschern nur als<br />

lästiger 'bürokratischer' Aufwand wahrgenommen. Die Klagen über die Formulare<br />

füllen in großer Breite sämtliche Protokollbände von Anhörungen und Tagungen.<br />

Aber auch hier gibt es wieder Ausnahmen; gelegentlich wird der Sinn dieser Instrumente<br />

durchaus eingeräumt. Eine Forscherin bemerkt zu den Aufzeichnungspflichten:<br />

"Ich finde es auch richtig, daß das so geschieht, weil ja diejenigen, die wissenschaftlich<br />

arbeiten, sowieso gewohnt sind, ihre Arbeit zu dokumentieren. Und ich<br />

halte es auch für zukünftige Projekte für wichtig, daß man diese Daten eine Weile<br />

aufbewahrt, und zum anderen dienen sie ja auch der Erfahrung. Daß man nachher<br />

auch auf alte Erkenntnisse nochmal zurückgreift: wie war das denn damals - es hat<br />

sich bestätigt, es läuft immer noch so, es hat sich nach 20 Jahren nichts geändert an<br />

Zahlen, an Daten, also können wir davon ausgehen, daß diese Erkenntnis, die wir<br />

damals hatten, gesichert ist und daß keine neuen unerwarteten Ereignisse hinzugekommen<br />

sind." 121<br />

Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß ein sehr spezifisches Instrument<br />

zur Risikokommunikation, die Meldepflicht nach § 21 GenTG für unerwartete,<br />

sicherheitsrelevante Ereignisse bzw. für das Bekanntwerden neuerer<br />

einschlägiger sicherheitsrelevanter Publikationen, bisher in der Praxis kaum von<br />

Bedeutung war. Nach unserer Kenntnis ist nur in einem einzigen Fall eine solche<br />

Anzeige erfolgt:<br />

121 Zit. n. Bender et al., Ethische, 1997, S. 94.<br />

215


"Gemäß § 21 Abs. 5 GenTG ist bei mir lediglich eine Anzeige eingegangen, aufgrund<br />

derer bei einer gentechnischen Arbeit, die zuvor von der Sicherheitsstufe 2 in<br />

die Sicherheitsstufe 1 zurückgestuft wurde, nun doch aufgrund einer neueren Publikation<br />

nicht sicher war, ob die Rückstufung gerechtfertigt war. Aufgrund eigener<br />

experimenteller Untersuchungen des Betreibers, die in einem S 2-Labor durchgeführt<br />

wurden, konnte jedoch gezeigt werden, daß von dieser Arbeit kein Risiko für<br />

die menschliche Gesundheit und Umwelt ausging." 122<br />

Die einfachste Erklärung wäre, daß es unerwartete Vorkommnisse bei gentechnischen<br />

Experimenten eben selten gibt. Eine andere Erklärung bestünde darin,<br />

daß sie aufgrund fehlender Sensibilität oder Kompetenz der direkten Beobachter<br />

(s.o., Kap. 7.5.) nicht als sicherheitsrelevant wahrgenommen werden. Schließlich<br />

ist es auch möglich, daß die Meldung unterbleibt, weil sie nicht nur zusätzlichen<br />

Aufwand bedeutet, sondern auch weitere Auseinandersetzungen mit den Behörden<br />

und verstärkte Sicherheitsauflagen nach sich ziehen könnte.<br />

In den Interviews haben wir auch immer wieder die Frage gestellt, inwieweit<br />

den Forschern unerwartete Ereignisse schon selbst begegnet sind. In einem einzigen<br />

Fall berichtet ein Industrieforscher von einem Ereignis, das in diese Richtung<br />

deutet:<br />

"Die Frage, was alles geschehen kann, ist hochinteressant. Die analytischen Methoden<br />

werden immer feiner, deshalb konnten wir feststellen, daß bei der Herstellung<br />

eines Proteins ein paar Prozent der Proteine länger waren. Wir haben uns das näher<br />

angesehen und stellten fest, daß durch den Produktionsprozeß eine Zelle Fehler<br />

machte. Das hängt wahrscheinlich mit den Streßbedingungen zusammen, der eine<br />

solche Produktionszelle (die ein Protein in besonders großen Mengen produziert)<br />

ausgesetzt ist. Wir haben dann durch Sequenzierung festgestellt, daß ein Stopcodon<br />

überlesen wurde und in einem Fall sogar auf eine andere Messenger-RNA gesprungen<br />

wurde. Das kann bei einem Arzneimittel fatal sein, denn eine neue Sequenz<br />

führt zu einem veränderten Protein und kann eine Immunreaktion auslösen.<br />

Dieser Fehler konnte nur durch ein neues Gerät, die modernste Form der Massenspektroskopie,<br />

aufgeklärt werden. Die Konsequenz war, daß wir die Stämme umkonstruiert<br />

haben, eben alles unternommen haben, damit dieser Fehler nicht mehr<br />

auftreten kann. Danach haben wir das Konkurrenzprodukt untersucht und bei einer<br />

Analyse entdeckt, daß bei 10% des Proteins der gleiche Fehler aufgetreten war. Das<br />

alles herauszufinden und zu untersuchen, ist nur aufgrund völlig neuer Entwicklungen<br />

möglich und zeigt, daß man bei neuen Technologien immer an der Front sein<br />

muß, um mögliche Probleme auszuschließen.<br />

Um also Ihre Frage zu beantworten, ob Probleme erst zu einem späten Zeitpunkt erkannt<br />

werden: ausschließen kann man das nicht, wie das Beispiel zeigt, aber wir<br />

wissen doch sehr genau, wo wir suchen müssen, um Fehler zu vermeiden. Die gezeigten<br />

Probleme liegen aber nicht in der Gentechnik per se, sondern hängen damit<br />

122 Brief der Bezirksregierung Braunschweig vom 21.3.1995 an den Autor (B.G.).<br />

216


zusammen, daß neue Produktionsverfahren möglich werden, die man wie immer<br />

durch Qualitätssicherung kontrollieren muß. Der Vorteil der Gentechnik ist, daß<br />

man die Veränderungen, die man durchführt, genau kennt und damit überprüfen<br />

kann." (Int. Nr. 17, S. 37ff.)<br />

Daß von einem unerwarteten sicherheitsrelevanten Ereignis gerade von einem<br />

Industrieforscher berichtet wurde - obwohl wir nur wenige Industrieforscher befragt<br />

haben - könnte mit der besonderen Aufmerksamkeit zusammenhängen, mit<br />

der in der Industrie - auch aus Gründen der Arzneimittelhaftung - Prozesse und<br />

Produkte überwacht werden.<br />

Zu bemerken ist, daß die Schilderung des Ereignisses nicht auf die "Gentechnik<br />

per se" abhebt, sondern auf Eigenschaften des Produkts, die auch bei nichtgentechnischen<br />

Manipulationsverfahren auftreten können, die aber gerade aufgrund<br />

des Einsatzes der Gentechnik und durch die immer weitere Verfeinerung<br />

von Meßmethoden immer besser auszuschließen seien:<br />

"Ob ein Produkt in Ordnung ist, also dem natürlichen Produkt oder dem erwünschten<br />

entspricht, ist heute anhand analytischer und ständig verbesserter Methoden wesentlich<br />

besser zu prüfen als früher. Heute ist die Wissenschaft in der Lage, eine<br />

Substanz auf molekularer Ebene zu charakterisieren. Unvorhergesehenes ist bereits<br />

so früh zu erkennen, daß es das Endergebnis nicht mehr verfälschen kann. Die modernen<br />

Methoden ermöglichen, jede Veränderung des Produktes sofort zu erkennen.<br />

Auch wenn es wichtige Kriterien, wie beispielsweise die Stabilität eines Stammes<br />

gibt, fokussiert sich am Ende alles auf die Sicherheit." (Int. Nr. 17, S. 41f.)<br />

Ungewißheit wird hier also mit dem Hinweis auf den praktisch schon erreichten<br />

Wissensstand bzw. theoretisch mit dem Vertrauen in den weiteren wissenschaftlichen<br />

Fortschritt letztlich doch abgewehrt - in dem besprochenen Fall handelte<br />

es sich auch um ein Ereignis, das man bei dieser Firma noch rechtzeitig,<br />

also vor dem Auftreten oder Bekanntwerden von Schäden, festgestellt hatte. 123<br />

Erkennbar wird hier auch, warum die Forschung und insbesondere die Industrieforschung<br />

- neben den eher politischen Implikationen der Diskussion um eine<br />

prozeß- versus produktbasierte Regulierung 124 - stärker auf die Eigenschaft des<br />

123 In dem Konkurrenzprodukt sind die Verunreinigungen ja offenbar zunächst unbemerkt<br />

geblieben. Es ist allerdings festzustellen, daß es mittlerweile auch Veröffentlichungen zu<br />

der geschilderten Problematik der 'Lesefehler' gibt (vgl. den Überblicksaufsatz von Santos/Tuite,<br />

Trends in Biotechnology 1993).<br />

124 Auf der ideologischen Ebene befürchtet man eine 'Stigmatisierung' der Gentechnik durch<br />

die Prozeßregulierung (vgl. oben, Kap. 2.3.2. und 3.2.). Mit der Produktregulierung hält<br />

man dagegen an den herkömmlichen Zulassungsverfahren - z.B. der Arzneimittel- oder<br />

Pflanzenschutzmittelzulassung - fest, bei denen man auf innerbetrieblich gut eingespielte<br />

Prüfinstrumente zurückgreifen kann und in denen auch angestammte Kontakte zwischen<br />

Industrie und Behörden etabliert sind. Außerdem wäre gegebenenfalls auch der Verzicht<br />

auf einzelne Produkte weniger einschneidend, als es der Verzicht auf eine für die betrof-<br />

217


Produkts abhebt: Es herrscht die Hoffnung, mit wissenschaftlichen Methoden das<br />

Produkt - und vielleicht sogar seine mögliche Effekte, die sich aber wiederum im<br />

prinzipiell offenen Kontext seiner Anwendung entfalten 125 - heute oder zumindest<br />

in Zukunft vollständig beschreiben und damit Ungewißheit völlig verbannen zu<br />

können. Zunächst nicht kalkulierbare emergente Effekte beim Einsatz der Gentechnik<br />

und anderer biotechnologischer Methoden werden also zumindest von<br />

differenzierter argumentierenden Genforschern nicht prinzipiell ausgeschlossen -<br />

man versucht vielmehr, diese Effekte anhand der Charakterisierung des Produkts<br />

festzustellen.<br />

Festzuhalten ist also, daß ungewißheitsbasierte Vorsorge - wenn überhaupt -<br />

eher von Genforschern akzeptiert wird, wenn sie auf die Eigenschaften der entstehenden<br />

Produkte (oder Nebenprodukte) abhebt, als wenn sie mit unbekannten<br />

- und möglicherweise auch nicht existenten - Wirkmechanismen einer einzigen<br />

Technologie oder Herstellungsmethode, eben der Gentechnik, begründet wird.<br />

Der Unterschied besteht vor allem darin, daß für Produkte unerwartete sicherheitsrelevante<br />

Effekte retrospektiv gezeigt werden können, während solche Effekte<br />

für die Gentechnik als solche bezweifelt werden (vgl. Kap. 2.3.).<br />

Zu untersuchen bleibt, wie sich die Vertreter der Vollzugsbehörden zu dem im<br />

Gentechnikgesetz meist nur vage programmierten Umgang mit Ungewißheit stellen.<br />

Theoretisch sind drei Haltungen denkbar:<br />

1. Sie halten die ungewißheitsbasierte Regelungsintention des Gentechnikgesetzes<br />

(mittlerweile) für deplaziert. Konsequenterweise müßten sie etwa für die<br />

Abschaffung der Anmelde- und Kontrollpflichten bei der Sicherheitsstufe S 1<br />

eintreten.<br />

2. Sie versuchen die ungewißheitsbasierte Regelungsintention in der Praxis wahrzunehmen<br />

und an die Genforschung zu vermitteln.<br />

3. Sie setzen ungewißheitsbasierte mit erfahrungsbasierter Vorsorge gleich und<br />

behandeln Experimente, bei denen es ungewiß ist, ob sie Gefahren bergen<br />

können, als ob sie tatsächlich gefährlich wären.<br />

Die erste Haltung mag vorkommen, wir sind ihr aber - abgesehen von dem oben<br />

zitierten Statement des Vorsitzenden der ZKBS - nicht in Reinform begegnet.<br />

Selbst das Robert-Koch-Institut, das allgemein als eine gentechnik-freundliche<br />

Behörde gilt, 126 antwortete auf die Frage, wie eine Herausnahme der Experimente<br />

der Sicherheitsstufe 1 aus dem Geltungsbereich des Gentechnikgesetzes mit der<br />

fene wissenschaftliche Subcommunity und die projektierte 'Biotechnologie-Industrie' wesentliche<br />

Forschungs- und Herstellungsmethode wäre.<br />

125 Torgersen, Ecological, 1996.<br />

126 Vgl. Gottweis, Governing, 1995, S. 353.<br />

218


Regelung zur Freisetzung zu vereinbaren wäre, 127 lapidar: "Nach unserem Erkenntnisstand<br />

sollten Laborsicherheitsmaßnahmen für die Stufe 1 nicht abgeschafft<br />

werden." (Herv. i. Original) 128<br />

Einer der von uns befragten Vertreter der Vollzugsbehörden scheint zwar selbst<br />

die ungewißheitsbasierte Regelungsintention materiell nicht mehr für notwendig<br />

zu halten, 129 stellt dafür aber den demokratischen und friedensstiftenden Aspekt<br />

des Gesetzes, der die Forschung in seinen Augen auch vor Skandalisierung in der<br />

Öffentlichkeit schützen soll, 130 an erste Stelle und versucht dies auch den betroffenen<br />

Forschern zu vermitteln:<br />

127 Die Frage lautete im Wortlaut: "Containmentmaßnahmen nach 90/219 sollen in der Stufe<br />

S 1 - spätestens mit der anstehenden Deregulierung - weitgehend abgeschafft werden.<br />

Labor- und Produktionsorganismen der Stufe S 1 können dann ohne Abtötung 'entsorgt'<br />

werden. Wenn nun andererseits Mikroorganismen nach 90/220 freigesetzt werden sollen,<br />

unterliegen sie weiterhin einer umfassenden Zulassungsprozedur. Wie ist das miteinander<br />

zu vereinbaren?"<br />

128 Brief des RKI vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.).<br />

129 "Weil im Augenblick das durchaus noch so gesehen wird, daß wir hier ein entweder im<br />

Atombereich permanentes hohes Risiko haben, oder im Gentechnikbereich - so wird's<br />

zumindest gesehen - eine noch nicht ganz abgeschlossene Risikobewertung haben, so daß<br />

wir im Grunde genommen fortlaufend das neu beurteilen müssen. Jetzt kann man natürlich<br />

sagen: 'Gentechnik gibt es seit 20 Jahren und die Kontrollmechanismen sind eigentlich<br />

ausgefeilt, Unfälle sind nicht passiert', aber der Stellenwert ist nun einmal so. Eins kann<br />

man sicherlich nicht machen, daß man sagt: 'Na ja, die debattieren da im Bundestag jahrelang<br />

drüber und im Bundesrat auch und in der Europäischen Gemeinschaft auch und alle<br />

Welt spricht von den Risiken der Gentechnik, aber wir sehen es nicht so, es ist noch nie<br />

was passiert, also ... wir schreiben die Genehmigungsbescheide, das steht ja im Gesetz<br />

drin und ansonsten gehen wir mal ab und zu irgendwo hin und schauen mal'. Also so können<br />

wir das nicht machen, dazu hat die Sache einen viel zu hohen Stellenwert. Ob man in<br />

der Zukunft mal sagt - wie in Amerika -, die Stufe 1 nehmen wir raus, weil nach Abwägung<br />

aller Umstände wirklich das Risiko gering ist und keine Unfälle passiert sind, auch<br />

undenkbar sind, dann klar ... aber im Augenblick ist es noch so." (Int. Nr. 19, S. 39f.)<br />

130 "Ich glaube, das hängt auch von einem selbst ab, ob man nur so auf autoritäres Kommando<br />

pocht oder ob man vermitteln kann, daß es hier um die Umsetzung einer komplizierten,<br />

aber eben wichtigen Sicherheitsgesetzgebung geht, die gesellschaftlich auch einen<br />

hohen Stellenwert hat. Wenn Sie einem Forscher sagen, daß das nicht nur aus Sicherheitsgesichtpunkten<br />

ist, sondern weil gerade in der Öffentlichkeit dieser Sicherheitsgesichtspunkt<br />

auch beachtet wird, wenn das durchgesetzt werden sollte, dann wäre<br />

natürlich auch sehr schnell das Einverständnis da - denn welche Forschung möchte irgendwie<br />

in der Presse stehen oder Ziel von parlamentarischen Anfragen sein. Da können<br />

Sie auch lange darüber reden, ob das nun alles sehr sinnvoll ist oder nicht. Wir müssen alle<br />

wissen oder lernen es, daß der gesellschaftliche Konsens, der sich da mehr oder weniger<br />

im Bundestagsbeschluß für so ein Gesetz niederschlägt, eben dann doch den ersten<br />

Stellenwert haben muß. Wenn wir das außer acht lassen und sagen: 'Davon verstehen die<br />

alle nichts, wir Wissenschaftler wissen sehr viel besser, was sicher oder nicht sicher ist,<br />

219


"Das ganze hat ja [für den Normalbürger] auch so den Charakter des Undurchsichtigen<br />

und damit Unheimlichen, ist nicht nachvollziehbar und dann noch in diesem<br />

heiklen Bereich der Erbsubstanz. Da gibt es viele Vorbehalte. Das ist sicher auch<br />

der Grund, weswegen hier die Sicherheitsauflagen besonders groß sind. Das kommt<br />

alles zusammen, aber das müssen wir ernst nehmen, das ist nun mal so, daß hier der<br />

Bürger als Souverän derjenige ist, der seinen Vertreter in den Bundestag schickt, also<br />

letztendlich die Gesamtbevölkerung. Wenn die Bevölkerung zu einem Konsens<br />

gekommen ist, und das sogar noch bewertet in einem Gesetz, dann müssen wir auch<br />

so handeln. Da kann man nicht sagen: 'Nein, ich weiß es besser, ich halte mich nicht<br />

wirklich daran'. Das müssen wir auch zu unserer Maxime machen. Wenn wir meinen,<br />

aus fachlicher Sicht ist das überhaupt nicht mehr zu vertreten, dann müssen wir<br />

die Argumente auch ins Gesetzgebungsfeld bringen, und es werden ja jetzt gerade<br />

auch wiederum mehrere Verordnungen novelliert, und da spielen natürlich solche<br />

Gesichtspunkte auch eine Rolle." (Int. Nr. 19, S. 42f.)<br />

Er verweist dabei auch auf einen Nebeneffekt der Anmelde- und Genehmigungspflichten,<br />

nämlich eine Art von staatlicher (oder gesellschaftlicher?) Beobachtungsmöglichkeit<br />

gegenüber einer ansonsten intransparenter bleibenden<br />

Technologieentwicklung:<br />

"Also was im Labor passiert, ist eine Sache, was dann aber rauskommt, ist eine andere<br />

Sache. Also dieser ziemlich starke Abschottungsgesichtspunkt spielt ja nicht<br />

nur aus rein biologischen Sicherheitsgründen eine Rolle, sondern auch, weil man<br />

nicht will, daß das unkontrolliert rauskommt. Man möchte eben die Möglichkeit haben,<br />

die Notbremse zu ziehen. Und wenn etwas nicht Vertretbares rauskommt,<br />

möchte man auch sagen können: 'Nein, das wird nicht in die Umwelt entlassen'."<br />

(Int. Nr. 19, S. 41)<br />

In Antworten auf parlamentarische Anfragen haben zwei andere Länderbehörden<br />

klar auf die ungewißheitsbasierte Regelungsintention der Sicherheitsstufe 1 hingewiesen.<br />

Z.B. hat die CDU in Hessen gefragt:<br />

"Teilt die Landesregierung die Klassifizierung des Gentechnik-Gesetzes, daß in der<br />

sogenannten Sicherheitsstufe 1 'nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem<br />

Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist'? Wenn nein,<br />

aufgrund welcher Erkenntnisquellen kommt sie zu ihrer Einschätzung?"<br />

Die Landesregierung antwortete:<br />

220<br />

laßt die doch ihre Gesetze machen, wir machen es so, wie wir wollen', dann driftet das<br />

auseinander. Das muß man eben akzeptieren, auch wenn im Einzelfall, vom fachlichem<br />

Verständnis her, die eine oder andere Vorstellung ein bißchen abwegig ist oder diese im<br />

Gesetz festgelegten Auflagen nicht immer sachgerecht sind. Da muß sich die Erkenntnis<br />

durchsetzen, daß das eben mehr oder weniger unantastbare Dinge sind. Ein Gesetz hat<br />

eben hier die oberste Maxime." (Int. Nr. 19, S. 32f.)


"Die Klassifikation in § 7 Abs. 1 Nr. 1 des GenTG, nach der gentechnische Arbeiten<br />

dann der Sicherheitsstufe 1 zuzuordnen sind, wenn 'nach dem Stand der Wissenschaft<br />

nicht von einem Risiko für die menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen<br />

ist', wird von der Landesregierung akzeptiert. Dies heißt jedoch nicht, daß<br />

diese gentechnischen Arbeiten per se ohne jegliches Risiko sind. Die Kriterien bestimmen<br />

nämlich lediglich, daß die verwendeten Organismen keine Krankheitserreger<br />

sein dürfen und keine speziellen Risiken der gentechnischen Arbeit bekannt<br />

sind. Die Möglichkeit des Auftretens von bisher nicht bekannten Risiken im Zusammenhang<br />

mit gentechnischen Arbeiten ist im übrigen genau der Punkt, welcher<br />

den Gesetzgeber veranlaßt hat, jegliche gentechnische Arbeit den Bestimmungen<br />

des GenTG zu unterwerfen." 131<br />

Es stellt sich dann aber die Frage, wie diese Laborsicherheitsmaßnahmen für die<br />

Stufe S 1 ausgelegt und den Forschern vermittelt werden. Wenn man die Debatten<br />

zwischen Vollzugsbehörden und betroffenen Forschern verfolgt, muß man<br />

feststellen, daß hier häufig - aus der Perspektive ungewißheitsbasierter Vorsorge -<br />

unspezifische Erwägungen im Vordergrund standen, die auch S 1-Experimente so<br />

behandeln, als ob sie erwiesenermaßen gefährlich wären ('Prevention'), und daher<br />

vor allem auf eine möglichst strikte bürokratische Überwachung des Containments<br />

und kaum auf den Aspekt der Informationsgenerierung und der Risikokommunikation<br />

als den für eine Reduzierung der Ungewißheit angemessenen<br />

Maßnahmen 132 abzielen. So richtet sich folgender Beschluß des Länderausschusses<br />

Gentechnik (LAG) auch auf S 1-Experimente:<br />

"[G]entechnische Anlage bzw. Teil einer solchen Anlage für den innerbetrieblichen<br />

Transport [sind] lediglich die 'Einrichtung', in der die Organismen transportiert werden.<br />

Im Rahmen eines Anmelde- und Genehmigungsverfahrens für eine gentechnische<br />

Anlage hat eine Überprüfung der zu verwendenden Behältnisarten im Hinblick<br />

auf die Einhaltung der Containment-Bedingungen der GenTSV zu erfolgen: die Behältnisarten<br />

sind in den Anmelde- bzw. Genehmigungsunterlagen zu bezeichnen.<br />

Der Austausch von Transportbehältnissen durch konstruktiv abweichende Behältnisse<br />

ist nach § 21 Abs. 2 GenTG anzuzeigen; er kann im Einzelfall eine nach § 8<br />

131 Hessischer Landtag, Drucksache 13/5283, S. 9f. Die sächsische Regierung antwortete auf<br />

eine Frage von Bündnis 90/Die Grünen zur begrenzten Zuverlässigkeit von Sicherheitsstudien<br />

u.a.: "Da Sicherheitsstudien stets auf dem aktuellen Stand von Wissenschaft und<br />

Technik beruhen, gibt es auch im Bereich der Gentechnik zumindest theoretisch momentan<br />

nicht vorhersehbare Unwägbarkeiten. Die sich daraus ergebenden potentiellen Gefahren<br />

waren einer der Gründe für die Erarbeitung einer umfassenden gesetzlichen Regelung<br />

zum Schutz des Menschen und der Umwelt, die bereits an den Umgang mit GVO der Sicherheitsstufe<br />

1 (kein Risiko für Mensch und Umwelt) strenge Anforderungen stellt." (S.<br />

28 im Antworttyposkript vom 25.8.1993 auf die Anfrage LT-Drs. 1/3331 im Sächsischen<br />

Landtag)<br />

132 Vgl. unten, Kap. 10.1.4.<br />

221


Abs. 4 GenTG anmelde- oder genehmigungspflichtige wesentliche Änderung der<br />

gentechnischen Anlage sein." (Herv. i. Original) 133<br />

Erschwerend kommt hinzu, daß die zugezogenen tendenziell fachfremden Behörden,<br />

wie etwa die Feuerwehr, den spezifischen Unterschied zwischen erfahrungsbasierter<br />

und ungewißheitsbasierter Regulierung kaum nachvollziehen können<br />

und deshalb wohl in der Regel dazu tendieren, beides über den 'gleichen Kamm'<br />

traditioneller Prävention zu 'scheren'. 134 Diese Rigidität bei der Überwachung<br />

dessen, was einzig effizient durch die Vollzugsbehörden zu überwachen ist, nämlich<br />

der technischen Voraussetzungen, muß aber schon angesichts der viel gravierenderen<br />

Motivations- und Überwachungsprobleme des Verhaltens in der<br />

täglichen Laborarbeit als vollkommen unangemessen erscheinen. Noch viel weniger<br />

sind sie dazu geeignet, die Forscher vom Sinn der ungewißheitsbasierten<br />

Regelungsintention des Gentechnikgesetzes zu überzeugen.<br />

Dabei ist allerdings auch zu berücksichigen, daß klassische Verwaltungsmaßnahmen<br />

mit vorwiegend repressivem Zuschnitt kaum dazu geeignet sind,<br />

Kreativität und Engagement zur Aufklärung von Ungewißheit zu erzwingen. Der<br />

bürokratischen Rationalität entspricht es eher, erwartbare Prozesse zu regulieren,<br />

also klassische Prävention zu betreiben, als Überzeugungsarbeit gegenüber Wissenschaftlern<br />

und der Öffentlichkeit zu leisten und dabei zu vermitteln, daß Konflikte<br />

angesichts von Ungewißheit nur durch Informationsgenerierung und soziale<br />

Kompromisse zu überwinden sind.<br />

Das Zusammenspiel der Haltungen bei Forschern und Behörden führt aber im<br />

wesentlichen dazu, daß ungewißheitsbasierte als erfahrungsbasierte Vorsorge<br />

aufgefaßt wird, und dann von den ersteren als sinnlos abgelehnt und von letzteren<br />

dem <strong>Buch</strong>staben nach exekutiert wird.<br />

7.6.3. Die Novellierung des Gentechnikgesetzes - Scheitern der subpolitischen<br />

Kommunikation<br />

Wahrscheinlich kaum ein anderes deutsches Umweltgesetz wurde so konsequent<br />

und so schnell implementiert wie das Gentechnikgesetz und seine Verordnungen,<br />

aber auch kaum ein anderes Gesetz wurde so schnell novelliert. Während in den<br />

übrigen EG-Ländern die Richtlinien erst allmählich implementiert wurden und<br />

zumindest im Bereich der Regelungen des 'Contained Use' bis heute kaum Konflikte<br />

aufgetreten sind, ist in Deutschland der Gesetzgeber bereits nach zwei Jahren<br />

wieder in Aktion getreten. Neben einigen kleineren Anpassungen, die sich<br />

infolge der Intervention der EG-Kommission als notwendig erwiesen, wurde das<br />

133 Knoche in BG Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 193.<br />

134 Vgl. Meffert, VerwArch 1992, S. 474.<br />

222


Gentechnikgesetz soweit gelockert, wie es die EG-Richtlinien erlauben. Die Novellierungsdebatte<br />

war von der Argumentation mit 'Erfahrungen' gekennzeichnet,<br />

die angesichts der kurzen Zeitreihen bestenfalls vorläufig sein konnten und die<br />

man auch als ganz normale Anlaufschwierigkeiten bei den betroffenen Forschungsorganisationen<br />

und den Behörden hätte interpretieren können.<br />

Für den 'Erfolg' der Novellierungsbemühungen lassen sich drei Entwicklungen<br />

als komplementäre Erklärungsfaktoren anführen:<br />

1. Die Stellung öffentlich finanzierter Forschungsorganisationen in der Akteurskonstellation<br />

hat sich geändert.<br />

2. Es hat besonders in Deutschland allgemein einen radikalen Schwenk in der<br />

veröffentlichten Meinung gegeben, der kurzfristigen Wirtschaftsproblemen<br />

(wieder) - gegenüber Umweltfragen - die oberste Priorität einräumt.<br />

3. Es ist nicht gelungen, die auf Ungewißheit abzielenden Bestimmungen des<br />

Gentechnikgesetzes in der Wissenschaft, in der Verwaltung und in der Öffentlichkeit<br />

angemessen zu vermitteln.<br />

Zunächst ist in der Gesetzgebungsdebatte bis 1989 ein Organisationsdefizit der<br />

öffentlichen Wissenschaft und ihrer Verbände erkennbar, mit einer frühzeitigen<br />

und politisch sensiblen Interessenartikulation zu einer für die öffentlichen Forschungsorganisationen<br />

auskömmlichen Regulierungssituation beizutragen.<br />

Schon in den frühen 80er Jahren hatte der damalige Forschungsminister die<br />

Wissenschaftsverbände - erfolglos - gemahnt, sich besser auf die öffentliche Debatte<br />

einzustellen. 135 Während die Industrie auf europäischer Ebene und auch in<br />

Deutschland etwa 1988 aus pragmatisch-politischen Gründen ihre Opposition<br />

gegen eine gesetzliche Regulierung der Gentechnik aufgab, beharrten die Wissenschaftsverbände<br />

bis zuletzt auf altbekannten Positionen ('kein Gentechnikgesetz!'),<br />

die sie schon gegen Ende der 70er Jahre in den Gesetzgebungsdebatten<br />

in den USA und der BRD - damals erfolgreich - vertreten hatten. 136<br />

Die mangelhafte Koordination mit der Industrie wird auch daran erkennbar,<br />

daß die Wissenschaftsverbände in der Debatte um das deutsche Gesetz zuletzt<br />

eine möglichst zentralisierte und auf die ZKBS zugeschnittene Regelung auch für<br />

Arbeiten im Geschlossenen System anstrebten, während die Industrie - wegen der<br />

besseren Koordinierbarkeit mit anderen für Anlagegenehmigungen erforderlichen<br />

Zulassungsverfahren, die schon immer dezentral bearbeitet wurden (Baurecht,<br />

Immissionschutz) - für die Länderzuständigkeit plädierte. 137<br />

Daß schließlich der im Gentechnikgesetz vorgesehene Modus der Organisierung<br />

der Betreiberpflichten, der klar auf Organisationsformen in der<br />

135 Gill, Gentechnik, 1991, S. 107.<br />

136 Gottweis, Governing, 1995, S. 465, 338ff.<br />

137 Gill, Gentechnik, 1991, S. 150ff.<br />

223


(Groß-)Industrie zugeschnitten ist, für öffentliche Forschungsorganisationen zu<br />

Schwierigkeiten führen würde, hätte schon bei der Gesetzesberatung erkennbar<br />

sein müssen.<br />

Entsprechend wurden die Wissenschaftler durch die Wirkungen des Vollzugs<br />

des Gentechnikgesetzes überrascht. Während bis dahin eher Klagen auf symbolischer<br />

Ebene über die freiheitsberaubenden Wirkungen der Eingriffs- und Strafbestimmungen<br />

des Gesetzes geführt wurden 138 - die man allerdings auch im<br />

schon seit langem geltenden Seuchenrecht hätte entdeckt haben können -, wurden<br />

nun die viel unmittelbarer wirkenden verwaltungsrechtlichen Bestimmungen beklagt.<br />

"Germany's Gene Law Begins to Bite", titelte das renommierte Wissenschaftsmagazin<br />

Science 1992. 139<br />

Diese Schwäche in der Interessenartikulation wird leicht durch die Tatsache<br />

überdeckt, daß 'die Wissenschaft' als abstraktes System durch die szientistische<br />

Struktur des Gentechnikgesetzes, d.h. seiner Orientierung an letztlich immer nur<br />

wissenschaftlich definierbaren Risiken, in einer weiterhin privilegierten Situation<br />

belassen wurde. 140 Dennoch hat sich die konkrete Forschungssituation für die<br />

einzelnen Wissenschaftler durch den strikten administrativen Vollzug auf Länderebene<br />

zumindest in der Anfangsphase häufig konfliktträchtig und hindernisreich<br />

gestaltet. Dies scheint insbesondere für die Vielzahl der klinischen<br />

Forschungsinstitute zu gelten, die erst in jüngerer Zeit überhaupt mit der Genforschung<br />

angefangen haben und die deshalb auch den 'Geist' der älteren, auf<br />

Asilomar zurückgehenden wissenschaftlichen Risikokontroversen, der im Gentechnikgesetz<br />

gewissermaßen 'konserviert' wurde, nie verstanden haben (s.o.).<br />

In der Novellierungsdebatte haben Wissenschaft und Industrie dagegen einen<br />

bemerkenswerten 'Schulterschluß' vollzogen. Die Industrie hatte zwar, wie wir<br />

gesehen haben, keine vergleichbaren Schwierigkeiten mit dem Vollzug des Gentechnikgesetzes<br />

- zumindest soweit es die Forschung im Geschlossenen System<br />

betrifft. Sie hatte aber weiterhin mit massiven Akzeptanzproblemen in der Öffentlichkeit,<br />

besonders bei der Genehmigung von Produktionsanlagen, bei Freisetzungen<br />

und bei der anstehenden Vermarktung von Produkten, zu kämpfen. In der<br />

von der Industrie finanzierten Anzeigenkampagne 'Pro Gentechnik' traten nun vor<br />

allem Wissenschaftler aus öffentlich finanzierten Forschungsorganisationen auf,<br />

die für die Akzeptanz der Gentechnik und das Wohl des 'Standorts Deutschland'<br />

warben.<br />

Während für die Wissenschaft der Vollzug des Gentechnikgesetzes zunächst<br />

ein handfestes Problem war, war für die Industrie das Gesetz eher ein Symbol: In<br />

138 Koelschtzky, Forum Wissenschaft 1989.<br />

139 Kahn, Science 1992.<br />

140 Vgl. Hasse/Gill, Biotechnological, 1994.<br />

224


der Gesetzgebungsdebatte hatte man die Hoffnung gehegt, ein Gesetz könnte<br />

Akzeptanz schaffen. Nun mußte man einsehen, daß sich an der Skepsis in der<br />

Öffentlichkeit wenig geändert hatte. 141 Schließlich setzte sich sogar die gegenteilige<br />

Überzeugung durch, wonach das Gesetz die Gentechnik in der Öffentlichkeit<br />

als per se gefährlich 'stigmatisiere'. Diese Vorstellung machte sich die Bundesregierung<br />

schließlich auch bei ihren Vorstößen für eine Deregulierung der EG-<br />

Richtlinien zu eigen. 142<br />

Bemerkenswerterweise eröffnete nun umgekehrt die Max-Planck-Gesellschaft,<br />

eine Einrichtung, die bis dato eher auf den eigenständigen Wert der Grundlagenforschung<br />

rekurrierte, ihre 'Stellungnahme zu den Erfahrungen mit dem Gentechnikrecht<br />

und seiner administrativen Umsetzung' im April 1992 mit einem<br />

Kapitel über nationalökonomische 'Standortfragen', in dem die gegenseitige Abhängigkeit<br />

von Wissenschaft und Wirtschaft betont wird.<br />

Der Erfolg der Novellierungskampagne ist jedoch nicht allein durch den 'Schulterschluß'<br />

zu erklären. Vielmehr ist infolge der weltweiten Veränderungen nach<br />

dem Ende der Ost-West-Konfrontation, und speziell in Deutschland infolge des<br />

Beitritts der Neuen Länder, ein Umschwung in den generellen Bezugspunkten<br />

umweltpolitischer Argumentation in der öffentlichen Meinung eingetreten. Während<br />

man in den späten 80er Jahren Ökologie und Ökonomie im Paradigma der<br />

'Ökologischen Modernisierung' bzw. des 'Sustainable Development' langfristig zu<br />

vereinbaren suchte, stehen nun (wieder) die eher kurzfristigen Wirkungen ökonomischer<br />

und sozialpolitischer Globalisierung im Zentrum öffentlicher Besorgnis.<br />

'Gentechnik', bis dahin ein eher randständiges Thema in wirtschaftspolitischen<br />

Debatten, rückte nun in der Vorstellung einer sehr breiten Schicht von Akteuren<br />

zur 'Schlüsseltechnologie' par exellence auf. In den Parteien, den Gewerkschaften<br />

und in Medien kamen nun zum Thema 'Gentechnik' plötzlich die wirtschaftspolitischen<br />

Fachleute und Ressorts zu Wort, während eher umwelt- und gesellschaftspolitisch<br />

interessierte Sprecher, die die Debatte jahrelang dominiert hatten, im<br />

Hintergrund verschwanden.<br />

Insofern war die Konstellation günstig, den Mikrodiskurs über die "Gentechnik<br />

im Würgegriff der Bürokratie" - so ein Titel in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung<br />

vom 12.2.1992 - mit dem Makrodiskurs über den 'Standort' zu koppeln. Für<br />

die bisher nur sehr spärlichen ökonomischen Erfolge 143 wurden nicht die wissenschaftlich-technisch<br />

wahrscheinlich zu kurz greifenden Vorstellungen des mole-<br />

141 Z.B. Brauer/Stadler, Gesellschaftspolitische Kommentare 1992, S. 3f.<br />

142 Vgl. Fn. 36 in Kap. 3.<br />

143 Dolata, Politische, 1996; Gottweis, Governing, 1995.<br />

225


kularbiologischen Paradigmas 144 und die mangelnde Verfügbarkeit von Risikokapital<br />

in Europa, sondern die angeblich zu restriktiven Regulierungen verantwortlich<br />

gemacht.<br />

Zu dieser Konstellation hat auch das oben beschriebene Unvermögen beigetragen,<br />

die ungewißheitsbasierte Regelungsintention des Gentechnikgesetzes zu<br />

vermitteln. Dieses wurde von den betroffenen Forschern lediglich als überflüssige<br />

bürokratische Maßregelung wahrgenommen und entsprechend in der Novellierungskampagne<br />

thematisiert. Umgekehrt hat aber auch die Novellierungskampagne<br />

ein Meinungsklima geschaffen, das es schwierig gemacht hat,<br />

den Aspekt der Ungewißheit sinnvoll zu thematisieren und auszudeuten. In der<br />

Novellierungsdebatte wurden Interpretationsschablonen geliefert und (De-)Regulierungssituationen<br />

in Aussicht gestellt, die es für die betroffenen Wissenschaftler<br />

weder begründet noch opportun erscheinen ließen, sich näher auf dieses komplizierte<br />

und unangenehme Thema einzulassen.<br />

Stattdessen kam es teilweise zu einer kollektiven Aufschaukelung im Diskurs<br />

der Wissenschaftler, die sich schließlich auch von Regelungen und 'Verboten'<br />

umstellt sahen, die es gar nicht gab. So bemerkte Roland Mertelsmann, nachdem<br />

er als erster Forscher in Deutschland den Antrag zur Anwendung gentherapeutischer<br />

Methoden am Menschen gestellt hatte, in einer Diskussionsveranstaltung:<br />

"Der Grund weshalb wir den Antrag erst letztes Jahr gestellt haben, war wissenschaftsfortschrittsbedingt<br />

und hatte nichts mit den regulatorischen Normen zu tun,<br />

eigentlich. Obwohl ich meine Kollegen in anderen Gebieten, wo die Gentherapie eigentlich<br />

schon viel mehr Sinn macht, immer gefragt habe: warum macht Ihr denn<br />

das nicht? Das geht nicht. Habt Ihr das probiert? Nein. Das ging bis dahin, daß es<br />

schwierig war, junge Kollegen aus Amerika zurückzuholen, weil sie sagten, in<br />

Deutschland darf man keine Gentherapie machen. Dann sagte ich, wer sagt denn<br />

das? Meines Wissens sind wir die ersten, die einen Antrag gestellt haben und die ersten,<br />

die ihn unproblematisch durchgekriegt haben. Es hatte vor uns schlicht noch<br />

niemand versucht." 145<br />

144 Bisher haben sich die hochfliegenden Hoffnungen auf schnelle technische und wirtschaftliche<br />

Erfolge fast immer als verfehlt oder zumindest verfrüht herausgestellt. Die<br />

biochemischen Abläufe scheinen zumindest in höheren Organismen weitaus komplexer zu<br />

sein, als sie im 'Molekularbiologischen Dogma' (DNS => RNS => Protein => lebensweltlich<br />

interessantes Phänomen/Problem) konzipiert werden (vgl. z.B. Strohman,<br />

Bio/Technology 1994).<br />

145 Mertelsmann in Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993, S. 46.<br />

226


227


Kapitel 8: Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen<br />

Auch bei der absichtlichen Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen<br />

kann man zwischen erfahrungsbasierter und ungewißheitsbasierter Vorsorge<br />

unterscheiden. Allerdings rückt hier der letztere Aspekt verstärkt in den Vordergrund<br />

der Überlegungen, die zu einer Regulierung dieser Materie geführt haben. 1<br />

Denn Organismen, von denen bekannt ist, daß sie gefährlich sind, kommen für<br />

Freisetzungen kaum in Frage, es sei denn, sie ließen sich in der Umwelt durch<br />

eine Art von Quasi-Containment in ihrer Ausbreitung und Vermehrung zuverlässig<br />

begrenzen 2 und würden ansonsten am Freisetzungsort eine wichtige<br />

Funktion erfüllen. Bisher wurden allerdings hauptsächlich Organismen freigesetzt,<br />

die kein bekanntes, pathogenen Mikroorganismen vergleichbares Gefährdungspotential<br />

besaßen - es handelte sich überwiegend um gentechnisch veränderte Nutzpflanzen.<br />

Weil Ungewißheit also einen für die gesamte Freisetzungsregulierung zentralen<br />

und ausschlaggebenden Stellenwert besitzt, ist hier ein bewußterer Umgang mit<br />

den ungewißheitsbasierten Regulierungselementen zu beobachten als beim Umgang<br />

im Geschlossenen System, wo letztere eine eher untergeordnete Rolle spielen.<br />

Gleichwohl sind auch bei der Freisetzung wieder Ambivalenzen und Mißverständnisse<br />

bezüglich der Auslegung ungewißheitsbasierter Regulierungselemente<br />

zu konstatieren. Diese zeigen sich hier explizit, weil sie, anders als<br />

Auslegungsschwierigkeiten beim Umgang im Geschlossenen System, Auseinandersetzungen<br />

auf EG- und OECD-Ebene zur Folge haben.<br />

8.1. Ungewißheitsbasierte Vorsorge als internationalisiertes Rechtsprogramm<br />

Zunächst ist das Problem der Ungewißheit bei der Freisetzung durchaus mit dem<br />

Umgang im Labor bzw. im Geschlossenen System vergleichbar: Wenn man einen<br />

1 OECD, Recombinant, 1986.<br />

2 Zu denken ist hier an die Sterilisierung, den Einbau sogenannter Selbstmordgene und an<br />

die Manipulation der Fortbewegungsorgane. Allerdings muß Ausbreitung nicht räumlich,<br />

sie kann auch an bestimmte Umweltbedingungen - Substratspezifität, Wirtsspezifität,<br />

Lichtabhängigkeit etc. - gebunden sein: Ein Schadstoff abbauender Mikroorganismus z.B.<br />

müßte substratspezifisch sein und untergehen, sobald der Schadstoff als Nährmedium aufgezehrt<br />

wäre. Zur Unzuverlässigkeit solcher Begrenzungsstrategien vgl. Backhaus in BG<br />

Chemie, Gentechnikrecht, 1992, S. 97ff.<br />

228


neuen Organismus konstruiert hat, kann man schwer voraussagen, wie er sich<br />

verhalten wird. Für den Umgang im Labor wurde jedoch in Anlehnung an das<br />

Sicherheitskonzept der Mikrobiologie ein Klassifikationsschema entworfen, das<br />

die Organismen in vier Risikostufen einteilt und sie entsprechend abgestuften<br />

Containmentbedingungen unterwirft. Dabei wird davon ausgegangen, daß auf<br />

Grundlage einer ex-ante-Abschätzung des zu konstruierenden Organismus die<br />

erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zuverlässig bestimmt werden können. 3<br />

Man handelt also in einer hypothetischen Situation so, als ob die Erfahrungen der<br />

Mikrobiologie angemessen wären. Berücksichtigt werden dabei vor allem pathogene<br />

Wirkungen, während die sonstigen ökologischen Effekte, z.B. von mit Laborabwasser<br />

freigesetzten GVO in Kläranlagen, 4 noch weitgehend unerforscht<br />

sind.<br />

Da das Containment in den unteren Stufen nicht wirklich dicht ist, ist der Ü-<br />

bergang vom Geschlossenen System zur absichtlichen Freisetzung zunächst vor<br />

allem symbolischer Natur. Denn auch aus Labors werden permanent transgene<br />

Organismen - über das Abwasser, die Abluft, den Abfall sowie über die Kleidung<br />

und die Ausscheidungen der Mitarbeiter - freigesetzt. Allerdings gibt es auch<br />

physiologische Unterschiede. Im Labor kann man mit Organismen arbeiten, die<br />

auf bestimmte Nährmedien und Kulturbedingungen angewiesen sind, während für<br />

die absichtliche Freisetzung nur solche Organismen in Frage kommen, die 'robuster'<br />

sind, also auch unter einem erweiterten Spektrum von Umweltbedingungen,<br />

wie sie eben im Freiland herrschen, überleben können. Außerdem wird in der<br />

Regel eine größere Zahl von Organismen ausgebracht: Nicht nur aus probabilistischen<br />

Gründen, sondern auch deshalb, weil die meisten Organismen nur in Gemeinschaft<br />

(Kolonien) durchsetzungsfähig sind, haben sie dann bessere Überlebensbedingungen.<br />

Gleichgültig, ob die Gründe nun eher symbolischer oder physiologischer<br />

Natur sind, in jedem Fall waren die Gentechnologen bei den Freisetzungsversuchen<br />

mit einer anderen wissenschaftlichen Community - den Ökologen<br />

und Freilandbiologen - konfrontiert, die selbst eher deskriptiv als experimentell<br />

arbeiten und daher auch andere wissenschaftliche Sichtweisen und Sicherheitskonzepte<br />

vertreten als die Mikrobiologen. 5<br />

3 Wenn man streng einer ungewißheitsbasierten Vorgehensweise Rechnung tragen wollte,<br />

müßte man den neuen Organismus zunächst immer in die höchste Sicherheitsstufe eingruppieren<br />

und könnte ihn dann erst mit steigendem Kenntnisstand allmählich niedriger<br />

eingruppieren. Im übrigen kennt auch die Mikrobiologie eine schrittweise Herabstufung<br />

des Containments, wenn mit bislang uncharakterisierten Materialien umzugehen ist (vgl.<br />

oben, Kap. 2.2.1.).<br />

4 Brüser, Süddeutsche Zeitung 1993.<br />

5 Vgl. Krimsky, Biotechnics, 1991; Schomberg, Technology in Society 1993.<br />

229


Die Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen ist dagegen von einem<br />

'epistemischen Streit' zwischen unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen,<br />

besonders zwischen Molekularbiologen und Ökologen, begleitet. 6 Die<br />

Wahl eines geeigneten Analogiemodells 7 blieb hier ambivalent, es wurden Erfahrungen<br />

mit der Risikoabschätzung bei Chemikalien, 8 der Einführung nichteinheimischer<br />

Organismen 9 und der Verwilderung einheimischer Nutzpflanzen 10<br />

herangezogen. Auf Drängen der Ökologen einigte man sich darauf, daß von Fall<br />

zu Fall geprüft werden soll, ob ein GVO freigesetzt werden darf, welche Sicherheitsmaßnahmen<br />

einzuhalten sind, und unter welchen Bedingungen sie Schritt für<br />

Schritt beim Übergang vom kleinen Maßstab zur Vermarktung 11 gelockert werden<br />

können. 12 Die Sicherheitsabschätzung erfolgt also nicht ex ante, sondern<br />

jeder transgene Organismus wird zunächst in seinem Umweltverhalten als prinzipiell<br />

unbekannt eingestuft und dann nach jedem Schritt, also ex post, aufgrund<br />

des gewonnenen Erkenntniszuwachses erneut beurteilt. Das vorsichtige Tasten<br />

ins Ungewisse hinaus ist kein ungewöhnlicher Vorgang. In der Politikwissenschaft<br />

wird er auch als Inkrementalismus bezeichnet. Ungewöhnlich ist indes, daß<br />

er unter intensiver öffentlicher Beobachtung stattfindet und - zumindest in den<br />

Ländern der EU - von vornherein als gesetzlich geregeltes Verfahren entworfen<br />

worden war (EG-Richtlinie 90/220/ EWG).<br />

Die rechtliche Programmierung, also die Festlegung von Genehmigungsbedingungen<br />

ex ante, ist hier allerdings mit drei Problemen konfrontiert:<br />

- Da bei Experimenten im Freiland zwar Schadensindikatoren beobachtet, größere<br />

Schäden aber möglichst vermieden werden sollen, müssen für die ersten<br />

Schritte containment-ähnliche Bedingungen festgelegt werden, die als Confinement<br />

bezeichnet werden: Die Zahl der ausgebrachten Organismen, ihre Fortpflanzungsfähigkeit<br />

und ihr Verbreitungsgebiet werden also zunächst begrenzt.<br />

6 Schomberg, Technology in Society, 1993.<br />

7 Zur Generierung von Hypothesen aus Analogien vgl. Poser, Berichte zur Wissenschaftsgeschichte<br />

1989.<br />

8 Strauss, Lessons, 1991.<br />

9 Regal, Experientia 1993.<br />

10 Sukopp/Sukopp, GAIA 1993.<br />

11 Wir verwenden an dieser Stelle, wie im EG-Sprachgebrauch üblich, die Bezeichnung<br />

'Vermarktung' ('placing on the market') synonym zum deutschen Rechtsbegriff des 'Inverkehrbringens',<br />

der sprachlich sowohl sperrig als auch wenig eingängig ist. Der deutsche<br />

Rechtsbegriff ist zwar sachadäquater, insofern er auch eine nicht-kommerzielle, z.B. kostenlose<br />

Verbreitung von transgenen Organismen erfaßt. Aber diese Präzisierung ist im hier<br />

vorliegenden Argumentationskontext nicht von Belang und scheint daher verzichtbar zu<br />

sein.<br />

12 OECD, Recombinant, 1986.<br />

230


Damit wird allerdings auch die Aussagekraft der Experimente über mögliche<br />

Schäden limitiert.<br />

- Zunächst müssen für alle infrage kommenden Organismen Beobachtungskriterien<br />

festgelegt werden, 13 die per definitionem nicht - wie bei der üblicherweise<br />

erfolgenden gesetzlichen Regulierung im Nachhinein - auf bereits aufgetretene<br />

Schäden reagieren, sondern aus Analogiemodellen (s.o., S. 230) generiert<br />

werden. Über deren Angemessenheit, d.h. ihren Vorhersagewert, auf<br />

ein potentielles Schadensereignis hinzudeuten, können aber ex ante keine erfahrungsgestützten<br />

Aussagen getroffen werden. Wenn sie nicht angemessen<br />

sind, können sie wiederum auf zweifache Weise falsch sein, nämlich in einem<br />

positiven und einem negativen Sinne. Im ersten Fall würde man also Organismen<br />

von der Vermarktung ausschließen, die 'in Wirklichkeit' 14 kein Gefahrenpotential<br />

besäßen. Im zweiten Fall würde man aufgrund unvollständiger Beobachtungsparameter<br />

keine Gefahrenanzeichen feststellen und Organismen zur<br />

Vermarktung zulassen, die sich nachher doch als schädlich erweisen. 15<br />

- Die rechtliche Programmierung muß - oder müßte (s.u.) - Kriterien angeben,<br />

wann man zum nächsten Schritt übergehen kann. Auf den ersten Blick scheint<br />

die Antwort ganz einfach: Wenn die festgesetzten Beobachtungsparameter kein<br />

inakzeptables Schadenspotential anzeigen, darf freigesetzt werden. Da es sich<br />

aber im Freiland nicht um eine standardisierte Laborsituation handelt, können<br />

die Parameter in der Zeit 16 , im Raum 17 und von Organismus zu Organismus 18<br />

ganz erheblich variieren. Selbst zwischen den berücksichtigten Beobach-<br />

13 Z.B. Ausbreitungs- und Vermehrungsverhalten als Indikatoren eines Verunkrautungspotentials<br />

von Pflanzen, vgl. Richtlinie 94/15/EG, Anhang II B.<br />

14 Vom virtuellen Beobachtungsstandpunkt eines Betrachters aus gesehen, der über eine<br />

'ausreichend lange' Beobachtungsdauer ex post urteilen könnte. Allerdings kann niemand<br />

wissen, wie lange 'lange genug' ist.<br />

15 Vgl. allgemeiner Wildavsky, Searching, 1991, der aus diesen Gründen ungewißheitsbasierte<br />

Regelungen grundsätzlich ablehnt.<br />

16 Z.B. wechseln von Vegetationsperiode zu Vegetationsperiode die Witterungsbedingungen,<br />

so daß die Ergebnisse eines Versuches in der ersten Vegetationsperiode schwerlich auf alle<br />

zukünftigen Vegetationsperioden extrapoliert werden können.<br />

17 An jedem Standort finden sich andere Böden, Witterungsverhältnisse, Vegetationsgemeinschaften<br />

etc.<br />

18 Im Unterschied zu möglichst standardisierten Labororganismen, bei denen es sich oft um<br />

genetisch identische Klone handelt, ist die Überlebensfähigkeit im Freiland, auch bei kultivierten<br />

Organismen, von einer gewissen genetischen Varianz abhängig. Das Problem der<br />

Vergleichbarkeit von Organismen stellt sich erst recht, wenn man zu vereinfachten Zulassungsverfahren<br />

übergeht und z.B. Kartoffeln (gleichgültig welcher Sorte) mit Herbizidresistenz<br />

(u.U. unabhängig vom spezifischen genetischen Konstrukt) einer standardisierten Zulassungsprozedur<br />

unterwirft.<br />

231


tungsparametern sind daher so viele Kombinationen denkbar, daß sie schwerlich<br />

alle vor der Vermarktung getestet werden können.<br />

Grundsätzlich stellt sich das Problem, zu welchem Zeitpunkt man das Confinement-<br />

und Beobachtungsregime lockern, vereinfachen oder ganz aufgeben kann,<br />

falls zwischenzeitlich keine überraschenden Schadenspotentiale entdeckt wurden,<br />

und ob diese Festlegung im Wege einer einfachen Verwaltungsentscheidung,<br />

durch Verordnung oder nur durch eine gesetzliche Entscheidung erfolgen darf.<br />

Anders ausgedrückt: Wenn man auf der Basis von Ungewißheit ein schrittweise<br />

zu vollziehendes Lernprogramm vorschreibt, kann das anfangs installierte Regime<br />

nicht für alle Zeit Gültigkeit beanspruchen, sondern es muß aufgrund der schrittweise<br />

gemachten Erfahrungen selbst wiederum revidiert werden - sei es, daß es<br />

aufgrund negativer Erfahrungen verschärft oder aufgrund des Ausbleibens von<br />

Schadensanzeichen gelockert wird.<br />

Das Step-by-step-Verfahren unterscheidet sich also wesentlich von einer auf<br />

Dauer angelegten Regulierung: Wenn auf der Basis von Ungewißheit bestimmte<br />

Tätigkeiten oder Produkte ganz verboten werden, so verhindert man auch die<br />

Generierung von Erfahrungen, die eine (konditionierte) Erlaubnis (in der rechtlichen<br />

Terminologie: ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt) rechtfertigen könnten.<br />

Werden auf der Basis eines hinreichend großen Erfahrungsschatzes Einschränkungen<br />

vorgenommen, so kann man ebenfalls sicher sein, daß die Regulierung<br />

nicht ständig angepaßt werden muß.<br />

Zugleich läßt die EG-Richtlinie 90/220, und teilweise auch die auf ihr beruhenden<br />

Ausführungsbestimmungen der Kommission, den Mitgliedsländern und<br />

ihren Behörden einige Freiräume bei der konkreten Ausgestaltung der Genehmigungsvoraussetzungen:<br />

- Es handelt sich nicht um eine EG-Verordnung, die unmittelbar im nationalen<br />

Recht der Mitgliedsländer Rechtswirkung entfaltet, sondern um eine Richtlinie,<br />

die in nationales Recht umgesetzt werden muß. Dies eröffnet der Gesetzgebung<br />

in den Mitgliedsländern gewisse Spielräume, die Vorschriften der Richtlinie<br />

in die jeweilige nationale Rechtskultur und Rechtsdogmatik einzupassen.<br />

19<br />

- Die Freisetzungs-Richtlinie basiert zwar auf den Freihandelsbestimmungen des<br />

EG-Vertrages (Art. 100a) und erlaubt - im Unterschied zur System-Richtlinie<br />

90/219/EWG - den Mitgliedsländern nur unter eingeschränkten Bedingungen<br />

19 Bei der Richtlinie sind gemäß Art. 189 Abs. 3 EGV die Ziele verbindlich, die Wahl der<br />

Form und der Mittel bleibt den Mitgliedstaaten überlassen. Allerdings enthalten beide EG-<br />

Richtlinien zur Gentechnik sehr detaillierte Regelungen, die den Umsetzungsspielraum der<br />

Staaten erheblich einschränken, vgl. auch das Schreiben der EG-Kommission (vgl. Fn. 91<br />

in diesem Kapitel).<br />

232


(nach Art. 100a Abs. 4), weitergehende Maßnahmen zum Schutz von Gesundheit<br />

und Umwelt anzuwenden. 20 Allerdings stellt sie es den Mitgliedstaaten<br />

ausdrücklich frei, zumindest bei experimentellen Freisetzungen die Öffentlichkeit<br />

zu jedem Aspekt des Genehmigungsverfahrens anzuhören. 21<br />

- Bei den Ausführungsbestimmungen sind ebenfalls zum Teil optionale Verfahren<br />

vorgesehen. So können die Mitgliedsländer von dem vereinfachten Genehmigungsverfahren<br />

Gebrauch machen, wenn sie bereits ausreichende Erfahrung<br />

mit entsprechenden Genehmigungen gemacht haben. 22 Hier wird also dem<br />

Prinzip der 'lernenden Verwaltung' Rechnung getragen, allerdings nur im Sinne<br />

einer Abschwächung von Anforderungen.<br />

De facto führt dies im Fall der Freisetzungs-Richtlinie zu unterschiedlichen Formen<br />

der Umsetzung, die sich im nationalen Recht, aber mehr noch in der Verwaltungspraxis<br />

zeigen. 23<br />

Innerhalb der OECD, vor allem zwischen der EG und den USA, werden Verhandlungen<br />

geführt, die zu einer gegenseitigen Anerkennung der aus den Feldversuchen<br />

gewonnen Daten führen sollen. Damit wäre es transatlantisch operie-<br />

20 Weitergehende Bestimmungen, zumindest soweit sie die Marktzulassung beträfen, werden<br />

als Handelshemmnisse angesehen. Da die Harmonisierung und die Entwicklung des Gemeinsamen<br />

Marktes innerhalb der EG der wesentliche Grund für den Erlaß der Richtlinie<br />

waren, wurde Art. 100a als Rechtsgrundlage gewählt (vgl. oben, Kap. 3.2.2.). Zur rechtlichen<br />

Anwendung des Art. 100a Abs. 4 vgl. EuGH, Urt. vom 17.5.1994, EuZW 1994, S.<br />

405 (zum deutschen PCP-Verbot).<br />

21 Da Artikel 7 systematisch in Teil B der Freisetzungs-Richtlinie steht, der die experimentelle<br />

Freisetzung regelt, läßt sich diese Bestimmung wohl nicht auf das Verfahren zum Inverkehrbringen<br />

(Teil C) anwenden. Gleichwohl ist zweifelhaft, ob die EG-Richtlinie insoweit<br />

eine abschließende Regelung enthält bzw. aus kompetenzrechtlichen Gründen enthalten<br />

kann; hierzu: Nentwich, Spielräume, 1993, S. 12f.<br />

Zu den übrigen Spielräumen der Richtlinie vgl. Nentwich, Spielräume, 1993, S. 8ff. Dort<br />

werden neben der Öffentlichkeitsbeteiligung die nationale Überwachung der Einsatzbedingungen<br />

eines Produktes und die Interpretation des Umweltbegriffs genannt. Vgl. auch<br />

Roller/Tappeser, Handlungsspielräume, 1994.<br />

22 Entscheidung der Kommission vom 4.11.1994, Amtsblatt der EG Nr. L 292 vom<br />

12.11.1994, S. 31f. Im vereinfachten Genehmigungsverfahren ist es nicht mehr erforderlich,<br />

alle Freisetzungsflächen von vornherein im Genehmigungsantrag aufzuführen - diese<br />

können dann je nach Erfordernis sukzessive nachgemeldet werden. Außerdem entfällt die<br />

Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Bundesrepublik nimmt am vereinfachten Verfahren<br />

nach EG-Recht teil und hat davon zum ersten Mal 1996 Gebrauch gemacht (Antrag der<br />

AgrEvo für Gaußig und weitere Orte). Allerdings besteht insofern eine unklare Rechtslage,<br />

als eine entsprechende Verordnung nach nationalem Recht (§ 14 GenTG) bisher nicht erlassen<br />

wurde; vgl. auch oben, Kap. 5.3.3.<br />

23 Vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996; Bergschmidt, Comparative, 1995; Ministry of Housing,<br />

Public, 1994; Hohmeyer et al., Internationale, 1994.<br />

233


enden Konzernen möglich, auch auf der Basis von in Übersee gewonnenen Daten<br />

Marktzulassungsanträge zu stellen.<br />

Hieraus wird ersichtlich, daß das Step-by-step-Verfahren nicht nur aus einer<br />

nationalen Perspektive betrachtet werden kann:<br />

- Die experimentellen Freisetzungen und die Marktzulassung können zwar in<br />

einem einzelnen Mitgliedsland erfolgen, sind aber dann für die ganze EU gültig.<br />

Der Antragsteller muß seinen Hauptsitz nicht in dem Land haben, in dem er<br />

die experimentellen Freisetzungen und die Marktzulassung beantragt. 24<br />

- Die experimentellen Freisetzungen und die Marktzulassung können in verschiedenen<br />

Mitgliedsländern erfolgen, wobei in Zukunft wahrscheinlich auch<br />

auf Daten aus Freisetzungsexperimenten zurückgegriffen werden kann, die in<br />

Nicht-Mitgliedsländern stattgefunden haben.<br />

- Bei Genehmigungsverfahren zur experimentellen Freisetzung und zur Marktzulassung<br />

sind jeweils auch die Daten aus allen weltweit bekannt geworden<br />

Freisetzungen zu berücksichtigen, soweit sie zu sicherheitsrelevanten Ereignissen<br />

und Informationen geführt haben.<br />

Wenn man die Rechtsform und Entscheidungsspielräume der nationalen Verwaltungen<br />

in den Mitgliedsländern in Rechnung stellt, wird erkennbar, daß das<br />

Step-by-step-Prinzip nicht nur in seinen kognitiven, sondern auch in seinen sozialen<br />

Aspekten zu betrachten ist, die in den verschiedensten Formen interagieren<br />

können.<br />

Das Step-by-step-Prinzip hat verschiedene Bedeutungsebenen:<br />

(1) Die Schritte innerhalb eines einzelnen Falles: Zunächst versteht man unter<br />

dem Step-by-step-Prinzip den schrittweisen Übergang, den ein transgener Organismus<br />

im Wege seiner Entwicklung durchläuft, also vom Labor zum Mikrokosmos<br />

oder Gewächshaus ins Freie, und dort von kleinen Feldversuchen auf abgeschirmten<br />

Flächen, über größere Anbauversuche im Rahmen der Sortenzulassung,<br />

bis hin zur allgemeinen Vermarktung. 25 Diese Vorgehensweise wird bei der Entwicklung<br />

von biologischen Varietäten ohnehin verfolgt, sie ist aufgrund der Freisetzungs-Richtlinie<br />

nun allerdings meldepflichtig und unterliegt einer Risikoabschätzung.<br />

Die Behörde kann dem Betreiber Beobachtungspflichten auferlegen<br />

oder eine besondere Abschirmung, z.B. zum Schutz gegen die Verbreitung des<br />

transgenen Pollen, vorschreiben (Confinement). Diese Vorgehensweise ist äußer-<br />

24 Eine Vermarktungsgenehmigung seitens eines Mitgliedslandes bzw. der EG-Kommission<br />

gilt für die gesamte EU. Es steht einem Antragsteller frei, sowohl die Freisetzungsgenehmigungen<br />

wie die Vermarktungsentscheidung in einem Mitgliedsland seiner Wahl herbeizuführen,<br />

wovon insbesondere multinational operierende Unternehmen auch praktischen<br />

Gebrauch machen.<br />

25 Vgl. oben, Kap. 5.3.2, insb. Fn. 37.<br />

234


lich vergleichbar mit der Arzneimittelzulassung, bei der die Substanzen zunächst<br />

im Labor und im Tierversuch und dann in den vier Phasen klinischer Prüfung an<br />

zunächst kleinen und dann immer größeren Kollektiven von Probanden auf Verträglichkeit,<br />

Wirksamkeit und Effizienz getestet werden. Ein Unterschied besteht<br />

aber insofern, als man bei Arzneimitteln bereits über reichhaltige Erfahrungen mit<br />

unerwünschten Nebenwirkungen verfügt und daraus Prüfkriterien abgeleitet hat.<br />

Insofern sind dort Umfang und Inhalt der einzelnen Schritte vorab genauer festgelegt.<br />

(2) Eine schrittweise Abfolge der Fälle: Diese Interpretation des Step-by-step-<br />

Prinzips ist rechtlich nicht verankert. Aber in der Praxis scheint man weitgehend<br />

dem Prinzip zu folgen, daß zunächst mit der Freisetzung relativ unproblematischer<br />

Organismen begonnen wird. Der Übergang von unproblematischen<br />

zu den eher schwierigen Fällen scheint sich in drei Dimensionen zu vollziehen:<br />

Das ist zum einen die Kontrollierbarkeit der Ausbreitung der freigesetzten Organismen.<br />

26 Das ist zum zweiten die Überschaubarkeit der ökologischen Wirkungen<br />

der transgenen Eigenschaft. 27 Und das ist zum dritten die wissenschaftliche Erfahrung,<br />

die man mit dem Organismus und dem transgenen Konstrukt bereits<br />

gewonnen hat.<br />

(3) Der schrittweise vollzogene Übergang zu Routineprozeduren bei der Abschätzung:<br />

Mit wachsender Verwaltungserfahrung können ähnliche Fälle in Klassen<br />

subsumiert werden, die einer gleichartigen Behandlung unterliegen. Zahl und<br />

Umfang der Prüfschritte können dann verringert werden. Auch wenn durch diesen<br />

Übergang von Einzel- zu Sammelgenehmigungen und von Fällen zu Fallgruppen<br />

das Verfahren kürzer und sein Ergebnis vorhersehbarer wird, so bedeutet diese<br />

Standardisierung nicht zwangsläufig eine Lockerung der Regulierung. 28 Sie könnte<br />

theoretisch auch eine Verschärfung darstellen, indem z.B. bestimmte Fallgruppen<br />

von der Vermarktung ausgenommen würden. Der Zuwachs an Verwaltungserfahrung<br />

vollzieht sich in den einzelnen Mitgliedstaaten ungleichzeitig. Staaten,<br />

die relativ spät die Richtlinie implementiert haben (z.B. Spanien) oder in denen<br />

26 Stark domestizierte, in unseren Breiten von ständiger menschlicher Pflege abhängige<br />

Pflanzen, die hier außerdem keine wilden Kreuzungspartner finden (z.B. Mais im Unterschied<br />

zu Raps), gelten als relativ leicht kontrollierbar.<br />

27 Z.B. werden transgene Eigenschaften, die den Nutzpflanzen außerhalb der Anbauflächen<br />

keine Konkurrenzvorteile verschaffen (z.B. Herbizidresistenz) in ihren ökologischen Wirkungen<br />

als überschaubarer angesehen als z.B. Resistenzen gegen Insekten, deren Verbreitung<br />

sowohl in den Pflanzenpopulationen als auch in den Insektenpopulationen (und<br />

den davon abhängigen Nahrungsketten, also z.B. bei Vögeln) zu erheblichen Veränderungen<br />

führen könnte. Dies gilt unabhängig davon, daß es agrarökologisch besehen wünschenswert<br />

sein mag, mit der gentechnisch induzierten Insektenresistenz den Einsatz von<br />

chemischen Insektiziden zu substituieren.<br />

28 So aber die bisherige Praxis der vereinfachten Verfahren, vgl. auch oben, Kap. 5.3.3.<br />

235


aufgrund des gesellschaftlichen Widerstands nur wenige Freisetzungen durchgeführt<br />

wurden (Deutschland), haben weniger Verwaltungserfahrung in diesem<br />

Bereich gewonnen.<br />

(4) Die schrittweise vollzogene Anpassung der EG-Richtlinie bzw. der nationalen<br />

Gesetze an die aktuelle wissenschaftliche Risikoeinschätzung: Im Unterschied<br />

zur dezentralen und daher asynchronen Entwicklung sozialer Erfahrung<br />

(s.o., Punkt 3) erzeugt der gesetzgeberische Rekurs auf wissenschaftliche Erfahrung<br />

synchron wirksam werdenden Anpassungsdruck - sowohl auf die Rechtsanwendung<br />

als auch auf die Gesetzgebung. Grundsätzlich ist auch hier denkbar,<br />

daß diese Anpassung in zwei Richtungen verläuft, d.h. eine Verschärfung oder<br />

Lockerung der Regulierung bedeuten kann. 29 Eine frühzeitige Lockerung, wie sie<br />

zur Zeit vollzogen wird, unterläuft allerdings Harmonisierungsbemühungen auf<br />

EG-Ebene, weil sie denjenigen Ländern und zentrifugalen Kräften entgegenkommt,<br />

die die Richtlinien nur schleppend oder pro forma umsetzen.<br />

(5) Die transgenen Organismen werden zugleich in eine soziale Umwelt freigesetzt:<br />

Man kann das oben geschilderte Vorgehen - nämlich Schritt für Schritt<br />

das Erfahrungswissen zu vermehren - auch im sozialen Sinne als Zeitaufschub für<br />

Regulierungsdiskussionen, als Test öffentlicher Reaktionen und als schrittweise<br />

vollzogene Desensibilisierung deuten.<br />

Zusammenfassend handelt es sich also um ein komplexes Programm, in dem<br />

schrittweise ein Übergang von einer ungewißheitsbasierten zu einer erfahrungsbasierten<br />

Regulierung vollzogen wird.<br />

8.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten der Europäischen<br />

Union<br />

8.2.1. EG-Ebene<br />

Auf EG-Ebene wird die Freisetzungs-Richtlinie - soweit sie Kompetenzen der<br />

Kommission begründet - von der Generaldirektion Umwelt (DG XI) der EG-<br />

Kommission ausgeführt. Diese kooperiert mit einem Gremium der zuständigen<br />

Behörden der Mitgliedsländer (dem sogenannten Artikel 21-Ausschuß). 30 Bezüg-<br />

29 Vgl. hierzu auch unten, Kap. 10.2.6.1.<br />

30 Vgl. Art. 21 der Freisetzungs-Richtlinie. Das Verfahren ist wie folgt geregelt: Die Kommission<br />

legt einen Entscheidungsentwurf zur beantragten Vermarktung eines transgenen<br />

Organismus vor. Dazu kann das Artikel 21-Gremium mit 3/4-Mehrheit der gewichteten<br />

Stimmen eine Stellungnahme abgeben. Stimmen der Entscheidungsentwurf der Kommission<br />

und die Stellungnahme nicht überein, entscheidet der Ministerrat mit qualifizierter<br />

236


lich der Anmeldung von experimentellen Freisetzungen in den Mitgliedstaaten<br />

übernimmt diese Direktion folgende Aufgaben:<br />

- Sie richtet ein System für den Austausch der in den Anmeldungen enthaltenen<br />

Informationen ein. 31 Aufgrund dieser in relativ knapp gehaltenen Formblättern,<br />

sogenannten SNIF's 32 , zirkulierenden Informationen können die anderen Mitgliedsländer<br />

um weitere Auskünfte nachsuchen oder 'Bemerkungen' zu der jeweils<br />

geplanten Freisetzung machen.<br />

- Zusammen mit dem Ausschuß der zuständigen Behörden der Mitgliedsländer<br />

richtet die Kommission für transgene Organismen, mit deren Freisetzung schon<br />

genügend Erfahrungen gesammelt wurden, vereinfachte Verfahren ein und entscheidet<br />

über Anträge der Mitgliedsländer, an diesen vereinfachten Verfahren<br />

teilzunehmen. 33<br />

Festzustellen ist, daß es bisher bei experimentellen Freisetzungen selten Konflikte<br />

zwischen den Mitgliedstaaten gab, wohl auch deshalb, weil die Einwendungen<br />

von anderen Mitgliedstaaten im Freisetzungsland nicht berücksichtigt werden<br />

müssen. 34 Konflikte treten erst und dann bisher regelmäßig bei Vermarktungsentscheidungen<br />

auf - wahrscheinlich auch deshalb, weil es im Vorfeld,<br />

also während der experimentellen Freisetzungen, selten Auseinandersetzungen<br />

gibt. 35<br />

Mehrheit. Kommt diese qualifizierte Mehrheit innerhalb einer Frist von drei Monaten nicht<br />

zustande, kann die Kommission den von ihr unterbreiteten Vorschlag erlassen. Die Kommission<br />

kann also vom Artikel 21-Ausschuß und vom Ministerrat jeweils nur mit qualifizierter<br />

Mehrheit überstimmt werden.<br />

31 Vgl. Artikel 6 und 9 der Freisetzungs-Richtlinie.<br />

32 Summary Notification Information Format (SNIF), Entscheidung des Rates 91/596/EWG<br />

(ABl. L 322, S. 1ff. vom 22.11.1991).<br />

33 Auf Grundlage von Art. 6 Abs. 5 wurden bisher folgende Kommissionsentscheidungen<br />

erlassen: Kriterien für das vereinfachte Verwaltungsverfahren (93/584/EWG, ABl. L 279,<br />

S. 42f. vom 12.11.1993) und Einrichtung von vereinfachten Verwaltungsverfahren<br />

(94/730/EG, ABl. L 292, S. 31f. vom 12.11.1994).<br />

34 Der einzige bisher bekannt gewordene Fall, in dem es zu ernsthafteren Auseinandersetzungen<br />

kam, war eine Freisetzung von virusresistenten Tomaten in Italien. In anderen Mitgliedstaaten<br />

befürchtete man, daß dadurch neue Viren erzeugt werden könnten. Der Vorschlag<br />

wurde auch - was bei der Zulassung von experimentellen Feldversuchen ungewöhnlich<br />

ist - im Artikel 21-Gremium der zuständigen Behörden der Mitgliedsländer diskutiert.<br />

Nach einer längeren Verzögerung gab die italienische Behörde aufgrund der erwarteten<br />

ökonomischen Vorteile dem Vorschlag ihre Zustimmung (Levidow et al., S&PP<br />

1996, S. 150; vgl. Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 115).<br />

35 Ein deutscher Behördenvertreter bemerkte, daß es zu den Kommentaren, die die deutschen<br />

Behörden zu den Freisetzungsvorhaben in anderen Ländern machen, selten überhaupt Reaktionen<br />

gibt (Int. Nr. 21, S. 8).<br />

237


Bei der Vermarktungsentscheidung kommen der Kommission folgende Aufgaben<br />

zu:<br />

- Die Behörde, die einen bei ihr gestellten Vermarktungsantrag befürwortet,<br />

sendet eine Kurzfassung 36 und eine ausführliche Fassung der Antragsunterlagen<br />

an die Kommission, die beide dann an die übrigen Mitgliedstaaten verteilt.<br />

- Wenn die Behörde, die den Antrag befürwortet, sich nicht mit den Mitgliedstaaten<br />

über deren Einwendungen einigen kann, erarbeitet die Kommission einen<br />

Vorschlag und setzt das Abstimmungsverfahren nach Artikel 21 in Gang.<br />

Sowohl bezüglich des Verfahrens zur experimentellen wie zur kommerziellen<br />

Freisetzung überarbeitet die Kommission zusammen mit dem Artikel 21-Gremium<br />

der Mitgliedstaaten die Formblätter für die bei einer Anmeldung verlangten Informationen,<br />

nach denen sich die Zulassungsbehörden in den Mitgliedstaaten zu<br />

richten haben. 37 Anpassungen an den technischen Fortschritt sind also in der<br />

Freisetzungs-Richtlinie vorgesehen und können auf administrativer Ebene, also<br />

ohne Zustimmung durch das Europäische Parlament oder den Ministerrat, vollzogen<br />

werden. Um die Legitimität ihrer Vorschläge zu erhöhen, zieht die Kommission<br />

gemäßigte Industrielobbys 38 und manchmal auch Umweltschutzverbände zu<br />

Rate. Trotz dieser Flexibilität, die die Richtlinie ermöglicht, erarbeitet die Generaldirektion<br />

Umwelt - auf Druck einer radikaleren Industrielobby 39 , anderer Direktionen<br />

der Kommission und einzelner Mitgliedsländer wie namentlich<br />

Deutschland - derzeit (Sommer 96) einen Vorschlag zur Änderung der Richtlinie,<br />

der aber bisher nicht verabschiedet wurde. 40<br />

36 Vgl. Kommissionsentscheidung 92/146/EWG (ABl. L 60, S. 19ff. vom 5.3.1992).<br />

37 Vgl. Artikel 20 der Richtlinie. Mit der Richtlinie 94/15/EG der Kommission (ABl. L 103,<br />

S. 20ff. vom 22.4.1994) wurde der für die experimentelle Freisetzung von höheren Pflanzen<br />

erforderliche Datenumfang spezifiziert und verringert. Entsprechend wurden auch die<br />

korrespondierenden SNIF's geändert, und zwar durch die Kommissionsentscheidung<br />

94/211/EG (ABl. L 105, S. 26ff. vom 26.4.1994).<br />

38 Im European Secretariat of National BioIndustry Associations (ESNBA) und in der Green<br />

Industry Biotechnology Platform (GIBiP) sind vor allem die Verbände von kleinen und<br />

mittleren Unternehmen der Biotechnologie-Industrie repräsentiert.<br />

39 Von der Senior Advisory Group on Biotechnology (SAGB) werden die Interessen großer<br />

multinationaler Chemieunternehmen repräsentiert. Vgl. Ward, Bio/Technology 1996.<br />

40 Vgl. Levidow et al., S&PP 1996, S. 138ff.<br />

238


8.2.2. Administrative Umsetzung in den Mitgliedstaaten<br />

Unterschiede zwischen den Zulassungsbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten<br />

resultieren weniger aus der rechtlichen Umsetzung 41 als aus der administrativen<br />

Implementierung. Letztere unterscheidet sich zunächst durch die Wahl<br />

der zuständigen Behörde, die über Freisetzungsanträge entscheidet und das Land<br />

im Ausschuß der 'Competent Authorities' auf EG-Ebene vertritt. Die Wahl der<br />

einzubeziehenden Ressorts determiniert bis zu einem gewissen Grad den Regulierungsstil,<br />

d.h. den Abstimmungsmodus, den fachlichen Blickwinkel, die Beiziehung<br />

wissenschaftlichen Sachverstands sowie die Beteiligung von unterschiedlichen<br />

Lobbyorganisationen und der allgemeinen Öffentlichkeit.<br />

In Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark, Spanien und Irland wird die<br />

führende Rolle im Rahmen des Zulassungsverfahrens vom Umweltministerium<br />

übernommen, in Deutschland, Italien, Österreich und Belgien (mit Einschränkungen)<br />

vom Gesundheitsministerium, sowie in Frankreich vom Landwirtschaftsministerium.<br />

42<br />

In den Ländern, in denen Freisetzungen öffentlich umstritten sind - also insbesondere<br />

in Deutschland und Dänemark, aber auch in den Niederlanden und in<br />

Großbritannien -, reflektiert die Wahl der zuständigen Behörde eine gezielte politische<br />

Strategie in diesen Debatten. 43 In Dänemark, den Niederlanden und Großbritannien<br />

wurde - relativ erfolgreich - versucht, mit der Wahl des Umweltministeriums<br />

als zuständiger Behörde einen politischen Kompromiß zwischen<br />

den an Freisetzungen interessierten Organisationen und Umweltschutzgruppen zu<br />

etablieren. In Deutschland dagegen verfestigt die Wahl der Behörden eher die<br />

starken gesellschaftlichen Auseinandersetzungen über die Freisetzung, als daß sie<br />

zu ihrer Überwindung beitragen würde.<br />

41 Luxemburg und Griechenland haben die Richtlinie noch nicht umgesetzt. Erhebliche Unterschiede<br />

gibt es - wie von der Richtlinie auch eingeräumt - in den Bestimmungen über die<br />

Beteiligung der Öffentlichkeit. Im übrigen zielt in Luxemburg die (geplante) Gesetzgebung<br />

klar darauf ab, Freisetzungsanträge abzuschrecken, weil man es dort für zu aufwendig hält,<br />

eine Verwaltungseinheit für die Beurteilung von Freisetzungen aufzubauen. In Belgien gab<br />

es lange Verzögerungen bei der Umsetzung der Richtlinie. Besonders in Belgien, aber z.T.<br />

auch in Spanien wird die Richtlinie durch föderale Gesetzgebung umgesetzt. Vgl. Levidow/Carr,<br />

S&PP 1996.<br />

42 Levidow et al., Deliberate, 1995, S. 10f.; Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 96; DG XI,<br />

Summary, 1994b.<br />

43 In den übrigen Ländern, z.B. in Italien, Spanien und Belgien, scheinen dagegen eher gegenstandsexterne<br />

Interessen für die Wahl des Ressorts verantwortlich gewesen zu sein<br />

(Levidow et al., Deliberate, 1995, S. 10).<br />

239


8.3. Betreiberinteressen und Öffentlichkeit<br />

Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten resultieren allerdings nicht nur aus<br />

den administrativen Entscheidungen, sondern ebenso aus dem Wechselspiel zwischen<br />

Betreiberinteressen und öffentlicher Aufmerksamkeit. Gerade weil das EGrechtliche<br />

Regulierungssystem zumindest im Bereich experimenteller Freisetzungen<br />

sehr flexibel ist, hängt es sehr stark von der Balance gesellschaftlicher Interessen<br />

ab, welche Anträge überhaupt gestellt werden, welche Sicherheitsmaßnahmen<br />

die Antragsteller von sich aus vorschlagen und wie sorgfältig Sicherheit<br />

und Nutzen der vorgeschlagenen Versuche insgesamt begründet werden.<br />

Insgesamt sind bis zum 1.7.1994 in der EU 292 Freisetzungsanträge gestellt<br />

worden. 44 Die meisten der bisher freigesetzten transgenen Organismen waren<br />

Pflanzen, die der menschlichen Ernährung dienen. 45 Bis Ende 1992 wurden in<br />

den OECD-Mitgliedstaaten 864 Freisetzungen von transgenen Pflanzen gemeldet.<br />

46 Darunter rangierten die Experimente mit Herbizidresistenz an erster Stelle.<br />

47 Feldversuche mit Mikroorganismen und Tieren wurden bisher nur selten<br />

durchgeführt. Nach einer Schätzung der WHO sollen innerhalb der nächsten fünf<br />

Jahre 26 Pflanzen kommerziell angebaut werden. 48 Hier ist eine ständige Zunahme<br />

kommerzieller Interessen zu konstatieren, die auf EG-Ebene und in den<br />

einzelnen Mitgliedstaaten auf eine Standardisierung und Vereinfachung der Zulassungsverfahren<br />

drängen.<br />

Die Zahl der beantragten Freisetzungsversuche in den einzelnen Mitgliedstaaten<br />

der EU variiert erheblich: In Frankreich waren es 93, in Belgien 56, in<br />

44 DG XI, List, 1994. Zu den jeweils aktuellen Zahlen siehe seit neuestem http://www.rki.de<br />

(Internetadresse).<br />

45 In den OECD-Ländern waren das in erster Linie Raps (290), Kartoffeln (133), Tomaten<br />

(72), Tabak (72) und Mais (65) (Schiemann, BioEngineering 1994).<br />

46 Davon wurden 316 in den USA, 302 in Kanada, 77 in Frankreich, 45 in Großbritannien, 22<br />

in den Niederlanden, 13 in Neuseeland, jeweils 6 in Australien, Spanien und Schweden, 3<br />

in Dänemark, jeweils 2 in Deutschland und der Schweiz, und jeweils einer in Japan und<br />

Norwegen angemeldet (Schiemann, BioEngineering 1994). Bei Zahlenvergleichen ist<br />

grundsätzlich zu beachten, daß es von den jeweiligen administrativen Meldeverfahren abhängt,<br />

wie die Zahl der Feldversuche festgestellt wird: Eine Meldung kann sich auf verschiedene<br />

transgene Organismen beziehen, die in mehreren aufeinander folgenden Wachstumsperioden<br />

an verschiedenen Orten ausgesetzt werden - oder es muß für jeden Organismus,<br />

für jede Periode und für jeden Ort eine eigene Meldung erfolgen.<br />

47 In den OECD-Ländern wurden bis Ende 489 Versuche mit Herbizidresistenz, 382 mit<br />

Markergenen, 115 mit Virusresistenz, 89 mit Insektenresistenzen, 72 mit Qualitätsveränderungen,<br />

39 mit männlicher Sterilität, 35 mit Krankheitsresistenz und 35 'übrige' gemeldet<br />

(Schiemann, BioEngineering 1994).<br />

48 Köhler, GID 1995.<br />

240


Großbritannien 46, in den Niederlanden 42, in Italien 19, in Deutschland 11, in<br />

Dänemark 11, in Spanien 10, und in Portugal 4 Feldversuche. 49 Wenn man die<br />

Größe des Territoriums und die allgemeine Wirtschaftskraft der Länder in Rechnung<br />

stellt, liegen Belgien und die Niederlande klar an der Spitze. Bisher ist offenbar<br />

kein Freisetzungsantrag ausdrücklich abgelehnt worden. Es ist jedoch<br />

nicht bekannt, wie viele Freisetzungsanträge zurückgezogen wurden. 50<br />

Die Mehrzahl der Freisetzungsexperimente in Europa wurde von transatlantisch<br />

operierenden Unternehmen oder ihren europäischen Tochterunternehmen<br />

ausgeführt. 51 Sie haben ein besonderes Interesse an den Verhandlungen über die<br />

'gegenseitige Anerkennung von Daten', die zwischen den OECD-Staaten geführt<br />

werden. Da die Entwicklung besonders in den USA und Kanada schon weiter<br />

fortgeschritten ist, geht es de facto vor allem um eine Öffnung des Europäischen<br />

Marktes für Produkte, die in Übersee entwickelt wurden. Die häufig von der<br />

Lobbyorganisation dieser Konzerne vorgebrachte Klage, daß die Entwicklung der<br />

europäischen Biotechnologieindustrie durch die EU-Regulierung behindert werde,<br />

52 ist also zunächst lediglich auf betriebswirtschaftliche Interessen gegründet,<br />

die aber nicht notwendigerweise mit europäischen Wirtschaftsinteressen gleichzusetzen<br />

sind. 53 Das wird auch daran erkennbar, daß die Industrieverbände der<br />

mittelständischen und tatsächlich weitgehend europäisch basierten Biotechnologieindustrie<br />

auf EG-Ebene eher eine regulierungsfreundliche Haltung einnehmen.<br />

54<br />

Allerdings besteht in der Industrie auch ein gegenläufiges Interesse, gerade<br />

nicht den Weg des vordergründig geringsten Widerstands zu wählen. Es setzt sich<br />

49 DG XI, List, 1994.<br />

50 In Deutschland sollen es - einer Vertreterin des UBA zufolge - 12 von insgesamt 39 Anträgen<br />

gewesen sein. Dabei wird allerdings offenbar eine andere als die EG-offizielle Zählweise<br />

zugrundegelegt (Löhr, GID 1995, S. 16).<br />

51 Dies betrifft Zeneca, Monsanto, AgrEvo, Pioneer Hybrid, Ciba Geigy und Plant Genetic<br />

Systems (vgl. DG XI, List, 1994).<br />

52 SAGB, Community, 1990; CEC, Bulletin of the European Communities, supplement 6/93,<br />

S. 100ff.; CEC, EBIS newsletter 1994; vgl. dagegen auch die aufschlußreiche Studie von<br />

Kraus, Regulation, 1994.<br />

53 Um die Frage zu entscheiden, ob die Erleichterung des europäischen Marktzugangs eher<br />

im amerikanischen oder europäischen Wirtschaftsinteresse liegt, müßte man im einzelnen<br />

untersuchen, an welchen Standorten der multinationalen Konzerne (gut- oder schlechtbezahlte)<br />

Arbeitsplätze entstehen, Steuern abgeführt und Reinvestitionen getätigt werden.<br />

54 Levidow et al., S&PP 1996, S. 142f. Auch in anderen Branchen ist auf EG-Ebene eine<br />

ambivalente Haltung der Industrie zu beobachten: "Ob Unternehmergruppen regulierte o-<br />

der deregulierte Produktmärkte bevorzugen, hängt von vielfältigen Faktoren wie z.B. der<br />

Branchenzugehörigkeit, der Art der erzeugten Produkte (Reifegrad im Produktlebenszyklus,<br />

Wertschöpfung u.ä.) oder der Unternehmensgröße ab." (Traxler/Schmitter, Perspektiven,<br />

1994, S. 63).<br />

241


nämlich die Erkenntnis durch, daß die Zulassungsverfahren allein den ökonomischen<br />

Erfolg nicht garantieren können. Denn letztlich müssen die Konsumenten<br />

bereit sein, die später vor allem zu Nahrungsmittel verarbeiteten Produkte zu<br />

kaufen, was derzeit - den Umfragen zufolge 55 - kaum der Fall ist. Hier unterscheidet<br />

sich der Produktbereich, auf den die meisten der derzeitigen Freisetzungsversuche<br />

hinzielen, deutlich von anderen Anwendungsbereichen der Gentechnik.<br />

Im Unterschied zu gentechnischen Produkten für medizinische Anwendungen,<br />

für die es oftmals keine direkte nicht-gentechnische Alternative gibt und<br />

deren Verbrauch ohnehin mehr von den Ärzten als von den Patienten dirigiert<br />

wird, sind gentechnisch erzeugte Nahrungsmittel bisher kaum mit erkennbaren<br />

Vorteilen für den Endverbraucher verbunden und können von diesen auch relativ<br />

leicht boykottiert werden. 56<br />

Insofern ist das Step-by-step-Verfahren auch eine Gelegenheit für Wissenschaft<br />

und Industrie, die Reaktionsweise nicht nur der natürlichen, sondern auch<br />

der sozialen Umwelt zu testen. Aus Sicht der Unternehmen kann das Verfahren<br />

genutzt werden, in der Auseinandersetzung mit der Öffentlichkeit die Akzeptanz<br />

für bestimmte Produkte zu testen sowie angemessene Argumentations- und Marketingstrategien<br />

zu entwickeln. Die Unternehmen können so auch die Zeit überbrücken,<br />

bis sich der Widerstand gegen gentechnisch erzeugte Nahrungsmittel<br />

eventuell gelegt haben wird, ohne direkt das Risiko allzu großer Investitions- und<br />

Reputationsverluste einzugehen, das mit einer scheiternden Vermarktung verbunden<br />

wäre. Man hält sich andererseits die Option offen, selbst mit eigenen Angeboten<br />

sofort nachziehen zu können, wenn sich ein Konkurrenzprodukt am Markt<br />

als erfolgreich erweisen sollte. 57<br />

55 Z.B. Hennen/Stöckle, Gentechnologie, 1992, S. 14f.; Baron, Statusbericht, 1997, S. 10;<br />

TAB-Brief Nr. 12, Juni 1997, S. 16ff.<br />

56 Das gilt zumindest in der Anfangsphase auch dann, wenn gentechnische Nahrungsmittel<br />

nicht gekennzeichnet werden müssen. Boykotte können sich auch gegen Firmen und Ladenketten<br />

richten, von denen 'ruchbar' wird, daß sie (angeblich) gentechnische Produkte<br />

vertreiben. Die Auswirkungen sind dann weniger berechenbar und u.U. gravierender, weil<br />

auch nicht-gentechnische Produkte des Unternehmens betroffen wären. Einige deutsche<br />

Handelsketten lassen sich außerdem von ihren Lieferanten vertraglich zusichern, daß in ihren<br />

Lieferungen keine gentechnischen Produkte enthalten sind. Insgesamt scheint die Haltung<br />

der Unternehmen, die gentechnische Produkte einführen wollen, gespalten. Jedenfalls<br />

haben sich einige große europäische Nahrungsmittelkonzerne zu einer offenen und dialogorientierten<br />

Informationspolitik entschieden (vgl. Behrens et al., Nachbarn, 1997; Heins,<br />

Soziale Welt 1992).<br />

57 Man kann diese abwartende und 'umweltsensible' Haltung im Sinne der Rational Choice-<br />

Theorie auch als 'second winner'-Strategie bezeichnen. Sie setzt allerdings voraus - und<br />

kalkuliert ein -, daß es Unternehmen gibt, die auf jeden Fall und mit allen ihnen zur Verfügung<br />

stehenden Mitteln versuchen, den Marktdurchbruch zu erzielen ('first winner'-<br />

242


In der EG und in den USA sind zwar bereits einige Produkte genehmigt worden.<br />

58 Die Genehmigungsverfahren sind aber selten reibungslos verlaufen; sie<br />

waren innerhalb der Behörden, in der Fachöffentlichkeit wie zum Teil auch in der<br />

allgemeinen Öffentlichkeit umstritten. 59 Gegen die von der US-amerikanischen<br />

Firma Calgene lagerfähig gemachte Tomate 'Flavr Savr' - das erste transgene<br />

Nahrungsmittel auf dem Endverbrauchermarkt - kam es in den USA zu einem<br />

Boykottaufruf, dem sich auch namhafte Chefköche anschlossen. Calgene, das<br />

daraufhin die Vermarktung aussetzte, ist mittlerweile wirtschaftlich stark angeschlagen<br />

und wurde zur Hälfte von Monsanto übernommen. 60<br />

Es könnte sich daher bei vielen Unternehmen die Wahrnehmung durchsetzen,<br />

daß weniger die rechtliche Regulierung und ihr administrativer Vollzug, sondern<br />

die generelle Haltung des Publikums über Erfolg und Mißerfolg gentechnischer<br />

Produkte im Nahrungsmittelsektor entscheidet. Das hat auch Rückwirkungen auf<br />

die Handhabung experimenteller Freisetzungen. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang<br />

die Vorgehensweise von Vander Have, einem relativ großen niederländischen<br />

Saatgutunternehmen. 1994 zögerte man noch, experimentelle Freisetzungen<br />

in Deutschland zu unternehmen:<br />

"In 1991 and 1992 our Dutch field trials with GMO maize were destroyed by anonymous<br />

activists. It is not this risk of having one's trials destroyed that has kept<br />

Vander Have from carrying out GMO trials in Germany. Until recently, the manpo-<br />

Strategie). Denn andernfalls wäre es sinnlos, in das Offenhalten der Optionen zu investieren.<br />

Für welche Strategie sich die Unternehmen entscheiden, hängt von ihrer Organisationskultur<br />

und der Wahrnehmung ihrer ökonomischen Innovationssituation ab (Rammert,<br />

Weg, 1996; Hasse/Gill, Biotechnological, 1994; vgl. auch unten, Kap. 11.5.1.).<br />

58 In der EG waren dies bis 1994 zwei Tierimpfstoffe (gegen Aujeszky-Krankheit der<br />

Schweine und gegen Tollwut) und eine herbizidresistente Tabaksorte. Bis Mai 1996 waren<br />

außerdem Zulassungsanträge für herbizidresistenten Raps, herbizid- und insektenresistenten<br />

Mais, herbizidresistenten und männlich sterilen Chicoree, herbizidresistente Sojabohnen<br />

sowie für mehrfach veränderte Tomaten gestellt bzw. genehmigt. In den USA<br />

waren 1994 fünf transgene Pflanzen im Marktzulassungsverfahren oder hatten dieses bereits<br />

abgeschlossen: Länger haltbare Tomaten, herbizidresistente Baumwolle, herbizidresistente<br />

Sojabohnen, virusresistenter Kürbis und insektenresistente Kartoffeln.<br />

59 Bei fast allen Genehmigungsverfahren in der EG kam es bisher zu Einsprüchen seitens<br />

anderer nationaler Behörden, so daß die Kommission nach Art. 21 die endgültige Entscheidung<br />

treffen mußte. Beim insektenresistenten Mais von Ciba Geigy mußte zum ersten<br />

Mal der Ministerrat angerufen werden, weil die Kommission sich nicht mit den Behörden<br />

der Mitgliedstaaten einigen konnte.<br />

60 Die belgische Firma Plant Genetics Systems (PGS) lancierte 1994 einen der ersten Marktzulassungsanträge<br />

in der EG, und zwar für herbizidresistenten Raps (s.u.). PGS wurde<br />

1996 zu 75 Prozent von AgrEvo übernommen (ZEIT vom 23.8.1996, S. 18).<br />

243


wer to provide the anticipated amount of information required by colleagues and the<br />

German general public was simply not available." 61<br />

Wie sich in diesem Statement aber schon andeutet, hat man 1995 doch einen<br />

Genehmigungsantrag für eine experimentelle Freisetzung in Deutschland gestellt -<br />

für herbizidresistenten Mais, den man schon 1991 in den Niederlanden und<br />

Frankreich getestet hatte. Der einzige Grund für die Freisetzung in Deutschland<br />

war die Provokation und der Test sozialer Reaktionen:<br />

"Our intentions go far beyond the issue of actual acceptability. We applied for the<br />

test to promote the understanding of this new technology, and therefore we were very<br />

happy with the protests from environmental and consumer groups, who camped<br />

on the test site to make the field test impossible. So, as a consequence, the field test<br />

could not take place since they have been camping there for six months. We had very<br />

interesting discussions with the activists. We believe that the market success of<br />

our product will depend on what the German public accepts, to a great extent. The<br />

speed with which things develop will be determined by the German situation. So,<br />

even if we do not face any problems in the Netherlands, Germany will be the potential<br />

bottleneck." 62<br />

Darüber hinaus gibt es auch Überlegungen in der Industrie, daß die - offiziell<br />

vielfach beklagte - deutsche Situation längerfristig eher vorteilhaft sein könnte,<br />

weil hier in der Phase experimenteller Freisetzungen Widerstände abgearbeitet<br />

werden können, die in anderen Ländern vielleicht erst später einsetzen und dann<br />

die ökonomisch sehr viel sensiblere Vermarktungsphase treffen würden. 63 So hat<br />

z.B. auch das US-amerikanische Unternehmen Monsanto 1996 in Deutschland<br />

einen Freisetzungsantrag gestellt. Das heißt allerdings nicht, daß sich (schon) alle<br />

Unternehmen diese sozioökonomische Interpretation des Step-by-step-Prinzips zu<br />

eigen gemacht hätten und Feldversuche nun bevorzugt in Deutschland vornehmen<br />

würden (vgl. Tabelle 1, S. 258).<br />

61 Saat, Open, 1996, S. 315.<br />

62 Interview mit C. Noome, zit. n. Schomberg, Netherlands, 1995, S. 38.<br />

63 Bender et al., Ethische, 1997, S. 61. Man mag in diesem Zusammenhang auch an die<br />

Situation in den USA denken, wo sich die öffentliche Diskussion zuerst, nämlich schon in<br />

den 70er Jahren entzündete und seit den 80er Jahren in relativ ruhigen und geregelten<br />

Bahnen verlief.<br />

244


8.4. Zum Stand des Step-by-step-Verfahrens in der EG<br />

8.4.1. Verlauf der internationalen Sicherheitsdiskussion<br />

Entsprechend der Präambel der Freisetzungs-Richtlinie sollte schrittweise die<br />

Ausweitung der Feldversuche und die Lockerung des Einschlusses erfolgen, "jedoch<br />

nur dann, wenn die Bewertung der vorigen Stufen ... ergibt, daß die nächste<br />

Stufe eingeleitet werden kann." Dem für die Freisetzungsregulierung grundlegenden<br />

OECD-Dokument zufolge, in dem das Step-by-step-Prinzip erstmals formuliert<br />

ist, sollten im Rahmen der ohnehin für die Produktentwicklung erforderlichen<br />

Feldversuche auf den jeweiligen Stufen auch Sicherheitsdaten gesammelt werden,<br />

aus deren Auswertung sich der nächste Schritt rechtfertigen sollte. 64<br />

In den USA, wo die Entwicklung schon weiter fortgeschritten ist und eine ganze<br />

Reihe von transgenen Pflanzen aus dem Stadium der kleinräumigen Versuche<br />

heraustreten, wird mittlerweile von den Befürwortern mit der Unschädlichkeit<br />

von 2000 Versuchen argumentiert. Die Feststellung 'Nothing happened' wird nun<br />

als Argument für eine Blanko-Freigabe ins Feld geführt. Dagegen wird von Umweltschützern<br />

das sorgfältige Confinement, das vor den befürchteten Risiken der<br />

Feldversuche schützen sollte, nun im Nachhinein ganz anders als bisher noch in<br />

Deutschland kommentiert. Die Ökologen Peter Kareiva und Ingrid Parker bemerken<br />

in ihrem Gutachten für Greenpeace International:<br />

"Field trials tend to be uninformative because they have been so tightly controlled<br />

that they do not reflect the circumstances likely to prevail if commercial production<br />

were to begin." 65<br />

Auch ein Bericht der OECD kommt zu dem Schluß, daß die bisherigen Feldversuche<br />

wissenschaftlich nur schwer zu beurteilen seien:<br />

"In biosafety terms it is clear that the amount of useful information gained from the<br />

releases to date has been limited. ... This has to be expected from the nature of the<br />

releases which have in effect been 'field contained' rather than true releases." 66<br />

Argumentiert wird auch, daß die bisherigen Versuche zu klein angelegt waren, als<br />

daß sich statistisch seltene Ereignisse hätten zeigen können. 67 Von Umweltschützern<br />

wird allerdings auch kritisch angemerkt, daß in den Beobachtungsprotokollen<br />

vieler Feldversuche nicht einmal die wichtigsten der jeweils relevanten<br />

ökologischen Kriterien - wie Verunkrautung, Auskreuzung, Entstehung<br />

neuer Viren - überhaupt erwähnt seien; umso weniger seien sie in den allermei-<br />

64 OECD, Recombinant, 1986, S. 29.<br />

65 Kareiva/Parker, Environmental, 1995, S. 2.<br />

66 OECD, Field, 1993, S. 23f.<br />

67 Vgl. Stone, Science 1994.<br />

245


sten Fällen genauer untersucht worden. 68 Ein anderer OECD-Bericht räumt ein,<br />

daß die ohnehin unternommenen Feldversuche zur Beurteilung des technischen<br />

Entwicklungserfolgs nicht immer geeignet sind, zugleich auch Risikofragen zu<br />

beurteilen. 69<br />

Allerdings zeigt sich auch, daß sich die Diskussion über Beobachtungskriterien,<br />

etwa im Hinblick auf die Propagierung neuer Viren durch virusresistente<br />

Pflanzen zum Teil erst seit 1987, d.h. parallel zur Freisetzung, entwickelt hat.<br />

Zum Teil wird auch 'auf Vorrat' beobachtet, d.h. es werden z.B. in Frankreich<br />

molekulargenetische Untersuchungen verlangt, die man heute noch nicht interpretieren<br />

kann, von denen aber die Zulassungsbehörde annimmt, daß sie sich in<br />

Zukunft als wertvoll erweisen könnten, wenn der Stand des Wissens über die Genome<br />

der Nutzpflanzen gewachsen sein wird.<br />

Mit der Unklarheit der Beobachtungskriterien korrespondiert auch die Unklarheit<br />

der Beobachtungsdauer, die für die einzelnen Schritte angesetzt wird. So war<br />

schon vorher bekannt, daß für das aus der Invasion nicht-einheimischer Pflanzen<br />

entwickelte Schadensszenario der 'time-lag' zwischen Einführung und Verwilderung<br />

einige hundert Jahre betragen kann. 70 Wenn man in der Gesetzgebung diesem<br />

Analogiemodell konsequent gefolgt wäre, hätte man entweder eine - unrealistisch<br />

lange - Karenzzeit festlegen oder zuverlässige Frühindikatoren entwickeln<br />

müssen, die das spätere Verwilderungspotential anzeigten. Die Prognosefähigkeit<br />

wird aber von den Ökologen, die das Analogiemodell in die Diskussion gebracht<br />

haben, eher skeptisch eingeschätzt. 71<br />

8.4.2. Wandel der Schadensdefinitionen<br />

Parallel zur weltweiten Zunahme der Zahl der Freisetzungen haben sich auch die<br />

generellen semantischen Strategien in der Sicherheitsdiskussion verschoben. Anfangs,<br />

als die Debatte noch auf die Zuverlässigkeit des Containment fokussierte,<br />

68 Margaret Mellon und Jane Rissler haben in den USA im Namen der Union of Concerned<br />

Scientists die Herausgabe der amtlich vorgeschriebenen Beobachtungsberichte der USamerikanischen<br />

Feldversuche unter dem Freedom of Information Act erzwungen und anschließend<br />

ausgewertet (Mellon/Rissler, Bio/Technology 1995).<br />

69 "Performance trials per se do not necessarily provide information relevant to the risk/safety<br />

analysis and risk management, but can be designed to do so." (OECD, Safety, 1993, S.<br />

10). Damit wird also die anfängliche, von OECD Experten 1986 geäußerte Vorstellung revidiert,<br />

daß die Sicherheitsdaten im Zuge der ohnehin erforderlichen Leistungstests immer<br />

sinnvoll erhoben werden könnten.<br />

70 Vgl. oben, Kap. 2.2.2.<br />

71 Z.B. Sukopp/Sukopp, GAIA 1993; Langzeitbeobachtungen, z.B. über zehn Jahre, böten<br />

aber die Möglichkeit besserer Abschätzung (Int. Nr. 22, S. 10).<br />

246


ging es darum, ob die eingebrachten transgenen Konstrukte am intendierten Ort<br />

bleiben oder in andere genetische Kontexte und auf andere Organismen übertragen<br />

würden. Hier zeigte sich in einer ganzen Reihe von Experimenten der Sicherheitsforschung<br />

und anhand theoretischer Überlegungen, daß die ehemals behauptete<br />

Stabilität und Abgrenzbarkeit des Eingriffs nicht gegeben ist. Einen Genaustausch<br />

über die Grenzen der Arten und selbst der biologischen Reiche hinweg,<br />

also z.B. von Pflanzen auf Bakterien, möchte heute niemand mehr ausschließen.<br />

72 Allerdings resultierte aus dieser Falsifizierung einer<br />

Sicherheitsannahme nicht die Verschärfung der Regulierung. Es hat sich bei den<br />

Genforschern und überwiegend auch in der Verwaltung - parallel mit der in vielen<br />

Fällen bereits praktizierten Aufgabe des Confinements - eine Neuinterpretation<br />

dieser Befunde durchgesetzt: Wenn die eingebrachte DNA nicht am Bestimmungsort<br />

bleibe, sondern von anderen biologischen Arten aufgenommen werde,<br />

dann sei das ein Zeichen, daß allgemein in der Natur die genetischen Grenzen<br />

nicht so scharf gezogen seien, wie man ehedem dachte. Daraus sei zu schließen,<br />

daß der künstliche Gentransfer sich nicht vom natürlichen Gentransfer unterscheide.<br />

Je häufiger und weiterreichend der natürliche Gentransfer, desto geringer<br />

das Risiko, das zusätzlich durch einen künstlichen Gentransfer ausgelöst werden<br />

könnte. Wenn überhaupt, dann sei zu fragen, ob das übertragene Gen in anderen<br />

biologischen Kontexten 'Schäden' auslösen könne. 73<br />

Kritische Wissenschaftler haben dies ironisch kommentiert: "Bewiesene Risiken<br />

sind natürliche Risiken sind keine Risiken". 74 Sie versuchen einen Schadensbegriff<br />

zu etablieren, der jegliche nicht-intendierte Verbreitung von eingebrachten<br />

Genen als "genetische Verschmutzung" konzipiert.<br />

In einem Bericht über die EU-weite Handhabung von Freisetzungsanträgen<br />

wird vermerkt, daß keine europäische Prüfbehörde bisher eine abschließende<br />

Definition festgelegt habe, was als Schaden für die Umwelt anzusehen sei. Entsprechend<br />

orientiert man sich bei der Risikoanalyse weiterhin 'bottom up' an den<br />

Eigenschaften des transgenen Organismus und den Umständen der Freisetzung,<br />

und nicht an einer vielleicht zukünftig denkbaren Liste von Schadeffekten, die es<br />

dann 'top down' zu verhindern gelte. 75<br />

Es zeigt sich also auch in der administrativen Handhabung des Step-by-step-<br />

Prinzips, daß man weder kognitive Gewißheit über die zu erwartenden Effekte<br />

72 Vgl. z.B. Int. Nr. 9, S. 34: "Wir sehen nun, daß unser Genom überhaupt nicht das stabile<br />

Ding ist, das es über Jahrzehnte sein sollte, sondern daß viel rekombiniert wird, einerseits<br />

zu unserem Wohl, zum Beispiel im Immunsystem, und andererseits wahrscheinlich auch<br />

bei der Krankheitsentstehung."<br />

73 Vgl. z.B. Int. Nr. 21, S. 23f.<br />

74 Tappeser/Jäger, Perspektivenwechsel, 1994; vgl. auch Int. Nr. 23.<br />

75 Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 108.<br />

247


noch normativen Konsens über ihre Bewertung besitzt. In dieser Situation hat das<br />

aus den USA stammende Kriterium der 'Vertrautheit' ('familiarity') auch in der<br />

europäischen Sicherheitsdiskussion großen Anklang gefunden. Der rhetorische<br />

Erfolg des Vertrautheitskonzepts liegt u.a. darin begründet, daß es verschiedene<br />

Bedeutungen annehmen kann: Es kann dahingehend verstanden werden, daß sich<br />

in Feldversuchen keine unerwarteten Effekte gezeigt haben, daß die Komponenten<br />

des transgenen Produkts bekannt sind oder daß in begleitender Sicherheitsforschung<br />

einige Ungewißheiten geklärt worden sind. 76 Zugleich impliziert es, daß<br />

'vertraute' Produkte auch 'akzeptabel' seien, indem ihre Effekte mit natürlichen<br />

Prozessen oder mit herkömmlichen landwirtschaftlichen Produkten und Anwendungsformen<br />

verglichen werden. 77 Man könnte hier auch von einer pragmatischen<br />

Sicherheitsfiktion sprechen, bei der die wissenschaftlich nicht entscheidbaren<br />

Fragen durch sozialen Konsens überbrückt werden sollen. 78 Allerdings bleibt<br />

dabei immer noch umstritten, was als zulässige Vergleichsebene angesehen werden<br />

kann, und ob 'vertraute' Produkte und Praktiken, z.B. des herkömmlichen<br />

chemisierten Landbaus, auch akzeptabel sind.<br />

8.4.3. Der Streit um die Marktzulassungen<br />

Manifest werden die Probleme mit diesem rhetorischen Kompromiß, wenn sich<br />

die Mitgliedsländer bei Marktzulassungen auf EG-Ebene einigen müssen. Bei der<br />

Auseinandersetzung über die von der belgischen Firma Plant Genetic Systems<br />

(PGS) in Großbritannien beantragte Zulassung für herbizidresistenten Raps war<br />

vor allem umstritten, ob die zu erwartenden Resistenzbildungen bei Unkräutern<br />

tolerierbar seien. 79 Insbesondere die skandinavischen Länder und Österreich<br />

argumentierten, daß dies zu einer Ausweitung des Herbizideinsatzes führen könnte.<br />

Dagegen wurde von der Mehrheit der anderen Mitgliedstaaten eingewandt,<br />

daß dieser Effekt zwar durchaus möglich sei, aber nicht vom Produkt selbst, sondern<br />

vom Herbizideinsatz herrühren würde, der nicht durch die Freisetzungs-<br />

Richtlinie geregelt werden könne.<br />

Insgesamt zeigt sich in den Diskussionen um die Produktzulassungen immer<br />

wieder, daß in den Mitgliedstaaten sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber<br />

bestehen, was als 'Schaden' anzusehen ist und inwieweit auch der Verwendungszusammhang<br />

des Produkts - und nicht nur seine unmittelbaren biologischen<br />

76 Vgl. Levidow et al., S&PP 1996, S. 146.<br />

77 Vgl. Schomberg, S&PP 1996; Levidow/Carr, S&PP 1996; für die Diskussion in Deutschland<br />

vgl. Daele et al., Bewertung, 1994; kritisch dazu Gill, Wechselwirkung 1996.<br />

78 Vgl. unten, Kap. 11.3.ff.<br />

79 Es gilt als relativ wahrscheinlich, daß das Resistenzgen des herbizidresistenten Rapses auf<br />

verwandte Wildkräuter übertragen wird.<br />

248


Effekte - in Betracht gezogen werden soll. 80 Eine deutsche Verwaltungsvertreterin<br />

verweist hier auf das Spannungsfeld zwischen internationalisierter<br />

Wissenschaft und partikularisierten Öffentlichkeiten, in dem es letztlich keinen<br />

einhelligen Konsens geben kann:<br />

"Die Öffentlichkeit spiegelt sich insofern wider, als die Meinungsvielfalt der Behördenvertreter<br />

eben auf Basis der gesellschaftlichen Verhältnisse entsteht. Wenn man<br />

einmal annimmt, daß die Skandinavier z.B. viel sozialer und umweltorientierter als<br />

die Italiener sind, beeinflußt die Gesellschaft die Entscheidung, die von der Behörde<br />

getroffen wird - aber nicht direkt. Wir haben nun mal heutzutage eine internationale<br />

Wissenschaftsgemeinde, und auf dieser Basis müssen wir uns dann auch bewegen.<br />

... Und da muß man sich zusammensetzen und zusehen, daß man auf eine vergleichbare<br />

Einschätzung kommt. Alles, was darauf sattelt, ist dann wieder etwas anderes.<br />

Es wird immer nationale Unterschiede geben, heißt das im Klartext. Deshalb besteht<br />

Harmonisierungsbedarf." (Int. Nr. 22, S. 30)<br />

Dabei räumen auch die Befürworter der jeweiligen Marktzulassungen gelegentlich<br />

ein, daß nicht alle Sicherheitsfragen abschließend geklärt sind. Im Fall des hr-<br />

Rapses von PGS wurde die Marktzulassung von britischen und italienischen Vertretern<br />

als Genehmigung für ein großflächiges Experiment unter Realbedingungen<br />

gerechtfertigt. 81 Entsprechend wird diskutiert, hier eine Nachmarktbeobachtung<br />

zu installieren, wie sie auch bei Arzneimittelzulassungen üblich ist. Allerdings<br />

wurden dazu bisher nirgends verbindliche Festlegungen getroffen.<br />

8.5. Rechtliche und administrative Umsetzung der Freisetzungs-Richtlinie<br />

in der Bundesrepublik<br />

8.5.1. Zuständige Behörden<br />

Während in anderen Mitgliedstaaten der EU, in denen Freisetzungen ebenfalls<br />

umstritten sind, die Wahl von zuständigen Behörden und wissenschaftlichen Beratungsgremien<br />

auf Kompromißbildung und Integration abzielte und eine vergleichsweise<br />

weitgehende Einbindung von Umweltinitiativen vorsieht, wird in<br />

Deutschland der gesellschaftliche Konflikt in der Gesetzgebung und im administrativen<br />

Vollzug perpetuiert. Sichtbar wird dies schon in der ambivalenten Formu-<br />

80 Torgersen hat in einer retrospektiven Studie über konventionell gezüchtete Agrarpflanzen<br />

gezeigt, daß problematische ökologische Effekte ihres Anbaus kaum von ihren biologischen<br />

Charakteristiken per se herrühren, sondern aus den Kultivierungstechniken resultieren,<br />

die von den biologischen Eigenschaften allein nur schwach determiniert werden (Torgersen,<br />

Ecological, 1996).<br />

81 Levidow et al., S&PP 1996, S. 150f.<br />

249


lierung des Gesetzesziels, das - wie im Atomgesetz - einerseits den Schutz von<br />

Mensch und Umwelt und andererseits die Förderung einer bestimmten Technologie<br />

beinhaltet.<br />

Während der Gesetzgebungsdebatte Ende der 80er Jahre übertrug die Bundesregierung<br />

die Zuständigkeit für die Sicherheitsfragen der Gentechnik vom<br />

Forschungsministerium auf das Gesundheitsministerium. Dieser Schritt ließ sich<br />

zunächst auch sachlich begründen, insofern als der Konflikt damals noch besonders<br />

stark auf Sicherheitsbedenken gegenüber dem Umgang im Geschlossenen<br />

System - und in diesem Diskurskontext vor allem auf Humanpathogenität - fokussiert<br />

war.<br />

Allerdings hätte man aus sachlich naheliegenden Gründen die Zuständigkeit für<br />

Freisetzungsfragen auf das Umweltministerium übertragen können. Hier scheint<br />

jedoch die Überlegung eine Rolle gespielt zu haben, daß das Bundesgesundheitsamt<br />

den mit der Gentechnik verbundenen wissenschaftlichen und wirtschaftlichen<br />

Interessen näher stand als das Umweltbundesamt. 82 Das Bundesgesundheitsamt<br />

war auch von Anfang an für die Betreuung der Zentralen<br />

Kommission für Biologische Sicherheit zuständig gewesen, die bei Wissenschaft<br />

und Industrie großes Ansehen und Vertrauen genoß, 83 und ihre Beratungsfunktion<br />

auch auf die nun praktisch relevant werdenden Freisetzungsentscheidungen ausdehnen<br />

sollte. 84<br />

Das Umweltbundesamt (UBA) und die Biologische Bundesanstalt (BBA) als<br />

nachgeordnete Behörden des Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums fungieren<br />

zwar bei experimentellen Feldversuchen als Einvernehmensbehörden und<br />

können insofern ihr Veto einlegen; zuständige Genehmigungsbehörde ist aber das<br />

Robert-Koch-Institut (RKI). 85 Personell ist die Abteilung für Biologische Sicherheit<br />

im RKI mit ca. 65 Beschäftigten besetzt, in den zuständigen Abteilungen im<br />

UBA sind ca. 12 und in der BBA ca. 6 Personen beschäftigt. Das UBA bemüht<br />

sich um einen guten Kontakt sowohl zu Umweltgruppen als auch zur Industrie<br />

und vertritt in Genehmigungsverfahren eine "von dem Gedanken des vorsorgen-<br />

82 Gottweis, Governing, 1995, S. 353. Fast alle Ämter bilden mit der Zeit relativ enge und<br />

kooperative Beziehungen zu ihren Klienten aus, sofern keine Gegenmaßnahmen getroffen<br />

werden. Im Fall des Bundesgesundheitsamts (BGA) führte dies immer wieder zur Skandalisierung<br />

in der Öffentlichkeit. Der sogenannte Blut-AIDS-Skandal - das BGA hatte zu<br />

spät Maßnahmen gegen verseuchte Blutkonserven erlassen - gab letztlich auch Anlaß zu<br />

seiner Auflösung und der direkten Unterstellung der Einzelinstitute unter die Aufsicht des<br />

Gesundheitsministeriums.<br />

83 Vgl. oben, Kap. 7.2.<br />

84 Vgl. Gill, Gentechnik, 1991, S. 147ff.<br />

85 Vertreter von BBA und UBA bemerken dazu, daß sie teilweise nur unvollständig und<br />

verzögert informiert würden (Int. Nr. 21, S. 4; Int. Nr. 22, S. 22f.); seitens des UBA wird<br />

auch geklagt, daß Einwände manchmal ohne nähere Begründung übergangen würden.<br />

250


den Umweltschutzes geleitete" Position, die sich teilweise in der Forderung nach<br />

zusätzlichen Auflagen niederschlägt. 86 Auch die BBA gilt im allgemeinen als<br />

etwas kritischer gegenüber den Genehmigungsanträgen als das RKI. 87 Für die<br />

Überwachung der Freisetzung sind die Länderbehörden zuständig, die diese Aufgabe<br />

aufgrund ihrer Ortsnähe besser ausführen können. 88<br />

8.5.2. Umsetzung des Step-by-step-Verfahrens in der Bundesrepublik<br />

Das deutsche Gentechnikgesetz wurde 1990, also vor Inkrafttreten der Freisetzungs-Richtlinie,<br />

verabschiedet. Es fokussiert daher wesentlich stärker auf die<br />

damals im Vordergrund stehende Diskussion über den Umgang im Geschlossenen<br />

System, also insbesondere auf die Anlagengenehmigung, 89 zumal bei seiner Formulierung<br />

offenbar vielfach das Bundesimmissionsschutzgesetz als Vorlage diente.<br />

Entsprechend sind im Gentechnikgesetz die experimentelle Freisetzung und<br />

die Marktzulassung ('Inverkehrbringen') - im Unterschied zum Umgang mit transgenen<br />

Organismen im Geschlossenen System - nur relativ schwach programmiert.<br />

90 Eine Abfolge der Schritte im Sinne des Step-by-step-Prinzips ist<br />

nicht definiert. 91<br />

Betrachtet man den Ablauf der Genehmigungsverfahren in der Bundesrepublik<br />

genauer, dann fällt auf, daß die Auseinandersetzungen hier noch weitgehend auf<br />

die Frage bezogen sind, ob bei den einzelnen kleinräumigen Feldversuchen transgene<br />

Erbinformationen auf andere Organismen übertragen werden können. Entsprechende<br />

Aufmerksamkeit wird auf das Confinement, also den Einschluß der<br />

Feldversuche, gelegt. Kaum in Betracht gezogen wird dagegen die weitere Perspektive<br />

der Entwicklung, bei der es eigentlich darum geht, Informationen zu<br />

gewinnen, um festzustellen, ob man für den transgenen Organismus schließlich<br />

eine Marktzulassung erteilen kann oder nicht.<br />

86 Int. Nr. 22, insb. S. 14f.<br />

87 Int. Nr. 21, S. 3.<br />

88 Vgl. auch oben, Kap. 5.6.3.<br />

89 Vgl. Drescher, ZUR 1994.<br />

90 Vgl. im einzelnen oben, Kap. 5.3.2, 5.4.2, 5.4.3.<br />

91 Die EG-Kommission hat in einem Mahnschreiben zur Umsetzung der Gentechnik-<br />

Richtlinien moniert, daß das deutsche Gentechnikgesetz ein gestuftes Verfahren nicht<br />

zwingend vorschreibt. Die Bundesregierung antwortete darauf, daß das Step-by-step-Prinzip<br />

in den Erwägungsgründen der Richtlinie 90/220 zwar mehrfach angesprochen werde,<br />

aber in den Artikeln der Richtlinie selbst nicht umgesetzt sei (Schreiben der EG-Kommission<br />

vom 6.8.1992, Nr. SG (92) D/10908, und Stellungnahme der Bundesregierung vom<br />

7.10.1992; vgl. auch oben, Kap. 5.3.2., insb. Fn. 37).<br />

251


"Also ich habe auch mal mit dem RKI ein kurzes Gespräch gehabt und habe gefragt,<br />

liebe Leute, wenn wir diese Genehmigung aussprechen, dann sollten wir doch sagen,<br />

was wir an Zusatzinformationen noch brauchen, um auch bei größeren Freisetzungen<br />

oder der Kommerzialisierung mit gutem Gewissen ja sagen zu können.<br />

Und das ist dann eigentlich nicht [aufgenommen worden] ... Sowas gehörte nicht in<br />

den Genehmigungsbescheid eines begrenzten Feldversuches. ... Ich denke, das ist<br />

auch von uns, insgesamt von den Behörden, nicht wirklich konsequent durchdacht."<br />

(Int. Nr. 21, S. 40f.)<br />

Ähnliches wird aber auch für andere Mitgliedstaaten der EG konstatiert. Ein Antragsteller<br />

kommentiert: "One could say that, so far, the step-by-step procedure<br />

focused more on the safety of the step to be taken, than on the preparation of<br />

future steps." 92<br />

Theoretisch ist es nach dem Gentechnikgesetz sogar möglich, daß ein Antragsteller<br />

die Vermarktung beantragt, ohne daß experimentelle Freisetzungen<br />

vorausgegangen sind. Außerdem zeigt eine nähere Betrachtung des deutschen<br />

Gesetzestexts, daß die Marktzulassung gegenüber der Freisetzung prozedural<br />

deutlich erleichtert ist:<br />

- Es gibt bei der Entscheidung über das Inverkehrbringen auf nationaler Ebene<br />

keinerlei Informations-, Beteiligungs- und Klagerechte für die Bürger - im Unterschied<br />

zu den relativ weitgehenden Verfahrensrechten bei der experimentellen<br />

Freisetzung. 93<br />

- Bei der Freisetzung sind das Umweltbundesamt und die Biologische Bundesanstalt<br />

Einvernehmensbehörden, beim Inverkehrbringen müssen sie lediglich<br />

gehört werden. Im GenTG alter Fassung war die Biologische Bundesanstalt<br />

noch Einvernehmensbehörde bei der Marktzulassung. Im Zuge der Verhandlungen<br />

um die Novellierung des Gentechnikgesetzes hatte auch das Umweltbundesamt<br />

diese Stellung beansprucht, konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen.<br />

Nach der nunmehr geltenden Rechtslage müssen beide Behörden nur<br />

noch gehört werden. 94<br />

- Beim Inverkehrbringen wird die Zuverlässigkeit des Antragstellers nicht geprüft.<br />

- Eine ohne Genehmigung erfolgte Freisetzung ist strafbar, während eine ohne<br />

Genehmigung erfolgte Vermarktung lediglich als Ordnungswidrigkeit geahndet<br />

wird. 95<br />

92 Rüdelsheim, Does, 1995, S. 29; Rüdelsheim ist Vertreter der belgischen Firma Plant Genetic<br />

Systems.<br />

93 Gill, Germany, 1995, S. 29. Allerdings sind diese durch das 1. Gentechnik-Änderungsgesetz<br />

bereits erheblich zurückgenommen worden, im einzelnen dazu oben, Kap. 5.10.<br />

94 Vgl. Int. Nr. 21, S. 1f.<br />

95 Vgl. oben, Kap. 5.10.2.<br />

252


Diese Bewertung scheint sich zum Teil aus der ursprünglichen Vorstellung zu<br />

erklären, daß zwar die ersten Freisetzungen mit großen Unsicherheiten verbunden<br />

wären, man aber im Zuge des schrittweisen Verfahrens alle Ungewißheiten abklären<br />

könnte, so daß die Marktzulassung auf sicherer Wissensgrundlage erfolgen<br />

könnte. 96 Wie die gegenwärtigen Auseinandersetzungen um die Marktzulassungen<br />

zeigen, konnte diese Hoffnung allerdings nicht eingelöst werden.<br />

Diese Unterschiede, die in der öffentlichen und fachwissenschaftlichen Diskussion<br />

unseres Wissens nach bisher nirgends kommentiert wurden, erscheinen<br />

als nicht sachgerecht, weil die Vermarktung die weitestgehende Verbreitung von<br />

transgenen Organismen darstellt und deshalb u.U. weit größere Risiken mit sich<br />

bringt als eine lokal begrenzte experimentelle Freisetzung. Auch verfassungsrechtlich<br />

ist nicht einsichtig, wieso eine in der Regel kommerzielle Tätigkeit<br />

gegenüber der auf Wissensgenerierung abhebenden experimentellen Freisetzung<br />

privilegiert wird. 97<br />

In der Praxis dürfte allerdings eine Marktzulassung ohne jegliche experimentelle<br />

Absicherung im Vorfeld kaum zu erlangen sein, weil das Step-by-step-<br />

Prinzip de facto über den Umfang der von der Zulassungsbehörde jeweils verlangten<br />

Daten realisiert wird. Das Robert-Koch-Institut bemerkt dazu:<br />

"Grundsätzlich wird EU-Recht auf nationaler Ebene sinngemäß angewandt. Das<br />

RKI ist der Route des 'step by step' stets gefolgt. Es liegt in der Natur der molekulargenetischen<br />

Verfahren, daß Freisetzungen immer gentechnische Arbeiten in Laboratorien<br />

vorausgehen. Ebenso ist grundsätzlich davon auszugehen, daß die für ein<br />

Inverkehrbringensverfahren notwendigen Daten vorherige Freisetzungen bedingen."<br />

98<br />

Das RKI behauptet auch, daß auf diese Weise alle Ungewißheiten auszuschließen<br />

seien:<br />

"Es werden alle sicherheitsrelevanten Aspekte nach Antragseingang gemäß den nach<br />

Gentechnikrecht vorgegebenen Kriterien geprüft und bewertet. Es sind daher keine<br />

gentechnisch-rechtlichen Schäden aufgetreten und auch nicht zu erwarten." (Brief<br />

vom 7.6.1995 an den Autor, B.G.)<br />

Die ungewißheitsbasierte Regelung des Gentechnikgesetzes wird hier als eine<br />

erfahrungsbasierte Regelung mißverstanden. Nur so können die getroffenen Entscheidungen<br />

als eindeutig und frei von normativen Bewertungsspielräumen dargestellt<br />

werden. Tatsächlich scheinen aber bei den Einvernehmensbehörden Ambivalenzen<br />

darüber zu bestehen, wie das Step-by-step-Prinzip im Rahmen des deutschen<br />

Gentechnikgesetzes gehandhabt werden kann. Denn einerseits eröffne das<br />

96 Int. Nr. 22, S. 15.<br />

97 Zum Forschungsprivileg vgl. oben, Kap. 4.4.<br />

98 Brief vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.); vgl. Int. Nr. 22, S. 15 ff; vgl. Int. Nr. 21, S. 26ff.<br />

253


im Gesetzesziel statuierte Vorsorgeprinzip - so eine Verwaltungsvertreterin -<br />

relativ große Ermessensspielräume, während andererseits die konkreteren Bestimmungen<br />

zur Freisetzung eine 'gebundene Entscheidung' forderten, also kein<br />

Versagensermessen vorsähen. 99 Eine Zustimmung muß also erteilt werden, wenn<br />

nach dem Stand der Wissenschaft keine schädlichen Einwirkungen auf Mensch<br />

und Umwelt zu erwarten sind.<br />

In der Praxis bedeutet das nach Auffassung eines anderen Verwaltungsvertreters,<br />

daß alle Risiko-Szenarien, die konkret vorstellbar sind und im Feldversuch<br />

getestet werden können, auch getestet werden müssen, während darüber<br />

hinaus verbleibende Ungewißheiten hinzunehmen sind. 100 Insgesamt scheint aber<br />

Unklarheit darüber zu bestehen, was man nun tatsächlich in den Feldversuchen<br />

selbst oder im Rahmen begleitender Sicherheitsforschung testen könnte und was<br />

nicht. Denn einmal konstatiert der Interviewpartner, daß wichtige Fragestellungen<br />

bisher nicht verfolgt wurden:<br />

"Es gibt einige Risikoszenarien, von denen behauptet wurde, daß sie bearbeitet würden,<br />

die werden eben nicht bearbeitet. Also ob die neuen Produkte jetzt eine größere<br />

Ausbreitungsfähigkeit oder größere ökologische Fitneß haben, das wird nur an wenigen<br />

Stellen, ich möchte fast sagen, an fast keiner Stelle, wirklich ernsthaft untersucht<br />

... [Transgen erzeugte Insektenresistenz], das wäre im Prinzip ein ökologischer<br />

Vorteil; wenn man dieses Risikoszenario ernst nähme, müßte man es wirklich gut<br />

untersuchen, das macht aber keiner. Und wir haben uns bisher auch nicht dazu<br />

durchgerungen, diese Art von Untersuchungen zur Bedingung zu machen bei Freisetzungen."<br />

(Int. Nr. 21, S. 15f.)<br />

99 Int. Nr. 22, S. 17ff.<br />

100 Interviewer: "Es gibt kein Versagensermessen, wenn nach Stand der Wissenschaft keine<br />

schädlichen Folgen zu befürchten sind. Das heißt doch eigentlich, daß der Antragsteller<br />

nicht verpflichtet ist, selber zum Stand der Wissenschaft beizutragen, indem er eigene Sicherheitsforschung,<br />

eigene Begleitforschung, eigene Vorversuche unternimmt?"<br />

Verwaltungsvertreter: "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. So auf Knopf und<br />

Spitze ist es bisher noch nicht gekommen. Aber ich denke, so muß man das wahrscheinlich<br />

interpretieren. Nach dem Stand der Wissenschaft ... den hat er nicht zu befördern,<br />

sondern auf dem hat er aufzubauen seinen Antrag. Also ich denke, das würden wir darauf<br />

ankommen lassen. Wenn wir in irgendeinem Punkt einen Forschungsbedarf sehen würden,<br />

weil wir Risikoszenarien haben, über die man unvollkommen Bescheid weiß, würden wir,<br />

denke ich, auch die entsprechenden Untersuchungen anfordern."<br />

Interviewer: "Und das Risikoszenario wäre etwas, was in einem Versuch, also einem naturwissenschatlichem<br />

Experiment, zu überprüfen wäre?"<br />

Verwaltungsvertreter: "Ja, wenn es das wäre. Wenn es das nicht wäre, dann müßten wir<br />

wohl genehmigen."<br />

Interviewer: "Also so allgemeine Ungewißheiten sind kein Einwand?"<br />

Verwaltungsvertreter: "Sind kein Einwand. Das würde ich auch so sehen, sonst dürfte<br />

ich, denke ich, nicht auf so einer Stelle wie dieser hier arbeiten." (Int. Nr. 21, S. 26f.).<br />

254


Die gegenwärtige Sicherheitsforschung verfolge überwiegend Fragestellungen,<br />

bei denen noch die Übertragbarkeit der Transgene auf andere Organismen im<br />

Vordergrund stünde. Das sei zwar im Sinne von Grundlagenforschung sehr interessant,<br />

und finanziert werde es vor allen Dingen, weil die Projektträger hofften,<br />

auf diese Weise die Akzeptanz für die Gentechnologie zu erhöhen. Aber die Sorge<br />

des deutschen Publikums um die Übertragbarkeit von Genen spiele in der<br />

internationalen Regulierungsdiskussion sowieso keine besondere Rolle mehr<br />

(s.o., Kap. 8.4.). Daher hinke die Sicherheitsforschung den für die Regulation relevanten<br />

Fragestellungen hinterher:<br />

"Die Sicherheitsforschung müßte uns helfen zu beurteilen, ob wir denn die jeweiligen<br />

Freisetzungen genehmigen können oder welche Fragen wir an den Antragsteller<br />

spezifisch stellen sollen, was er untersuchen soll, damit wir ihm hinterher auch die<br />

Vermarktung erlauben können. Und wenn zu diesen Fragen diese Sicherheitsforschung<br />

nun wirklich gar nichts beiträgt, dann habe ich erhebliche Probleme damit,<br />

sie überhaupt als Sicherheitsforschung anzuerkennen." (Int. Nr. 21, S. 61)<br />

Die Ungewißheiten im Hinblick auf Langzeitwirkungen werden dabei auch von<br />

einer anderen Behördenvertreterin als groß eingeschätzt:<br />

"Keiner würde sich heute wirklich hinstellen und sagen, er kann Langzeitwirkungen<br />

feststellen. Wir können auf der Grundlage des heutigen Wissens eindeutige, direkte<br />

Risiken bei den Freisetzungen rausfiltern und können z.T. einschätzen, wo Fehlentwicklungen<br />

entstehen können und wie diesen vorzubeugen wäre. Aber diese Grauzonen<br />

bis hin zur wirklichen Risikofreiheit, die haben wir nicht im Griff. Das müssen<br />

wir ehrlicherweise auch sagen." (Int. Nr. 22, S. 19)<br />

Bei dem Feldversuch mit Petunien in Köln wurde festgestellt, daß die Pflanzen<br />

überraschenderweise eine erhöhte Pilzresistenz aufwiesen. 101 Welche Beobachtungsauflagen<br />

schließlich gemacht werden, werde dann mehr oder minder konfliktvoll<br />

zwischen den Einvernehmensbehörden ausgehandelt. Während das RKI<br />

nach außen den Eindruck zu vermitteln versucht, es gäbe hier für alle Entscheidungen<br />

klare rechtliche und wissenschaftliche Vorgaben, wird von den Vertretern<br />

der Einvernehmensbehörden eingeräumt, daß die Verwaltung hier auch eigenen<br />

Wertvorstellungen folgt:<br />

"Das läuft dann eben in den Behörden ab. Es gefällt mir nicht, daß von Behörden<br />

dann leicht behauptet wird, daß das alles eine rein wissenschaftliche Entscheidung<br />

sei. Um sich unangreifbar zu machen, wird das ja leicht so dahingestellt. Das ist,<br />

denke ich, schlicht nicht wahr. Irgendwo hat man ein gewisses Maß an Unsicherheit.<br />

In diesem Maß an Unsicherheit entscheidet man sich für die eine oder andere<br />

Seite." (Int. Nr. 21, S. 21f.)<br />

101 Bergschmidt, Comparative, 1995, Annex II.<br />

255


Ambivalenzen scheinen aber nicht nur in den Behörden, sondern auch auf rechtspolitischer<br />

Ebene zu bestehen. Das Gentechnikgesetz sieht eine Verordnungsermächtigung<br />

zur Genehmigung von Feldversuchen in einem vereinfachten<br />

Verfahren vor, die auf die EG-Richtlinie Bezug nimmt (§ 14 Abs. 4 GenTG). Von<br />

dieser Verordnungsermächtigung wurde bisher kein Gebrauch gemacht, obwohl<br />

das vereinfachte Verfahren 1994 von der Kommission etabliert wurde, Deutschland<br />

von Anfang an daran teilnahm und der AgrEvo eine Genehmigung für Feldversuche<br />

nach diesem Verfahren erstmals 1996 erteilt wurde (Antrag Gaußig).<br />

Auf EG-Ebene wirkt es auch irritierend, daß die Bundesrepublik im Inland die<br />

von der Richtlinie eröffneten Freiräume nur langsam ausschöpft, 102 aber bereits<br />

seit 1993 bei der EG-Kommission auf eine gesetzliche Novellierung der Richtlinie<br />

drängte. Ein deutscher Behördenvertreter erklärt zu den Hintergründen:<br />

"Das kommt daher, daß man in Brüssel bessere Beziehungen und bessere Kontakte<br />

hat. Das ist hier zuhause schwieriger durchzusetzen als in Brüssel. Ich denke, auch<br />

Industrievertreter finden in Brüssel eher ein offenes Ohr als sie das an manchen<br />

Stellen hier finden. Stellenweise ist das tatsächlich lächerlich, wenn wir uns als<br />

Land, das fast noch gar keine Erfahrungen mit Freisetzungen hat, dann für die große<br />

Vereinfachung dort einsetzen. Das wird übrigens auch von den Nachbarländern registriert,<br />

daß das ein Versuch ist, über Brüssel in das Heimatland rückzuwirken." 103<br />

8.6. Feldversuche in der Bundesrepublik<br />

Im Enquête-Bericht des Deutschen Bundestages zur Gentechnik wurde 1986 ein<br />

fünfjähriges Freisetzungsmoratorium für Mikroorganismen gefordert. 104 Wie auch<br />

an den gereizten Reaktionen von Wissenschafts- und Industrieverbänden erkennbar<br />

wurde, war 'Freisetzung' damit auch in der Bundesrepublik zum Thema geworden,<br />

noch bevor es konkrete Vorhaben in diese Richtung gab. Der erste Freisetzungsversuch<br />

in der Bundesrepublik wurde schließlich 1990 vom Kölner Max-<br />

Planck-Institut vorgenommen, allerdings mit Pflanzen, von denen man generell<br />

annimmt, daß sie sich weniger leicht unkontrolliert verbreiten können als Mikroorganismen.<br />

Der erste Versuch, der von der Fachwelt als völlig harmlos eingeschätzt wurde,<br />

stieß auf ein starkes Medienecho. Schwierigkeiten ergaben sich schon bei der<br />

Vorbereitung der öffentlichen Anhörung, weil die Stadt Köln dem Amtshilfeersu-<br />

102 Insbesondere wurde bisher - anders als in anderen Mitgliedstaaten - keine 'fast track<br />

procedure' etabliert (vgl. Fn. 137 in diesem Kapitel).<br />

103 Int. Nr. 21, S. 59. Vgl. zu dieser Passage oben, Kap. 3.2.3.<br />

104 Catenhusen/Neumeister, Chancen, 1987, S. XLVI.<br />

256


chen des RKI nur schleppend nachkam - sie wollte keine Räume und Personal zur<br />

Verfügung stellen - und sich dadurch prozedurale Fehler bei der Auslegung der<br />

Genehmigungsunterlagen ergaben. 105 Dieser Zwischenfall erscheint insofern<br />

symptomatisch, als er auf eine weit in die öffentlichen Institutionen hineinreichende<br />

Skepsis hinzudeuten scheint. Die erste Erörterungsveranstaltung mußte<br />

wegen Tumulten vertagt werden, zur zweiten waren die Freisetzungskritiker nicht<br />

mehr erschienen, weil sie diese als 'Farce' ansahen.<br />

Die Petunien wurden schließlich trotz der Sitzblockade einer Bürgerinitiative<br />

freigesetzt, blühten aber überraschenderweise nicht in den vorgesehenen, transgen<br />

erzeugten Farben. Dies wurde in der Öffentlichkeit zum Teil als Hinweis<br />

gewertet, daß die Wissenschaftler entgegen ihren Ankündigungen eben doch<br />

nicht alles im Griff haben, und daß in anderen Fällen vielleicht auch mit weniger<br />

harmlosen Ereignissen zu rechnen sei. 106 Ein Behördenvertreter erklärte denn<br />

auch im Interview, daß schon aus Laborversuchen bekannt gewesen sei, daß die<br />

Blütenfarbe nicht homogen ausgeprägt werde und daß es daher - im Hinblick auf<br />

die öffentliche Darstellung - 'verantwortungslos' und 'dumm' gewesen sei, mit den<br />

Pflanzen damals ins Freiland zu gehen. 107<br />

Es gab schon seit längerer Zeit in der Gentechnik-Community Diskussionen<br />

darüber, wer mit den Versuchen nun endlich beginnen würde und welche transgenen<br />

Eigenschaften in der Öffentlichkeit - anders als die schon damals kontrovers<br />

diskutierten Herbizidresistenzen - am wenigsten Kritik zu gewärtigen hätten.<br />

108 Es ist also offenbar kein Zufall, daß in der Bundesrepublik zunächst wissenschaftliche<br />

Institute (MPI Köln, IGF Berlin) und ein Saatgutunternehmen mit<br />

guter öffentlicher Reputation (KWS/Planta) mit den Freisetzungsversuchen begonnen<br />

haben, bevor Hoechst/AgrEvo, als ein Unternehmen mit weniger gutem<br />

'Image', nachzog (vgl. Tabelle 1).<br />

105 Vgl. die entsprechende Akte zum Genehmigungsverfahren, S. 636ff.<br />

106 Vgl. Lau, Risikokonflikt, 1997.<br />

107 Int. Nr. 21, S. 53.<br />

108 "Es war schon die Stimmung so: 'Ich mach mir die Finger da nicht schmutzig, sollen es<br />

doch andere machen, einer muß ja einmal anfangen'. ... Die haben die Petunie ausgewählt,<br />

weil man gehofft hat, daß dagegen niemand etwas haben könnte. Eine Pflanze, die bei uns<br />

draußen nicht überleben kann, die normalerweise überhaupt nicht draußen ist, wo man<br />

einfach mal zeigt, das wächst normal, und sie hat die Eigenschaft, die man ihr beigebracht<br />

hat, das war das Ziel damals." (Int. Nr. 12, S. 27.). In einem anderen Interview wird auch<br />

berichtet, daß Hoechst ein öffentliches Forschungsinstitut regelrecht gedrängt habe, die<br />

von dem Unternehmen entwickelten herbizidresistenten Pflanzenlinien zunächst im Rahmen<br />

der Sicherheitsforschung freizusetzen (Int. Nr. 21, S. 51ff.).<br />

257


Tabelle 1: Genehmigte Feldversuche in der Bundesrepublik Deutschland<br />

Anzahl Antragsteller Organismus Veränderung SF 109<br />

1990 1 MPI Köln Petunie Blütenfarbe<br />

1991 1 MPI Köln Petunie Blütenfarbe<br />

1992 4 IGF Berlin (2) Kartoffel größere Knollen,<br />

Stärkegehalt<br />

Uni Hamburg Kartoffel Krankheitsresistenz<br />

KWS/Planta Zuckerrübe Virusresistenz<br />

1993 1 TU München Mais, Raps Herbizidresistenz SF<br />

1994 7 AgrEvo (5) Mais, Raps Herbizidresistenz<br />

MPI Köln Kartoffeln Virusresistenz<br />

Uni Bielefeld Rhizobien Markergen SF<br />

1995 10 AgrEvo (6) Mais, Raps, Herbizidresistenz<br />

Zuckerrübe Herbizidresistenz<br />

KWS/Planta Zuckerrübe Virusresistenz<br />

RWTH Aachen Zuckerrübe Virusresistenz SF<br />

Uni Hohenheim Mais Herbizidresistenz SF<br />

Vander Have Mais Herbizidresistenz<br />

Offenbar hatte man auch erwartet, daß mit der Zeit und der zunehmenden Zahl<br />

das öffentliche Interesse und mit ihm der Widerstand gegen die Feldversuche<br />

erlahmen würde. Soweit es die Berichterstattung in den überregionalen Medien<br />

anbetrifft, ist dieser Effekt tatsächlich auch eingetreten. Allerdings haben die<br />

Feldversuche in vielen betroffenen Gemeinden ein erstaunlich starkes und weit in<br />

'bürgerliche Kreise' hineinreichendes lokales Widerstandspotential geweckt. Die<br />

Akzeptanz für die Freisetzung transgener Pflanzen ist, einer repräsentativen Umfrage<br />

zufolge, von 1992 bis 1997 noch einmal deutlich gesunken. 110 Die Formen<br />

des Protestes reichen von einer häufig sehr hohen Zahl von schriftlichen Einwendungen<br />

über wissenschaftliche Diskussionen, moralisierende Vorhaltungen wie<br />

auch regelrechte Beschimpfungen bei den Erörterungsveranstaltungen (solange es<br />

diese noch gab) bis hin zu gerichtlichen Klagen von Gemeinden und ortsansässigen<br />

Bio-Bauern. Darüber hinaus kam es zu vielen Feldbesetzungen - zum Teil in<br />

regelrechten Dauercamps - und häufig zur Zerstörung der ausgesäten Pflanzen. 111<br />

Die anfangs relativ geringe Zahl von Freisetzungen in der Bundesrepublik ist<br />

daher wohl kaum auf eine besonders restriktive Haltung der Behörden zurück-<br />

109 SF: Sicherheitsforschung<br />

110 TAB-Brief Nr. 12, Juni 1997, S. 17f.<br />

111 Vgl. die laufende Berichterstattung im Gen-ethischen Informationsdienst (GID).<br />

258


zuführen, sondern - von eher endogenen Gründen abgesehen - 112 durch die Aufmerksamkeit<br />

in der Öffentlichkeit und die Antizipation lokaler Proteste bedingt.<br />

Manche Wissenschaftler beklagen sich zwar auch hier - wie in anderen Bereichen<br />

der Gentechnik - über die Bürokratisierung (vgl. Kap. 7). Aber gerade in EG-<br />

Ländern, in denen bereits viele Freisetzungen durchgeführt wurden, wie namentlich<br />

Frankreich und den Niederlanden, werden Auflagen gemacht, die in der Bundesrepublik<br />

nicht üblich sind. 113<br />

Es ist den Behörden in der Bundesrepublik allerdings viel weniger als in anderen<br />

EG-Ländern gelungen, Antragsteller und Kritiker in vernünftige Dialoge einzubinden<br />

und damit zugleich in der Öffentlichkeit den Eindruck einer verantwortungsbewußten<br />

Vorgehensweise zu vermitteln. Das liegt sicher zum Teil an den<br />

festgefahrenen Haltungen der Kontrahenten. Man hat aber bisher auch keine geeigneten<br />

Formen einer konstruktiven Konfliktaustragung installiert, in denen die<br />

Konfliktparteien Einfluß auf die Genehmigungsprozeduren ausüben und sich über<br />

die Entwicklung gesellschaftlich akzeptabler Produkte verständigen könnten. 114<br />

Diese Situation wird durch den eng an 'Recht' und 'Wissenschaftlichkeit' gebundenen,<br />

mithin wenig partizipationsfreundlichen Verhandlungsstil des RKI - wie er<br />

auch in den Erörterungsveranstaltungen zum Tragen kam - nicht überwunden,<br />

sondern eher verstärkt. 115<br />

8.7. Fallbeispiel: Ein Freisetzungsversuch in Deutschland<br />

In einem von uns näher untersuchten Freisetzungsversuch konnten wir im Detail<br />

einige der Ambivalenzen der ungewißheitsbasierten Regulierung nachvollziehen.<br />

112 Die Gründe dürften auch in der zögerlichen Innovationsbereitschaft der (Groß-)Industrie,<br />

mangelndem Risikokapital sowie fehlender Unterstützung durch ökonomische Eliten zu<br />

finden sein; vgl. dazu oben, Kap. 7.3.2. und 8.3.<br />

113 Frankreich verlangt besonders saubere gentechnische Konstrukte, die durchsequenziert<br />

sein müssen und keine überflüssige DNA enthalten sollen. Begründet wird das damit, daß<br />

die überflüssige DNA nicht-intendierte Effekte hervorrufen könnte, weil sie eventuell<br />

doch Funktionen hat, die man heute noch nicht kennt. In den Niederlanden wird ein relativ<br />

sorgfältiges Monitoring der Feldversuche verlangt (vgl. Bergschmidt, Comparative,<br />

1995). Im übrigen waren in den USA am Anfang die bürokratischen Auflagen mindestens<br />

genauso streng wie in der EG (vgl. Krimsky, Biotechnics, 1991; Int. Nr. 21, S. 53).<br />

114 Die Einbindung von Umweltschutzvertretern in der ZKBS ist gescheitert, weil diese ihre<br />

Mitwirkung dort als nutzlos ansahen (vgl. Kap. 7.2.). Die mündlichen Erörterungstermine<br />

(vgl. Kap. 5.10), die bis zur Gesetzesnovellierung von 1993 Verfahrensbestandteil waren,<br />

sind dieser Hinsicht keine geeigneten Foren. Daß sie aber ersatzlos gestrichen wurden,<br />

wird von vielen im Nachhinein bedauert.<br />

115 Vgl. Gill, Germany, 1995, S. 37ff.<br />

259


Bei dem Versuch handelt es sich um ein Projekt zur Sicherheitsforschung, das<br />

von öffentlich finanzierten Wissenschaftseinrichtungen durchgeführt wird und bei<br />

dem von kooperierenden Arbeitsgruppen die Ausbreitung und Übertragbarkeit<br />

des Pollens, die Übertragbarkeit transgener Erbinformation auf Bodenmikroorganismen<br />

und der Abbau der transgenen Erbinformation während der Verrottung<br />

untersucht werden sollte. Gearbeitet wird mit herbizidresistenten Pflanzen u.a.<br />

deshalb, weil sich hier eine Genübertragung relativ einfach nachweisen läßt. 116<br />

8.7.1. Fixierung auf das Confinement<br />

Obwohl es sich um einen Versuch zur Sicherheitsforschung handelt, mußte das<br />

Projekt wie jeder andere Freisetzungsversuch von den Behörden genehmigt werden.<br />

Dabei äußern sich die Antragsteller sehr wohlwollend über den Kontakt zur<br />

Genehmigungsbehörde:<br />

"Die Kontakte zum RKI waren immer gut. Die Leute vom RKI waren sehr offen<br />

und pflegten auch einen sehr netten und freundschaftlichen Ton, als wir in Berlin<br />

waren. Sie haben uns darauf hingewiesen, was da im Antrag stehen muß und welche<br />

Nachweise wir brauchen usw." (Int. Nr. 14, S. 41)<br />

Die erste Fassung des Antrags wies einige Mängel auf und wurde nicht akzeptiert.<br />

Zwei Monate später konnte mit einer zweiten Fassung das Verfahren eröffnet<br />

werden. Bei den Sicherheitsauflagen ist die Genehmigungsbehörde im wesentlichen<br />

den Vorschlägen des Antragstellers gefolgt. 117 Der Genehmigungsbescheid<br />

enthält Auflagen, die die Ausbreitung von transgenem Pollen und<br />

Saatgut verhindern sollen.<br />

Gegen das Projekt wurden 18.000 Einwendungen erhoben, davon ca. 90 Prozent<br />

aus der näheren Umgebung. 118 Das Freisetzungsareal befindet sich in den<br />

noch teilweise ländlichen Einzugsgebieten einer Großstadt. In den umliegenden<br />

Gemeinden leben vor allem Angehörige der Mittelschicht, die überwiegend in der<br />

Stadt arbeiten. 119 Für den mündlichen Erörterungstermin wurde eine große Halle<br />

116 Alle Organismen, die das Gen für die Herbizidresistenz aufgenommen haben und exprimieren<br />

können, werden dadurch (theoretisch) selbst herbizidresistent. Man kann diese<br />

Organismen also relativ leicht auffinden, indem man entsprechende Proben mit dem Herbizid<br />

besprüht - überleben würden das (wahrscheinlich) nur Organismen, die transformiert<br />

worden sind.<br />

117 Int. Nr. 12, S. 50.<br />

118 Mehrere Umwelt- und Naturschutzverbände sammelten in den Gemeinden Unterschriften<br />

für Sammeleinwendungen, zum Teil handelte es sich aber auch um individuell begründete<br />

Stellungnahmen.<br />

119 Int. Nr. 11, S. 7.<br />

260


mit 1100 Plätzen angemietet; 120 bis zu zweihundert Zuhörer nahmen an der Veranstaltung<br />

teil. Sie dauerte zunächst vier Tage und mußte dann einen Monat später<br />

erneut für drei Tage anberaumt werden. In mehreren Gemeinderäten gab es<br />

Entschließungen gegen das Projekt. Der Bürgermeister einer Nachbargemeinde<br />

attackierte den Versuch mit allen zu Gebote stehenden verwaltungsrechtlichen<br />

Mitteln. Mehrere kleinere Demonstrationen begleiteten den Verlauf des Experiments.<br />

In einem prall gefüllten Aktenordner hat der Leiter des Versuchsguts die<br />

Artikel und Leserbriefe gesammelt, die überwiegend in der Lokalpresse über und<br />

vor allem gegen den Versuch geschrieben wurden.<br />

In unseren Interviews zeigen sich die Mitglieder der für den Feldversuch unmittelbar<br />

verantwortlichen Arbeitsgruppe von den öffentlichen Protesten weitgehend<br />

unberührt. Obwohl sie zum Teil in der Nähe des Versuchsfelds wohnen, sei<br />

ihr privates Umfeld davon kaum tangiert worden. Verärgert sind sie allerdings<br />

wegen der Verwüstungen, die wiederholt auf den Versuchsfeldern angerichtet<br />

wurden. Denn dadurch werde insbesondere die biostatistische Auswertung des im<br />

Detail auch mühevollen Experiments beeinträchtigt, wenn nicht unmöglich gemacht.<br />

Schwer getroffen fühlten sie sich auch durch eine Anzeige, die ein Naturschutzverband<br />

erstattet hatte, nachdem die Aussaat nicht, wie gesetzlich vorgeschrieben,<br />

mindestens drei Tage, sondern nur einen Tag vor dem Termin der<br />

zuständigen Kontrollbehörde gemeldet worden war:<br />

"Da hat jeder gezittert am Institut. Als dann wirklich Anzeige erstattet worden ist,<br />

war Herr X. schon ziemlich deprimiert. ... Herr X. hat schon mit dem Schlimmsten<br />

gerechnet, mit einer hohen Geldstrafe oder so etwas, und Herr Y. natürlich auch,<br />

weil er als Projektleiter dann doch die Verantwortung hat, obwohl er mit der Aussaat<br />

überhaupt nichts zu tun hatte." (Int. Nr. 15, S. 73)<br />

Aufgrund der problematischen Wetterlage habe man sich kurzfristig zur Aussaat<br />

entschlossen, rechtfertigten sich die Arbeitsgruppen-Mitglieder. Da es sich bloß<br />

um einen formalen Verstoß handelte, sah die zuständige Behörde vom Erlaß eines<br />

Bußgeldes ab. Die psychologische Wirkung allein der Anzeige, über die auch<br />

breit in der Lokalpresse berichtet wurde, ist jedoch kaum zu unterschätzen.<br />

An dieser Episode wird exemplarisch und zugespitzt ein Synergieeffekt zwischen<br />

gesetzlicher Regulierung und öffentlicher Beobachtung deutlich, der zumindest<br />

teilweise erklärt, warum sich deutsche Genforscher stärker reglementiert<br />

fühlen als ihre Kollegen im Ausland. Jedenfalls achten die Mitglieder der betroffenen<br />

Arbeitsgruppe nun sehr stark darauf, vor allem die formalen Auflagen peinlich<br />

genau zu erfüllen, auch wenn ihr Sinn ihnen durchaus zweifelhaft erscheint:<br />

120 Wenn die Halle zu klein gewesen wäre, hätte dies einen Verfahrensfehler dargestellt.<br />

261


innerhalb der EU ein freier Saatgutverkehr garantiert ist, ist es sowieso ziemlich<br />

hirnverbrannt, wenn wir hier jetzt riesiges Theater machen." (Int. Nr. 14, S. 51)<br />

Auch für die Versuchsgegner ergaben sich Konsistenzprobleme, als sie von dem<br />

Zulassungsantrag erfuhren. Die vor Ort gegründete Bürgerinitiative blieb zwar bei<br />

ihrer ablehnenden Haltung, änderte aber die Begründung. Sie forderte die Forschungsinstitutionen<br />

auf, den Versuch abzubrechen, weil er nun 'überflüssig' geworden<br />

sei. Der Bürgermeister, der so vehement gegen den Versuch gekämpft<br />

hatte, regte dagegen an, die Marktzulassung in Brüssel wenigstens solange zu<br />

blockieren, bis das vor Ort laufende Sicherheitsexperiment abgeschlossen sei.<br />

8.7.2. Akzeptanz- oder Sicherheitsforschung?<br />

Erstaunlich ist, daß die Arbeitsgruppe trotz des Beobachtungsdrucks, dem sie<br />

ausgesetzt ist, überhaupt eingewilligt hat, uns in so detaillierter Form Auskunft zu<br />

geben. Aber diese Offenheit gehört zum Programm des Freisetzungsversuches,<br />

das uns der Chef der Arbeitsgruppe ausführlich erläuterte:<br />

"Es ging darum, daß man in Deutschland die Biotechnologie, z.B. im Sektor der<br />

Pflanzenzüchtung, nicht noch weiter zurückfallen läßt. Ein ganz wichtiges Problem<br />

ist ja dabei, daß die Akzeptanz in der Öffentlichkeit nahe dem Nullpunkt lag oder<br />

immer noch liegt. Die Mehrzahl der Leute sind irgendwie in Sorge, daß das nicht in<br />

Ordnung ist. Warum können sie nicht genau sagen, sie haben so viel Negatives gehört,<br />

daß sich das festgesetzt hat. Von der Seite her ist es sicher notwendig, daß man<br />

einfach solche Versuche auch bei uns macht." (Int. Nr. 12, S. 5)<br />

Da er selbst in Übereinstimmung mit der herrschenden Auffassung in der Community<br />

der Genforscher keine - durch Risikoforschung antizipierbaren 121 - Sicherheitsprobleme<br />

sieht, bezeichnet er sein Vorhaben auch explizit als 'Akzeptanzforschung':<br />

"Obwohl es umstritten ist, das offen zu sagen: Es ist natürlich so, daß biologische<br />

Sicherheitsforschung heute im wesentlichen Akzeptanzforschung ist." (Int. Nr. 12,<br />

S. 32)<br />

Die Motivation für den Versuch besteht im wesentlichen darin, ihn überhaupt zu<br />

machen und dabei die Sorgen in der Öffentlichkeit aufzugreifen:<br />

"Für die Leute ist es wichtig, wenn man sich noch erinnert, was in der öffentlichen<br />

Anhörung z.T. für Sorgen geäußert worden sind, was die für Vorstellung gehabt ha-<br />

121 "Das ist so ein Überraschungselement, das immer in der Forschung eine große Rolle<br />

gespielt hat. Das ist ja nicht von der Hand zu weisen. Aber innerlich teile ich den Standpunkt,<br />

wie er auch in den anderen Ländern vorherrschend ist, daß man so ein unerwartetes<br />

Ereignis, das man nicht ausschließen kann, auch nicht systematisch erforschen kann -<br />

wir lassen es darauf ankommen." (Int. Nr. 12, S. 34)<br />

263


en, was solche transgenen Pflanzen alles machen. Da hat die simple Tatsache, daß<br />

die da stehen und sich nicht unterscheiden lassen von den anderen Pflanzen, immerhin<br />

so viel bewirkt, daß sie wenigstens sagen: 'Na ja, ich verstehe nichts davon, aber<br />

so gefährlich kann es doch vielleicht wirklich nicht sein.' Insofern meine ich, in gewisser<br />

Weise wirkt es sich schon aus, daß einfach das anschauliche Beispiel letzten<br />

Endes doch etwas bewirkt und daß nicht so irreale Vorstellungen sich da halten, wie<br />

sie ja wirklich z.T. im Umlauf waren." (Int. Nr. 12, S. 54)<br />

Auch ein anderes Arbeitsgruppenmitglied betont, daß es vor allem um eine öffentliche<br />

Demonstration geht:<br />

"Wir könnten mit dem Versuch auch irgendwo anders hingehen. Aber wir haben gesagt,<br />

wir ziehen es hier durch, und wir werden es auch nicht besonders umfrieden<br />

das Gelände. Jetzt hat man es kaputtgemacht. Aber wenn es darum gegangen wäre,<br />

den Versuch ohne Rücksicht auf die Bevölkerung durchzuziehen, dann hätte man<br />

auf ein militärisches Gelände hier in der Nähe gehen können, das jetzt teilweise<br />

leersteht. Das ist ein riesiges Areal, das außen bewacht wird und umzäunt ist. ...<br />

Aber mit solchen Verfahren bringen Sie es nicht an die Öffentlichkeit." (Int. Nr. 14,<br />

S. 25)<br />

Andere Arbeitsgruppenmitglieder teilen diese Einstellung jedoch nicht. 122 Für sie<br />

steht der inhaltliche Aspekt, d.h. die Sicherheitsforschung, im Vordergrund. Sie<br />

sehen zwar auch keine direkte Gefahr in der möglichen Verbreitung der Herbizidresistenz<br />

(s.o.). Aber sie gehen davon aus, daß Versuchsergebnisse über die Ausbreitungsfähigkeit<br />

von Genen wichtig sind für die Beurteilung anderer Freisetzungsversuche,<br />

bei denen das transgene Erbmaterial den Pflanzen einen natürlichen<br />

Selektionsvorteil verschafft, wie etwa bei einer gentechnisch induzierten<br />

Krankheits- oder Insektenresistenz. 123<br />

Bei den kooperierenden Arbeitsgruppen arbeiten einige Wissenschaftler mit -<br />

zum Teil in leitender Position -, die der gegenwärtigen Durchsetzungsform der<br />

Gentechnik kritisch gegenüberstehen. Sie plädieren auch öffentlich für eine ernsthafte<br />

und umfassende Risikoforschung, bevor kommerzielle Freisetzungen eingeleitet<br />

werden. Hier zeigt sich, wie weit die strategischen Ziele divergieren können,<br />

die intentional an ein Projekt geknüpft werden. 124<br />

Allerdings zeigt sich auch bei dem Leiter der von uns befragten Arbeitsgruppe<br />

eine Ambivalenz zwischen politischer Absicht und wissenschaftlichem Interesse.<br />

Wenn sich eine bis dato als wenig wahrscheinlich geltende Genübertragung<br />

122 Int. Nr. 15; Int. Nr. 11.<br />

123 Int. Nr. 11, S. 13f.<br />

124 Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, daß keine besonders enge Kooperation erforderlich<br />

ist, weil die von uns befragte Arbeitsgruppe den anderen Gruppen lediglich das Material<br />

(Boden- und Pflanzenproben) liefert, das diese dann weitgehend selbständig untersuchen<br />

können.<br />

264


nachweisen ließe, dann wäre das zwar politisch unerwünscht: "Das würde dann<br />

die Sicherheitsbestimmungen möglicherweise verschärfen." 125 Andererseits würden<br />

solche Genübertragungen wissenschaftlich auf große Resonanz stoßen, gerade<br />

weil sie nicht erwartet worden sind:<br />

"Wir hoffen, daß wir überhaupt einen [Gentransfer auf Wildkräuter] finden. Das<br />

würde bedeuten, daß man zunächst dann sofort diese Pflanzen weiterverfolgen muß;<br />

das wäre dann besonders interessant ... Es wäre ein sehr überraschendes Ergebnis<br />

und wäre natürlich fast eine Sensation, wenn man das finden würde. Da würden wir<br />

Schlagzeilen kriegen, auch in der wissenschaftlichen Literatur; aber ich glaube es<br />

nicht." (Int. Nr. 12, S. 13f.)<br />

Der Versuch zeigt zugleich exemplarisch, in welchem Dilemma die Sicherheitsforschung<br />

steckt: Zunächst einmal muß man ein gewisses Risiko eingehen, um es<br />

zu testen. 126 Schon das kann in der Öffentlichkeit umstritten sein, zumal dann,<br />

wenn - wie bei der grünen Gentechnologie - die Sinnhaftigkeit der Entwicklungsrichtung<br />

überhaupt bezweifelt wird. Wenn etwas gefunden wird, dann<br />

mag das zwar wissenschaftlich interessant sein, wirkt aber politisch unter Umständen<br />

gegen die Interessen der eigenen Disziplin. Wenn - wie erwartet - nichts<br />

gefunden wird, dann ist es wissenschaftlich von geringem Interesse, und politisch<br />

bringt es auch nicht unbedingt den von vielen Genforschern erhofften Durchbruch,<br />

denn es zeigt nur, das ein bestimmtes Ereignis unter bestimmten Umständen<br />

nicht eingetreten ist. Oder, um es in Anlehnung an Karl Popper zu sagen:<br />

Eine Sicherheitsannahme kann nur falsifiziert, aber niemals bewiesen werden.<br />

Zwar gibt es auch bei der 'normalen' Forschung häufig fehlschlagende Experimente<br />

- und man hat dann auch nicht den Trost, daß das Ergebnis wenigstens<br />

politisch 'korrekt' ist -, aber wenn die Experimente gelingen, kann man sich des<br />

ungeteilten Beifalls in der Community gewiß sein. Gleichermaßen erfolgshungrige<br />

wie erfolgsgewöhnte Genforscher werden sich daher kaum auf das Null-<br />

125 Int. Nr. 12, S. 14; vgl. Int. Nr. 15, S. 22: "Wenn das wirklich rauskäme, würde man<br />

wahrscheinlich die ganzen Sachen intensiver studieren. Aufgrund eines Einzelversuchsergebnisses<br />

würde man sicherlich nicht zur Ablehnung der Gentechnik kommen. Aber das<br />

würde bedeuten, daß auf jeden Fall mehrere unabhängige Forschungsinstitute sich mit der<br />

Frage befassen würden, um das dann eben zu bestätigen oder zurückzuweisen. Von den<br />

Ergebnissen hängt mit Sicherheit auch die Zukunftsperspektive der Pflanzenzüchtung ab,<br />

so sehe ich das schon. Wenn die Gegner der Gentechnik also halbwegs gute Versuche<br />

vorweisen können, ... dann würde man die ganze Frage politisch auch ein bißchen überdenken.<br />

Diesen Einzelversuch darf man bestimmt nicht überbewerten, aber so ein Standpunkt<br />

kann es schon sein: Wenn nichts rauskommt, okay, dann passiert auch nichts.<br />

Wenn man doch wider aller Erwartung herausfindet, da findet eine Genübertragung auf<br />

andere Pflanzenarten statt, dann wird man da bestimmt noch nachhaken müssen. Das<br />

bleibt dann wohl nicht einfach so stehen."<br />

126 Vgl. Krohn/Weyer, Soziale Welt 1989.<br />

265


summenspiel der Sicherheitsforschung einlassen. 127 Insofern bedarf es schon<br />

einer starken intrinsischen, u.U. auch querulatorischen Motivation bei den Forschern<br />

oder eines Anstoßes aus der Öffentlichkeit, damit Sicherheitsforschung in<br />

Gang gesetzt wird. 128 Aber wenn sie einmal in Gang gesetzt ist, scheint wissenschaftlicher<br />

Ehrgeiz zu garantieren, daß sie nicht mehr ohne weiteres durch politische<br />

Motive korrumpierbar ist.<br />

8.8. Ambivalenzen des Step-by-step-Prinzips im Überblick<br />

Im vorigen Kapitel mußten die Aspekte ungewißheitsbasierter Regulierung aus<br />

der scheinbar alles überdeckenden Rhetorik erfahrungsbasierter Regulierung<br />

herauspräpariert werden. Daß sie dort nur noch in mehr oder weniger impliziter<br />

Form anzutreffen sind, erklärt sich dadurch, daß beim Umgang im Geschlossenen<br />

System schon eine Standardisierung vorgenommen wurde, die im Bereich der<br />

Freisetzung bisher so nicht absehbar ist. Sicherlich wird man auf einer erweiterten<br />

Erfahrungsbasis auch hier zwischen a priori riskanteren und weniger riskanten<br />

Experimenten unterscheiden können. 129 Trotzdem ist davon auszugehen, daß<br />

zumindest für bestimmte Experimente und Produkte, die sich weder als eindeutig<br />

ungefährlich noch als eindeutig gefährlich klassifizieren lassen, eine Fall-zu-Fallund<br />

Schritt-für-Schritt-Beurteilung bestehen bleibt, wie sie generell bei der Arzneimittelzulassung<br />

praktiziert wird. Wahrscheinlich wird sich aber auf Dauer die<br />

Datenmenge reduzieren, die für die einzelne Produktzulassung zu erbringen ist<br />

(vgl. Schaubild 1, S. 268).<br />

Insofern kann man die Arzneimittelzulassung durchaus als Vorläufer der Freisetzungsregulierung<br />

betrachten, allerdings mit dem Unterschied, daß die Arzneimittelzulassung<br />

in weit größerem Maße als die Zulassung von transgenen Orga-<br />

127 Es ist vielleicht kein Zufall, daß der Arbeitsgruppenleiter emeritiert ist: "Ich habe gesagt,<br />

ich bin alt genug, mir können sie nicht mehr so viel am Zeug flicken. Deshalb hat mich<br />

das geärgert, daß überall bei uns so geduckt wird in dieser Hinsicht und jeder gejammert<br />

hat, daß die öffentliche Meinung so gegen die Gentechnik sei. ... Ich erwarte von dem<br />

Versuch nicht riesige, sensationelle Ergebnisse der Gefährlichkeit, sondern ein Ergebnis,<br />

das einfach das Risiko in seiner wirklichen Dimension darstellt." (Int. Nr. 12, S. 28f.)<br />

128 Der Anstoß aus der Öffentlichkeit war Anfang der 80er Jahre in der Bundesrepublik noch<br />

nicht vorhanden: "Als die Deutsche Forschungsgemeinschaft 1981 den Bioforschern das<br />

Angebot machte, eine gentechnische Risikostudie finanziell zu unterstützen, blieb sie auf<br />

ihrem Geld sitzen; kein Wissenschaftler, kein Institut wollte sich für das Projekt erwärmen."<br />

(Spiegel vom 21.11.1983, S. 235)<br />

129 Vgl. Goy/Duesing, Bio/Technology 1996. Die Autoren, die in der Industrie beschäftigt<br />

sind, propagieren in diesem Aufsatz schon heute eine Einteilung in Risikokategorien, so<br />

wie sie bisher im Geschlossenen System praktiziert wird.<br />

266


nismen auf Erfahrungen basiert und daher genauere Vorstellungen über die erforderlichen<br />

Beobachtungsmaßnahmen und ein größerer sozialer Konsens über die<br />

Bewertung von Schäden und die Angemessenheit der Verfahren besteht. 130<br />

Das Zulassungsverfahren für Freisetzungen zeichnet sich dagegen - in viel höherem<br />

Maße - durch eine Reihe von Ambivalenzen und Widersprüchen aus, die<br />

an dieser Stelle noch einmal systematisch zusammengefaßt werden sollen, weil<br />

sich darin die Probleme einer ungewißheitsbasierten Regulierung in einem bisher<br />

an keiner anderen Regulierungsform sichtbaren Maße entfalten.<br />

8.8.1. Ambivalenzen der Risikoerkennung<br />

Confinement versus Informationsgewinn: Confinement-Maßnahmen erscheinen<br />

angezeigt, um die a priori ungewissen Risiken von Feldversuchen zu begrenzen.<br />

Sie behindern aber gleichzeitig den Erkenntnisgewinn, weil nicht-intendierte Veränderungen<br />

- z.B. die Übertragung des transgenen Materials auf verwandte Wildoder<br />

Nutzpflanzen - nicht stattfinden können. Wenn Pflanzen im Freiland quasi<br />

wie im Labor gehalten werden, hat man keine sinnvolle Begründung, um zum<br />

nächsten Schritt überzugehen. Allerdings würden großflächigere und weni- ger<br />

kontrollierte Feldversuche - z.B. als Zwischenschritt vor der Vermarktung - das<br />

Problem auch nicht automatisch lösen, weil man mögliche nicht-intendierte Effekte<br />

nur in den seltensten Fällen mit bloßem Auge feststellen könnte. Nur mit vorab<br />

festgelegten Versuchsanordnungen und Beobachtungsinstrumenten kann festgestellt<br />

werden, ob bestimmte potentiell schädliche Effekte auftreten. Solche Monitoringmaßnahmen<br />

waren aber in Deutschland wie in den meisten europäischen<br />

Ländern und den USA selten Gegenstand der Auseinandersetzungen, die sich<br />

vielmehr auf den Einschluß der Versuche konzentrierten. Diese etwas kurzsichtigen<br />

Debatten werden auch durch das Gentechnikgesetz nahegelegt, weil es den<br />

Behörden und den Betroffenen nur die Möglichkeit eröffnet, gegen unmittelbar<br />

aus den Versuchen erwachsende Risiken vorzugehen, kaum aber, auf die Generierung<br />

von Sicherheitsdaten Einfluß zu nehmen.<br />

Endlichkeit versus Unendlichkeit von Beobachtungsdauer und Beobachtungskritierien:<br />

Bei erfahrungsbasierten Regulierungen beruhen die Beobachtungskriterien<br />

auf vorausgegangenen Schadensereignissen. Aus der Schadensanalyse<br />

weiß man, welche (ähnlichen) Konstellationen riskant sind, und man hat<br />

Anhaltspunkte, mit welchen Latenzzeiten zu rechnen ist. Bei einer ungewißheitsbasierten<br />

Regulierung müßte man im Idealfall alle Wechselwirkungen und<br />

zukünftigen Verkettungen antizipieren. Weil das praktisch unmöglich ist, versucht<br />

130 Dennoch sind auch hier gerade die ungewißheitsbasierten Regelungsaspekte keineswegs<br />

unumstritten (vgl. Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1994).<br />

267


Schaubild 1: Die Dynamik des Step-by-step-Prozesses 131<br />

man sich auf die Hypothesen zu konzentrieren, die relativ einfach zu überprüfen<br />

sind und bei denen theoretisch die Eintrittswahrscheinlichkeit oder das Schadensausmaß<br />

groß ist. Weil die Kriterien dafür nicht vorab (gesetzlich) festgelegt<br />

werden können, bleibt es aber eine gegenüber politischem Druck sehr sensible<br />

Ermessensfrage, wo die Grenze zwischen relevanten und irrelevanten Hypothesen<br />

zu ziehen ist.<br />

Einzelfallbeurteilung versus Verallgemeinerungsfähigkeit: Es stellt sich die<br />

Frage, wie man aus der Betrachtung einzelner Fälle zu verallgemeinerungsfähigen<br />

Kriterien kommen kann, um die Prüfprozeduren zu standardisieren. Beim einzel-<br />

131 Anfangs ist das allgemeine Vorwissen über das Verhalten von transgenen Organismen im<br />

Freiland nur gering. Deshalb ist der Genehmigungsaufwand (dargestellt durch die dickeren<br />

Balken auf der linken Seite des Diagramms) noch höher, es sind außerdem mehr Genehmigungsschritte<br />

erforderlich. Aus den Freisetzungen gewinnt man im Lauf der Zeit<br />

mehr allgemeines Wissen (versinnbildlicht durch die im unteren Teil des Bildes von links<br />

nach rechts zunächst stetig ansteigende Linie). Mit dem wachsenden ökonomischen Interesse<br />

und dem (wahrscheinlich) nachlassenden öffentlichen Interesse sinkt allerdings auch<br />

die von den Behörden für eine Marktzulassung insgesamt verlangte Datenmenge (versinnbildlicht<br />

durch die von links nach rechts im oberen Teil des Bildes zunächst stetig fallende<br />

Linie). Allerdings könnte hier, wie das zum Teil derzeit diskutiert wird (daher die<br />

gestrichelte Linie), auch eine Pflicht zur 'Nachmarktbeobachtung' einsetzen: Weitere, für<br />

den Bestand der Zulassung erforderliche Daten würden dann noch nach der Genehmigung<br />

des Inverkehrbringens generiert.<br />

268


nen transgenen Produkt steht man vor dem Problem, wie man aus den Erfahrungen,<br />

die man bis dato in wenigen Vegetationsperioden an einigen Versuchsstandorten<br />

gesammelt hat, eine Marktzulassung begründen kann, die Sicherheit an<br />

allen infrage kommenden Anwendungsorten mit ihren je verschiedenen ökologischen<br />

und klimatischen Bedingungen und über einen längeren Entwicklungszeitraum<br />

gewährleisten soll. Gleichzeitig versucht man aber auch die Erfahrungen aus<br />

den einzelnen Fällen auf den gesamten Zulassungsprozeß anzuwenden. Das heißt<br />

konkret, daß man zu generelleren Ausssagen über Gruppen von Organismen und<br />

Gruppen von transgenen Konstrukten bzw. ihren Kombinationen gelangen will,<br />

um Fälle zu Fallgruppen zusammenzufassen. Zugleich ist man bemüht, hier jeweils<br />

die relevanten von den weniger relevanten Beobachtungskriterien zu scheiden.<br />

Wenn sich in einer Reihe von Genehmigungsverfahren gezeigt hat, daß keine<br />

neuen Informationen hinzukommen, dann argumentiert die Verwaltungspraxis,<br />

daß hier Vereinfachungen vorgenommen werden könnten. Auch hier stellt sich<br />

die Bewertungsfrage, wie viele Fälle mit welcher Beobachtungsintensität diese<br />

Schritte erlauben. Zu berücksichtigen ist dabei auch, daß das Fallspektrum, welches<br />

den Behörden präsentiert wird, mehr oder weniger zufällig zustande kommt.<br />

Wollte man dagegen - aus der Perspektive der Sicherheitsforschung - systematisch<br />

verallgemeinern, müßte man die hier jeweils relevanten Variablen auf ihre<br />

möglichen Extremwerte setzen, d.h. zum Beispiel Orte mit potentiellen Kreuzungspartnern<br />

des transgenen Organismus wählen, extreme Klimaverhältnisse<br />

durchspielen etc. Weil die Antragsteller aber unabhängig voneinander agieren und<br />

zumeist primär nicht an Sicherheitsforschung, sondern an technologischer Entwicklung<br />

interessiert sind, kommt ein systematisiertes Sicherheitsforschungsprogramm<br />

nicht zustande, und die Zulassungsbehörden können die Versuchsfolge bei<br />

der gegenwärtigen Rechtslage auch nicht in dieser Hinsicht beeinflussen.<br />

Ambivalenzen der Schadensdefinition: Früher ging man im fachöffentlichen<br />

Diskurs davon aus, daß sich die Ausbreitung von transgenem Erbmaterial begrenzen<br />

ließe. Von vielen Umweltschützern und einigen Verwaltungsvertretern wird<br />

transgenes Erbmaterial auch heute noch gleichsam wie eine giftige Chemikalie<br />

aufgefaßt und seine Ausbreitung daher per se als Schaden ('genetic pollution')<br />

angesehen. 132 Die Mehrheit der Wissenschaftler neigt heute aber dazu zu fragen,<br />

welche Veränderungen das transgene Erbmaterial auslösen könnte - wo immer es<br />

absehbar hingelangen kann. Nur bleibt dann unklar, welche Veränderungen überhaupt<br />

gravierend sind, weil man sich zunächst auf ein Bezugssystem verständigen<br />

müßte. Aber gleichgültig, ob man hier naturnahe Ökosysteme oder den Status quo<br />

anthropogen veränderter, z.B. agrarischer Ökosysteme wählt, so ist häufig nicht<br />

einmal genau bekannt, wie sich diese Systeme vor der Einbringung transgenen<br />

132 Zum juristischen Schadensbegriff vgl. oben, Kap. 6.2.6.<br />

269


Erbmaterials verhalten haben. Auf der Wertungsebene muß entschieden werden,<br />

ob der Zustand des gewählten Bezugssystems - etwa der Status quo chemisierter<br />

Landwirtschaft oder auch einer naturnahen, aber menschlicher Lebensweise nicht<br />

zuträglichen Umgebung (z.B. Wüste) - wünschenswert ist, ob die vorausgesehenen<br />

Veränderungen durch den gentechnischen Eingriff dort eher als Nutzen oder<br />

als Schaden anzusehen sind, und welche Schäden schließlich im Hinblick auf den<br />

angestrebten Nutzen als akzeptabel angesehen werden können. Außerdem stellt<br />

sich die Frage, welche Schäden dem gentechnischen Eingriff selbst zuzurechnen<br />

sind und welche sich aus den mehr oder weniger absehbaren Verwendungszusammenhängen<br />

ergeben, die durch den transgenen Organismus selbst nicht streng<br />

determiniert sind. 133<br />

8.8.2. Widersprüche des Verfahrens<br />

Freier Informationsaustausch versus Geschäfts- und Verwaltungsgeheimnis:<br />

Gesetzlich garantiert ist lediglich der Informationsaustausch zwischen den Antragstellern<br />

und den zuständigen nationalen Behörden. Auf Grundlage der Freisetzungs-Richtlinie<br />

müssen auch die Grunddaten aller beantragten Versuche offengelegt<br />

werden. Behauptungen aber, daß sich bei den Feldversuchen keine<br />

überraschenden Ereignisse gezeigt hätten, sind für die Öffentlichkeit kaum überprüfbar.<br />

134 Auch die Antragsteller können aus den Erfahrungen, die in ähnlichen<br />

Versuchen gemacht wurden, nur lernen, wenn deren Betreiber ihnen die Daten<br />

freiwillig zugänglich machen. Selbst der Informationsaustausch zwischen den<br />

zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten der EG scheint sich praktisch auf ein<br />

Minimum zu beschränken. 135 Schon bei erfahrungsbasierter Regulierung führt die<br />

Restriktion des Informationsaustausches dazu, daß der Vollzug von der Öffentlichkeit<br />

nicht überprüft werden kann. Bei einer ungewißheitsbasierten Regulierung,<br />

die aufgrund der gewonnenen Erfahrungen permanent angepaßt werden soll,<br />

führt dies darüber hinaus zu mangelnder Kontrolle bei der Regelanpassung. Allerdings<br />

ist auch zu berücksichtigen, daß überraschende Ereignisse den Verwaltungen<br />

eher gemeldet werden, wenn die entsprechenden Informationen vertraulich<br />

gehandhabt werden.<br />

133 Vgl. z.B. oben, S. 248: Änderungen im Herbizidgebrauch aufgrund des Anbaus herbizidresistenter<br />

Pflanzen.<br />

134 Bei der OECD gibt es zwar eine Datenbank, in der die Beobachtungsdaten aller Feldversuche<br />

eingespeist werden sollen. Diese ist aber nur für die Behörden zugänglich. Selbst in<br />

den USA, wo Behördendaten normalerweise am leichtesten zugänglich sind, konnte eine<br />

Offenlegung der Beobachtungsprotokolle nur auf dem Klagewege erreicht werden (s.o.,<br />

Kap. 8, Fn. 68).<br />

135 Vgl. Bergschmidt, Comparative, 1995, S. 131.<br />

270


Ungleichzeitigkeit der nationalen Erfahrungsakkumulation: Aufgrund der<br />

schleppenden Umsetzung der Richtlinie in einigen Mitgliedstaaten und wegen des<br />

unterschiedlichen Antragsaufkommens sammeln die nationalen Behörden unterschiedlich<br />

schnell eigene Erfahrungen mit der Kontrolle von Freisetzungsprojekten.<br />

Gleichzeitig besteht aber ein faktischer Druck, die eigenen Kontrollstandards<br />

dem EG-Niveau anzupassen - sei es, weil Antragsteller dies mit Verweis<br />

auf die Praxis in anderen Mitgliedstaaten verlangen, weil ähnliche transgene<br />

Organismen ohnehin schon vermarktet werden, oder weil die Prozeduren aufgrund<br />

von Beschlüssen der Kommission entsprechend vereinfacht werden. Überdies<br />

scheinen bei der Diskussion auf EG-Ebene über die Anpassung und Standardisierung<br />

der Richtlinie tendenziell diejenigen nationalen Behörden den stärksten<br />

Einfluß auszuüben, die selbst schon über die meisten Erfahrungen verfügen. 136<br />

Sie sind zum Teil mit Vereinfachungen im eigenen Land schon vorangegangen,<br />

u.a. auch deshalb, weil sie das hohe Antragsaufkommen anders nicht mehr sinnvoll<br />

bewältigen könnten. 137 Dadurch müssen aber bei den anfangs 'langsameren'<br />

Ländern Sprünge und Inkonsistenzen im Verwaltungsvollzug auftreten. 138<br />

Wissenschaftliche versus kulturelle Risikoperzeption: Die nationalen Verwaltungen<br />

sind gezwungen, ihr Handeln einerseits auf den internationalen Wissenschaftsdiskurs<br />

und andererseits auf die partikularen Diskurse im eigenen Land<br />

abzustimmen. 139 Letztere folgen unterschiedlichen kulturellen Präferenzen und<br />

entwickeln sich asynchron zum internationalisierten wissenschaftlichen Diskurs.<br />

Soweit es nur um die Zulassung von Feldversuchen geht, können alle Mitgliedsländer<br />

problemlos ihren eigenen Regulierungsstil verfolgen, ohne daß es zu Ab-<br />

136 Im Artikel 21-Gremium scheinen de facto die Niederlande und Großbritannien über den<br />

stärksten Einfluß zu verfügen. Das liegt unter anderem auch daran, daß die Verkehrssprache<br />

Englisch ist.<br />

137 In Großbritannien und den Niederlanden wurden sogenannte 'fast track procedures' eingeführt,<br />

bei denen die auch dort - ähnlich der deutschen ZKBS - etablierten Beratungskommissionen<br />

nicht mehr eingeschaltet werden müssen (Bergschmidt, Comparative,<br />

1995, S. 112, Schomberg, S&PP 1996, S. 160). In Belgien und Italien wird ebenfalls über<br />

die Standardisierung des Verfahrens nachgedacht.<br />

138 Z.B. ist auch Irland im November 1994 dem vereinfachten Verfahren beigetreten, obwohl<br />

dort - jedenfalls bis Mitte 1994 - noch keine Freisetzungsversuche genehmigt worden waren.<br />

139 In Dänemark z.B. bemüht sich die zuständige Behörde sehr stark um den nationalen<br />

Konsens, der eine vorsichtige Haltung gegenüber der Gentechnik impliziert. Ein dänischer<br />

Behördenvertreter kommentiert - in Anspielung auf die Diskussion über die Vermarktung<br />

herbizidresistenten Raps durch PGS (s.o.) - das Dilemma: "We find it increasingly difficult<br />

in Denmark to explain why we have the kind of boundaries as set by the Directives. If<br />

we have to say that we cannot consider this or that [issue] because of the Directives, and<br />

the public or political opinion is that it is a highly relevant issue, then we have lost the case"<br />

(Ministry of Housing, Public, 1994, S. 78).<br />

271


stimmungsschwierigkeiten in der EG kommt. Diese treten dann aber umso stärker<br />

bei Marktzulassungen auf, bei denen die Mitgliedsländer sich untereinander einigen<br />

müssen. Insbesondere in skandinavischen Ländern und Österreich wird auch<br />

immer wieder diskutiert, ob man gegebenenfalls nicht doch den Import von EGweit<br />

zugelassenen Produkten für das eigene Territorium verbieten kann. Dort gibt<br />

es zum Teil auch Bestimmungen im jeweiligen Gentechnikrecht, die nicht nur<br />

Sicherheitskriterien, sondern auch weitergehende soziale Restriktionen und Entwicklungsziele<br />

vorschreiben. 140<br />

Pluralität im Regulierungssystem: Die auf diese Weise entstandene Pluralität<br />

im Regulierungssystem kann insbesondere von multinationalen Unternehmen<br />

ausgenutzt werden, um bei Feldversuchen den Weg des geringsten Widerstands<br />

zu gehen. Durch die Konzentration der Versuche in einigen Ländern und die dort<br />

resultierende Beschleunigung des Verwaltungsvollzugs wird dann auch Druck auf<br />

das gesamte Regulierungssystem ausgeübt. Andererseits ist aber zu konstatieren,<br />

daß auf der Grundlage des im wesentlichen dezentralen Vollzugs der Richtlinie<br />

unterschiedliche Risikophilosophien entwickelt werden, die sich nicht einfach auf<br />

der Skala 'liberal versus restriktiv' abbilden lassen. Auf der Grundlage dieser<br />

Pluralität von Risikophilosophien kommt es insgesamt zu einer intensiveren und<br />

vielschichtigeren Diskussion, als dies bei einer zentralen Handhabung des Vollzugs<br />

wahrscheinlich der Fall wäre.<br />

Ambivalenzen der Sicherheitsforschung: Sicherheitsforschung kann sowohl<br />

darauf abzielen, die Lockerung wie die Verschärfung oder Spezifizierung des<br />

Regulierungsansatzes zu begründen. In jedem Fall können die Behörden oder<br />

politischen Initiativen in den einzelnen Ländern die Förderung der Sicherheitsforschung<br />

forcieren und damit in viel stärkerem Maße auf die Entwicklung der<br />

internationalen Regulierungsdiskussion Einfluß nehmen als durch administrative<br />

Maßnahmen, deren Wirkung sich zwangsläufig auf das eigene Territorium beschränkt.<br />

141<br />

Interessenzuwachs und (De-)Sensibilisierung: Auch wenn sich viele Firmen<br />

noch abwartend verhalten, geht mit der fortschreitenden Entwicklung transgener<br />

Produkte ein Zuwachs kommerzieller Interessen einher, der sich in verstärktem<br />

140 Das österreichische Gentechnikgesetz enthält die erwähnte 'Sozialverträglichkeitsklausel',<br />

die die Möglichkeit eröffnen soll, die Vermarktung von 'sozial unverträglichen' Produkten<br />

zu unterbinden (vgl. Waldhäusl, Soziale, 1994; Nentwich, Spielräume, 1993; Torgersen/Seifert,<br />

Sozialverträglichkeit, 1996; sowie unten, Kap. 10.3.2.2.). In Norwegen soll<br />

die Entwicklung der Gentechnik dem Ziel des 'Sustainable development' folgen (Nielsen,<br />

Biotechnologie, 1996).<br />

141 Z.B. hat eine staatlich finanzierte dänische Studie über die Möglichkeit der Auskreuzung<br />

transgenen Erbmaterials von Raps auf das Wildkraut Brassica campestris einen starken<br />

Einfluß auf die internationale Sicherheitsdiskussion (Mikkelsen et al., Nature 1996).<br />

272


Druck niederschlägt, die Regulierung zu lockern. 142 Durch das steigende Antragsaufkommen<br />

sind auch die Behörden aus Kapazitätsgründen gezwungen, die<br />

Verfahren zu vereinfachen. Ob es gleichzeitig auch zu einer Desensibilisierung in<br />

der Öffentlichkeit kommt, bleibt abzuwarten. In jedem Fall wird sich die Aufmerksamkeit<br />

stärker von den Feldversuchen auf die Vermarktung gentechnischer<br />

Produkte richten. Wenn sich hier klar zurechenbare Zwischenfälle - etwa Allergien<br />

(vgl. S. 49f.) - ereignen sollten, kann es auch zu einer Resensibilisierung<br />

kommen.<br />

Rechtssicherheit versus Lernfähigkeit: Wir sind bei der Step-by-step-Regelung<br />

mit 'lernendem Recht' konfrontiert, das seinerseits in seinem Geltungsbereich<br />

Lernen ermöglichen soll. Diese Konzeption widerspricht aber der klassischen<br />

Funktion des Rechts, Experimente in bestimmten sozialen Bereichen entweder<br />

ganz zu verhindern oder die Variation der Randbedingungen einzuschränken, also<br />

zumindest teilweise formelle Erwartungssicherheit und damit Rechtssicherheit<br />

herzustellen. Die Handhabung von 'lernendem Recht' ist bisher noch sehr widersprüchlich<br />

und tendenziell willkürlich, weil bisher noch wenig ausbuchstabiert ist,<br />

unter welchen Voraussetzungen die Lernbedingungen verändert werden können.<br />

Oder anders ausgedrückt: Es ist unklar, wie die Selbstprogrammierung der rechtlichen<br />

Programmierung vonstatten gehen kann, ohne einen gerechten Interessenausgleich<br />

zu gefährden.<br />

Ungewißheits- versus erfahrungsbasierte Regulierung: Angesichts der aufgezeigten<br />

Vermittlungsschwierigkeiten ist es verständlich, daß bei allen Beteiligten<br />

die Neigung besteht, die ungewißheitsbasierte Regulierung als erfahrungsbasierte<br />

Regulierung mißzuverstehen. Nur tut dies jeder auf seine Weise: Viele<br />

Betreiber wünschen sich, nach US-amerikanischem Vorbild, eine Regulierung,<br />

die nur auf die Eigenschaften des Produkts abhebt, nicht aber auf den Prozeß<br />

seiner gentechnischen oder nicht-gentechnischen Herstellung (vgl. Kap. 3.2.4.).<br />

Das würde die Abschaffung der Freisetzungs-Richtlinie implizieren. Stattdessen<br />

hätte man nur noch mit den Prüfungsanforderungen zu tun, die in den jeweiligen<br />

Produktbereichen - z.B. Lebensmittel, Pestizide etc. - tendenziell eher auf herkömmlicher<br />

Erfahrungsbasis die Sicherheitskriterien festlegen. Bei den Behörden<br />

besteht zwar die Tendenz, an der Freisetzungs-Richtlinie und damit an einer auf<br />

den gentechnischen Herstellungsprozeß bezogenen Regulierung festzuhalten.<br />

Zugleich versuchen viele Behördenvertreter aber, die jeweils angewandten Krite-<br />

142 Dadurch entsteht die paradoxe Situation, daß nicht nur bei den Umweltverbänden, sondern<br />

auch in den Prüfbehörden der Wunsch aufkommen kann, es möge sich ein Schaden<br />

ereignen, um das eigene Engagement zu rechtfertigen. So kommentierte eine Behördenvertreterin<br />

die Folgen der ihrer Meinung nach zu schnellen Deregulierung der EG-<br />

Richtlinien: "Dann könnte man nur hoffen, daß es irgendwann einen Fall gibt mit erkennbaren<br />

Schäden und daß daraufhin die Deregulierung gestoppt wird." (Int. Nr. 22, S. 39)<br />

273


ien nach beiden Seiten als wissenschaftlich abgesichert und vorhersagefähig<br />

darzustellen. Viele Kritiker sehen dagegen jede Ausbreitung transgenen Materials<br />

per se als 'unabsehbares Risiko' an, die mit allen Mitteln verhindert werden soll.<br />

274


Kapitel 9: Somatische Gentherapie<br />

Mit der somatischen Gentherapie haben wir ein Anwendungsgebiet der Gentechnik<br />

gewählt, das bisher - zumindest in Deutschland - noch wenig reguliert ist.<br />

Voraussetzung für diese Regelungsabstinenz war allerdings die Abgrenzung der<br />

'somatischen Gentherapie' von der 'Keimbahntherapie' 1 , wie sie z.B. vom Enquête-Bericht<br />

des Deutschen Bundestages in die öffentliche Debatte eingeführt wurde:<br />

Die Keimbahntherapie zielt auf die Veränderung von Zellen, die der biologischen<br />

Reproduktion dienen - also auf die Stammzellen von Ei- und Spermazellen,<br />

auf Ei- und Spermazellen selbst, und auf frühe, noch nicht differenzierte Embryonen.<br />

Veränderungen an den Keimbahnzellen können an alle Folgegenerationen<br />

weitervererbt werden. Bei Tieren wurden entsprechende Versuche schon häufiger<br />

vorgenommen, 2 Versuche am Menschen sind dagegen bisher nirgends bekannt<br />

geworden. Die Keimbahntherapie am Menschen wurde zudem in Deutschland<br />

durch den Erlaß des Embryonenschutzgesetzes 1990 verboten. Bei der somatischen<br />

Gentherapie handelt es sich dagegen 'nur' um eine Veränderung des Erbmaterials<br />

in bereits ausdifferenziertem Gewebe - also an Nerven-, Blut-, Haut- etc.<br />

Zellen. Veränderungen an diesen Zellen werden nicht an die Nachkommen weitervererbt.<br />

Die (vorläufige) Regulierungsabstinenz gegenüber der somatischen Gentherapie<br />

rührt wohl weniger daher, daß bisher erst wenige Versuche in dieser Richtung<br />

unternommen wurden. Denn in dieser Hinsicht wäre die gegenwärtige Situation<br />

der somatischen Gentherapie z.B. mit der Freisetzung zu Beginn der 90er<br />

Jahre vergleichbar, als ebenfalls erst wenige Freisetzungsversuche in Deutschland<br />

durchgeführt, aber gleichwohl schon frühzeitig eine rechtliche Regulierung etabliert<br />

wurde. Bisher haben sich aber gegen die somatische Gentherapie keine vergleichbaren<br />

Protestbewegungen gebildet - wie gegen den Umgang im Geschlossenen<br />

System, die Freisetzung und die Embryonenforschung, die u.a. die Grundlage<br />

zur Keimbahntherapie liefern könnte. Nachdem sich in Deutschland ein breiter<br />

Konsens gegen die Keimbahntherapie etabliert hatte, scheint die somatische<br />

Gentherapie als 'normale' medizinische Hilfe verstanden und entsprechend akzeptiert<br />

zu werden. Insofern kann am Beispiel der Gentherapie der Umgang mit Ungewißheit<br />

unter anderen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen studiert werden.<br />

1 Inwieweit die Bezeichnung 'Keimbahntherapie' euphemistisch ist - und nicht richtiger von<br />

-eingriff oder -manipulation gesprochen werden müßte -, soll hier nicht diskutiert werden.<br />

Wir verwenden diese Bezeichnung lediglich, weil sie sich allgemein eingebürgert hat.<br />

2 Ein Beispiel ist die aus der Debatte um die Patentierung bekannt gewordene 'Krebsmaus',<br />

der Teile der Erbanlagen für das Immunsystem entfernt wurden. Sie ist daher besonders<br />

anfällig für Krebserkrankungen und wird für entsprechende Tierversuche eingesetzt.<br />

275


9.1. Regulierungssituation<br />

9.1.1. USA<br />

In den USA wurde die erste Gentherapie bereits 1979 beantragt und führte zu<br />

einem Skandal. 3 Martin Cline und seine Mitarbeiter setzten sich über das abschlägige<br />

Votum der zuständigen Ethik-Kommission hinweg und führten die Versuche<br />

in Israel und Italien durch. Als dies in den USA bekannt wurde, setzte eine<br />

breitere fachöffentliche Debatte ein, in deren Folge genauere Voraussetzungen<br />

festgelegt wurden, auf deren Basis später gentherapeutische Versuche am Menschen<br />

begonnen werden konnten. Dazu gehörten vor allem die Etablierung eines<br />

speziell zuständigen Gremiums beim Recombinant DNA Advisory Committee<br />

(RAC) 4 des National Institute of Health (NIH) und die Ausarbeitung einer Richtlinie<br />

('points to consider') für die Prüfung von klinischen Versuchen zur Gentherapie.<br />

Die Arzneimittelbehörde (FDA) etablierte eine parallele Prozedur zur Prüfung<br />

von Versuchsprotokollen.<br />

Alle von öffentlich finanzierten Forschungseinrichtungen geplanten Versuche<br />

müssen seither vier Gremien durchlaufen, 5 bevor mit den Versuchen begonnen<br />

werden darf. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, daß<br />

- von den Versuchen keine Infektionsgefahren für Dritte ausgehen, 6<br />

- die Versuchspersonen keinem unnötigen Risiko ausgesetzt werden, 7<br />

- die Keimbahnzellen der Versuchspersonen nicht unbeabsichtigt verändert werden<br />

oder diese sich nicht mehr fortpflanzen,<br />

- die Versuchspersonen umfassend über den Versuch aufgeklärt werden und<br />

ausdrücklich ihre Zustimmung geben ('informed consent'),<br />

- die Versuchspersonen ihre Einwilligung zur Langzeitbeobachtung geben und<br />

einer Autopsie im Falle ihres Todes zustimmen. 8<br />

3 Vgl. im folgenden Paslack, Diskussion, 1995; Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 39ff.<br />

4 Das RAC ist von seiner Funktion und Stellung her etwa vergleichbar der ZKBS in<br />

Deutschland.<br />

5 Zunächst müssen die an den Forschungsinstituten regelmäßig eingerichteten Ethik-<br />

Kommissionen (Institutional Review Board/IRB) und Sicherheits-Gremien (Institutional<br />

Biosafety Committee/IBC) zustimmen. Dann wird der Vorschlag den nationalen Behörden<br />

NIH und FDA vorgelegt.<br />

6 Da bei der Gentherapie Viren oder andere infektiöse DNA-Partikel als Vektoren eingesetzt<br />

werden, ist eine Infektionsgefahr für die beteiligten Forscher, das Krankenhauspersonal,<br />

Angehörige und weitere Personenkreise nicht von vornherein auszuschließen (vgl. zur Diskussion<br />

Schmitt et al., Stand, 1994).<br />

7 Dazu gehört auch, daß nur hinreichend durchdachte und auf dem Stand der Wissenschaft<br />

basierende Forschungsprotokolle zugelassen werden sollen, weil andernfalls die Belastung<br />

der Versuchspersonen unnötig wäre.<br />

276


Für kommerzielle Versuche ist nur die Zustimmung der FDA erforderlich. 9<br />

Europäische Beobachter sind immer wieder erstaunt über die starke Öffentlichkeitsorientierung<br />

der US-amerikanischen Verfahren. Dies gilt insbesondere<br />

für das Begutachtungsverfahren des RAC zur Gentherapie: Regularien und die zu<br />

begutachtenden Forschungsvorschläge werden veröffentlicht, jeder Bürger kann<br />

Einwendungen erheben und Tagesordnungsvorschläge machen, die Sitzungen<br />

sind öffentlich, die Protokolle werden ebenfalls veröffentlicht etc. 10 Außerdem<br />

wurde zum Zweck einer eingehenderen Prüfbarkeit bei den ersten Anträgen erwirkt,<br />

daß auch Hintergrundmaterialien - ungeachtet bestehender Geheimhaltungsgründe<br />

- vollständig offenzulegen waren. 11<br />

Der erste Gentherapieversuch wurde 1989 nach längerer Diskussion genehmigt.<br />

Bis Juni 1995 erhielten 106 Untersuchungsprotokolle mit insgesamt 567<br />

Patienten vom RAC die Zulassung. 12 Wegen des hohen Antragsaufkommens -<br />

das RAC trifft sich viermal pro Jahr - sind für schon relativ gut bekannte Untersuchungsverfahren<br />

vereinfachte Begutachtungsprozeduren festgelegt worden. 13<br />

Außerdem wird der Begutachtungsprozeß verstärkt mit der FDA koordiniert. 14<br />

Insgesamt ist das Regulierungsverfahren in den USA also mit der Fall-zu-Fallund<br />

Schritt-für-Schritt-Beurteilung vergleichbar, wie sie auch in Freisetzungsverfahren<br />

(vgl. Kap. 8) angewandt wird - inklusive der allmählichen Vereinfachung<br />

und Standardisierung des Verfahrens. Die Tatsache, daß ein relativ elaboriertes<br />

Prüfverfahren etabliert wurde, bedeutet allerdings nicht, daß man in den<br />

USA der Gentherapie besonders kritisch gegenüberstünde. Im Gegenteil: Auch<br />

die Keimbahntherapie wird in den USA sehr offensiv vertreten. Zwar wird hier<br />

noch eine Scheidelinie zwischen therapeutischen und auf 'Verbesserung' abstellenden<br />

Experimenten gezogen. Aber schon Mitte der 80er Jahre propagierte der<br />

gegenwärtige Vorsitzende des RAC, der Bioethiker Leroy Walters, Versuche zur<br />

8 "NIH Modifies Gene Therapy Research Guidelines" in: Hastings Center Report, vol<br />

15./no.3, 1985, S. 3, zit. n. Paslack, Diskussion, 1995, S. 78.<br />

9 Allgemeinverbindlich ist nur die Zustimmung der FDA. Allerdings verlangt die FDA auch<br />

die Vorlage bei einer lokalen Ethik-Kommission. Der Jurisdiktion des NIH sind nur Einrichtungen<br />

unterworfen, die vom NIH, dem größten Sponsor biomedizinischer Forschung<br />

in den USA, gefördert werden.<br />

10 Die relativ weitverbreitete Fachzeitschrift 'Human Gene Therapy' widmet einen beträchtlichen<br />

Teil ihrer Seiten der Veröffentlichung der beantragten Forschungsvorhaben und der<br />

Sitzungsprotokolle. Diese sind auch über Internet abzurufen (http://www.nih.gov/od/ orda/sect1.htm).<br />

11 Paslack, Diskussion, 1995, S. 77, 86f.; Gill, Gentechnik, 1991, S. 238.<br />

12 Marshall, Science 1995a, S. 1052.<br />

13 Vgl. Petermann/Schmitt, Monitoring, 1996, S. 54ff.<br />

14 Vgl. "Regulatory Issues", in: Human Gene Therapy, vol.6, 1995, S. 822ff.<br />

277


'Verbesserung' der menschlichen Erbanlagen. 15 Beobachter rechnen damit, daß<br />

eventuell schon in den nächsten Jahren die ersten Keimbahnexperimente beantragt<br />

werden könnten. 16<br />

9.1.2. Europa<br />

Auch in Europa wurden schon vereinzelt Versuche zur somatischen Gentherapie<br />

am Menschen vorgenommen, namentlich in Frankreich, den Niederlanden, Großbritannien,<br />

Italien und Deutschland. Die Regelungen in diesen Ländern sind sehr<br />

unterschiedlich. 17<br />

Frankreich hat in den letzten Jahren eine sehr detaillierte Gesetzgebung bezüglich<br />

der Anwendung biomedizinischer Techniken am Menschen auf den Weg<br />

gebracht. Die Keimbahntherapie ist verboten. In Frankreich sind medizinische<br />

Versuche am Menschen spezialgesetzlich geregelt; das impliziert unter anderem,<br />

daß die Versuche bei einer Verwaltungsbehörde anzumelden sind und eine Ethik-<br />

Kommission eingeschaltet werden muß. Die Versuchsprotokolle zur somatischen<br />

Gentherapie werden außerdem nach dem französischen Gentechnikgesetz von der<br />

für Freisetzungen zuständigen Kommission beurteilt. 18 Dagegen ist unklar, inwieweit<br />

das Arzneimittelgesetz anzuwenden ist. 19<br />

In Großbritannien wurde eine Kontrollkommission für gentherapeutische Experimente<br />

eingerichtet, die die Einhaltung der von ihr herausgegebenen Richtlinien<br />

überwacht; außerdem ist die Zustimmung einer Ethik-Kommission erforderlich. In<br />

den Niederlanden, Italien und der Bundesrepublik gibt es bisher keine speziellen<br />

gesetzlichen Vorschriften zur Regulierung der somatischen Gentherapie, aber<br />

allgemeinere medizinrechtliche Vorschriften, die zu beachten sind.<br />

Auch auf der Europäischen Ebene ist noch kein einheitliches Bild auszumachen.<br />

Zwar wird die Keimbahntherapie sowohl in der vorgelegten Bioethik-<br />

Konvention des Europarats sowie in einer Entschließung des Europäischen Parlaments<br />

abgelehnt. 20 Zur somatischen Gentherapie gibt es aber nur partikulare<br />

Entwürfe.<br />

Das Bioethik-Gremium der Europäischen Kommission empfiehlt, daß neben<br />

der weitgehend etablierten Kontrolle durch lokale Ethik-Kommissionen auch<br />

15 Vgl. Rawls, Chemical & Engineering News 1984, S. 44.<br />

16 Int. Nr. 9, S. 51.<br />

17 Vgl. im folgenden Petermann/Schmitt, Monitoring, 1996.<br />

18 Die Einsetzung einer speziellen 'Intercommission de thérapie génique' ist geplant (Petermann/Schmitt,<br />

Monitoring, 1996, S. 43, Fn. 67).<br />

19 Petermann/Schmitt, Monitoring, 1996, S. 48.<br />

20 Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 73ff. Das Verbot in der Bioethik-Konvention ist aber als<br />

nicht hinreichend klar anzusehen; vgl. auch FAZ vom 13.10.1997, S 5.<br />

278


nationale Aufsichtsgremien überall eingerichtet werden sollten. Außerdem sollten<br />

einheitliche europäische Richtlinien geschaffen werden. Weil die Infektionsrisiken<br />

bei der Anwendung der somatischen Gentherapie am Menschen 21<br />

durch die Gentechnik-Richtlinien (90/219/EWG, 90/220/EWG) nicht adäquat<br />

erfaßt würden, sollten diese entsprechend novelliert werden. 22<br />

Anderer Auffassung über die Reichweite der Gentechnik-Richtlinien ist die<br />

Pharmacy Working Party, ein Beratungsgremium der Europäischen Arzneimittelbehörde.<br />

23 Sie geht davon aus, daß gegenwärtig alle Sicherheitsaspekte der<br />

Gentherapie von den bestehenden Richtlinien erfaßt werden. In Vorbereitung auf<br />

eine zukünftige Zulassung gentherapeutischer Produkte als Arzneimittel - entsprechend<br />

der Europäischen Arzneimittel-Verordnung (EG-VO 2309/93) - wurde<br />

eine spezielle Anleitung ausgearbeitet, die eine umfassende Abwägung der Umweltrisiken<br />

vorsieht und daher für diese Produkte die Marktzulassung entsprechend<br />

der Freisetzungs-Richtlinie ersetzen könnte. 24<br />

9.1.3. Deutschland<br />

In Deutschland ist die Keimbahntherapie, wie eingangs bemerkt, durch das Embryonenschutzgesetz<br />

verboten. 25 Spezielle Vorschriften zur somatischen Gentherapie<br />

existieren jedoch nicht. Durch die Novellierung des Gentechnikgesetzes<br />

1993 wurde die gentherapeutische Anwendung am Menschen explizit von der<br />

Geltung des Gentechnikgesetzes ausgenommen. 26 Andernfalls hätte sich nämlich<br />

die Frage gestellt, ob es sich bei der Gentherapie um eine gentechnische Arbeit<br />

oder Freisetzung handeln könnte, die entsprechende Quarantänemaßnahmen und<br />

Zulassungsprozeduren erfordern würde. 27 Eine gentechnikspezifische Risikoabschätzung<br />

findet also nur insofern statt, als die vorangehenden Arbeiten im Labor<br />

angemeldet oder genehmigt werden müssen. 28<br />

21 Unstrittig ist, daß die Vorversuche im Labor auf jeden Fall durch die Richtlinie 90/219<br />

erfaßt werden (vgl. unten die deutsche Diskussion zur Reichweite des GenTG).<br />

22 Butler, Nature 1994.<br />

23 Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 71f.<br />

24 Nach Art. 10 Abs. 2 der Freisetzungs-Richtlinie sind Produkte ausgenommen, für die nach<br />

anderen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften vergleichbare Standards der Umweltverträglichkeitsprüfung<br />

gelten.<br />

25 Vgl. oben, Kap. 7.5.2.<br />

26 § 2 Abs. 2 GenTG.<br />

27 In Großbritannien wurde daher nachträglich eine spezielle Ausnahmeregelung geschaffen.<br />

Andernfalls hätte man die Patienten nach britischem Gentechnikrecht unter Laborbedingungen<br />

halten müssen (Coghlan, New Scientist 1995).<br />

28 Simon/Vesting bezweifeln, daß die derzeit herrschende Auslegung des Gentechnikgesetzes<br />

mit dem EG-Recht zu vereinbaren sei (Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 100ff., 132ff.).<br />

279


Ansonsten besteht einige Unsicherheit, ob man Gentherapie eher als Heilversuch,<br />

als medizinische Forschung oder als Arzneimittelentwicklung verstehen<br />

soll. Als Heilversuch wäre sie von jeglicher Kontrolle ausgenommen, als medizinische<br />

Forschung wären die Vorschriften des ärztlichen Standesrechts anzuwenden,<br />

und als Arzneimittelentwicklung wäre sie dem Arzneimittelgesetz<br />

(AMG) zu unterwerfen. 29 In der Praxis scheint man sich indes einig, daß die<br />

Rechtfertigung als Heilversuch im allgemeinen nicht gegeben ist. Sowohl nach<br />

Standesrecht als auch nach dem AMG 30 ist die Anrufung einer lokalen Ethik-<br />

Kommission vorgesehen. Darüber hinaus verlangt das AMG die Anmeldung von<br />

klinischen Versuchen bei der Landesbehörde. Eventuell ist auch die Hinterlegung<br />

der klinischen und toxikologischen Daten bei einer Bundesbehörde sowie die<br />

Beachtung der 'Good Manufacturing Practice' (GMP) für die Herstellung des<br />

gentherapeutischen Präparats erforderlich. 31 Sollte die Gentherapie zu einem<br />

marktförmigen 'Produkt' entwickelt werden, kämen auch die europarechtlichen<br />

Vorschriften (EG-VO 2309/93, s.o.) zur Anwendung.<br />

Bei der Verhandlung vor den Ethik-Kommissionen geht es vor allem um die<br />

bei medizinischen Versuchsprotokollen übliche Risiko-Nutzen-Abwägung und<br />

die Sicherstellung der aufgeklärten Zustimmung. 32 1994 wurde bei der Bundesärztekammer<br />

außerdem eine zentrale Ethik-Kommission für Fragen der Gentherapie<br />

eingerichtet, die von den lokalen, vor allem bei Landesärztekammern und<br />

Universitätskliniken eingerichteten Ethik-Kommissionen zur Beratung herangezogen<br />

werden soll. 1995 wurden vom Vorstand der Bundesärztekammer Richtlinien<br />

zur Gentherapie verabschiedet, die den Versuchsleitern und Ethik-Kommissionen<br />

nähere inhaltliche Kriterien für die Anfertigung und Beurteilung von Versuchsprotokollen<br />

an die Hand geben. 33<br />

Inwieweit es darüber hinaus auch in der Bundesrepublik zu einer spezialgesetzlichen<br />

Regelung kommen wird, ist fraglich. Die Meinungen sind in der Fachöffentlichkeit<br />

geteilt. 34 Der für 1995 erwartete Bericht einer Bund-Länder-<br />

Arbeitsgruppe, die 1993 zu diesem Thema eingerichtet wurde, lag bei Projekt-<br />

29 Vgl. Schreiber, Rechtliche, 1995; Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993;<br />

Simon/Vesting, Studie, o.J.<br />

30 Seit 1995 schreibt das AMG für alle Arzneimittelstudien die Vorlage der Versuchsprotokolle<br />

bei einer Ethik-Kommission zwingend vor.<br />

31 Lindemann et al., Der Chirurg 1995.<br />

32 Vgl. Helmchen, Ethikkommissionen, 1994; Levine, Ethics, 1988; Czwalinna, Ethik-<br />

Kommissionen, 1987; Daele/Müller-Salomon, Kontrolle, 1990; Gill, Gentechnik, 1991, S.<br />

199ff.<br />

33 Deutsches Ärzteblatt vom 17.3.1995, Bd.92/Nr. 11, S. A-789ff.<br />

34 Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993; Simon/Vesting, Studie, o.J.<br />

280


abschluß noch nicht vor. Es scheint sich aber anzudeuten, daß man die technische<br />

und rechtspolitische Entwicklung zunächst weiter beobachten will.<br />

9.2. Entwicklung der somatischen Gentherapie in den USA und Europa<br />

Entsprechend der Konzeption in den 80er Jahren sollte die somatische Gentherapie<br />

vor allem auf monogenetische Erbkrankheiten angewandt werden. Fehlende<br />

Genfunktionen sollten durch den Einbau des 'richtigen' Gens nachträglich substituiert<br />

oder fehlerhafte Genfunktionen durch die Abschaltung des mutierten Gens<br />

korrigiert werden. Zwar sind etwa 4000 monogenetische Erbleiden bekannt, doch<br />

sind diese für sich genommen relativ selten. Auch in ihrer Summe sind monogenetische<br />

Erbkrankheiten nur für einen geringen Prozentsatz des gesamten Krankheitsaufkommens<br />

verantwortlich, das wesentlich von den großen 'Volkskrankheiten'<br />

- Gefäßerkrankungen (vor allem Herzinfarkt), Krebs, Rheuma etc. - dominiert<br />

wird. Bei diesen kann zwar ebenfalls eine genetisch bedingte Anfälligkeit bestehen,<br />

sie sind aber immer durch exogene Faktoren - Infektionen, Ernährung, Umwelt-<br />

und Genußgifte, psychische Belastungen - mitverursacht. Außerdem beruht<br />

die erblich bedingte Anfälligkeit in der Mehrzahl der Fälle auf dem Zusammenspiel<br />

mehrerer Gene, so daß gentherapeutische Eingriffe im ursprünglichen Sinne<br />

hier schwierig, wenn nicht gar unmöglich sind. 35<br />

Allerdings wurden bereits Ende der 80er Jahre schon andere Behandlungsstrategien<br />

entwickelt, die im wesentlichen auf die Unterstützung des Immunsystems<br />

bei Krebs- und Viruserkrankungen abzielen oder einen zielgenaueren<br />

Einsatz von Chemotherapien bei diesen Krankheiten erlauben sollen. 36 Zum Beispiel<br />

sollen Abwehrzellen durch die Einschleusung entsprechender Gene zu einer<br />

verstärkten Produktion immunstimulierender Substanzen angeregt werden. Zum<br />

Teil wurde der Gentransfer auch zu rein diagnostischen Zwecken eingesetzt, z.B.<br />

um die Wege von Immunzellen bei ihrem Angriff auf Krebsgeschwulste verfolgen<br />

zu können (sogenannte Markerstudien). Von 106 Protokollen, die bis 1995 in den<br />

USA genehmigt wurden, zielten 51 auf die Therapie von Krebs, bei 25 handelte<br />

es sich um Markerstudien, 20 waren auf die Behandlung monogenetischer Erkrankungen<br />

- vor allem Cystische Fibrose - gerichtet, acht hatten die Eindämmung<br />

von HIV zum Ziel, und die übrigen zwei richteten sich gegen Rheuma- und<br />

Gefäßerkrankungen. 37<br />

35 Vgl. Strohman, Bio/Technology 1994.<br />

36 Vgl. Culver/Blaese, Trends in Genetics 1994; Bayertz et al., Gentransfer, 1993, S. 10ff.;<br />

Schmitt et al., Stand, 1994; Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993, S. 3ff.<br />

37 Marshall, Science 1995a, S. 1053.<br />

281


Sowohl bei den Therapieversuchen zu den monogenetischen wie auch zu den<br />

übrigen Erkrankungen scheint absehbar, daß nicht eine einmalige Applikation von<br />

transgenem Material - wenn überhaupt - zum Erfolg führen wird, sondern daß<br />

wahrscheinlich wiederholte oder sogar dauerhafte Anwendungen erforderlich sein<br />

werden. Daher ist für die gegenwärtige Konzeption der somatischen Gentherapie<br />

die Analogie zu einem chirurgischen Eingriff - früher wurde häufig der Vergleich<br />

mit der Organtransplantation bemüht 38 oder von 'Genchirurgie' gesprochen - nicht<br />

mehr tragfähig; die Entwicklung scheint sich stattdessen eher einer Impfung oder<br />

medikamentösen Therapie anzunähern. 39<br />

Mit dem Angriff auf weit verbreitete Krankheiten wird außerdem ein viel breiteres<br />

Betätigungsfeld eröffnet, als es bei monogenetischen Erkrankungen gegeben<br />

wäre. Damit einher geht der Einstieg großer pharmazeutischer Unternehmen und<br />

eine Gründungswelle kleinerer kommerzieller Unternehmen im Umkreis des e-<br />

hemals von der universitären Medizin geprägten Entwicklungsbereichs. Pharmazeutische<br />

Unternehmen sehen ihre Kompetenzvorteile gegenüber der medizinischen<br />

Klinik vor allem in der hochreinen und standardisierten Aufbereitung der<br />

Präparate, die in Universitäten und Krankenhäusern nur schwer zu gewährleisten<br />

ist.<br />

Zur schnellen Kommerzialisierung der somatischen Gentherapie hat die Euphorie<br />

in der medizinischen wie in der allgemeinen Öffentlichkeit beigetragen. 40 Für<br />

viele tödliche Krankheiten schien endlich eine wirksame Therapie in Aussicht.<br />

Auch unerwünschte Nebenwirkungen waren - von selteneren Zwischenfällen<br />

abgesehen 41 - bisher kaum erkennbar geworden. In Deutschland wurden die ersten<br />

klinischen Versuche 1994 begonnen. Diese sind aber nur die Spitze eines<br />

Eisbergs. Denn zur gleichen Zeit lagen dem Bundesforschungsministerium ca.<br />

245 Anträge von Forschergruppen zur Entwicklung gentherapeutischer Verfahren<br />

vor. 42 Diese Perspektive führte selbst in der Fachöffentlichkeit zu der Forderung,<br />

von Vorsichtsmaßnahmen abzusehen, um die Heilung leidender Menschen nicht<br />

zu verzögern. 43<br />

38 Vgl. z.B. die ersten von der Bundesärztekammer 1989 herausgegebenen Richtlinien (Deutsches<br />

Ärzteblatt vom 12.10.1989, Bd.86/Nr. 41, S. A-2957ff.).<br />

39 Vgl. Friedrich-Ebert-Stiftung, Expertengespräch, 1993, insb. S. 38, 81; Schleuning, Gentherapie,<br />

1994.<br />

40 Die positive Bewertung des Nutzens der Gentherapie in der Bevölkerung war jedoch<br />

1997, einer erneut durchgeführten Umfrage zufolge, gegenüber 1992 von 52% auf 39%<br />

abgesunken. Dieses Absinken könnte allerdings mit der zu diesem Zeitpunkt aktuellen Diskussion<br />

über die Klonierung des Schafes 'Dolly' zusammenhängen (TAB-Brief Nr. 12, Juni<br />

1997, S. 17f.).<br />

41 Schmitt et al., Stand, 1994, S. 29.<br />

42 Schmitt et al., Stand, 1994, S. 9.<br />

43 Vgl. z.B. Schreiber, Rechtliche, 1995.<br />

282


In jüngerer Zeit ist aber ein deutlicher Stimmungsumschwung eingetreten.<br />

Nach anfänglichen Erfolgsmeldungen hat sich nämlich unterdessen die Erkenntnis<br />

durchgesetzt, daß therapeutische Erfolge bisher in keinem einzigen Fall nachgewiesen<br />

werden konnten. 44 Es stellt sich nämlich das Problem, daß vorübergehende<br />

Besserungen des Zustands der Patienten, wie sie gelegentlich gemeldet wurden,<br />

nicht unbedingt auf die Gentherapie zurückzuführen sind, sondern ebensogut<br />

von spontanen Schüben herrühren können oder mit den Reaktionen auf herkömmliche<br />

Behandlungsansätze vergleichbar sind. Selbst bei den berühmten<br />

ADA-Patienten, 45 bei denen sich anfangs zum Teil eine deutliche Besserung abzeichnete,<br />

konnte bisher nicht auf die konventionelle Therapie verzichtet werden.<br />

Abgesicherte Ergebnisse der klinischen Versuche sind daher bisher kaum in angesehenen<br />

Fachzeitschriften veröffentlicht. Als Gründe werden vor allem die<br />

Ineffizienz der verwendeten Vektoren, Abstoßungsreaktionen gegenüber dem<br />

eingebrachten transgenen Material sowie Zweifel an der biochemischen und physiologischen<br />

Zielgenauigkeit der bisher verwandten Verfahren genannt.<br />

Viele Forscher halten daher den Einsatz von klinischen Versuchen am Menschen<br />

für tendenziell verfrüht und propagieren eine Präzisierung der Ansätze<br />

durch gründlichere Vorarbeiten im Labor. 46 In ihren Augen stellt die jüngste Welle<br />

klinischer Versuche einen blinden Aktionismus ("hype") dar, der getragen sei<br />

von einer Mischung aus Mitleid, öffentlicher Euphorie und kommerzieller Propaganda,<br />

47 aber nicht von anwendungsreifen wissenschaftlichen Ergebnissen.<br />

Erkennbar wird in diesem Zusammenhang auf jeden Fall, daß die Entwicklung<br />

der Gentherapie bisher weder durch staatliche Regulierung noch durch öffentliche<br />

Kritik behindert wird. Der relativ späte Beginn klinischer Versuche in der Bundesrepublik<br />

ist allenfalls durch eine von den deutschen Genforschern selbst - in<br />

Reaktion auf allgemeinere öffentliche Vorbehalte - erzeugte Stimmungslage zu<br />

erklären. 48 Er könnte aber auch auf die in Deutschland generell beklagten<br />

Schwierigkeiten bei der Verzahnung von Grundlagenforschung und klinischer<br />

Medizin zurückzuführen sein.<br />

44 Vgl. im folgenden Marshall, Science 1995a; Koch, Süddeutsche Zeitung 1995; Ritzert,<br />

Süddeutsche Zeitung 1995.<br />

45 ADA ist eine sehr seltene erbliche Immunschwächeerkrankung.<br />

46 Marshall, Science 1995b.<br />

47 So bemerkt Harold Varmus, der Direktor des NIH, daß der frühe Start von klinischen<br />

Versuchen damit zusammenhänge, daß kleine, mit Risikokapital gegründete Firmen vor allem<br />

darauf konzentriert seien zu überleben: "One way to survive is to have a clinical trial -<br />

show that you are actually on the scoreboard". (zit. n. Marshall, Science 1995a, S. 1055).<br />

48 Vgl. oben, Kap. 7, S. 226; vgl. Int. Nr. 1, S. 21.<br />

283


9.3. Fallbeispiel: Gentherapie 'von innen'<br />

Da die Gentherapie in Deutschland eine noch relativ junge und nur schwach regulierte<br />

Anwendungsform ist, wurden - im Unterschied zum Umgang im Geschlossenen<br />

System und zur Freisetzung - bisher nur wenige praxisnahe Risiko- und<br />

Regulierungsdiskussionen geführt. Daher steht nur in sehr begrenztem Umfang<br />

Material für eine Dokumentenanalyse zur Verfügung. Allerdings wurde uns von<br />

einem Institut der molekularbiologischen Grundlagenforschung und einer medizinischen<br />

Klinik - die hier zusammenarbeiten - freundlicherweise die Möglichkeit<br />

eröffnet, die beteiligten Mitarbeiter über ihre diesbezüglichen Einstellungen zum<br />

konkreten Fall und zur Gentherapie im allgemeinen detailliert zu befragen. Dabei<br />

wollten wir vor allem herausfinden, welche Wahrnehmungs-, Diskussions- und<br />

Entscheidungsprozesse im Sinne einer Selbstregulierung zum Tragen kommen<br />

und an welchen Stellen die gegenwärtigen gesetzlichen Rahmenbedingungen<br />

wirksam werden.<br />

In dem vorliegenden Fall geht es um den Versuch, die Immunabwehr gegen<br />

Krebs zu verstärken. 49 Zu diesem Zweck werden bei den Patienten Tumorzellen<br />

entnommen, im Labor vermehrt und mit einem Gen versehen, das die Zellen zur<br />

Produktion von immunstimulierenden Botenstoffen (Zytokinen 50 ) anregt. Dann<br />

werden die Tumorzellen durch Bestrahlung vermehrungsunfähig gemacht und den<br />

Patienten - über mehrere Wochen verteilt - unter die Haut gespritzt. Man erwartet<br />

nun, daß die behandelten Tumorzellen sich an denselben Stellen anreichern, an<br />

denen ihre unbehandelten Schwesterzellen Metastasen bilden. Es handelt sich<br />

also um eine Art gezielter Impfung, die das Immunsystem an diesen Stellen zu<br />

einer verstärkten Abwehr gegen die Tumorzellen provozieren soll. 51<br />

Außerdem wird den Patienten Blut entnommen, daraus ein bestimmter Typ von<br />

Immunzellen (Lymphozyten) isoliert, vermehrt und ebenfalls mit einem Gen versehen,<br />

das diese Zellen verstärkt zur Produktion von immunstimulierenden Botenstoffen<br />

anregt. Auch diese Zellen werden den Patienten dann in einem bestimmten<br />

Rythmus verabreicht.<br />

Von diesen beiden Eingriffen erhofft man sich, daß Zytokine gezielt am Wirkungsort<br />

der Tumorabwehr ausgeschüttet werden. Damit sollen die starken Ne-<br />

49 Die folgenden Darstellungen stützen sich auf das bei der Ethik-Kommission zur Begutachtung<br />

vorgelegte Versuchsprotokoll.<br />

50 Das sind Interleukine, Tumor-Nekrose-Faktor, Interferone etc.<br />

51 Es handelt sich um die Weiterentwicklung einer Impfung mit abgetöteten Tumorzellen, die<br />

z.B. aufgrund der Infizierung mit Viren vom Immunsystem als 'fremd' erkannt und daher<br />

attackiert werden. Ist die Attacke erst einmal in Gang gesetzt, werden dann oft auch die im<br />

Körper verbliebenen, nicht-veränderten Tumorzellen angegriffen (vgl. Schirrmacher,<br />

Spektrum der Wissenschaft 1990).<br />

284


enwirkungen vermieden werden, die sich bei der ungezielten 'systemischen'<br />

Verabreichung von wirksamen Dosen dieser Botenstoffe ansonsten gezeigt haben.<br />

Das transgene Erbmaterial wird mit Goldkügelchen in die Tumorzellen bzw.<br />

Lymphozyten geschossen und dabei im Zellkern abgestreift. Der vor allem in den<br />

USA gebräuchliche Einsatz viraler Vektoren, die sich eventuell komplettieren und<br />

dann weitervermehren können, 52 wird also vermieden. In den Zellen kommt es<br />

auch nicht zum Einbau in das Genom. Deshalb hofft man, daß keine Mutationen<br />

ausgelöst werden, die z.B. die Neubildung von Krebs nach sich ziehen könnten.<br />

Außerdem werden die neuen Gene nur vorübergehend exprimiert und können<br />

daher höchstens einige Wochen lang die Produktion der Zytokine induzieren. Das<br />

bedeutet zwar, daß regelmäßig Zellpräparate zugeführt werden müssen, hat aber<br />

zugleich den Vorteil, daß auch die Nebenwirkungen wahrscheinlich nicht lange<br />

anhalten würden, wenn man die Therapie abbrechen müßte. Der Gentransfer<br />

findet außerhalb des Körpers ('in vitro') statt; daher - und weil der Vektor im<br />

Körper wahrscheinlich nicht vermehrt werden kann - sind nur die ausgewählten<br />

Zellen betroffen. Beim Gentransfer direkt in den Körper ('in vivo') besteht nämlich<br />

sonst das Problem, daß sich der Eingriff kaum auf die Zielzellen beschränken<br />

läßt. Insofern handelt es sich um einen relativ - bezogen auf die bisher diskutierten<br />

Sicherheitskritierien 53 - 'harmlosen' Versuchsansatz, zumal auch bei anderen<br />

Gentherapieversuchen mit Zytokin-produzierenden Zellen keine stärkeren akuten<br />

Nebenwirkungen aufgetreten sind.<br />

9.3.1. Perspektiven der Gentherapie<br />

Befragt nach den unmittelbaren Erfolgsaussichten des aktuellen Versuchs, geben<br />

sich alle beteiligten Forscher sehr skeptisch. Sie betonen, daß es sich zunächst -<br />

ähnlich wie bei Arzneimittelprüfungen 54 in der Phase I - vor allem um Verträglichkeitstests<br />

handele, die nur an Krebspatienten vorgenommen werden dürften,<br />

bei denen bereits alle herkömmlichen Therapieansätze 55 ausgereizt seien und die<br />

sich daher in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium befänden. Weil sich<br />

in diesem Stadium Metastasen schon weit ausgebreitet hätten und das Im-<br />

52 Vgl. Schmitt et al., Stand, 1994, S. 22ff.<br />

53 Vgl. Schmitt et al., Stand, 1994, S. 22ff.<br />

54 Bei der Arzneimittelprüfung werden gewöhnlich vier Phasen unterschieden: In Phase I<br />

wird das Mittel an kleinen Kollektiven auf Verträglichkeit, in Phase II und III zunächst an<br />

kleinen und dann an größeren Patientenkollektiven auch auf Effektivität getestet. Nach der<br />

Marktzulassung setzt dann Phase IV ein, in der das Medikament unter Praxisbedingungen<br />

beobachtet wird.<br />

55 Dabei handelt es sich um chirurgische Eingriffe, Bestrahlung und Chemotherapie.<br />

285


munsystem in der Regel auch bereits geschwächt sei, wären Heilungserfolge eher<br />

unwahrscheinlich. Dies müsse man den Patienten auch deutlich sagen, um keine<br />

falschen Hoffnungen zu wecken. Mit anderen Worten: Man geht davon aus, daß<br />

die für die Studie ausgewählten Patienten so oder so in nächster Zeit sterben werden.<br />

Allerdings möchte man auch im aktuellen Versuch schon Hinweise gewinnen,<br />

wie die Therapie wirkt und wie sie gegebenenfalls zu verbessern wäre. Weil die<br />

'harten' Kriterien für die Beurteilung neuer Therapieansätze - z.B. die Fünf-Jahre-<br />

Überlebensquote - in diesem Krankheitsstadium nicht mehr angewandt werden<br />

können, müssen Indikatoren entwickelt werden, die gleichwohl latente Verbesserungen<br />

anzeigen. Dabei scheint es allerdings zu Verständigungsschwierigkeiten<br />

zwischen den an der Laborforschung orientierten Molekularbiologen<br />

und den letztlich am Wohlbefinden der Patienten orientierten Medizinern zu<br />

kommen. Der Leiter der molekularbiologischen Arbeitsgruppe schildert aus seiner<br />

Sicht:<br />

"Die Mediziner haben nie gelernt, ihre Versuchsbedingungen, falls man es dort so<br />

nennen kann, wirklich zu kontrollieren. Ich denke, die statistischen Kontrollen bei<br />

Arzneimittelprüfungen vermitteln nicht das Gedankengut, in dem wir erzogen sind.<br />

Wir versuchen nämlich, Schritte von A nach B wirklich nur mit einem Parameter<br />

Unterschied zu machen, um zu sehen: Ist das, was ich tue, wirklich auf die beim jeweiligen<br />

Schritt veränderten Bedingungen oder geänderten Messungen zurückzuführen?"<br />

(Int. Nr. 9, S. 1f.)<br />

Diese Unterschiede im disziplinären 'Denkstil' 56 machen sich auch praktisch bemerkbar:<br />

"Das macht sich praktisch bemerkbar, wenn es zum Beispiel um den Signifikanzbegriff<br />

geht, ob sich etwas deutlich unterscheidet von dem, was vorher war. Wir haben<br />

bestimmte Regeln, was man unter 'deutlich unterscheidbar' versteht. Das ist den<br />

Klinikern sehr schwer zu vermitteln. Es kann ja sein, daß ein Patient sich zunächst<br />

wohler fühlt, oder daß es vielleicht so aussieht, als würde eine Metastase nicht<br />

wachsen, oder daß sich das Blutbild so schön entwickelt hat. Nur sind das Dinge,<br />

die zwar die tägliche Motivation eines Arztes ausmachen können, aber ich muß<br />

mich fragen: Ist es nach meinen Regeln wirklich beweisbar, daß diese Veränderungen<br />

auf den gewählten Therapieansatz zurückzuführen sind? ... Das ist eine Diskussion,<br />

die mit unterschiedlichen Maßstäben geführt wird, ähnlich einer Aus-<br />

56 Vgl. Fleck, Entstehung, 1935. Fleck war selbst praktizierender Mediziner und hat seine -<br />

dem Werk von Thomas S. Kuhn schon früh vorgreifenden - erkenntnistheoretischen Überlegungen<br />

am Beispiel der Syphilisforschung zu Beginn dieses Jahrhunderts dargelegt. Zur<br />

Konkurrenz von Grundlagenmedizinern und Klinikern vgl. auch Bourdieu, Homo, 1992, S.<br />

117ff.<br />

286


einandersetzung unter Eheleuten, die auch nicht wirklich über das Gleiche reden,<br />

sich aber trotzdem kräftig streiten können." (Int. Nr. 9, S. 3)<br />

Allerdings wird auch eingeräumt, daß der 'ganze Mensch' - um den es letztlich<br />

geht - viel komplexer sei als das Labormodell, und daß daher der Denkstil der<br />

Kliniker, der an der Erfahrung im Umgang mit Patienten orientiert sei, eine andere,<br />

aber gleichwohl berechtigte Rationalität besitze. Die Kliniker seien sehr skeptisch<br />

gegenüber der "Erfolgseuphorie" der Molekularbiologen:<br />

"Erfolgseuphorie nicht im unmittelbar emotionalen Sinn: Wir denken, wenn ein<br />

Konzept in sich stimmig ist und auch beweisbar ist von den Grundlagen her, ... daß<br />

es dann an den Menschen auch so arbeitet. Das tut es aber nicht. Das haben wir<br />

dann ganz drastisch einsehen müssen. Und ich denke, das ist ein wesentlicher<br />

Punkt, den man von den Klinikern lernen kann: Daß wir uns hier in einen Erfahrungsbereich<br />

vorschieben und mit einem komplexen System umzugehen versuchen,<br />

das man sicherlich nicht begreifen, aber trotzdem irgendwie 'händeln' kann aufgrund<br />

von Erfahrungsfaktoren." (Int. Nr. 9, S. 8)<br />

Befragt nach den über die aktuellen Versuche hinausweisenden Perspektiven der<br />

Gentherapie zeigt sich dann trotzdem ein Unterschied zwischen der tendenziell 57<br />

euphorischen Einschätzung von Molekularbiologen und der durchweg eher nüchternen<br />

Haltung der Kliniker. Am prononciertesten wird die optimistische Einschätzung<br />

vom Leiter der molekularbiologischen Arbeitsgruppe vertreten:<br />

"Ich denke, daß diese malignen Erkrankungen molekularbiologische Fehlsteuerungen<br />

sind und daß man sie letzlich nur mit solchen Vorgehensweisen heilen kann. ...<br />

Man ist [bei der herkömmlichen Krebstherapie] in die eigentliche kausale Problematik<br />

nie tief genug eingestiegen. Natürlich hat auch die Grundlagenforschung bisher<br />

nicht genügend gewußt. Aber ich denke, seit zehn Jahren weiß man sehr viel<br />

mehr über das Immunsystem, seit fünf Jahren weiß man sehr viel über Steuerung<br />

von Zellteilung und programmierten Zelltod. Nun ist eigentlich klar aus den Bereichen<br />

der signalen Transduktion, was Krebs ist und weshalb Menschen daran erkranken.<br />

Es ist zwar jetzt noch nicht klar, wie man dort therapeutisch eingreifen kann,<br />

weil es ein sehr breites biologisches Geschehen ist, und dann nicht nur eine einzelne<br />

Zelle, sondern einen komplexen Organismus betrifft. Aber es kann sicher nur ein<br />

molekularbiologisches oder ein immunologisches Vorgehen sein. ... Ich bin also der<br />

festen Überzeugung, daß diese Wege, die jetzt gegangen werden, auch die richtigen<br />

sind, was das grundsätzliche Prinzip angeht." (Int. Nr. 9, S. 15ff.)<br />

Was wären aber die sozialen Aussichten, wenn es gelänge, Krebs als eine der<br />

häufigsten Todesursachen zu 'besiegen':<br />

57 Als in dieser Hinsicht tendenziell optimistisch haben wir die Interviews Nr. 9, Nr. 8 und<br />

Nr. 5 bewertet, als eher skeptisch die Interviews Nr. 10, Nr. 6 und Nr. 7; dabei ist aufgefallen,<br />

daß die optimistischeren Einschätzungen durchweg von Männern, die skeptischeren<br />

durchweg von Frauen stammen.<br />

287


"Es ist gut, daß wir ein programmiertes Lebensalter haben. Die Menschen sollten<br />

aber dieses Lebensalters 'in den Stiefeln erleben'. Man sollte das Leben so lebenswert<br />

machen, daß es sich dann vielleicht auch lohnt, diese neunzig bis hundert Jahre<br />

alt zu werden." (Int. Nr. 9, S. 17)<br />

Mit der Vorstellung von einem programmierten Lebensalter wird ein 'natürlicher'<br />

Rahmen redefiniert, in dem die Gentherapie einerseits zur Verbesserung der Lebensbedingungen<br />

beitragen kann, aber andererseits auch in ihren potentiellen<br />

Wirkungen - z.B. einer beliebigen Lebensverlängerung - eingeschränkt wird. 58<br />

Denn Krebs gehöre nicht zu den biologischen Mechanismen, mit denen der programmierte<br />

Untergang des Organismus eingeleitet werde, und erfolgreiche Krebstherapien<br />

könnten daher auch diese Programmierung nicht außer Kraft setzen. 59<br />

Zu so weitreichenden Überlegungen waren die Kliniker in den Interviews nicht<br />

anzuregen. Sie haben nicht die Perspektive der Grundlagenforschung, die jahrzehntelang<br />

im Labor mit Modellen arbeitet und nun relativ plötzlich die Perspektive<br />

einer gesellschaftlich äußerst resonanzfähigen Anwendung entdeckt. Ihr Alltag<br />

stellt sich vielmehr so dar, daß sie vor allem mit dem Leiden der Krebskranken<br />

konfrontiert sind:<br />

"Das ist ja ein generelles Problem, wenn man mit Patienten arbeitet, die eine todbringende<br />

Erkrankung haben. Bei den Onkologen, die das nun speziell und konzentriert<br />

erleben, ist das natürlich immer auch eine Belastung, zu sehen, wenn Patienten,<br />

die 30 oder 40 Jahre alt sind, an ihren Metastasen dann versterben und man<br />

kann nur danebenstehen und sagen: 'Das wars dann eben'." (Int. Nr. 3, S. 4)<br />

Als Ärzte sind sie daher nicht nur selbst auf der Suche nach neuen Hoffnungen,<br />

sie werden auch von den Patienten zu allen möglichen Therapieverfahren gedrängt,<br />

von denen in den Medien berichtet wird:<br />

"Die Krebspatienten, die dem Tod entgegensehen, erkundigen sich über alles mögliche,<br />

und dann oft auch viel Obskures ... irgendwelche Kälte- oder Hitzetherapien<br />

oder was es da auch immer gibt. Es ist erstaunlich, womit sie immer wieder ankommen.<br />

Sie passen also enorm auf. Diese Geschichten sind ihnen dann geläufig,<br />

z.B. durch die Laienpresse, oder wie man es nennen mag." (Int. Nr. 1, S. 7)<br />

Die Onkologen haben aber auch seit Jahrzehnten die Erfahrung gemacht, daß alle<br />

bisherigen Verfahren - trotz vielfach euphorischer Versprechungen - immer nur<br />

begrenzt hilfreich waren - wenn überhaupt. Aus ihrer Perspektive ist daher die<br />

Gentherapie ein Verfahren unter anderen, das sie mit einer Mischung aus Hoffnung<br />

und Skepsis betrachten:<br />

58 Vgl. auch Int. Nr. 8, S. 13, in dem ebenfalls ein zwar großer, aber überschaubarer und<br />

daher sozial wünschenswerter Erfolg vorgestellt wird.<br />

59 Int. Nr. 9, S. 20.<br />

288


"Das ist jetzt der große Wagen, auf den alle springen. Das ist auch gar nicht<br />

schlecht, denn dadurch werden wir dann auch nach einigen Jahren genug wissen,<br />

um es einschätzen zu können. Es wird einfach gemacht, weil wir nichts anderes haben.<br />

Wir haben nichts Besseres. Es ist doch auch auf anderen Gebieten passiert, daß<br />

immer mal mit dem wissenschaftlichen Fortschritt ein bißchen was abfiel. Es ist a-<br />

ber auch viel verpufft." (Int. Nr. 1, S. 10)<br />

9.3.2. Risiken der Gentherapie<br />

Als unmittelbar praktisches Risiko stellt sich aus der Sicht der Molekularbiologen<br />

die Möglichkeit der Verunreinigung der Zellpräparationen dar, die den Patienten<br />

verabreicht werden. Eine Verunreinigung, etwa durch die Atemluft des Präparators,<br />

würde man zwar relativ schnell bemerken. 60 Allerdings müßte man dann das<br />

Präparat wegwerfen, was im normalen Laboralltag kein größeres Problem darstellen<br />

würde - man müßte eben den Versuch wiederholen -, in diesem Fall aber die<br />

Verschiebung des Behandlungstermins - also Störung der Zusammenarbeit und<br />

wahrscheinlich Enttäuschung des Patienten - zur Folge hätte. 61 Das sei aber bisher<br />

noch nicht vorgekommen. Man bemühe sich um größtmögliche Hygiene - u.a.<br />

würden die Präparationen unter S 2-Bedingungen vorgenommen, obwohl sie nach<br />

dem Gentechnikgesetz auch unter S 1-Standard zulässig wären. Um die Qualität<br />

der Präparationen zu gewährleisten, versuche man sich am Standard von Blutbanken<br />

zu orientieren. Allerdings seien die in der Industrie geltenden GMP-<br />

Standards im Institut noch nicht zu verwirklichen. 62<br />

Als theoretische Risiken werden von den erfahreneren Mitgliedern der molekularbiologischen<br />

Arbeitsgruppe ein mögliches onkogenes Potential der Vektoren<br />

und der nicht-intendierte Transfer auf die Keimbahn angesprochen. Bei den gewählten<br />

transgenen Konstrukten sei das - aufgrund der oben dargestellten Sicherheitsvorkehrungen<br />

- nicht sehr wahrscheinlich, und außerdem handele es sich um<br />

Langzeitwirkungen, die man in den aktuellen Versuchen nicht beobachten könnte,<br />

weil die Patienten nicht lange genug lebten. 63<br />

Etwas überraschend für uns war die Beobachtung, daß - bei einer so neuartigen<br />

Entwicklung - die Vektorentwicklung im molekularbiologischen Institut in wesentlichen<br />

Teilen von Medizinstudenten im Rahmen von Doktorarbeiten 64 betrieben<br />

wird. Obwohl die Arbeiten von erfahreneren Wissenschaftlern betreut wer-<br />

60 Int. Nr. 6, S. 24.<br />

61 Int. Nr. 8, S. 4.<br />

62 Int. Nr. 9, S. 6, 49.<br />

63 Int. Nr. 9, S. 28.<br />

64 Es ist bei Medizinstudenten heute vielfach üblich, daß die Doktorarbeiten noch während<br />

des Studiums nebenher begonnen und abgeschlossen werden.<br />

289


den, stellt sich die Frage, ob die unmittelbar bei der Vektorentwicklung auftretenden<br />

Phänomene - mit denen in erster Linie noch eher unerfahrene Experimentatoren<br />

konfrontiert sind - dann angemessen beobachtet und interpretiert werden können.<br />

Die Risikoerwägungen der Kliniker bewegen sich dagegen wieder überwiegend<br />

auf einer anderen Erfahrungsebene:<br />

"Bei diesen Versuchen sehe ich eigentlich überhaupt kein Risiko. ... Die Substanzen<br />

selber kennen wir. Die haben wir z.T. schon therapeutisch eingesetzt. Nun macht<br />

die Körperzelle dies selber, was noch viel besser ist. Wir haben auch nicht die Gefahr<br />

der Kontamination, z.B. mit HIV oder Hepatitis, die gegeben wäre, wenn man<br />

Zellmaterial von einem fremden Spender einsetzen würde. ... Ja, was könnte sonst<br />

noch eine Gefahr sein? Daß die Krebszellen, wenn man sie zurückspritzt, noch nicht<br />

genug abgetötet sind und dann einfach weiterwachsen. Diese Gefahr ergibt sich<br />

nicht, wenn man die Zellen vernünftig bestrahlt hat, es sei denn, es passiert ein Unfall.<br />

... Ich sehe auch für uns beim Umgang mit diesen Zellen keine Gefahr, jedenfalls<br />

keine größere Gefahr, als wenn wir unseren Patienten auf der Station Blut abnehmen<br />

oder die Haut abtasten. Natürlich haben wir immer Umgang mit Patienten,<br />

wir haben fast alle schon mal eine Hepatitis gehabt, weil wir lange genug in der<br />

Medizin sind. ... Die Verträglichkeit bei den von uns verwendeten Zytokinen ist sogar<br />

noch besser, als ich erwartet habe. Da kenne ich ganz andere Nebenwirkungen,<br />

z.B. bei den schrecklichen chemotherapeutischen Therapien, die wir eingeleitet und<br />

den Patienten zugemutet haben." (Int. Nr. 1, S. 11f.)<br />

Wie hier deutlich wird, setzen Kliniker andere Vergleichsmaßstäbe an als Laborforscher.<br />

Während Laborforscher - soweit sie nicht regelmäßig und gezielt mit<br />

hochinfektiösem Material arbeiten - mit vergleichsweise niedrigen Risiken direkt<br />

konfrontiert sind, ist das unmittelbare Gefahrenniveau in der Klinik weitaus höher<br />

- sowohl im Hinblick auf Selbstgefährdungen als auch auf nicht-intendierte Nebenwirkungen<br />

bei der Behandlung der Patienten.<br />

Die Möglichkeit von überraschend auftretenden Risiken wollen aber weder die<br />

Molekularbiologen noch die Kliniker ausschließen. Bei der Diskussion der entsprechend<br />

zu treffenden Vorkehrungen zeigt sich indes wieder die unterschiedliche<br />

Denkweise. Eine Klinikerin antwortet:<br />

"Wir überwachen die Patienten sehr umfangreich. Die Patienten sind krank, sie sind<br />

in unserer Obhut und das ist eigentlich eine ganz unproblematische Zusammenarbeit.<br />

65 ... Da wird ein Riesenschwanz an Untersuchungen bei diesen Patienten<br />

vorgenommen, wo wir auch schauen wollen, wie das Immunsystem reagiert und<br />

was sich sonst abspielt. Das ist sehr sorgfältig ausgetüftelt." (Int. Nr. 1, S. 20)<br />

65 Hier wird auf das in anderen Fällen auftretende Problem angespielt, daß man die Wirkung<br />

von Therapien nicht genau studieren kann, weil die Patienten nicht den ärztlichen Anweisungen<br />

folgen.<br />

290


Dagegen setzen die Überlegungen der Grundlagenforscher auf der molekularen<br />

und zellulären Ebene an. Grundsätzlich hält man die Übertragung des transgenen<br />

Materials etwa auf die Darmflora oder in die Umwelt nicht für ausgeschlossen.<br />

Auch wenn dann kaum mit schwerwiegenden Folgen zu rechnen sei, sollte man<br />

z.B. den Verbleib des vom Patienten ausgeschiedenen Genmaterials im Rahmen<br />

von Sicherheitsforschung verfolgen:<br />

"Ich weiß nicht, was ich mir vorstellen sollte, wenn so ein Plasmid nun in die Kanalratte<br />

gerät, wo es dann irgendwo weiterübertragen wird. Soweit möchte ich gar<br />

nicht gehen. Aber es besteht die Möglichkeit, daß in größeren Mengen vorhandenes<br />

und vermehrungsfähiges transgenes Material in irgendwelche Ketten von Systemen<br />

gelangt. Ich denke, man sollte versuchen, das frühzeitig zu erkennen." (Int. Nr. 9, S.<br />

31)<br />

Um dem Verbleib des Vektors nachgehen zu können, sei es auch wichtig, jeweils<br />

bei den verstorbenen Patienten eine Obduktion vorzunehmen. Aus ethischen Erwägungen<br />

habe man aber davon abgesehen, die Zustimmung zum Versuch seitens<br />

der Patienten mit der Einwilligung in die spätere Obduktion zu koppeln. 66<br />

Nach den Risiken viraler Vektoren befragt, betonen die meisten Mitarbeiter in<br />

beiden Arbeitsgruppen, besonders aber die Kliniker, sie seien froh, daß diese bei<br />

den eigenen Versuchen nicht eingesetzt würden:<br />

"Das Bestechende an der Kooperation mit dieser molekularbiologischen Arbeitsgruppe<br />

ist eben, daß dort keine viralen Vektoren verwandt werden, was ich immer<br />

zumindest als ein theoretisches Risiko betrachtet habe, auch wenn inzwischen eine<br />

ganze Menge Information - zumindest kurzfristiger Natur - vorliegt. Bei der Übertragungsmethode,<br />

die wir verwenden, scheint mir die größtmögliche Sicherheit sowohl<br />

für die Leute, die die Zellen herstellen, als auch für die Patienten und ihre<br />

Umgebung gewährleistet zu sein, so daß kein vermehrungsfähiges Material, selbst<br />

im theoretischen Sinne, entstehen kann." (Int. Nr. 4, S. 11)<br />

Ein anderes Mitglied der klinischen Arbeitsgruppe würde sogar eventuell die<br />

Mitarbeit verweigern, wenn mit viralen Vektoren gearbeitet würde:<br />

"Ich würde in so einer Gruppe nicht spontan mitmachen, sondern ich würde wahrscheinlich<br />

Wochen brauchen, um mit genügend Recherche eine solche Entscheidung<br />

abzuwägen." (Int. Nr. 2, S. 10)<br />

Nur die mit der Sicherheitsdiskussion vertrauteren Mitglieder der molekularbiologischen<br />

Arbeitsgruppe relativieren die Risiken der in anderen Versuchen<br />

verwendeten viralen Vektoren. Sie weisen darauf hin, daß durch mehrfache Be-<br />

66 Int. Nr. 9, S. 47; Int. Nr. 7, S. 24f. In dem von der Bundesärztekammer entwickelten<br />

Zustimmungsformular zur Gentherapie ist allerdings mittlerweile die Einwilligung in die<br />

spätere Obduktion vorgesehen (Deutsches Ärzteblatt vom 17.3.1995, Bd.92/Nr. 11, S. A-<br />

789ff.).<br />

291


schneidung des viralen Genoms verhindert würde, daß virale Vektoren wieder<br />

vermehrungsfähig werden könnten. Wenn sie sich dennoch wieder vervollständigen<br />

würden, seien sie nicht besonders pathogen und, wie am Beispiel der häufig<br />

verwendeten Schnupfenviren (Adeno-V) aufgezeigt, in der Umwelt sowieso häufig<br />

anzutreffen. 67 Auch die Entstehung neuartiger Viren sei nicht ausgeschlossen,<br />

aber im Verhältnis zu den in der Umwelt ohnehin stattfindenden Mutationsereignissen<br />

sei es eher unwahrscheinlich, daß dabei besonders gefährliche<br />

Varianten entstünden. 68 Der Einsatz einer nicht-viralen Übertragungsmethode<br />

wird mit deren technischer Überlegenheit und nicht mit Risikoerwägungen begründet:<br />

"Wir benutzen die Retroviren nicht deshalb nicht, weil wir diese Sicherheitsproblematik<br />

irgendwo sehen würden, sondern weil wir einfach die anderen Systeme haben,<br />

die für uns praktischer sind." (Int. Nr. 9, S. 33)<br />

9.3.3. Zum Umgang mit todgeweihten Patienten<br />

Wie schon bei der Darstellung der Risikoerwägungen angedeutet, ist man bei der<br />

Gentherapie von Tumorerkrankungen - nicht nur in diesem Fall, sondern auch bei<br />

der Vielzahl der weltweit unternommenen Versuche - der Auffassung, daß diese<br />

vorläufig nur an Patienten in einem weit fortgeschrittenen Krankheitsstadium<br />

vorgenommen werden dürften. Damit ist die allgemein verbreitete utilitaristische<br />

Vorstellung verbunden, daß die Patienten fast nichts mehr zu verlieren haben und<br />

allenfalls noch etwas gewinnen können - eine Situation also, die einem moralischen<br />

Freibrief gleichkommen könnte. 69<br />

Anklänge an diese Argumentation finden sich auch immer wieder in den Interviews,<br />

wenn darauf hingewiesen wird, daß die Erwägungen über längerfristige<br />

Risiken für die aktuellen Versuche eigentlich irrelevant sind. 70 Es wird aber auch<br />

darauf verwiesen, daß weniger die Todesprognose, sondern das Fehlen von aussichtsreichen<br />

Behandlungsalternativen der Grund dafür sei, daß diese Versuche<br />

an Patienten im Endstadium vorgenommen werden:<br />

67 Int. Nr. 7, S. 11ff.<br />

68 Int. Nr. 9, S. 33f.; Int. Nr. 2, S. 11.<br />

69 Vgl. dazu die Kritik des Philosophen Hans Jonas: "Da muß die Profession dem verführerischen<br />

Sophismus widerstehen, daß der hoffnungslose Fall am ehesten 'verausgabbar' ist ...<br />

und daher vorzüglich verfügbar; und allgemein die Einstellung, daß, je schlechter die<br />

Chancen des Patienten, desto berechtigter seine Rekrutierung für Experimente sei, die<br />

nicht direkt zu seinem eigenen Wohl gedacht sind. Das Gegenteil ist wahr." (Jonas, Technik,<br />

1987, S. 140)<br />

70 Z.B.: "Gerade bei Tumorpatienten ist diese Diskussion relativ einfach, weil diese Patienten<br />

ohnehin quasi zum Sterben verurteilt sind." (Int. Nr. 4, S. 21)<br />

292


"Mit der Lebenserwartung direkt hat das nichts zu tun. ... Es wäre auch ein etwas<br />

schwacher Standpunkt zu sagen: 'Die haben eh nichts mehr zu verlieren, also können<br />

wir machen, was wir wollen'. Nein, es sind Patienten, denen wir sonst überhaupt<br />

nichts mehr anbieten können, die mit Standardtherapien und auch schon experimentell<br />

behandelt worden sind, und denen wir jetzt gar nichts mehr anbieten können,<br />

und die aber noch freiwillig bereit sind und doch noch etwas machen wollen."<br />

(Int. Nr. 3, S. 13)<br />

Es handelt sich also um Patienten, die nach konventionellen Maßstäben 'austherapiert'<br />

sind. Patienten, denen es schon zu schlecht geht, werden allerdings von<br />

der Studie ausgeschlossen, weil die Gentherapie dann ohnehin nicht mehr helfen<br />

könnte und man den Patienten die aufwendigen Begleituntersuchungen in diesem<br />

Stadium auch nicht mehr zumuten möchte. 71<br />

Umstritten war die Frage, ob man überhaupt schon mit Versuchen am Menschen<br />

beginnen sollte, gerade in der molekularbiologischen Arbeitsgruppe:<br />

"In der Gentherapie würde ich vielmehr Probleme auf der ethischen Seite sehen als<br />

auf der gentechnischen Seite. Da wird mit schwerkranken Menschen umgegangen,<br />

an denen wird irgendwas ausprobiert. ... Es ist zweischneidig, es wird immer so dargestellt:<br />

'Ja, wir wollen Ihnen helfen, Sie sind so krank, das ist jetzt die letzte Möglichkeit<br />

und wir tun Ihnen Gutes.' Auf der anderen Seite geht die Menschlichkeit<br />

dabei verloren. Vielleicht sollte man so eine Krankheit als etwas nehmen, wo man<br />

erstmal sieht, wie gehe ich damit um und wie lebe ich damit weiter, statt immer zu<br />

sagen: Ich muß das alles bekämpfen, so daß der Mensch nur noch aus Krankheit besteht<br />

und nicht mehr aus dem Rest." 72<br />

Das liegt vor allem daran, daß die Grundlagenforscher durch die Gentherapie zum<br />

ersten Mal mit der Problematik von Versuchen am Menschen konfrontiert sind:<br />

"Bei mir sieht es so aus - ich nehme an, bei einigen meiner Mitarbeiter auch -, daß<br />

wir im Moment, wo das rationale Konzept stimmt, das auch ganz vehement betreiben<br />

wollen. Wenn wir dann aber wirklich vor diesem Patienten stehen oder vor seinen<br />

Zellen stehen, dann haben wir doch sehr starke initiale Ängste. Zunächst anderen<br />

Leuten klarzumachen, daß das ein sonnenklares Konzept ist, da sind wir wahrscheinlich<br />

die treibende Kraft. Aber wenn es dann wirklich soweit ist, sind es dann<br />

eher die Mediziner, die sagen: 'Wieso, ich muß da doch nur etwas injizieren, Zellen<br />

raus, Zellen rein. Sonst zerlegen wir die Leute in wie viele Einzelteile und nähen sie<br />

wieder zusammen.' Während der direkte Umgang mit dem Körper für uns eher eine<br />

Barriere ist, ist das für die natürlich täglich Brot. So daß man an dieser Stelle dann<br />

sehr aufpassen muß als eher Außenstehender oder als Molekularbiologe, dies dann<br />

nicht zu weit zu treiben." (Int. Nr. 9, S. 13)<br />

71 Int. Nr. 1, S. 6, 16; Int. Nr. 4, S. 16.<br />

72 Int. Nr. 7, S. 28; vgl auch oben, Kap. 7.5.<br />

293


So ist es manchmal auch die medizinische Seite, die zu mehr Zurückhaltung<br />

drängt. 73 Auch die 'aufgeklärte Zustimmung' wird gerade von den Klinikern problematisiert,<br />

weil sie damit unmittelbare Erfahrungen haben:<br />

"Das mit dem Verstehen ist natürlich ein Problem, das ist ja auch schon bei relativ<br />

einfachen Eingriffen ein Problem. ... Für einfacher strukturierte Patienten ist das ein<br />

Problem, vielleicht sogar ein unlösbares Problem. Man kann natürlich versuchen,<br />

das in einfachere Worte zu kleiden, aber das ist auch immer eine gewisse Form der<br />

Patientenführung. Speziell bei fortgeschrittenen Patienten ist es außerdem auch ein<br />

Klammern nach einer neuen Möglichkeit, wenn man ihnen so etwas vorschlägt. Daher<br />

ist es in der Regel so, daß wir nicht nur solche Therapieentscheidungen für die<br />

Gentherapie, sondern prinzipiell Therapieentscheidungen bei fortgeschrittenen<br />

Krebspatienten in einer Gruppe versuchen zu fällen, bevor wir dem Patienten den<br />

Vorschlag unterbreiten. Sicherlich hat der Patient dann immer die Möglichkeit, nein<br />

zu sagen. Aber auf der anderen Seite hat der Patient nicht so viele Möglichkeiten.<br />

Die Patienten stimmen bei dieser Form von Therapie, weniger weil es Gentherapie<br />

ist, sondern weil praktisch keine Nebenwirkungen erwartet werden, relativ einfach<br />

zu." (Int. Nr. 4, S. 15f.)<br />

9.3.4. Wahrnehmung der Kontrolle durch die Ethik-Kommission<br />

Das Projekt wurde der Ethikkommission der Universität als Heilversuch - und<br />

nicht als Arzneimittelprüfung - zur Begutachtung vorgelegt. Dieses Procedere war<br />

bereits bei einer vorangegangenen Studie, die die Molekularbiologen in Kooperation<br />

mit einer anderen klinischen Arbeitsgruppe initiiert hatten, gegen anfängliche<br />

Bedenken bei der Ethik-Kommission ausgehandelt worden:<br />

"Die Ethikkommission hat zunächst formal argumentiert und nach den Tierversuchen<br />

und anderen Vorversuchen gefragt. Wir können auf einige Vorversuche verweisen,<br />

die es gibt, aber bestimmte Tests gibt es eben nicht. Also war es unsere<br />

Aufgabe, trotzdem klarmachen zu können, daß das sinnvoll ist, was hier passieren<br />

soll. Wir können zum Beispiel dieses Konstrukt, das für Menschen gemacht ist,<br />

nicht an Tieren testen. Natürlich gibt es den ähnlichen Promotor und das ähnliche<br />

Gen und das ähnliche Protein auch in Tieren, nur wird es dort wieder anders reguliert.<br />

Tierversuche würden wahrscheinlich die gleiche Richtung zeigen, aber es wären<br />

keine validen Daten und nicht die Aussage, die wir eigentlich haben wollten.<br />

Was ja auch für viele Arzneimittelprüfungen gilt, aber hier wurde es extrem gefordert.<br />

Ein für unseren Versuch wichtiges Gen arbeitet in Mäusen völlig anders als in<br />

73 In einem in Kooperation mit einer anderen klinischen Arbeitsgruppe begonnenen Vorhaben<br />

werden von den Medizinern Vorversuche an Zellkulturen verlangt, die umgekehrt die Molekularbiologen<br />

tendenziell als überflüssig erachten (Int. Nr. 10, S. 59).<br />

294


Menschen. Keiner weiß bisher warum. Das war die Arbeit, die wir mit der Ethikkommission<br />

leisten mußten." (Int. Nr. 9, S. 41f.)<br />

Die formale Deklarierung des Projekts als Heilversuch schlägt allerdings nicht auf<br />

die interne Diktion durch, die - auch im Einklang mit dem internationalen wissenschaftlichen<br />

Sprachgebrauch in der Diskussion der Gentherapie - an den Kriterien<br />

der Arzneimittelprüfung orientiert ist:<br />

"Wenn ich von 'Studie' oder von 'Kausalstudie' rede, dann deshalb, um zu zeigen,<br />

daß wir uns bemühen, möglichst dicht [am Verfahren experimenteller Forschung]<br />

dran zu sein. Aber für die Kassen oder für das Standesrecht oder für alle formalen<br />

Kontexte, in denen das von Belang ist, ist es eine individuelle Beeinflussung." (Int.<br />

Nr. 9, S. 43)<br />

Die Verhandlung des ersten Gentherapieprotokolls, das in Kooperation mit einer<br />

anderen klinischen Arbeitsgruppe entwickelt und ca. neun Monate zuvor der<br />

universitären Ethikkommission vorgelegt worden war (s.o.), wurde von dem Leiter<br />

der molekularbiologischen Arbeitsgruppe als intensiver Diskussionsprozeß<br />

wahrgenommen. Von den von uns befragten Klinikern wurde dagegen die Begutachtung<br />

'ihres', also des zweiten Protokolls tendenziell als weniger anspruchsvolle<br />

Diskussion erlebt:<br />

"Wir haben dieses Protokoll vorgelegt, da ist ja dann auch eine Patientenaufklärung<br />

dabei, und das sind sie alles durchgegangen, haben uns Fragen gestellt, wie wir uns<br />

das vorstellen. Das war eine ganz interessante Diskussion. ... Da habe ich auch gelernt,<br />

daß da sehr vieles überhaupt nicht reguliert ist von den Gesetzen her, und man<br />

da im Grunde noch in einer frühen Grauzone ist und einfach nur mit ein bißchen<br />

Verantwortung gucken muß, ob man das alles richtig geplant hat. Das Ethikkomitee<br />

bei uns besteht ja auch aus diversesten Leuten aus der Fachdisziplin, die haben das<br />

sehr wohl - so wie wir ihnen das vorgestellt haben - verstanden und haben einiges<br />

dann nachgefragt, aber im Grunde kundgetan, sie geben ja keine Einwilligung, würde<br />

ich sagen, nur daß sie keine ethischen Bedenken haben, und das haben sie in jedem<br />

Fall auch getan." (Int. Nr. 1, S. 16f.)<br />

"Ich habe die Diskussion als sehr hilfreich empfunden in Bezug auf die Patientenaufklärung.<br />

Es ist aber sicherlich schwierig für das Ethikkomitee, einen wissenschaftlichen<br />

Nutzen zu beurteilen, offiziell soll das Ethikkomitee das auch nicht.<br />

Aber ich denke, daß es schon hilfreich wäre, wenn es da auch etwas mehr Informationen<br />

beurteilen müßte. Wie ich es erlebt habe, ist es nicht so hilfreich in den übrigen<br />

Komplexen gewesen. Eine gewisse Beurteilung, was der Ansatz an sich bedeutet,<br />

das ist praktisch überhaupt nicht bzw. sehr wenig geschehen, möglicherweise<br />

auch deswegen, weil der Ansatz der anderen klinischen Arbeitsgruppe ein dreiviertel<br />

Jahr vorher schon durchdiskutiert worden war. Da hätte ich eigentlich mehr<br />

Rückfragen erwartet." (Int. Nr. 4, S. 18)<br />

295


Der zentrale Ausschuß bei der Bundesärztekammer, den die lokalen Ethikkommissionen<br />

zu Rate ziehen können (s.o.), existierte damals noch nicht. Insofern<br />

war eine intensivere fachliche Befassung aus strukturellen Gründen kaum zu<br />

leisten. Das Problem der lokalen Ethik-Kommission scheint auch zu sein, daß<br />

sehr viele Anträge - etwa 400 im Jahr - zu behandeln sind. Entsprechend gab der<br />

gegenwärtige Vorsitzende der Kommission - in Reaktion auf unser Interviewersuchen<br />

- an, daß er sich kaum an die Behandlung des Gentherapieprotokolls erinnern<br />

könnte.<br />

9.3.5. Einstellung zu anderen Regulierungsmechanismen<br />

Eine implizite Orientierung am Step-by-step-Prinzip läßt sich auch bei gentherapeutischen<br />

Versuchen erkennen, auch wenn die Prinzipien der Arzneimittelprüfung<br />

nicht voll zur Anwendung kommen. Ansätze einer Selbstregulierung der<br />

Community werden auch insofern gesehen, als die Studien auf wissenschaftlichen<br />

Tagungen vorgestellt werden und sich auch implizit aufeinander beziehen. 74 Allerdings<br />

wird auch bemerkt, daß auf Gentherapietagungen selten über Sicherheitsfragen<br />

diskutiert würde. 75 Insgesamt scheinen die Arbeitsgruppen von der in<br />

Deutschland sich etablierenden Gentherapie-Community relativ abgeschnitten. 76<br />

So wird auch der von der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Gentherapie vorgeschlagene<br />

Selbstregulierungsansatz 77 nur in einem Interview erwähnt. 78<br />

Darüber hinaus stehen im Prinzip alle Befragten einer stärkeren - d.h. aber<br />

nicht zwangsläufig gesetzlichen - Regulierung der Gentherapie aufgeschlossen<br />

gegenüber. Sie betonen aber, daß es gegenwärtig dafür noch zu früh sei, weil eine<br />

angemessene Erfahrungsbasis fehle. Gegen die Subsumierung unter das Arzneimittelgesetz<br />

wird eingewandt, daß dadurch die nicht-kommerzielle Forschung<br />

behindert würde, weil öffentliche Forschungseinrichtungen kaum den GMP-<br />

Maßstäben genügen könnten. 79 Eventuell seien einheitliche Protokollschemata,<br />

die einen besseren Vergleich der Gentherapie-Ansätze zuließen, wünschenswert.<br />

80 Ein Kliniker betont, daß nicht nur bei der Gentherapie, sondern generell<br />

bei neuen Therapieformen sichergestellt werden sollte, daß nur hinreichend<br />

74 Int. Nr. 10, S. 41.<br />

75 Int. Nr. 7, S. 37f.<br />

76 Int. Nr. 7, S. 38ff.<br />

77 Lindemann et al., Der Chirurg 1995.<br />

78 Int. Nr. 10, S. 36.<br />

79 Int. Nr. 9, S. 49f.<br />

80 Int. Nr. 9, S. 51.<br />

296


durchdachte Behandlungsansätze zur Anwendung kämen - die meisten Ethikkommissionen<br />

seien seiner Erfahrung nach dazu kaum in der Lage. 81<br />

9.3.6. Zwischenergebnis: Soziale Prozesse der Selbstregulierung<br />

Die externen Kontrollen bei der Gentherapie sind derzeit offenbar minimal. Aber<br />

es läßt sich feststellen, daß durch die interdisziplinäre Anlage dieses Versuchs<br />

implizit ein Regime von 'checks and balances' entsteht, bei dem sich vor allem die<br />

Gruppe der Grundlagenforscher und die Gruppe der Kliniker gegenseitig 'in<br />

Schach halten'.<br />

Auf der Machtebene besteht eine Balance zwischen den Gruppen, weil beide<br />

bei der Durchführung des Projekts aufeinander angewiesen sind: Die Kliniker<br />

können die Vektoren (noch) nicht selbst herstellen und bisher auch noch nicht<br />

kommerziell beziehen, den Grundlagenforschern stehen ohne Vermittlung durch<br />

die Klinik keine Patienten zur Verfügung, wenn sie ihre Vektoren praktischen<br />

Tests unterziehen wollen. 82 Zugleich sind beide Gruppen aber auch insofern unabhängig<br />

voneinander, als keine Seite die andere ernsthaft unter Druck setzen<br />

kann.<br />

Daher können sich beide Seiten gegenseitig nur argumentativ überzeugen, wobei<br />

sich, wie gezeigt, unterschiedliche professionelle Denkweisen gegenüberstehen:<br />

Die Grundlagenforscher dringen stärker auf die modelltheoretische Begründbarkeit<br />

der Versuche, die Kliniker haben stärker den praktischen Nutzen<br />

vor Augen.<br />

Zugleich zeigt sich - schon eher überraschend -, daß die Forscher eine besondere<br />

Vorsicht gerade in dem Bereich üben, für den eigentlich die jeweils andere<br />

Gruppe zuständig ist: Die Kliniker sorgen sich um die Risiken der viralen Vektoren,<br />

die Molekularbiologen zeigen besondere Skrupel bei der Applikation am<br />

Patienten.<br />

Das liegt offenbar daran, daß man sich besondere Gedanken gerade in den Bereichen<br />

macht, mit denen man nicht vertraut ist. Dies ist eine in der sozialwissenschaftlichen<br />

Risikoforschung allgemein bekannte Erscheinung: Gegenüber<br />

Risiken, mit denen man ständig Umgang hat, neigt man zur Nachlässigkeit, während<br />

man gegenüber weniger vertrauten Risiken zu größerer Vorsicht tendiert. 83<br />

Insofern kann man auch sagen, daß die Mitarbeiter auf der jeweils anderen Seite<br />

als eine Art partieller Öffentlichkeit fungieren, die als Nicht-Fachleute in der<br />

81 Int. Nr. 4, S. 22.<br />

82 Int. Nr. 2, S. 19ff.<br />

83 Z.B. Jungermann/Slovic, Psychologie, 1993.<br />

297


jeweils anderen Disziplin die allgemeineren Besorgnisse und eine distanziertere<br />

Perspektive projektintern repräsentieren.<br />

Soziologisch interessant ist dabei, daß eine solche Form von Auseinandersetzung<br />

und gegenseitiger Kontrolle nur auf der Basis von Differenzierung entstehen<br />

kann, also zunächst die Entwicklung unterschiedlicher Denkstile, Erkenntnisinteressen<br />

und unabhängiger Institutionalisierungen voraussetzt, die dann erst<br />

interdisziplinär zusammengeführt werden. Auf der Basis eines 'einheitswissenschaftlichen'<br />

oder generalistischen Programms wäre nämlich andernfalls zwar<br />

die Borniertheit des einzelfachlichen Blickwinkels zu vermeiden, es würden sich<br />

aber keine untereinander divergierenden Denkstile herausbilden, die miteinander<br />

in Diskussion treten könnten. Außerdem würde wahrscheinlich relativ schnell ein<br />

einheitliches Erkenntnis- und Handlungsinteresse die Oberhand gewinnen.<br />

Unser Befund kann als positives Beispiel bewertet werden, aber man sollte ihn<br />

nicht vorschnell verallgemeinern. Der Gegenstand unserer Befragung ist ein Einzelfall,<br />

und es handelt sich zudem nur um eine Momentaufnahme in der Startphase.<br />

Selbst bei diesem Einzelfall kann also keine Aussage darüber getroffen werden,<br />

wie sich die Beziehungen zwischen den Gruppen entwickeln und ob sich<br />

nicht auf Dauer einseitige Abhängigkeiten und unreflektierte Handlungsroutinen<br />

einspielen werden. Mit der zunehmenden Standardisierung der Gentherapie, z.B.<br />

als medikamentöse Behandlung, 84 würde sich das aufwendige interdisziplinäre<br />

Arrangement ohnehin erübrigen und die Entscheidung über die Versuchs- oder<br />

Behandlungsstrategien - jedenfalls auf unmittelbar handlungspraktischer Ebene -<br />

wieder bei einer Einzelprofession zentralisiert werden. 85<br />

9.4. Ungewißheitsbasierte Regulierung auf der Basis von Selbststeuerung<br />

oder Recht?<br />

In der deutschen Öffentlichkeit wird scheinbar mit zweierlei Maß gemessen:<br />

Während bei landwirtschaftlichen Freisetzungen eine sehr starke Risikosensibilität<br />

zu beobachten ist (vgl. Kap. 8.3.), werden die potentiellen Risiken der Gen-<br />

84 Diese Perspektive wurde in den Interviews z.T. auch angesprochen (Int. Nr. 4, S. 8; Int.<br />

Nr. 9, S. 17).<br />

85 Ein Interviewpartner machte uns nachträglich darauf aufmerksam, daß sich unterdessen<br />

(Mai 97) die Situation eher zugunsten der Kliniker verschoben habe, die vermehrt Kooperationen<br />

mit der Industrie suchten, um ihre gentherapeutischen Ideen durchzusetzen. Allerdings<br />

seien auch die externen Kontrollen verstärkt worden, wobei diese Kontrollen vor<br />

allem aufgrund des formellen Aufwands mit den Antragsarbeiten abschreckend wirkten.<br />

298


therapie für die menschliche und nicht-menschliche Umwelt kaum in Erwägung<br />

gezogen. 86<br />

Was die Risiken für die behandelten Patienten anbetrifft, besteht eine ähnliche<br />

Ambivalenz zwischen der Einordnung experimenteller Therapien entweder nach<br />

dem relativ strikten, an US-amerikanischen Standards orientierten Arzneimittelgesetz<br />

oder als Heilversuche, die lediglich - und im Prinzip freiwillig -<br />

der Kontrolle durch eine standesrechtliche Ethikkommission unterworfen sind.<br />

9.4.1. Zur normativen Einordnung der Gentherapie<br />

Normativ stellt sich das Problem, ob der propagierte Nutzen und die schwere<br />

Erkrankung wirklich geeignet sind, alle anderen behandlungsethischen, seuchenhygienischen<br />

und ökologischen Bedenken zur Seite zu schieben, wobei diese<br />

Frage wiederum nicht nur im Zusammenhang mit der Gentherapie, sondern wie<br />

bei der Ungewißheit neuer experimenteller Methoden insgesamt (vgl. Kap. 2.1.1.)<br />

ebenso auch bei neuen Behandlungsformen generell aufzuwerfen wäre. Die Lösung<br />

dieses Problems scheint davon abhängig, ob und inwieweit man die Gentherapie<br />

als Heilversuch, experimentelle Behandlung oder Freisetzung einzustufen<br />

hat.<br />

Doch zunächst ist zu fragen, wie die unterschiedlichen Bewertungen in den genannten<br />

Bereichen zustande kommen. Das ergibt sich offenbar aus den verschiedenen<br />

Abwägungskontexten: Beim Heilversuch ist eine unmittelbare, individuelle<br />

Nutzen-Risiko-Relation gegeben. Im Unterschied dazu sind bei der Arzneimittelprüfung<br />

- oder anderen experimentellen Behandlungsformen - Risiken<br />

und Nutzen meistens ungleich über das Probandenkollektiv gestreut. Bei landwirtschaftlichen<br />

Freisetzungen verspricht sich die Mehrheit der Bevölkerung<br />

dagegen offenbar gar keinen Nutzen und geht die Risiken nicht freiwillig ein,<br />

weil, anders als beim Heilversuch oder bei experimentellen medizinischen Menschenversuchen,<br />

keine 'aufgeklärte Zustimmung' der potentiell Betroffenen eingeholt<br />

wird. Insofern wäre auch die unterschiedliche Bewertung materiell vergleichbarer<br />

Risiken keineswegs irrational.<br />

Zwar könnte man entgegenhalten, daß die Risiken biologisch ohnehin nicht<br />

vergleichbar seien, weil in der Landwirtschaft vermehrungsfähige Organismen<br />

freigesetzt, in der Gentherapie aber gegenwärtig nur replikationsgehemmte DNA-<br />

Konstrukte verwendet würden. Aber auch ursprünglich replikationsgehemmte<br />

Konstrukte können von Mikroorganismen - in der Darmflora, im Abwasser etc. -<br />

aufgenommen oder im Kontext von Helferviren weiterpropagiert werden, so wie<br />

umgekehrt bei der landwirtschaftlichen Freisetzung nach der Ausbreitungsfähig-<br />

86 Vgl. Bayertz, Neue, 1994.<br />

299


keit nicht nur des transgenen Organismus selbst, sondern auch von DNA-<br />

Fragmenten - via Pollen, horizontalem Gentransfer auf Bodenmikroorganismen<br />

etc. - gefragt wird.<br />

Außerdem ist rechtlich nicht festgelegt, daß nur relativ harmlose - d.h. unter<br />

Laborbedingungen entsprechend Gentechnikgesetz nach S 1 eingestufte - und<br />

zugleich replikationsgehemmte Konstrukte bei der Gentherapie zum Einsatz<br />

kommen dürfen, wie es gegenwärtig tatsächlich noch der Fall ist. Wenn also Risiken<br />

für Dritte nicht von vornherein auszuschließen sind - wie es etwa bei einer<br />

experimentellen chirurgischen Behandlung der Fall wäre -, resultiert aus den verschiedenen<br />

oben skizzierten Abwägungskontexten tatsächlich ein Wertungswiderspruch,<br />

der sich auch in einer sehr unterschiedlichen Handhabung der Gentherapie<br />

und der Freisetzung im Gentechnikgesetz niederschlägt.<br />

Aber auch die rechtliche Behandlung der Gentherapie als Heilversuch erscheint<br />

problematisch. Sie wäre nur zulässig, wenn für die behandelten Patienten tatsächlich<br />

ein individueller Nutzen zu erwarten wäre. Dieser scheint aber für die gegenwärtig<br />

getesteten 'austherapierten' Krebspatienten kaum begründbar zu sein.<br />

Wenn man hier - zur Rechtfertigung gegenwärtig ausbleibender Heilerfolge - von<br />

Phase I-Studien oder Verträglichkeitstests spricht, müßte man die somatische<br />

Gentherapie auch dem Arzneimittelgesetz unterwerfen oder einer vergleichbaren<br />

Prüfungs- und Genehmigungsmethodik unterziehen. 87<br />

9.4.2. Zur tatsächlichen Einordnung der Gentherapie in Deutschland<br />

In der deutschen Öffentlichkeit wurden bisher weder die seuchenhygienischen<br />

und ökologischen noch die behandlungsethischen Aspekte der Gentherapie ernsthaft<br />

erörtert. Das scheint damit zusammenzuhängen, daß der Risikodiskurs hier<br />

bisher von Klinikern dominiert wird, die sich implizit noch immer am heroischen<br />

Ethos des Heilversuchs orientieren. Dieser Einschätzung liegt die These zugrunde,<br />

daß die unterschiedliche Risikowahrnehmung in den verschiedenen Anwendungsbereichen<br />

der Gentechnik auf die Dominanz von Leitprofessionen und entsprechender<br />

Analogiebildungen zurückzuführen ist: Die Risikowahrnehmung<br />

beim Umgang im Geschlossenen System wurde von den Mikrobiologen, die Risikowahrnehmung<br />

bei der Freisetzung wurde von den Ökologen und Toxikologen<br />

strukturiert. Bei der Gentherapie ist allerdings noch offen, inwieweit sich die<br />

Kliniker gegenüber den Pharmakologen durchsetzen können, die ähnlich wie die<br />

Ökologen, Toxikologen und Mikrobiologen disziplinär eher risikoavers eingestellt<br />

87 Daß das AMG nur auf Arzneimittelstudien und nicht auch auf andere experimentelle Entwicklungen<br />

von neuen Behandlungsformen angewandt wird, ist ein anderer Wertungswiderspruch,<br />

dem hier nicht näher nachgegangen werden kann.<br />

300


sind. Gelegentlich wird auch behauptet, daß die Genforscher ihre Sicherheitsbedenken<br />

im Hinblick auf die Gentherapie nicht in größeren Kreisen diskutieren<br />

wollten, weil andernfalls eine Risikodebatte in der Öffentlichkeit geweckt<br />

werden könnte ähnlich derjenigen, die zur Verabschiedung des Gentechnikgesetzes<br />

geführt hat. 88<br />

Auch rechtlich ist in Deutschland die Tendenz zu beobachten, allgemein mit<br />

experimentellen Menschenversuchen - jedenfalls im Vergleich zu den USA - eher<br />

nachlässig umzugehen. Während man beim Umgang im Geschlossenen System<br />

und tendenziell bei der Freisetzung transgenes Material prinzipiell als potentiell<br />

gefährlichen Stoff einschätzt, orientiert man sich bei der Einordnung der Gentherapie<br />

nur am erhofften Heilerfolg, aber kaum noch an den potentiellen Nebenwirkungen<br />

und behandlungsethischen Fragen.<br />

Ob die Gentherapie aber nicht letztlich doch dem Arzneimittelgesetz unterworfen<br />

werden muß, wird wohl auch vom Engagement der Pharmaindustrie abhängen.<br />

Letztere drängt nämlich auf eine Anwendung der europäischen arzneimittelrechtlichen<br />

Vorschriften. 89 Inwieweit sich dieses Engagement verstärkt,<br />

wird nicht nur durch technische Entwicklungen - Erfolg bei häufig auftretenden<br />

Krankheiten und Standardisierbarkeit -, sondern auch im Streit über die Patentierbarkeit<br />

menschlicher Erbsubstanz entschieden. 90<br />

9.4.3. Implizite Orientierung an einer ungewißheitsbasierten Regulierung<br />

Mit dem Versuch der Annäherung an die Kriterien der Arzneimittelprüfung unterwirft<br />

sich die Forschung zur Gentherapie aber dennoch einer ungewißheitsbasierten<br />

Regulierung. Denn bei der Arzneimittelprüfung werden schon seit<br />

längerer Zeit in etwa die gleichen Verfahren - nämlich die Fall-für-Fall- und<br />

Schritt-für-Schritt-Beurteilung - angewandt wie bei der Freisetzung transgener<br />

Organismen. Über die Regulierung der Freisetzung hinaus ist sogar eine Nachmarkt-Beobachtung<br />

vorgeschrieben. Ein Unterschied besteht allerdings insofern,<br />

als bei der Arzneimittelprüfung auf der Basis schon häufig aufgetretener Zwischenfälle<br />

vorab bekannte Kriterien existieren und nur Risiken für die betroffenen<br />

Patienten, nicht aber für die Umwelt in Rechnung gestellt werden. Außerdem<br />

interferieren die Sicherheitstests hier mit behandlungsethischen Prinzipien, so daß<br />

88 Simon/Vesting, Studie, o.J., S. 22, referieren eine entsprechende Behauptung in der Presse.<br />

89 Positionspapier des Verbands der Chemischen Industrie zur Gentherapie, abgedruckt in<br />

Schmitt et al., Stand, 1994, S. 76f.<br />

90 Vgl. Gugerell, Darf, 1994.<br />

301


die Prüfung der Sicherheit und Effizienz nicht ausschließlich nach wissenschaftlichen<br />

Kriterien erfolgen kann. 91<br />

Die Forschung zur Gentherapie geht bei ihren Vorsichtsmaßnahmen aber auch<br />

über das Arzneimittgesetz hinaus, insoweit sie auch hypothetischen Risikoerwägungen<br />

Rechnung trägt. Die Sequenz der Fälle ist bisher auch insofern<br />

dem Schritt-für-Schritt-Prinzip gefolgt ist, als anfangs gerade in Deutschland nur -<br />

den Risikoerwägungen zufolge - relativ harmlose Vektoren und diese nur bei<br />

lebensbedrohlichen Krankheiten eingesetzt wurden.<br />

Wenn man für diese Vorgehensweise nicht schieren Idealismus als Motivation<br />

unterstellen will, kommen verschiedene Beweggründe in Betracht:<br />

- Weil die Gentherapie ohnehin von der US-amerikanischen Entwicklung dominiert<br />

ist, sind wissenschaftlich nur solche Versuche naheliegend, die an die<br />

technische Entwicklung in den USA anschließen und zur Sicherheitsdiskussion<br />

in den USA anschlußfähig sind. Dort ist aber schon früh eine ungewißheitsbasierte<br />

Regulierung etabliert worden (s.o.).<br />

- Die Genforscher vermuteten relativ lange eine hohe Risikoaversion bei den<br />

Behörden und in der Öffentlichkeit auch gegenüber gentherapeutischen Versuchen.<br />

Sie sind sich möglicherweise nicht sicher, daß die gegenwärtige Ruhe<br />

von Dauer sein wird und wollen daher auch nicht durch besonders wagemutige<br />

Versuche averse Reaktionen provozieren.<br />

- Sie sind auf die interne Akzeptanz zunächst bei ihren Mitarbeitern und dann<br />

auch in der Fachöffentlichkeit angewiesen. Wie sich bei unseren Interviews<br />

gezeigt hat, ist hier mit einer latenten Risikoaversion zu rechnen, die der gegenwärtigen<br />

Euphorie in der Öffentlichkeit nicht folgt.<br />

Dies könnte erklären, warum die Forscher auch ohne gesetzlichen Zwang der<br />

Tendenz nach einer ungewißheitsbasierten Regulierung folgen.<br />

Ob sie dies dann aber auch auf Dauer tun werden, ist fraglich. Denn durch die<br />

Medien-Euphorie und reichlich fließende Forschungsgelder könnte es auch zu<br />

einer wildwüchsigen Entwicklung kommen, in der nicht mehr jeder gentherapeutische<br />

Versuch mit fachöffentlicher und öffentlicher Beobachtung rechnen<br />

muß. Gerade wenn dann trotz hochgeschaukelter Erwartungen die Erfolge ausbleiben,<br />

wird bei manchen die Versuchung groß sein, mit 'härteren' Vektoren und<br />

ohne ausreichende Voruntersuchungen herumzuexperimentieren:<br />

"Die Menschen sind unterschiedlich und manche wollen unbedingt - auf Teufelkomm-raus<br />

- Erfolg haben, um des Erfolgs wegen. ... Die Medien, die haben schon<br />

91 Int. Nr. 9, S. 38.<br />

302


eine gewisse Macht, das darf man nicht unterschätzen. ... Die Medien sind schon<br />

verführerisch." (Int. Nr. 5, S. 6)<br />

303


Kapitel 10: Politische und rechtspolitische Vorschläge<br />

Wenn wir nun zum Schlußteil dieses <strong>Buch</strong>es kommen, so stellt sich die Aufgabe,<br />

die Befunde zu einer einheitlichen, fachübergreifenden Perspektive zu verdichten.<br />

Es geht also darum, eine Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu geben, ob<br />

und wie Risikosteuerung oder (Risiko-)Selbststeuerung unter der Bedingung von<br />

'objektiver Ungewißheit' möglich ist und gegebenenfalls auch verbessert werden<br />

kann.<br />

Eine eindeutige Antwort würde zunächst allerdings auch einen eindeutigen Erfolgsmaßstab<br />

voraussetzen. In materieller Hinsicht würde man also erwarten, daß<br />

die befürchteten Schäden vermieden werden. In Feldern erfahrungsbasierter Umweltpolitik<br />

stellt man regelmäßig die Frage, ob durch einen bestimmten Regulierungsansatz<br />

die Reduktions- oder Erhaltungsziele erreicht werden. 1 Da es sich bei<br />

der Gentechnik aber um hypothetische Gefahren handelt, würde deren Ausbleiben<br />

nicht zwangsläufig den Erfolg bestätigen, denn sie wären auch ohne Regulierung<br />

vielleicht nicht eingetreten. Aber auch wenn sie - teilweise oder anders als befürchtet<br />

- eintreten, muß das nicht als Mißerfolg der Regulierung interpretiert<br />

werden, weil sie andernfalls möglicherweise noch gravierender ausgefallen wären.<br />

Ein materieller Maßstab - vergleichbar einem erfahrungsbasierten und allgemein<br />

konsensfähigen Reduktionsziel in der herkömmlichen Umweltpolitik - läßt<br />

sich also bisher nicht ausmachen.<br />

Insofern ist man also zwangsläufig auf prozedurale Maßstäbe verwiesen. Häufig<br />

wird hier der Konsens in der Gesellschaft als Zielgröße gewählt. Wenn man<br />

allerdings davon ausgeht, daß der Versuch einer ungewißheitsbasierten Regulierung<br />

einen historischen Kompromiß zwischen einfacher Durchsetzung und undifferenzierter<br />

Blockade darstellen könnte, wird man nicht erwarten, daß sich dieser<br />

Kompromiß vollkommen reibungslos einstellt. Auseinandersetzungen und Mißverständnisse,<br />

wie wir sie in vielfacher Hinsicht festgestellt haben, sind dann -<br />

wie bei anderen sozialen Innovationen - kaum zu vermeiden. Widerspruch und<br />

Dissens sind dann aus demokratietheoretischer Perspektive sogar wünschenswert,<br />

weil bisher niemand weiß, ob und wie sich dieses Unternehmen sowohl in kognitiver<br />

wie in sozialer Hinsicht verwirklichen läßt.<br />

Insofern kann auch die Regelakzeptanz und Regelbefolgung allenfalls als heuristischer<br />

Maßstab dienen. Wollte man sie zu einem unabhängigen Maßstab erheben,<br />

müßte man nämlich voraussetzen, daß die gegebenen Regeln schon problemangemessen<br />

sind, was bei einer ungewißheitsbasierten Regulierung schon aus<br />

1 Auch dann ist nicht immer eindeutig festzustellen, ob der Erfolg oder Mißerfolg auf die<br />

Regulierung oder auf andere Variablen - z.B. auf regulierungsunabhängige ökonomische<br />

Prozesse - zurückzuführen ist.<br />

304


systematischen Erwägungen kaum der Fall sein kann, weil man mit dem Problem<br />

noch keine ausreichenden Erfahrungen hat und diese - jedenfalls in einem katastrophalen<br />

Ausmaß - gar nicht machen möchte. Als heuristischer Maßstab ist Regelakzeptanz<br />

aber insofern tauglich, als sie auf Handlungsbereitschaften innerhalb<br />

der Wissenschaft hinweist und entsprechende Konvergenzpotentiale, d.h. Kompromiß-<br />

und Lernbereitschaft, im Hinblick auf eine ungewißheitsbasierte Regulierung<br />

anzeigt.<br />

Mögliche Konvergenzpotentiale - auch im Hinblick auf den Abbau administrativer<br />

und gesellschaftlicher Blockadehaltungen - lassen sich aber unserer Ansicht<br />

nach nur ausschöpfen, wenn die im Zuge der Untersuchung aufgezeigten<br />

Widersprüche einer sinnvollen Lösung zugeführt werden. Einige grundsätzliche<br />

Schritte in diese Richtung sollen in diesem Kapitel skizziert werden.<br />

Es geht uns dabei im Hinblick auf die bisherige politische Debatte weniger um<br />

eine Verschärfung oder um eine Liberalisierung des bestehenden Gentechnikrechts,<br />

sondern vor allem um eine sach- und sozialadäquate Umverlagerung,<br />

Ergänzung und Neuinterpretation vorhandener Instrumente. Denn wir glauben, im<br />

Laufe unserer Untersuchung Konstruktionsschwächen im Gentechnikrecht und<br />

seiner Implementierung identifiziert zu haben, die zu beheben im allseitigen Interesse<br />

läge, weil sie unseres Erachtens unabhängig vom jeweiligen politischen<br />

Standpunkt als suboptimale Lösungen anzusehen sind. Gleichgültig welche politische<br />

Gewichtsverteilung man also zwischen Sicherheitsinteressen und Wirtschaftsinteressen<br />

anstrebt, es gibt u.E. Lösungsprinzipien, die beiden Bestrebungen<br />

mehr entgegenkommen als das gegenwärtige Gentechnikrecht.<br />

Wir haben in unserem folgenden Plädoyer selbst eine politische Gewichtsverteilung<br />

vorgenommen, einerseits, weil es unredlich wäre, den eigenen politischen<br />

Standpunkt zu verschweigen, und andererseits, weil die Darstellung sonst<br />

zu abstrakt und vage ausgefallen wäre. Wir sind aber der Auffassung, daß unsere<br />

Vorschläge auch aus anderen politischen Perspektiven erwägenswert sind, weil<br />

man auch im Rahmen der hier vorgeschlagenen Neuinterpretation wiederum 'restriktiver'<br />

oder 'liberaler' verfahren kann, als wir es hier konkret vorsehen.<br />

10.1. Zusammenfassung relevanter Ergebnisse und allgemeine Schlußfolgerungen<br />

10.1.1. Regelakzeptanz und Regelbefolgung<br />

In deutlichem Unterschied zu dem häufig in der Öffentlichkeit besonders während<br />

der Novellierungsdebatte vermittelten Bild konnten wir in unserer Untersuchung<br />

eine allgemein recht weitgehende Akzeptanz des Gentechnikrechts bei den Wis-<br />

305


senschaftlern feststellen. 2 Diese bezieht sich insbesondere auf Regelungen, die<br />

bekannten Risiken vorbeugen sollen. Auch wird grundsätzlich anerkannt, daß mit<br />

der Gentechnik bisher noch unbekannte Risiken verbunden sein könnten. Allerdings<br />

werden diejenigen Regelungsaspekte, die sich auf bisher noch unbekannte<br />

Gefahren - besonders im Bereich des Geschlossenen Systems - beziehen, tendenziell<br />

als bürokratische Schikane wahrgenommen. Dies könnte auf die bisher mangelhafte<br />

Unterscheidung zwischen ungewißheitsbasierten und erfahrungsbasierten<br />

Regelungsaspekten zurückzuführen sein, die hier zu einer Reihe von Mißverständnissen<br />

führt (vgl. Kap. 7.6.2.):<br />

- Die Maßnahmen werden von den Behörden (und der Öffentlichkeit) so verstanden,<br />

als ob es sich um die Vorbeugung vor bekannten Gefahren handele.<br />

Diese Vorgehensweise muß zwangsläufig bei den betroffenen Genforschern<br />

auf Unverständnis stoßen.<br />

- Die Existenz noch unbekannter Risiken wird oft nur auf Nachfrage und teilweise<br />

gewissermaßen 'zähneknirschend' eingeräumt. Man kann also annehmen,<br />

daß diese Vorstellung im Laboralltag allenfalls partikular präsent ist.<br />

- Die Maßnahmen erscheinen - zumindest in ihrer gegenwärtigen Form und in<br />

der vorherrschenden Auslegung - als wenig geeignet, bisher noch unbekannte<br />

Risiken zu erkennen und ihnen vorzubeugen.<br />

- Es besteht ein Mißverhältnis zwischen der detaillierten und relativ strikt vollzogenen<br />

Regulierung im Gentechnikbereich und der relativ nachlässig gehandhabten<br />

Regulierung von bekannten Gefahren in anderen Bereichen, etwa der<br />

Chemikalienkontrolle und dem allgemeinen Seuchenrecht.<br />

Man könnte nun unterstellen, daß es sich nicht um kognitive Verständigungsprobleme<br />

und um lösbare Gestaltungs- und Auslegungsfragen handele, sondern<br />

daß hier unüberwindliche Gegensätze zwischen Akteursinteressen oder Teilsystemrationalitäten<br />

zugrundeliegen, 3 so daß die Akteure gegebenenfalls auch<br />

bewußt 'aneinander vorbeireden' würden. Dieser Einwand ist insoweit gerechtfertigt,<br />

als residuale Spannungen in vertikal geschichteten - also z.B. durch Klassengegensätze<br />

gekennzeichneten - und funktional differenzierten - also durch die<br />

Eigendynamik ihrer Teilsystemrationalitäten fragmentierten - Gesellschaften wohl<br />

immer fortbestehen werden. Aber weder theoretisch noch empirisch ist bisher<br />

ausgemacht, ob und inwieweit sich Wissenschaft, Recht und politische Öffentlichkeit<br />

gegen eine ungewißheitsbasierte Regulierung sperren müssen und sperren<br />

werden. Immerhin ist zu konstatieren, daß die explizit ungewißheitsbasierte Regulierung,<br />

also insbesondere das Step-by-step-Verfahren, bei der Freisetzung<br />

trotz ihrer Paradoxien in weiten Kreisen der Wissenschaft und Industrie akzep-<br />

2 Zu methodischen Überlegungen im Hinblick auf diese Diskrepanz vgl. oben, Kap. 7.1.<br />

3 Vgl. Gloede, TA-Datenbank-Nachrichten 1996; vgl. Hasse, Nicht-intendierte, 1997.<br />

306


tiert wird 4 und bei der Gentherapie sogar mehr oder weniger freiwillig befolgt<br />

wird (vgl. Kap. 8 und 9).<br />

Wie sieht es nun aus mit der Regelbefolgung? Hier ist zunächst zu unterscheiden<br />

zwischen der technischen und formalen Regelbefolgung, die von den<br />

Ordnungsbehörden relativ leicht überprüft werden kann, 5 und der eher im persönlichen<br />

Verhaltensbereich liegenden Regelbefolgung, die von Außenstehenden<br />

kaum zu kontrollieren ist. Zunächst ist hier zu konstatieren, daß die technische<br />

und formale Regelbefolgung insbesondere bei den Universitäten immer wieder zu<br />

Mängelrügen Anlaß gibt. Das hat aber offenbar wenig mit Bereitschaft oder Akzeptanzdefiziten<br />

seitens der Forscher zu tun, sondern ist vor allem auf mangelhafte<br />

Organisation und Finanzierung an den Universitäten zurückzuführen. Die<br />

Verstöße betreffen hier offenbar gleichermaßen ungewißheitsbasierte wie erfahrungsbasierte<br />

Regelungsaspekte und sind im übrigen auch in anderen Risikobereichen,<br />

wie z.B. der Chemikalienkontrolle und dem übrigen Seuchenrecht, verbreitet.<br />

In den äußerer Kontrolle entzogenen Verhaltensbereichen ist davon auszugehen<br />

- und in den Interviews wird das gelegentlich auch offen eingeräumt -, daß<br />

die rechtlichen Regeln nur insoweit befolgt werden, wie sie für sinnvoll erachtet<br />

werden (s.o.). Insbesondere beim Umgang im Geschlossenen System dürften also<br />

Verstöße gegen ungewißheitsbasierte Regelungsaspekte, die sich nicht mit den<br />

für das Gelingen der Experimente erforderlichen Regeln der Laborhygiene decken,<br />

recht häufig vorkommen. Andererseits ist aber zu konstatieren, daß teilweise<br />

auch weitergehende als die rechtlich vorgeschriebenen Regeln eingehalten werden,<br />

weil das im Hinblick auf z.T. näher spezifizierte Ungewißheiten für sinnvoll<br />

erachtet wird.<br />

10.1.2. Wissenschaft als Regulierungsfeld<br />

Grundsätzlich ist die Wissenschaft als Institution - als funktional differenziertes<br />

Subsystem - auf die Erkenntnis des Neuen ausgerichtet. Das Neue kann in gesellschaftlicher<br />

Hinsicht sowohl neue technische Nutzungsformen als auch neue Erkenntnisse<br />

über natürlich oder technisch induzierte Risiken implizieren. Aufgrund<br />

der überkommenen Wertpräferenzen ist die Wissenschaft aber bisher strukturell<br />

noch stärker auf die Wahrnehmung neuer Nutzungsformen und die umfassendere<br />

4 Die Kritik richtet sich vor allem auf die allein an der Gentechnik ansetzende 'Prozeßregulierung'.<br />

Aber auch die präferierte 'Produktregulierung' kann ein schrittweises Vorgehen<br />

implizieren, wie es im Arzneimittelrecht tatsächlich schon seit längerem - unabhängig von<br />

der Gentechnik - praktiziert wird.<br />

5 Z.B.: Ist die vorgeschriebene technische Ausstattung vorhanden, haben die Leitungspersonen<br />

die entsprechenden formalen Qualifikationen etc.?<br />

307


empirische Fundierung säkularer Weltbilder als auf die Wahrnehmung von nichtintendierten<br />

Nebenfolgen dieser Nutzungsformen ausgerichtet. 6<br />

Mit den veränderten Wertpräferenzen in den entwickelteren Industriegesellschaften<br />

und dem weltweit sich ausbildenden Bewußtsein über globale Gefährdungen<br />

hat die Wissenschaft in den letzten dreißig Jahren ihre Aufmerksamkeitsund<br />

Suchhorizonte zunehmend auch an technisch induzierten Risiken orientiert. 7<br />

In der im Kontext der Weltumweltkonferenz 1992 in Rio de Janeiro entwickelten<br />

'Agenda 21' wird eine noch stärkere Ausrichtung der Wissenschaft auf diesen<br />

neuen Aufmerksamkeitsfokus gefordert. 8<br />

Eine verstärkte Risikowahrnehmung kann sowohl innerhalb der einzelnen Forschungsprojekte<br />

entwickelt werden (integrierter Ansatz) als auch durch gegenseitige<br />

Beobachtung der unterschiedlichen Forschungsansätzen und<br />

(Sub-)Disziplinen untereinander entstehen (adversativer Ansatz). Beim integrierten<br />

Ansatz geht es um die Frage, inwieweit im normalen Prozeß der Genforschung<br />

unerwartete Ereignisse auftreten, die bei entsprechender Aufmerksamkeit<br />

seitens der Forscher auch als Anzeichen für mögliche Risiken gesehen<br />

und diskutiert werden könnten (vgl. z.B. Kap. 7.6.2., S. 216). Wenn Risiko- und<br />

Begleitforschung in unabhängiger Organisierung erfolgen, ist das Erkenntnisinteresse<br />

der jeweiligen Projekte dagegen speziell und ausschließlich auf Sicherheitsfragen<br />

ausgerichtet, die sich anhand der publizierten Forschungsliteratur oder<br />

von theoretischen Überlegungen aufwerfen lassen.<br />

Für die integrierte Herangehensweise spricht die größere Sachnähe und Detailkenntnis<br />

der an den jeweiligen Projekten Beteiligten; dagegen spricht in vielen<br />

Fällen der Aufwand umfassender Monitoringaufgaben, die relative Ferne der<br />

beteiligten Wissenschaftler von der eingehenderen Sicherheitsdiskussion verbunden<br />

mit einem anders gelagerten Erkenntnisinteresse der jeweiligen Projekte. 9 Für<br />

die adversative Herangehensweise spricht, daß die Thematisierung von Risikofragen<br />

andere kognitive und soziale Dispositionen erfordert - und einen entsprechenden<br />

Überblick über die einschlägige Diskussion zur biologischen Sicherheit -<br />

6 Vgl. z.B. Lenoir, Politik, 1992.<br />

7 Dies wird auch durch die 1995 erfolgte Vergabe der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung,<br />

des Nobelpreises, für die Aufklärung des Ozonschicht-Abbaus durch anthropogen<br />

erzeugte FCKW eindrucksvoll bestätigt (vgl. S. 176). Zur Verträglichkeit von Risikoaufklärung<br />

mit den Bedingungen des Subsystems 'Wissenschaft' vgl. auch<br />

Krohn/Küppers, Selbstorganisation, 1989, S. 119ff. Im Hinblick auf eine detaillierte Auseinandersetzung<br />

über die Interessenlage speziell in der Genforschung vgl. oben, Kap. 7.1.<br />

8 ICSU, Agenda, 1992.<br />

9 Bei der Freisetzung wurde zunächst der integrierte Ansatz gewählt: Im Zuge der ohnehin<br />

zu Entwicklungszwecken stattfindenden Feldversuche sollten auch Risikoparameter beobachtet<br />

werden. Allerdings kam man zu dem Schluß, daß die Anlage der Feldversuche<br />

nur schwer für beide Zwecke zugleich sinnvoll optimiert werden kann (vgl. Kap. 8.4.1.).<br />

308


als die in der Vielzahl der gentechnischen Projekte ursprünglich anvisierten Entwicklungen.<br />

Idealiter wären die Vorteile beider Herangehensweisen miteinander<br />

zu kombinieren, d.h. Detailnähe und induktive Impressionen mit Überblick und<br />

theoretischer Reflexion in Verbindung zu bringen (oder zu halten).<br />

Das bedeutet auf der Ebene der einzelnen Forschungsprojekte, daß diese so<br />

transparent wie möglich gehalten werden sollten, damit Wissenschaftler mit auf<br />

Risikowahrnehmung ausgerichteten Erkenntnisinteressen Einblick nehmen können.<br />

Das bedeutet auch, daß für die Forscher in den einzelnen Projekten Anreize<br />

bestehen sollten, unerwartete Vorkommnisse (fach-)öffentlich zu kommunizieren<br />

und gegebenenfalls ohne Karriereknick die ursprünglich technisch ausgerichtete<br />

Zielrichtung des Projekts zu ändern oder individuell aussteigen zu können<br />

('Whistle blowing') 10 .<br />

Auf der projektübergreifenden Ebene wäre dafür zu sorgen, daß insbesondere<br />

über die Forschungsförderung konkurrierende Paradigmen 11 und explizit auf Nebenfolgen<br />

ausgerichtete Forschungsansätze wie die Ökologie und Toxikologie<br />

stärker entwickelt und über interdisziplinäre Verzahnung direkter auf die Begleitung<br />

der Entwicklung von technischen Nutzungsoptionen ausgerichtet werden.<br />

Im Einzelfall kann es allerdings zu Interessenkonflikten in und zwischen<br />

Communities kommen, indem sich die Nutzungsinteressen und die aus Risikodefinitionen<br />

hergeleiteten Vermeidungsimperative gegenseitig blockieren (vgl.<br />

Kap. 7.1.). Da es hier nur sehr schwache selbstregulative Koordinationsmechanismen<br />

gibt, muß hier auch im öffentlichen Interesse über rechtliche Regulierung<br />

verstärkt nachgedacht werden.<br />

10.1.3. Selbstregulierung und Regulierung<br />

Selbststeuerung und rechtliche Regulierung müssen nicht als Gegensatz betrachtet<br />

werden, sondern können auch komplementär wirken. Dabei ist allerdings darauf<br />

zu achten, daß die rechtliche Regulierung nicht durch eine zu starke Reglementierung<br />

von Detailfragen die Eigeninitiative der beteiligten Forscher erstickt und<br />

durch überzogene Vereinheitlichung und Formalisierung kontextadäquate Lösungen<br />

verhindert, also zu suboptimalen Ergebnissen führt und die Regelungsakzeptanz<br />

bei den betroffenen Forschern vermindert. Tendenzen in diese Rich-<br />

10 Zur arbeitsrechtlichen Beurteilung von individuellen Vorbehalten der an Forschungs- und<br />

Entwicklungprojekten beteiligten Wissenschaftler vgl. Wendeling-Schroeder, Autonomie,<br />

1994.<br />

11 Die Förderung konkurrierender Paradigmen ist auch angezeigt, um einseitige Ausrichtungen<br />

des Weltbilds (z.B. genetischer Determinismus als Rechtfertigung für bestehende Ungleichheiten)<br />

zu vermeiden. Dieses Problem soll, da es nicht zur Risikofrage im engeren<br />

Sinne gehört, im folgenden nicht weiter verfolgt werden.<br />

309


tung haben sich im Zuge der Untersuchung durchaus gezeigt. 12 Sie sind aber<br />

unserer Auffassung nach vor allem auf normale Anlaufschwierigkeiten und eine<br />

besonders ausgeprägte sozialpsychologische Konfliktdynamik in der Frühphase<br />

der Implementierung und weniger auf die Anlage des Rechtsprogramms selbst<br />

zurückzuführen. 13<br />

Insbesondere im Hinblick auf die ungewißheitsbasierten Regelungsaspekte ist<br />

aber zu konstatieren, daß hier auch das Rechtsprogramm zumindest in seiner<br />

vorherrschenden Auslegung zu Paradoxien und kontra-intentionalen Effekten<br />

führt. So ist eine starke Fixierung auf den ordnungsrechtlich relativ leicht mit<br />

herkömmlichen Rechtsinstrumenten konditionierbaren Einschluß der transgenen<br />

Organismen (Containment/Confinement) zu beobachten, während die Programmierung<br />

von Erfahrungsakkumulation und -austausch in den Hintergrund tritt.<br />

Diese Vorgehensweise mag im Hinblick auf erfahrungsbasierte Regelungsintentionen<br />

teilweise angemessen sein, im Hinblick auf ungewißheitsbasierte Regelungsintentionen<br />

ist sie es kaum. Denn neues Risikowissen wird nur generiert und<br />

kommuniziert, wenn dafür Anreize geschaffen werden. Such- und Austauschprozesse<br />

lassen sich aber nicht im herkömmlichen Sinne 'erzwingen'.<br />

Besonders im Hinblick auf die ungewißheitsbasierten Regelungsintentionen<br />

sollte also verstärkt an den Selbstregulierungsimpulsen der Wissenschaft angesetzt<br />

werden. Daß diese durchaus vorhanden sind, zeigt neben theoretischen Ü-<br />

berlegungen (s.o.) insbesondere das Fallbeispiel über die Gentherapie (Kap. 9.4.).<br />

Der rechtliche Rahmen müßte hier, über das geltende Recht hinaus, vor allem für<br />

eine Verallgemeinerung und Verstetigung von Informationsgewinnung und<br />

-austausch sorgen.<br />

10.1.4. Grundlegende Anforderungen an ungewißheitsbasierte Regelungen<br />

Von den denkbaren Vorsichtsmaßnahmen zum Umgang mit Ungewißheit ist implizite<br />

oder extern organisierte Risikoforschung, die an spezifischen Verdachtsmomenten<br />

und Erkenntniszielen ansetzt, besser mit den Grundmotivationen<br />

der Wissenschaft - dem Erkenntnisfortschritt - vereinbar als eher unspezifische,<br />

flächendeckende bürokratische Maßnahmen wie Containmentanforderungen, die<br />

nichts zur Aufklärung gegebenenfalls vorhandener Gefahrenpotentiale beitragen<br />

können. Der Einschluß der transgenen Organismen kann zwar gegebenenfalls<br />

vorhandene Gefahren unterdrücken, diese bleiben dadurch aber auch unsichtbar.<br />

Zumindest dann, wenn ein transgenes Laborkonstrukt auch in Verkehr gebracht<br />

werden soll, ist das Labor-Containment und Freisetzungs-Confinement tenden-<br />

12 Vgl. oben, insb. Kap. 7.6.1. und 8.7.<br />

13 Vgl. oben, Kap. 7, insb. 7.6.3.<br />

310


ziell kontraproduktiv, weil es einer frühen Entdeckung gegebenenfalls vorhandener<br />

Gefahren entgegensteht.<br />

Gerade bei der Freisetzung hat sich gezeigt, daß die Fixierung auf den Einschluß<br />

der transgenen Organismen die Generierung von Risiko- bzw. Sicherheitswissen<br />

verhindert, das zur Beurteilung der nächsten Entwicklungsschritte<br />

erforderlich ist. 14 Aufgrund der Internationalisierung der Regelung im Bereich der<br />

EG und der OECD kann eine besonders restriktive nationale Handhabung den<br />

kontra-intentionalen Effekt zeitigen, daß die Produkte ohne die im Inland für<br />

erforderlich gehaltenen Sicherheitstests via Import auf den Markt gelangen. 15<br />

Anders als die auf bekannte Risiken abzielende Regulierung sollten ungewißheitsbasierte<br />

Regelungsansätze daher verstärkt die Risikoaufklärung unterstützen<br />

und auf aufwendigere allgemeine Vorsichtsmaßnahmen, die sich längerfristig<br />

ohnehin kaum durchhalten lassen, tendenziell verzichten. Daraus ergibt<br />

sich folgende Präferenzskala:<br />

1. Risikoforschung: Diese kann in integrierter oder adversativer Herangehensweise<br />

erfolgen (s.o.). Hier kommt es vor allem auf eine sinnvolle Forschungsförderung<br />

an. Bisher werden relativ wenig Finanzmittel eingesetzt und diese<br />

werden vom Forschungsministerium verteilt, das selbst vor allem als Promotor<br />

der Biotechnologie auftritt. 16 Im Sinne von 'checks and balances' müßten diese<br />

Mittel aber von einer oder mehreren eher kritischen Institutionen, wie z.B. dem<br />

Umweltbundesamt, vergeben werden. Außerdem sollte man die Risikoforschung,<br />

um ein frühzeitiges Einsetzen zu erleichtern, auch rechtlich gegenüber<br />

herkömmlicher, auf neue Nutzungsformen ausgerichteter Forschung<br />

privilegieren.<br />

2. Beobachtungspflichten (Monitoring): Diese können grundsätzlich dem Betreiber<br />

im Sinne der Selbstüberwachung sowohl beim Umgang im Geschlossenen<br />

System, bei Freisetzungsexperimenten und als Nachmarktbeobachtung auferlegt<br />

werden. Das setzt allerdings voraus, daß die Vollzugsbehörden - z.B. anhand<br />

von vorausgegangener Risikoforschung - selbst schon über genaueres<br />

Wissen verfügen, was sinnvollerweise beobachtet werden sollte. Wenn den<br />

Regulierungsinstitutionen selbst Steuerungsmöglichkeiten bei der Risikoforschung<br />

eingeräumt würden, wäre eine bessere Koordinierung mit den Beobachtungsauflagen<br />

möglich.<br />

3. Aus- und Fortbildung: Experimente, mit denen noch nicht sehr viel Erfahrung<br />

gesammelt wurde, sollten gut ausgebildeten und erfahrenen Forschern direkt<br />

vorbehalten sein. Denn nur mit Ausbildung und Erfahrung lassen sich die bei<br />

14 Vgl. oben, Kap. 8, insb. 8.4.1. und 8.8.1.<br />

15 Vgl. oben, insb. Kap. 8.1., 8.7.1., 8.8.2.<br />

16 Vgl. Fn. 80 in diesem Kapitel.<br />

311


Experimenten immer wieder auftretenden unerwartenden Ereignisse sinnvoll<br />

interpretieren, die aus Interaktionen des transgenen Erbmaterials mit den<br />

Wirtsorganismen sowie zahlreichen Umgebungsparametern resultieren und e-<br />

ventuell auch als Anzeichen für bisher noch unbekannte Gefährdungen gelesen<br />

werden können. 17<br />

4. Registrierpflichten: Diese dienen mittelbar der Risikoaufklärung. Sie haben die<br />

Aufgabe, das Forschungsfeld für alle Beteiligten - Wissenschaft, Verwaltung<br />

und Öffentlichkeit - transparent zu halten. Außerdem erleichtern sie im Schadensfalle<br />

die nachträgliche Aufklärung der Schadensentstehung und können<br />

dann gegebenenfalls auch bei der Schadenseindämmung hilfreich sein.<br />

5. Containment/Confinement: Grundlegende Einschlußmaßnahmen stellen eine<br />

Sicherheitsreserve dar. Sie können verhindern, daß überraschende Wirkungen<br />

sich sofort in der Umgebung des Versuchs entfalten. Sie sind aber auch für die<br />

Risikoaufklärung erforderlich, weil die o.g. Beobachtungs- und Registrierpflichten<br />

nur greifen können, wenn definierte, also durch das Containment/Confinement<br />

festgelegte Ausgangsbedingungen gegeben sind. Andernfalls<br />

könnte auch nicht mehr sinnvoll zwischen 'Umgang im Geschlossenen<br />

System', 'experimenteller Freisetzung' und 'Inverkehrbringen' unterschieden<br />

werden. Sie stellen außerdem keine Sonderbelastung dar, weil sie aus versuchstechnischen<br />

Erwägungen ohnehin, also auch unabhängig vom Gentechnikrecht,<br />

erforderlich sind. Kontrollierte Beobachtung erfordert eben immer eine<br />

Reduktion und gezielte Variation der Beobachtungsparameter - gleichgültig<br />

ob sie auf systematisch generierte technische Innovationen oder Risikoaufklärung<br />

abzielt.<br />

Die hier aufgezeigte Präferenzskala kehrt die herkömmliche Rangfolge der Instrumente,<br />

die bei der erfahrungsbasierten Vorsorge gilt, um. Empfohlen wird<br />

also eine Umschichtung der Maßnahmen, aber keine 'Deregulierung'. In Fällen,<br />

bei denen auch mit bekannten Risiken zu rechnen ist, müssen die aus den beiden<br />

Risikoaspekten resultierenden Vorsorgestrategien sinnvoll kombiniert werden. 18<br />

Anhand der 'umgekehrten' Präferenzskala, die für ungewißheitsbasierte Regelungsaspekte<br />

angemessen erscheint, wird aber einmal mehr deutlich, wie wichtig<br />

es ist, zwischen beiden Risikoaspekten analytisch klar zu trennen und sie nicht,<br />

wie bis dato meisthin üblich, in einem einfachen Kontinuum zwischen Gefahren<br />

und Restrisiken abzuschichten.<br />

17 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994, S. 437f.<br />

18 Physischer Einschluß und biologische Sicherheitsmaßnahmen müssen dann aufgrund der<br />

bekannten Risiken selbstverständlich gewährleistet sein, selbst wenn dadurch die Aufklärung<br />

von bisher noch unbekannten Risiken eventuell behindert wird.<br />

312


10.1.5. Implementierungsdefizite im Bereich erfahrungsbasierter Regulierung<br />

Der Umgang mit bekannten Risiken ist im Gentechnikrecht sehr sorgfältig und<br />

umfassend geregelt. Allerdings ist das Gentechnikrecht von seinen organisatorischen<br />

Erfordernissen her auf große Industriebetriebe zugeschnitten, während es<br />

mit anderen Organisationstypen der Forschung weniger kompatibel ist. Entsprechend<br />

sind im Rahmen unserer Erhebungen Implementierungsdefizite vor allem<br />

bei den Universitäten erkennbar geworden.<br />

Zum Teil sind dafür strukturelle Ursachen (z.B. Lehrbetrieb, hohe Fluktuation<br />

etc.) verantwortlich, die zu 'beheben' unangemessen erscheinen könnte - die Universität<br />

als 'high reliability organization' 19 wäre keine Universität mehr. Denn sehr<br />

rigide Maßnahmen zur Folgenvermeidung sind mit der notwendig offenen Organisationsform<br />

von Universitäten nur schwer in Übereinstimmung zu bringen.<br />

Wenn man hier nicht die adäquaten Organisationsvoraussetzungen schaffen will,<br />

könnte es angezeigt erscheinen, riskantere Forschungsunternehmen - im biologischen<br />

Bereich z.B. ab der Risikostufe 3 - nicht mehr an Universitäten durchzuführen<br />

und entsprechend dafür eingerichteten Forschungsorganisationen vorzubehalten.<br />

In jedem Fall müßte eine Darlegungspflicht bestehen, warum entsprechende<br />

Forschungs- und eventuell Lehrprojekte nur mit derart riskanten Organismen<br />

(respektive Stoffen) durchgeführt werden können.<br />

Behebbare Organisationsdefizite bestehen im wesentlichen darin, daß es Verantwortungslücken<br />

zwischen der zentralen Organisation der Betreiberpflichten<br />

und der dezentralen Organisation der Institute bzw. Lehrstühle gibt. Wenn man<br />

realistischerweise davon ausgeht, daß der Trend der allgemeinen Universitätsorganisation<br />

weiter in Richtung Dezentralisierung geht, erscheint eine Verlagerung<br />

der Betreiberverantwortlichkeit auf die Projektleiter angezeigt. 20 Die Universität<br />

als zentrale Organisation könnte dann die Aufgabe übernehmen, die Projektleiter<br />

zu beraten.<br />

Entsprechend wäre es dann auch sinnvoll, Drittmittelgeber dazu zu verpflichten,<br />

den Mittelnehmern die entsprechenden technischen, organisatorischen<br />

und personellen Sicherheitsvorkehrungen zur Verfügung zu stellen bzw. durch<br />

eine entsprechende Mittelvergabe zu ermöglichen.<br />

Inkonsistenzen zwischen der Regelungsdichte und dem Vollzug anderer für<br />

Forschung und Entwicklung relevanter Sicherheitsgesetze und dem Gentechnik-<br />

19 Zu 'high reliability organisations' vgl. Fn. 102 in Kap. 7.<br />

20 Das könnte z.B. bedeuten, daß man nicht wie gegenwärtig im GenTG die Regulierung auf<br />

die gentechnische Anlage, sondern auf die gentechnische Arbeit fokussiert (für die dann,<br />

ähnlich wie im Bundesseuchengesetz, selbstverständlich die entsprechenden Räumlichkeiten<br />

zur Verfügung stehen müßten). Die Haftung müßte entsprechend ebenfalls auf die<br />

Projektleiter übertragen werden.<br />

313


echt sind nicht nachvollziehbar. Die erkennbaren Risiken der Gentechnik sind<br />

nämlich aus den Erfahrungsbereichen dieser Gesetze hergeleitet. Mittelfristig<br />

erscheint eine Angleichung dieser Gesetze bzw. ihres Vollzugs auf das Niveau<br />

des Gentechnikrechts angezeigt.<br />

10.1.6. Wertentscheidung und Partizipation<br />

Gerade im Bereich ungewißheitsbasierter Regelungen sind viele Wertentscheidungen<br />

zu treffen, die vom Gesetzgeber, soweit er sich nicht selbst mit Detailentscheidungen<br />

ständig befassen will und kann, nur schwach programmiert werden<br />

können. Dies wird insbesondere beim Step-by-step-Verfahren der Freisetzungsregulierung<br />

deutlich. 21 Ein besonderes Problem besteht auch darin, daß<br />

normative und kognitive Entscheidungsfragen sich gegenseitig bedingen und daher<br />

prozedural kaum voneinander zu trennen sind. Dies zeigt sich insbesondere<br />

bei folgenden Fragen:<br />

- Was ist ein Schaden? Da im Gentechnikrecht nicht nur zivilrechtlich relevante<br />

Güter, sondern darüber hinaus auch "Tiere, Pflanzen sowie die sonstige Umwelt<br />

in ihrem Wirkungsgefüge" geschützt werden sollen, stellt sich regelmäßig<br />

die Frage, welche Einwirkungen auf die Natur als 'Schaden' zu betrachten sind.<br />

Allerdings sind die Effekte ökologischer Langzeitwirkungen kognitiv ungewiß<br />

und der immaterielle Wert von Naturgütern ist normativ umstritten. Hier besteht<br />

- außer in Extremfällen, etwa der Auslöschung ganzer Arten - weder in<br />

der Ökologie noch in der Öffentlichkeit ein kultureller Hintergrundkonsens, auf<br />

den sich administrative Entscheidungen berufen könnten. 22<br />

- Welche Parameter und Effekte sollen in Entscheidungen einbezogen werden?<br />

Da die Zahl möglicherweise einwirkender Parameter und Effekte gegen unendlich<br />

tendiert, muß hier eine Auswahl stattfinden. Diese Auswahl kann aber<br />

nicht auf einer festen Erfahrungsbasis getroffen werden. Vielmehr findet eine<br />

normative Abwägung zwischen Prüfaufwand und potentiell zu verhindernden<br />

Schäden statt.<br />

- Wann kann man von einer ungewißheitsbasierten zu einer ausschließlich erfahrungsbasierten<br />

Regelung übergehen? Während der Gesetzgeber die normative<br />

Entscheidung getroffen hat, überhaupt im Bereich der Gentechnik eine ungewißheitsbasierte<br />

Regelung zu etablieren, wird die schrittweise erfolgende Entlassung<br />

aus dem Beobachtungsregime - nicht nur für einzelne transgene Organismen,<br />

sondern auch für ganze Gruppen - auf administrativem Wege entschieden.<br />

Wann der Erfahrungshorizont als vorläufig abschließbar gelten kann, um<br />

21 Vgl. oben, Kap. 8, insb. 8.8.<br />

22 Vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 121ff., 147ff.<br />

314


diese Schritte zu rechtfertigen, ist ebenfalls nicht allein auf kognitiver Basis zu<br />

entscheiden, denn a posteriori wissen wir aus anderen Bereichen, daß es verborgene<br />

Langzeitrisiken geben kann, von denen die Wissenschaft ihrerzeit keine<br />

Vorstellung hatte. 23<br />

- Wie sind erkennbare Risiken und Entwicklungsziele gegeneinander abzuwägen?<br />

24 Auch hier ist es eine normative Frage, welche Zwecke im öffentlichen<br />

Interesse liegen und daher anerkennenswert sind. Wie kann man außerdem<br />

Zwecke und Risiken miteinander vergleichen? Da der potentielle Nutzen und<br />

die Risiken bei ökologisch relevanten Entscheidungen - anders als bei medizinischen<br />

Entscheidungen 25 - in der Regel auf unterschiedliche Medien und<br />

Nutzer fallen dürften, stellt sich hier insbesondere die Frage sozialer Gerechtigkeit.<br />

Da bei den bisherigen Freisetzungsentscheidungen Risiken von der Genehmigungsbehörde<br />

negiert wurden, mußte der entsprechende Gesetzespassus<br />

bisher allerdings noch nicht in Anspruch genommen werden. 26<br />

Darüber hinaus stellen sich aber auch Fragen, die vom Gentechnikrecht unserer<br />

Ansicht nach bisher auch materiell nicht sinnvoll geregelt werden:<br />

- Ist nur bei erkennbaren Risiken eine Nutzenabwägung vorzunehmen? Das<br />

deutsche Gentechnikrecht sieht die o.g. Nutzenabwägung nur für den Fall vor,<br />

daß "nach dem Stand der Wissenschaft" schädliche Einwirkungen zu erwarten<br />

sind. Da die verborgenen Risiken die erkennbaren Risiken in ihren Konsequenzen<br />

weit übersteigen können, sollte bei der Marktzulassung als der weitestgehenden<br />

Form von Freisetzung aber immer eine Nutzenabwägung vorgenommen<br />

werden.<br />

- Sind nur physische Schäden relevant? Die Skepsis und Ablehnung gegenüber<br />

der Gentechnik gründet sich nicht nur auf die Sorge um physische Schäden,<br />

sondern auch auf moralische, sozialökonomische und ästhetische Vorbehalte.<br />

In administrativen Entscheidungen können diese Aspekte jedenfalls nach dem<br />

deutschen Gentechnikgesetz nicht einbezogen werden. Man könnte aber die<br />

Risikodebatte in sachlichere Bahnen lenken, wenn anders motivierte Vor-<br />

23 Z.B. FCKW und Abbau des Ozonschilds, Verbrennung fossiler Energieträger und Klimaveränderungen.<br />

24 Vgl. § 16 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2. Darin heißt es: Eine Genehmigung ist zu erteilen, wenn<br />

"nach dem Stand der Wissenschaft im Verhältnis zum Zweck der Freisetzung [bzw. des<br />

Inverkehrbringens] unvertretbare schädliche Einwirkungen auf die in § 1 Nr. 1 bezeichneten<br />

Rechtsgüter nicht zu erwarten sind."<br />

25 Vgl. oben, Kap. 9.4.1.<br />

26 Vgl. Brief des Robert-Koch-Instituts vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.), S. 2.<br />

315


ehalte innerhalb oder außerhalb des Gentechnikgesetzes adäquat zum Ausdruck<br />

gebracht werden könnten. 27<br />

Aus den genannten Gründen müssen geeignete Institutionen etabliert werden, um<br />

die ständig zu treffenden Wertentscheidungen in demokratisch angemessener<br />

Form zu treffen. Dabei sind grundsätzlich drei Ebenen zu unterscheiden, auf denen<br />

Entscheidungsverläufe prozeduralisiert und mit partizipatorischen Elementen<br />

versehen werden können:<br />

- auf der Ebene der Gesetzgebung und der Gesetzesrevision (EG-Richtlinien,<br />

Novellierung des Gentechnikrechts und seiner Verordnungen),<br />

- auf der Ebene untergesetzlicher Auslegungsvorschriften (Empfehlungen der<br />

ZKBS, Beschlüsse der Bund-Länder-AG, Verwaltungsrichtlinien),<br />

- auf der Ebene des einzelnen Vorhabens, also insbesondere bei Genehmigungen<br />

für experimentelle Freisetzungen und Produktzulassungen.<br />

Darüber hinaus wäre es wünschenswert, wenn sich die Wissenschaften untereinander<br />

und zur Gesellschaft hin öffneten, um diese Wertfragen adäquat zu berücksichtigen.<br />

Dies wäre durch wissenschaftsorganisatorische Maßnahmen entsprechend<br />

zu fördern. Soweit eine Verständigung hier gelingt, kann die politische<br />

und rechtliche Ebene auch von Entscheidungsdruck entlastet werden.<br />

10.1.7. Zur mangelnden Systematik des Gentechnikrechts<br />

Im Zuge der politischen Entwicklung, die zum Erlaß des Gentechnikgesetzes<br />

geführt hat, waren zwei miteinander gekoppelte Prozesse zu beobachten: Die<br />

Einengung von allgemeineren - vor allem kulturellen - Vorbehalten gegen Eingriffe<br />

im Bereich des Lebendigen ausschließlich auf deren Gesundheits- und Umweltrisiken,<br />

sowie die Einengung von Vorbehalten gegen ein breiteres Spektrum<br />

neuer Biotechnologien ausschließlich auf die Gentechnik im engeren Sinne. 28<br />

27 In Norwegen und Österreich gibt es entsprechende Öffnungsklauseln im Gentechnikrecht,<br />

in den Niederlanden gibt es einen Bioethik-Rat beim Parlament (vgl. zu Österreich Waldhäusl,<br />

Soziale, 1994; Nentwich, Spielräume, 1993; Torgersen/Seifert, Sozialverträglichkeit,<br />

1996; vgl. zu Norwegen Nielsen, Biotechnologie, 1996; vgl. zu den Niederlanden<br />

Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995).<br />

28 Vgl. Gill, Gentechnik, 1991, S. 286ff. Bei der 'Gentechnik im engeren Sinne' handelt es<br />

sich um die 'in-vitro-Neukombination von DNA', wie sie in § 3 GenTG näher definiert ist.<br />

Ausgeschlossen werden dabei eine ganze Reihe von organ-, zell- und molekularbiologischen<br />

Techniken, die in kultureller Hinsicht mindestens ebenso neu und relevant sind, indem<br />

sie die ehemals als naturgegeben angesehenen Formen von Geburt, Tod und Gestalt<br />

des Lebendigen nun mehr oder weniger beliebiger gesellschaftlicher Verfügung zugänglich<br />

erscheinen lassen. Bei den nicht-gentechnischen Verfahren zu nennen sind in der Humanmedizin<br />

u.a. die Embryonenforschung, die in-vitro-Fertilisation (inklusive 'Leihmutter-<br />

316


Die politische Logik dieser Zuspitzungen und Ausblendungen ist folgende:<br />

Zum einen sind in einer Gesellschaft, die technische Innovation grundsätzlich<br />

begünstigt, nur Vorbehalte gegen Gesundheits- und Umweltrisiken rechtlich und<br />

politisch ohne größere Schwierigkeiten tragfähig zu machen. 29 Zum anderen waren<br />

regierungsamtliche Stellen darum bemüht, den Einflußbereich der Neuregulierung<br />

zu begrenzen und dabei die Assoziation der Gentechnik mit herkömmlichen<br />

'Seuchen' zu vermeiden. 30<br />

Ausgeklammert wurde dabei die Frage, inwieweit nicht auch andere Biotechniken,<br />

oder sogar Techniken im allgemeinen, mit Risiken und Ungewißheiten<br />

belastet sind, die einer ebenso sensiblen Regulierung bedürften, wie sie im Gentechnikrecht<br />

teilweise angestrebt oder von uns hier - über den Status quo hinausweisend<br />

- gefordert wird. Jüngstes Beispiel für eine offenbar biotechnisch - aber<br />

eben nicht gentechnisch - induzierte Gefährdung ist das Auftreten von BSE, also<br />

'Rinderwahn', und die mögliche Übertragbarkeit auf den Menschen.<br />

Begründet wurden die speziellen Regelungen der Gentechnik allerdings mit<br />

'besonderen' Risiken oder Ungewißheiten, um ihren Sonderstatus in der Regulierung<br />

zu rechtfertigen, sowie mit der Neuartigkeit des Regulierungsgegenstandes.<br />

Von der Mehrheit der Genforscher werden solche besonderen Risiken<br />

aber nicht bestätigt. 31 Wie im Laufe unserer Untersuchung auch deutlich wurde,<br />

wird von den betroffenen Genforschern die nachlässige Regulierung anderer Gefährdungsbereiche<br />

immer wieder ins Feld geführt, um die ihrer Ansicht nach ü-<br />

berzogenen Anforderungen des Gentechnikrechts zu kritisieren. Die politisch<br />

entstandene Konzentration des Risikoverdachts allein auf die Gentechnik muß<br />

zwangsläufig hier zu einem Akzeptanzdefizit gegenüber dem Gentechnikrecht<br />

führen, weil sie naturwissenschaftlich allenfalls schwach zu begründen ist.<br />

schaft'), die Chirurgie am lebenden Föten, die Humangenetik (teilweise auch Gentechnik),<br />

die Organ- und Gewebetransplantation (u.a. auch Übertragung von embryonalem Gehirngewebe<br />

auf Erwachsene), die Xenotransplantation (Übertragung von Organen von Tieren<br />

auf Menschen), die Geschlechtsumwandlung bei Transsexuellen. In der Tiermedizin wären<br />

außerdem die Herstellung von Interspezies-Hybriden ('Schiege') und die intentionale Herstellung<br />

von Mehrlingen zu erwähnen. Kulturelle Vorbehalte gegen die Manipulation von<br />

niederen Tieren, Pflanzen und Einzellern scheinen dagegen kaum zu bestehen, weil zumindest<br />

in modernen Gesellschaften auf diese Organismen keine Mitgefühle projiziert werden.<br />

Zu den mit der Biotechnologie im weiteren Sinne verbundenen physischen Risiken und<br />

Ungewißheiten sei auf Kapitel 2.2. verwiesen.<br />

29 Vgl. Daele, PVS 1993.<br />

30 Auf EG-Ebene war dafür das Machtspiel zwischen den Ressorts der EG-Kommission<br />

verantwortlich (vgl. S. 63). Und in Deutschland war es das damalige Bundeskabinett, das<br />

die Biotechnologie aus Akzeptanzgründen nicht mit AIDS oder anderen biologischen Plagen<br />

assoziiert wissen wollte (vgl. S. 62f.).<br />

31 Vgl. oben, Kap. 2.3.<br />

317


Dabei ist allerdings auch festzustellen, daß selbst zwischen den einzelnen Anwendungsfeldern<br />

der Gentechnik - insbesondere zwischen der Freisetzung und<br />

der Gentherapie - inhaltlich nur schwer zu begründende Widersprüche bei den<br />

dort jeweils geltenden Regulierungsstandards auftreten. Wir haben dies auf die<br />

unterschiedlichen Risikokonzeptionen der in diesen Feldern kompetenten biologischen<br />

bzw. medizinischen Subdisziplinen und die unterschiedlichen Wahrnehmungsformen<br />

in der Öffentlichkeit zurückgeführt. 32 Dennoch wären auch hier<br />

systematischere, interdisziplinär durchdiskutierte Regulierungsprinzipien wünschenswert.<br />

In der Regel werden in der Gentechnikdebatte die Argumente des Vergleichs<br />

zwischen Risikobereichen ins Feld geführt, um für eine Rücknahme der gentechnikspezifischen<br />

Regulierungsanforderungen zu plädieren. Derselben Begründungslogik<br />

folgend kann man allerdings auch für eine Ausweitung des in der<br />

Gentechnik geltenden oder sinnvoll erscheinenden Regulierungsstandards auf<br />

andere Bereiche eintreten. Viele Probleme, die sich gegenwärtig im Streit um<br />

BSE europapolitisch ergeben, wären heute vielleicht schon lösbar oder zumindest<br />

informierter zu verhandeln, wenn man frühzeitig, also spätestens Ende der 80er<br />

Jahre, die Risikoforschung stärker angekurbelt hätte, anstatt das Problem 'auf die<br />

lange Bank zu schieben'. 33<br />

Mit einer solchen Vereinheitlichung der Regulierung im Hinblick auf andere<br />

Techniken wäre auch die im internationalen Raum heftig geführte Debatte um<br />

Prozeß- oder Produktregulierung 34 hinfällig, weil dann nicht nur gentechnisch<br />

erzeugte, sondern je nach Bereich tendenziell auch alle anderen Produkte einer<br />

ungewißheitsbasierten Regulierung zu unterziehen wären. 35 Eine Einbeziehung<br />

der Gentechnik ins Bundesseuchengesetz und dessen Umbennung in "Gesetz zur<br />

Regelung der biologischen Sicherheit", wie seinerzeit von der Enquête-Kommission<br />

des Deutschen Bundestages vorgeschlagen, 36 würde allerdings zu kurz<br />

greifen. Denn viele Bereiche, die von der Gentechnik berührt werden, sind nicht<br />

32 Vgl. oben, Kap. 9.4.2.<br />

33 Vgl. oben, Kap. 10.1.4.<br />

34 Vgl. oben, Kap. 3.2.2.ff.<br />

35 Z.B. gilt in Kanada eine verschärfte Zulassung nicht nur für transgene, sondern auch für<br />

alle anderen 'neuartigen' Pflanzen (vgl. Kap. 2, Fn. 25). Die Freisetzungs-Richtlinie der EG<br />

hält eine solche Entwicklung explizit offen, indem sie statuiert, daß alle transgenen Produkte<br />

von der Prozeßregulierung (durch die Freisetzungs-Richtlinie) ausgenommen werden<br />

können, wenn bei der Produktzulassung eine den Standards der Freisetzungs-Richtlinie<br />

vergleichbare Umweltverträglichkeitsprüfung erfolgt (90/220/EWG, Art. 10, Abs. 2). Eine<br />

ungewißheitsbasierte Regulierung (allerdings nur im Hinblick auf humanmedizinische Risiken)<br />

gibt es außerdem schon seit längerem im Arzneimittelbereich.<br />

36 Vgl. oben, Kap. 3.2.1.<br />

318


im Bundesseuchengesetz, sondern in einer Vielzahl weiterer Gesetze geregelt. 37<br />

Eine systematische Neuregulierung erforderte daher die Erarbeitung eines umfassenden<br />

besonderen Gesetzes.<br />

Freilich würde sich auch und gerade bei einer Vereinheitlichung der Regulierung<br />

die Frage stellen, wo die Schnitte zwischen den Bereichen mit höheren oder<br />

niedrigeren Regulierungsstandards, zwischen ungewißheitsbasierter oder bloß<br />

erfahrungsbasierter Regulierung anzusetzen wären. Denn selbstverständlich wäre<br />

es unangemessen und würde die Regulierungskapazitäten selbst von wohlorganisierten<br />

Gesellschaften übersteigen, wollte man alle menschlichen Handlungen<br />

einem strengen Beobachtungsregime unterstellen.<br />

Wir haben daher schon eingangs 38 vom jeweiligen Stand der naturwissenschaftlichen<br />

Debatte über Schadenspotentiale weitgehend unabhängige Prinzipien<br />

formuliert, die eine erweiterte Verantwortungs- und Rechtfertigungspflicht für<br />

bestimmte Handlungsbereiche begründen. Die wichtigsten seien hier stichwortartig<br />

zusammengefaßt:<br />

- Handlungsabsicht, Reflexions- und Präventionskapazität der Akteure,<br />

- Vorhandensein von brauchbaren, besser erprobten Alternativen,<br />

- Neuartigkeit der Technologien bzw. wissenschaftlichen Methoden.<br />

Modernisierungsprozesse - und dazu gehören auch höhere Sicherheitsanforderungen<br />

- wurden bisher immer erst insular durchgesetzt und erst dann allmählich<br />

ausgeweitet. 39 Historische Brüche und Inkonsistenzen - eben auch zwischen herkömmlichen<br />

und avancierten Sicherheitsanforderungen - gehören daher wohl<br />

zwangsläufig zu einer modernen, d.h. sich transformierenden Gesellschaft.<br />

10.1.8. Ungewißheitsbasierte Regelungen als Standortfaktor<br />

Im Lichte der seit dem Beginn der 90er Jahre verstärkt geführten Standortdebatte<br />

werden schon erfahrungsbasierte Umweltschutzregelungen als Kostenfaktor und<br />

Flexibilitätshindernis kritisiert. Ungewißheitsbasierte Regelungen scheinen erst<br />

recht als überflüssiger Ballast wahrgenommen zu werden, 40 zumal die Entwicklung<br />

der Gen- und Biotechnologie als eine der wichtigsten Zukunftstechnologien<br />

37 Zu denken ist z.B. an die Tierseuchenerreger-Verordnung, die unüberschaubare Vielfalt<br />

einzelner Verordnungen zur Abwehr von Pflanzenkrankheiten, an diverse Gesetze zur Zulassung<br />

landwirtschaftlich und biotechnologisch hergestellter Produkte, an das Bundesimmissionsschutzgesetz,<br />

soweit es biotechnische Produktionsanlagen betrifft, etc.<br />

38 Vgl. oben, Kap. 2.1. und 2.4.<br />

39 Im deutschen Arzneimittelrecht waren ältere, schon seit längerem auf dem Markt befindliche<br />

Pharmaka zunächst ebenfalls von den verschärften Zulassungsanforderungen des<br />

1976 erlassenen Arzneimittelgesetzes ausgenommen.<br />

40 Vgl. oben, Kap. 7; vgl. Gottweis, Governing, 1995.<br />

319


für den Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen in den etablierten Industrieländern<br />

gilt. 41<br />

Wenn man jedoch in Rechnung stellt, daß ungewißheitsbasierte Regelungen<br />

zur Früherkennung von möglichen Folgeschäden und von Akzeptanzdefiziten<br />

beitragen können, wird sichtbar, daß sie nicht nur als Kostenfaktor anzusehen<br />

sind. Sie können auch zu einer Rationalisierung des FuE-Managements und zur<br />

Vermeidung von Verlusten führen, die sich bei erst später sichtbar werdenden<br />

Schäden oder Widerständen seitens der Verbraucher ergeben. 42<br />

Zwar ist eine rechnerische Abschätzung eventueller Kostenvorteile insofern<br />

nicht möglich, als eben nicht bekannt ist, ob und in welchem Maße es zu Folgeschäden<br />

kommen kann und ob sie durch die jeweilige ungewißheitsbasierte Regelungsform<br />

vermieden würden. Wenn man allerdings berücksichtigt, daß die heutigen<br />

Hochlohnländer wohl kaum durch einfache Kostenreduzierung ('Sozial- und<br />

Ökodumping') konkurrenzfähig bleiben können, sondern nur durch spezifische<br />

Innovationsvorsprünge und Qualitätsvorteile, 43 so wird man den Blick nicht nur<br />

auf konventionelle technologische Effizienzstrategien ausrichten können. Denn<br />

auch die heutigen Schwellenländer verfügen über ein beträchtliches biotechnologisches<br />

Know-how und werden viele Produkte bald in irgendeiner Form kopieren<br />

und entsprechend kostengünstiger produzieren können.<br />

Überlegene Qualität zeigt sich dann auch oder sogar besonders in einem besseren<br />

Sicherheitsimage. 44 Die frühe Einbeziehung der Verbraucher ermöglicht<br />

zudem den Aufbau von Vertrauensbeziehungen, die auch dann von Vorteil sind,<br />

wenn trotz aufwendiger Prüfung unvorhergesehene Produktrisiken auftreten soll-<br />

41 Z.B. Stehn, Die Weltwirtschaft 1995; eher kritisch dazu Dolata, Politische, 1996.<br />

42 Vgl. oben, insb. Kap. 8.3; vgl. auch Kap. 7, S. 216. Zu einer systematischen Diskussion<br />

der Vor- und Nachteile der zeitlichen Vorverlagerung der Folgenerkenntnis vgl. Wiesenthal,<br />

Leviathan 1994; Gill, Soziale Welt 1994.<br />

43 "Nur durch die Anpassung der Produktpalette und der Produktionstechnologien in Richtung<br />

der stärkeren 'Wissensintensität' kann eine weit entwickelte Volkswirtschaft wie die<br />

deutsche längerfristig einen Platz in der internationalen Arbeitsteilung erhalten, der ein relativ<br />

hohes Pro-Kopf-Einkommen sichert." (Paqué, Aus Politik und Zeitgeschichte 1995,<br />

S. 8).<br />

44 Dies war auch einer der Gründe, der zur Verabschiedung des deutschen Arzneimittelgesetzes<br />

geführt hatte (Zacharias, Arzneimittelzulassung, 1986). Das AMG enthält, wie<br />

mehrfach angemerkt, bereits einige der ungewißheitsbasierten Regelungen, wie sie auch im<br />

europäischen Gentechnikrecht zu finden sind. Denn soweit sich Mißtrauen gegen ein Produkt<br />

oder eine Technologie kulturell 'exportieren', d.h. über größere Wirtschaftsräume verallgemeinern<br />

läßt, verschafft es auch ökonomische Exportvorteile für die Hersteller, die<br />

sich freiwillig oder gezwungenermaßen schon früh mit Abhilfemaßnahmen beschäftigt haben.<br />

320


ten, weil sich dann die ökonomisch häufig viel gravierenderen Imageschäden<br />

leichter in Grenzen halten lassen. 45<br />

Insofern unterscheidet sich die Einbeziehung von Sicherheitsaspekten auch<br />

nicht von der frühzeitigen Berücksichtigung anderer Kundenwünsche im Innovationsprozeß.<br />

Allgemein wird hier in der Innovationsdiskussion die Ansicht<br />

vertreten, daß Konkurrenzvorteile oder Nischen für die Hochlohnländer nur noch<br />

durch eine Abkehr von den Economies of scale- 46 und Supply push- 47 Strategien<br />

und eine Hinwendung zu einer möglichst flexiblen und kundengerechten Diversifizierung<br />

zu sichern sind. 48 Gerade das Step-by-step-Verfahren könnte die Möglichkeit<br />

bieten, sowohl die sorgfältige Prüfung der Produkte öffentlichkeitswirksam<br />

vorzuführen als auch in der frühzeitigen Auseinandersetzung mit Reaktionen<br />

aus der Öffentlichkeit die Entwicklungs- und Vermarktungsstrategien entsprechend<br />

anzupassen. Jedenfalls scheinen sich einige Unternehmen dieser Sichtweise<br />

des Verfahrens anzunähern. 49<br />

Die Mehrheit, darunter vor allem die großen Chemieunternehmen, scheint dagegen<br />

in dem Verfahren nichts anderes als einen 'Stigmatisierungsprozeß' zu erkennen.<br />

Es wird also unterstellt, daß das öffentliche Mißtrauen gegenüber gentechnisch<br />

modifizierten Produkten erst durch die Gesetzgebung evoziert würde.<br />

Diese wenig konstruktive Sichtweise mag zum Teil auf Unflexibilität und Innovationsschwäche<br />

in den Unternehmen zurückzuführen sein. Andererseits muß man<br />

aber auch konstatieren, daß ungewißheitsbasierte Regelungen jeweils unterschiedliche<br />

Wirkungen entfalten, je nachdem, ob sie auf Prozeß- oder Produktinnovationen<br />

angewandt werden, und ob sie auf die Sicherheit des Produkts oder<br />

des Produktionsprozesses abzielen.<br />

10.1.8.1. Prozeßinnovationen<br />

Bisher besteht das Problem für die Hersteller im Bereich der 'grünen' Gentechnologie<br />

vor allem darin, daß sie lediglich Prozeßinnovationen anzubieten haben,<br />

aber keine neuen Produkte, die für den Verbraucher einen Vorteil darstellen würden.<br />

Zwar mögen herbizidresistente Pflanzen für die Bauern die Unkrautkontrolle<br />

erleichtern, für den Endverbraucher macht sich diese betriebswirtschaftliche Rationalisierungsmaßnahme<br />

aber allenfalls in Form (minimal) sinkender Lebensmittelpreise<br />

bemerkbar. 50 Eine sorgfältige Prüfung transgener Pflanzen kann hier<br />

nur einen Konkurrenzvorteil zu ungeprüften transgenen Pflanzen begründen, aber<br />

45 Darbourne, Scrip Magazine 1993.<br />

46 Bedeutet: hohe Stückzahlen, niedrige Stückkosten.<br />

47 Bedeutet: Angebot schafft Nachfrage.<br />

48 Vgl. Rammert, Weg, 1996; vgl. Pries, Betrieblicher, 1991.<br />

49 Vgl. oben, Kap. 8.3.<br />

50 Daele et al., Ökonomische, 1994, S. 91ff.<br />

321


eben nicht gegenüber herkömmlichem Pflanzen, die zunächst das wichtigste Konkurrenzprodukt<br />

sind. Betriebswirtschaftlich ist es daher auch nachvollziehbar,<br />

daß sich die Hersteller hier gegen eine Kennzeichnung wehren, weil sie erhebliche<br />

Kosten verursacht, aber für den Verbraucher keine Produktinnovation, also<br />

keine Vorteile des Produktes signalisieren kann.<br />

Zumindest in ihrer bisherigen Form wirkt sich die Regelung also hemmend auf<br />

gentechnische Prozeßinnovationen aus. Allerdings ist zu fragen, ob diese Prozeßinnovationen<br />

ökonomisch überhaupt wünschenswert sind, weil sie aufgrund<br />

ihres Rationalisierungseffektes - gesamtwirtschaftlich gesehen - Arbeitsplätze<br />

vernichten 51 und die meisten Verbraucher in den Industrieländern nicht billigere,<br />

sondern qualitativ wertvollere Nahrungsmittel wünschen.<br />

10.1.8.2. Produktinnovationen<br />

Anders verhält es sich z.B. im Arzneimittelbereich, wo mit Hilfe der Gentechnik<br />

bestimmte Präparate erstmals überhaupt (z.B. Interferone) oder nach vorherrschender<br />

Ansicht sicherer als mit herkömmlichen Methoden (z.B. Faktor VIII<br />

für Bluter) hergestellt werden können. 52 Die verbesserte Produktsicherheit stellt<br />

eine Produktinnovation dar: Die Produkte werden gekauft, weil es sie vorher<br />

noch gar nicht gab oder weil sie besser erscheinen als herkömmliche Produkte.<br />

Die Gentechnik markiert hier also per se schon einen Konkurrenzvorteil, der<br />

zugleich auch höhere Verkaufspreise rechtfertigt. Auch die Kosten eines aufwendigeren<br />

Prüfverfahrens lassen sich hier - mangels stärkerer Konkurrenz durch<br />

herkömmliche Produkte - auf die Preise umlegen. Entsprechend gab es auch seitens<br />

der Industrie keine Widerstände gegen die Pflicht zur Sonderzulassung und<br />

Kennzeichnung für gentechnisch hergestellte Arzneimittel, die 1989 durch eine<br />

entsprechende Änderung des Arzneimittelgesetzes eingeführt wurde.<br />

51 Vgl. Dolata, WSI-Mitteilungen 1993. Dieses Argument gilt selbstverständlich nicht für alle<br />

nationalökonomischen und betriebswirtschaftlichen Interessenlagen, in denen sich auch situative<br />

Zuwächse an Arbeitsplätzen ergeben können. In zwei jüngeren Untersuchungen der<br />

Basler Prognos AG wird deutlich auf die Substituierungs- und Rationalisierungseffekte<br />

hingewiesen, die den immer wieder vorgebrachten Versprechungen über den Zuwachs von<br />

Arbeitsplätzen den Boden entziehen (vgl. Dolata, GID 1997, S. 16).<br />

52 Selbstverständlich sind auch im Arzneimittelbereich Prozeßinnovationen denkbar. Z.B.<br />

wird von Kritikern argumentiert, daß gentechnisch erzeugtes Insulin als Produkt keine<br />

Vorteile gegenüber herkömmlich gewonnenem Insulin besitze und auf diesem Wege allenfalls<br />

kostengünstiger hergestellt werden könne. Tatsächlich wird das gentechnisch hergestellte<br />

Insulin aber von den Firmen mit dem Argument verbesserter Produktsicherheit<br />

beworben und zu höheren Preisen angeboten als herkömmlich hergestelltes Insulin.<br />

322


10.1.8.3. Prozeß- versus Produktregulierung<br />

Regelungen zur Sicherheit der Arbeiter und Anwohner von Forschungs- und Produktionsanlagen<br />

erhöhen tatsächlich die Kosten am Standort, ohne einen Konkurrenzvorteil<br />

via Produktqualität am Weltmarkt markieren zu können. Demgegenüber<br />

stellen nationale oder EG-weite Regelungen zur Produktsicherheit in erster<br />

Linie Markteintrittsbarrieren dar, die zwischen Etablierten und Newcomern und<br />

bei den Newcomern zwischen kapitalstarken und kapitalschwachen Unternehmen<br />

diskriminieren. Sie können darüber hinaus auch protektive Wirkungen für den<br />

Standort entfalten, weil ortsansässige Firmen im allgemeinen über Erfahrungen<br />

und bessere Verbindungen mit den inländischen Zulassungsbehörden verfügen. 53<br />

Die US-amerikanische Rechtssituation, in der - grosso modo - das Containment<br />

von Forschungs- und Produktionsanlagen bzw. das Confinement bei Feldversuchen<br />

weniger streng reguliert sind als die Produktzulassung und die allgemein<br />

geltende Produkthaftung, 54 ist also in nationalökonomischer Hinsicht weitaus<br />

sinnvoller als das Gentechnikrecht in Deutschland, das sich - genau umgekehrt<br />

- stark auf die Anlagensicherheit und das Confinement bei experimentellen<br />

Freisetzungen konzentriert 55 und bei der Produktzulassung kaum nachvollziehbare<br />

Erleichterungen 56 gewährt.<br />

Es läßt sich also feststellen, daß selbst die nationalökonomische Standortdebatte<br />

- wenn sie denn etwas differenzierter und informierter geführt würde -<br />

nicht zu einer pauschalen Ablehnung von ungewißheitsbasierten Regelungen<br />

führen müßte, 57 sondern vor allem zu einer Verschiebung der Gewichte vom<br />

Anlagen- zum Produktbezug und genereller vom Containment zum Erkenntnisgewinn.<br />

Diese Verschiebung wäre allerdings, wie bereits dargelegt, auch aus<br />

ökologischen Motiven angezeigt.<br />

53 Dies ist neben dem Dollarkurs und dem attraktiven Angebot von Know-how auch einer<br />

der Gründe, warum deutsche Arzneimittelunternehmen in den USA Biotechnologiefirmen<br />

erwerben: Die dortigen Arzneimittelzulassungprozeduren gelten als besonders schwierig.<br />

54 Hohmeyer et al., Internationale, 1994. In diesem Zusammenhang ist auch interessant, daß<br />

biotechnologisch hergestellte Arzneimittel in der EG und insbesondere in der Bundesrepublik<br />

weitaus schneller eine Marktzulassung erhalten als in den USA (Bienz-Tadmor,<br />

Bio/Technology 1993).<br />

55 Das gilt nicht nur für das Gentechnikrecht, sondern generell für das Umweltrecht, das<br />

allerdings auch mit der Tatsache konfrontiert ist, daß Deutschland sehr viel dichter besiedelt<br />

ist als die USA (vgl. Weidner, 25 Years, 1995).<br />

56 Vgl. oben, Kap. 8.5.2.<br />

57 Daß die Gentechnikregulierung zu einer Diskriminierung von Prozeßinnovationen führt,<br />

wird von uns nicht bestritten. Diese stellen aber, unter den gegenwärtigen Bedingungen<br />

und weltwirtschaftlich gesehen, keinen Beitrag zum Wirtschaftswachstum dar (s.o.).<br />

323


10.2. Konsequenzen für eine verbesserte Risikosteuerung im Forschungsbereich<br />

Aus diesen allgemeinen Befunden ergeben sich Folgerungen für eine Verschiebung<br />

der Schwerpunkte im Bereich der ungewißheitsbasierten Risikosteuerung.<br />

Diese Schwerpunktverschiebung bezieht sich auf zwei wesentliche Aspekte. Zum<br />

einen ist bei der Regulierung der Bereich der Risikokommunikation und Risikoforschung<br />

stärker zu berücksichtigen, zum andern sollte die Regulierung stärker<br />

an den Produkten anknüpfen, als dies bisher geschah. 58<br />

Diese Neugewichtung sollte auch in den gesetzlichen Regelungen ihren Niederschlag<br />

finden. Die folgenden Überlegungen sollen dies an einigen, uns wesentlich<br />

erscheinenden Punkten beispielhaft verdeutlichen.<br />

10.2.1. Ausklammerung der Sicherheitsstufe 1 aus dem Gentechnikgesetz?<br />

Wenn das Gentechnikgesetz als rein erfahrungsbasiertes Gesetz intendiert gewesen<br />

wäre, dann hätte der Gesetzgeber Experimente und Produktionsanlagen der<br />

Sicherheitsstufe 1 nie einbeziehen dürfen, da im Gesetz explizit festgestellt wird,<br />

daß hier "nach dem Stand der Wissenschaft nicht von einem Risiko für die<br />

menschliche Gesundheit und die Umwelt auszugehen ist". 59<br />

Eine schlüssige Antwort auf die bisweilen aufgeworfene Frage der Legitimität<br />

der Einbeziehung von Arbeiten der Sicherheitsstufe S 1 ins Gentechnikgesetz<br />

ergibt sich daraus, daß der Gesetzgeber offenbar nicht nur eine erfahrungsbasierte,<br />

sondern auch eine ungewißheitsbasierte Vorsorge für notwendig hielt. 60<br />

Wenn man eine umfassende Beobachtung der mit der Gentechnik verbundenen<br />

Ungewißheit anstrebt, dann kann man S 1 nicht aus dem Geltungsbereich des<br />

Gesetzes ausklammern. 61 Dies gilt dann konsequenterweise gerade auch für Organismen,<br />

die nach bisherigem Erkenntnisstand 'kein Risiko' aufweisen, aber bei<br />

denen auch nicht ausgeschlossen werden kann, daß unvorhergesehene Entwicklungen<br />

oder Wechselwirkungen eintreten. 62<br />

Die Sicherheitsstufe S 1 stellt außerdem einen wichtigen rechtstechnischen<br />

Anknüpfungspunkt dar, weil ohne eine Mindestform des Containments Registrier-<br />

58 Vgl. oben, insb. Kap. 10.1.4.<br />

59 GenTG § 7, Abs. 1, Nr. 1.<br />

60 So etwa Vitzthum, ZG 1993. In einem Memorandum der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

wird sogar gefordert, "die Sicherheitsstufen 1 und 2 aus dem Gentechnikgesetz auszuklammern".<br />

(DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 29)<br />

61 Vgl. oben, Kap. 2.4.<br />

62 Eine andere Frage ist, ob die konkrete Einstufung nach der Gentechniksicherheitsverordnung<br />

in allen Fällen die Stufe S 1 rechtfertigt.<br />

324


und Beobachtungspflichten gar nicht denkbar wären. 63 Außerdem könnten - bei<br />

einer vollständigen Ausklammerung - transgene Organismen dieser Sicherheitsstufe<br />

ohne weitere Prüfung experimentell freigesetzt und eventuell sogar vermarktet<br />

werden, was aber derzeit offenbar selbst die radikalsten Verfechter einer Liberalisierung<br />

nicht wünschen. Daher kommt - im Sinne einer ungewißheitsbasierten<br />

Regulierung - den Melde- und Aufzeichnungspflichten besondere Bedeutung zu.<br />

Der Gesetz- und Verordnungsgeber hat diesem Gedanken offenbar auch in der<br />

Gentechnikaufzeichnungs-Verordnung Rechnung getragen, indem dort Arbeiten<br />

zu Forschungszwecken der Sicherheitsstufe S 1 einbezogen sind.<br />

10.2.2. Risikoermittlung, -bewertung und Risikoentscheidung<br />

Der Umgang mit bekannten Risiken ist im Gentechnikgesetz hinreichend geregelt.<br />

Defizite ergeben sich insoweit nicht in instrumenteller Hinsicht, sondern, wie<br />

oben dargelegt, 64 eher auf der Ebene der Organisation der Normadressaten.<br />

Das klassische ordnungsrechtliche Instrumentarium mit Genehmigungs-, Anmelde-<br />

und Anzeigevorbehalten, das im Hinblick auf eine Risikoentscheidung<br />

vom Antragsteller und der Behörde eine Ermittlung und Bewertung des Risikopotentials<br />

verlangt, entspricht dem in anderen Umweltgesetzen vorhandenen Instrumentarium.<br />

Dies gilt in gleichem Maße für nachträgliche Überwachungs- und<br />

Eingriffsbefugnisse der Behörde. Insoweit existiert im Gentechnikbereich derzeit<br />

eine relativ starke Kontrolldichte. Auch wird von seiten der Genforscher die<br />

grundsätzliche Notwendigkeit der Regulierung im Bereich erkannter Risiken nicht<br />

in Frage gestellt.<br />

Die in anderen Bereichen diskutierte Frage der Dynamisierung der Genehmigungsentscheidung<br />

durch eine Flexibilisierung, insbesondere eine Befristung der<br />

Genehmigung, 65 stellt sich in dieser Form jedenfalls im Bereich gentechnischer<br />

Forschung nicht. Freisetzungsvorhaben sind per se auf eine bestimmte Dauer<br />

angelegt. Für Laborforschung gilt dies in ähnlichem Maße. Insoweit vermag eine<br />

dynamisierte Risikobewertungspflicht, wie sie in § 6 Abs. 1 S. 1 GenTG enthalten<br />

ist, mehr zu bringen als eine pauschale zeitliche Befristung. Anders mag dies<br />

für die gewerbliche Produktion im Geschlossenen System und insbesondere für<br />

das Inverkehrbringen 66 zu beurteilen sein.<br />

63 Vgl. oben, Kap. 10.1.4., Nr. 5.<br />

64 Vgl. oben, Kap. 10.1.1. und 10.1.6.<br />

65 Grundsätzlich: Wickel, Bestandsschutz, 1996, S. 278ff.<br />

66 Hier wäre es vor allem sinnvoll, ein Nachmarktmonitoring, wie es auch im Arzneimittelrecht<br />

vorgesehen ist, einzuführen (vgl. Daele et al., Bewertung, 1994, S. 166f.).<br />

325


10.2.3. Interne Risikokommunikation<br />

Im Bereich der Risikokommunikation sind verschiedene Defizite zu verzeichnen.<br />

Unsere empirischen Untersuchungen zeigen hier insbesondere, daß die rechtlichen<br />

und tatsächlichen Voraussetzungen für die Generierung von potentiellem<br />

Risikowissen unzureichend sind und deshalb die Bedingungen für ein effektives<br />

Risikomanagement nicht gegeben sind.<br />

10.2.3.1. Bestehende Defizite<br />

Eine Ursache für Hemmnisse im Bereich der internen Risikokommunikation ist<br />

darin zu sehen, daß im Labor die Experimente in der Regel von weniger erfahrenen<br />

Wissenschaftlern durchgeführt werden, die selbst (noch) kaum in die<br />

(fach-)öffentliche Risikodebatte eingebunden sind. Daher fehlt es an einem entsprechenden<br />

Risikobewußtsein, aber auch an der fachlichen Erfahrung, die für<br />

das Erkennen bzw. die Einschätzung unvorhergesehener Ereignisse notwendig ist.<br />

Die Leiter größerer Forschungsgruppen sind demgegenüber von den unmittelbaren<br />

Beobachtungen, die sich aus den Experimenten ergeben, häufig weitgehend<br />

abgeschnitten. Man könnte hier also von einem 'informationellen Flaschenhals'<br />

sprechen.<br />

Nach unseren empirischen Beobachtungen ist der Beauftragte für die Biologische<br />

Sicherheit (BBS) im universitären Bereich praktisch weitgehend bedeutungslos.<br />

67 Das Dilemma besteht hier grundsätzlich darin, daß er in der Regel<br />

ohnehin nur eine zeitlich befristete Stelle innehat und deshalb weder die Zeit noch<br />

die Unabhängigkeit besitzt, seine Aufgaben wirksam zu erfüllen. 68 Er untersteht<br />

entweder direkt dem Projektleiter oder kommt aus einem anderen Labor. Bei der<br />

letzteren Konstruktion ist er zwar weniger abhängig, aber zwangsläufig auch<br />

weniger anwesend. Hier bestehen drei Optionen: Als BBS dürfte nur fungieren,<br />

wer eine zeitlich unbefristete Mittelbaustelle innehat und sich nicht mehr weiterqualifizieren<br />

(habilitieren) will; dann wäre es sogar wünschenswert, wenn er unmittelbar<br />

in dem von ihm betreuten Projekt tätig wäre. Andernfalls ist auch denkbar,<br />

daß die Universität oder größere Fakultäten einen hauptamtlichen BBS engagieren,<br />

wie dies auch in der Großindustrie üblich ist. 69 Er könnte dann bei der<br />

Risikokommunikation wichtige Funktionen übernehmen. Wenn man schließlich,<br />

wie von uns vorgeschlagen, die Betreiberverantwortung auf die Institute überträgt,<br />

müßten auch die Kompetenzen eines zentral oder dezentral eingesetzten<br />

BBS entsprechend angepaßt werden. Grundsätzlich kann ein hauptamtlicher BBS<br />

67 Vgl. oben, Kap. 7.4. und 7.5., insb. S. 203f.<br />

68 Das rechtlich vorgesehene Benachteiligungsverbot läuft damit praktisch weitgehend leer.<br />

69 Z.B. verfügt die Universität Freiburg über einen hauptamtlichen BBS (Hohmeyer et al.,<br />

Internationale, 1994, S. 18).<br />

326


esser die institutsübergreifenden Sicherheitsbelange verfolgen, während nebenamtliche<br />

Beauftragte wiederum stärker mit den Problemen an der Basis vertraut<br />

sein werden.<br />

Ein ähnlicher 'informationeller Flaschenhals' wie in den Instituten besteht auch<br />

bei der Kommunikation zwischen Betreibern und Behörden. Die Behörden sind<br />

zwar auf die systematische Sammlung und Auswertung von Risikowissen eingerichtet<br />

(z.B. nach § 6 und § 21 GenTG), sie haben aber keine unmittelbaren Erfahrungen<br />

mit den in vielen hundert Labors durchgeführten Versuchen. Umgekehrt<br />

verfolgen die Betreiber in der Regel andere Erkenntnisinteressen als die<br />

Generierung von Risikowissen; sie verfügen auch nicht über den systematischen<br />

Überblick der Behörden. Sie sind, abgesehen von mehr oder weniger zufälligen<br />

Vernetzungen, die sich aus persönlichen Vertrauensverhältnissen und der Durchsicht<br />

der sicherheitsrelevanten Fachpublikationen ergeben können, untereinander<br />

isoliert; auch haben sie keine Einsicht in die Kommunikation anderer Betreiber<br />

mit den Behörden. Dies gilt bislang auch für die einschlägige Sicherheitsforschung.<br />

70<br />

10.2.3.2. Verbesserte Aus- und Weiterbildung<br />

Eine Verbesserung der laborinternen Risikokommunikation könnte sich aus einer<br />

Einbeziehung von Risikofragen in die Aus- und Weiterbildung ergeben. Als notwendige<br />

Voraussetzung für diejenigen, die in einem biologischen Labor experimentell<br />

forschen, sollte deshalb der Nachweis eines Kurses zur biologischen<br />

Sicherheit eingeführt werden, wie er regelmäßig von den Universitäten angeboten<br />

werden sollte. 71 Sinnvollerweise sollten Fragen der Sicherheit bzw. Ungewißheit<br />

auch regelmäßig Gegenstand der Institutsbesprechungen sein, die dann die vom<br />

Gesetz vorgesehene Sicherheitsbelehrung 72 ersetzen können, die sich in der Praxis<br />

tendenziell auf das Austeilen von Merkblättern und Abheften von Unterschriften<br />

zu beschränken scheint. Weil Technische Angestellte oft die wichtigste Rolle<br />

bei der alltäglichen Organisierung von Sicherheitsbelangen spielen, sollten entsprechende<br />

Fachinhalte gerade in ihrer Aus- und Weiterbildung berücksichtigt<br />

werden.<br />

70 Dazu unten, Kap. 10.2.4.<br />

71 Diese Kurse können, müssen aber nicht identisch sein mit den Kursen, die für die Bestellung<br />

zum Beauftragten für Biologische Sicherheit oder zum Projektleiter erforderlich sind.<br />

Es bietet sich an, diese Kurse mit entsprechenden Praktika zur Einführung in molekularbiologische<br />

Arbeitstechniken zu koppeln.<br />

72 § 12, Abs. 3 GenTSV.<br />

327


10.2.3.3. Verbesserung der Informationsbeziehungen, Zugang zu Informationen<br />

Die asymmetrischen Informationsbeziehungen zwischen Betreibern und Behörden<br />

könnten tendenziell aufgehoben werden, wenn alle entsprechenden Informationen<br />

den beteiligten Akteuren zugänglich wären. So erscheint es sinnvoll, die im Rahmen<br />

von Anmeldung, Aufzeichnung, Meldungen und Überwachung gewonnenen<br />

sicherheitsrelevanten Daten zentral zu sammeln und abrufbar zu machen. Insoweit<br />

bedarf es einer Relativierung der Geheimhaltungsinteressen im Bereich risikorelevanter<br />

Daten. Eine gesetzliche Offenlegungspflicht der Forschungsergebnisse<br />

ist dabei um so eher möglich, wie es sich um staatlich finanzierte Forschung<br />

handelt. Aber auch bei privater Forschung ist sie nicht grundsätzlich ausgeschlossen.<br />

Eine entsprechende gesetzliche Regelung müßte im Rahmen des<br />

Art. 5 Abs. 3 GG aber auch den Schutz des Forscherinteresses an der Verwertung<br />

seiner Ergebnisse angemessen berücksichtigen. Im einzelnen ist die Zuordnung<br />

Aufgabe des Gesetzgebers. Er hat dabei die unterschiedlichen Interessen abzuwägen.<br />

Eine Berücksichtigung der Forscherinteressen kann etwa durch Verwertungsschutzrechte<br />

und Vergütungsansprüche erreicht werden. 73<br />

10.2.3.4. Aufzeichnungspflichten<br />

Grundsätzlich können Aufzeichnungspflichten dazu beitragen, in einem Bereich<br />

von Unsicherheit Wissen zu erzeugen und Vorgänge nachvollziehbar zu machen.<br />

74 Gerade für die ungewißheitsbasierte Risikovorsorge kommt diesem Instrument<br />

deshalb besondere Bedeutung zu.<br />

Von ihrer Zweckbestimmung beschränken sich die aufzuzeichnenden Angaben<br />

im Rahmen des geltenden Rechts 75 allerdings in erster Linie auf die Selbstkontrolle<br />

des Betreibers sowie das Überwachungsverhältnis zwischen diesem und<br />

der zuständigen Behörde. 76 Es fehlen Vorschriften, die einen horizontalen Wissenstransfer<br />

zwischen Forschungseinrichtungen aus den Aufzeichnungen ermöglichen.<br />

So ist etwa vor dem Hintergrund dieser Zweckbestimmung die Einschränkung<br />

auf die Aufzeichnung solcher Vorkommnisse, die nicht dem erwarteten<br />

Verlauf der gentechnischen Arbeit oder Freisetzung entsprechen und bei denen<br />

der Verdacht einer Gefährdung der Schutzgüter des GenTG nicht auszuschließen<br />

ist, verständlich; unter der Perspektive der Generierung neuen Risikowissens<br />

kann aber auch die Aufzeichnung von zunächst nicht sicherheitsrelevant<br />

73 Vgl. etwa § 17 Abs. 3 GenTG, wonach bei der Bezugnahme auf die Unterlagen eines<br />

Dritten dieser unter bestimmten Voraussetzungen Anspruch auf eine Vergütung hat. Vgl.<br />

auch die relativ weitreichenden Offenlegungspflichten in den USA unter dem Freedom of<br />

Information Act (vgl. z.B. Nehls et al., Environmental Research 1981).<br />

74 Wahl, Gentechnikgesetz, § 6 Rn. 78.<br />

75 Vgl. oben, Kap. 5.4.<br />

76 Vgl. oben, Kap. 5.4.3.<br />

328


erscheinenden unvorhergesehenen Ereignissen interessant sein. Insgesamt ist eine<br />

Abstimmung der nach der Gentechnikverfahrens-Verordnung im Rahmen des<br />

Genehmigungsverfahrens vorzulegenden Unterlagen mit den nach der Gentechnikaufzeichnungs-Verordnung<br />

zu machenden Angaben erforderlich. Insbesondere<br />

im Hinblick auf potentielle Umweltwirkungen sind die aufzuzeichnenden Angaben<br />

unzureichend. 77<br />

Grundsätzlich sollten die Aufzeichnungen für andere Wissenschaftler, aber<br />

auch für sonstige Dritte zugänglich sein. Zu erwägen wäre insofern, ein öffentlich<br />

zugängliches Aufzeichnungs- und Melderegister einzuführen. Damit würde auch<br />

eine begleitende oder vergleichende Sicherheitsforschung durch Dritte mit diesen<br />

Aufzeichnungen erleichtert, wenn nicht erst ermöglicht (s.u.).<br />

Um das gewonnene Wissen langfristig zu sichern, sind zeitlich begrenzte Aufbewahrungspflichten<br />

nur dann sinnvoll, wenn die gewonnenen Daten in einen<br />

zugänglichen Datenpool eingespeist werden. Zwar erscheint auf den ersten Blick<br />

eine Aufbewahrungsfrist von 30 Jahren bei Freisetzungen als eine lange Dauer,<br />

da dies der längsten bekannten Verjährungsfrist im Bürgerlichen Recht entspricht.<br />

Diese spezifisch rechtliche Sichtweise verkennt aber, daß für die langfristige<br />

Risikobewertung erheblich längere Zeiträume erforderlich sind. 78<br />

Um den mit den Aufzeichnungspflichten verbundenen Aufwand für die Forschenden<br />

möglichst gering zu halten und die Auswertung durch Behörden und<br />

Dritte zu erleichtern, könnte ein entsprechendes Software-Programm entwickelt<br />

werden, das eine elektronische Weiterleitung, Speicherung und Suchfähigkeit<br />

(retrieval) ermöglichen und gleichzeitig die Rechtsförmigkeit der Dokumente<br />

gewährleisten müßte.<br />

10.2.4. Sicherheitsforschung<br />

Im Bereich der ungewißheitsbasierten Risikosteuerung kommt der Aufhellung des<br />

Bereichs des Ungewissen und damit der Risikoforschung entscheidende Bedeutung<br />

zu.<br />

Zum einen ist eine unabhängige Sicherheitsforschung im Sinne des oben (Kap.<br />

10.1.2) skizzierten adversativen Ansatzes zu etablieren. Die Notwendigkeit einer<br />

eigenständigen Sicherheitsforschung wird im Bereich der Freisetzung auch allgemein<br />

anerkannt, weil experimentelle Feldversuche nicht ohne weiteres der gleich-<br />

77 Vgl. oben, Kap. 5.4.2.<br />

78 So bedürfte es etwa allein für die Risikoeinschätzung eines vertikalen Gentransfers bei<br />

Raps unter Einschluß der Umweltauswirkungen eines Beobachtungszeitraums von 10 Jahren,<br />

um aussagekräftige Ergebnisse zu erzielen; Sinemus, Risikoanalyse, 1995, S. 159. Vgl.<br />

auch oben, Kap. 2.2.2.<br />

329


zeitigen Bewertung von Sicherheitsfragen und von technischen Entwicklungserfolgen<br />

dienen können. 79<br />

Dabei kommt der Forschungsförderung eine wichtige Aufgabe zu. Es geht<br />

nicht allein um eine Mittelerhöhung in diesem Bereich - die allerdings angezeigt<br />

erscheint 80 -, sondern auch um eine Pluralisierung der Mittelvergabe. Die Mittelvergabe<br />

sollte nicht wie bisher durch das Forschungsministerium, sondern durch<br />

solche Institutionen erfolgen, die speziell das Sicherheitsinteresse repräsentieren<br />

(z.B. Umweltbundesamt). Dabei sollten nicht nur die Molekularbiologie, sondern<br />

vor allem auch andere risikorelevante Subdisziplinen (Ökologie, Toxikologie etc.)<br />

und zugleich auch theoretisch oder methodisch konkurrierende Ansätze gefördert<br />

werden. Gleichzeitig sollte aber auch - z.B. durch die Förderung entsprechender<br />

Tagungen - dafür gesorgt werden, daß die verschiedenen Ansätze und Subdisziplinen<br />

miteinander konfrontiert werden und nicht beziehungslos auseinandertreiben.<br />

Doch auch bei den ohnehin stattfindenden Forschungsvorhaben können im<br />

Sinne des bereits angesprochenen integrativen Ansatzes 81 Anreize geschaffen<br />

werden, eventuellen Verdachtsmomenten genauer nachzugehen. Zum einen ist<br />

hier wiederum die Forschungsförderung gefragt, die dafür genügend Mittel zur<br />

Verfügung stellen muß und damit auch 'Bedenkenträgern' in den Forschungseinrichtungen<br />

alternative Karrierewege eröffnet, falls sie aufgrund ihrer Vorbehalte<br />

in Konflikt mit ihrem bisherigen Arbeitsumfeld geraten. 82 Anreize für die<br />

79 Vgl. oben, Kap. 8.4.1.<br />

80 So investierte das Bundesministerium für Forschung und Technologie, der wichtigste<br />

Förderer in diesem Bereich, im Rahmen seines Förderprogramms zur Biotechnologie zwischen<br />

1988 und 1993 1,6 Milliarden DM, aber davon nur 33,4 Millionen DM - das sind ca.<br />

2 Prozent - für die einschlägige Sicherheitsforschung (vgl. Katzek/Wackernagel, Stand,<br />

1991, S. 56). Ob die staatliche Förderung anwendungsorientierter Forschung im Bereich<br />

angeblicher 'Schlüsseltechnologien' gesamtwirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist, wird zumindest<br />

von ordoliberal orientierten Wirtschaftswissenschaftlern bestritten. Sie argumentieren,<br />

daß hier Subventionierungswettläufe entstehen und dabei die Gefahr der Fehlallokation<br />

staatlicher Mittel sehr groß ist - wie sich auch an der staatlichen Forcierung der Atomindustrie<br />

gezeigt hat (vgl. z.B. Klodt, Aus Poltik und Zeitgeschichte 1995). Eine breiter<br />

angelegte Sicherheitsforschung gehört dagegen unbestreitbar zur Daseinsvorsorge und<br />

damit zu den staatlichen Aufgaben. Freiwerdende Mittel aus der gegenwärtigen Förderung<br />

von 'Schlüsseltechnologien' könnten entsprechend umverlagert werden.<br />

81 Vgl. oben, Kap. 10.1.2.<br />

82 Das ist häufig gar nicht der Fall, weil es im Interesse der Genforschung selbst liegt, zumindest<br />

naheliegende und beherrschbare Sicherheitsprobleme auszuräumen. So berichtet uns<br />

der Molekularbiologe Arndt Heyer, ein Teilnehmer an dem im Rahmen unseres Forschungsprojekts<br />

veranstalteten interdisziplinären Workshop, der selbst an einem Freisetzungsprojekt<br />

mitarbeitet, von Untersuchungen zur Lebensmittelsicherheit der freigesetzten<br />

Nutzpflanzen: "Das ganze läuft inzwischen als eine wissenschaftliche Kooperation mit ver-<br />

330


frühzeitige Abklärung von Bedenken können aber auch im Haftungsrecht - durch<br />

entsprechende Haftungserleichterungen bei den hier in Rede stehenden Entwicklungsrisiken<br />

- geschaffen werden. 83<br />

Generell sollten Vorhaben zur Sicherheitsforschung rechtlich insofern privilegiert<br />

werden, als ihnen zumindest prozedurale Genehmigungserleichterungen zu<br />

gewähren sind. 84 Damit soll erreicht werden, daß die Sicherheitsforschung der<br />

technischen Entwicklung tendenziell vorangeht - und nicht umgekehrt. Dem Abgrenzungsproblem,<br />

was hier als Sicherheitsforschung gelten kann, wäre durch<br />

eine relativ einfache prozedurale Definition zu begegnen: Sicherheitsforschung<br />

muß vollständig veröffentlicht werden. Ein Geheimhaltungsinteresse an den gewonnenen<br />

Daten kann nicht bestehen, andernfalls handelt es sich nicht um Sicherheitsforschung.<br />

Jedenfalls die Daten aus der Sicherheitsforschung wären in<br />

einem allseits zugänglichen Aufzeichnungs- und Melderegister zu speichern.<br />

Darüber hinaus sollte der Sicherheitsforschung ein möglichst weitreichender<br />

Zugang zu den Aufzeichnungen der 'Überraschungen', die im Verlauf von biologischen<br />

Experimenten andernorts aufgetreten sind, sowie zu den entsprechenden<br />

Rohdaten ermöglicht werden. Diese wären insbesondere für die adversative Sicherheitsforschung<br />

von Bedeutung, weil sie auf diese Weise anhand von systematischen<br />

Auswertungen spezifischere und durch empirische Anhaltspunkte fundierte<br />

Risikohypothesen generieren könnte. Da bei der adversativen Sicherheitsforschung<br />

- im Unterschied zur integrativen Sicherheitsforschung - keine Konkurrenzbeziehungen<br />

zu technologisch orientierten Forschungsprojekten bestehen,<br />

dürften insofern auch keine Geheimhaltungsinteressen entgegenstehen.<br />

10.2.5. Dynamisierung der Risikosteuerung<br />

10.2.5.1. Dynamisierung der Gesetzgebung<br />

Gelegentlich wird in der rechtswissenschaftlichen Risikodiskussion auch eine<br />

Dynamisierung der Gesetzgebung vorgeschlagen. Dabei sollen die Gesetze 'auf<br />

Zeit' erlassen, also befristet werden. Dahinter steht - die im Grundsatz zutreffende<br />

- Erwägung, daß der Gesetzgeber einer ständigen Risikobeobachtungspflicht<br />

unterliegt. Daraus kann sich die Notwendigkeit ergeben, die gesetzlichen Regeschiedenen<br />

Leuten hier im Institut, die immer dann, wenn sie interessante - d.h. möglicherweise<br />

im Alkaloidgehalt veränderte - Transgene haben, auf ... [N.N.] zugehen. Ich<br />

denke, hier zeigt sich recht deutlich, daß eine Arbeitsteilung - in Verbindung mit Aufmerksamkeit<br />

der Molekularbiologen für mögliche Effekte - der Sicherheitsforschung zugute<br />

kommt. Das Motiv ist für alle Beteiligten gegeben und nachvollziehbar: man möchte Daten<br />

publizieren." (Brief vom 12.3.1996, S. 3)<br />

83 Vgl. oben, Kap. 6.4.<br />

84 Vgl. auch Sinemus, Risikoanalyse, 1995, S. 177.<br />

331


lungen neuen Erkenntnissen anzupassen. Dies kann sowohl in die Richtung einer<br />

Lockerung gesetzlicher Regelungen in den Fällen gehen, in denen eine vormals<br />

als Risiko eingestufte Situation sich später als risikolos erweist, als auch in die<br />

Richtung einer Verschärfung der Anforderungen im umgekehrten Fall. So richtig<br />

dieser Ansatz im Grundsatz ist, so fraglich ist es andererseits, ob es - zumindest<br />

derzeit - im Bereich des Gentechnikrechts hierfür ein tatsächliches Bedürfnis gibt.<br />

Es besteht die Gefahr, daß die Kapazitäten des Gesetzgebers und der Vollzugsbehörden<br />

überlastet werden, wie sich dies im übrigen auch im Rahmen des derzeitigen<br />

Deregulierungs-Aktivismus allgemein abzeichnet. Erforderlich erscheint<br />

eher - auch und gerade um nicht zu einer völligen Vollzugsblockierung zu gelangen<br />

- eine gesetzgeberische 'Pause'. Sinnvoller erscheinen demgegenüber dynamisierte<br />

Rechtsnormen, die 'selbstreflexiv' in der Lage sind, neues Wissen aufzunehmen<br />

und in Handlungsoptionen umzusetzen. Beispielhaft kann hier die Dynamisierung<br />

der Grundpflicht des § 6 Gentechnikgesetz genannt werden. Weiter<br />

auszubauen ist auch das im folgenden zu behandelnde 'Step-by-step-Prinzip'.<br />

10.2.5.2. Step-by-step-Prinzip<br />

Als ein wesentliches Mittel zur Dynamisierung der Risikosteuerung erscheint das<br />

Step-by-step-Prinzip. Obwohl das Prinzip als Ausdruck besonderer Vorsicht im<br />

Gentechnikrecht angesehen wird, ist es doch im Gentechnikgesetz nicht ausdrücklich<br />

verankert. Das geltende Recht ist hier ambivalent. Einerseits parzelliert<br />

das auf Einzelfallentscheidungen abstellende Regulierungsinstrumentarium einzelne<br />

Schritte und beurteilt nur das mit dem jeweiligen Schritt verbundene Risiko.<br />

85 Aufgrund der Rechtskonstruktion der 'gebundenen Entscheidung' dürfen an<br />

sich im einzelnen Freisetzungsverfahren mögliche Auswirkungen eines Inverkehrbringens<br />

des Produkts de lege lata nicht berücksichtigt werden. Andererseits<br />

muß im Rahmen der Verfahrensvorschriften der Antragsteller auch Unterlagen<br />

über vorangegangene Arbeiten in einer geschlossenen Anlage und über Freisetzungen<br />

beifügen. Auch die Gentechnikverfahrens-Verordnung hat das Prinzip<br />

insofern berücksichtigt, als bei den vorzulegenden Informationen im Rahmen des<br />

Genehmigungsverfahrens auch eine Beschreibung der Zielsetzung und der geplanten<br />

Produkte der Freisetzung erfolgen muß. 86<br />

Grundsätzlich sollten bei der Entscheidung über die Zulassung eines Schrittes<br />

auch - soweit dies tatsächlich möglich ist - die Auswirkungen des nächsten<br />

Schrittes mit bedacht werden. Die Ansatzpunkte im geltenden Recht könnten für<br />

eine stärkere Verankerung des Step-by-step-Prinzips genutzt werden.<br />

85 Vgl. oben, Kap. 8.5.2.<br />

86 Vgl. im einzelnen oben, Kap. 5.3.2.<br />

332


10.2.6. Externe Risikokommunikation und Wertentscheidung<br />

Für den Bereich der externen Risikokommunikation gilt zunächst ebenfalls die<br />

Feststellung, daß das geltende Recht sehr stark entscheidungsfixiert und wenig<br />

(kommunikations-)prozeßorientiert ist. Eine Kommunikation mit der Öffentlichkeit<br />

findet primär im Rahmen der bestehenden Einwendungsverfahren statt. Das<br />

Einwendungsverfahren erfüllt zwar sowohl demokratietheoretisch als auch grundrechtsdogmatisch<br />

eine wichtige Funktion auch im Rahmen der ungewißheitsbasierten<br />

Risikosteuerung; 87 auch kann es der Verbesserung der Selbst- und<br />

Fremdkontrolle der Entscheidungsfindung dienen. Neues Risikowissen wird dort<br />

aber eher ausnahmsweise erzeugt oder den Behörden zur Kenntnis gebracht. 88<br />

Vor allem sind die derzeitigen Beteiligungsverfahren aufgrund ihrer Einbindung in<br />

das Genehmigungsverfahren wenig offen für neue Erkenntnisse und unterliegen<br />

häufig verfahrenstaktischen Überlegungen der beteiligten Akteure. Dies gilt insbesondere<br />

für die Erörterungstermine.<br />

Darüber hinaus können viele der von seiten der Bürger vorgebrachten Bedenken<br />

im Rahmen der 'gebundenen Entscheidung' nicht berücksichtigt werden,<br />

weil es sich einesteils nicht um Risikoeinwände im engeren Sinne handelt oder<br />

diese sich nicht auf den anstehenden Genehmigungsschritt, sondern auf die Risiken<br />

des erst später - und ohne Öffentlichkeitsbeteiligung - zu genehmigenden Produkts<br />

beziehen.<br />

Andererseits ist es, wie oben (10.1.6.) dargelegt, erforderlich, Wertentscheidungen,<br />

wie sie allenthalben im Rahmen des Gentechnikgesetzes getroffen werden<br />

müssen, als solche transparent zu machen und auf eine repräsentativere Basis<br />

zu stellen. Deshalb erscheint es sinnvoll, veränderte Verfahren einzuführen, in<br />

denen die vielfältigen Einwände von seiten der Bürger angemessener berücksichtigt<br />

und so die bisherigen Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung entlastet werden<br />

könnten.<br />

Dabei erscheint es allerdings nicht angeraten, kognitive und normative Aspekte<br />

der Risikobewertung in getrennten Gremien und Verfahren abzuarbeiten, weil<br />

sich beide Aspekte beständig überlagern und durchdringen und nur 'in kleiner<br />

Münze' voneinander geschieden werden können. Andernfalls bestünde die Gefahr,<br />

daß Wertentscheidungsgremien ohne genauere Befassung mit technischen<br />

Details sehr abstrakte oder unpraktikable Empfehlungen gäben und daher - jenseits<br />

einer bloß symbolischen Politik - rein wissenschaftliche Kommissionen<br />

87 Aus diesen Gründen ist auch die Entscheidung des Gesetzgebers, den Erörterungstermin<br />

im Rahmen der Freisetzungsgenehmigung ersatzlos abzuschaffen, rechtspolitisch verfehlt;<br />

vgl. dazu oben, Kap. 5.10.<br />

88 Dies war am ehesten in der Anfangsphase der Genehmigungsverfahren zu beobachten, als<br />

es auch den Behörden noch an einer entsprechenden Infrastruktur fehlte.<br />

333


weiterhin die normativen Entscheidungen präjudizierten. Dies haben auch Erfahrungen<br />

in den Niederlanden mit teilweise sehr hochrangig angesiedelten und pluralistisch<br />

besetzten Ethik-Gremien gezeigt, deren Entschlüsse mangels Befassung<br />

mit technischen Detailfragen ins Leere liefen. 89<br />

Die über die Genehmigungstatbestände hinausweisenden Diskussionsbedürfnisse<br />

und Eingaben von seiten der Öffentlichkeit sollten daher auf vier Punkte<br />

verlagert werden:<br />

10.2.6.1. Prüfaufträge im Step-by-step-Verfahren<br />

Eine bisher kaum beachtete Funktion der Einwendungsverfahren bei experimentellen<br />

Freisetzungen könnte sein, im Sinne des Step-by-step-Prinzips den<br />

Behörden und den Betreibern Erwägungsgründe und Prüfaufträge für weitere<br />

Freisetzungen und zur Vorbereitung der Vermarktungsentscheidung mit auf den<br />

Weg zu geben, die die Sicherheitsforschung, die weitere Risikoprüfung und die<br />

Technikgestaltung beeinflussen könnten. Es mag zwar sein, daß solche Konsequenzen<br />

teilweise ohnehin aus den Verfahren gezogen werden, 90 aber dann sollte<br />

man sie auch - eventuell sogar in einer öffentlich verbindlichen Form 91 - für die<br />

Bürger erkennbar machen.<br />

Im Hinblick auf das notwendige Vertrauen zwischen Forscher und Öffentlichkeit<br />

sollte im übrigen darüber nachgedacht werden, Dritte bereits möglichst<br />

frühzeitig und fortlaufend in den Kommunikationsprozeß zwischen Forscher und<br />

Behörde einzubinden, also auch in den Vorverhandlungen vor Auslegung der<br />

Unterlagen und nach Genehmigungserteilung und in den Fällen, in denen eine<br />

Genehmigung nicht mehr notwendig ist. Insgesamt müßten die Verfahren also<br />

stärker auf ein "dynamisches Modell des Lernens" umgestellt werden. 92<br />

89 Schomberg, Analyse & Kritik 1997, S. 115ff.; vgl. auch Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995.<br />

90 Bei der Durchsicht der Akte zum ersten Freisetzungsverfahren (der 'Kölner Petunien')<br />

wurde für uns erkennbar, daß die Behörden intern die auf dem Erörterungstermin vorgetragenen<br />

Bedenken, etwa über die Möglichkeit eines horizontalen Gentransfers auf Bodenmikroorganismen,<br />

sehr viel ernster nahmen, als sich dies im Genehmigungsbescheid und in<br />

anderen Äußerungen der Behörden widerspiegelte. Tatsächlich wurde zu dieser Frage auch<br />

ein vom Forschungsministerium finanziertes Begleitforschungsprojekt unternommen (vgl.<br />

Becker et al., Begleitende, 1994).<br />

91 Derzeit können zwar solche Prüfaufträge, die nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit<br />

der Freisetzung stehen, nicht in rechtlich verbindlicher Form als Nebenbestimmung in der<br />

Genehmigung festgeschrieben werden, sondern allenfalls als unverbindliche Hinweise (vgl.<br />

auch oben, Kap. 5.1.). Bei einer de lege ferenda verbesserten und konsistenteren Ausgestaltung<br />

des Step-by-step-Prinzips wäre aber auch eine rechtlich verbindliche Vorgabe<br />

denkbar.<br />

92 Ladeur, Öffentlichkeitsbeteiligung, 1996, S. 187.<br />

334


10.2.6.2. Öffnung der ZKBS und des Behördenausschusses bei der EG-Kommission<br />

Schon bisher erfüllt die ZKBS wichtige Beratungsaufgaben. Sie befaßt sich zunehmend<br />

weniger mit standardisierbaren Einzelgenehmigungen, sondern verlagert<br />

ihre Aufmerksamkeit zurecht stärker auf die generelle Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens.<br />

Außerdem wird sie bei anstehenden Novellierungen des Gentechnikgesetzes<br />

und seiner Verordnungen gehört. Ähnliches gilt auf EG-Ebene<br />

für den bei der Generaldirektion Umwelt (DG XI) eingerichteten 'Artikel 21-<br />

Ausschuß'. 93 Unter Beibehaltung dieser Kompetenzen wären allerdings das Verfahren<br />

und die Zusammensetzung dieser Gremien deutlich zu verändern:<br />

- Beide Gremien sollten mit einem erweiterten Mandat ausgestattet werden,<br />

damit auch die normativen Aspekte explizit einbezogen werden können. Neben<br />

der Befassung mit einzelnen Genehmigungsverfahren sollte vor allem die Funktion<br />

der Dauerbeobachtung des biotechnologischen Prozesses und seiner gesellschaftlichen<br />

Implikationen gewährleistet sein.<br />

- Umfassende Transparenzvorkehrungen.<br />

- Initiativrecht der Öffentlichkeit.<br />

Speziell bei der ZKBS sollten zudem folgende Änderungen vorgenommen werden:<br />

- Bei der ZKBS sollten entsprechend interdisziplinär ausgewiesenen Philosophen,<br />

Sozial- und Rechtswissenschaftlern auf der 'Wissenschaftlerbank' beteiligt<br />

werden, die für die normativen Aspekte zuständig wären.<br />

- Die Beteiligung von Verbänden sollte erweitert werden.<br />

- Aufgrund des erweiterten Teilnehmerkreises sollte die Tagungsfrequenz reduziert<br />

werden und die Beratung über Detailfragen durch Unterausschüsse oder<br />

Gutachten vorbereitet werden.<br />

- Die ZKBS sollte beim Ministerium 94 (statt wie bisher beim Robert-Koch-<br />

Institut) angesiedelt sein und Beratungsaufgaben gegenüber dem Parlament o-<br />

der seinen jeweils zuständigen Ausschüssen wahrnehmen.<br />

Die Vertreter der nationalen Fachbehörden im Artikel 21-Ausschuß sind Naturwissenschaftler.<br />

Zur Analyse der normativen Aspekte müßten von den nationalen<br />

Behörden entsprechend philosophisch, rechts- oder sozialwissenschaftlich ausgebildete<br />

Experten entsandt werden.<br />

93 Vgl. oben, Kap. 8.2.1.<br />

94 In diesem Zusammenhang wäre zu überlegen, ob die Federführung nicht ohnehin vom<br />

Gesundheits- auf das Umweltressort verlagert werde sollte.<br />

335


10.2.6.3. Entscheidungsentlastete Diskursverfahren<br />

Neben diesen eher entscheidungsorientierten Gremien sollten Diskursverfahren<br />

etabliert werden, die von einem konkreten Entscheidungsdruck entlastet sind und<br />

damit auch den Akteuren ermöglichen, die jeweils andere Seite mit ihren Argumenten<br />

eher ernst zu nehmen. 'Runde Tische', die inzwischen auch als Instrument<br />

zwischen Chemieunternehmen und Anwohnern erprobt werden, könnten hierzu<br />

ein wichtiges Mittel darstellen. 95 Die Gesprächskreise, die von Unilever und<br />

Novo Nordisk eingerichtet wurden, werden von den beteiligten Umweltverbänden<br />

zwar zwiespältig beurteilt. 96 Allerdings könnten sie auf die Firmenpolitik langfristig<br />

mehr Einfluß haben, als aktuell - angesichts schon von langer Hand getroffener<br />

Investitionsentscheidungen - erkennbar wird. 97 Gute Erfahrungen wurden in<br />

Baden-Württemberg mit dem Verfahren der Bürgergutachten sowie im Ausland<br />

mit Konsensuskonferenzen gemacht. 98<br />

10.2.6.4. Öffentlichkeitsbeteiligung beim Inverkehrbringen<br />

Bei der Genehmigung des Inverkehrbringens sollte - anders als bisher - ein öffentliches<br />

Erörterungsverfahren stattfinden, das auch den Zweck, also die vorgesehenen<br />

Nutzungsformen der Produkte einbezieht (siehe dazu im folgenden Kap.<br />

10.3.).<br />

10.3. Ausblick: Von der Prozeßregulierung zur Produktregulierung 99<br />

Grundsätzlich dienen experimentelle Freisetzungsverfahren dem Erfahrungsgewinn,<br />

mithin auch der Generierung von Risikowissen. Sie sind also, zumindest<br />

soweit ihre Ergebnisse veröffentlicht werden, 100 als Forschungstätigkeit anzusehen<br />

und sollten daher - ähnlich wie das auch bei Forschungstätigkeiten im Geschlossenen<br />

System geschieht - gegenüber dem Inverkehrbringen prozedural<br />

privilegiert werden; die gegenwärtige Rechtslage 101 müßte hier also genau umgekehrt<br />

werden.<br />

95 Vgl. z.B. Dreyer/Kesselring, Wechselwirkung 1996.<br />

96 Behrens et al., Nachbarn, 1997.<br />

97 Vgl. Wiesenthal, Leviathan 1994.<br />

98 Vgl. Garbe, Diskurse, 1996; Hennen, TA-Datenbank-Nachrichten 1995.<br />

99 Wie sich im folgenden zeigen wird, gebrauchen wir die Termini hier anders, als dies in der<br />

internationalen Debatte üblich ist. Zum Gebrauch der Termini in der internationalen Debatte<br />

vgl. oben, Kap. 2.3.2.<br />

100 Vgl. oben, Kap. 4.4.1.2.<br />

101 Vgl. oben, Kap. 8.5.2.<br />

336


Für diese Umkehrung spricht allerdings auch die Logik der ungewißheitsbasierten<br />

Regulierung. Das Inverkehrbringen stellt - gegenüber den wissenschaftlich<br />

kontrollierten und räumlich begrenzten Freisetzungsversuchen - den<br />

weitestgehenden Eingriff in den Natur- und Kulturhaushalt dar, indem die transgenen<br />

Organismen dann europaweit freigesetzt und konsumiert werden können.<br />

Die Produktgenehmigung markiert also das Ziel und den (vorläufigen) Abschluß<br />

des im Step-by-step-Verfahren organisierten Lernprozesses. Hier wäre also der<br />

Ort, die im Verlauf der vorangegangenen Schritte gesammelten Erfahrungen umfassend<br />

zu bewerten. Dies gilt umso mehr, wenn man, wie hier vorgeschlagen,<br />

den Schwerpunkt der Regulierung auf die Beobachtung insbesondere der ökologischen<br />

Wechselwirkungen legt. Weil dann mehr und zugleich komplexeres Risikowissen<br />

generiert wird, steigen die Anforderungen an seine Bewertung im Rahmen<br />

der Produktgenehmigung. Aufgrund der europarechtlichen Logik dezentraler<br />

Freisetzungsgenehmigungen und zentral geltender Produktgenehmigungen können<br />

explizit politische Gestaltungsbedürfnisse wirksam ohnehin nur an letzteren ansetzen.<br />

102<br />

Da wir uns im Rahmen unserer Untersuchung jedoch vor allem auf die Regulierung<br />

der Forschung konzentriert haben und die Produktzulassung nur peripher<br />

bearbeiten konnten, handelt es sich im folgenden um vorläufige Überlegungen zur<br />

Gestaltung des Markteinführungsprozesses, die einer fundierteren Ausarbeitung<br />

bedürften. Insofern stellen die im folgenden - z.T. auch in Frageform - vorgetragenen<br />

Gedanken Hinweise auf den weiteren Forschungsbedarf dar.<br />

10.3.1. Gründe für die Änderung der Produktzulassung<br />

10.3.1.1. Verbleibende Ungewißheit<br />

Das vorauslaufende Prüfverfahren garantiert keineswegs, daß die anfängliche<br />

Ungewißheit zum Zeitpunkt der Produktgenehmigung vollständig beseitigt worden<br />

wäre. Im Rahmen der bisherigen Handhabung des Step-by-step-Verfahrens<br />

wird der Erfahrungsgewinn durch die experimentellen Freisetzungen selbst von<br />

den zuständigen OECD-Gremien eher zurückhaltend bewertet. 103 Sicher ließe<br />

sich, wie oben skizziert, die Generierung von Risikowissen im Verlauf des Stepby-step-Verfahrens<br />

verbessern. 104 Aber auch dann können im Rahmen einer end-<br />

102 Vgl. oben, Kap. 8.7.1. (S. 262ff.) und Kap. 8.8. (S. 272).<br />

103 Vgl. oben, Kap. 8.4.1.<br />

104 Dabei wäre besonders zu berücksichtigen, daß die 'Zentren der natürlichen Vielfalt' vieler<br />

transgener Organismen in den ärmeren Länder liegen. Organismen, die sich in unseren<br />

Breiten als 'eingebürgerte Exoten' weder selbständig ausbreiten noch ihr Erbmaterial auf<br />

artverwandte Organismen übertragen können und daher ökologisch wahrscheinlich un-<br />

337


lichen Zahl von experimentellen Freisetzungen nur die ökologischen Wechselwirkungen<br />

in den jeweiligen Testarealen und dabei immer auch nur eine endliche<br />

Zahl von Parametern beobachtet werden. 105 Vergleichbares gilt auch für die Prüfung<br />

von gesundheitlichen Auswirkungen der Produkte auf den Menschen. 106<br />

10.3.1.2. Sozioökonomische Bedenken<br />

Nicht nur bei den Anhörungsverfahren zu den experimentellen Freisetzungen,<br />

sondern auch in der allgemeinen Debatte um die Biotechnologie hat sich vielfach<br />

gezeigt, daß bei den Bürgern nicht nur Bedenken bezüglich möglicher Risiken für<br />

Gesundheit und Umwelt bestehen. Soweit die moderne Bio- und Gentechnologie<br />

zu Rationalisierungszwecken eingesetzt wird, kann damit eine Umstrukturierung<br />

vieler Wirtschaftsbereiche einhergehen, die Betriebskonzentrationen, die Entwertung<br />

traditioneller Qualifikationen und gesamtwirtschaftlich einen Verlust von Arbeitsplätzen<br />

zur Folge haben kann. Diesem Tatbestand hat die EG-Kommission<br />

wohl auch beim Verbot des Rinderwachstumshormons (BST) Rechnung getragen.<br />

Offiziell wurde das Verbot zwar mit gesundheitlichen Einwänden begründet,<br />

wahrscheinlich haben aber sozioökonomische Bedenken den Ausschlag gegeben.<br />

107<br />

10.3.1.3. Kulturelles Unbehagen<br />

Bei der Bevölkerung scheinen neben sozioökonomischen Erwägungen auch moralische<br />

und ästhetische Bedenken eine erhebliche Rolle zu spielen. Indem sich<br />

problematisch sein werden, treffen dort sehr viel wahrscheinlicher auf Umweltbedingungen,<br />

die entweder die selbständige Auswilderung oder die Auskreuzung des Genmaterials<br />

begünstigen. Soweit die transgenen Eigenschaften (z.B. Insektentoleranz) einen Selektionsvorteil<br />

vermitteln, kann die dort konzentrierte genetische Vielfalt stark vermindert<br />

werden, wovon u.a. auch die Saatgutzüchtung in den Industrieländern nachhaltig betroffen<br />

wäre, weil diese auf die beständige Zufuhr von genetischen Ressourcen aus den 'Zentren<br />

der natürlichen Vielfalt' angewiesen ist (vgl. Rissler/Mellon, Ecological, 1996, S.<br />

111ff.). Daher implizieren Produktgenehmigungen in der EG (und in anderen OECD-<br />

Ländern) eine globale Verantwortung, zumal die Aushandlung eines weltweiten 'Biosafety-Protokolls'<br />

gerade von einigen EG-Ländern und den USA blockiert wird (vgl. oben,<br />

Kap. 3.2.4.).<br />

105 Vgl. insgesamt Kap. 8. Vergleichbares gilt im Prinzip auch für die Gentherapie (vgl. Kap.<br />

9). Vgl. generell Gleich, TA-Datenbank-Nachrichten 1996. Zum dort vorgeschlagenen<br />

Kriterium der Eingriffstiefe vgl. aber Fn. 47 in Kap. 2.<br />

106 Vgl. oben, Kap. 2, S. 49ff.<br />

107 BST läßt sich nur in agrarindustriell strukturierten Großfarmen betriebswirtschaftlich<br />

sinnvoll einsetzen und müßte entweder zu höheren Subventionszahlungen (für 'Milchseen'<br />

bzw. 'Butterberge') oder zur beschleunigten Aufgabe kleiner Landwirtschaftsbetriebe führen.<br />

338


die Gen- und Biotechnologie anschickt, die bisherigen Formen des Lebendigen<br />

von Grund auf umzugestalten, verschiebt sie damit auch kulturell wichtige Unterscheidungen<br />

- vor allem im Bereich von 'Natürlichkeit' und 'Künstlichkeit' -, die<br />

für die bisherigen kognitiven und normativen Orientierungen in der Gesellschaft<br />

fundamental bedeutsam waren. 108<br />

Soweit diese Eingriffe unmittelbar auf die menschliche Physis abzielen, fallen<br />

sie zwar zum Teil schon unter andere Regelungen, wie etwa das Embryonenschutzgesetz<br />

oder die Europäische Bioethik-Konvention. In den Niederlanden<br />

wurde auch eine spezialgesetzliche Grundlage für den Umgang mit transgenen<br />

Tieren geschaffen. 109 Andere Eingriffe bleiben aber bisher weitgehend ungeregelt.<br />

Die gentechnische Veränderung von Pflanzen und Mikroorganismen scheint<br />

insoweit auch zunächst kaum auf größere moralische Bedenken zu stoßen. Anders<br />

als höhere Tiere lösen diese Lebewesen bei den meisten Menschen in der<br />

modernen Kultur kein Mitgefühl aus. 110 Allerdings macht die despektierliche<br />

Berichterstattung über 'Gen-Food' in den Medien deutlich, daß hier zumindest ein<br />

ästhetisches Unbehagen vorzuliegen scheint.<br />

10.3.2. Demokratisierung der Produktzulassung<br />

Aus den oben genannten Gründen erscheint eine Demokratisierung und eine Erweiterung<br />

der Entscheidungsgrundlagen bei der Produktzulassung angezeigt:<br />

Wenn Ungewißheit in Bezug auf die Risiken für Umwelt und Gesundheit nicht<br />

vollständig auszuräumen ist, dann sollte der versprochene Nutzen auch gesellschaftlich<br />

wünschenswert sein - nur so sind 'Restrisiken' sozialädaquat zu machen.<br />

Wenn neben dieser Ungewißheit auch sozioökonomische oder kulturelle<br />

Bedenken bestehen, dann sind sie ebenfalls in das Verfahren einzubeziehen. Es<br />

stellt sich also die Frage, wie Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung, eine<br />

Bewertung des Nutzens der Produkte und eine umfassende Kennzeichnung bei<br />

der Produktzulassung etabliert werden können.<br />

10.3.2.1. Informationsrechte und Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

Vorbedingung jeder demokratisch motivierten und gemeinwohlorientierten Partizipation<br />

ist die Herstellung von möglichst vollständiger Transparenz, d.h. die<br />

gleiche Verfügbarkeit von Informationen für alle potentiell interessierten Akteure.<br />

108 Vgl. Haraway, Kyborg, 1984; Daele, Concepts, 1992; Heins, Soziale Welt 1992.<br />

109 Vgl. Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995.<br />

110 Anders ist dies in Pflanzerkulturen, vgl. z.B. Müller, Paideuma 1974.<br />

339


Daran fehlt es gegenwärtig allerdings in vielen Mitgliedstaaten 111 und vor allem<br />

auch auf EG-Ebene gerade bei der Produktzulassung. Die Einsprüche anderer<br />

Mitgliedsländer zu einer nationalen Entscheidung sowie die Verhandlungen auf<br />

EG-Ebene werden zwar meist in ungefähren Umrissen aufgrund entsprechender<br />

Bemühungen einer europäischen Umweltschutzinitiative bekannt, die von der<br />

Kommission gelegentlich auch - neben Industrievertretern - zu Konsultationen<br />

herangezogen wird. 112 Die Offenlegung von Informationen ist aber nicht durch<br />

formale Bestimmungen festgelegt. Zwar könnte inzwischen auf der Grundlage des<br />

von der Kommission durch Beschluß vom 8.2.1994 eingeführten Verhaltenskodex<br />

über den Zugang der Öffentlichkeit zu den der Kommission vorliegenden<br />

Dokumenten 113 im Prinzip jeder EU-Bürger Einsicht in diese Informationen verlangen.<br />

Dieses Zugangsrecht steht jedoch unter einer Fülle von Ausnahmevorbehalten,<br />

und erste Erfahrungen zeigen, daß die Dienststellen der Kommission insoweit<br />

sehr restriktiv vorgehen. 114<br />

Für die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Produktzulassung gibt es auch im<br />

nationalen Recht - zumindest in Deutschland - keine Vorbilder. Anders als bei der<br />

Genehmigung von Anlagen, bei der die Öffentlichkeitsbeteiligung sich aus dem<br />

Gedanken des Nachbarschaftsschutzes entwickelt hat, geht die Rechtsdogmatik<br />

hier bisher davon aus, daß keine bestimmten und abgrenzbaren Bevölkerungsgruppen<br />

von einer Produktgenehmigung betroffen sind, sondern die Verbraucher<br />

im allgemeinen. 115 Die Öffentlichkeitsbeteiligung bei Anlagengenehmigungen ist<br />

nach geltendem Recht als Jedermannsbeteiligung ausgestaltet. 116 Dieser Logik<br />

folgend wäre es denkbar, auch bei Produktgenehmigungen ein Jedermannsrecht<br />

einzuräumen, zumal nicht auszuschließen ist, daß bestimmte Bevölkerungsgruppen<br />

- z.B. Nahrungsmittelallergiker, Biobauern etc. - von der Zulassung transgener<br />

Produkte in besonderer Weise betroffen sind.<br />

111 Vgl. Levidow/Carr, S&PP 1996.<br />

112 Vgl. dazu die mehr oder weniger regelmäßig an interessierte Akteure verschickten Rundbriefe<br />

des Friends of the Earth Biotechnology Programme.<br />

113 ABl. Nr. L 46 vom 18.2.1994, S. 46. Vgl. hierzu auch die Notiz in Elni-Report 1/94, S. I<br />

(Beilage zu ZUR 1994, Heft 2).<br />

114 Hierzu jüngst: EuGH, EuZW 1996, S. 152 sowie Entscheidung des EuGH vom 5.3.1997,<br />

Rs. T-105/95 WWF UK/Kommission (noch nicht veröffentlicht).<br />

115 Vgl. Briefe des Umweltbundesamtes an den Autor (B.G.) vom 21.7.1995 und 10.8.1995<br />

zu dieser Frage.<br />

116 Vgl. oben, Kap. 5.10.<br />

340


10.3.2.2. Prüfung des Bedarfs und der Sozialverträglichkeit<br />

Schon seit längerem wird darüber diskutiert, inwieweit Bedarfserwägungen Gegenstand<br />

von Genehmigungsverfahren sein können. 117 Daß grundsätzlich auch<br />

der Gesetzgeber dieses Kriterium zur Abwägung bei Freisetzungs- und Inverkehrbringensgenehmigungen<br />

für geeignet hält, ergibt sich aus dem deutschen<br />

Gentechnikgesetz. 118 Die entsprechende Vorschrift kann nicht so verstanden<br />

werden, daß der Freisetzungszweck Risiken heiligt. 119 Allerdings ist im Bereich<br />

der ungewißheitsbasierten Risikovorsorge eine solche Abwägung zulässig. Diese<br />

müßte dann aber auch in beide Richtungen offen sein: Der 'gute' Zweck ('Bedarf')<br />

kann dann den Ausschlag für die Hinnahme eines 'vertretbaren' Risikos geben,<br />

wie auch umgekehrt bei 'schlechtem' Zweck die verbleibende Ungewißheit nicht<br />

hingenommen wird. Der sachliche Gehalt des Vorsorgeprinzips würde somit<br />

ausgeweitet von der Frage 'Schadet uns das?' auf die Frage 'Brauchen wir das?'. 120<br />

Verfassungsrechtlich läßt sich dies mit dem Erfordernis der 'Sozialadäquanz' des<br />

Restrisikos begründen.<br />

Während das Kriterium des 'Bedarfs' weitgehend darauf abstellt, ob bereits Alternativen<br />

zur Erreichung eines bestimmten Zwecks bestehen, 121 ginge es beim<br />

Kriterium der 'Sozialverträglichkeit' um die soziale Bewertung des Zwecks selbst<br />

bzw. entsprechender nicht-intendierter Nebenfolgen. Mit dieser in der Literatur<br />

gebräuchlichen Bezeichnung 'Sozialverträglichkeit' ist allerdings eine u.U. irreführende<br />

Semantik verbunden. Wenn man hier ein Abwägungskriterium formulieren<br />

will, kann nur von 'sozialer Unverträglichkeit' die Rede sein, das dann zusammen<br />

mit anderen Vorbehalten wie z.B. Gefahr/Risiko/Ungewißheit in die 'negative'<br />

Waagschale zu legen wäre. 'Verträglichkeit' konstituiert demgegenüber nur einen<br />

neutralen Wert, aber noch kein Positivum, denn dann müßte man von 'Förderlichkeit'<br />

sprechen. Wenn 'Sozialverträglichkeit' nicht einfach auf die Erhaltung des<br />

Status quo hinauslaufen soll, 122 müßte man hier zunächst unvoreingenommener<br />

von 'sozialen Auswirkungen' sprechen, die eben als 'gut' oder 'schlecht' zu bewer-<br />

117 Vgl. z.B. Winter, KJ 1992.<br />

118 Vgl. § 16 Abs.1 Nr. 3 sowie § 16 Abs. 2 GenTG. Dort ist zwar von Zweck die Rede,<br />

"was ist aber die Bewertung von Zwecken anderes als eine Bedarfsprüfung?", Winter,<br />

Grundprobleme, 1993, S. 45.<br />

119 Winter, Grundprobleme, 1993, S. 43f.; dies wäre auch EG-rechtlich nicht zulässig, vgl.<br />

auch Führ, DVBl. 1991, S. 565; Jarass, NuR 1991, S. 54.<br />

120 Winter, KJ 1992, S. 389.<br />

121 Vgl. Winter, KJ 1992; Rehbinder, Rechtsprobleme, 1994, S. 26f.<br />

122 Zur Kritik des latenten Konservativismus der 'Sozialverträglichkeit' vgl. Daele, PVS<br />

1993.<br />

341


ten wären und dementsprechend auf beiden Seiten in die Waagschalen gelegt<br />

werden könnten. 123<br />

Ob man allerdings in einem rechtlichen Verfahren neben dem generellen Wert<br />

der Freiheit überhaupt weitere Kriterien in die positive Waagschale legen will, hat<br />

auch etwas damit zu tun, inwieweit dem Verfahren eine planerische Komponente<br />

und im positiven Sinne marktgestaltende Wirkung zugemessen werden soll. 124<br />

Andernfalls könnte man die genannten Kriterien nur im Sinne 'fehlenden Bedarfs'<br />

und 'sozialer Unverträglichkeit' in negativer Hinsicht berücksichtigen.<br />

Problematischer als diese Frage ist allerdings, daß sich eine Sozialverträglichkeitsprüfung<br />

rechtlich nur schwer programmieren läßt. Das gleiche gilt im<br />

Prinzip auch für die Bedarfsprüfung, soweit diese nicht nur, wie etwa im 'Paraquat-Urteil'<br />

125 , technisch sehr ähnliche Lösungsalternativen - z.B. mehrere gleichermaßen<br />

taugliche Beikrautregulierungsmittel (Herbizide) - beurteilt, sondern<br />

ein breiteres Spektrum von sozio-technischen Alternativen - z.B. auch Maßnahmen<br />

der mechanischen Beikrautkontrolle oder Methoden des ökologischen Landbaus<br />

- zum Vergleich heranziehen würde.<br />

Dabei könnte zwar dem geläufigen Argument begegnet werden, daß die Verwendung<br />

eines Produktes zum Zeitpunkt seiner Genehmigung noch nicht absehbar<br />

ist. 126 Denn wechselnden Verwendungszwecken kann mit dem sowohl in der<br />

Freisetzungs-Richtlinie 127 vorfindlichen wie auch in anderen Produktbereichen<br />

gebräuchlichen Rechtsinstrument der Indikationsbeschränkung begegnet werden.<br />

Wenn ein neuer Verwendungsbereich eröffnet werden soll, muß eine neue Genehmigung<br />

beantragt werden.<br />

123 Das gleiche gilt im übrigen auch für das Kriterium der 'Umweltverträglichkeit'. Nur wenn<br />

man den gegenwärtigen Zustand der Umwelt oder eine imaginäre natürliche Umwelt als<br />

unbedingt erhaltenswert ansieht, ist es sinnvoll, von 'Umweltverträglichkeit' zu sprechen.<br />

Ansonsten müßte man auch hier von 'Förderlichkeit' und 'Schädlichkeit' sprechen. Ein<br />

Beispiel für Umweltförderlichkeit wäre die mitteleuropäische Landwirtschaft bis ins 19.<br />

Jahrhundert: Sie hat durch die Gliederung und Gestaltung des Naturraums den Artenreichtum<br />

erhöht und nicht - wie heute - reduziert.<br />

124 Beispiel für eine planerisch sehr stark eingreifende Produktregelung ist das deutsche<br />

Saatgutverkehrsgesetz. Dort wird u.a. der 'landeskulturelle Wert' einer Neuzüchtung geprüft.<br />

Nur Pflanzen, die in der Summe ihrer Eigenschaften besser sind als alle bisherigen<br />

Sorten, können danach zugelassen werden. In der Praxis scheitern daher 92 - 94 Prozent<br />

aller Zulassungsanträge für neue Pflanzensorten (Steinberger, Rechtsprobleme, 1994, S.<br />

107).<br />

125 BVerwG, Bd. 81 (1990), S. 12ff.; vgl. Rehbinder, Rechtsprobleme, 1994, S. 37ff.<br />

126 Vgl. Stemerding/Jelsma, ÖZS 1995.<br />

127 90/220/EWG, Art.11, Abs. 4.<br />

342


Das Österreichische Gentechnikgesetz bietet ein Beispiel für eine Sozialverträglichkeitsklausel.<br />

Danach wird der Bundesregierung ermöglicht, durch Rechtsverordnung<br />

das Inverkehrbringen von GVO zu untersagen, wenn:<br />

- schwerwiegende negative Auswirkungen wirtschaftlicher oder sonstiger ethischer<br />

Natur eintreten,<br />

- diese Auswirkungen gerade durch das gewerbsmäßige Inverkehrbringen des<br />

betreffenden GVO verursacht werden,<br />

- eine große Gruppe potentiell Betroffener vorhanden ist,<br />

- die Auswirkungen für die Betroffenen unter volkswirtschaftlichen, sozialen<br />

oder sittlichen Aspekten objektiv unzumutbar sind. 128<br />

Das hohe Maß an Unbestimmtheit der österreichischen Sozialklausel wird aber<br />

auch als Verstoß gegen das Legalitätsprinzip kritisiert. 129<br />

Zu bemerken ist außerdem, daß es sich hier um eine reine Kann-Bestimmung<br />

handelt. Bisher wurde von ihr noch kein Gebrauch gemacht. 130 Insofern ist vielleicht<br />

auch die in Österreich verbreitete Einschätzung zutreffend, daß es sich um<br />

eine mehr symbolisch gemeinte Geste zur Beschwichtigung der Opposition gegen<br />

die Gentechnik handelt bzw. eine Notfalloption für die Regierung, falls Proteste<br />

gegen ein in der EG zugelassenes Produkt zu stark würden. 131 Eine tatsächlich<br />

stattfindende Prüfung der Sozialverträglichkeit müßte dagegen den absehbaren<br />

und in der sozialwissenschaftlichen Literatur in jüngerer Zeit auch überwiegenden<br />

Einwänden 132 von vornherein begegnen. Rechtlich gewendet lassen sich diese<br />

dahingehend zusammenfassen, daß das Kriterium der Sozialverträglichkeit nicht<br />

hinreichend objektivierbar ist, die Verwaltungen (oder nachfolgend die Gerichte)<br />

aber nicht ausreichend legitimiert sind, ein entsprechendes politisches Werturteil<br />

zu fällen. 133<br />

128 Waldhäusl, Soziale, 1994, S. 17.<br />

129 Waldhäusl, Soziale, 1994, S. 20. Das würde in Deutschland einem Verstoß gegen Art. 80<br />

GG entsprechen.<br />

130 Inwieweit ihr Gebrauch mit den Bestimmungen des Gemeinsamen Marktes (also Art.<br />

100a EWG-Vertrag) kollidieren könnte, braucht hier nicht diskutiert zu werden, weil die<br />

Sozialverträglichkeitsprüfung auch im Rahmen einer supranationalen Produktzulassung<br />

auf EG-Ebene stattfinden könnte (vgl. zur Frage weitergehender Bestimmungen auf nationaler<br />

Ebene aber das ebenfalls aus Österreich stammende instruktive Gutachten von<br />

Nentwich, Spielräume, 1993).<br />

131 Vgl. Torgersen/Seifert, Sozialverträglichkeit, 1996.<br />

132 Vgl. Daele, PVS 1993; Renn, ÖZS 1994; Tichy, ÖZS 1994.<br />

133 So trifft es zu, daß die österreichische Sozialverträglichkeitsklausel eine Fülle unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe beinhaltet. Zwar handelt es sich um Begriffe, die durchaus in verschiedenen<br />

Rechtsbereichen auch verwandt werden und konkretisierbar sind. Das Unbestimmtheitsargument<br />

ist aber trotzdem nicht leicht von der Hand zu weisen, da eine Einzelfallentscheidung<br />

ausgesprochen schwierig sein dürfte. Einer Gruppe potentiell Betrof-<br />

343


Dieser Mangel wäre mit der oben erörterten Öffentlichkeitsbeteiligung zwar zu<br />

mildern, aber kaum zu heilen. Denn die Öffentlichkeitsbeteiligung bedeutet nur<br />

eine Erweiterung der Entscheidungsgrundlage; die Entscheidung selbst wird aber<br />

letztlich von einem Organ der Exekutive getroffen. Eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis<br />

erscheint hier auch nicht denkbar, weil es sich immer um eine<br />

'Präsenzöffentlichkeit' handeln wird, die sich in aller Regel aus besonders stark<br />

interessierten Bürgern zusammensetzen, aber kaum einen repräsentativen Querschnitt<br />

durch die Gesellschaft darstellen wird. Die Ergebnisse der Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

müßten deshalb in ein legitimiertes Entscheidungsverfahren einbezogen<br />

werden. Hier besteht weiterer Forschungsbedarf, wie ein sinnvoller Abwägungs-<br />

und Entscheidungsprozeß - im Rahmen bestehender oder neuer demokratischer<br />

Verfahren - etabliert werden könnte.<br />

10.3.2.3. Informativere Kennzeichnung der Produkte<br />

Ganz unabhängig von der Frage, ob die Produkte möglicherweise gefährlich sind<br />

oder nicht, ermöglicht eine Kennzeichnung der Produkte dem einzelnen Bürger,<br />

seinem kulturellen Unbehagen und seinen kulturellen Vorlieben Rechnung zu<br />

tragen. Darüber hinaus kann der Konsument über den Kaufakt auch politisch tätig<br />

werden. Die implizit politische Abstimmung am Markt scheint prima facie gegenüber<br />

allen explizit politischen Abstimmungsverfahren einige Vorteile zu bieten:<br />

Sie findet, je nach Dauerhaftigkeit der Waren, häufig und teilweise täglich<br />

statt - anders als die Mandatsträger können die Hersteller praktisch ständig zur<br />

Verantwortung gezogen werden. Kennzeichnung könnte in diesem Sinne als<br />

neue, quasi-politische Institution angesehen werden, die der Dezentralisierung<br />

und Pluralisierung in der Gesellschaft Rechnung trägt. Mit ihr könnte der einzelne<br />

Bürger marktgestaltende Macht erhalten bzw. angesichts der immer länger werdenden<br />

Vermittlungsketten vom Rohstofferzeuger zum Endverbraucher zurückgewinnen.<br />

Dem gegenwärtigen Übergewicht der Marktgestaltung durch die Anbieter<br />

würde der Einfluß einer informierteren Nachfrage entgegengesetzt.<br />

Es wäre also denkbar, daß die entsprechenden Waren, so wie heute schon die<br />

Arzneimittel mit einem 'Waschzettel', mit einer kleinen Informationsbroschüre<br />

geliefert werden. Aber anders als bei der Arzneimittelinformation, deren Text aus<br />

guten Gründen Genehmigungsgegenstand ist, 134 könnten hier der Hersteller und<br />

bei der EG entsprechend akkreditierte Verbände das Recht erhalten, in der Profener<br />

wird in aller Regel auch eine Gruppe Begünstigter gegenüberstehen (z.B. kleinere<br />

Landwirtschaftsbetriebe gegen Agrarindustrie), oder ein unter ethischen Aspekten problematisches<br />

Produkt könnte volkswirtschaftlich sinnvoll sein etc.<br />

134 Vgl. Zacharias, Arzneimittelzulassung, 1986.<br />

344


duktinformation ihre Sicht der sozialen und ökologischen Vor- und Nachteile des<br />

Produkts, seiner Entstehung und seiner Verwendung darzulegen.<br />

345


346


Kapitel 11: Gesellschaftstheoretische Verortung - Ungewißheitsbasierte<br />

Regulierung im Prozeß 'reflexiver Modernisierung'<br />

Was bedeutet es nun soziologisch, wenn sich der Umgang mit Ungewißheit in der<br />

Gesellschaft verändert? Ungewißheit über die Zukunft gab es schon immer, und<br />

in früheren Kulturen gab es auch Institutionen wie das Orakel, die Vorsehung<br />

Gottes etc., um die Ungewißheit ins Diesseits einzubinden und erträglich zu machen.<br />

Erst die säkulare Moderne gründete ihre Orientierung ganz auf positives<br />

und (vermeintlich) metaphysikfreies Wissen. Mit dem Fortschritt der (Natur-)Wissenschaften<br />

war im 19. Jahrhundert sogar die Hoffnung verbunden, alles<br />

wissen und daher auch vollständig und rational beherrschen zu können. 1 Mit dem<br />

Stolz über das Gewußte und Beherrschte und im Vertrauen, daß das bald zu Wissende<br />

auch beherrschbar sein werde, wurden die Konsequenzen des Nicht-<br />

Wissens ignoriert. 2 Noch in der Rede vom 'Restrisiko' scheint diese Haltung auf,<br />

wenn auch in abgeschwächter Form: Erstmals wird (wieder) eingeräumt, daß das<br />

noch nicht Gewußte negative Konsequenzen bergen könnte, wenn diese auch -<br />

nach dem Stand des gegenwärtigen Wissens eben - als extrem unwahrscheinlich<br />

anzusehen und daher praktisch zu vernachlässigen seien.<br />

Dagegen haben wir in unserer Untersuchung aufgezeigt, daß es sich beim deutschen<br />

(und europäischen) Gentechnikrecht teilweise um eine ungewißheitsbasierte<br />

Regulierung handelt (vgl. Kap. 8). Die Einbeziehung von Ungewißheit ist<br />

dabei kein singuläres Merkmal des Gentechnikrechts, sondern findet sich auch in<br />

anderen Bereichen der Umweltpolitik und des Umweltrechts. 3 Es handelt sich<br />

aber bei den entsprechenden Regelungen des Gentechnikrechts um die bisher<br />

weitestreichende Entwicklung in diese Richtung. Zum ersten Mal wurde eine<br />

Regulierung in Kraft gesetzt, bevor die Technik breiter eingeführt und bevor einschlägige<br />

Schadwirkungen bekannt geworden waren (vgl. Kap. 2 und 3).<br />

Dieser Punkt soll im folgenden noch etwas genauer erläutert werden, bevor wir<br />

näher auf die Theorie 'reflexiver Modernisierung' eingehen, die uns zur soziologi-<br />

1 So behauptet z.B. der deutsche Naturforscher, Arzt und Politiker Rudolf Virchow: "Wäre<br />

die Biologie fertig, kennten wir die Lebensgesetze und die Bedingungen ihrer Manifestation<br />

genau, wüssten wir bestimmt die Folgen jedes Wechsels dieser Bedingungen, so würden<br />

wir eine rationelle Therapie haben und die Einheit der medicinischen Wissenschaft<br />

würde hergestellt sein." (Herv. i. Orig.; Virchow, Einheitsbestrebungen, 1856, S. 33).<br />

2 "Ignoramus" - 'Wir wissen es nicht' sagten die Naturforscher stolz und fordern damit auf,<br />

sich ganz am positiv Wißbaren zu orientieren (vgl. z.B. Du Bois-Reymond, Grenzen, 1872,<br />

S. 41).<br />

3 Vgl. z.B. Prittwitz, Katastrophenparadox, 1990; Ladeur, Umweltrecht, 1995; O'Riordan/Cameron,<br />

Interpreting, 1994.<br />

346


schen Interpretation unserer Ergebnisse als besonders spezifisch und aufschlußreich<br />

erscheint. Wir wollen dann prüfen, inwieweit sich Phänomene reflexiver<br />

Modernisierung in unserer Untersuchung gezeigt haben, und umgekehrt fragen,<br />

welche Präzisierungsvorschläge sich für diese im ganzen noch recht junge und im<br />

Detail wenig durchformulierte Theorie anhand unseres empirischen Materials 4<br />

ergeben. Damit soll zugleich ein Ausblick in Form einer gesellschaftstheoretischen<br />

Gegenwartsdiagnose versucht werden.<br />

11.1. Zur allgemeineren Einbeziehung von Ungewißheit im Umweltrecht<br />

Wie oben angedeutet, ist die Einbeziehung von Ungewißheit, also der zeitlichen<br />

Dimension, keine ganz neuartige Entwicklung. Schon das ältere Umweltrecht<br />

hatte die Entwicklungsdynamik der Technik antizipiert, indem es z.B. den unbestimmten<br />

Rechtsbegriff 'Stand der Technik' verwendete. 5 Gemeint war damit, daß<br />

eine Anlage so sicher und emissionsarm auszulegen war, wie es die Technik zum<br />

jeweiligen Zeitpunkt der Betrachtung eben erlaubte. Mit der Einführung des<br />

Rechtsbegriffs 'Stand der Wissenschaft' waren dann auch solche Folgen zu berücksichtigen,<br />

die wissenschaftlich zum jeweiligen Zeitpunkt schon bekannt, aber<br />

technisch (noch) nicht zu beherrschen waren.<br />

Das Konzept der Grenzwerte impliziert eine andere Dimension von Ungewißheit.<br />

Zum einen ist in qualitativer Hinsicht oft nicht nachprüfbar, ob ein bestimmter<br />

Stoff die im Labor nachweisbaren oder in Modellrechnungen postulierten<br />

Schadwirkungen auch in realen, d.h. komplexeren Umwelten entfaltet.<br />

Zum anderen ist in quantitativer Hinsicht meist umstritten, ob es die mit dem<br />

Grenzwertkonzept korrespondierenden 'Schadschwellen' überhaupt gibt, wie hoch<br />

sie gegebenenfalls anzusetzen sind und welcher 'Sicherheitsabstand' eingehalten<br />

werden soll. 6<br />

Auch wenn mit der Entwicklung der Wissenschaft eventuell ein besserer<br />

Kenntnisstand zu erreichen ist, so stößt man doch an prinzipielle Grenzen der<br />

Erkenntnis. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Laborversuchen und Computersimulationen<br />

auf reale Umwelten wird immer umstritten bleiben, weil bei<br />

letzterer die intervenierenden Variablen weder a priori bekannt noch vollständig<br />

berechenbar sind, u.a. auch deshalb, weil sie von menschlichen Entscheidungen<br />

beeinflußt werden. Umgekehrt sind die 'Realexperimente', d.h. die Einflüsse<br />

4 Zum 'empirischen Material' zählen in dieser Perspektive auch die einschlägigen Rechtsvorschriften.<br />

5 Vgl. z.B. Wolf, Stand, 1986.<br />

6 Vgl. Winter, Grenzwerte, 1986; Daele, Soziologische, 1996.<br />

347


menschlicher Einwirkungen in der Umwelt, nur schwer auszuwerten, weil sie<br />

nicht - wie im Labor und in der Simulation - unter bekannten und festgelegten<br />

Randbedingungen stattfinden. Zugleich verbietet sich weiterer Erkenntnisgewinn<br />

zum Teil auch aus moralischen Gründen. 7<br />

Mit der Schritt-für-Schritt-Regelung, die sich erstmals im Arzneimittelgesetz<br />

von 1976 findet, wurde nicht nur auf das bereits vorhandene Risikowissen zurückgegriffen,<br />

sondern dieses mußte nun vom Antragsteller selbst aktiv generiert<br />

werden. Dabei ist aber im Arzneimittelrecht der Prüfhorizont noch relativ klar,<br />

nämlich auf der Basis von Erfahrungen mit bisherigen Unverträglichkeitsreaktionen,<br />

definiert. Das Gentechnikrecht operiert demgegenüber mit<br />

einem in normativer Hinsicht erweiterten und in kognitiver Hinsicht weitgehend<br />

offenen Suchhorizont. Zum einen werden nicht nur Schäden für die menschliche<br />

Gesundheit, sondern auch Schäden an Tieren, Pflanzen und der übrigen Natur 'in<br />

ihrem Wirkungsgefüge' einbezogen. Zum zweiten wird ein sehr breites Spektrum<br />

theoretisch denkbarer Schadwirkungen in Betracht gezogen. 8<br />

Im Rahmen des Schritt-für-Schritt-Prinzips bei der Freisetzung transgener Organismen<br />

sind also die beiden oben angesprochenen Probleme potenziert. Die<br />

Anpassung an die Zeitabhängigkeit der Erkenntnis, wie sie schon mit dem<br />

Rechtsbegriff 'Stand der Wissenschaft' eingeführt wurde, wird noch überboten<br />

durch die proaktive Suche nach neuem Wissen. Zugleich stellt sich das schon von<br />

der Grenzwertediskussion bekannte Problem der Zuverlässigkeit von Laborversuchen<br />

und der mangelnden Schlüssigkeit von 'Realexperimenten'. Bei den jeweiligen<br />

'Schritten' vom Labor bis zur Vermarktung läßt sich also schwer sagen, ob<br />

deren Ergebnisse auch auf den nächsten Schritt - in eine komplexere Umwelt -<br />

übertragbar sind, 9 so wie umgekehrt in den von Schritt zu Schritt komplexer werdenden<br />

Umwelten ein Zusammenhang zwischen den transgenen Eigenschaften<br />

des Organismus und den hier auftretenden Phänomenen schwerer nachweisbar ist.<br />

Ein Vorgriff auf die Zukunft findet sich schließlich auch im 1990 verabschiedeten<br />

Umwelthaftungsgesetz. Darin ist festgelegt, daß die Betreiber von<br />

7 Wenn z.B. die Übertragbarkeit der Ergebnisse von Tierversuchen auf Menschen in Frage<br />

steht, kann man vielleicht bessere Testsysteme entwickeln, aber man darf die Versuche<br />

nicht an Menschen durchführen. Ebenso verbieten sich manche Realexperimente gegebenenfalls<br />

auch bei Strafe des Untergangs, wenn z.B. versucht würde, die Grenzen der Tragefähigkeit<br />

(carrying capacities) von umfassenderen Ökosystemen auszutesten.<br />

8 Vgl. dazu aber auch die Bemerkungen in Kap. 1, Fn. 8.<br />

9 Das gilt grundsätzlich in beiden Richtungen: Ein Nicht-Ergebnis ('keine unerwarteten<br />

Nebenwirkungen') ist nicht auf komplexere Zusammenhänge übertragbar. Ein Ergebnis, also<br />

das Auftreten einer bisher unerwarteten Nebenwirkung, dürfte in der Regel als Hinweis<br />

zu nehmen sein, daß dieses Ereignis auch in komplexeren Umwelten auftreten kann, es sei<br />

denn, daß es unter besonders künstlichen Randbedingungen im Labor - z.B. bei einem<br />

'worst case'-Experiment der Sicherheitsforschung - provoziert wurde.<br />

348


Anlagen im Nachhinein auch für sogenannte Entwicklungsrisiken haften, also für<br />

Schadwirkungen, die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung noch nicht bekannt waren. 10<br />

Auch unvermeidbares Nicht-Wissen schützt also nicht mehr vor Haftung (wohl<br />

aber vor Strafe).<br />

Es zeigt sich also, daß das Gentechnikrecht in eine breitere Entwicklung eingebettet<br />

ist, die man als 'Vorverlegung der Folgenerkenntnis' bezeichnen könnte.<br />

11 Wenn man Genese und Vollzug des Rechts nun nicht als isolierten Bereich,<br />

sondern als Ausdruck gesellschaftlicher Normenentwicklung betrachtet, dann<br />

stellt sich auch die Frage, wie diese insgesamt, also gesellschaftstheoretisch, zu<br />

verorten ist.<br />

11.2. Grundlegende Anknüpfungspunkte in der Theorie reflexiver Modernisierung<br />

Zwei Dynamiken stehen im Zentrum der vor allem von Ulrich Beck formulierten<br />

Theorie oder Theorieskizze 12 'reflexiver Modernisierung': Die Individualisierung<br />

und die Konflikte der 'Risikogesellschaft'. 13<br />

Individualisierung meint dabei nicht, wie gelegentlich kulturpessimistisch interpretiert<br />

wird, eine zunehmende Isolierung der Gesellschaftsmitglieder. Behauptet<br />

wird vielmehr, daß die Biographie der Individuen immer weniger durch deren<br />

dauerhafte Positionierung in gesellschaftlichen Gruppen - z.B. sozialen Klassen<br />

und Familien - geprägt wird, sondern durch individuell im Lebenslauf zu treffende<br />

Entscheidungen. 14<br />

10 Vgl. oben, Kap. 6.2.2.<br />

11 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994.<br />

12 So konstatiert Beck selbst: "[Die] Unterscheidung einer ersten, einfachen, industriellen von<br />

einer zweiten, reflexiven, globalen Moderne ist nicht nur mit allen Vorläufigkeiten eines<br />

hypothetischen Entwurfs behaftet; es handelt sich zunächst um eine Theorieskizze, deren<br />

empirische, historische und methodische Ausarbeitung und Überprüfung - von einigen Aspekten<br />

und Studien abgesehen - noch ausstehen" (Beck, Zeitalter, 1996, S. 67f.).<br />

13 Beck, Risikogesellschaft, 1986; Beck, Gegengifte, 1988; Beck, Erfindung, 1993; Beck,<br />

Zeitalter, 1996; Beck, Wissen, 1996; vgl. auch Lau, Soziale Welt 1989; Bonß, Risiko,<br />

1995.<br />

14 Das bedeutet allerdings nicht die Aufhebung sozialer Ungleichheit: "Reflexive Modernisierung<br />

löst die kulturellen Voraussetzungen sozialer Klassen auf und ab durch Formen der<br />

Individualisierung sozialer Ungleichheit. ... Das Verschwinden sozialer Klassen und die<br />

Aufhebung sozialer Ungleichheit fallen nicht mehr zusammen. Das Verschwimmen der sozialen<br />

(Wahrnehmungs-)Klassen geht vielmehr einher mit einer Verschärfung sozialer Ungleichheit,<br />

die nun nicht mehr in lebenslang lebensweltlich identifizierbaren Großlagen verläuft,<br />

sondern (lebens-)zeitlich, räumlich und sozial zersplittert werden" (Herv. i. Orig.;<br />

349


'Risikogesellschaft' meint, Beck zufolge, einen Zustand, in dem die bis dahin<br />

ungesehenen Nebenfolgen der Modernisierung nicht oder zumindest nicht mehr<br />

mit den alten Sicherungsinstitutionen beherrscht werden können und daher verstärkt<br />

thematisiert werden. Beck illustriert dieses Problem zumeist an ökologischen<br />

Nebenfolgen, hat aber auch andere Risiken moderner Gesellschaften im<br />

Blick. 15 Während die 'alten Risiken' vor allem durch die Institution des Versicherungswesen<br />

abgefangen worden seien, zeichneten sich 'neue Risiken' dadurch<br />

aus, daß sie nicht mehr versicherbar seien. 16 Risikokonflikte spalteten die<br />

Gesellschaft entlang anderer Linien als die klassischen Verteilungskonflikte, wie<br />

sie für die 'Industriemoderne' kennzeichnend waren. Während sich letztere klassenförmig<br />

organisieren ließen, sind bei Risikokonflikten immer wieder andere<br />

Bevölkerungsgruppen und eben auch die Entscheidungsbefugten selbst in ihrem<br />

Privatleben betroffen. 17 Zudem ist die Risikowahrnehmung stark von der wissenschaftlichen<br />

Diskussion geprägt, die in ihrem Tenor - zwischen Alarmierung und<br />

Beruhigung - ständig wechselt. 18 Entsprechend ließe sich in Risikokonflikten die<br />

Willensvermittlung nicht nach dem von Verteilungskonflikten bekannten Muster<br />

dauerhaft durch intermediäre Verbände organisieren. 19 Man beobachtet stattdessen<br />

unerwartet aufbrechende und kaleidoskopartig changierende Konfliktlinien. 20<br />

Die Risikovergesellschaftung gründet auf der schon für die Moderne - namentlich<br />

von Max Weber - konstatierten, aber nun kulminierenden Tendenz zur Rationalisierung<br />

von Entscheidungen: Mehr Wissen, mehr Technik, erweiterte wirtschaftliche<br />

Handlungsspielräume, gesteigerte Handlungskapazitäten der Verwaltung<br />

und die Auflösung überkommener kultureller Imperative bergen nicht nur<br />

mehr Gestaltungschancen und Gestaltungszwänge, sondern zugleich auch die<br />

Beck, Zeitalter, 1996, S. 45f.; vgl. zur Individualisierung allgemeiner Beck/Beck-Gernsheim,<br />

Riskante, 1994).<br />

15 "Dieser Begriff [Risikogesellschaft] bezeichnet eine Entwicklungsphase der modernen<br />

Gesellschaft, in der die durch die Neuerungsdynamik hervorgerufenen sozialen, politischen,<br />

ökologischen und individuellen Risiken sich zunehmend den Kontroll- und Sicherungsinstitutionen<br />

der Industriegesellschaft entziehen" (Beck, Erfindung, 1993, S. 35).<br />

16 Beck, Erfindung, 1993, S. 40ff.<br />

17 Heine/Mautz, Öffnung, 1995; Schülein et al., Manager, 1994; Beck, Risikogesellschaft,<br />

1986.<br />

18 Vgl. Nunner-Winkler, Enttraditionalisierungsprozeß, 1991.<br />

19 Lau, Soziale Welt 1989, S. 426ff.; ähnlich Neidhardt/Rucht, Soziale Welt 1993, S. 321f.<br />

Für die Verbesserung des Umweltschutzes gibt es - entsprechenden Umfragen zufolge -<br />

zwar eine breite Unterstützung in der Bevölkerung, die aber bisher noch nicht in dauerhafte<br />

Organisationsbereitschaft in intermediären Organisationen (z.B. Mitgliedschaft in<br />

Umweltverbänden) transformiert werden konnte (vgl. Weßels, KfZSS 1991, der aus den<br />

Daten allerdings eine Tendenz zur zunehmenden Organisierung herausliest).<br />

20 Vgl. Luhmann, Forschungsjournal NSB 1994; vgl. Luhmann, Soziologie, 1991, S. 135ff.<br />

350


Notwendigkeit, die entsprechenden Entscheidungen intern und öffentlich zu begründen.<br />

In der 'einfachen, linearen Industriemoderne' - so nennt Beck in Abgrenzung<br />

zur allmählich anbrechenden 'reflexiven Moderne' die Vorzeit - gab es noch genug<br />

Traditionsbestände, auf die die 'einfache, lineare Modernisierung' zurückgreifen<br />

konnte. Traditionsbestände sicherten als 'hergestellte Fraglosigkeit' 21 die<br />

weitgehend klaglose Akzeptanz des zum Teil durchaus gewalttätigen 22 Modernisierungsprozesses.<br />

Aber diese Traditionsbestände werden zunehmend aufgezehrt.<br />

Reflexive Modernisierung setzt sich dann nicht mittels der revolutionären, gewaltsamen,<br />

gleichsam von außen kommenden Einführung anderer Vergesellschaftungsprinzipien<br />

durch, sondern infolge der konsequenten und gesteigerten<br />

Anwendung moderner Imperative: Mehr Wissen, mehr Recht, mehr Freiheit,<br />

mehr Industrie, mehr Handel, mehr Erwerbsarbeit etc. Aber indem diese Steigerungen<br />

vollzogen werden, beginnen sie, sich selbst oder sich gegenseitig zu blockieren.<br />

Mehr Verkehr, um ein besonders anschauliches Beispiel zu wählen, führt<br />

zu mehr Stau, oder, wenn die Verkehrsnetze entsprechend ausgebaut werden, zur<br />

Entwertung zentrumsnaher Siedlungsflächen und zur Zerstörung von Naherholungsräumen<br />

mit der Folge, daß wiederum das Verkehrsaufkommen zunimmt.<br />

Diesen Prozeß der Selbstkonfrontation wollen wir mit Beck als 'Reflexivität'<br />

bezeichnen. 23 Er vollzieht sich zunächst unbewußt und ungewollt, also gleichsam<br />

reflexartig, und stellt die notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung dar,<br />

daß die materiellen Konflikte in einem zweiten Schritt im Sinne von gesellschaftlicher<br />

'Reflexion' öffentlich bewußt gemacht und eventuell auch im Sinne der<br />

(Selbst-)Beschränkung der Akteure bearbeitet werden.<br />

11.3. Allgemeines Entwicklungsmodell für den Prozeß der reflexiven Modernisierung<br />

bei Umweltrisiken 24<br />

Der Prozeß der Selbstkonfrontation kann auch am Beispiel der durch Wissenschaft<br />

und Technik induzierten Risiken gezeigt werden. Allerdings läßt er sich<br />

21 Kulturbestände werden also nicht als vormoderne Relikte begriffen, sondern als 'Erfindung<br />

von Tradition', wie sie zum Beispiel mit der Definition der 'Hausfrau und Mutter'-Rolle in<br />

der bürgerlichen Familie im 18. und 19. Jahrhundert einsetzte (vgl. Beck, Erfindung, 1993,<br />

S. 136ff.).<br />

22 Zur Kritik der euphemistischen Rhetorik vor allem in den älteren Versionen der Modernisierungstheorie<br />

vgl. Wehling, Moderne, 1992.<br />

23 Beck, Erfindung, 1993, S. 36ff.<br />

24 Im folgenden handelt es sich, soweit nicht anders angegeben, um eigene Überlegungen<br />

zum Prozeß reflexiver Modernisierung.<br />

351


unserer Ansicht nach nicht auf die Gegenwart beschränken. 'Reflexivität' und<br />

'Reflexion' sind hier, wie die Umweltgeschichte lehrt, bereits im 19. Jahrhundert<br />

zu beobachten, wenn auch in anderen, nämlich zunächst kleinräumigeren und<br />

einzelfallbezogenen Formen. Die Theorie reflexiver Modernisierung gilt also,<br />

wenn auch in beschränkter Form, retrospektiv.<br />

Wir werden dazu im folgenden ein dreistufiges Modell entwickeln (vgl. Schaubild<br />

1, S. 359). Die Bezeichnung 'Stufe' ist dabei modelltheoretisch und idealtypisch<br />

gemeint. Mit 'Stufen' sollen dabei qualitativ unterschiedene Reaktionsweisen<br />

bezeichnet werden und nicht 'Phasen' im Sinne strenger historischer<br />

Periodisierung. Wir behaupten zwar eine entwicklungstheoretische Abfolge dieser<br />

'Stufen', gehen aber davon aus, daß diese Stufen empirisch besehen oftmals<br />

gleichzeitig existieren, auch innerhalb der Stufen verschieden hohe Verwirklichungsgrade<br />

des jeweiligen Reflexionsprinzips erreicht werden können, und Regressionen<br />

selbstverständlich nicht ausgeschlossen sind.<br />

11.3.1. Stufe 1: Reflexion von Nahfolgen<br />

Schon bei früheren Industrialisierungsschüben kam es örtlich zu erheblichen, die<br />

heutigen Aversionsschwellen weit übersteigenden lokalen Belastungen mit Industriegiften.<br />

25 Damit waren nicht nur Wohlbefinden und Gesundheit der Anwohner<br />

bedroht, auch andere wirtschaftliche Nutzungen des Gebiets wurden<br />

massiv beeinträchtigt. Man kann also schon hier von einer reflexartigen Selbstkonfrontation,<br />

von 'Reflexivität', sprechen.<br />

Allerdings - und hier kommen die oben erwähnten, in der Industriemoderne<br />

hergestellten Traditionsbestände ins Spiel - wurden 'rauchende Schlote' vielfach<br />

als Signum des Fortschritts angesehen. "Wo ein Schornstein rauchte und nun<br />

tausend Schlote von nützlicher Arbeit zeugen, ist ein schlechthin gültiger Fortschritt<br />

vollzogen, durch den die Welt besser und wertvoller geworden ist", be-<br />

25 Vgl. z.B. Wolf, Stand, 1986, S. 31ff. (zur Geschichte des Umweltrechts); Radkau, Umweltgeschichte,<br />

1994; Morone/Woodhouse, Averting, 1986, S. 14ff. Lokale Umweltkatastrophen,<br />

bis hin zur Selbstvernichtung ganzer Kulturen, gab es im übrigen auch schon in<br />

vormodernen Zeiten. So ist die von der Bibel überlieferte Sintflut wahrscheinlich als eine<br />

menschlich verursachte Umweltkatastrophe zu deuten. Die Bauern in Mesopotamien düngten<br />

die Felder nicht mit Tierdung, sondern mit dem Schlamm von Euphrat und Tigris, der<br />

über ein kompliziertes Bewässerungssystem auf die Felder geleitet wurde. Durch Rodung<br />

und Überweidung lockerte sich im Bergland der Boden, und mit den Jahren wurden immer<br />

mehr Sedimente in den Flußniederungen angespült, eine Entwicklung, die wegen ihrer<br />

Düngewirkung nicht nur begrüßt, sondern auch gezielt befördert wurde. Etwa 2500 v.<br />

Chr. muß es dann auf einmal sehr schnell gegangen sein: Starke Regenfälle ließen ganze<br />

Hänge abrutschen und spülten sie über das Zweistromland; die Stadt Ur wurde von einer<br />

drei Meter dicken Lehmschicht begraben (Seymour/Girardet, Fern, 1985, S. 41ff.).<br />

352


schrieb der Soziologe Hugo Münsterberg 1908 die Sicht seiner Zeit. 26 Die belasteten<br />

Regionen wurden - vor allem durch paternalistische Unternehmensphilosophien<br />

27 - zu Schicksalsgemeinschaften 'zusammengeschmiedet'. Entsprechend<br />

wurden die damals sinnlich noch leicht faßlichen Belastungen soweit wie<br />

möglich ignoriert und verdrängt oder im Sinne der Loyalitätsformel 'Dreck gegen<br />

Arbeit' als unvermeidliches Schicksal hingenommen. Diese Wirkungen des Fortschrittskonsenses<br />

lassen sich, wenn auch in schwindendem Maße, in einigen<br />

Industrieregionen bis auf den heutigen Tag beobachten. 28<br />

Doch die Einbindung gelang, jedenfalls in einigen Fällen, nur soweit, als die<br />

Betroffenen auch mehr oder weniger direkt von den jeweiligen Industrieanlagen<br />

profitierten. Auch hier gibt es frühe Gegenbeispiele: Infolge des Einsatzes neuer<br />

Technologien bei den fiskalisch (staatlich) betriebenen Silberverhüttungswerken<br />

und damit einhergehender zunehmender Immissionen kam es z.B. in Sachsen<br />

Mitte des 19. Jahrhunderts zu Protesten seitens der umliegenden Land- und Forstwirtschaft.<br />

Die Hüttenrauchschäden wurden zum Gegenstand eines Gutachterstreits,<br />

in dem zum ersten Mal in Deutschland Experten verschiedener Fachrichtungen,<br />

nämlich des Bergwesens und der Land- und Forstwirtschaft, gegeneinander<br />

antraten. Schon damals haben Wissenschaftler interessen- oder fachbedingt<br />

unterschiedliche Ausschnitte der Wirklichkeit wahrgenommen.<br />

Aufgrund entsprechender Petitionen war die 'Hüttenrauchplage' zwischen 1850<br />

und 1870 siebenmal Beratungsgegenstand in beiden Kammern des sächsischen<br />

Landtages. Die fiskalische Forstverwaltung konnte gegen die fiskalische Hüttenverwaltung<br />

zwischenzeitlich auch die vorübergehende Schließung einer großen<br />

Anlage durchsetzen. Das Problem wurde über Entschädigungszahlungen, Grenzwertfestsetzungen<br />

für Emmissionen, Filtertechniken und letztlich durch den Bau<br />

immer höherer Schornsteine, die selbst zum kulturellen Wahrzeichen des<br />

Wohlstands wurden, 'gelöst'. Die Diskussion des beschriebenen Falls hatte aufgrund<br />

der Bedeutung der Erzverhüttung paradigmatische Ausstrahlungskraft sogar<br />

über Deutschland hinaus. 29<br />

Man kann hier also schon einen aus der heutigen Perspektive zumindest in Teilen<br />

durchaus bekannt anmutenden Prozeß der 'Reflexion' im oben definierten<br />

26 Münsterberg, H.: Philosophie der Werte, Leipzig 1908, S. 356 (zit. n. Andersen, Historische,<br />

1994, S. 87f.).<br />

27 Dazu gehören die Definition des Unternehmens als Familie, Bau von Werkssiedlungen,<br />

branchennahe Organisierung der sozialen Sicherung, Arbeitsplatzsicherheit der Stammbelegschaften,<br />

Rekrutierung neuer Arbeitskräfte aus den Familien der Belegschaftsmitglieder<br />

etc. (z.B. Kocka, Management, 1973, S. 171ff.).<br />

28 Vgl. z.B. entsprechende Presseberichte in den Lokalzeitungen zur ambivalenten Aufnahme<br />

der Störfallserie bei Hoechst bei der ortsansässigen Bevölkerung im Februar 1996.<br />

29 Andersen, Historische, 1994.<br />

353


Sinne beobachten. 30 Allerdings wurde das Problem im beschriebenen prototypischen<br />

Fall nur lokal 'gelöst', und zwar indem man es auf ein jeweils größeres<br />

Territorium verteilte, oder mithilfe von Filtertechniken in andere Umweltmedien,<br />

z.B. in den Boden oder ins Abwasser, verlagerte. Bezeichnend für diese erste<br />

Stufe ökologischer Modernisierung 31 - die weit in die heutige Zeit hinreicht -<br />

waren der regional und zeitlich 32 begrenzte Gesichtskreis, die Wahrnehmungsbeschränkung<br />

auf wirtschaftlich und sozial faßbare Umweltschäden, sowie die Abhilfe<br />

mit 'End-of-the-pipe'-Technologien 33 .<br />

11.3.2. Stufe 2: Reflexion bekannter Fernfolgen<br />

Dabei wurden schon damals die jeweiligen 'Lösungen' zum Teil immer wieder<br />

durch die Ausweitung der Produktion, also den industriellen Fortschritt eingeholt.<br />

Entsprechend schreitet der Verbrauch der Naturressourcen und die Implementierung<br />

riskanter Technologien - Reflexivität also - mehr oder weniger ungedrosselt<br />

voran. Die Wahrnehmung und Skandalisierung der damit verbundenen<br />

'Neben'-Folgen kann heute zwar kaum noch mit dem Appell an den alten Fortschrittskonsens<br />

der regional begrenzten 'Schicksalsgemeinschaften' blockiert<br />

werden. Aber es gibt immer wieder Versuche, die 'Schicksalsgemeinschaft' auf<br />

überregionaler Ebene wieder zusammenzuschweißen, wie gegenwärtig an der<br />

Debatte zum 'Industriestandort' erkennbar wird. Hier werden dann auch wieder<br />

soziale Risiken 34 gegen Umweltrisiken ausgespielt. Insofern ist auch zu konstatie-<br />

30 Wenn man Reflexivität (impact) und Reflexion (knowledge) in dieser Form unterscheidet,<br />

kann man allerdings nicht von einer quasi-objektiven 'Gegenmacht der Gefahr' (Beck, Gegengifte,<br />

1988, S. 151ff.) sprechen. Denn den sozialen Status einer 'Gegenmacht' können<br />

Gefahren nur annehmen, wenn ihre Symptome und Entstehungsprozesse gesellschaftlich<br />

wahrgenommen und reflektiert werden.<br />

31 Der Begriff 'ökologische Modernisierung' wird normalerweise für gegenwärtige Prozesse<br />

und Konzepte gebraucht (vgl. Literatur in Fn. 44 in diesem Kapitel). Er läßt sich aber unserer<br />

Ansicht nach auch retrospektiv verwenden.<br />

32 Unfälle wie die berühmten Dampfkesselexplosionen und akute Schäden wurden eher<br />

wahrgenommen als etwa langfristige Vergiftungsprozesse.<br />

33 Mit 'End-of-the-pipe' werden, im Unterschied zur integrativen Produktionstechnologie<br />

(s.u.), Umwelttechnologien bezeichnet, mit denen Abwässer, Abluft und Abfälle verdünnt<br />

oder zurückgehalten werden.<br />

34 Allerdings ist zu vermuten, daß sich für Verteilungskonflikte zukünftig im Zeichen der<br />

Globalisierung ähnlich unübersichtliche und instabile Konfliktmuster ergeben, wie sie aus<br />

Konflikten um Umweltrisiken (s.o.) bekannt sind. Denn hier stehen dann nicht mehr nur<br />

Gewerkschaften gegen Arbeitgeber, sondern Gewerkschaften in den Industrieländern gegen<br />

Gewerkschaften in ärmeren Ländern; Arbeiter in den Industrieländern werden, zumal<br />

wenn die soziale Sicherung nicht mehr durch direkte Umverteilung, sondern wie heute<br />

354


en, daß sich verschiedene Risikodiskurse, oder in der Terminologie von Beck<br />

gesprochen, Entwicklungen einfacher und reflexiver Modernisierung immer wieder<br />

gegenseitig überlagern. 35 Welche Entwicklung dabei jeweils die Oberhand<br />

gewinnt, ist nicht von vornherein absehbar, sondern abhängig vom jeweils wahrgenommenen<br />

Problemdruck, den bereitstehenden Bearbeitungskapazitäten, 36 den<br />

Diskurs- und Interessenkonstellationen sowie den kulturellen und prozeduralen<br />

Voraussetzungen, einen Konsens in die eine oder andere Richtung herzustellen.<br />

Im Prozeß der Globalisierung fallen die Interessen von 'Entscheidern und Betroffenen'<br />

37 immer weiter auseinander, und aufgrund der modernisierungsbedingten<br />

Individualisierung - und vermittelt über die Wissenschaft und die Medien<br />

- wird das tendenziell auch so wahrgenommen. Betroffen sind aufgrund des Wettrüstens<br />

mit 'hohen Schornsteinen' - im direkten wie im allgemeineren Sinne des<br />

Einsatzes von Diffusionstechnologien - und aufgrund schädlicher Nebenwirkungen<br />

weltweit vertriebener Produkte nicht mehr nur die lokale Nachbarschaft,<br />

sondern tendenziell alle. Auch die sozialen Gewinne der Wirtschaftstätigkeit -<br />

Arbeitsplätze, mehr und bessere Produkte, Steuerzahlungen und Kapitalinvestitionen<br />

- werden transnational fungibel und kommen nur noch eher zufällig oder<br />

vorübergehend den Epizentren der Schadstoffemissionen oder den Wirkungsorten<br />

der Nebenfolgen von Produktion und Produkten zugute. Die Zahl der Whitecollar-Angestellten<br />

im Dienstleistungsbereich wächst, und mit ihrer Zunahme - ihrem<br />

höheren Bildungsstand, gewachsenen quantitativen und qualitativen Lebenserwartungen,<br />

verändertem Berufshabitus - entstehen auch andere kulturelle Orientierungen.<br />

38<br />

Zu den neuen kulturellen Orientierungen gehört auch das gestiegene Gesundheits-<br />

und Umweltbewußtsein und eine wachsende Risikoaversion, vor deren<br />

Hintergrund uns die Berichte der Umweltgeschichtsschreibung über das 19. und<br />

frühe 20. Jahrhundert regelrecht schockierend anmuten. 39 Nun werden auch<br />

durchaus radikalere Reflexionsprozesse möglich als noch im 19. Jahrhundert; wir<br />

schon bei den Pensionsfonds in den USA durch Kapitaleinlagen bewerkstelligt wird, zumindest<br />

indirekt zu Shareholdern etc.<br />

35 Vgl. Prittwitz, Reflexive, 1993.<br />

36 Vgl. Prittwitz, Katastrophenparadox, 1990. Prittwitz vertritt darin eindrucksvoll die These,<br />

daß die lokalen Reaktionen auf den Reaktorunfall in Tschernobyl vor allem von den relativen<br />

Reaktionsmöglichkeiten der öffentlichen Verwaltungen abhingen. Kurz gesagt, es<br />

wurde nur das (öffentlich) wahrgenommen, was auch annähernd bewältigt werden konnte.<br />

Insofern ergab sich das Paradox, daß in den am stärksten betroffenen und tendenziell ärmeren<br />

Gebieten die Gefahr als sehr niedrig und in den weniger betroffenen und reicheren Gebieten<br />

die Gefahr als besonders hoch eingeschätzt wurde.<br />

37 Vgl. Luhmann, Soziologie, 1991.<br />

38 Vgl. schon Bell, Nachindustrielle, 1973.<br />

39 Vgl. z.B. Radkau, Technik, 1989, S. 363.<br />

355


wollen sie als Reflexionsprozesse zweiter Stufe bezeichnen, bei denen nicht nur<br />

lokale, sondern eben auch globale Umweltrisiken thematisiert werden. 40 Treibende<br />

Kraft sind dabei auch die neuen sozialen Bewegungen, die wegen der gewachsenen<br />

Freiheiten und Deprivationen im Lebensverlauf - besonders in der Jugendzeit<br />

und im Alter - stärkeren Zulauf erhalten, 41 sowie die stärkere Berücksichtigung<br />

von Frauen und Kindern, die die Umweltrisiken aus anderen und teilweise<br />

sensibleren Perspektiven wahrnehmen. 42<br />

Auch in dieser Dimension - Sicherheit für Gesundheit und Umwelt - entspricht<br />

die Steigerung der Sicherheitsversprechen sowie der verfeinerten und weiterreichenden<br />

Wahrnehmung der Risiken durch Wissenschaft und (Meß-) Technik und<br />

der - z.T. dadurch erst evozierten - Sicherheitsansprüche der Individuen weiterhin<br />

den Kulturimperativen der Moderne. 43 Daher steht auf dieser zweiten Stufe der<br />

kulturelle Hintergrundkonsens, der in der Rede vom 'Industriestandort' zum Ausdruck<br />

kommt, in einem Spannungsverhältnis zum Nachhaltigkeitsdiskurs, also zu<br />

global ansetzenden Überlegungen zur gerechten Verteilung von Naturressourcen<br />

und Entwicklungschancen. Man kann daher auch von einem Hintergrunddissens<br />

sprechen.<br />

'Ökologische Modernisierung' 44 versucht heute, die bisherigen Schadstoffe gar<br />

nicht erst entstehen zu lassen. Es sollen integrierte Entwicklungs- und Produkti-<br />

40 Langfristfolgen werden hier berücksichtigt, soweit sie bereits klar erkennbar sind. Es gehört<br />

aber praktisch zur 'Natur' von Langfristfolgen, daß sie das nicht sind, weil man eben<br />

nicht genug Erfahrung hat. Insofern kann ihre Berücksichtigung oft erst in Stufe 3 erfolgen.<br />

Die besonderen Probleme der Berücksichtigung von langfristigen Folgen zeigen sich<br />

auch im Umweltrecht (Wolf, Soziale Welt 1992). Stufe 2 ist gegenüber Stufe 3 aber insofern<br />

oft voraussetzungsreicher, als hier die Kosten für die Vorbeugung und Beseitigung<br />

von Umweltschäden oft höher sind als in Stufe 3, gerade weil man nicht rechtzeitig vorgebeugt<br />

hat. Das wird exemplarisch an der Problematik der Klimafolgen der Verbrennung<br />

fossiler Energieträger deutlich: Eine Umstellung auf andere Energieträger ist gerade deshalb<br />

besonders aufwendig, weil man das Problem nicht rechtzeitig erkannt hat. Daher sind<br />

die bereits getätigten Investitionen sehr hoch, und es stehen bisher nur wenig Alternativen<br />

zur Verfügung.<br />

41 Vgl. Neidhard/Rucht, Soziale Welt 1993; Luhmann, Forschungsjournal NSB 1994.<br />

42 Vgl. Gill, Ende, 1996.<br />

43 Vgl. Schimank, Dynamiken, 1990.<br />

44 Zum Konzept ökologischer Modernisierung vgl. z.B. Huber, KfZSS 1993; Prittwitz, Umweltpolitik,<br />

1993; Ladeur, ZfU 1987; Schot, STHV 1992. Gelegentlich werden diese Konzepte<br />

ökologischer Modernisierung wegen der darin enthaltenen technokratischen Tendenzen<br />

kritisiert (z.B. Wehling, Moderne, 1992, S. 227ff.). Wir gehen davon aus, daß rein<br />

technokratische Ansätze ohnehin zu kurz greifen, und fassen daher den Terminus 'ökologische<br />

Modernisierung' in unserem Konzept nicht als Gesellschaftstheorie, sondern enger,<br />

nämlich als pragmatische Handlungsstrategie, die innerhalb unseres Entwicklungsmodells<br />

in der spezifizierten Weise wirksam wird.<br />

356


onskonzepte eingesetzt werden, bei denen Umweltverträglichkeitskriterien auf<br />

allen Stufen - und nicht erst nachträglich, also 'end-of-the-pipe' - berücksichtigt<br />

werden. Auch die Einführung neuer Technologien, zu denen nicht nur Solarenergieanlagen,<br />

sondern je nach Anwendungsform und Beurteilungsperspektive<br />

auch die Atomtechnik und die Gentechnik zu rechnen sind, 45 kann als ökologische<br />

Modernisierung verstanden werden.<br />

11.3.3. Stufe 3: Reflexion von Ungewißheit<br />

Die Frage ist allerdings, welche neuen Risiken mit den veränderten Produktionsformen<br />

und erst recht mit den neuen Technologien verbunden sind. 46 Wenn<br />

die erste Stufe ökologischer Modernisierung vor allem durch die territoriale Verlagerung<br />

der Risiken aus dem jeweiligen Gesichtsfeld und sozialen Rückkopplungskreis<br />

gekennzeichnet war, so findet auf der zweiten idealtypisch zu<br />

unterscheidenden Stufe eine Überwälzung auf das Noch-Nicht-Wissen, also auf<br />

die Zukunft und kommende Generationen statt. 47 Man handelt hier eben entsprechend<br />

dem 'Stand der Wissenschaft', also rechtlich besehen mit 'erfahrungsbasierten<br />

Regulierungen'.<br />

Das sogenannte Restrisiko aber, das aus der Perspektive des 'Stands der Wissenschaft'<br />

als äußerst gering erscheint, wird aus der Perspektive des Noch-Nicht-<br />

Wissens zum Zukunftsrisiko schlechthin. Die Thematisierung dieser Ungewißheit<br />

stellt eine dritte Reflexionsstufe dar. 48 Im Sinne ökologischer Modernisierung<br />

45 Mit der Atomtechnik lassen sich die Klimafolgen vermeiden, die ansonsten bei der<br />

Verbrennung fossiler Energieträger entstehen (vgl. Nunner-Winkler, Enttraditionalisierungsprozeß,<br />

1991). Mit Hilfe gentechnisch hergestellter Enzyme können viele chemische<br />

Prozesse - jedenfalls nach herkömmlichen Kriterien - umweltverträglicher ablaufen; darüber<br />

ist bei der Partei der Grünen und in der Umweltbewegung eine heftige Kontroverse<br />

entbrannt (vgl. z.B. Kiper, GID 1996a; Rauhbuch/Baufeld, GID 1996; Kiper, GID<br />

1996b).<br />

46 Auch hier ist wieder ein historisches Beispiel lehrreich: Die FCKW, die heute für die Zerstörung<br />

der Ozonschicht verantwortlich gemacht werden, wurden ursprünglich vor allem<br />

deshalb als Kühlmittel eingesetzt, weil das bis dato verwendete Ammoniak zu gefährlich<br />

schien. FCKW galt nach den damaligen Maßstäben als absolut sicherer Stoff, weil es chemisch<br />

'inert', also reaktionsunfähig schien. Ironischerweise gerade deshalb konnten seine<br />

fatalen Wirkungen lange Zeit unerkannt bleiben und sich akkumulieren, und deshalb werden<br />

sie auch nach der Produktionseinstellung noch lange fortdauern (Gill, Soziale Welt<br />

1994, S. 432ff.).<br />

47 Dazu gehört nicht, wie noch bei Stufe 1, die Ignorierung von Langzeitfolgen. Langzeitfolgen<br />

werden berücksichtigt, soweit sie gut bekannt sind.<br />

48 Im logisch-systematischen Sinne kann Ungewißheit auch bei der Reflexion von Nahfolgen<br />

thematisiert werden. Dies war bei dem oben erwähnten Beispiel der 'Hüttenrauchplage' tatsächlich<br />

auch der Fall. Im allgemeinen ist aber bei räumlich und zeitlich nahen Folgen der<br />

357


(der dritten Stufe) wird nun versucht, durch auf Sicherheitsforschung und Risikokommunikation<br />

basierende Lernstrategien die Kluft zwischen dem Noch-Nicht-<br />

Wissen und dem Noch-Nicht-Wissen-Können sowie zwischen 'subjektiver' und<br />

'objektiver Ungewißheit' (vgl. Kap. 1, S. 24) zu verringern. So mag die Vorverlegung<br />

wissenschaftlicher Folgenerkenntnis - wie wir sie oben (Kap. 11.1.) anhand<br />

der bisherigen Rechtsentwicklung skizziert und im vorigen Kapitel für die<br />

Gentechnik darüber hinaus verstärkt propagiert haben - in beschränktem Maß für<br />

Abhilfe sorgen. Dennoch stößt das Modell ökologischer Modernisierung hier an<br />

prinzipielle Grenzen.<br />

Das Problem zeigt sich insbesondere an der zwischen dem erreichbaren Wissen<br />

und dem jeweils aktuellen Noch-Nicht-Wissen-Können gezogenen Grenze. 49<br />

Soweit sie thematisiert wird - und ihre Thematisierung ist gerade unter rationalen<br />

Diskursbedingungen unvermeidlich -, verliert die Wissenschaft ihre Funktion als<br />

allein gültiger Orientierungsrahmen. Mehr Wissen und mehr Rationalität begründen<br />

jetzt nicht nur mehr Sicherheit, sondern zugleich und unvermeidlich mehr<br />

offene Fragen und damit mehr wahrgenommene Ungewißheit.<br />

Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zu evident, als daß man ihn erfolgreich bestreiten<br />

könnte. Bei Fernfolgen wird im allgemeinen zunächst Ungewißheit über deren Verursachung<br />

bestehen. Bezeichnend für die zweite Reflexionsstufe ist es, daß hier erst Maßnahmen<br />

ergriffen werden, wenn über die Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge weitgehender<br />

Konsens besteht. Die dritte Reflexionsstufe zeichnet sich zunächst dadurch aus, daß auch<br />

schon bei bloßem Gefahrenverdacht Vorsorgemaßnahmen eingeleitet werden. Eine weitere,<br />

gerade bei der Freisetzungsregulierung deutlich werdende Besonderheit liegt aber darin,<br />

daß nicht mehr nur von bestimmten Schadensarten oder bestimmten Ursache-Wirkungs-<br />

Hypothesen ausgegangen wird, sondern erstmals ganz allgemein nach allen möglichen<br />

schädlichen Folgen einer heute anstehenden Entscheidung über die Einführung eines Produktes<br />

oder einer Technologie gefragt wird. Entscheidend ist dabei, daß ein offener Suchhorizont<br />

eingeführt wird. Es muß dann auch zunächst offen bleiben, ob es sich bei den<br />

möglichen Folgen um Nah- oder Fernfolgen handelt - das weiß man eben nicht im voraus<br />

(ausführlicher dazu Gill, Ungewißheit, 1997).<br />

49 Vgl. Beck, Wissen, 1996; vgl. Luhmann, Beobachtungen, 1992, S. 129ff.<br />

358


Schaubild 1: Stufen reflexiver Modernisierung im Umweltbereich<br />

Stufe 1<br />

Reflexivität auf regionaler Ebene<br />

(lokal begrenzte und kurzfristige<br />

Umweltrisiken: Nahfolgen)<br />

↓<br />

Reflexion auf regionaler Ebene<br />

↓<br />

Ökologische Moder- ←→ Kultureller Hinternisierung:<br />

räumliche<br />

grundkonsens:<br />

Verlagerung der Folgen<br />

"Rauchende Schlote"<br />

Stufe 2<br />

↓<br />

Reflexivität auf globaler Ebene<br />

(lokal und zeitlich entgrenzte<br />

Umweltrisiken: Fernfolgen)<br />

↓<br />

Reflexion auf nationaler und globaler Ebene<br />

↓<br />

Ökologische Moder- ←→ Kultureller Hinternisierung:<br />

zeitliche<br />

grunddissens:<br />

Verlagerung<br />

"Industriestandort" oder<br />

der Folgen<br />

"Nachhaltige Entwicklung"?<br />

Stufe 3<br />

↓<br />

Reflexivität auf hypothetischer Ebene<br />

(hypothetische Umweltrisiken)<br />

↓<br />

Reflexion der Grenze zwischen Wissen<br />

und Noch-Nicht-Wissen-Können<br />

↓<br />

Ökologische Moder- ←→ Expliziter sozialer Konsens:<br />

nisierung: aktive Lern-<br />

Reflexive Politik,<br />

strategien<br />

Sicherheitsfiktionen<br />

359


Sofern der Reflexionsprozeß bis zu diesem Punkt getrieben wird, eröffnet sich<br />

die Chance 'reflexiver Politik': Entscheidungen unter Ungewißheit können dann<br />

legitimerweise nur noch von allen, die gleich viel oder gleich wenig wissen, getroffen<br />

werden. Wer dabei zu beteiligen und was zu entscheiden sei, kann selbst<br />

zum Verhandlungsgegenstand werden - ebenso wie das Procedere, in dem diese<br />

prozeduralen Fragen entschieden werden sollen. 50 Wissenschaftliche Information<br />

zur Abklärung der Frage, was ungewiß ist und was nicht, ist dann eine notwendige,<br />

aber keine hinreichende Bedingung mehr. Die sich hieraus ergebenden Folgerungen<br />

wurden im vorigen Kapitel exemplarisch skizziert.<br />

Inwieweit es die Reflexion dritter Stufe und reflexive Politik ansatzweise schon<br />

gibt, ist eine empirische Frage, die wir im folgenden noch einmal rekapitulieren<br />

wollen. Erst wenn sie sich stabilisieren und allgemein durchsetzen sollten, kann<br />

man unserer Ansicht nach den von Beck behaupteten - oder vorausgesehenen? -<br />

'Strukturbruch' zwischen einfacher und reflexiver Modernisierung bestätigen. 51<br />

11.4. Reflexive Modernisierung bei der Genforschung - die empirische Ebene<br />

Wie fügt sich nun unser empirisches Untersuchungsmaterial in dieses Schema?<br />

Welche der in diesem Sinne modelltheoretisch definierten Reflexionsstufen (vgl.<br />

Schaubild 1, S. 359) empirisch erreicht werden, ist Gegenstand der nun folgenden<br />

Auswertung und Interpretation unseres Untersuchungsmaterials. Dabei werden<br />

wir mit Begriffen operieren, die sich nicht unbedingt von selbst verstehen und die<br />

daher vorweg kurz erklärt werden sollen:<br />

- 'Permissive Gewißheitssemantik' bedeutet, daß man sich gewiß ist, daß die<br />

Gentechnik 'als solche' sicher sei und daher - im Rahmen der auch für andere<br />

biologische Verfahren geltenden Bestimmungen - erlaubt sein sollte.<br />

- 'Prohibitive Gewißheitssemantik' bedeutet, daß man mit Gewißheit davon ausgeht,<br />

daß die Gentechnik besonders gefährlich sei und daher eingeschränkt o-<br />

der verboten werden sollte.<br />

- 'Permissive Ungewißheitssemantik': Die entsprechenden Protagonisten räumen<br />

Ungewißheit im Hinblick auf mögliche negative Folgen durchaus ein, argumentieren<br />

aber 'in dubio pro Anwendung'.<br />

50 Vgl. Beck, Erfindung, 1993, S. 205ff.<br />

51 Vgl. Daele, Soziologische Revue 1995. Selbst wenn es den 'Bruch' nicht geben sollte, wäre<br />

es dennoch ein Verdienst der Theorie reflexiver Modernsierung, die in der Moderne angelegte<br />

Spannung zwischen einfachen und reflexiven Modernisierungsimpulsen aktuell auf<br />

den Begriff zu bringen.<br />

360


- 'Prohibitive Ungewißheitssemantik' bedeutet, daß man nach der Formel 'in<br />

dubio contra Anwendung' argumentiert. 52<br />

Wie die Begriffsbildung hier schon zeigt, ist mit dem - empirisch noch näher zu<br />

erläuternden - Umschalten von Gewißheits- auf Ungewißheitssemantik eine Verlagerung<br />

der Kontroverse von der Wissenssphäre auf die Wertungssphäre verbunden.<br />

11.4.1. Gesetzgebungsdebatte 53<br />

Wohl erstmals in der Geschichte der Wissenschaften wurden bereits zum Zeitpunkt<br />

der ersten gentechnischen Experimente, also Anfang der 70er Jahre, von<br />

einigen beteiligten Wissenschaftlern fachöffentlich Überlegungen über die damit<br />

verbundenen Risiken angestellt, obwohl es keinerlei unmittelbare Anzeichen -<br />

z.B. im Sinne von Unfällen - für die Gefährlichkeit dieser experimentellen Methode<br />

gab. Man argumentierte hier explizit mit Nicht-Wissen:<br />

"The new techniques, which permit combination of genetic information from very<br />

different organisms, place us in an area of biology with many unknowns. Even in<br />

the present, more limited conduct of research in this field, the evaluation of potential<br />

biohazards has proved to be extremely difficult. It is this ignorance that has compelled<br />

us to conclude that it would be wise to exercise considerable caution in performing<br />

research." 54<br />

In der Folge kam es zu einem Moratoriumsaufruf und zur Konferenz von Asilomar,<br />

auf der zunächst relativ restriktive Sicherheitsrichtlinien verabschiedet<br />

wurden, 55 die im Zuge des allmählichen Erfahrungsgewinns schrittweise gelokkert<br />

werden sollten. 56<br />

Diese Vorgehensweise kann nach unserem Modell als Reflexion und ökologische<br />

Modernisierung der dritten Stufe gelten, denn die Forschungscommunity<br />

reagierte hier theoretisch wie praktisch auf hypothetische Risiken. Schon bald<br />

nach der Konferenz von Asilomar wurde aber damit begonnen, die selbst aufgestellten<br />

Regeln zum Umgang mit der Gentechnik im Geschlossenen System so-<br />

52 Vgl. Jonas, Prinzip, 1984, S. 70ff.<br />

53 Die Gesetzgebungsdebatte war nicht Gegenstand unserer eigenen empirischen Untersuchung,<br />

wird aber hier angeführt, um die Argumentation systematisch entfalten zu können.<br />

Als Quellen vgl. im folgenden für die USA z.B. Krimsky, Genetic, 1982; Krimsky, Biotechnics,<br />

1991; und für die EG Gottweis, Governing, 1995.<br />

54 Berg, P. et al.: Summary Statement of the Asilomar Conference on Recombinant DNA<br />

Molecules, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, vol.72, no.6,<br />

1975, p.1981 (zit. n. Gottweis, Governing, S. 95).<br />

55 Vgl. oben, Kap. 2.3.1.<br />

56 Gottweis, Governing, S. 96.<br />

361


weit zu lockern, daß sie bis Mitte der 80er Jahre fast nur noch die aus der Mikrobiologie<br />

bekannten Standards enthielten und somit eine erfahrungsbasierte Regulierung<br />

darstellten. Sie entsprachen demnach im wesentlichen nur noch einer ökologischen<br />

Modernisierung der Stufe 2.<br />

Auch war die Reflexion insofern unvollständig geblieben, als sie zunächst die<br />

allgemeine Öffentlichkeit nicht einbezogen hatte. Diese meldete sich zum ersten<br />

Mal Ende der 70er Jahre in den USA und - mit einiger Verzögerung - auch in<br />

europäischen Ländern, wie namentlich Dänemark und der Bundesrepublik, Mitte<br />

der 80er Jahre vehement zu Wort und erzwang eine Neuauflage der Risikodiskussion.<br />

Dabei kam es besonders in der Bundesrepublik zu einer Konfrontation sich<br />

gegenseitig ausschließender Gewißheiten, indem die Befürworter die Gentechnik<br />

als sicher und die Gegner sie als gefährlich darzustellen versuchten. 57 Die Konfliktparteien<br />

selbst argumentierten also teilweise noch auf der zweiten Reflexionsstufe<br />

und waren - zumindest in den an ein breites Publikum adressierten Arenen<br />

- nicht willens oder in der Lage, auf den allerdings voraussetzungsvolleren<br />

Gebrauch von Ungewißheitssemantiken 58 überzuwechseln.<br />

Der Disput war aber nicht mehr durch den autoritativen Einsatz wissenschaftlicher<br />

Sicherheitsversprechungen zu beenden. Denn den Kritikern gelang es<br />

immer wieder, überraschende biologische Ereignisse anzuführen, die zwar oft<br />

keinen direkten Schaden zur Konsequenz hatten oder deren spezifisch gentechnische<br />

Verursachung bestreitbar war. Aber die Vorhersagefähigkeit der Wissenschaft<br />

bzw. die Evidenz der Trennlinie zwischen spezifisch gentechnischen und<br />

allgemein biologischen Risiken wurde dadurch infrage gestellt. Der Slogan von<br />

"den ungeklärten Gefahrenpotentialen der Gentechnologie" 59 , der in seiner schillernden<br />

Unbestimmtheit je nach Betonung sowohl als Ungewißheitssemantik an<br />

ein skeptisch rationales wie auch als prohibitive Gewißheitssemantik an ein emotional<br />

voreingenommenes Publikum adressiert werden konnte, zeitigte in beide<br />

Richtungen Wirkung. Die Ungewißheit war auf der Tagesordnung, gleichgültig,<br />

ob sie von den Kontrahenten als solche wahrgenommen wurde oder nicht.<br />

Die in der Folge in der EG verabschiedete Richtlinie zum Umgang mit transgenen<br />

Organismen im Geschlossenen System ging in materieller Hinsicht nicht<br />

sehr weit über die Anforderungen und Restriktionen der selbstregulativen Richtlinien,<br />

also erfahrungsbasierter Regulierung, hinaus. 60 Immerhin wurden aber nun,<br />

57 Vgl. Beck, Wissen, 1996.<br />

58 Vgl. Luhmann, Beobachtungen, 1992.<br />

59 Kollek et al., Die ungeklärten Gefahrenpotentiale der Gentechnologie (so der genaue<br />

<strong>Buch</strong>titel), 1986.<br />

60 In den USA kam es aufgrund der öffentlichen Diskussion gegen Ende der 70er Jahre auf<br />

prozeduraler Ebene zu einer Erweiterung der wissenschaftlichen Kontrollgremien, die nun<br />

362


im Unterschied zu den selbstregulativen Richtlinien, nicht nur Gefahren für die<br />

Gesundheit, sondern auch Risiken für die Umwelt berücksichtigt. 61 In prozeduraler<br />

Hinsicht wird hier durch die Anmelde- und Genehmigungserfordernisse die<br />

Reflexion zweiten Grades dauerhaft eingeführt 62 - eine Funktion, die schon die<br />

selbstregulativen Richtlinien zumindest erfüllen sollten - und zugleich aus der<br />

Profession herausverlagert. Die Reflexion bleibt zwar auf die Administration<br />

beschränkt, aber aufgrund immerhin rudimentärer Publikationspflichten und Klagerechte<br />

findet auch eine Einbeziehung der Öffentlichkeit statt.<br />

Insbesondere die zur Zeit der Gesetzgebungsdebatte ins Auge gefaßten Freisetzungen<br />

sorgten aber in vielen Ländern für Konfliktstoff, zumal sich nun mit<br />

den Ökologen eine andere und ex professione besonders risikosensible Disziplin<br />

in die Diskussion einschaltete. 63 Daraus folgte sowohl in den USA wie in der EG<br />

eine gesetzliche Normierung, die viele - aber freilich nicht alle - der für eine ungewißheitsbasierte<br />

Regulierung denkbaren Elemente enthält. 64 Die Regulierung,<br />

insbesondere das Step-by-step-Prinzip, entspricht demnach tendenziell einer ökologischen<br />

Modernisierung der Stufe 3. Dadurch wird zugleich die Reflexion<br />

hypothetischer Risiken auf Dauer gestellt, allerdings weitgehend unter Ausschluß<br />

der Öffentlichkeit. Insofern bleibt die Regulierung in prozeduraler Hinsicht hinter<br />

den Anforderungen reflexiver Politik zurück. Gleichzeitig sind auch politische<br />

Anstrengungen zu beobachten, die Freisetzungs-Richtlinie - aus ökonomischen<br />

Gründen - in ihrem Gehalt auf eine erfahrungsbasierte Regulierung zurückzuführen.<br />

65<br />

11.4.2. Exkurs zur Gentherapie<br />

Die Gentherapie ist - spätestens mit der Novellierung von 1993 - weitgehend vom<br />

Anwendungsbereich des Gentechnikgesetzes ausgenommen (vgl. Kap. 9.1.3.).<br />

Sie wird im öffentlichen Diskurs in der Bundesrepublik fast ausschließlich im<br />

Hinblick auf den propagierten oder von der Öffentlichkeit hoffnungsfroh erwarteten<br />

Erfolg thematisiert. Insofern ist hier Fraglosigkeit im Sinne der untersten Stufe<br />

reflexiver Modernisierung vorherrschend.<br />

auch mit Sozialwissenschaftlern und Vertretern der Öffentlichkeit besetzt wurden, sowie<br />

zu einer Gesetzgebungsinitiative, die auf Bundesebene allerdings scheiterte.<br />

61 Vgl. Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.): Richtlinien zum Schutz vor<br />

Gefahren durch in-vitro neukombinierte Nukleinsäuren, 5. überarbeitete Fassung vom<br />

28.5.1986 mit den Anhängen der GenTSV.<br />

62 Vgl. oben, Kap. 5.<br />

63 Vgl. Schomberg, Technology in Society 1993.<br />

64 Entsprechend denkbare Erweiterungen werden oben, in Kap. 10 näher erläutert.<br />

65 Vgl. oben, Kap. 3.2.3.<br />

363


Die eingehendere Reflexion beschränkt sich daher auf die Fachöffentlichkeit.<br />

Soweit die Gentherapie dort als für den einzelnen Patienten direkt nutzenversprechender<br />

Heilversuch aufgefaßt wird, sind lediglich die mit den jeweiligen<br />

Ansätzen verbundenen Belastungen für den Patienten selbst zu thematisieren. 66<br />

Dies geschieht in Ethik-Kommissionen, die hier eine unmittelbare Risiko-Nutzen-<br />

Abwägung vornehmen, die in unserem Schema der Reflexion auf Stufe 1, also der<br />

Berücksichtigung der einzelfallbezogenen Nahfolgen entspricht. 67<br />

Die Konzipierung als Heilversuch ist aber nicht unbestritten, weil bei 'austherapierten'<br />

Krebspatienten, die derzeit am häufigsten als Testpersonen ausgewählt<br />

werden, kaum mit einem direkten therapeutischen Nutzen zu rechnen ist.<br />

Insofern findet also, wie bei jeder Neuentwicklung von medizinischen Methoden,<br />

eine Ungleichverteilung des Risikos zwischen Patientengruppen statt, die früher,<br />

d.h. mit weniger ausgereiften, oder später, d.h. mit verbesserten Therapieansätzen,<br />

behandelt werden. Entsprechend wären dann die strengeren Bedingungen<br />

der Arzneimittelprüfung anzuwenden, die eben auch garantieren sollen,<br />

daß Testpersonen nicht zu Versuchen mit wissenschaftlich unausgereiften Methoden<br />

herangezogen werden. Insofern als die Bestimmungen der Arzneimittelprüfung,<br />

soweit dies überhaupt möglich ist, also auf eine Art 'intergenerationaler<br />

Gerechtigkeit' abzielen, kann man sie als Reflexionsverfahren der zweiten<br />

Stufe ansehen. Sie werden gegenwärtig in der Bundesrepublik bei gentherapeutischen<br />

Versuchen aber allenfalls implizit angewandt.<br />

Fraglich ist aber auch, inwieweit bei gentherapeutischen Versuchen Dritte, also<br />

z.B. Krankenhauspersonal und Angehörige, durch infektiöse Vektoren gefährdet<br />

werden können. Hier handelt es sich bei den derzeit verwendeten Vektoren um<br />

hypothetische Risiken, die in den USA von den einschlägigen Sicherheitsausschüssen<br />

auch thematisiert werden, während sie in der Bundesrepublik nur informell<br />

und implizit diskutiert und berücksichtigt werden.<br />

Zwar war bei dem von uns näher untersuchten Gentherapieversuch aufgrund<br />

dessen interdisziplinärer Anlage ein hohes Maß an projektinterner Risikoreflexion<br />

auf allen Stufen auszumachen. Aber diese Beobachtung läßt sich nicht systematisch<br />

für anders organisierte Projekte und zukünftige Entwicklungen verallgemeinern.<br />

Eine Dauerreflexion - jenseits der unmittelbaren Risiko-Nutzen-Abwägung<br />

durch Ethik-Kommissionen - ist jedenfalls weder durch professionsinterne noch<br />

durch gesetzliche Regeln sichergestellt.<br />

66 Zur Diskussion Heilversuch, Arzneimittelprüfung und Drittbetroffenheit durch potentiell<br />

infektiöse Vektoren vgl. oben, insb. Kap. 9.4.1.<br />

67 Soweit man die Gentherapie als Heilversuch thematisiert, besteht im Sinne von Niklas<br />

Luhmann auch kein Risikokonflikt, weil Entscheidung und Betroffenheit hier - durch die<br />

aufgeklärte Zustimmung der Patienten - zur Deckung gebracht werden.<br />

364


11.4.3. Das Gentechnikrecht<br />

Im Hinblick auf die einzelnen Bestimmungen des deutschen Gentechnikrechts ist<br />

zu berücksichtigen, daß die kontinentaleuropäische Rechtsdogmatik den konsistenten<br />

und systematischen Einbau von Einzelgesetzen in den gesamten Korpus<br />

des bestehenden Rechts verlangt. Daher ist schon a priori zu erwarten, daß nicht<br />

alle Bestimmungen des Gentechnikrechts in eine einzige der entwicklungstheoretisch<br />

unterschiedenen Stufen einzuordnen sind. Da aber mit der<br />

Gentechnik nicht nur hypothetische, sondern auch bekannte Nah- und Fernfolgen<br />

- also Reflexivitätsphänomene auf Stufe 1 und 2 - verbunden sind, ist es von der<br />

Problemlage selbst her erforderlich, daß das Gentechnikrecht Reflexion und ökologische<br />

Modernisierung auch auf den beiden unteren Stufen zu gewährleisten<br />

versucht.<br />

Rechtshistorisch besehen ist 'Gefahrenabwehr' die idealtypische Reaktionsweise<br />

auf Stufe 1 (vgl. Kap. 4.2.). Sie richtet sich gegen unmittelbar bevorstehende<br />

und sicher erkennbare Schadenswirkungen, bei denen sofort gehandelt<br />

werden muß. Auch im räumlichen Sinne handelt es sich hierbei in aller Regel<br />

zunächst um Nahfolgen. Hier wird die Verwaltung vom Gentechnikrecht - in<br />

Konkordanz mit dem allgemeinen Verwaltungsrecht - ermächtigt und verpflichtet,<br />

unmittelbar einzugreifen.<br />

Die rechtlich von der Gefahrenabwehr zu unterscheidende 'Risikovorsorge' umfaßt<br />

im Gentechnikrecht alle drei Reflexionsstufen, je nachdem, worauf sich die<br />

Vorsorge bezieht. Dabei ist zunächst zu konstatieren, daß das Gentechnikgesetz,<br />

ebenso wie andere modernere Umweltgesetze, keinen Unterschied zwischen<br />

Nah- und Fernfolgen macht. 68 Denn in der Definition der Schutzziele sind keinerlei<br />

räumliche oder zeitliche Begrenzungen für die Beurteilung der Folgewirkungen<br />

vorgesehen. Auch in der Abstufung der Sicherheitsvorkehrungen je nach Risikoeinstufung<br />

ist keine spezifische Umverlagerung der Risiken auf andere Territorien,<br />

Umweltmedien, Zeiträume oder soziale Schichten zu erkennen. 69 Anders als<br />

in vielen anderen Umweltgesetzen wird zunächst keine klassifikatorische Einschränkung<br />

der Schadensdefinition vorgenommen: Nicht nur menschliches Leben,<br />

Gesundheit und Eigentum, sondern darüber hinaus auch alle Tiere, Pflanzen und<br />

68 Das liegt allerdings zum Teil auch in der 'Natur' der Sache: Einerseits sind transgene Organismen,<br />

wenn sie einmal freigesetzt sind, in ihrem Ausbreitungsradius nicht zuverlässig<br />

steuerbar. Insofern verbietet sich im Prinzip eine Strategie der 'hohen Schornsteine'. Andererseits<br />

sind sie - anders als z.B. Plutonium oder Dioxin - relativ leicht durch Hitze oder<br />

Desinfektionsmittel zu zerstören.<br />

69 Daß das Laborpersonal besonders geschützt wird, liegt auch im öffentlichen Interesse, weil<br />

es andernfalls als Ausscheider und Überträger von transgenen Mikroorganismen auftreten<br />

würde.<br />

365


die Natur in ihrem Wirkungsgefüge werden durch das Gesetz geschützt. Allerdings<br />

sind bei den straf- und haftungsrechtlichen Bestimmungen schließlich doch<br />

Abstufungen zwischen den Menschen unmittelbar oder nur mittelbar betreffenden<br />

Folgen vorgesehen.<br />

Eine Beschränkung ergibt sich aber insoweit, als das Gentechnikrecht und die<br />

EG-Richtlinien nur territoriale Geltung besitzen. Das spricht für sich genommen<br />

keineswegs gegen die Intention, globale Vorsorge treffen zu wollen, soweit dies<br />

eben im Rahmen der eigenen Entscheidungsmacht möglich ist, zumal mit dem<br />

Gentechnikrecht teilweise Wettbewerbsnachteile für den eigenen 'Standort' perzipiert<br />

werden. 70<br />

Anders als von den Kritikern der 'additiven Risikophilosophie' pauschal behauptet,<br />

71 entsprechen einige Bestimmungen des Gentechnikrechts unserer Analyse<br />

zufolge der dritten Stufe der Risikovorsorge. Das gilt sogar ansatzweise für<br />

den Umgang im Geschlossenen System: Die Einbeziehung der Risikostufe 1 - mit<br />

der definitionsgemäß kein bekanntes Risiko verbunden ist - macht nur Sinn, wenn<br />

sie als Beobachtungsraum und Sicherheitsreserve im Hinblick auf bisher noch<br />

unbekannte Risiken verstanden wird. 72 Außerdem sind die Bestimmungen zu<br />

erwähnen, die eine permanente Neubewertung der Risikolage anhand der eigenen<br />

Untersuchungsergebnisse und der einschlägigen Fachliteratur verlangen. 73 Auch<br />

diese Bestimmungen implizieren, daß der Gesetzgeber hier auf bisher noch unbekannte<br />

bzw. noch nicht abschließend einschätzbare Risiken abzielt.<br />

Deutlicher erkennbar und weiterreichend ist allerdings die Berücksichtigung<br />

hypothetischer Risiken bei der Freisetzung und Marktzulassung von transgenen<br />

Organismen. 74 Hier gilt das Fall-zu-Fall- und Schritt-für-Schritt-Prinzip im Sinne<br />

inkrementalistischen Lernens, gerade weil der Gesetzgeber nicht a priori und<br />

abschließend befinden wollte, welche Organismen bei der Freisetzung als riskant<br />

zu gelten haben und welche nicht. Vorgesehen ist also ein vorsichtiges Tasten ins<br />

Ungewisse hinaus, wobei die Ergebnisse der einzelnen Schritte und zurückliegender<br />

Fälle je erneut im Verwaltungsverfahren zu bewerten sind. Dabei<br />

sind auch die Kriterien der Risikobewertung mangels einschlägiger Erfahrungen<br />

70 Zur Diskussion und Differenzierung vgl. Kap. 10.1.8. Es ist in dieser Hinsicht allerdings<br />

verwunderlich, daß die USA und die EG die Aushandlung eines weltweiten 'Biosafety Protocol',<br />

wie es vor allem von Nicht-OECD-Staaten gefordert wird, verzögern (vgl. Kap.<br />

3.2.4.). Diese Handlungsweise wirft den Verdacht auf, daß die Drittweltländer hier weiterhin<br />

im Interesse der Industrieländer - ihrer Bevölkerung wie ihrer Konzerne - als de facto<br />

restriktionsfreies Testareal genutzt werden sollen (vgl. auch Stone, Science 1994).<br />

71 So Bonß et al., Kontext, 1992; zum Begriff der 'additiven Risikophilosophie' vgl. oben,<br />

Kap. 2.3.3.<br />

72 Vgl. oben, Kap. 10.2.1, Kap. 7, Kap. 2.4.<br />

73 § 6 Abs. 1 und 2 GenTG, § 21 Abs. 3 und 5 GenTG, sowie §§ 4ff. GenTSV; vgl. Kap. 5.<br />

74 Vgl. oben, Kap. 8.<br />

366


sehr allgemein und auslegungsbedürftig gefaßt. 75 Entsprechend gibt es hier bisher<br />

- im Unterschied zum Umgang im Geschlossenen System - auch keine Eingruppierung<br />

in vorab festgelegte Risikoklassen. 76<br />

Widersprüche ergeben sich hier im deutschen Gentechnikrecht aber beispielsweise<br />

77 insofern, als bei der Genehmigung der einzelnen Fälle und Schritte<br />

jeweils ein Genehmigungsanspruch besteht, soweit nach dem 'Stand von Wissenschaft<br />

und Technik' keine Risiken bekannt sind. Demgegenüber sollte der Sinn<br />

des Gesamtverfahrens - also der fall- und schrittweise vollzogenen Prüfung - aber<br />

gerade darin bestehen, Risikowissen über den jeweiligen Erkenntnisstand hinaus<br />

zu generieren. Durch den Genehmigungsanspruch des Antragstellers werden hier<br />

der Verwaltung - zumindest vom <strong>Buch</strong>staben des Gesetzes her - die Hände gebunden,<br />

die Abfolge und die Prüfaufträge für die einzelnen Fälle und Schritte<br />

systematisch zu planen. 78<br />

Neben diesen Widersprüchen, die sich durch Rückfälle auf die zweite Stufe,<br />

nämlich die gewißheitsorientierte Denkweise ergeben, ist darüber hinaus auf die<br />

bereits dargelegten Defizite im Hinblick auf die Generierung von Risikowissen<br />

hinzuweisen. 79 Unzureichend sind auch die prozeduralen Vorkehrungen zur Herstellung<br />

eines expliziten sozialen Konsenses im Sinne reflexiver Politik. Für die<br />

Entscheidung von Wertfragen, wie sie sich gerade an der kognitiv nicht mehr<br />

überschreitbaren Grenze des jeweiligen Noch-Nicht-Wissen-Könnens deutlich<br />

entfalten, sind im Gesetz keine angemessenen Verfahren vorgesehen. 80<br />

11.4.4. Verwaltungsverfahren in Deutschland<br />

Gesetze sind allerdings nur wirksam, wenn und soweit sie auch umgesetzt werden.<br />

Insofern ist es möglich, daß gesetzlich intendierte Dauerreflexion aufgrund<br />

von Implementierungsdefiziten vernachlässigt, deformiert oder stillgestellt wird.<br />

Umgekehrt ist allerdings auch denkbar, daß im Rahmen von Verwaltungsverfahren<br />

aufgrund besonderer Legitimationszwänge Reflexion stattfindet, die vom<br />

Gesetzgeber nicht intendiert war.<br />

Hier ist anhand unserer empirischen Ergebnisse zu konstatieren, daß das Gentechnikgesetz<br />

in Deutschland mit erheblichem bürokratischem Aufwand vollzogen<br />

wird, weil die Verwaltung eine Skandalisierung durch eine als in diesem<br />

75 Vgl. die Anlagen zur GenTVfV.<br />

76 Eine solche wird aber gelegentlich vorgeschlagen (Sinemus, Risikoanalyse, 1995;<br />

Goy/Duesing, Bio/Technology 1996).<br />

77 Zu einem weiteren gravierenden Widerspruch vgl. z.B. Kap. 8.5.2.<br />

78 Vgl. insb. Kap. 8.8. und Fn. 100 in Kap. 8, sowie Kap. 10.2.5.2.<br />

79 Vgl. im einzelnen Kap. 10.2.<br />

80 Vgl. insb. Kap. 10.1.6. und 10.3.<br />

367


Punkt besonders wachsam wahrgenommene Öffentlichkeit befürchtet. 81 Es erfolgt<br />

daher eine sorgfältige Reflexion der bekannten Risiken zumindest auf Verwaltungsebene<br />

und eine relativ, d.h. im Verhältnis zum Vollzug sonstigen Umweltrechts,<br />

minutiöse Überwachung der organisatorischen und technischen Sicherheitsvorkehrungen.<br />

Die Vorsorge gegenüber bekannten Risiken läßt sich für<br />

die Verwaltung - unter der Bedingung ausreichender Ressourcen, die in diesem<br />

Fall vorhanden sind - relativ leicht in Routineoperationen übersetzen.<br />

Sie verharrt also in der Gewißheitssemantik, während ein Umschalten auf Ungewißheitssemantik<br />

jedenfalls in öffentlichen Stellungnahmen kaum zu beobachten<br />

ist. 82 Der Ausschluß von Ungewißheit kann in der gewohnten Beschwichtigungsrhetorik<br />

83 oder in der inädaquaten Wahl von Sicherheitsmaßnahmen zum<br />

Ausdruck kommen, indem dann transgene Organismen generell wie Gefahrstoffe<br />

behandelt werden, während in Abwesenheit bekannter Gefahren Maßnahmen zur<br />

Aufklärung von Ungewißheit das Mittel der Wahl sein sollten. 84 Bei prohibitiven<br />

Maßnahmen auf der Basis vermeintlicher Gewißheit gerät die Verwaltung mit den<br />

betroffenen Wissenschaftlern in Konflikt, die dann die Kompetenz der Verwaltung<br />

und die Sinnhaftigkeit des Gesetzes anzweifeln und es dann nur in seinen<br />

von der Verwaltung tatsächlich kontrollierbaren Aspekten befolgen.<br />

Diese Verfahrens- und Reaktionsweisen liegen im Rahmen bürokratischer Rationalität<br />

zwar nahe, sie werden aber auch durch die oben schon angesprochenen<br />

Widersprüchlichkeiten im Gesetz sowie die vorherrschende Rechtsauslegung<br />

begünstigt, die der Kategorie der 'Ungewißheit' ebenfalls keinen spezifischen<br />

Status einräumt, sondern sie entweder im Vorsorgebereich aufgehen oder im<br />

rechtsfolgenfreien Restrisiko verschwinden läßt. Ungewißheit läßt sich aber auch<br />

gegenüber einer Öffentlichkeit, die - je nach politischer Stimmungslage - entweder<br />

mit dem Ruf nach prohibitiven Maßnahmen oder nach schlichter Deregulierung<br />

reagiert, nur schwer vertreten. Andererseits birgt das Beharren auf Gewißheitssemantik<br />

aber das Problem, daß die Verwaltung mit ihren Stellungnahmen in<br />

Widerspruch zu der mittlerweile auf Ungewißheitssemantik sich umstellenden<br />

81 Vgl. insb. Kap. 7.3.5. und Kap. 8.7.<br />

82 Die beiden in Kapitel 8 angeführten Interviews mit Verwaltungsvertretern scheinen hier<br />

zwar eine andere Sprache zu sprechen. Dabei ist aber zu bedenken, daß wir diese beiden<br />

Verwaltungsvertreter ausgesucht hatten, weil wir mehr über den Umgang mit Ungewißheit<br />

erfahren wollten und von beiden wußten, daß sie sich anders als der Mainstream äußern.<br />

83 "Es werden alle sicherheitsrelevanten Aspekte nach Antragseingang gemäß den nach Gentechnikrecht<br />

vorgegebenen Kriterien geprüft und bewertet. Es sind daher keine gentechnisch-rechtlichen<br />

Schäden aufgetreten und auch nicht zu erwarten." Brief des Robert-<br />

Koch-Instituts vom 7.6.1995 an den Autor (B.G.). Weil das Zitat so schön ist, wird es hier<br />

wiederholt (vgl. Kap. 8, S. 253).<br />

84 Vgl. Kap. 10.1.5.<br />

368


Diskussion in der Fachöffentlichkeit gerät, 85 erkenntnistheoretisch leicht angreifbar<br />

ist und beim Eintreten gegenteiliger empirischer Evidenzen auch vor einem<br />

breiteren Publikum unglaubwürdig wird.<br />

Denn in der internationalen fachöffentlichen Diskussion zur Gestaltung des<br />

Step-by-step-Prinzips zeigen sich die Lücken einer rein szientistischen Risikoabschätzung<br />

umso deutlicher, je mehr man sich der Grenze des Noch-Nicht-<br />

Wissen-Könnens anzunähern versucht. 86 Auch ein Industrievertreter bemerkt:<br />

"Within the precautionary approach, one can not guarantee full safety of an application."<br />

87 Der Übergang zum nächsten Schritt läßt sich nicht allein wissenschaftlich<br />

ableiten, sondern stellt zugleich eine normative Entscheidung dar. Dies<br />

wurde auch auf politischer Ebene, z.B. im Rahmen von Expertentreffen der<br />

OECD, teilweise eingeräumt und zeigt sich auch daran, daß im Koordinierungsgremium<br />

der EG bei der Marktzulassung transgener Organismen häufig<br />

abgestimmt, d.h. auf ein politisches Entscheidungsverfahren zurückgegriffen werden<br />

muß.<br />

Zugleich erschwert die Gewißheitssemantik aber auch eine sinnvolle Einbeziehung<br />

der Öffentlichkeit. Denn für deren Einflußnahme ist kein Raum gegeben,<br />

wenn die Ergebnisse immer schon rechtlich und wissenschaftlich vorentschieden<br />

sind. Insofern kann es auch nicht verwundern, wenn die Verfahren zur Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

zu Konfrontationsritualen ausarten und für alle Seiten frustrierend<br />

sind. 88 Denn erst durch das Umschalten auf Ungewißheitssemantik werden<br />

die rechtlich nicht im Detail normierbaren Wertentscheidungen erkennbar, die gegenwärtig<br />

implizit von der Verwaltung getroffen werden, 89 bei denen aber eine<br />

Einbeziehung der Öffentlichkeit nicht nur sinnvoll, sondern aus demokratietheoretischen<br />

Gründen auch erforderlich wäre. Im Ergebnis ist jedenfalls festzuhalten,<br />

daß es der Verwaltung in Deutschland bisher zumindest nicht gelungen ist, den<br />

anhaltenden Protest gegen die Freisetzung in einen konstruktiven Dialog einzubinden.<br />

11.4.5. Europäischer Vergleich (am Beispiel Dänemarks)<br />

Vergleichbare Probleme mit der Implementierung des Gentechnikrechts sind in<br />

anderen Mitgliedstaaten der EG in dieser Form nicht aufgetreten. Dies scheint in<br />

den Ländern, in denen es wenig öffentliche Aufmerksamkeit für dieses Thema<br />

85 Vgl. Kap. 8.4.<br />

86 Vgl. Kap. 8.4.<br />

87 Rüdelsheim, Does, 1995, S. 28. Rüdelsheim ist Vertreter der belgischen Firma Plant Genetic<br />

Systems.<br />

88 Vgl. Kap. 5.10. und Kap. 8.<br />

89 Vgl. Kap. 10.1.6.<br />

369


gibt, vor allem daran zu liegen, daß die EG-Richtlinien bisher eher nachlässig<br />

implementiert wurden. Für die südlichen EG-Länder und mit Abstrichen auch für<br />

Frankreich gilt, daß hier die Reflexion von Umweltproblemen noch auf Stufe 1<br />

und 2 verharrt. 90 In Dänemark 91 jedoch, wie auch in abgeschwächter Form in<br />

anderen nördlichen EG-Ländern, 92 in denen es zumindest anfänglich starken Protest<br />

gab, scheint einiges darauf hinzudeuten, daß man dort Ungewißheiten eher<br />

einräumt und sie entsprechend durch expliziten gesellschaftlichen Konsens zu<br />

überbrücken versucht. So wurde das dänische Gentechnikgesetz nicht mit der<br />

Gefährlichkeit, sondern mit der relativen Unwissenheit gegenüber den Auswirkungen<br />

der Gentechnologie begründet. 93 Hiergegen vorgebrachte Partialinteressen<br />

94 stießen in der dänischen Konsenskultur auf Unverständnis, und zwar selbst<br />

bei denjenigen Parlamentariern, die die Gesetzesinitiative inhaltlich nicht unterstützten.<br />

Dieser Konsenskultur entsprechend sind auch die Entscheidungsprozeduren im<br />

dänischen Gentechnikgesetz gestaltet: Umweltschutzorganisationen, Wissenschaft,<br />

Industrie und Parlamentsausschüsse werden regelmäßig in die Beratungen<br />

einbezogen. Zu den Schutzzielen des dänischen Gentechnikgesetzes gehört<br />

auch eine 'nachhaltige gesellschaftliche Entwicklung'. Dementsprechend<br />

werden 'unerwünschte Effekte' nicht nur unter wissenschaftlichen, sondern auch<br />

unter politischen Aspekten diskutiert. Das dänische Parlament stellte darüber<br />

90 Das gilt also insbesondere für Italien, Spanien, Portugal und Griechenland (Levidow/Carr,<br />

S&PP 1996). Für Frankreich liegen keine direkten Untersuchungsergebnisse zur Öffentlichkeitsbeteiligung<br />

vor. Aus einem anderen Bericht über die Implementierung der Freisetzungs-Richtlinie<br />

(Bergschmidt, Comparative, 1995) und aus Hintergrundgesprächen ergibt<br />

sich, daß die Öffentlichkeit sich zwar kaum für das Thema interessiert, aber auf administrativer<br />

Ebene dennoch ein relativ konsequenter Vollzug zu beobachten ist.<br />

91 Vgl. im folgenden Toft, Denmark, 1995; sowie Int. Nr. 24.<br />

92 Dies gilt insbesondere auch für die Niederlande, mit Abstrichen für Großbritannien. Österreich<br />

und Luxemburg verfolgen eine ziemlich klar ablehnende Haltung, haben aber auch<br />

kaum eine eigene Biotechnologie-Industrie. Für die Niederlande vgl. Schomberg, Laborious,<br />

1996.<br />

93 1985 startete NOAH, der dänische Ableger der internationalen Umweltschutzorganisation<br />

Friends of the Earth, eine Protestkampagne gegen die Gentechnik. Anders als deutsche Initiativen<br />

forderte NOAH allerdings kein Verbot, sondern stellte lediglich Fragen betreffs der<br />

Risikoabschätzung und der Verantwortungsstrukturen. Diese Fragen konnten zum damaligen<br />

Zeitpunkt weder von der Biotechnologie-Industrie, die in Dänemark stark vertreten<br />

ist, noch von den Behörden befriedigend beantwortet werden. Das dänische Parlament reagierte<br />

schnell, indem es - anfänglich gegen den Willen der Minderheitsregierung - innerhalb<br />

eines halben Jahres ein relativ restriktives Gentechnikgesetz erließ.<br />

94 Novo, ein großer Biotechnologie-Konzern und wichtiger Arbeitgeber in Dänemark, hatte<br />

gegen die Gesetzesinitiative opponiert und mit dem Abzug von Produktionsanlagen gedroht.<br />

370


hinaus Mittel bereit, um eine breite Informations- und Diskussionskampagne zu<br />

initiieren und zwei Konsensus-Konferenzen abzuhalten. 95 Außerdem ist die dänische<br />

Wissenschaft - gemessen an der Wirtschaftskraft des Landes - ausgesprochen<br />

aktiv an der internationalen Sicherheitsforschung zur Biotechnologie<br />

beteiligt. 96<br />

Im Ergebnis ist festzustellen, daß die Gentechnik in Dänemark zwar dauerhaft<br />

diskutiert wird, regelrechter Widerstand und andere verhärtete Konfliktformen<br />

wie in Deutschland aber bisher nicht zu beobachten sind. Bis 1994 wurde in Dänemark<br />

exakt die gleiche Anzahl von Freisetzungsversuchen genehmigt wie in<br />

Deutschland (11), wobei allerdings zu berücksichtigen ist, daß Dänemark nur ein<br />

sehr kleines Land ist. Den viel folgenreicheren Marktzulassungen stehen die dänischen<br />

Vertreter im zuständigen EG-Ausschuß aber weitaus kritischer gegenüber<br />

als etwa die deutschen Behördenvertreter. Man kann die Opposition der dänischen<br />

Behörden auf EG-Ebene auch als Versuch interpretieren, den nationalen<br />

Konsens durch Verlagerung des Konflikts auf die internationale Ebene zu wahren.<br />

Im Vergleich beider Länder ist festzustellen, daß sich in Dänemark reflexive<br />

Modernisierung anders darstellt als etwa in der Bundesrepublik, indem einerseits<br />

die Generierung von Risikowissen im Land aktiver betrieben und bei europäischen<br />

Verwaltungsentscheidungen eingefordert wird und zugleich versucht wird,<br />

im Hinblick auf die stets verbleibende und eben auch offen eingeräumte Ungewißheit<br />

eine möglichst breite und informierte Zustimmung der Bevölkerung einzuwerben.<br />

Allerdings ist zu berücksichtigen, daß in Dänemark, wie in allen kleineren<br />

und sozialstrukturell vergleichbaren europäischen Ländern, die politische<br />

Kultur als Konsensdemokratie ausgeprägt ist, während in den großen Territorialstaaten<br />

das Prinzip der Konkurrenzdemokratie vorherrschend ist, das ein<br />

Umschalten auf Ungewißheitssemantik offenbar beträchtlich erschwert.<br />

11.4.6. Forschungsorganisation<br />

Und wie zeigen sich nun Phänomene reflexiver Modernisierung auf der Ebene der<br />

Forschungsorganisation? Einerseits sollte die moderne Wissenschaft aufgrund der<br />

von Robert Merton konstatierten Norm der 'organisierten Skepsis' mit dem Phä-<br />

95 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, daß bei den EG-weit wiederholten Meinungsumfragen<br />

zur Biotechnologie in allen anderen Ländern die Glaubwürdigkeit staatlicher<br />

Behörden als sehr niedrig und die der Verbraucher- und Umweltorganisationen als<br />

sehr hoch eingeschätzt wird, während in Dänemark die Skepsis gegenüber der Verwaltung<br />

deutlich geringer ausfällt (vgl. INRA, Opinions, 1991, S. 72ff.; INRA, Biotechnology,<br />

1993, S. 83ff.).<br />

96 Katzek/Wackernagel, Stand, 1991, S. 70.<br />

371


nomen der Ungewißheit vertraut sein. Andererseits ist gerade bei der Genforschung<br />

eine frühzeitige und dynamische Verflechtung mit Verwendungsinteressen<br />

zu beobachten. Aber auch ohne diese Verflechtung könnte man ihr, wie jedem<br />

anderen Forschungszweig, ein Eigeninteresse an einer autonomen und möglichst<br />

unbehinderten Selbstentfaltung unterstellen. 97<br />

Und in der Tat bezieht Merton seinen Befund nur auf Skepsis im Hinblick auf<br />

die Ungewißheit der Ergebnisse, nicht auf deren Nebenfolgen. Aussagen über die<br />

Nebenfolgen der eigenen Forschung macht ein Forschungszweig in der Regel nur<br />

dann, wenn er damit in der (Fach-)Öffentlichkeit konfrontiert wird. Wenn er dann<br />

behauptet, daß er überraschende Nebenfolgen mit Gewißheit ausschließen könnte,<br />

folgt er seinem Entfaltungsinteresse.<br />

Aber prekär sind solche Aussagen für Wissenschaftler immer, weil sie mehr als<br />

andere Professionen gerade von der Revidierbarkeit von Aussagen, die Neuem<br />

erst Platz schafft, leben. Aufgrund der Differenzierung der Disziplinen werden die<br />

Nebenfolgen des einen Forschungszweigs zum Gegenstand des anderen Forschungszweigs,<br />

der dann gelegentlich sogar mit größerer Kompetenz die Sicherheitsbehauptungen<br />

in Zweifel ziehen kann.<br />

Diesem merkwürdigen Paradox unterliegt die Genforschung insbesondere<br />

dann, wenn sie sich selbst auf Sicherheitsforschung einläßt: 98 Wenn diese überraschende<br />

Ergebnisse zeitigt, ist sie wissenschaftlich interessant, behindert aber die<br />

Entfaltungsinteressen - zumindest dann, wenn keine schnelle Abhilfe in Form<br />

einfacher und wenig behindernder Sicherheitsmaßnahmen zur Verfügung steht.<br />

Wenn sie keine überraschenden Ergebnisse vorweisen kann, ist sie erstens 'langweilig'<br />

und zweitens auch kein Sicherheitsbeweis, denn Sicherheit kann man sowieso<br />

nicht beweisen. Insofern kann es nicht verwundern, wenn Sicherheitsforschung<br />

für den jeweils betroffenen Forschungszweig selbst nicht<br />

besonders attraktiv ist, sondern nur für andere Subdisziplinen, wie z.B. die Ökologie,<br />

die daraus sowohl innerwissenschaftliche Reputation als auch außerwissenschaftliche<br />

Anerkennung schöpfen können.<br />

Daß Forschungsorganisationen, jedenfalls auf hoher Ebene, hier wenig Problembewußtsein<br />

entwickeln, scheint sich zumindest in ihren auf Gewißheitssemantik<br />

rekurrierenden und von einseitigen Partialinteressen geprägten Stellungnahmen<br />

gegenüber der Öffentlichkeit zu zeigen. Der inter- und intradisziplinäre<br />

Diskurs in der (Fach-)Öffentlichkeit spiegelt sich darin nicht wider. So<br />

behauptete die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) jüngst in einem Memorandum<br />

zur 'Forschungsfreiheit' pauschal, daß es keine unvorhersehbaren, 'synergistischen'<br />

Risiken bei der Genforschung gäbe:<br />

97 Vgl. Kap. 7.1.; vgl. Mayntz/Scharpf, Ansatz, 1995, S. 54f.<br />

98 Vgl. Kap. 8.7.2.<br />

372


"Kritiker der Gentechnik halten allerdings weiterhin [das] 'additive Modell' der Risikobewertung<br />

für nicht ausreichend; sie verweisen auf ein sogenanntes 'synergistisches<br />

Modell', in welchem Gen und Empfängerorganismus 'mehr' als die Summe<br />

ihrer jeweiligen Eigenschaften darstellen. Dieses 'Mehr' wird als das biologische<br />

Restrisiko oder als das gentechnische Risiko bezeichnet. Hinweise auf die Existenz<br />

eines solchen Risikos gibt es bis heute nicht." 99<br />

Mitglied der Arbeitsgruppe, die diese Schrift verfaßte, war Ernst Ludwig Winnacker,<br />

100 der in einer eigenen Monographie drei Jahre zuvor weitaus differenzierter<br />

feststellte:<br />

"Synergistische Gen-Wirkungen sind ihr [der biologischen Wissenschaft] ... keineswegs<br />

neu. ... Derartige Phänomene, in denen die Gesamtwirkung, die von einem<br />

Gen oder einem von ihm abgeleiteten Eiweißmolekül ausgeht, mehr darstellt als die<br />

Summe der erwarteten Einzeleffekte, müssen also auch in die Bewertung von Sicherheitsfragen<br />

richtig eingehen. Da sie jedoch keineswegs immer auftreten ..., muß<br />

sehr sorgfältig nach dem 'wann' und dem 'wo' gefragt werden. ..." Und er fährt dann<br />

fort: "So können wir insgesamt das Problem der biologischen Sicherheit sowohl in<br />

der Laborpraxis als auch im Produktionsbereich im Prinzip als gelöst betrachten,<br />

wobei uns aber diese Gewißheit niemals daran hindern sollte, auf der Hut zu sein<br />

..." 101<br />

Die Vereindeutigung - man könnte auch sagen: Verdrehung - dieses stärker abwägenden<br />

und tendenziell auf Ungewißheitssemantik umgestellten Befunds durch<br />

das Memorandum der DFG könnte der Vorstellung geschuldet sein, daß man in<br />

einer Konkurrenzdemokratie nur mit Gewißheitssemantik und polarisierenden<br />

Zuspitzungen gehört wird und Einfluß gewinnen kann. Man untergräbt damit aber<br />

auch die eigene Glaubwürdigkeit, die allerdings eine notwendige Voraussetzung<br />

wäre, wenn die Öffentlichkeit auf die andererseits behauptete Selbstregulierung<br />

der Forschung 102 vertrauen sollte.<br />

Die Wissenschaftsorganisationen stecken hier in einem grundsätzlichen Dilemma:<br />

Äußern sie sich in abwägender, unverkürzter und für Laien schwer verständlicher<br />

Form, wirft man ihnen - auch von seiten der etablierten und technologieemphatischen<br />

Politik - vor, daß sie im 'Elfenbeinturm' verharrten und ihrem<br />

Auftrag zum Dialog mit der Öffentlichkeit nicht nachkämen. 103 Äußern sie sich<br />

dagegen in medienwirksamer Form, werden sie des Dogmatismus und der Ver-<br />

99 DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 26; vgl. die im Tenor ähnliche Stellungnahme der Max-<br />

Planck-Gesellschaft zum Gentechnikgesetz (MPG, Schwerwiegende, 1992).<br />

100 DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. VII.<br />

101 Winnacker, Faden, 1993, S. 267ff..<br />

102 DFG, Forschungsfreiheit, 1996, S. 14ff.<br />

103 "Renitent", Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 27.3.1996, S. N1; vgl. dazu auch den<br />

Leserbrief "Unfairer Renitenzvorwurf" in der FAZ vom 16.4.1996, S. 8.<br />

373


kündigung von Halbwahrheiten bezichtigt. Dasselbe Problem stellt sich auch für<br />

Kritiker, die meist selbst Wissenschaftler sind, wenn sie in direkter face-to-face<br />

Kommunikation seriös und differenziert und in den Massenmedien oder bewegungsnahen<br />

Foren verkürzt und polemisch argumentieren (müssen). 104<br />

Dennoch entwickelt sich hinter den Kulissen der Massenkommunikation, in der<br />

die Argumente in sich wechselseitig ausschließender Gewißheit präsentiert werden,<br />

ein ungewißheitsbasierter Diskurs, der aber, anders als z.B. korporatistisches<br />

Bargaining oder andere arkane Absprachen, prinzipiell öffentlich bleibt: Es gibt<br />

keine formellen Zugangsbeschränkungen und vor allem keine Geheimhaltungsabsprachen.<br />

Dadurch vermischen sich aber häufig Elemente beider Diskurse, wenn<br />

Akteure mit inkongruenten Situationsdefinitionen aufeinandertreffen oder zur<br />

Vermeidung kognitiver Dissonanz auch beim Wechsel der Arena 'ihre' - gewißheits-<br />

oder ungewißheitsbasierte - Semantik beibehalten.<br />

Eine spezifische Form, die Ambivalenz zwischen der am Eigeninteresse orientierten<br />

Gewißheitssemantik und der am Wissenschaftsethos der (organisierten)<br />

Skepsis orientierten Ungewißheitssemantik zu überbrücken, besteht in der von<br />

seiten reflektierterer Befürworter aufgestellten Behauptung, daß die Gentechnik -<br />

soweit nach dem Stand der Wissenschaft derzeit abschätzbar - keine besonderen<br />

Risiken oder Ungewißheiten berge. Zwar wird hier wieder auf den Stand des<br />

Wissens rekurriert und insofern auf der Metaebene wieder mit Gewißheitssemantik<br />

operiert, andererseits werden aber auf der Aussageebene Ungewißheiten<br />

durchaus eingeräumt. Allerdings werden diese durch Vergleich mit anderen in der<br />

Biologie bestehenden Ungewißheiten nivelliert. 105<br />

Neben dem Konflikt zwischen sich gegenseitig ausschließenden, also zwischen<br />

prohibitiven und permissiven Gewißheitssemantiken, ergeben sich dann drei weitere,<br />

allerdings abgeschwächte Konfliktformen, nämlich zwischen prohibitiver<br />

Gewißheitssemantik und tendenziell permissiver Ungewißheitssemantik 106 , zwischen<br />

permissiver Gewißheitssemantik und tendenziell prohibitiver Ungewißheitssemantik<br />

107 , sowie zwischen den beiden Formen der Ungewißheitssemantik<br />

(vgl. Schaubild 2, S. 375).<br />

Diese Komplikationen finden sich nicht nur auf der Ebene öffentlicher Kommunikation,<br />

sondern auch beim Vollzug des Gentechnikgesetzes, soweit es um<br />

104 Willmitzer, Gentechnologie, 1994.<br />

105 Vgl. Kap. 2.3. sowie Kap. 7 - 9.<br />

106 Eine tendenziell permissive Ungewißheitssemantik wird z.B. von den Veranstaltern der<br />

vom Wissenschaftszentrum Berlin organisierten Technikfolgenabschätzung zu herbizidresistenten<br />

Kulturpflanzen propagiert (Daele et al., Bewertung, 1994).<br />

107 Eine tendenziell prohibitive Ungewißheitssemantik wird z.B. von uns im rechtspolitischen<br />

Kapitel (Kap. 10) propagiert.<br />

374


die Umsetzung ungewißheitsbasierter Regelungsaspekte geht. 108 Hier treffen<br />

Verwaltungsvertreter mit den entsprechenden Vollzugsstilen auf Genforscher mit<br />

unterschiedlichen Sicherheitsüberzeugungen. Allerdings ist bei den Verwaltungsvertretern<br />

hier die Schwankungsbreite zwischen prohibitiven und permissiven<br />

Haltungen durch das Gentechnikgesetz eingeschränkt, und Genforscher<br />

mit deutlich prohibitiven Einstellungen werden wahrscheinlich kaum für längere<br />

Zeit auf diesem Gebiet arbeiten (können) und eher ins Lager der Kritiker überwechseln.<br />

In der Kombinatorik des Zusammentreffens sind Mißverständnisse,<br />

Frustrationen und Konflikte, aber auch Kontrolldefizite programmiert, zumindest<br />

soweit es die o.g. ungewißheitsbasierten Aspekte des Gentechnikgesetzes anbetrifft.<br />

109<br />

Vieles deutet also darauf hin, daß in der Auseinandersetzung zwischen Verwaltungsvertretern<br />

und Genforschern eine sinnvolle Umsetzung ungewißheitsbasierter<br />

Regelungen teilweise blockiert wird. Das gilt insbesondere für Vorsorgemaßnahmen,<br />

deren Einhaltung von außen nicht effektiv zu kontrollieren ist<br />

und deren Wirkung daher von Einsicht und Vertrauen abhängig ist. 110 Die Mißverständnisse<br />

und Konflikte waren in dem sich nach 1989 verändernden politischen<br />

Umfeld Anlaß nicht nur für die Novellierung des Gentechnikgesetzes im<br />

Jahr 1993, sondern auch für die weitergehenden Forderungen der Bundesregierung<br />

nach einer Lockerung der EG-Richtlinien. Andererseits gibt es auch<br />

Anzeichen, daß die Genforscher aus eigenem Antrieb - und manchmal trotz tendenziell<br />

kontraproduktiver Verwaltungsmaßnahmen - selbstregulativ tätig werden.<br />

Schaubild 2: Entschärfte Konfliktdynamik beim Übergang zu Ungewißheitssemantiken<br />

108 Die folgenden Ausführungen gelten also nicht für Vorsorgemaßnahmen gegen bekannte<br />

Risiken, deren Erforderlichkeit von niemandem bestritten wird.<br />

109 Vgl. Kap. 7.6.<br />

110 Z.B. die Meldung unerwarteter Vorkommnisse nach § 6 und § 21 GenTG.<br />

375


Prohibitive<br />

Gewißheit<br />

Permissive<br />

Gewißheit<br />

Prohibitive<br />

Ungewißheit<br />

Permissive<br />

Ungewißheit<br />

Die Initiative dazu scheint von Einzelpersonen auszugehen oder sich aus interdisziplinären<br />

Kooperationen zu ergeben. Sie ist aber kaum auf der Ebene der hier<br />

relevanten Forschungsorganisationen, z.B. der Universitäten, institutionalisiert.<br />

Entsprechende organisationsrechtliche Vorgaben des Gentechnikgesetzes, die im<br />

Sinne von 'checks and balances' - z.B. zwischen Projektleitern und Sicherheitsbeauftragten<br />

- auf interorganisationale Dauerreflexion abzielen, scheinen zumindest<br />

bei Universitäten ins Leere zu laufen. Allerdings gibt es Industriebetriebe, die auf<br />

die Ausbildung organisationsinterner Öffentlichkeiten, einen ernsthaften Dialog<br />

mit externen Kritikern und eine relativ straffe Umsetzung betriebsinterner Sicherheitsforschung<br />

hinarbeiten. 111 Für die Ausbildung organisationaler Lernbereitschaft<br />

gerade bei der Industrie gibt es zwei Gründe: Erstens bieten die dort anzutreffenden<br />

Organisationsbedingungen, insbesondere die - im Unterschied zur<br />

Universität - relativ klaren und verbindlichen Kommunikationsbeziehungen, dafür<br />

günstige Voraussetzungen. Zweitens sind kommerzielle Unternehmen vom<br />

Wohlwollen der Öffentlichkeit sehr viel direkter abhängig als staatlich getragene<br />

Forschungsorganisationen.<br />

In den Universitäten scheint es aber auch auf informeller Ebene in der Regel<br />

wenig Diskussionen über Forschungsfolgen zu geben. Das ist insofern erstaunlich,<br />

als wir innerhalb der einzelnen Projekte relativ große Unterschiede zwischen<br />

den diesbezüglichen Vorstellungen der einzelnen Mitarbeiter feststellen konnten.<br />

Vorsorgemaßnahmen gegenüber bekannten wie unbekannten Risiken beschränken<br />

sich weitgehend auf entsprechende Handlungsroutinen, die von der informellen<br />

oder formellen Hierarchie bestimmt sind und von den einzelnen Mitarbeitern<br />

kaum hinterfragt werden. Nur im Hinblick auf einen interdisziplinären und neu<br />

etablierten Handlungskontext zur Gentherapie, der durch formelle Bestimmungen<br />

111 Vgl. Kap. 7.4. und 8.3.<br />

376


auch kaum geregelt ist, wurde uns aktuell 112 von entsprechenden Diskussionen<br />

berichtet.<br />

Auf der individuellen Ebene war auffällig, daß erfahrenere Forscher gegenüber<br />

unseren Fragen nach bisher noch ungewissen Folgen weitaus responsiver waren<br />

als die weniger erfahrenen, meist jüngeren Mitarbeiter. Das scheint vor allem<br />

daran zu liegen, daß erstere stärker in fachöffentliche und öffentliche Diskussionen<br />

involviert sind und daher schon öfter mit dieser Fragestellung konfrontiert<br />

waren. Das private Umfeld scheint dagegen weder bei den erfahreneren noch bei<br />

den 'jüngeren' Forschern - anders als bei anderen ökologierelevanten Themen 113 -<br />

eine stärker sensibilisierende Rolle zu spielen. Die erfahreneren Forscher scheinen<br />

die in den Interviews teilweise dokumentierte Responsivität wenn schon nicht<br />

über projektinterne Diskussionen, so doch durch eine entsprechende Gestaltung<br />

der laborübergreifenden Forschungsroutinen umzusetzen - soweit ihnen das praktikabel<br />

erscheint. Spezifischere Fragen nach je erneut im einzelnen Experimentalkontext<br />

möglichen Risiken werden jedoch von den weniger erfahrenen, aber oft<br />

viel unmittelbarer in die tägliche Laborarbeit involvierten Forschern offenbar<br />

kaum gestellt - ansonsten hätten sie die diesbezüglichen Interviewfragen wohl<br />

ergiebiger beantworten können.<br />

Vielfach wird von den erfahrenen und responsiven Forschern aber auch darauf<br />

hingewiesen, daß Vorsorgemaßnahmen im Hinblick auf nicht näher spezifizierbare<br />

Ungewißheiten nicht praktikabel seien. Allerdings korrespondiert diese<br />

Einsicht dann im allgemeinen mit einer etwas größeren Aufgeschlossenheit gegenüber<br />

der Einbeziehung der Öffentlichkeit, als dies bei weniger responsiven<br />

Forschern der Fall ist.<br />

Bei dieser Synopse unserer empirischen Ergebnisse ist allerdings dreierlei zu<br />

berücksichtigen:<br />

- Wie bei qualitativen Studien unumgänglich, beruht sie auf einer kleinen Zahl<br />

von Fällen und Interviews.<br />

- Es haben uns, wie auch an den nicht ganz einfachen und im Bereich der Industrie<br />

weitgehend gescheiterten Vorverhandlungen deutlich wurde, wahrscheinlich<br />

nur Projektleiter Feldzugang gewährt, die ohnehin der kritischen Öffentlichkeit<br />

gegenüber aufgeschlossener sind.<br />

- Ungewißheit beim Umgang mit Forschungsfolgen wurde meistens erst auf<br />

intensivere Nachfragen hin eingeräumt.<br />

112 In einem Labor berichteten Mitarbeiter, die schon länger dabei waren, auch von entsprechenden<br />

Diskussionen aus der Anfangszeit, als die Gentechnologie in Deutschland noch<br />

eine relativ 'junge' Methode und noch nicht gesetzlich reguliert war.<br />

113 Vgl. Heine/Mautz, Öffnung, 1995; Schülein et al., Manager, 1994.<br />

377


Daher können diese Aussagen auch nicht für 'die' Genforschung verallgemeinert<br />

werden.<br />

11.5. Perspektiven reflexiver Modernisierung<br />

Im folgenden soll nun versucht werden, auf der Basis der vorgelegten empirischen<br />

Ergebnisse einige Schlußfolgerungen für die Entwicklung und die soziologische<br />

Beobachtung moderner Gesellschaften unter den Bedingungen reflexiver<br />

Modernisierung zu ziehen.<br />

11.5.1. Reflexive Akteure oder reflexive Institutionen?<br />

Zunächst ist also zu fragen, auf welchen Ebenen Reflexion auftritt und dauerhaft<br />

wirksam wird - auf der Ebene der Diskurse, der Institutionen, oder der organisierten<br />

und individuellen Akteure. Wenn man sich dieser Frage aus der Perspektive<br />

der Akteure nähert, ist hier zunächst an den altbekannten Widerspruch zwischen<br />

Aktion und Reflexion zu erinnern: Wer sich zum Handeln entschließt, muß die<br />

Reflexion der Nebenfolgen an irgendeinem Punkt abbrechen. Denn je mehr ungewisse<br />

oder unerwünschte Nebenfolgen man nicht nur zu bedenken, sondern<br />

auch zu berücksichtigen sucht, umso enger wird der Korridor möglicher Handlungsoptionen.<br />

Dabei ist es zunächst gleichgültig, ob Reflexion in Form von individueller<br />

Selbstreflexion, von organisationsinternen Diskussionsprozessen, oder<br />

im Dialog mit organisationsexternen Akteuren stattfindet. Extensive Dauerreflexion<br />

läuft maximal auf die Wahl der Exit-Option hinaus. Die Akteure treten also<br />

nicht mehr als solche auf.<br />

Auch wenn manchmal in der Öffentlichkeit der Eindruck vom drohenden Exodus<br />

der Genforschung aus Deutschland vermittelt wird, so spricht die stetig steigende<br />

Zahl der gemeldeten Genlabors - derzeit sind es etwa 2000 - eine andere<br />

Sprache. 114 Allerdings läßt sich auf der Ebene der Statistik nicht ausmachen,<br />

welche Motive beim Einstieg oder Ausstieg wirksam werden - in Frage kommen<br />

hier endogene Verschiebungen in der Wahl der präferierten Methoden und Forschungsziele,<br />

Attraktion durch Drittmittel aller Art oder Abschreckung durch<br />

bürokratische Hürden. 115 Reflexionsbereitschaft dürfte dabei nach wie vor eine<br />

eher untergeordnete Rolle spielen. Sichtbar wird diese vor allem dann, wenn die<br />

Akteure vom Pfad geradliniger Durchsetzung abweichen und zu Grenzgängern<br />

werden, z.B. indem sie in ernsthaften Dialog mit der Öffentlichkeit eintreten,<br />

114 Vgl. Kap. 7.3.2.<br />

115 Vgl. Kap. 7.1.<br />

378


Sicherheitsforschung betreiben, und so die Genforschung mit den Mitteln der<br />

Genforschung kritisieren. Ein entsprechendes Verhalten ist bei einzelnen Forschern,<br />

bei einigen Industrieunternehmen wie auch bei nationalen Behörden (z.B.<br />

Dänemark) zu beobachten.<br />

Aber dieses Verhalten erklärt für sich genommen nicht den relativ massiven öffentlichen<br />

Konflikt um die Genforschung. Aus der Sicht des Rational-Choice-<br />

Ansatzes würde man hier ohnehin nicht von einer am öffentlichen Wohl ausgerichteten<br />

Reflexionsbereitschaft, sondern von einer Strategie 'abwartender Nutzenkalkulation',<br />

von 'second winnern' sprechen. 116 Angesichts der technisch, wirtschaftlich<br />

und im Hinblick auf Akzeptanzprobleme derzeit nicht klar kalkulierbaren<br />

Investitionsstrategien würden also die vorgeblich moralisch motivierten<br />

'Zauderer' nur abwarten, daß andere Akteure 'für sie die Kastanien aus dem Feuer<br />

holen', um dann aus deren fast unvermeidlichen Fehlern zu lernen und aus ihren<br />

Fehlinvestitionen möglicherweise auch Konkurrenzvorteile zu erzielen. Sie beobachteten<br />

also zunächst, ob und gegebenenfalls wie die vermeintlichen 'first winner'<br />

die Hürden bürokratischer und gesellschaftlicher Widerstände nehmen, um<br />

dann mit leichter akzeptierten Techniklinien, ausgefeilterer Antragstellung und<br />

verbesserten Marketingkonzepten nachzuziehen. 117 Demonstrative Reflexionsbereitschaft<br />

könnte man aus dieser Perspektive als Strategie interpretieren, mit<br />

der man aus einer unklaren Konkurrenzsituation wenigstens Imagegewinne zu<br />

ziehen versucht.<br />

Isoliert betrachtet sind beide Erklärungsweisen plausibel und empirisch auch<br />

kaum zu widerlegen. Man müßte sich aufgrund der persönlichen Präferenz für<br />

eines der darin ohnehin schon je unterstellten Menschen- und Gesellschaftsbilder<br />

entscheiden. Aber gleichgültig, ob man nun einzelnen Akteure genuin altruistische<br />

Motive unterstellt oder nicht, die Wirksamkeit ihrer Reflexionsbereitschaft wäre<br />

ohnehin von überindividuellen Diskursen und Institutionen abhängig. Denn die<br />

Gesetze des Marktes wirken auch dann, wenn einzelne Anbieter sich zurückziehen,<br />

gleichgültig aus welchen Motiven das geschieht. Wenn die Nachfrage<br />

groß genug ist, werden neue Anbieter an ihre Stelle einrücken. Wirksam wird die<br />

Wahl der Exit-Option also nur, wenn sie massenhaft geschieht oder sich eine<br />

unüberhörbare Kritik (voice) formiert. Dann können sich auch die Märkte und die<br />

sie formierenden und regulierenden Diskurse und Institutionen verändern.<br />

Dabei ist die Entwicklung umfassenderer und dauerhafterer Reflexion inklusive<br />

ihrer Umsetzung in wirksame Selbstbindung allein von innen, also aus der Binnenperspektive<br />

der 'zuständigen' Akteure eher unwahrscheinlich, weil sie in der<br />

Regel von zu starken an technologischer Durchsetzung ausgerichteten Interessen<br />

116 Vgl. Hasse/Gill, Biotechnological, 1994.<br />

117 Vgl. Kap. 8.3.<br />

379


überlagert wird. Die Debatte von Asilomar ist zwar ein Beispiel eines von innen<br />

angestoßenen Reflexionsprozesses, nur war er nicht weitreichend, nicht dauerhaft<br />

und nicht transparent genug, um das von großen Teilen der Öffentlichkeit damals<br />

erwartete Reflexionsniveau zu erreichen. Erst das Auftreten externer Akteure, der<br />

öffentliche Diskurs und seine Umsetzung in gesetzlich verankerte Institutionen<br />

haben hier wie in vielen anderen Umweltkonflikten eine dauerhaftere und weiterreichende<br />

Reflexion sichergestellt.<br />

Dabei darf die Bedeutung der individuellen Reflexionsbereitschaft wissenschaftlicher<br />

Akteure aber auch nicht unterschätzt werden. Zum einen wird der<br />

öffentliche Diskurs wohl fast in allen Umweltkonflikten durch wissenschaftliche<br />

Informationen in Gang gesetzt und am Leben erhalten, auch wenn er letztlich eine<br />

Eigendynamik entwickelt, die von der Wissenschaft nicht mehr steuerbar ist. Zum<br />

anderen laufen Institutionen leer, wenn sie nicht von den Akteuren getragen werden.<br />

Das ist auch bei der Umsetzung des Gentechnikgesetzes zu beobachten,<br />

dessen ungewißheitsbasierte Bestimmungen von Verwaltungsvertretern und Genforschern<br />

vielfach im Sinne eines stark eingeschränkten Suchhorizonts und auf<br />

Gewißheit abstellend interpretiert werden. Aber reflexive Institutionen sind auch<br />

von nachhaltiger Unterstützung im öffentlichen Diskurs abhängig, weil sie ansonsten<br />

von widerstrebenden Akteuren grundsätzlich in Frage gestellt und revidiert<br />

werden, wie derzeit an den Bemühungen zur Aufweichung des Gentechnikgesetzes<br />

und der EU-Richtlinien zu beobachten ist.<br />

Inwieweit die Gesellschaft 'auf dem Weg in eine andere Moderne' (Beck) ist,<br />

scheint demnach nicht nur vom Auftreten einzelner reflexionsbereiter Akteure<br />

oder vom Aufflackern entsprechender Diskurse abzuhängen, sondern davon, ob<br />

reflexive Institutionen etabliert werden. Reflexive Institutionen unterscheiden sich<br />

dabei deutlich von 'normalen' Institutionen, die weit weniger auf dauernde Unterstützung<br />

angewiesen sind. Denn die Institutionalisierung von Dauerreflexion ist<br />

nicht mit der Internalisierung gewißheitsbasierter Handlungsnormen gleichzusetzen,<br />

deren Funktion gerade darin besteht, die Akteure von Reflexion zu entlasten<br />

und die Diskurse in geordnete Bahnen zu lenken. 'Normale' Institutionen schließen<br />

also Lernprozesse ab, reflexive Institutionen müßten sie auf Dauer stellen.<br />

Denn Ungewißheit besteht - im Sinne sozialer Wirkung - immer nur insoweit fort,<br />

als sie auch immer wieder thematisiert wird. Reflexive Institutionen implizieren<br />

also das ständige Offenhalten des kognitiven und moralischen Suchhorizonts und<br />

die gesellschaftlich breit gestützte Aushandlung revidierbarer Entscheidungen.<br />

Es stellt sich dann allerdings die Frage, ob man hier überhaupt noch von 'Institutionen'<br />

sprechen kann, wenn sowohl die im Rahmen der Institutionen getroffenen<br />

Entscheidungen relativ leicht revidierbar sind als auch die Institutionen selbst<br />

ständig fortentwickelt werden. Wie das Beispiel der Freisetzungsregulierung<br />

tatsächlich zeigt, handelt es sich hier sowohl um 'lernendes' als auch um 'Lernen<br />

380


ermöglichendes' bzw. 'Lernen nahelegendes' Recht: 118 Zum einen werden die<br />

rechtlichen Bestimmungen mit zunehmender Erfahrung ständig angepaßt - insofern<br />

'lernt' das Recht selbst. Zum zweiten verbietet das Recht die Gentechnik<br />

nicht, sondern legitimiert (umstrittene) Experimente, in deren Rahmen gelernt<br />

werden kann. Zum dritten versucht das Recht zugleich aber auch, die Akteure bei<br />

ihren Experimenten zur möglichst frühzeitigen Generierung von und Auseinandersetzung<br />

mit Risikowissen anzuhalten.<br />

Das Gentechnikrecht macht dabei nur wenige materielle Vorgaben, und soweit<br />

es diese macht, unterliegen diese selbst wieder - im Sinne 'lernenden Rechts' -<br />

häufiger Revision. Sein institutioneller Gehalt besteht demnach vor allem darin,<br />

die beteiligten Akteure, d.h. die Antragsteller, die Genehmigungsbehörden und<br />

die interessierte Öffentlichkeit, zu permanenten Verhandlungen darüber anzuhalten,<br />

was als 'zu riskant' und als 'angemessene Evidenz' anzusehen ist. 119<br />

Eine 'normale' Institution beruht auf materiellen, konditional spezifizierten Erwartungen<br />

an die Akteure: 'Es ist angemessen, daß ihr in der Situation x die<br />

Handlung y ausführt'. Demgegenüber sind reflexive Institutionen zunächst als<br />

Meta-Erwartungen oder Diskursaufträge zu verstehen: 'Ihr sollt in der Situation x<br />

darüber verhandeln, was angemessen (und) zu tun ist'. Inwieweit dieses 'Verhandeln'<br />

- im neutralen Sinne von 'negotiating' - eher auf dem 'zwanglosen Zwang<br />

des besseren Arguments' im Sinne des Diskursideals von Jürgen Habermas beruht<br />

oder eher auf ein 'Bargaining' zwischen Parteien mit unterschiedlichen Partikularinteressen<br />

bzw. unversöhnlichen Wertideen hinausläuft, ist zunächst eine empirische<br />

Frage. 120 Insoweit handelt es sich zunächst auch nur um eine Prozeduralisierung,<br />

die im schlimmsten Fall bedeuten kann, daß 'Recht' einfach durch (Verhandlungs-)Macht<br />

ersetzt wird. 121 Will man 'reflexive Institutionen' nicht nur als empi-<br />

118 Vgl. im folgenden insb. die Kap. 8.1., 8.8. und 10.2.3.ff.<br />

119 Damit soll aber nicht gesagt werden, daß die Institution hier an die Form des Rechts<br />

gebunden wäre. Wie das Beispiel der Gentherapie deutlich gemacht hat, bestehen hier<br />

ähnliche Erwartungshaltungen im Hinblick auf frühzeitige Risikoaufklärung (vgl. insb.<br />

Kap. 9.3.5f. und 9.4.3). Demnach folgt man hier einem Step-by-step-Verfahren, obwohl<br />

es (in der Bundesrepublik) rechtlich nicht vorgeschrieben ist.<br />

120 Zu den theoretischen Implikationen des Begriffspaars 'Verhandeln und Argumentieren'<br />

vgl. Saretzki, Argumentieren, 1996; als Beispiel einer empirisch-analytischen Untersuchung<br />

(des TA-Verfahrens zur Herbizidresistenz) anhand dieser Begriffe vgl. Saretzki,<br />

Diskurse, 1996.<br />

121 So wird z.B. über prozedurale Institutionen geklagt: "Die Verhandlungen zwischen Behörden<br />

und Bauern zum Thema Düngen haben in einigen Teilen des Landes dazu geführt,<br />

daß über Jahre hinweg die gesetzlich vorgeschriebenen Normen für Grundwasserbelastung<br />

in bewußtem Einvernehmen aller Verhandlungspartner überschritten wurden,<br />

ohne daß eine rechtliche Verurteilung, die von Umweltschutzgruppierungen angestrebt<br />

wurde, noch möglich wäre. Es ist also fraglich, ob diese von Ulrich Beck beschrie-<br />

381


ische Erscheinungen verstehen, sondern in ihnen einen sozialen und ökologischen<br />

Fortschritt verkörpert sehen, so müssen sie auch normative Mindestqualifikationen<br />

erfüllen:<br />

- Sie müssen 'bessere' - d.h. beispielsweise im Ökologiebereich 'nachhaltigere' -<br />

Ergebnisse zeitigen, als sie sich entweder im 'freien Spiel der Kräfte' ohnehin<br />

ergäben oder durch herkömmliche Institutionen, wie z.B. materielle Vorgaben<br />

durch den Gesetzgeber, zu erzielen wären.<br />

- Sie müßten 'demokratischer' sein, also den potentiell von einer Entscheidung<br />

Betroffenen mehr und gerechtere Partizipationschancen bieten, als sie in den<br />

herkömmlichen Verfahren repräsentativer Demokratie zu gewährleisten sind.<br />

Diese Mindestanforderungen sind interpretations- und ausgestaltungsbedürftig<br />

und stellen damit ein demokratietheoretisch wie demokratiepraktisch offenes<br />

Problem dar. 122<br />

bene und befürwortete Form einer 'Subpolitik', die den Niederlanden im Ausland große<br />

Bewunderung einbringt, tatsächlich eine Form der politischen Erneuerung ist, die wir uns<br />

wünschen sollten." (Schomberg, Analyse & Kritik 1997, S. 112)<br />

122 Aus liberaler Perspektive ginge es darum, daß unter aktuellem Entscheidungsdruck praktikable<br />

und möglichst reversible Lösungen gefunden werden, während gleichzeitig die<br />

Grundsatzdiskussion und die Suche nach besseren Lösungen weitergeht. Der Antagonismus<br />

von differierenden Positionen und Wertideen würde wegen der sich daraus ergebenden<br />

gesellschaftlichen Reflexionschancen begrüßt (vgl. z.B. Schwarz/Thompson, Divided,<br />

1990, S. 137ff.). Aus einer dem Diskursideal von Habermas verpflichteten Perspektive<br />

gäbe es dagegen keinen 'Bestandschutz für Positionen'. Einzig gültiges (Meta-)Kriterium<br />

wäre die Durchsetzungsfähigkeit von Argumenten unter den Bedingungen eines deliberativen,<br />

(möglichst) herrschaftsfreien Diskurses. In diesem Sinne wären der Kreis der zu<br />

Beteiligenden, der Entscheidungsrahmen, die Kriterien und das Verfahren auch je erneut<br />

einer in diesem Sinne reflexiven Prüfung zu unterziehen (vgl. z.B. Saretzki, Demokratisierung,<br />

1997). Aus unserer Sicht besteht der Vorzug der 'deliberativen' Perspektive darin,<br />

daß Positionen, die zwar aktuell über Macht verfügen, jedoch keine guten Argumente<br />

vorbringen können, im Diskurs nicht obsiegen könnten. Außerdem wird hier an der regulativen<br />

Idee universaler Vernunft festgehalten, während das liberale Modell die auf dezentraler<br />

Ebene spezifische Gefahr in sich birgt, daß die gesellschaftliche Gesamtkoordination<br />

durch inkohärente Entscheidungen unterminiert wird. Die deliberative Perspektive ist<br />

allerdings mit dem Problem konfrontiert, daß die jeweils mächtigen Positionen sich nicht<br />

ohne weiteres einem (annähernd) herrschaftsfreien Diskurs oder seinen Ergebnissen unterwerfen.<br />

Ein weiteres Problem besteht darin, daß der im deliberativen Modell vorgesehene<br />

'Konsens' voraussetzen muß, daß sich Menschen aus unterschiedlichen 'Kulturen'<br />

tatsächlich verständigen und einigen können - und zwar, wenn das Modell irgendwie praxistauglich<br />

sein soll, unter Zeitdruck.<br />

382


11.5.2. Probleme organisationaler und funktionaler Differenzierung<br />

Auf hohem Reflexionsniveau rücken zugleich auch Probleme ins Blickfeld, die -<br />

anders als die Umweltrisiken auf niedrigem Reflexionsniveau - mit den Mitteln<br />

der Differenzierung nicht mehr einfach zu lösen sind.<br />

Die Probleme der Differenzierung werden zunächst schon innerhalb der Wissenschaft<br />

sichtbar. Die Etablierung ökologisch orientierter Fachdisziplinen erhöht<br />

zwar generell auf kognitiver Ebene die Reflexionspotentiale. Solange aber die<br />

Fachdisziplinen auf kommunikativer wie organisationaler Ebene voneinander<br />

abgeschottet bleiben, können handlungsrelevante Konsequenzen erst relativ spät<br />

gezogen werden. Diese These läßt sich gut an gegenwärtigen Risikokonflikten<br />

illustrieren: Die an unerwünschten Nebenfolgen, also reflexiv orientierten Fachwissenschaften<br />

generieren Verdacht und alarmieren zunächst die Fachöffentlichkeit.<br />

Die an erwünschten Folgen, also technisch orientierten Fachdisziplinen verstehen<br />

diese Einwände nicht und ignorieren sie daher. Der Streit wird dann gelegentlich<br />

in die allgemeine Öffentlichkeit und schließlich in die politische Agenda<br />

hineingetragen. Inzwischen vergehen einige Jahre bis Jahrzehnte. Die politischen<br />

Entscheidungsträger beschließen Gesetze, die entweder nur erfahrungsbasierte<br />

Maßnahmen verlangen oder - wie die ungewißheitsbasierten, also 'früh' ansetzenden<br />

Instrumente des Gentechnikgesetzes - bei ihrer Implementierung auf erheblichen<br />

Widerstand stoßen. 123<br />

Dieser Widerstand resultiert dann nicht mehr nur aus innerwissenschaftlichen<br />

Verständigungsbarrieren und professionellen Handlungsinteressen, sondern auch<br />

aus der Kollision der übergeordneten Subsysteme Wissenschaft, Politik und<br />

Recht. Wenn Ungewißheit hier zum Thema wird, lösen sich die spezifischen<br />

Konturen der Subsysteme tendenziell auf. Die Trennschärfe der kommunikativen<br />

Codes verschwimmt, und sie kommen immer weniger mit den entsprechend ausdifferenzierten<br />

Handlungssystemen zur Deckung. Oder anders ausgedrückt:<br />

Wenn man an klaren Konturen festzuhalten versucht, muß Ungewißheit verdrängt<br />

und ignoriert werden.<br />

Das gilt zunächst vor allem für das Wissenschaftssystem. Seine ausschließliche<br />

Definitionsmacht in Risikokonflikten kann nur behauptet werden, wenn man im<br />

Sinne des modernen Universalitätsanspruchs wissenschaftlicher Erkenntnis die<br />

Unterscheidung zwischen 'eindeutig wahr' und 'eindeutig falsch' zur Ausgangsbasis<br />

aller weiteren Überlegungen macht. Doch selbst wenn man die umstrittenen<br />

kulturrelativistischen Argumente gegen den Universalismus ausklammert, erwächst<br />

aus der unbestreitbaren Begrenztheit des Wissens ein Problem, das mit<br />

123 Ähnliches gilt schon auf der zweiten Stufe für die Einführung integrierter Produktionskonzepte.<br />

Diese erfordert nämlich eine interdisziplinäre und die betrieblichen Organisationseinheiten<br />

übergreifende Vorgehensweise (vgl. Birke/Schwarz, Umweltschutz, 1994).<br />

383


den Mitteln der Wissenschaft jedenfalls unter aktuellem Entscheidungsdruck<br />

nicht mehr zu lösen ist. Man kann zwar an diesem Punkt auf andere, d.h. rechtliche,<br />

politische oder religiöse Kommunikationscodes überwechseln. Die rechtliche<br />

Formel der 'Sozialadäquanz des Restrisikos' ist dafür ein Beispiel. 124 Derartige<br />

Reflexionsabbrüche werden aber nicht mehr durchgängig von den potentiell Betroffenen<br />

akzeptiert, zumindest dann nicht, wenn es wissenschaftliche Vermutungen<br />

im Hinblick auf größere Gefahren gibt. In modernen Risikokonflikten wird<br />

regelmäßig von allen Seiten umstrittenes Wissen einbezogen, und es ist gerade<br />

ein Zeichen eines hohen Reflexionsniveaus, wenn der Kreis der zu erörternden<br />

Argumente sehr weit gezogen wird. Andernfalls würde man sofort abstimmen,<br />

Recht sprechen oder glauben, aber das wäre offensichtlich ein Rationalitätsverzicht.<br />

Daher muß wissenschaftliches Wissen in politische, rechtliche und metaphysische<br />

Diskurse immer enger einbezogen und zugleich mit dem Kontextwissen<br />

der Praktiker konfrontiert werden. Es kann dann nicht mehr einfach zwischen<br />

'wahr' und 'falsch', sondern nur noch zwischen 'wahrscheinlich' und 'unwahrscheinlich'<br />

bzw. zwischen 'plausibel' und 'unplausibel' unterschieden werden.<br />

In ähnlicher Weise verschwimmen die klaren Konturen des Rechtssystems.<br />

Seine Funktion besteht nach klassischer Interpretation darin, Erwartungssicherheit<br />

für die Kontrahenten herzustellen. 125 In dem Maße, wie der Staat aber eine<br />

Garantenstellung gegenüber Dritten, also von den Nebenfolgen des Kontraktes<br />

Betroffenen einnimmt, ist diese Bestimmung schon seit längerem in Auflösung<br />

begriffen. Wie oben 126 schon angemerkt, genießt z.B. der Betreiber einer Anlage<br />

oder der Hersteller eines Produkts keine unumschränkte Bestandsgarantie mehr<br />

für seine Tätigkeiten, da er dynamischen rechtlichen Anforderungen unterworfen<br />

ist ('Stand von Wissenschaft und Technik'). 127 Darüber hinaus wird durch das<br />

Step-by-step-Prinzip 'lernendes' Recht eingeführt, in dessen Rahmen durch die<br />

aktive Generierung von Risikowissen der 'Stand von Wissenschaft und Technik'<br />

jeweils erweitert wird (s.o.). Zwar steht dem Step-by-step-Prinzip im Gentechnikrecht<br />

der Genehmigungsanspruch des Antragstellers gegenüber, aber dieser fügt<br />

sich nicht in die Logik eines offenen Suchhorizonts und wird in der Vollzugspraxis<br />

offenbar nicht zu wörtlich genommen. 128 Während es die klassische Funktion<br />

gewißheitsbasierten Rechts war, nach einer rechtlich nicht determinierten Lernphase,<br />

die zur Rechtsetzung geführt hatte, weiteres Lernen in bestimmten Bereichen<br />

auszuschließen, indem sowohl die Eingriffsermächtigung der Exekutive wie<br />

die Handlungsmöglichkeiten der Rechtsunterworfenen begrenzt wurden, versucht<br />

124 Vgl. Kap. 1 und Kap. 4.<br />

125 Vgl. Weber, Wirtschaft, 1922, Kap. VII, § 8.<br />

126 In Kap. 11.1.<br />

127 Das beklagt Di Fabio, Risikoentscheidungen, 1994.<br />

128 Kap. 8, Fn. 100.<br />

384


'lernendes' Recht, gerade diese Lernphase im Sinne der Wissensgenerierung zu<br />

gestalten. Hier findet also eine enge Verschränkung zwischen Wissenschafts- und<br />

Rechtssystem statt, bei der prinzipiell unklar wird, wann auf weitere Wissensgenerierung<br />

und wann auf rechtliche Ansprüche des Antragstellers oder Dritter<br />

umzuschalten ist, zumal wenn diese im Widerstreit liegen.<br />

Die Funktion des politischen Systems besteht unter anderem darin, Zustimmung<br />

für mehr oder weniger einmalige Rechtsetzungsakte zu organisieren, nach<br />

deren Maßgabe dann die Verwaltung programmiert wird. Wie wir aber gezeigt<br />

haben, sind die ungewißheitsbasierten Regelungen des Gentechnikrechts, insbesondere<br />

das Step-by-step-Prinzip, eben wegen der zugrundeliegenden Ungewißheit<br />

normativ unterdeterminiert. 129 Man hätte andernfalls die Gentechnik generell<br />

verbieten oder nach der Maßgabe der damals schon bekannten Einschränkungen<br />

generell erlauben müssen, was aber wieder auf eine Gewißheitsfiktion hinausgelaufen<br />

wäre. Die normativen Lücken zu füllen, sind weder das Wissenschafts-<br />

noch das Rechtssystem legitimiert. Daher - und wegen der soeben aufgezeigten<br />

Ambivalenzen zwischen Wissenschafts- und Rechtssystem - ergibt sich<br />

immer wieder die Notwendigkeit, auf politische Kommunikation umzustellen und<br />

sozialen Konsens herzustellen. Das Problem liegt aber darin, daß das Parlament<br />

in seiner gegenwärtigen Verfassung tendenziell damit überfordert ist, sich in diesen<br />

kleinteiligen und fachlich anspruchsvollen Beratungen zeit- und sachgerecht<br />

zu engagieren, zumal diese nicht rein politisch, sondern eben auch wissenschaftlich<br />

und rechtlich geführt werden müßten. Wenn man überdies bei der<br />

Produktzulassung eine Nutzenprüfung einführte, 130 käme es außerdem zu einer<br />

Verschränkung zwischen dem Rechtssystem, dem politischen System und dem<br />

Wirtschaftssystem.<br />

Solange Umweltrisiken ausschließlich in gewißheitsbasierter Form behandelt<br />

werden, ist eine relativ klare zeitliche und logische Abfolge der Kommunikationsweisen<br />

zu erkennen. Zunächst wird wissenschaftlich über mögliche Folgen<br />

debattiert, dann wird eventuell in der Öffentlichkeit moralisch über deren<br />

Wünschbarkeit räsoniert, anschließend suchen die Parteien nach Zustimmung für<br />

entsprechende Rechtssetzungsakte, und schließlich wird das Gesetz implementiert<br />

und von der Verwaltung und den Gerichten angewandt. Bei ungewißheitsbasierter<br />

Rechtssetzung und Regulierung löst sich der sequenzielle Ablauf<br />

auf, die Grenzen zwischen den Kommunikationssystemen verflüssigen sich, und<br />

es ergeben sich positive wie negative Kompetenzkonflikte. Das Problem der<br />

Dauerreflexion wird zwischen den Handlungs- und Kommunikationssystemen hin<br />

und her geschoben, aber aufgrund ambivalenter, zwischen Wissenschaft, Moral,<br />

129 Vgl. oben, Kap. 10.1.6. und Kap. 8.8.<br />

130 Vgl. oben, Kap. 10.3.<br />

385


Politik und Recht changierender Konzeptualisierungen und entsprechend unklarer<br />

Zuständigkeiten am Leben erhalten.<br />

11.5.3. Probleme und Perspektiven reflexiver Politik<br />

Wie wir oben festgestellt haben, erscheint bei der Anwendung der Prinzipien der<br />

Konsensdemokratie 131 , wie wir sie oft in den kleinen nord- und mitteleuropäischen<br />

Ländern beobachten, das Umschalten auf reflexive Politik und sozialen<br />

Konsens bzw. Kompromiß 132 einfacher als bei der Anwendung der Prinzipien der<br />

Konkurrenzdemokratie, die im Gentechnikkonflikt besonders ausgeprägt in der<br />

Bundesrepublik wirksam werden. 133 Daß das Umschalten in Konsensdemokratien<br />

leichter fällt, ergibt sich daraus, daß alle Konfliktparteien vorab erwarten können,<br />

daß ein Kompromiß gefunden wird, der dann auch nicht mehr sehr heftig verteidigt<br />

werden muß, weil alle potentiell einflußreichen Konfliktakteure einbezogen<br />

wurden. Die im Kompromißfall von den beteiligten Akteuren zu bringenden Opfer<br />

sind im allgemeinen geringer als die Transaktionskosten oder Sanktionen, die<br />

bei der Wahl der Dissensoption zu erwarten sind. In einem solchen Kontext ist<br />

auch organisationales Lernen leichter möglich, weil die Preisgabe einer ehemals<br />

gehaltenen Position intern wie extern kaum als 'Verrat' oder 'Opportunismus'<br />

gebrandmarkt wird.<br />

Das schnelle Umschalten hat aber auch seinen Preis. Denn der Widerstreit<br />

wechselseitig sich ausschließender Gewißheiten, wie er in Konkurrenzdemokratien<br />

zu beobachten ist, führt zu länger anhaltenden und intensiveren Diskussionen<br />

sowie zu praktischen Blockadesituationen, die im Ergebnis zumindest zu<br />

einem höheren kognitiven Reflexionsniveau führen können, wie z.B. an den in<br />

131 Das Prinzip der Konsensdemokratie bedeutet, daß alle Parteien um Kompromisse ringen,<br />

während das Prinzip der Konkurrenzdemokratie dazu führt, daß die jeweilige(n) Mehrheitspartei(en)<br />

ihre Vorstellungen durchsetzen, und die Minderheit sich in der Oppositionsrolle<br />

zu profilieren versucht. Alle westlichen Demokratien operieren mehr oder weniger<br />

mit beiden Prinzipien inklusive subpolitischer Varianten, wie etwa im klassischen Fall<br />

des Korporatismus oder der offenen Klassenauseinandersetzung in arbeitspolitischen<br />

Konflikten. Welches Prinzip im jeweiligen Konfliktfall die Oberhand gewinnt, hängt von<br />

den Prädispositionen der nationalen politischen Kultur, den politischen Institutionen sowie<br />

den jeweiligen Akteurs- und Diskurskonstellationen ab (vgl. für die Behandlung des<br />

Gentechnikkonflikts im Deutschen Bundestag zur Mitte der 1980er Jahre Gill, Gentechnik,<br />

1991, S. 167ff.).<br />

132 vgl. Fn. 122 in diesem Kapitel.<br />

133 Gill, S&PP 1996; bei anderen Umweltproblemen sind in Deutschland allerdings auch<br />

andere Lösungsmuster zu beobachten (vgl. etwa zur Chemikalienregulierung Schneider,<br />

Politiknetzwerke, 1988; O'Riordan/Wynne, Regulating, 1987; Brickman et al., Controlling,<br />

1985).<br />

386


den USA und in der Bundesrepublik mit großem Engagement geführten Risikound<br />

Moraldiskussionen zu beobachten ist. Von den auf diese Weise generierten<br />

Daten und Überlegungen profitieren häufig auch andere Länder. Der Preis hierfür<br />

ist aber, daß im eigenen Land lange Zeit entweder gar nicht oder auf einem niedrigen<br />

Niveau der ökologischen Modernisierung gehandelt wird. 134<br />

Auf der Ebene intergouvernementaler bzw. supranationaler Koordinierung,<br />

z.B. in der EG, führen die Auslegungsspielräume, die sich bei ungewißheitsbasierter<br />

Regulierung ergeben, fast unvermeidlich zum Konflikt. Denn das Umschalten<br />

von wissenschaftlicher auf politische Kommunikation, reflexive Politik<br />

also, wie sie in einigen EG-Ländern ansatzweise stattfindet, bedeutet zugleich,<br />

daß von einem universalen Prinzip - nämlich Wissenschaft - auf ein lokales Prinzip,<br />

nämlich den in den betreffenden Mitgliedstaaten hier jeweils ausgehandelten<br />

Kompromiß, übergewechselt wird. Dies zeigt sich insbesondere bei der Marktzulassung<br />

transgener Organismen. 135<br />

Zwar wäre es denkbar, auch auf höherer Ebene, also z.B. EG-Ebene, auf reflexive<br />

Politik umzuschalten - unsere Überlegungen im vorigen (Kap. 10.3.) weisen<br />

auch in diese Richtung. Aber dem sind erstens aufgrund der ganz verschiedenen<br />

politischen Kulturen und zweitens generell in umfassenderen politischen Gebilden<br />

aufgrund der wachsenden Länge und Komplexität der Vermittlungswege Grenzen<br />

gesetzt. Transnationale Lernprozesse sind zwar denkbar, aber in jedem Fall<br />

langwierig. Der Dauerdissens erscheint daher vorprogrammiert. Insofern gibt es<br />

auch Forderungen seitens der Industrie und einiger Mitgliedsländer, hier zu<br />

'streng wissenschaftlichen' - gemeint ist: gewißheitsbasierten - Entscheidungskriterien<br />

zurückzukehren. Allerdings muß man fragen, ob das eine auf Dauer gangbare<br />

Alternative wäre. Die EG-Richtlinie zur Freisetzung wurde als ungewißheitsbasierte<br />

Regulierung gerade deshalb erlassen, um den Gemeinsamen Markt<br />

für transgene Produkte zu etablieren. Andernfalls hätten viele Mitgliedsländer<br />

eigene Bestimmungen erlassen.<br />

Die BSE-Krise in der EG zeigt im Kontrast deutlich, was passieren kann, wenn<br />

man an gewißheitsorientierten Regelungen festhält und zuzuwarten versucht, ob<br />

sich der Risikoverdacht bestätigt. Weil man das Übergreifen wissenschaftlicher<br />

Vermutungen auf die Öffentlichkeit selten verhindern kann und gezielte Informationsunterdrückung,<br />

wenn sie bekannt wird, erst recht zu einer Vertrauenskrise<br />

führt, scheinen ungewißheitsbasierte Regulierungen auch die politisch rationalere<br />

Alternative - trotz des Dauerdissenses, den sie in einem komplexen politischen<br />

System wie der EU produzieren.<br />

134 Vgl. für die USA Jasanoff, Risk, 1986; vgl. für den Atomkonflikt in der Bundesrepublik<br />

Ueberhorst, Energiekonsens, 1993.<br />

135 Vgl. Kap. 8.4.3.<br />

387


11.5.4. Interferenz verschiedener Risikosphären<br />

Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung haben wir nur Umweltrisiken betrachtet.<br />

Daneben existieren aber andere Sphären, die ebenfalls von den Nebenfolgen<br />

riskanter Entscheidungen betroffen sein können. In der politischen Sphäre<br />

sind das Gefährdungen des äußeren und inneren Friedens, in der ökonomischen<br />

Sphäre potentielle Schädigungen einer angemessenen Wirtschaftskraft, 136 in der<br />

sozialen Sphäre Armut und soziale Ungleichheit, in der rechtlichen Sphäre der<br />

Verlust von Rechtsstaatlichkeit und der Kohärenz des Normenprogramms etc. Es<br />

steht hier nicht an, diese Risikosphären in vergleichbarer Weise als Entwicklungsmodelle<br />

mit aufeinanderfolgenden Reflexionsstufen zu konzipieren. Aber<br />

generell läßt sich sagen, daß die Risiken und Vorsorgestrategien aus den verschiedenen<br />

Sphären untereinander interferieren.<br />

Zum einen können die Risiken aus der einen Sphäre in die andere Sphäre<br />

durchschlagen. Umweltrisiken werden zu Wirtschaftsrisiken, wenn mit einem<br />

Risikoverdacht belastete Produkte nicht mehr verkauft werden können oder eine<br />

Branche die Ressourcen der anderen Branche zerstört. Soziale Risiken werden zu<br />

politischen Risiken und diese wiederum zu wirtschaftlichen Risiken, wenn wachsende<br />

Spannungen den inneren Frieden gefährden. Wirtschaftliche Risiken werden<br />

aber auch umgekehrt zu sozialen Risiken, wenn keine Transferleistungen<br />

mehr abgeschöpft werden können etc.<br />

Zum anderen können aber auch die Vorsorgestrategien in einer Sphäre Risiken<br />

in anderen Sphären auslösen. Besonders lebhaft wird derzeit unter verschärften<br />

globalen Konkurrenzbedingungen diskutiert, inwieweit die Vorsorgestrategien im<br />

Umwelt- und Sozialbereich die Wirtschaftskraft des jeweiligen Standorts lähmen.<br />

Genauso kann man aber auch umgekehrt argumentieren, daß die Vorsorge zum<br />

Erhalt der Wirtschaftskraft - z.B. durch technische Innovationen - die Risiken im<br />

Umwelt- und Sozialbereich erhöhe.<br />

Es gibt aber auch günstige Interferenzmuster: Vorsorgemaßnahmen zur Produktsicherheit<br />

können die Wirtschaftskraft erhöhen. 137 Hohe Umweltstandards<br />

beschleunigen die Entwicklung sauberer Technologien, die dann über kurz oder<br />

lang Wettbewerbsvorsprünge sichern. Soziale Vorsorge stärkte unter den Bedingungen<br />

relativ abgeschotteter Märkte die Massenkaufkraft und damit das Wirt-<br />

136 Als wirtschaftliches Risiko wollen wir die Möglichkeit bezeichnen, daß der auf der Betrachtungsebene<br />

jeweils zu verteilende 'Kuchen' geringer wird, nicht aber die Möglichkeit,<br />

daß einzelne Gruppen ein kleineres Stück davon erhalten. Letzteres wäre eben ein Verteilungskonflikt.<br />

137 Vgl. oben, Kap. 10.1.8.<br />

388


schaftswachstum. 138 Soweit es gelingt, die Wirtschaft vom Verbrauch materieller<br />

Ressourcen - nicht-erneuerbarer Rohstoffe und Energie sowie Senken - zu entkoppeln,<br />

kann Wirtschaftswachstum auch zum Erhalt der natürlichen Umwelt<br />

beitragen.<br />

Die Steigerung des Reflexionsniveaus, so haben wir argumentiert, ist verbunden<br />

mit einer Reduktion der Externalisierungsmöglichkeiten für unerwünschte<br />

Folgen. Das gilt in unserem bereichsspezifischen Entwicklungsmodell zunächst<br />

nur für die Externalisierung innerhalb der jeweiligen Risikosphäre, also hier für<br />

die Verlagerung von Umweltrisiken auf entferntere Territorien und in die Zukunft.<br />

Es müßte aber, wenn man die Überlegung konsistent weiterzudenken versucht,<br />

auch für die Externalisierung in andere Risikosphären, also z.B. für die<br />

Überlastung der Wirtschaft durch Umweltvorsorge gelten. Es liegt auf der Hand,<br />

daß hier der bereichsspezifischen Reflexion auch Grenzen gesetzt werden.<br />

Dabei stellt sich allerdings das Problem, daß festgestellt werden muß, was als<br />

unerwünschte Externalisierung im Hinblick auf eine andere Risikosphäre gelten<br />

soll. Denn jede Vorsorgestrategie in einer Risikosphäre ist mit Kosten verbunden,<br />

die in anderen Risikosphären zu <strong>Buch</strong>e schlagen können. Hohe Sicherheitsstandards<br />

für gentechnische Produkte drosseln zwar nicht das Wirtschaftswachstum,<br />

aber bei ansonsten gleichbleibender Produktivität den Endverbrauch -<br />

die Waren werden teurer. 139 Es werden also weniger, aber dafür höherwertige<br />

Produkte konsumiert. Aus der Perspektive des Umweltschutzes wird man hier<br />

den Zweck ebenso wie die Nebenfolge gutheißen, aus der Perspektive sozialer<br />

Ungleichheit wird man bei ungleicher Einkommensverteilung die Nebenfolge als<br />

unerwünscht ansehen, weil dann breitere Kreise der Bevölkerung vom Konsum<br />

dieser Produkte ausgeschlossen werden.<br />

Das Erreichen eines hohen Reflexionsniveaus z.B. bei Umweltrisiken ist also<br />

zunächst weniger eine eindeutig beantwortbare moralische Frage, sondern erscheint<br />

von günstigen Interferenzen zwischen den Risikosphären abhängig. Daher<br />

ist anzunehmen, daß hohe Reflexionsniveaus wahrscheinlich zunächst nur punktuell<br />

und zeitlich begrenzt erreicht werden und im übrigen Regressionen, wie<br />

gegenwärtig infolge der Standortdebatte, immer wieder zu erwarten sind. Mit der<br />

unter Globalisierungsbedingungen schwindenden Regulierungskapazität des Nationalstaats<br />

und dem Fehlen supranationaler Äquivalente - es existieren zwar<br />

internationale Regime in einzelnen Risikosphären, aber es fehlt eine Gesamtkoor-<br />

138 Unter den Bedingungen deregulierter Märkte funktioniert die Umverteilungspolitik allerdings<br />

nicht mehr richtig, und inter- oder supranationale Sozialregime sind selbst in der<br />

Europäischen Gemeinschaft kaum - und viel weniger noch auf globaler Ebene - durchzusetzen<br />

(vgl. Streek/Schmitter, National, 1994).<br />

139 Vgl. oben, Kap. 10.1.8.<br />

389


dination - wird ein Durchschlagen der Effekte quer durch die Risikosphären<br />

wahrscheinlicher.<br />

11.5.5. Unterwegs in eine 'andere Moderne'?<br />

Inwieweit sind wir unterwegs in eine 'andere Moderne'? Gibt es gar einen 'Epochenbruch',<br />

der bisher nur noch nicht bemerkt wurde? Selbstverständlich wäre es<br />

vermessen, anhand der vorliegenden Einzelfallstudie diese Frage abschließend<br />

beantworten zu wollen. Allerdings könnten sich hier in nuce entsprechende Anzeichen<br />

gezeigt haben.<br />

Doch zunächst ist zurückzufragen: Was ist mit dem 'Weg in eine andere Moderne'<br />

oder 'Epochenbruch' gemeint? Meinen die beiden Metaphern überhaupt<br />

dasselbe, oder ist nicht ersteres eine evolutionäre und letzteres eine revolutionäre<br />

Metapher? Und weiter zurückgefragt: Hebt die 'einfache', 'lineare' oder wie auch<br />

immer genannte Moderne, die wir jedenfalls zu kennen vermeinen, mit dem Theaterdonner<br />

der Französischen Revolution von 1789 an oder beginnt sie ganz allmählich,<br />

schleichend und zunächst fast unbemerkt im Mittelalter in den oberitalienischen<br />

Städten?<br />

Wenn letzteres der Fall ist, dann stellt sich außerdem noch die Frage, ob die<br />

allmähliche Zunahme des Geldverkehrs, die ersten Handwerkersiedlungen in den<br />

freien Reichsstädten oder an den sich über 'Ausscheidungskämpfen' etablierenden<br />

Höfen etc. 140 bereits den Keim einer dann über kurz oder lang zwangsläufig aufgehenden<br />

Saat darstellten, wie man retrospektiv immer leicht zu behaupten geneigt<br />

ist, zumal wenn man in Gesellschaft und Geschichte gesetzmäßige Prozesse<br />

auszumachen versucht. Oder war der Prozeß vollkommen kontingent und hätte<br />

daher auch vollkommen anders verlaufen können?<br />

Bleiben wir noch einen Moment bei der biologischen Metapher der Saat: Sie<br />

stellt eine genetische Disposition dar, aber niemand weiß, ob und wann sie keimt<br />

und wie sie sich dann entwickelt. Genetische Disposition verweist zugleich auf<br />

Vorgängerschaft. Insofern müßte 'eine andere Moderne' bereits schon in dieser<br />

angelegt sein - in Vorformen eben schon seit langem. Die Moderne wäre dann<br />

immer schon reflexiv gewesen, nur in weniger entwickelter oder auch einfach in<br />

einer anderen Form. Das ist auch die in unserem Entwicklungsmodell aufgestellte<br />

Behauptung. Dabei scheint es auch Qualitätssprünge zu geben, die den Zeitgenossen<br />

immer dramatischer erscheinen als einem distanzierteren Beobachter.<br />

Das würde bedeuten, daß sich die Moderne nicht nur erneut verändert, sondern<br />

daß sie schon immer anders war, als die 'einfache' Modernisierungstheorie sie<br />

140 Vgl. Elias, Prozeß, 1936.<br />

390


konzipiert hat. 141 Die reflexive Modernisierungstheorie wäre demnach in der<br />

Lage, auch retrospektiv Prozesse zu begreifen, die von der 'einfachen' Modernisierungstheorie<br />

nicht gesehen oder nur unzureichend erfaßt wurden. Der 'Bruch'<br />

oder die Richtungsänderung fände dann vielleicht weniger auf der ontologischen,<br />

als eher auf der epistemologischen Ebene statt. Die Moderne befände sich demnach<br />

schon je auf einem anderen Weg, als er von der 'einfachen' Modernisierungstheorie<br />

gesehen wurde und vorgesehen war. Sie würde von der reflexiven<br />

Modernisierungstheorie, die gegenüber der 'einfachen' Modernisierungstheorie<br />

relativ plötzlich die Blickrichtung ändert, nur eingeholt.<br />

Die soziologische Beobachtung befindet sich hier in einer ähnlichen Lage wie<br />

die Akteure, die sie beobachtet. Viele von ihnen wollen die letztlich unabweisbare<br />

Ungewißheit der Nebenfolgen ihrer Entscheidungen nicht sehen. Ebenso<br />

kann die soziologische Beobachtung die gesellschaftliche Wahrnehmung von<br />

Ungewißheit und der sich daraus ergebenden sozialen Prozesse nur ernst nehmen,<br />

wenn sie dafür Kategorien entwickelt. Andernfalls sieht die Modernisierungstheorie<br />

die Gesellschaft so, wie die in vermeintlicher Gewißheit befangenen Akteure<br />

ihre Lage wahrnehmen: Beide versuchen weiterzumachen wie bisher. In einer<br />

Gesellschaft, deren Selbstverständnis aber zunehmend von ihrer Realität abweicht,<br />

kann es dann tatsächlich zum Bruch kommen - wahrscheinlich mit katastrophalen<br />

Folgen.<br />

Auf der Beobachtungsebene unserer Untersuchung ist jedenfalls kein dramatischer<br />

Richtungswechsel auszumachen. Die Ungewißheit, die wir zur zentralen<br />

Beobachtungskategorie gemacht haben, gab es schon immer in der Biologie, wie<br />

auch die Akteure konstatieren (müssen), die jetzt von Gewißheits- auf Ungewißheitssemantik<br />

umschalten. Sie verändert sich vielleicht mit dem Einsatz der Gentechnologie,<br />

aber auch das ist ungewiß. Wie weit die aus dem partiellen Umschalten<br />

auf Ungewißheitssemantik folgende gesellschaftliche Entwicklung vom vorgezeichneten<br />

Weg - den Prognosen der modernisierungsemphatischen Akteure<br />

wie der 'einfachen' Modernisierungstheorie - abweichen wird, läßt sich noch nicht<br />

sagen. Dazu sind die beobachteten Prozesse noch zu brüchig.<br />

Manche werden daher an ihrer Normalitätsdiagnose festhalten. 142 Andere werden<br />

die von uns aufgezeigten Prozesse nicht als reflexive Modernisierung ansehen<br />

wollen, weil sie sich die 'andere Moderne' ganz anders vorgestellt haben. Aber<br />

ein wenig anders ist die Entwicklung der Genforschung schon: Es wird eben nicht<br />

alles gemacht, was sich die Protagonisten auf den Wunschzettel gesetzt haben,<br />

141 Nach Stephen Toulmin z.B. gab es die Skepsis, zur der die Gesellschaft jetzt überzugehen<br />

scheint, bereits am Anfang der Moderne, bevor mit Descartes und anderen im 17. Jahrhundert<br />

eine gewißheitsorientierte Rationalitätsfixierung einsetzte (Toulmin, Kosmopolis,<br />

1994).<br />

142 Daele, Soziologische Revue 1995.<br />

391


und das nicht nur aus technologisch und ökonomisch endogenen Gründen. Der<br />

Einsatz der Gentechnologie wurde bisher nicht verhindert und wird wahrscheinlich<br />

auch nicht verhindert werden. Aber kommt es darauf überhaupt an?<br />

Mit der Fokussierung auf Ungewißheit und der Abkehr vom - in ihren Augen -<br />

erwiesenen Risiko der Gentechnologie sehen viele Kritiker eine Schwächung<br />

ihrer Positionen verbunden. Wenn die Gentechnologie erwiesenermaßen mit großen<br />

und irreduziblen Gefahren verbunden wäre - was indes die meisten Wissenschaftler<br />

bestreiten -, dann müßte sie aus verfassungsrechtlichen Gründen tatsächlich<br />

verboten werden. Aber an den gegebenen Herrschaftsverhältnissen würde<br />

sich dadurch nichts ändern: Die Wissenschaft befindet und die Verwaltung entscheidet<br />

unter der Maßgabe rechtlicher Generalklauseln ('nach dem Stand der<br />

Wissenschaft'). Oder um es mit Niklas Luhmann auszudrücken: "Andere Entscheidungen<br />

bedeuten nicht eine andere Ordnung, sie sind nichts weiter als Entscheidungen:<br />

Eine Straße wird gebaut oder nicht gebaut. Raketen werden stationiert<br />

oder nicht stationiert. Ein giftmüllbeladenes Schiff läuft aus dem Hafen aus<br />

oder läuft nicht aus ..." 143 Wäre die Gentechnik verboten worden, würden stattdessen<br />

andere, ebenfalls mit Ungewißheit behaftete Technologien entwickelt.<br />

Dagegen könnte die Wahrnehmung der stets vorhandenen Ungewißheit und ihre<br />

politische Berücksichtigung tatsächlich eine andere Ordnung hervortreiben.<br />

Wenn sich die aufgezeigten Trends fortsetzen und sich der Übergang von der<br />

Gewißheits- zur Ungewißheitssemantik auf längere Sicht und auf breiterer Front<br />

vollzieht, ist auch mit umfassenderen Veränderungen zu rechnen. Es könnten sich<br />

dann Politikformen entwickeln, die demokratischer, adaptiver und lernfähiger<br />

wären.<br />

143 Zit. n. Wolf, KJ 1986, S. 262.<br />

392


393


Anhang 1: Methodische Überlegungen zu Auswahl, Verlauf und<br />

Auswertung der Interviews<br />

Die folgende Darstellung methodischer Überlegungen gilt für die vor allem in den<br />

Kapiteln 7 - 9 verwendeten Interviewdaten.<br />

A 1. Erkenntnisziele beim Einsatz der Interviewmethode<br />

Nicht-standardisierte Interviews haben sich in jüngerer Zeit im Zeichen der Renaissance<br />

qualitativer Methoden in der empirischen Sozialforschung zum Standardinstrument<br />

entwickelt, dessen Einsatz kaum noch begründungspflichtig erscheint.<br />

Häufig wird es, obwohl auch andere Datenzugänge denkbar wären, als<br />

ausschließliches Erhebungsinstrument eingesetzt.<br />

Dagegen erscheint es uns wichtig, die praktischen und theoretischen Beschränkungen<br />

im Auge zu behalten, die sich hier ergeben. Wenn es - wie im vorliegenden<br />

Fall - um die Untersuchung eines politischen und sozialen Konflikts geht, ist<br />

zum einen mit Zugangsschwierigkeiten zu rechnen, zum anderen werden die Interviewpartner<br />

(IP) häufig nicht mehr und nichts anderes sagen, als auch anhand<br />

von öffentlichen Dokumenten zu erfahren ist. Denn in diesen Dokumenten ist eine<br />

- häufig innerhalb der entsprechenden Organisationen sorgfältig abgestimmte -<br />

Sichtweise der Situation niedergelegt, die allen antizipierten und strategisch wichtigen<br />

Verwendungszusammenhängen der preisgegebenen Informationen Rechnung<br />

trägt. Wenn sich die IP doch zu weitergehenden Aussagen 'hinreißen' lassen,<br />

kann man diese meistens aus forschungsethischen Gründen nicht direkt verwenden.<br />

Daher ist es oft schon aus Gründen der Forschungsökonomie - Interviews<br />

sind schließlich in jeder Hinsicht aufwendig - ratsam, gleich auf veröffentlichte<br />

oder zugänglich gemachte Dokumente zurückzugreifen, zumal diese im Hinblick<br />

auf faktische Details ohnehin meist präziser sind als das Erinnerungsvermögen<br />

der IP.<br />

Andererseits stellen Interviews aber eine wichtige Ergänzung zur Dokumentenanalyse<br />

dar. So ist es häufig der Fall, daß im Rahmen von Interviews Dokumente<br />

zugänglich gemacht werden, die man ansonsten nicht erhalten oder nicht<br />

beachtet hätte. 1 Außerdem kann man im Dialog mit den IP die Entstehungskontexte<br />

und Sinnzusammenhänge oft besser klären, als dies allein anhand der<br />

Zusammensicht der Dokumente möglich wäre. Schließlich ist der Einsatz der<br />

1 Vgl. Hucke/Wollmann, Methodenprobleme, 1980.<br />

393


Interviewmethode immer dann erforderlich, wenn es zu dem jeweils interessierenden<br />

Thema keine anderen Daten gibt.<br />

Vor allem aus dem zuletzt genannten Grund haben auch wir in der Untersuchung<br />

auf die Anwendung der Interviewmethode zurückgegriffen. Wichtigstes<br />

Ziel war dabei die Erhebung von ergänzenden Daten zu Interaktionen innerhalb<br />

der Behörden, zwischen Behörden und Antragstellern sowie innerhalb der befragten<br />

Arbeitsgruppen. Denn gerade zum letzten Punkt lagen bis dato keine systematischen<br />

Aussagen vor. 2<br />

A 2. Überlegungen zur Auswahl der befragten Arbeitsgruppen 3<br />

Leitgedanke bei der Auswahl der befragten Arbeitsgruppen war die Überlegung,<br />

in welchen Anwendungsfeldern der Gentechnik am ehesten mit vergleichsweise<br />

brisanten Entscheidungen in der Forschungssituation selbst zu rechnen sei. Es<br />

sollten gezielt Gruppen ausgewählt werden, bei denen erwartet werden konnte,<br />

daß sie ihre Forschungsentscheidungen aufgrund von inneren oder äußeren Antrieben<br />

'reflektieren' (vgl. Kap. 11). Es ging uns also nicht darum, ein 'repräsentatives'<br />

Bild der Genforschung zu zeichnen - was angesichts von ca. 2000 Genlabors<br />

und den bei qualitativen Studien notwendigen Beschränkungen der Fallauswahl<br />

sowieso allenfalls im Sinne der Kontrastgruppenbildung 4 möglich gewesen<br />

wäre -, sondern um die aus theoretischen Überlegungen 5 sich ergebende Frage,<br />

ob es Nebenfolgenreflexion in der Genforschung tatsächlich gibt und wie sie<br />

sich gegebenenfalls qualitativ gestaltet. Daher wurden ein Freisetzungsprojekt,<br />

das der Sicherheitsforschung gewidmet ist (vgl. Kap. 8), und ein Gentherapieprojekt<br />

(vgl. Kap. 9) ausgewählt.<br />

Außerdem war geplant, verschiedene Typen der Forschungsorganisation - Universität<br />

versus große Industrieunternehmen - näher zu untersuchen. Daher sollte<br />

auch eine Fallstudie zur Pharmaforschung in der Industrie vorgenommen werden.<br />

Allerdings mußten hier Abstriche gemacht werden, weil es bei der Großindustrie<br />

erhebliche Zugangsschwierigkeiten gab (s.u.) und im Laufe der Zeit auch forschungsökonomische<br />

Beschränkungen hinzukamen - die Untersuchung des Gen-<br />

2 Die Untersuchung von Hasse et al. bezieht sich vor allem auf die Entwicklung von Forschungsmethoden,<br />

Denkstilen und Forschungszielen in der Molekularbiologie, während<br />

der Umgang mit Nebenfolgen nur am Rande gestreift wird. Gleichwohl war diese Studie in<br />

inhaltlicher wie methodischer Hinsicht wichtig als Hintergrund für die Konzeption unserer<br />

eigenen Untersuchung (Hasse et al., Technologisierung, 1994).<br />

3 Die entsprechenden Interviewnummern sind in diesem Anhang unter Punkt A 9 aufgeführt.<br />

4 Vgl. Hasse et al., Technologisierung, 1994, S. 39f.<br />

5 Vgl. Gill, Soziale Welt 1994.<br />

394


therapieprojekts hatte sich aufgrund der dort nachzuvollziehenden interdisziplinären<br />

Kooperation zwischen zwei Arbeitsgruppen (vgl. Kap. 9) als doppelt<br />

aufwendig erwiesen. Daher konnten im Bereich der Industrie nur ein ausführliches<br />

Interview sowie ein Hintergrundgespräch und eine briefliche Befragung<br />

durchgeführt werden.<br />

A 3. Überlegungen zur Auswahl der übrigen Gesprächspartner 6<br />

Mit der Auswahl der übrigen Gesprächspartner wurde versucht, das sich ergebende<br />

Bild abzurunden. Zum einen wurde bei den Universitäten, der die untersuchten<br />

Arbeitsgruppen angehören, Gespräche mit den in der Universitätsverwaltung<br />

zuständigen Personen über die Organisation der Betreiberverantwortung<br />

geführt. Zum zweiten wurden auf Länderebene mit unterschiedlichen<br />

Vollzugsaufgaben betraute Personen befragt. Schließlich wurde im Hinblick auf<br />

die administrative Handhabung von Freisetzungen um Interviews mit Vertretern<br />

der zuständigen Bundesbehörden nachgesucht. Der Vertreter des Robert-Koch-<br />

Instituts wollte unsere Fragen allerdings nur schriftlich beantworten.<br />

A 4. Zugangsbedingungen<br />

Abgesehen von diesem Fall, der sich erklärtermaßen aus der Intention ergibt, nur<br />

eine intern abgestimmte 'Amtsposition' nach außen geben zu wollen, gab es bei<br />

der Verwaltung keine Auskunftsprobleme. Auch die Reaktion auf die Bitte um<br />

Nachweis oder Zusendung von schriftlichen Dokumenten (Jahresberichte, parlamentarische<br />

Anfragen etc.) war im allgemeinen sehr entgegenkommend.<br />

Wie schon erwähnt, gab es bei der Industrie erhebliche Zugangsschwierigkeiten.<br />

Nur drei der zehn von uns angeschriebenen großen Firmen mit Hauptsitz<br />

in Deutschland sind auf unser Gesprächsersuchen überhaupt eingegangen. Einige<br />

Firmen haben gar nicht geantwortet. Ablehnungen wurden damit begründet, daß<br />

man 'keine Zeit' habe. Da im Zuge der Standort- und Novellierungsdiskussion die<br />

Gentechnologie von den Wirtschaftswissenschaften als Thema 'entdeckt' wurde,<br />

sind viele Firmen offenbar 1993/1994 mit einer Welle von Interviewanfragen<br />

konfrontiert worden. Insofern ist der Ablehnungsgrund nicht zwangsläufig vorgeschoben.<br />

Auch von anderen Forschern wurde uns von vergleichbaren Zugangsschwierigkeiten<br />

bei der Industrie berichtet. Jedenfalls gibt es keine Hinweise, daß<br />

6 Die entsprechenden Interviewnummern sind in diesem Anhang unter Punkt A 9 aufgeführt.<br />

395


die Zugangsschwierigkeiten etwas damit zu tun hätten, daß die großen Industrieunternehmen<br />

'etwas zu verbergen hätten', wie man naheliegenderweise vermuten<br />

könnte. Daß die Sicherheitslage hier deutlich besser ist als etwa an den Universitäten,<br />

wird auch durch die Erhebungen und Auskünfte der Länderbehörden<br />

eindeutig bestätigt.<br />

Der Vorgang der Selbstauswahl, auf dem die hier zusammengetragenen Informationen<br />

beruhen, ist eher bezeichnend für den mißtrauischen und Mißtrauen<br />

erweckenden Umgang der meisten großen deutschen Unternehmen mit der deutschen<br />

Öffentlichkeit, die ihrerseits ihre Kritik an der Gentechnik bevorzugt an die<br />

großen Unternehmen adressiert und daher zu der hier entstandenen Mißtrauensspirale<br />

selbst mit beiträgt. So wollten auch die beiden Unternehmen, die zögerlich<br />

auf die Anfrage eingingen und dann in Form eines Hintergrundgesprächs<br />

und eines Briefes auf unsere Fragen geantwortet haben, sehr genau wissen, ob unsere<br />

Untersuchung für sie nützlich sein könnte. Lediglich ein Unternehmen war<br />

umstandslos gesprächsbereit - es hatte bezeichnenderweise bisher, nach eigenen<br />

Angaben, auch keine Probleme mit direkt ausgerichteter Kritik von seiten der<br />

Öffentlichkeit.<br />

Im Unterschied zu den großindustriellen Forschungsorganisationen war es bei<br />

den universitären Arbeitsgruppen nicht besonders schwierig, Gespräche anzubahnen.<br />

Nur eine Arbeitsgruppe (in der klinischen Medizin) hat sich gegen eine Befragung<br />

gesperrt. Es wurden jeweils zunächst die Arbeitsgruppenleiter angesprochen<br />

und unser Untersuchungsvorhaben vorgestellt. Die Arbeitsgruppenleiter<br />

haben dann ihre Mitarbeiter gefragt, ob sie grundsätzlich bereit wären, an der<br />

Befragung teilzunehmen. Dann wurde das Projekt noch einmal in einer Arbeitsgruppensitzung<br />

erläutert. Schließlich wurden mit den infrage kommenden Personen<br />

Einzelgespräche geführt. Hier gab es praktisch keine Weigerungen. Auch in<br />

den Interviews selbst wurde keine der von uns gestellten Fragen zurückgewiesen.<br />

Insofern können wir davon ausgehen, daß die Selektivität der hier erhobenen<br />

Interviewdaten weitgehend auf unseren Auswahlkriterien beruht und nicht von<br />

krassen Selbstauswahleffekten überlagert wird - etwa in dem Sinne, daß nur in<br />

ihrer Selbstwahrnehmung besonders 'gesetzestreue' Labors zur Teilnahme an den<br />

Interviews bereit gewesen wären. Allerdings ist anzunehmen, daß Forschungsorganisationen<br />

bzw. Labors mit (selbst wahrgenommenen) gravierenden<br />

Organisationsmängeln sich unserer Befragung verweigert hätten.<br />

396


A 5. Interviewmethode und Gesprächsverlauf<br />

Die zugrundegelegte Interviewmethode läßt sich am besten als Mischtyp zwischen<br />

'Experteninterview' 7 und 'problemzentriertem Interview' 8 charakterisieren.<br />

Während beim Experteninterview im allgemeinen reine Sachfragen thematisiert<br />

werden und dem IP die alleinige Definitionsmacht für seine Sichtweise der Dinge<br />

eingeräumt wird, geht die Konzeption des problemzentrierten Interviews davon<br />

aus, daß auch die Involviertheit des IP selbst mit dem Problem zur Sprache gebracht<br />

wird und daß auch konfrontierende Interventionen seitens des Interviewers<br />

sinnvoll sein können, wenn es um die Klärung von scheinbaren oder tatsächlichen<br />

Widersprüchen in der Aussage des IP geht. Auch das 'Nachhaken' bei (scheinbaren)<br />

Ausweichreaktionen seitens des IP ist zulässig. Diese Interventionen während<br />

des Interviews sind vor allem auch deshalb angezeigt, um nicht später in der<br />

Auswertung auf mehr oder weniger willkürliche Interpretationen angewiesen zu<br />

sein. Mit anderen Worten: Die Interpretationsarbeit wird in die Interviewsituation<br />

selbst verlegt, indem eine kooperative Klärung offener Fragen zwischen Interviewer<br />

und IP angestrebt wird.<br />

Die Gespräche dauerten zwischen ca. 30 Minuten und drei Stunden. Die Dauer<br />

war von dem Kenntnisstand der IP zu den jeweils interessierenden Fragen, ihrer<br />

Expressivität und ihrer zeitlichen Belastung abhängig. Wie auch von sozial vollständig<br />

anderen Interviewsituationen berichtet, 9 wurden die - selbstverständlich<br />

um einen sachlichen Ton bemühten - Interventionen des Interviewers ohne erkennbare<br />

Widerstände akzeptiert und wahrscheinlich eher als Stimulanz und<br />

Herausforderung (im positiven Sinne) wahrgenommen als ein auf vollkommen<br />

passives Feedback ('mmh, mmh') sich beschränkendes Interviewerverhalten, wie<br />

es in der Methodenliteratur häufig empfohlen wird.<br />

Selbstverständlich sind die so erhobenen Daten auch durch das Interviewerverhalten<br />

beeinflußt. Das sind sie aber in jedem Fall. Es ist eine Illusion zu glauben,<br />

daß es eine 'im Feld' objektiv und unabhängig von den wechselnden sozialen<br />

Situationen gegebene Sichtweise überhaupt gäbe, und daß sie ohne verzerrenden<br />

Einfluß seitens des Interviewers erhoben werden könnte. 10 Denn ganz gleich, wie<br />

7 Hucke/Wollmann, Methodenprobleme, 1980; Meuser/Nagel, ExpertInneninterviews, 1991.<br />

8 Witzel, Verfahren, 1982.<br />

9 Witzel, Verfahren, 1982.<br />

10 Vgl. Welzer, Soziale Welt 1995. Abgesehen von Informationen über Tatbestände, die von<br />

den IP aus strategischen Gründen verzerrt dargestellt werden können, wurde auch nach<br />

Einstellungen und Erwartungen gefragt. Auch diese sind nicht einfach gegeben, sondern<br />

werden in der Gesprächssituation in der konkret zum Ausdruck kommenden Form aktuell<br />

erzeugt. Allerdings ist davon auszugehen, daß hier nicht beliebige Reaktionen durch den<br />

Interviewer hervorgerufen werden können, sondern daß durch den sozialen und biographi-<br />

397


sich der Interviewer verhält, werden die IP ihre eigenen Überlegungen anstellen,<br />

was der Interviewer 'hören will', wie er die erhobenen Daten verwenden könnte<br />

und was sie ihm daher mitteilen möchten. Gerade wenn er sich sehr passiv und<br />

unbestimmt verhält, wird er Projektionen Vorschub leisten, die dann weder von<br />

den IP noch von ihm selbst zu kontrollieren sind.<br />

Die wechselseitigen Projektionen werden - was in der Methodenliteratur seltener<br />

diskutiert wird - wohl vor allem bei den Anbahnungsgesprächen geprägt.<br />

Wir haben schon in unseren Anschreiben deutlich gemacht, daß es uns letztlich<br />

um den Schutz für Gesundheit und Umwelt geht (und nicht vorrangig um den<br />

'Industriestandort'), wir aber auch Zweifel an der vollständigen Angemessenheit<br />

des Gentechnikgesetzes und seiner gegenwärtigen Vollzugsformen hegen. Insofern<br />

haben wir sicher teilweise auch nolens volens ein 'sozial erwünschtes' Antwortverhalten<br />

provoziert.<br />

Dadurch, daß jeweils mehrere Mitglieder einer Arbeitsgruppe befragt wurden,<br />

sind die Spielräume strategisch verzerrter Darstellungen jedoch wahrscheinlich<br />

eingeschränkt worden, zumindest soweit es sich um Fragen handelte, bei denen<br />

die IP damit rechnen mußten, daß ihre Antworten in Widersprüche mit den Aussagen<br />

anderer Mitglieder geraten würden. Vorabgestimmte Aussagen zu einzelnen<br />

Punkten sind zwar nicht auszuschließen, es haben sich jedoch keine entsprechenden<br />

Hinweise - etwa in Form stereotyper Sprachregelungen - im Antwortverhalten<br />

finden lassen. Im übrigen wurden die Interviews möglichst offen<br />

geführt - der Leitfaden war den IP nicht im Detail bekannt, er wurde nur als grobe<br />

Merkliste benutzt und es wurden konkrete Nachfragen gestellt -, so daß komplexere<br />

Verzerrungen weitgehend ausgeschlossen werden können. Allerdings war<br />

festzustellen, daß es zwischen und in den Arbeitsgruppen Unterschiede dahingehend<br />

gab, auf möglicherweise 'heiklere' Fragen eher pauschal und ausweichend<br />

oder detailliert und offen zu antworten. Potentiell 'anstößigere' Antworten - etwa<br />

im Hinblick auf Regelverletzungen im eigenen Labor, zum Sinn von gesetzlichen<br />

Regeln und kulturellen Tabus (Keimbahneingriff) - kamen bezeichnenderweise<br />

nur von Arbeitsgruppenleitern (Professoren) bzw. in einem Fall von einem Techniker<br />

mit ebenfalls gesicherter Berufsposition. Allen IP wurde (selbstverständlich)<br />

die Anonymität ihrer Aussagen sowie die Möglichkeit zur Autorisierung der verwendeten<br />

und von ihnen stammenden Interviewpassagen zugesichert.<br />

398<br />

schen Hintergrund des IP eine Bandbreite determiniert ist, innerhalb derer sich das Antwortverhalten<br />

bewegen kann. Durch gezielte Eskalation der (Nach-)Fragen kann der Interviewer<br />

diese Bandbreite der vorhandenen Denk- und Bewertungsspielräume 'testen' und<br />

gewinnt damit auch Hinweise auf Reaktions- und Veränderungsbereitschaften der IP in 'realen'<br />

Situationen.


A 6. Auswertung und Validierung<br />

Alle Interviews - mit zwei Ausnahmen (Hintergrundgespräche) - wurden auf Tonträger<br />

aufgezeichnet und vollständig transkribiert. Die Auswertung erfolgte durch<br />

den Interviewer (B.G.) selbst. Bei der ersten Lektüre wurden Stichwörter für die<br />

sich daran - in zweiter Lektüre - anschließende Kodierung erstellt. So wurde<br />

sichergestellt, daß nicht nur vorgefaßte, sondern auch anhand der ersten Lektüre<br />

sich induktiv ergebende Auswertungskategorien berücksichtigt werden konnten.<br />

Bei der schriftlichen Abfassung des Endberichts wurde darauf geachtet, daß die<br />

getroffenen Aussagen nicht nur mit den jeweils in Bezug genommenen Textstellen,<br />

sondern auch mit der Gesamtaussage des jeweiligen Interviews in Einklang<br />

stehen.<br />

Eine kollektive Auswertung im Sinne einer Interpretationsgruppe erschien uns<br />

nicht angezeigt. Zum einen hätte nur der Interviewer selbst über das für das Verständnis<br />

vieler Interviewpassagen notwendige Kontext- und Hintergrundwissen<br />

verfügt. Zum zweiten waren wohl die allermeisten Verständnisprobleme durch<br />

den Einsatz der problemzentrierten Methode schon im Interview selbst ausgeräumt<br />

worden (s.o.). Und zum dritten erscheint es uns überhaupt fraglich, ob eine<br />

Interpretationsgruppe eher zu einer angemesseneren Interpretation gelangt als ein<br />

einzelner Auswerter. Ein einzelner Auswerter hat seine Interpretation immer<br />

selbst zu verantworten und wird in seinen Schlußfolgerungen entsprechend vorsichtiger<br />

sein als eine Interpretationsgruppe, in der die Verantwortung diffundiert<br />

und die sich dann im Zuge entsprechender Gruppendynamik berechtigt und stark<br />

fühlen kann, von einer vermeintlich 'höheren Warte' aus über die 'Forschungsobjekte'<br />

zu urteilen.<br />

Die Validierung der Interviewergebnisse selbst erfolgte im Rahmen der schon<br />

aus anderen Gründen notwendigen Autorisierung (s.o.). 11 Die insgesamt in der<br />

Untersuchung getroffenen Aussagen sind - im Sinne der Methodentriangula-tion 12<br />

zusätzlich auf die Dokumentenanalyse und auf die langjährige teilnehmende Beo-<br />

11 Den IP wurden die entsprechenden Bezugnahmen sowie die sinngemäß angrenzenden<br />

Passagen aus dem umliegenden Text zugesandt mit der Bitte, sich bei Bedarf innerhalb von<br />

sechs Wochen zu melden. Von fünf IP wurden teils kleinere, teils umfassendere Korrekturen<br />

ihrer Aussagen vorgenommen. Im wesentlichen handelte es sich dabei um Glättungen<br />

etwas zugespitzterer Äußerungen und stilistische Änderungen, die den Text mehr<br />

dem in der Schriftsprache üblichen 'gehobeneren' Ton anglichen. Ein IP verweigerte die<br />

Autorisierung mit der Begründung, sich an das Gesagte nicht mehr erinnern zu können.<br />

Den Änderungs- bzw. Rückzugswünschen wurde selbstverständlich entsprochen. Infolge<br />

der Änderung an einer Interviewpassage mußte auch unsere anschließende Interpretation<br />

leicht korrigiert werden.<br />

12 Instruktiv in diesem Sinne Thienen, Beratungswelt, 1990.<br />

399


achtung bzw. beobachtende Teilnahme der Projektmitarbeiter im politischen<br />

Gentechnikdiskurs gestützt.<br />

A 7. Belastbarkeit und Generalisierbarkeit der Interviewdaten<br />

Besonders infolge der erörterten Selektivität bei der Auswahl der IP und der<br />

'Konstruiertheit' der Interviewaussagen ergeben sich Einschränkungen im Hinblick<br />

auf die Generalisierbarkeit und Belastbarkeit dieser Daten. Darauf wurde im<br />

Text bereits hingewiesen (z.B. Kap. 9, S. 298; Kap. 11, S. 377). Allerdings beruht<br />

die Studie, wie schon mehrfach erwähnt, nicht nur auf diesen Daten. Vielfach<br />

wurden die Interviewaussagen vor allem als lebensnahe Illustration herangezogen.<br />

Zu bedenken ist auch, daß sich viele der hier getroffenen Aussagen nicht allein<br />

auf das Interviewmaterial stützen. Wenn wir z.B. behaupten, daß 'Reflexion' im<br />

umfassenderen Sinn nicht nur die Sache 'reflexiver Akteure' sein kann, sondern<br />

auch reflexive Institutionen voraussetzt (vgl. Kap. 11.5.1.), so wird hier schon<br />

aufgrund theoretischer Überlegungen von einer stärkeren Belastung der Interviewdaten<br />

Abstand genommen. Die Behauptung, daß das Gentechnikgesetz seinem<br />

Gehalt nach teilweise eine 'reflexive Institution' darstelle (ebd.), ergibt sich<br />

ohnehin aus unserer Interpretation des Gesetzestextes und nicht des Interviewmaterials.<br />

Inwieweit diese Interpretation auch in der Praxis Gültigkeit besitzt<br />

- also von den Vollzugsvertretern und Rechtsunterworfenen geteilt wird -, wird<br />

von uns selbst, auf der Basis entsprechender empirischer Hinweise und Gegenbeispiele,<br />

durchaus skeptisch beurteilt. Aber auch diese Skepsis stützt sich nicht<br />

nur auf die Interviewaussagen, sondern auch auf veröffentlichte Dokumente.<br />

A 8. Redaktionelle Bearbeitung der zitierten Interviewpassagen<br />

Die zitierten Interviewaussagen wurden in zweierlei Hinsicht redaktionell überarbeitet:<br />

- Sie wurden der Schriftsprache angeglichen, d.h. erforderlichenfalls wurden<br />

redundante Redewendungen und Denkpausengeräusche gestrichen sowie unvollständige<br />

zu vollständigen Sätzen umgebaut. Außerdem wurden sie von Alltagsjargon<br />

leicht bereinigt.<br />

- Um einer möglichen Reidentifizierbarkeit des IP entgegenzuwirken, wurden an<br />

manchen Stellen konkrete Angaben durch sinngemäße allgemeinere Angaben<br />

ersetzt.<br />

400


A 9. Liste der Interviews und Hintergrundgespräche<br />

Gentherapie (zwei Arbeitsgruppen): Int. Nr. 1: 31.1.1995; Int. Nr. 2: 1.2.1995;<br />

Int. Nr. 3: 1.2.1995; Int. Nr. 4: 31.1.1995; Int. Nr. 5: 10.1.1995; Int. Nr. 6:<br />

9.1.1995; Int. Nr. 7: 10.1.1995; Int. Nr. 8: 9.1.1995; Int. Nr. 9: 8.3.1995; Int.<br />

Nr. 10: 19.4.1995<br />

Freisetzung: Int. Nr. 11: 18.11.1994; Int. Nr. 12: 28.11.1994; Int. Nr. 13:<br />

5.12.1994 (Autorisierung verweigert); Int. Nr. 14: 11.11.1994; Int. Nr. 15:<br />

21.11.1994<br />

Universitätsverwaltung: Int. Nr. 16: 19.9.1995; Hintergrundgespräch Nr. 1 (Tonbandaufzeichnung<br />

abgelehnt): 12.10.1995<br />

Industrie: Int. Nr. 17: 12.5.1995; Hintergrundgespräch Nr. 2 (Tonbandaufzeichnung<br />

abgelehnt): 14.11.1994<br />

Länderverwaltungen: Int. Nr. 18: 24.6.1994; Int. Nr. 19: 13.10.1995; Int. Nr. 20:<br />

18.5.1994<br />

Einvernehmensbehörden zur Freisetzung: Int. Nr. 21: 10.3.1995; Int. Nr. 22:<br />

7.3.1995<br />

Wissenschaftlich fundierte Gentechnikkritik: Int. Nr. 23: 4.5.1995<br />

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Zacharias, S. (1986): Arzneimittelzulassung und Verbraucherschutz, Frankfurt/M.<br />

ZKBS (Zentrale Kommission für die Biologische Sicherheit) (1994): Tätigkeitsbericht der<br />

ZKBS für das Jahr 1993 (erhältlich über RKI)<br />

ZKBS (Zentrale Kommissions für Biologische Sicherheit) (1989): Bericht über die zurückliegende<br />

Amtsperiode der ZKBS, in: Bundesgesundheitsblatt 6/1989, S. 230ff.<br />

424


Verzeichnis der verwendeten Abkürzungen<br />

ABl.<br />

AMG<br />

AÖR<br />

ARSP<br />

AtRS<br />

BBA<br />

BBS<br />

BGB<br />

BGBl. I<br />

BGH<br />

BSeuchG<br />

BT-Dr.<br />

BVerfG, Bd.<br />

BVerwG, Bd.<br />

DFG<br />

DG<br />

DNA, DNS<br />

DÖV<br />

DVBl.<br />

ESchG<br />

EuGRZ<br />

EuZW<br />

FDA<br />

FuE-Prozeß<br />

GefStoffV<br />

GenTAufzV<br />

GenTG<br />

GenTSV<br />

GenTVfV<br />

GG<br />

GID<br />

GMO<br />

GMP<br />

Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften<br />

Arzneimittelgesetz<br />

Archiv des öffentlichen Rechts<br />

Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie<br />

Atomrechts-Symposium<br />

Biologische Bundesanstalt<br />

Beauftragter für Biologische Sicherheit<br />

Bürgerliches Gesetzbuch<br />

Bundesgesetzblatt, Teil I<br />

Bundesgerichtshof<br />

Bundes-Seuchengesetz<br />

Bundestags-Drucksache<br />

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts<br />

Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts<br />

Deutsche Forschungsgemeinschaft<br />

Generaldirektion der EG-Kommission<br />

Desoxyribonucleinsäure<br />

Die Öffentliche Verwaltung<br />

Deutsches Verwaltungsblatt<br />

Embryonenschutzgesetz<br />

Europäische Grundrechtszeitschrift<br />

Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht<br />

Food and Drug Administration (US-Bundesbehörde)<br />

Forschungs- und Entwicklungsprozeß<br />

Gefahrstoff-Verordung<br />

Gentechnik-Aufzeichnungs-Verordnung<br />

Gentechnik-Gesetz<br />

Gentechnik-Sicherheits-Verordnung<br />

Gentechnik-Verfahrens-Verordnung<br />

Grundgesetz<br />

Gen-ethischer Informationsdienst<br />

Genetically Modified Organism<br />

Good Manufacturing Practice<br />

425


GVO<br />

HdBStR<br />

HHG<br />

HRG<br />

HR-TA<br />

HUG<br />

IP<br />

IUR<br />

i.V.m.<br />

JZ<br />

KJ<br />

KritV<br />

KZfSS<br />

LAG<br />

MPI<br />

NIH<br />

NJW<br />

NuR<br />

NVwZ<br />

OECD<br />

OVG<br />

ÖZS<br />

PHI<br />

PrOVG, Bd.<br />

PVS<br />

RAC<br />

RIW<br />

RKI<br />

RNA, RNS<br />

RP<br />

Gentechnisch veränderter Organismus<br />

Handbuch des Staatsrechts<br />

Hessisches Hochschulgesetz<br />

Hochschulrahmengesetz<br />

Verfahren zur Technikfolgenabschätzung des Anbaus von<br />

Kulturpflanzen mit gentechnisch erzeugter Herbizidresistenz<br />

am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB), Dokumentation in<br />

18 Heften, WZB-papers FS II 94-301 bis WZB-papers FS II<br />

94-318, zu beziehen über das WZB<br />

Hessisches Universitätsgesetz<br />

Interviewpartner<br />

Informationsdienst Umweltrecht (ab 1993: Zeitschrift für<br />

Umweltrecht, ZUR)<br />

in Verbindung mit<br />

Juristen Zeitung<br />

Kritische Justiz<br />

Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft<br />

Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie<br />

Länderausschuß Gentechnik<br />

Max-Planck-Institut<br />

National Institutes of Health (Bundesbehörde in den USA)<br />

Neue Juristische Wochenschrift<br />

Natur und Recht<br />

Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht<br />

Organisation for Economic Cooperation and Development<br />

Oberverwaltungsgericht<br />

Österreichische Zeitschrift für Soziologie<br />

Produkt Haftpflicht International<br />

Entscheidungen des Preußischen Oberverwaltungsgerichts<br />

Politische Vierteljahresschrift<br />

Recombinant DNA Advisory Committee (in etwa vergleichbar<br />

der ZKBS in Deutschland)<br />

Recht der Internationalen Wirtschaft<br />

Robert-Koch-Institut<br />

Ribonucleinsäure<br />

Regierungspräsidium<br />

426


S&PP<br />

Science & Public Policy<br />

SAGB<br />

Senior Advisory Group on Biotechnology (Interessenvertretung<br />

großer Chemiefirmen auf EU-Ebene)<br />

StGB<br />

Strafgesetzbuch<br />

STHV<br />

Science, Technology & Human Values<br />

TA<br />

Je nach Kontext entweder Technikfolgenabschätzung oder<br />

Technischer Angestellter<br />

TAB<br />

Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag<br />

UBA<br />

Umweltbundesamt<br />

UmweltHG Umwelthaftungsgesetz<br />

UPR<br />

Umwelt- und Planungsrecht<br />

UTR<br />

Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts<br />

VersR<br />

Versicherungsrecht<br />

VerwArch Verwaltungsarchiv<br />

VVDStRL Veröffentlichungen der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer<br />

WHO<br />

World Health Organisation<br />

WissR Wissenschaftsrecht, Wissenschaftsverwaltung, Wissenschaftsförderung<br />

ZfS<br />

Zeitschrift für Soziologie<br />

ZfU<br />

Zeitschrift für Umweltpolitik & Umweltrecht<br />

ZG<br />

Zeitschrift für Gesetzgebung<br />

ZKBS<br />

Zentrale Kommission für Biologische Sicherheit<br />

ZKBSV ZKBS-Verordnung (nach GenTG)<br />

Z<strong>MB</strong>H<br />

Zentrum für Molekulare Biologie Heidelberg<br />

ZRP<br />

Zeitschrift für Rechtspolitik<br />

ZStW<br />

Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft<br />

ZUR<br />

Zeitschrift für Umweltrecht<br />

427


Schaubild 1: Heuristische Typologie potentieller Risiko- oder Überraschungsquellen der Gentechnologie<br />

Bezugnahme der Analogien Analoge Ereignisse Mögliche Vorsorge- Bewertung der Vor-<br />

(Risikogenese) in der Vergangenheit maßnahmen sorgemaßnahmen<br />

Eigenschaften der Aus- z.B. Pathogenitätssteige- erfahrungsbasiert: be- Konsens<br />

gangsorganismen ('addi- rung bei Mikroorganismen grenzbare und erprobte<br />

tive' Risikoabschätzung)<br />

Maßnahmen<br />

Wechselwirkung in neuen z.B. Einführung exotischer ungewißheitsbasiert: tendenzieller<br />

Kontexten ('synergistische' Organismen (vgl. Kap. 2) Step-by-step-Prinzip Dissens<br />

Risikoabschätzung) (vgl. Kap. 8)<br />

Entdeckung neuer z.B. 'transkingdom gene ungewißheitsbasiert: tendenzieller<br />

Wirkmechanismen transfer', 'springende Gene' Sicherheitsforschung, Dissens<br />

generelle Vorsicht<br />

Neue Theorien ⇒ Grund- z.B. Pasteur, Koch im 19. Jh.; Förderung paradigmati- Dissens, Nichtbesätzliche<br />

Neukonzeption heute: z.B. Theorie morphoge- scher Vielfalt, generelle achtung des<br />

der Wirkmechanismen netischer Felder (vgl. S. 52f.) Vorsicht Problems

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