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Berliner Leben: Zeitschrift für Schönheit und Kunst

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2<br />

Antangsbuchstaben ll1einer Schreiberin, No. 5 ihre<br />

letzte Oefiingniszelle. Vierzehn Tage habe ich In einem<br />

Briefkarton in ihrem Zim mer zugebracht <strong>und</strong> dabei fast<br />

alles aus ihrem <strong>Leben</strong> erlauscht. Denn, wenn ihr<br />

Schatz sie besuchte, dann redeten sie von der Vergangenheit<br />

ebenso, wie sie Pliine fiir die Zukunft<br />

schmiedeten. Julie Contine, ' eigentlich heisst sie Julie<br />

Kraut, aber sie hatte vor Jahren einmal in frankreich<br />

gelebt, deshalb hat sie sich umgetauft, ist ein reizendes<br />

Miide!. Ihr Briiutigam gefiillt mir aber noch besser, er<br />

ist voll Liebe <strong>und</strong> Aufmerksamkeit. Erst gestem verehrte<br />

er Julie eine kostbare Brosche. - AliCh ich verdanke<br />

mein Dasein bei der kleinen Schwindlerin seiner<br />

spendenden Hand. Er langte meinen Briefkarton vom<br />

Ladentisch mit erstaun\icher Oewandtheit herunter;<br />

mit einem Wupps steclde er mich in seine grosse<br />

Manteltasche. - Dann zahlte er an der Kasse<br />

25 Pfennig fUr ein Notizbuch <strong>und</strong> verliess das<br />

Oeschiift. .1<br />

"Oott, wie genial", himmelte Ch. T. 35.<br />

Emport sprang ein dicker Brief empor: "Hor' auf<br />

mit Deinen Oaunereien, oder ich arretiere Dich!" -<br />

Ein Schutzmann war's der mit seinen Amtsohren die<br />

Erziihlnugen der Oaunerin nicht liinger mit anhoren<br />

konnte. - Auf seinem Briefumschlag stand" Vertrauensmann<br />

1010." Hinter der hiiufig erscheinenden Annonce<br />

vermutete der Wiichter der Sicherheit eine Schwindelei<br />

<strong>und</strong> wollte diese unter dem Scheine des Selbstbewerbens<br />

ergriinden.<br />

"Oott ich habe ja nur ,,einen Scherz gemacht,"<br />

liichelte der Oaunerbrief. "Die Sache soli ja ein ganz<br />

harmloser Witl sein, den sich meine Dame mit mir<br />

erlaubt. Ihr Oeliebter niimlich - -"<br />

,,0, bitte, kein Wort weiter; die' jungen Damen hier<br />

konnten verdorben w'erden! - Sehen Sie doch, Herr<br />

Schutzmann, wie viele Briefe von zarter Miidchenhand<br />

ringsum lagem <strong>und</strong> leihen Sie mir ihren Beistand! -<br />

Ich benenne mich Helene Weichteling, Missionsdame<br />

zum Schutze von Jungfrauen."<br />

,.Ja, wie kommen Sie zum Postlagern?" fragte alles<br />

erstaunt.<br />

Die iiltliche Dame setzte sich in Positur <strong>und</strong><br />

antwortete feierlich: "In Missionssachen melde ich<br />

mich auf Heiratsannoncen weiblicher Inserenten <strong>und</strong><br />

warne in meinem Schreiben vor den Miinnern, die<br />

lediglich aus Ironie oder in verderblichen Absichten<br />

auf derlei antworten".<br />

"Wo haben Sie den n solche Erfahrungen gemacht?"<br />

Die Dame betrachtete den Vorlauten, einen Studenten,<br />

missbilligend. "An mir natiirlich nicht; ich war immer<br />

besonnen <strong>und</strong> klug; mir sin d, Oott sei Dank, die Miinner<br />

nie gefiihrlich geworden."<br />

Der Soldat mit dem Vergissmeinnichtkranz schmunzelte:<br />

lISie wiirde ich selbst nicht gegen meine jetzige,<br />

schlechtkochende Kochin eintauschen."<br />

Das war zu hart fUr die Brave. Sie fiel in Ohnmacht.<br />

Einige mitleidige Briefe bemiihten sich um sie, die<br />

andern lachten laut auf <strong>und</strong> machten ihre Spiisse. Doch<br />

wolIten sie alle die Missioniirin in der Niihe betrachten<br />

<strong>und</strong> sammelten sich in grossen Haufen um sie herum.<br />

- Der Polizist meinte, Volksversammlungen wiiren<br />

verboten <strong>und</strong> schritt ZlI Verhaftungen - da gab es<br />

einen grossen Skandal, denn dic Briefe waren emport<br />

<strong>und</strong> bemiihten, sich, die Oefangenen zu befreien. Es<br />

kam zu einer regelrechten Balgerei, die sehr, sehr<br />

schlimm hiitte end en konnen, wen n nicht der erste<br />

Morgenschimmer durchs fenster gedningen wiire <strong>und</strong><br />

den ganzen Spuk zerstort hiitte.<br />

Alles stiirmte in seine Regale <strong>und</strong> fiicher; nur die<br />

drei Briefe Heinos hatten in dem Durcheinander alle<br />

Orientierung verloren <strong>und</strong> lagen nun zittemd <strong>und</strong> angstvoll<br />

aufeinander. Oott, wenn nur keine Confusion<br />

entsteht, beteten sie.<br />

Im Laufe des Vormittags meJdete sich eine Dame<br />

unter O. V. 24; dicht hinter ilu eine andere ziemlich<br />

sicher auftretende unter H. E. 22,<br />

ber Postbeamte reichte der ersteren den Brief. Erstaunt<br />

sah er zwei andere dabei liegen. "Nanu? Wie<br />

kommen die denn in das fach?" brummte er. Dann<br />

liichelte er <strong>und</strong> s'agte zu einem Iinks sitzenden KolIegen<br />

halblaut: Alle drei dieselbe Handschrift."<br />

Der Kollege fand im H-Lager keinen Brief H. E. 22.<br />

"Bedaure, nichts da. Muss Schon abgeholt sein. Denn<br />

gestern -"<br />

"H. E. 22?" fragte der erste Beamte. "Da ist er<br />

ja. Liegt hier im O-fach. Schlamperei!"<br />

Die Damen, die' die Unterhaltung mit al1gehort<br />

halten massen sich mit feindlichen Blicken. Jede<br />

schielle auf den Brief der andern. Ja, der Mann hatte<br />

recht: Dieselbe Handschrift.<br />

Sie traten etwas in den Hintergruud <strong>und</strong> erbrachen<br />

ihre Briefe, um sie zu lesen.<br />

Die Empfiingerin von H. E. 22, eine etwas<br />

sanguinische Natur, entriss der anderen pl6tzlich den<br />

O. V. 24 <strong>und</strong> las rasch die letze Zeile: "Mein einziges<br />

Lieb, tausend Kiisse bis :IlUm niichsten Wiedersehen,<br />

nur Dein Heino." Laut schrie sie auf.<br />

"Meine Dame! Was unterstehen Sie sich ?" rief die<br />

Empfiingerin von O. V. 24 emport.<br />

"Was? Was?" keifte die andere. "Da haben Sie<br />

noch einen von lhrem lieino. Einmagerieren kOl1l1en<br />

Sie sich ihn lassen, lhren Heino. So ein Mensch! Und<br />

mir - mir hat er die Ehe versprochen!" Ihr Oesicht<br />

verzog sich zum Weinen.<br />

"Ihnen? Und mich fłeht er in jedem Briefe an, die<br />

Seinige zu werden! Oh! Oh!" Sie las den H. E. 22-<br />

Brief. Einen Augenblick stand sie starf. Dann reichte<br />

sie der andem den Brief zuriick. Mit schwerer Ueberwindung<br />

sagte sie dann: "Darf ich Sie zu einer Tasse<br />

Chokolade bei Telschow einJaden? Wir woli en dort<br />

weiter iiberlegen."<br />

Die andere nickte stumll1, mit zuckenden M<strong>und</strong>winkełn.<br />

So gingen sie schweigend.<br />

Bałd darauf sas sen sie lachend bei Telchow <strong>und</strong><br />

schrieben gemeinsam einen Brief an Ch. O. 36 (42):<br />

Wissen Sie was Sie sind Herr Heino. In unseren<br />

Augen ein g'anz gewohnlicher Mensch. H. E. 22. <strong>und</strong><br />

O. V. 24."<br />

Dann brachten sie den Brief aufs Postamt, wo er<br />

neben dem Heinos an die Operettensiingerin gelegt<br />

wurde.<br />

"Schon war er doch", seufzte H. E. 22."<br />

"Ja, -- aber - eben ein Schwindłer", enischied<br />

O. V. 24, -<br />

Und H. E. 22 <strong>und</strong> O. V. 24 wurden noch die<br />

besten fre<strong>und</strong>innen.<br />

Heute sind sie beide verheiratet<br />

Aber nicht mit Herm Heino, den die Operettensiingerin<br />

gewissenłos rupft.<br />

Sch n eefl ocken.<br />

Sldzze von H. Carlos·Duchow.<br />

Nachdruck verbolen.<br />

Hurra! Der Winter kommt ! Nun diii-ten wir wieder<br />

hinab zur schonen Erde fliegen. In unseren hoheren<br />

Regionen ist's so entsetzlich einsam <strong>und</strong> einseitig.<br />

<strong>Leben</strong> <strong>und</strong> geniessen kann man nur auf der Erde.<br />

Hurra! Ein "Hoch!" dem Nord-West, der uns<br />

formt nnd hinabfUhrt auf das fesie Land.<br />

Hui! Wie er wirbelt <strong>und</strong> uns durcheinander treibt;<br />

nach Nord, Siid, O~t, West! - Ueber, unter <strong>und</strong> nebeneinander!<br />

Wohin wird er uns denn diesmal ft:gen?<br />

Vielleicht wieder nach unserem bekannten, kleinem<br />

Nestchen wo es uns so gut gefallen hat <strong>und</strong> wo wir<br />

so viełerl~i erlebten? Werden wir au ch alle wieder so<br />

gemiitIich bei einander bleiben, wie im vergangenen<br />

J ahre? Oder wird uns der allgewaltige StUl m auseinander<br />

jagen? Wir waren dam ais doch eigentlich eine<br />

recht lustige Oesellschaft kleiner iibermiitiger Schneef1ocken.<br />

Wir haben uns unter den Menschen herrlich<br />

amiisiert <strong>und</strong> lIns mit ihnen immer gut vertragen. Aber<br />

manches, was wir mit anst:hen mussten, stimmte uns<br />

doch auch traurig; so, dass wir hiitten weinen<br />

mogen, - wenn wir Triinen gehabt hiitten. -<br />

Wahrhaftig, Kinderchen! Dort sehe ich schon das<br />

bekannte Kirchłein.<br />

Silberflockchen! Dort lugt auch schon die helle<br />

Oiebel wand hervor, mit den griinen fensterliiden! An<br />

dem hohen Erker sass stets die hiibsche, junge Mutter<br />

mit ihrem Kinde. Das kłeine, blonde Biirschchen<br />

haschte immer nach uns flocken, wenn uns der Wind ,<br />

an die Scheiben trieb <strong>und</strong> seine kłeinen Hiindchen bemiihten<br />

sich dann stets uns festzuhalten.<br />

'<br />

Herzflockchen! An jenem fenster schmolzest du<br />

damaIs durch ein warmes Kinderpatschchen.<br />

Siissflockchen! Erkennst du den grossen Baum an<br />

der Strassenkreuzung? -<br />

Dort stand einst ein hiibscher junger Mann. Sein<br />

schwiirme'risches, blaues Augenpaar schweifte sehnsiichtig<br />

empor nach einer Mans.arde .... dem Schłafg-emach<br />

seiner Ang.ebeteten! Da offnete ellle zarte Ha~?<br />

behutsam das kleIlle fenster' der Mansarde, um em<br />

etwas" hinabfliegen zu lassen ...<br />

" Hui! Wie der ungesti.ime Nord-Ost das "etwas"<br />

erfasste <strong>und</strong> in rasendem Kreisel um den Baum wirbelte.<br />

Und wie es płotzlich gliickstrahlend in des Mannes<br />

Antlitz aufblitzte, der bis dahin regungslos wie eine<br />

Marmorstatlle am Baum gelehnt hatte. Nun aber kam<br />

mil einem Male <strong>Leben</strong> in seine geschmeidigen Olieder.<br />

E1' haschte eifrig nach dem herumwirbelnden"etwas". -·<br />

Aber 'wir flocken hatten unsere tolle Laune. Wir trieben<br />

in sein Oesicht, dass er die Lider schliessen musste<br />

<strong>und</strong> nieht sehen konnte. Wir begruben sogar das e r­<br />

sehnte "etwas" unter unserem schneeigen Teppich.<br />

darnit er' s nicht finden sollte.

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