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05. Zeitschrift für Bauwesen LXII. 1912, H. VII-IX= Sp. 333-520

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<strong>333</strong>,;V^•.••-••.iV ,;•••:; .:;;^,334JAHRGAM <strong>LXII</strong>. <strong>1912</strong>. HEFT YII BIS IX.Palmyra, die sterbende TrümmerstadtVom Geheimen Oberbaurat ^t.^^fng- Stubben.(Mit Abbildungen auf Blatt 43 bis 45 im Atlas.)(AUe Rechte ToibehalteD.)Den Kamen der fast sagenhaften Stadt Palmyra kennen wiralle aus der römischen Geschichte und aus Adolf "WilbrandtsMeister von Palmyra. Aber die Stadt, die in Schönheitsterbende, kennen nur wenige. In der syrischen "Wüste,auf der Wasserscheide TOU Orontes und Euphrat gelegen,ist sie nicht so leicht zu erreichen, -wie andere antike Stadtruinenin Asien und Nordafrika. Von tausend Touristen,die alljäiirlich Damaskus besuchen, entschließen sich nur sehrwenige zu einer achttägigen Wüstenfahrt nach Palmyra undzurück. Zwar genügt von Homs, an der Bahnlinie Baalbek-Aleppo gelegen, ein Ritt von zweiundeinhalb Tagen, umans Ziel zu gelangen. Aber auf alle Fälle stellt die HinundHerreise in schattenloser Hitze, mit Zelten, Reit- undLasttieren, Dragoman, militärischer Begleitung und sonatigemPersonal an die Ausdauer und den Geldbeutel der ReisendenAnsprüche, die der gewöhnliche Mittelmeer-Trotter nicht zuerfüllen bei'cit ist. Demjenigen aber, der sich dazu entschließt,sind Wüstenfahrt und Palmyra unauslöschlicheErlebnisse.Abb. 1. Blicjk auf das Straßentor.Die Bibel nennt den König Salomo als Gründer derStadt. Eine wirtschaftliche Bedeutung scheint sie aber erstim Anfang der christlichen Zeitrechnung erlangt zu haben.Die Kultur war griechisch. Die „Königin der Wüste" wareine Republik unter römischer Oberhoheit und vermittelteden Handel des Westens mit den Euphrat- und Tigrisländern.<strong>Sp</strong>äter war Palmyra ein selbständiges Reich unter demESnig Odenathus und dann unterder berülimten Königin oder KaiserinZenobia. Sie pflegte die griechischeund römische Bildung und breiteteihre Herrschaft aus über Mesopotamienund Syrien, stieß dann abermit den Römern unter Kaiser Aurelianzusammen, wurde im Jahre 271geschlagen, gefangen genommen imdzierte des Kaisers Triumphzug inRom. Die Villa Hadrians bei Tivoliwar ihr Exil.Ahü, •>..<strong>Zeitschrift</strong> f. BauweseD. Jahrg. <strong>LXII</strong>.;^ti-aßentor. Ansicht von öüdeu.Eine spätere Empörung hattedie Zerstörung Palmyras zur Folge.Zwar wui-de die Stadt wieder aufgebaut,aber ihr Glanz war dahin,in die langen Jahrzehnte des Kampfeszwischen Römertum und Christentum,von Aurelian bis Julian Apostata,verlegt Wilbrandt die Szenen seinesschwermütigen Dramas.Die Stadt litt abermals starkin den Kämpfen der Omajaden und22


335 Stubben, Palmyra, die sterbende Trümmerstadt. 336(.1! . ••. ''Jetpapulnn HausAbb. 4, Straßentor nni 1759 (oach Wood und Dawkins),Abb. 3. Lageplan von Palmyra,Abbasiden, Sie sank herab zum Wohnort armer Handels-Juden und ging dann so völlig zugrunde, daß sie im Jahre1691 von englischen Kaufleuten förmlich wieder entdeckt^'VJuprtep-jM]•^•:


339 Stubben, Palrayra, die sterbende Trümmerstadt. 340««(«K.l.yVifVViAbb. 12. Vom Portikus,1 DlllH.Lü,i,Li-,Abb. 13. A'üM der InDenwaud.3 ^mAbb. 12 bis 14. Einzelheiten vom Sonnentempel (nach Wood).Abb. 11. Eingaugapfortg.1 2 3 4 5 G 7_1 \ \ I \ I Ihaben ehemals löOO Säulen gestanden, zumeist vou 17 mHöhe. Heute ist ihre Zahl auf etwa 150 g-esunken. Siestecken zum Teil tief im Boden. Auf xwei Drittel derHöhe tragen sie •weit ausladende Kragsteine (Text-Abb. 8u. 9), eine palmyrenische Eigenart des griechischen BEIrocfes,"wenn der Ausdruck gestattet ist. Auf 1500 Kragsteinenwar Platz für ebenso viele große und kleine Be-Tühmtheiton aus Griechenland, Rom und Palmyra. Nochheute künden manche Inschriften in griechischen und lateinischenLettern ihre Namen. AVie lange noch? Vou denSäulen, die "Wood gesehen, ist kaum noch die Hälfte vorhanden.AVo unsere Säulenstraße von der Hauptquerstraße gekreuztwurde, erhob sich über der Vierung ein vierhäuptigesSäulenportal in gigantischen Abmessungen. Heutestehen von diesem Tetrapylon noch aufrecht einigezwanzig Meter liohe Pilaater mit Halbsäulen und eine monolitheFreisäule (Text-Abb. 6). Eine andere Säule, aus einem ein-^0_i I 1 I 1 1Abb. lo. Grandrili des Sonnentempels (nach Wood).IPO^fAbb. 16. Portikus des Sonnentempels (nach Wood).Abb. 17, iDnenwand des Portikus am Sonnentempel (nach Wood).


341 Stubben, Palmyra, die sterbende Trümmerstadt. 342Abb. 18. BÜdostecke des großen Tempelhofes,Abb. 10. Südwestetiku dos großen Tompelhofes.Abb. 20. Nordwesteoke des großen Tempelhofes.zigen Block bestehend wie jene,von blangesprenkeltem Granit, liegtam Boden, der bedeckt ist mit Gebälkstücken,Kapitellen und Säulentrommeln.Nahe ana östlichen Ende bildetdie Straße einen Knick. Auf diesemKnick über dreieckigem Grundrißerhebt sich das eigenartigste Säulentor,das aus dem Altertum unsbekannt ist (Text-Abb. 1, 2, 10u. 11, Abb. 2 BL 43 und Abb. 1 u. 2Bl. 44). Seine beiden Frontenstehen rechtwinklig zu den geradenStrecken der gebrochenenStraßenlinie. Sie bestehen aus jeeinem dreiteiligen Prachttor miteinem mittleren Bogen von etwa20 m Höhe und niedrigeren Seitenbögen.Das Werk ist baufälligin beunruhigendem Grade. DerSchlußstein der noch erhaltenenMittelarchivolte hängt bedenklichlierab. Mehrere der seitlichenSäulen sind gestürzt. Die Basenund Sockelquadern sind von Witterungsein Aussen und rohen Zerstörungenunterhöhlt. Es ist tieftraurig,durch den Vergleich mitden Zeichnungen, die uns derArchitekt Dawkins, Woods Begleiter,hinterlassen hat (Text-Abb. 4),den Fortschritt zu erkennen, dender Verfall seit jener Zeit gemachthat. Erbarmt sich nichtbald ein Kulturvolk, ein Mäzen,ein Kaiser dieser herrlichen Zeugeneiner großen Zeit, so sind sieverloren für uns und die Nachwelt.Der Sonnentempel erhobtsich auf einer hohen (quadratischenTerrasse mit Umfassungsmauernvon je 225 m Länge (Text-Äbb. 15).Da der Kölner Dom 150 m undeine anständige Pfarrkirche 50 bis60 m Länge besitzt, so möge mansich einen Begriff machen von derGröße des Werks. Wir treten eindurch den zehnsäuligen Portikus(Test-Abb. 1G). Das heißt, so hat ihnDawkins gezeichnet. Heute fehltdie Säulen Stellung dieses Portikusebenso wie die große zu ihmehemals hinaufführende Freitreppe.Das Verteidigungsbedürfnis hat inunruhigen Zeiten aus dem Propylaionein mit mittelalterlichenBefestigungen versehenes enges


343 Stubben, Palmyra, die sterbende Trüramerstadt. 344awgWffl.'r!iiBBffir^'»'T^Tyi;iJWi"!'''"''pimiiiii-i ••KW, imvmt m'/um, iiy. h iJi»ii;Wi| Burgtor gemacht (Text-Abb. 28). Im Innern birgt dieserBauteil noch den antiken Kern, eine nach außen undeine nach innen gerichtete Front mit drei Türen undden Resten von ehemals reichem architektonischenSchmuck {Text-Abb. 12 bis 14 und 17). Hinter dem Torund den anschließenden Teilen der westlichen Um-wehrungsmauererkennt man die Reste einer gewaltigen Säulen-Abb, 21. Vorderansicht.Abb. 21 bis 33. Dianatempel(nach Wood).Abb. 22.Soiteiiaiisidit.«^>'"-.--i 'i V • • ;• .-Abb. 34. Ansieht.Abb. 24 u. 25. Grab an der Stadtmauer(nach ^Yood).Abb. 23. Orntidriß,Abb. 27. Haus des Diokletian (nach Wood).halle. An diese stießen kleinere zweischiffige Säulenhallen,die den übrigen drei Umfassungswänden desgroßen Tempelhofes vorgelegt sind.Und im Innern des Terapelhofes ein (rassengowirrvon Lehmhütten. Wie die Dalmatiner ihre Stadt<strong>Sp</strong>aiato im Innern des Diokletianspalastes erbauten,so nistet hier ein halbwilder Wüstenstamm im Heiligtumdes Sonnengottes. Aber noch reden Pilasterund Gebälke, Friese und Kapitelle der SäulenreihenAbb. 2i>. CirnndriU,Abb. 36. Haus dos Diokletian (nacli Wood).lÖS^Abb. 38, Aüßenansicht des Eingaogs zum Sonnentempelin jetzigem Zustaad.Abb. 29. Tor im westlichen Ptoron und der Cellawanddes SoüDentempols im gegeowärtigeu Zustande.


345 Stubben, Falmyra, die sterbende Trümmer Stadt. 346Abb. 30. Südwesteete des Baitempels.und der Cella die <strong>Sp</strong>rache Homers. Freilich Homerund Iktinos, Phiciias und Sophokles "vvaren auch damalsschon schwache Erinnerungen. Und doch ist sie griechisch,ausgesprochen griechisch, diese Nachblüte der Kunst aufsyrischem Boden. Die Cella, 31 zu 60 in groß, ist einPeripteros von 8 zu 15 Säulen. Der Eingang liegt auf derwestlichen Langaeite, da das Bauwerk zwei Adyta, je einesan der Nord- und an der Südseite, besitzt (Text-Abb. 32). Diesehr reiche Architektur ist an manchen inneren Teilen wohlerhalten und mutet seltsam an neben Kibla und ilimbar,die nun dem Kult des Propheten dienen. Auch im Äußerenist der große Tempelbau, der inder Omajadenzeit als Festung diente,Tielfach umgewandelt worden undgewährt malerische Anblicke (Text-Abb. 18 bis 20 und 29 bis 31 sowieAbb. 1 Bl. 45).Durchwandern wir nunmehr dieStadt, so finden wir zunächst südlichder Säulenstraße die Reste desehemaligen Theaters. Man siehtnoch gebogene Mauern und Säulenstellungenund ein tief im Bodensteckendes Portal, im übrigen abereine so wirre Menge von Schuttund Trümmern, daß eine deutlicheVorstellung dieses Baues und seinerUmgebung nur durch sorgfältige Freilegungimd Nachgrabung gewonnenwerden könnte. In der Nähe erhebtsieh eine sehr gut erhaltene Reihevon elf Säulen mit Gebälk, vermutlichvon einer Seitenstraße stammend.Ein ähnlicher Rest einerandern Öäulenstraße zeigt fünf Säulen (Text-Abb, 7),Im nördlichen Teile der Stadt ragen aus dem trümmerbedecktenBoden einzelne hohe Säulen empor, ferner zweiTempel, eine andere antike Ruine, eine ehemalige christlicheKirche und ein Grabbau. Der kleinere der beiden Tempel(ein Dianatempel?) zeigt einen tiefen Pronaos und je einzierlich überdachtes Seitenfenster (Text-Abb. 21 bis 23 undAbb. 2 Bl. 45)» Bas Bauwerk steckt tief im Boden. Dieauf einem Drittel der Höhe angebrachten Kragsteine liegenwenig über dem Erdreich. Von dem zweiten Gebäude(einem Theseustempel?) sind nur die auf der quadratischenUmfangiinie stehenden Säulenreihenerhalten (Text-Abb. 33). Ähnlich dasin Text-Abb. 35 dargestellte Bauwerk.Noch geringer sind die Resteder chi istlichen Kirche, erkennbaran den Zeichen des Ki-euzes und10 5 D 10 2QmIAbb. 31. OstptC'i-üi] des Baitempels.Abb. 32. Cella des Baltempels (nach"Wood).


347 Stubben, Palmjra, die sterbende Trüramerstadt. 348Abb. 33. Siiulenhalie.Abb. 34. Bliuk auf den Jupiteitempül.Abb. 35. Siiuleübiille.des Monogramms Christi, auf jeder Seitedrei Säulen, wovon nur noch eine ihr Kapitellträgt.Der dicht an der Stadtmauer stehendeGrabbau ist verhältnismäßig wohlerhalten. Esist ein quadratischer Bau mit dünnen Marmorwänden;außen zeigt er schmückende Pilasterauf den Ecken und eine fein gezeichneteEiugangstür, die aus Athen stammen könnte.Gebälk und Dach sind eingestürzt, dae Innereliegt voller Trümmer (Text-Äbb. 24 u. 25 nachWood).Wir sagten schon, daß die große Säulenstraßoan ihrem westlichen Abschluß auf dieSäulcnfront des zerfallenen Zoustempela (?) gerichtetsei (Text-Abh. 34 und Abb. 1 Bl. 43).Ein sechssäuliger Portikus mit Gebälk und teilweiseerhaltenem Tympanon steht in einemHaufen von Quadern und Simsstücken aufrecht.Wie lange noch? Der schöne Tempelbaurestmacht einen höchst baufälligen Eindruck. EinStoß, und seine Trümmer bedecken dieübrigen.Von einem wichtigen Gebäude in derSüdwestecke der Stadt haben wir nur nochwenige Teile aufgefunden. Es ist das Hausdes Diokletian, so genannt, weil eine aufgefundeneInschrift den Namen dieses Kaisersträgt. Der Grundriß besteht aus einem Mittelbaumit Apsis. Seitlich liegen nach Dawkins ZeichnungSäulenhallen (Text-Abb. 26). Die Grabungder später zu erwähnenden Baalbek-Expeditionhat ergeben, daß die ganze Anlage ein militärischesLager des Diokletian war und derHauptbau als das sogenannte Fahnenheiligtum7.\i betrachten ist. Wood sah noch mehrereSäulen und die Apsis aufrecht stehen (Text-Abb. 27). Heute liegt hier ein wild aufgetürmtesDurcheinander von Quadcrstückon und Ärchitekturresten,die anscheinend von mehrerenPrachtbauten herrühren.Höchst merkwürdig sind schließlich dievielen Grab türme, die uns im sogenanntenTale des Todes erhalten sind. Das Tal liegtzur Seite des Höhensattels, auf welchem wir,von Damaskus ankommend, den ersten Anblickder Stadt genießen durften. Die Grabtürmesind auf rechtwinkligem Gnmdriß aufgeführtehohe Bauten, die in mehreren Geschossenin Form von Wandnischen zahlreiolieSargkammern enthalten. Vermutlicli sind esdie Grabstätten reicher Palmyrener Familienoder von Vereinen und Bruderschaften. Nochheute zeigen sie, obschon in ausgeraubtemund stark beschädigtem Znstande, einen erstaunlichenReichtum von Harmorschmuck undplastischen Kunstwerken an den Wandflächenund Pilastern, an den Nischen und kassettiertenDecken. Auch an Inschriften fehlt es


349 Stubben, Palrayra, die sterbende Trummerstadt. 850Expedition nach Palmyra unternommenworden. Teilnehmer andieser Expedition haben einige ihrerAufnahmen anf der vorjährigen Ber-Ai)b. 37. Ansicht.Abb. 38. Grtmdriß.Abb. 37 bis 40. Grabturm (nach Wood).Abb. 36. Grabturm ia jetzigem Zustande.nicht. Von unseren Abbildungen zeigen Text-Äbb. 37 bis 40die Ansicht, den Grundriß und die Durchschnitte eines Turmesnach Wood, Text-Abb. 36 und 41 Grabtürme im jetzigenZustande.Wie ist es möglich, daß bei dem Eifer, mit welchemalle Kulturstaaten der Erforschung antiker Baudenkmäler inunseren Tagen obliegen, Palmyra bisher fast unbenicksichtigtblieb! Zwar ist vor einigen Jahren von Eaalbek aus, als dortPuelistein und seine Mitarbeiter im Auftrage des deutschenKaisers mit dem Studium und der baulichen Sicherung derbeiden, großen Tempel beschäftigt waren, eine archäologischeAbb. 41. Das Tal des 1^Abb. 39. L.lDgenschiiitt, Abb. 40. Querschnitt.liner Städtebauausstellung vorgeführt und bei vielen dielebhafte Erwartung hervorgenifen, daß eine wissenschaftlicheVeröffentlichung in Bälde erfolgen möge. Wissenschaftlicherund zuverlässiger als die vorstehenden skizzenhaftenDarlegungen. Aber kaum jemand denkt an eineplanmäßige Erforschung jenes gewaltigenTrümmerfeldes, und, wasnoch wichtiger ist, nn die für dieErhaltung des Bestehenden unbedingtnötigen Sicherungsarbeiten!Der Verfall und die Zerstörungschreiten fort von Jalir zu Jahr.Am stärksten gefährdet sind dasgroße Straßentor und die Front desZeustcrapels. Von den Türken istnichts, von den Syriern nur Unheilzu erwarten, AYo ist der Staat, woder Fürst oder der reiche Kunstfreund, der es sich zur schönenAufgabe stellt, von Zenobias glanzvollerStadt zu retten, was nochzu retten ist!<strong>Zeitschrift</strong> f. BaQ#eäeii.JAhtg. LXIL33


351 Das neue Stadthaus in Berlin. 352Das neue Stadthaus in Berlin.Architekt: Geheimer Baurat Xr.s^ng. Ludwig Hoffmann in Berlin.(Fortsetzung und Schluß aus Heft I bis ITI dieses Jahrganges.)(Mit AbbilduDgen auf Blatt 1 bis 11 im Atlas.){Alle Rechte Torbehalten.)Die künstlerische Ausstattung im Innern desneuen Stadthauses beschränkt sich im wesentlichen auf dieEingangshallen ander Jüdenstraßeund Klosterstraße,auf die große Halleals den einzigenBepräsentationsraumdes Stadthausesund diebeiden Sitzungssälemit ihren Vorsäleuan der Klosterstraße.Aberauch die Flurgängeund Treppenhäusersinddabei nicht vergessenworden.Es Tvar das Bestrebendes Architekten, bei derDurchbildungeines jeden RaumesZurückhaltungzu üben, aber beider Bearbeitungjeder Einzelheit,auch der zunächstnebensächlich erseheinenden,einekünstlerische Wirkungzu erzielen.Nicht durch auffälligeMotive, nichtdurch aufdringlichegroße Maßstäbeder Einzelheitenoder gardurch eine Häufungvon Motivenist diese Wirkung:erreicht worden.In den Flurgängenund Treppenhäusernist der architektonische und bildnerische Schmuck äußerstsparsam verwendet worden zugunsten der vorbenanntenRäume, die eine reichere Ausstattung erhalten haben.Die Eingangshalle an der Jüdenstraße (Abb. 1Bl. 5 u. 6 und Abb. 1 Bl. 10) liegt im Erdgeschoß des Turmes.Sie dient als Vorhalle zur Stadthalle und vermittelt den Hauptzugangzu den Flurgängen und den Treppen daselbst. IhrGrundriß ist dem Turm entsprechend quadratisch. Die archi-tektonische strenge Ausbildung ihrer Seiten, wurde im wesentlichendurch Öffnungen und Pilasterstellungen bewirkt. DieTagesbeleuchtungerfolgt mittelbarYon der Eingangsseiteher, oberhalbder Eingangstürund der beiderseitigenPförtnerzimmer(vgl.GrandrißAbb. 1 Bl. 3).Das Halblicht derEintritts hallo stehtdeshalb in wirksamemGegensatzzu der hellerenTagesbeleuchtungder Stadthalle. Dieoberen, durchkleine WerksteiupfostenschlitzartiggehaltenenÖffnungen derdemT*]ingang gegenüberliegendenWand gewährenschon beim EintritteinenEinblickin den hohenRaumder Halle. Vorden seitlichen Mittelpilasternsindzum besonderenSchmuck je zweiZiersäulen aus hellemEuviller Kalksteinaufgestellt(Text-Abb. 13).Durch den feinenMaßstab derschmalen zartgegliedertenArchitekturenzwischenAbb. 13. "Wandteil der Eingangshalle an der Jüdenstraße.den großen AVandpilastern,sowiebesonders durch die nach einem römischen Vorbild feingegliedertenSäulenflächen ist eine Steigerung der Raumwirkungerzielt worden. In den achteckigen Feldern der Säulenschäftewechseln Bären- und BerolinakÖpfe. Die Säulen tragendas Berliner Wappentier auf Kugeln. Diese Bekrönung istaus Bronze hergestellt und stammt wie die übrigen sehrstreng gehaltenen Bildhauerarbeiten der Turmhalle vonProfessor Taschner. Die Decke dieses Baumes ist den


353 Das neue Stadthaus in Berlin. 354Wandpilastern entsprechend kassettenartig aufgeteilt und•weiß geputzt.Die Eiiitrittshalle an der Klosterstraße (Abb, 1El. 5 u. G) führt nicht unmittelbar zur Stadthalle, sondernsie vermittelt zunächst den Zugang zu den seitlichen Flurgängenund den Trepi>enhäusern in der Nähe der Sitzungssäle.Ihre Ausbildungist im Gegensatzzur Turmhallonach derLängsachse entwickelt(ygl. Abb. 1Bl. 3). Sie istdurch zwei Reihengekuppelter Säulendreischiffiggegliedert; imbreiton mittlerenTeil dieser Hallesteht an der Rückwand,dem Einganggegenüber,ein äußerst reizvoller,mit zartemBildwerk gezierterBrunnenalsHaupt-Schmuckstück(Abb. 2 Bl. 10).Das Brunnenbeckenaus rötlichemVeronamannormit demin Bronze gegossenenBninnenfigürchenstehtvoreiner Wandnische.Auch bei dieserEintrittshalle sinddie Zierteile feinim Maßstab gehaltenzur Hebungder Größenwirkungder Säulenund damit desRaumes selbst.Säulen, Wände•und Fußboden sindin grauem Muschelkalkausgeführt,die steinernenBänke an den "Längswänden der Seitenschiffe bestehen wie das Brunnenbecken• aus rötlichem Marmor. Die Bildhauerarbeiten (vgl. Text-Abb. 18)sind von Franz Naager und die Brunnenfigur von IgnatiusTaschnerausgeführt. Durch die Ausbildung dieser beiden Eintrittshallenin dem grauen Kalkstein der Gebäudefronten wird dasÄußere mit dem Innern in gute Verbindung gebracht und derÜbergang zu der großen Stadthalle hergestellt, deren monumentaleArchitektur ebenfalls in grauem Muschelkalk ausgeführt ist.Die Stadthalle (Tgl. Abb. 1 u. 2 B1.5u. 6und BL9), diemit ihren Umgängen 1500 Personen faßt, soll, wie schon früherbemerkt, zur Abhaltung ernster Feierlichkeiten dienen, zu Empfängenbei Kongressen, zu Kundgebungen und auch bei Trauerfeiern.Diesem Zweck ist ihre Raumgestaltung und Ausbildungvorzüglich angepaßt. Für eine stimmungsvolle Raumwirkungwar ihreBelichtung vongrößter Bedeutung;sie erfolgtedeshalb ni cht durchOberlicht, sonderndurch hohes Seitenlicht.Die hochgelegenenBundbogenfensteranden beiden Schmalseitenund in denGewölbestichkappengestattenan hellen Tagenbei klarem Wetterein Einfallen desSonnenlichtes vonmorgens früh bisnachmittags gegendrei Uhr. Durchdie Verglasung derFenster mit Antikglaswird eine zugrelle Belichtungdes Raumes verhindert.ZurabendliohenBeleuchtungdienen einfacheLaternen undKandelaber fürelektrische GlühlaiHpon,sowie verdecktangebrachteelektrische Liclitkörperüber demweit ausladendenHauptgesims.Diese verdeckt angebrachteBeleuchtungkann auchbei trübem Wetterzur UnterstützungAbb. 14. Blick in die Große llalie.der Tagesbeleuchtungeingeschaltetwerden. Das Licht wird dann von der hellgeputzten Deckein den Raum geworfen. Auch bei grellem Sonnenscheinwirkt das rom Tonnengewölbe zurückgeworfene Licht zurJililderung der auftretenden kräftigen Schatten von den durchkräftige Pfeiler und tiefe Öffnungen betonten Wandflächen.Die Kalk Steinarchitektur der Wände reicht bis zumTonnengewölbe.Wie bei den beiden Ein trittshallen, ist auchhier der rötliche Veronamarmor verwendet worden, und zwar.. ..:•••"• 2 3 *


355 Das neue Stadthaus in Berlin. 356Abb. 15. Brüstung in der großen Halle.als Fußbodenbelag. Der sehr streDg gehaltene bildnerischeSchmuck der Wände ordnet sich ihrer Architektur unter. Erbesteht in Masken und Gehängen ähnlich wie in den Eintrittshallen.Über den Bogenöffnungen im Erdgeschoß sind inlesbarer Höhe Tafeln angebracht (vgl. Text-Abb. 15 u. IC), aufdenen Sinnsprüche eingemeißelt sind zur Nachachtnng für dieim Hause Verkehrenden, In der Achse der Halle begrüßt denEintretenden das Berliner Wappentier, ein bronzener Bär, dervor der Rückwand auf hohem Sockel in Überlebensgroße aufgestelltist (Text-Äbb. 14 u. Bl. 9). Tor den beiden Längs-Äbb, 16- Brüstung in der großen JlaUe.wänden stehen je drei in strengnaturalistischen Akanthusformen entworfeneBronzekandelaber als ausgezeichnetgelungene Schmuckstücke(Text-Abb. 17). Sie sind das WerkWrbas, von dem auch alle übrigenBildhauerarbeiteu der Halle stammen.Die beiden Säle liegen inder Mitte der Xlosterstraßenfrontund sind daselbst durch das Bisalitmit Säulonstellungon gekennzeichnet.Der Sitzungssaal im zweiten Stockwerk(Abb. 1 Bl. 5 u. 6 und Abb. 1Bl. 11) ist als solcher dadurch besonderseigenartig gestaltet, daß umden ovalen Sitzungstiseh mit seinenSesseln Säulen in den sonst rechteckigenRaum gestellt sind. Dieseovale Form kehrt in der Ausbildungder Decke wieder. Die Säulen wurdenaus rötlichem Yeronamarmor, der biszur Glanzwirkung geschliffen ist, ausgeführt.Zu den Kapitellen und Basenwurde grauer Istriastein verwendet;aus gleichem Gestein sind die Türumrahmungen und Fensterbrüstungenausgeführt. Durch das zart gehaltene Ornamentder Beleuchtungskrone inmitten derSaaldecke, die in demselbenfeinen Maßstabe wie das Ornament der vier Wände gehaltenist, wird ein Zusammenklang aller Schmuckstücke erzielt.Im Gegensatz zu dem vorbesehriebenen Sitzungssaal ist derdarüber liegende als großer rechteckiger Kaum überwölbt(Abb. 1 Bl. 5 u. 6 und Abb. 3 BL 11). Er hat tiefe Fensternischenan der Straßenfront erhalten. Die kurzen seitlichenWände sind gut belichtet, so daß der hier angebrachte zarte,aus Istriamarmor gearbeitete Bildhauer^schmuck der Türumrahmungen (vgl.Text-Abb. 20 und Abb. 2 Bl. 11)zu bester Wirkung kommt. EinigeRundbilder in den Nischen der Fensterwandund drei kleinere Türen inder gegenüberliegenden Längswandwurden in gleich feinem Maßstabeund in ähnlichem Charakter behandelt;auch diese Teile wurden aus Istriamarmorausgeführt, so daß auch hiereioeeinheitliche Wirkungerzielt wordenist. Die kleinen Türen der LUngswanderhielten ihren Reliefschmuckder besseren Belichtung wegen inden Leibungen. Die Holztüron wurdendunkel gebeizt und etwas vergoldet.Diese Behandlungsweise wurde an denMöbeln des Saales wiederholt. Die'Beleuchtungskörper an den Wandpfeilernund in der Kitte Hingen ittihren Motiven an die übrigen Schmuckstückedes Raumes an. Im Gegensatzzu diesen zahlreichen künstlerischbehandelten Einzelheiten, die durch


357 Das neue Stadthaus in Berlin. 358die dunkle Behandlung stark in die Erscheinung treten,sind Decken und Wände einfach behandelt; aber auch hierklingen in einzelnen Teilen die dunkle Tönung der Türenund die Schmuckstücke ihrer Umrahmung -wieder. Die Ausbildungdieser beiden Sitzungssäle ist aus den Abb. 1 u. 2B1..11 ersichtlich.In ähnlich feinfühliger "Weise wurden die ihnen vorgelagertenWarteräume ausgebildet (Abb, 1 Bl. 5 u. G). Diesebeiden Vorsäle sind ebenso wiederunter ihnenliegendeWarteraumim ersten Obergeschoß mit Sitzmöbeln, und Beleuchtungskörpernausgestattet. Der Warteraum des ersten Obergeschossesist auf zwei Mittelpfeilern mit sechs kreuzgewölbtenFeldern Überdeckt (vgl. Text-Äbb. 20 und Grundriß Abb. 2 BL 4).Zwischen Türen und Fensterwand stehen vor den beidenSeitenwänden einfach geschnitzte Holzbänke, darüber sindWandroliefs aus Tstriastein in die Wände eingelassen. Derüber diesem Warteraum im zweiten Obergeschoß gelegeneVorsaal hat ein rötliches Marmorpaneel erhalten mit davorgestellten Bänken aus dem gleichen Stoff. In die geputztenund' hell gestrichenen Wände sind Steinreliefs eingesetzt:der Raum ist mit einer gemalten Holzkassettendecke überdeckt(vgl. Text-Abb. 19 u. 27). Der im dritten Obergeschoß gelegeneVorsaal zeigt ebenfalls eine Holzdccte; auf zwei geschnitztenUnterzügen liegen die ebenfalls geschnitzten Holzbalken(Text-Abb. 21). In die grün gestrichenen geputzten Wändesind kleine Kartuschen eingelassen. Die sonstige Ausstattungentspricht den beiden vorerwähnten Warteräumen.Abb. 17. Kandelaber in der großen Halle.(Bildhauer Prof. Georg "Wrbti.)Abb. 18.Wandschmuct in der Kingangshalle an der KlosteistraJJe,(Bildhauer Piof. Fraoz Naäger.)Sämtliche Flurgänge und Treppenhäuser sind überwölbtund geputzt und haben weißen Anstrich erhaltenj ihre Fußbödensind mit Terrazzo belegt. Die zu den Geschäftsräumenführenden Türen sind mit Muschelkalk umrahmt, in den aneinzelnen gut verteilten Stellen leichtes Bildwerk ohne Modelleingemeißelt ist. In ähnlicher Weise wurden auch die Vorräumeder Treppen durch kleine in die Wände eingelasseneBildwerke geschmückt (Text-Abb. 22), Sie stammen allevon Franz Naager, der auch die bildhauerischen Arbeitenin den Sitzungssälen gefertigt hat.Die Ausführung des Baues bietet mancherlei Bemerkenswertes,auf das im Nachstehenden kurz eingegangenwerden soll. Bei der Gründung des Stadthauses haben sichdank des guten Baugrundes keine Schwierigkeiten ergeben,so daß statische Berechnungen im wesentlichen nur auf denTnnn und die Halle beschi-änkt blieben. Der 84, m hohoTurm, dessen Baukörper inmitten der Jüdenstraßenfrontsteht, verlangte eine eingehende Berechnung und konstruktiveDurchbildung. Beides, sowie die Berechnung der übrigenstatisch nachzuweisenden Konstruktionen führte der Regierungsbaumeistera. D. und Privatdozent Karl Bernhard in Berlinaus. Er hat eine ausführliche Beschreibung der konstruktivenAusbildung des Stadthauaturraes und seiner statischenBerechnung im 1. Hefte Jahrgang <strong>1912</strong> der <strong>Zeitschrift</strong> desVerbandes deutscher Architekten- und Ingenieurvereine veröffentlicht.Wir entnehmen dieser Veröffentlichung die nachstehendenkurzen Mitteilungen:Der Turm steht auf vier annähernd quadratischen Eckpfeilernvon etwa 4,5 m Seite im vierten Obergeschoß in derHöhe ab des Schnittes Abb. 1 Bl. 5 u. 6. Diese vier Beinesetzen sich in Höhe der Kellersohle. auf eine starke durchgehendeGrundplatte aus Eisenbeton. Sie ist annähernd"•>-•: , ' « • '


859 Das neue Stadthaus in Berlin. 360\'>


361 Das neue Stadthaus in Berlin. 362Abb. 21. Decke des Vorsaales im dritten Obergeschoß.Abb. 22. Treppenpfeilcr.(Bildhauer Prof. Naager.)33,55 m hohe Turmschaft enthält sechs Geschosse (Abb. 1 und3 bis 7 Bl. 5 n, G). In jedes dieser Geschosse ist in Plöheder Fcnsterbrüstungen eine biegungsfeste Trommel aus eisernemKaumfachwerk zur Verankening eingemauert, um einensteifen Zusammenhang des Tarmschaftes zu gewähren. Derfreie Inuonraum enthält die bereits erwähnte Wendelti'ep2)eund den Personen au fzug. Über der obersten Plattform erhebtsich eine in Eisenfacliwerk ausgeführte Kuppel, deren äußererDurchmesser 11,5 m und deren Höhe rd. 10 m beträgt. Dieseist mit Ziegeln eingedeckt und von der rd. 3,20 ra hohenBronzefigur der Flora bekrönt.Bei der konstniktivcn Gestaltung des Turmes ist vondem Gesichtspunkte ausgegangen, durch mäßige Beanspruchungder vorzüglichen Baustoffe eine große, den monumentalenZwecken entsprechende Standsicherheit zu erreichen. AlleKräfte und Lasten aus der Kuppel und dem runden Aufbausind durch den Stützkörper in den viereckigen Unterbau, dieGrundplatte und schließlich in den Baugrund mit reichlicherSicherheit übertragen worden; das ist durch umfangreichestatische Untersuchungen, auf die hier nicht weiter eingegangenwerden kann, festgestellt. Der Aufbau des Turmes ist inseiner allgemeinen Anordnung aus dem Längsschnitt Bl. 5 u. 6ersichtlich. Durch Bohrungen bis 20 m Tiefe war ermitteltworden, daß in Höhe des Grundwasserspiegels, d. b. etwavon 4;o ni unter Straßenoberfläche ab, mittelscharfer Sandund darunter Kies von ausreichender Mächtigkeit vorhandenwar, so daß man mit Sicherheit schon über Grundwasser dieBaugrnndbelastung mit 3 bis 3,5 kg/qcm annehmen konnte.Die Baugrube brauchte nirgends erheblich tiefer als die


363 Das neue Stadthaus in Berlin. 364Abb. 32. Ausführung der elliptischen Bogen über den Turmpfeilern.Bausohle der bereits vorher ausgeführten benachbarten Bauteiledes Stadthauses zu liegen; deshalb konnte von besonderenSicherheitsVorkehrungen und Absteifungen dos fertigen Mauerwerksabgesehen werden. Ein ungleiches Setzen hat sichnach Jertigstellung des Turmes nirgends gezeigt. Die Anschlüssedes Turmraauerwerke an das der früher fertiggestellten Gebäudeteile zeigen keinerleiBisse. Wie schon bemerkt, wirddie ganze Turmlast im wesentlichenvon den vier starken Pfeilern aufeine etwa rechteckige Eisenbetongrundplattevon 34 zu 29 m Seitenlängeübertragen. Die Pfeiler erhieltenzwischen Keller- und Erdgeschoßfußbodeneinen Anlauf von 2:1(vgl. Text-Abb. 24). Die im Mittel1,6 m starke Bisenbetonplatte erhieltdabei an den Außenseiten noch sogroße Biegungsmomente, daß an diesenStellen die Platte bis auf 2,35 mverstärkt worden ist (Text-Abb. 24).Die Lage der oberen und unterenEiseneinlagen der Platte ist aus derText-Abbildung 25 ersichtlich» Umdie Gründnngsarbeiten mit Sicherheitvor endgültiger Feststellung allerEinzelheiten des architektonischen Aufbauesbeginnen zu können, wurdenbei der Berechnung die Lasten vorsichtshalberreichlich und gleichzeitigdie Bodenprossungen um etwa10 vH. niedriger als die festgesetzteGrenze von 3,5 kg/qcm angenommeu.So wurde auch die Beanspruchung desBetons, welcher aus einer Mischungvon einem Teil Rüdersdorfer Portlandzementzu vier Teilen Eibkiesbestand, nur zu 20 kg/qcm angenommen.noch eine Anzahl kleinerer Pfeiler, sowie ein Teil derTreppenhausmauern. Die Gesamtlast, welche die durchgehendeGrundplatte zu übertragen hat, beträgt etwa 26000 t. DieMittelkraft sämtlicher Lasten liegt ungefähr in der Mitte, sodaß von einer Berücksichtigung exzentrischer Belastung.in derBausohle abgesehen werden konnte. Auch der Einfluß desWindes ist gegenüber den gewaltigen lotrechten Lasten sehrgering. Bei Annahme eines wagcrechten Winddruckes von150 kg/qm beträgt die Belastung für den Teil des Turmes überdem Dache des Gebäudes rd. 100 t. Bei der Ermittlungdieser Kraft war der Einfachheit halber ein Zylinder von 60 mHohe angenommen. Hierdurch entstehen Zuschläge in denKantenpressungen von nur 0,12 kg/qcm. Da die größtePressung durch senkrechte Lasten zu 3,1 kg/qcni ermitteltwar, so beträgt der Einfluß des Windes auf die Baugrundpressungalso nur etwa 3,9 vH.Rüstungen und Hebevorrichtungen. Über dieRüstungen zum Versetzen der Werkstücke sowie über dieHebevorrichtungen ist kurz folgendes zu bemerken: Das Versetzender Werkstücke an den Straßenfronten sowie derStadthalle erfolgte in. üblicher Weise von einer verbundenenhölzernen Rüstung aus, mit der die nötigen eisernen Auslegerkraneund Winden verbunden waren. Für das Versetzen derWerkstücke der Turmfront in der Jüderistraße und des oberenAbb. 24- Schnitt durch die Eisenbetooplatte unter dem Turm,Außer den vier Turmpfeilernstehen auf dem Grunde der PlatteAbb. 25. Oboransicht der Eisenbetongrundplatte.


365 Das nouo Stadthaus in Berlin. 366freistehenden Teiles des Turmeswurden besondere Vorkehrungen getroffen.An der Jüdenstraße wurdedie verbundene Rüstung so hochgeführt, daß von hier noch die Werksteinedes oberen Ättikagosimses versetztwerden konnten (Text-Abb. 28).Für den runden Turmteil wurdeauf der quadratischen Plattform derAttika eine besondere statisch bereclineteKrananlage errichtet (Text-Abb. 29 bis 31 u. 34). Sie ruhte aufeinem nach und nach erhöhten Holzgerüstvon quadratischer Urundforramit 7 m Seitenlange (Text-Abb. 29u. 30). Ihr Fuß war mit dem darunterliegenden Mauerwerk festverankert. Die Krananlage bestandin ihren Haupttoilen aus vier drehbaren,über jeder Ecke des Holzgerüstesbefindlichen Auslegern,welche so eingerichtet waren, daßdie Ausladung durch Heben undSenken des Auslegers vergrößertoder verkleinert werden konnte. DieLast wurde außerhalb des Turmmauerwerksgehoben und auf dieVerwendungsstelle niedergelassen.Die Ausleger waren auf einem ausTrägern bestehenden Rahmen auf-<strong>Zeitschrift</strong> f. Baawesen. Jahrg. LXILAbb. 26, Oberteil der Türumrabmung im Sitzungssaal. Drittes Stockwerk.(Marmor, Bildhatier Prof, Haagei,}Abb. 27.Wandschmuck aus Marmor im Vorsaal. Zweites Stockwerk.(Bildhaaer Prof. Naager)Ugestellt, der mit einem5 cm starken Bohlenbelagversehen war.Auf dieser Arbeitsbühnestanden die elektrischbctriebenenWindon nebstMotoren. Hier hattenauch die Bedienungsmannschaften,für jedenAusleger ein Mann,ihren Stand, Bei derstatischen Berechnungdieser Krananlage wurdefür jeden der zur VorwendungkommendenAusleger eine größteNutzlast von 3500 kgangenommen. Die freieLänge des Auslegei-s betrug7 m und die Höheder Kransäulo 3,78 m.Zum Versetzen der"Werksteine der oberstenTurrageschosse gelangteauf der eisernen Balkenlagedes letzten Turmgeschosseseine besondereeiserne Windevorrichtungzur Aufstellungmit einem mächtigenAuslegerkran, der langeZeit hindurch mit demnoch unfertigen Turmein Wahrzeiclien Alt-Berlins bildete (Text-Abb. 38 u. 39). DieWindevorrichtung bestandauseineniMast vonEisenfachwerk, dessenquadratischer Grundriß1,2 m Seite hatte. DerMast war rd. 10 m hoch(Text-Abb. 35). In mittlererHöhe war er mittelsDrahtseils nach derBalkenlage hin verankert.Auf dem Mastlag ein Drehschemel zurAufnahme des eigentlichenKrans. Die Ausladungdes Kranarmesbetrug 10 m. Der Auslegerwar einer höchstenAufzugslast von 2500kgentsprechend mit einemGegengewicht ausge*glichen.Die Winde standauf der Decke des


367 Das neue Stadthaus in Berlin. 368'"^^'^ Zwaita Aufstellung\ '"-*,, d. Knane:A\.i .-


369 Das neue Stadthaus in Berlin. 370Abb. 31. Krananlage für den runden Turmteil.-—1,21 >Abb. 32 n. 33. Veraüterungdos Hauptgesimses der Fronten.Abb. 33. Schnitt durch die Eüoklage.zwischen den Frontfenstcrn liegenden Pfeilerübertragen. Um ein Kippen des weitausladendenöesimses zu vermeiden, das beim Begehenimd bei etwaigen Ausbesserungsarbeiten beweglicheLasten aufnehmen muß, ist der amEnde des Hängeplattenträgers vorgeseheneLiingsträger nach unten hin in den Pfeilermittenkräftig verankert.In ähnlicher Weise wie die hier zAirDarstellung gebrachte Hauptgesimsverankerungder Fronten wurden aucli die Turmgesimsegesichert Diese Verankerungen sindzum Teil mit den in Höhe der Turrafensterbrüstungenvermauerten Ringankern, vondenen oben die Eedc war, verbunden. Einebesondere konstruktiv durchgearbeitete Verankerungmittels eiserner Träger war auchbei dem großen Giebel der Turmattika inder Jüdenstraße erforderlich, weil hier dieschweren Werkstücke für die weit vortretendenKartaschen gleich mit den übrigen QuaderniTi Bossen versetzt und erst später am Banbearbeitet wurden.Heizung und Lüftung. Zu der Ansi^tattungdes Gebäudes mit einer lleizungsanlagosei kurz erwähnt, daß eine Hochdruckdampfkesselanlagezur Erzielung dererforderlichen Wärme im Kellorgeschoß aufgestelltist. Die vier Kessel liaben je 80 qmwasserberührte Heizfläche. Die Flurgänge,sowie die Mehrzahl der Nebenräume werdenmit Niederdruckdampf, die Bureauräume mitWarmwasser geheizt. Die wagerechten Dampf-,Warmwasser- und Kondenswasserleitungensind in begehbaren Gängen unter dem KellerfiüJl>odenuntergebracht. Die erste Verteilnngder Wärme erfolgt nur durch Dampf und zwarfür die Wasserheizungen bis zu den mittlerenEntfemnngspunkten


371 Das neue Stadthaus in Berlin. 372Aufsicht-g?r>


373 Das neue Stadthaus in Berlin. 374halle, für -welche ein besooderer Dreileiter-Hausanschluß unter dem Eingang in tlerJüdenstraße vorgesehen ist. An dergleichen Stolle befindet sich auch dersechste, nur für Kraftü"wecke dienendeAnschluß.Von den vier Dreiloiter - Hau3-anschlüseen für Licht führen <strong>Sp</strong>eiaoleitungenvon 2 x 310 und 1 >< 185 f|mmQuerschnitt zu einer Ringleitung von2 X 310 und 1 x 185 qmm, die in dornfür sämtliche Rohrleitungen angelegtenbegehbaren Rohrtunnel verlegt ist. Andiese Ringleitung, welche, wie schon derName besagt, um das ganze Gebäudehorumgefülirt ist, sind an acht Stellendie Steigeleitungen abgezweigt, welchein den Stärken von 3x35 qinm (4 Stück),3x50 qmra (2 Stück) und 3x70qmm(2 Stück) bis zu den oberen Geschossendurchgeführt sind. Die <strong>Sp</strong>eiaeleitungen,sowie alle Steigeleitungen sind im Rohrtunncldoppelpolig gesichert. Für dieVerteilung des Stromes in den einzelnenGeschossen sind insgesamt über 50 Verteilungsschalttafeluvorgesehen, von denendie Liclitstromtreise als Zwei- und Dreileitermit den Querschnitten 4, 2,5, 1,5und 1 qmra abzweigen.Die Flur- und Treppenbeleuchtungist in den einzelnen Geschossen so zusammengefaßt,daß sie von zwei Stellenaus ein- und ausgeschaltet werden kann.Die Stromkreise sind hierbei als Dreileiterausgeführt. Die Verteilung wurde sogetroffen, daß bei jedem Stromkreis inder einen Hälfte die Lampen, welchewährend der ganzen Nacht brennensollen, und in der anderen Hälfte dieübrigen, nur für die Abendbeleuchtungbestimmten Lampen geschaltet sind.Die Verlegung der Leitungen ist mitAusnahme des Rohrkellers und des Dachgeschossesdurchweg unter Putz erfolgt.Hierbei wurden die au den Wänden entlangführenden Leitungen in Oummirohrverlegt, während für die oberhalb dermassiven Decken befindlichen IjeitungonStahlpanzerrohre verwendet wurden. Füj'die Steigeleitungen wurden gleich beimBau besondere durch Eisenblech geschlosseneSchlitze hergestellt, in denendie Leitungen auf Porzellanrollen befestigtsind. Entsprechend der Verleguugsartder Leitungen wurden auch die Schalttafelnund Schalter in allen Räumen, indenen die Leitungen unter Putz liegen,in Mauernischen oder im Mauerwerkangebi-acht, während sie in den RäumenAbb. 38.Abb. 39.Abb. 38 u, 39. Auslegerkran für das obersteTurmgeschoß und die Kuppel.des Rohrkellers und des Dachgeschossesoffen auf den Wänden befestigt sind.Da die Verteilung der Bäume beider Ausführung bereits feststand, tonntebei der Anbringung der einzelnen Beleuchtungskörperauf ihren VerwendungszweckRücksicht genommen werden. Sowurden für die Zoichenräume Bogenlampenfür indirektes Licht gewählt undim übrigen die Beleuchtung durch einzelneGrlühlampen in Form von Kronen,Pendeln, Stehlampen vorgesehen. Fürspäter anzubringende Beleuchtung in einzelnenZimmern ist sogenannter Kuhlodrahtverwendet worden.Um die Stadthalle bei besonderenAnlässen auch abends benutzen zu können,wurde für diese und die Vorhalleeine reichliche Festbeleuchtung vorgesehen.In einem neben der Vorhalle nach derJüdenstraße zu gelegenen Raum ist einebesondere Schalttafel aufgestellt worden,welche von einem hierfür vorgesehenen,bereits eingangs erwähnten HausanschluBgespeist wird. Von hier aus kann diegesamte Festbeleuchtung bedient werden.Letztere ist so geschaltet, daß sie esermöglicht, je nach Bedarf die Helligkeitin der Vorhalle und in der Ualle inweiten Grenzen zu vorändern. Um denSicherheitsvorschriften durch Unterteilungder einzelnen Stromkreise zu entsprechen,ohne daß hierbei die Kosten zu hochwurden, wurden im zweiten Obergeschoßin der Nähe der ITallendet^ke besondereSehalttafeln angebracht, auf denen dieeinzelnen Stromkreise vorschriftsmäßiggesichert sind. Die Festbeleuchtung isteine mittelbare und erfolgt in der Vorhalledurch verdeckte Metall fad enlampenund in der Halle durch doppelte Reihenvon Röhrenlampen. Außerdem ist nochfür beide Räume eine besondere EfTcktbeleuchtungvorgesehen.Der Kraftbedarf des Stadthauses istzur Zeit gering. Er unifaiüt drei Personenaufzüge,von denen einer auf den Turmliinauffühi'tj einen Lastenaufzug und zweiAktenaufzüge sowie zwei kleinere Ventilatorenfür die Hallo. Alle Motoren sindan die Außenleiter mit 220 Volt angeschlossen.Fernsproch anlagen. SämtlicheUiensträume sind durch ein Fernsprechnetzmiteinander verbunden. Diese Fernsprechanlageist jedoch nur für denInnern Dienst bestimmt. Crespräche nachaußen können nur durch das Fernsprechnetzder Reichspostverwaltung geführt


375 Das neue Stadthaus in Berlin. 376Abb. 40. MöbelanfstelluHg in cioom Stadtrat- und Asseösorenzimmei'.ilübelauf-stellung im Zimmer dcH ötadtbauratsfür den Tiüfbau.7niwerden. Außer diesem inneren Fernsprechnetz ist für dieDezernenten und Bureau Vorsteher noch eine Rufanlage naelidem Dienerzimmer vorgesehen.Blitzableiter. Die Bützabloiteranlage des Stadthausesbesteht im wesentlichen aufs sämtlichen auf dem Bau verwendetenMetallteilcn von größerer Ausdehnung sowie denals Ergänzung angefügten eigentlichen Blitzableitungen. Hiernachsind folgende Einrichtungen des Gebäudes besonders inBetracht gezogen:1. der gegen 80 m hohe Turm an der Jödenstraße mitdem von der eisernen Balkenlage des Dachgeschossesbis in die <strong>Sp</strong>itze der Kuppel hinaufreichenden Eisenbauund der mit dem Eisenbau in "Verbindung stehendenBronzefigur auf dem Scheitel der Kuppel,2. die mit Kupfer gedeckten Plattformen in Höhe der Oebäudefirate,3. die kupfernen, das Sladthaue auf allen Seiten umgebendenRegenrinnen und die in gleicher Höhe liegendeeiserne Trägerdecke,4. die aus Kupfer gefertigten Regenfallrohre von starkenAbmessungen,5. die gut geerdeten inneren Rohrleitungen.Schornsteine sind in geringer Zahl vorhanden und imVergleich zum Turm von untergeordneter Bedeutung. Demgemäßbesteht die Blitzableitung des Stadthauses in zweckmäßigenVerbindungen der vorhandenen Metallteile untereinander— den kupfernen Dachabdeckungen, Regenrinnenund Fallrohren entsprechend wurde auch für diese VerbindungsleitungenKupfer verwendet und zwar in der Formmassiven Drahtes von 10 mm Durchmesser. Solche Verbindungenbestehen im Turm zwischen der Bronzefigur und demeisernen Innenbau, zwischen diesem und dem Personenaufzugund der Trägerlage unterm Dachgeschoß. Die letztere istan den vier Straßeneeken mit der äußeren Regenrinne verbunden.Die. Regenfallrohre an den Straßenfronten bilden die^^Klapptisch f.Fernspr.Abb, 42. MÖbülaufstellung in einem Buroaurauniclor Kanalisationsabtoilung.absteigenden Leitungen zur Erde und sind im Keller mitder Heizung und mit der "Wasserleitung verbunden. Außerdiesen äußeren absteigenden Leitungen besitzt das Gebäudeauf dem Innenhofe noch drei selbständige absteigende Leitungenmit Erdleitungsplatten und Anschlüssen der Rohrleitungen.Die mit Kupfer gedeckten Plattformen in der Hübeder Gebäudefirste sind untereinander verbunden. Diese Verbindungsleitungenliegen auf dem Firste und bilden als Firstleitungenzugleich die Fangvorrichtungen für diejenigen Teiledes Dachstuhles, die nicht unter der Einwirkung des Turmesstehen und nicht aus Metall sind. Die wenigen Schornsteinesind mit Fangrahmen versehen und auf möglichst kurzemWege geerdet •worden. An die Firstleitungen sind drei fürdie Zwecke der Heizung im Dachboden aufgestellte Wasserbehälterangeschlossen. Metallische Verbindungen zwis


;j77 Das neue Stadthaus in Berlin, 378Abb. 43. __ . . - - • Abb. 44.Abb. 43 u. 44. Eiserne ATttenregale in den Diensträamen der städtischen Feuersozietät.soweit vorhandene Möbel nicht zur Verfügung- standen, neueAusstattung erhalten. Dies gilt liauptsächlich von den Dezernenteiizimniern,von denen einige in Text-Abb. 40 u. 41im Grundriß mit eingezeichneten Möbeln zur Darstellung ,gebracht sind. Diese sind ebenso wie die Tapeten in denDozernentenräumen nach besonderen Entwürfen ausgeführt.Von der Ausstattung eines Bureauraumes in der Kanalisationsabteilunggibt der Grundriß Text-Abb. 42 ein Bild.In dem 7,04 m tiefen Zimmer sind vor den beiden Fensternje vier Sitzpnlte aufgestellt. Zwischen, neben und hinterden Pulten sind freistehend und an den Wänden bequemerreichbar Aktenregale vorgesellen. Auch die den Fensterngegennberliegendo Wand dient zur Aufnahme weiterer Regale,die als Doppelrogalo teilweise in den Raum frei vorspringen,sodaß die große Raumtiefe gut ausgenutzt ist. SchließlichBei noch auf die raumsparenden eisernen Aktenregale hingewiesen,von denen die Abb. 43 u. 44 die in den Dienaträumender städtischen Feuersozietät zeigen.Bei der Anfertigung und Durcharbeitung der Entwürfestanden dem Stadtbaurat Geheimen Baurat ^r.sS^Ö- LudwigHoffmann der Magistratsbaurat Matzdorff, sowie währendder ersten Zeit der Stadtbaurat Schneegans und später dieArchitekten Mettke, Frobeen und Gerecke zur Seite, DieBauausfühiung unterstand während der ersten Zeit dem MagistratsbauratDylewski und später dem Magistrats bauratBroniatowski, welchem Architekt Fritze beigegeben war.Die heiztechnischen Arbeiten wurden vom MagistratsbauratCaspar, die elektrotechnischen Arbeiten von dem verstorbenenProfessor Dr. Kalimann bearbeitet. Die konstruktive Bearbeitungdes Turmes geschah in der ersten Zeit durch denverstorbenen Baurat Gramer und später durch den RegierungsbaumeieterBernhard. Die Skulpturen sind Werke der BildliauerProfessoren Naager, Rauch, Taschner, Widemannund Wrba. Die Baukosten belaufen sich auf 7 304:590 Mark.Bei dem Bau des neuen Stadthauses waren hauptsächlichnachfolgende Firmen beteiligt*): 1. Maurerarbeiten: JosephFraentel, Aktiengesellschaft für Bauausführungen. 2. MassiveZwischenwände: Prüßsche Patentwände, G. m. b. H.3. Massive Decken: Ä. Stapf. 4. Zimmerarbeiten: G. 0. Alb.Krause, Aktiengesellscliaft für Bauausführungen, Ernst Meyer,5. Förderanlagen: Yoß u. Wolter. 6- Steinmetzarbeiten:C. Schilling, Ph. Holzmann u. Ko-, P. Wimmel u. Ko,, 0. Ploeger.O. Metzing Nachfl., C. Dittmer, Gebr. Zeidler. 7. Dachdeckerarbeiten:Gust. Ad. Wernicke, W. Neumeister. 8. Kunstschmiedearbeiten:Ferd. Paul Krüger. 9. Treibarbeiten fürdie Turmkuppelfigur: Martin u. Piltzing. 10. Tischlerarbeiten:F. Rachfall) C. Trost, R. Noster, Joh. Seeling, E. Gossow,Ford. Wolff. 11. Maler- und Anstreicherarbeiten: M. J. Bodenstein,L. Gößler u. Sohn. 12. Stuck- und Bildhauerarbeiten;C. Steiner u. J. Vonier. 13. Monierarbeiteu; Max Elias.14. Zentralheizung: a) Heizanlage: Rietschel u. Henneberg,b) Isolierung: Hom u. Taube, c) Kessel: Walter u. Ko., Delbrück,15. Beleuchtungsanlagen: Allgem. Elektrizitätsgesellsehaft,Schwabe u. Ko. 16. Beleuchtungskörper: R. Barth,Ferd. P, Krüger, Beleuchtungskörper, G. m. b. H. 17. BeundEntwässerung: Städtereinigung und Ingenieurbau, Aktiengesellschaft.18. Eisenkonstruktionen: Thyssen u. Ko., Ä.DrnckenmüUer, WolfNetter u. Jacobi, Breestu. Ko. 19. Möbel:E. GoSSOAv Nachfl., Siebert u. Aschenbach, Ferd. Wolff, Schwarzn. Frötilich. 20. Aufzüge: Karl Flohr. 21. Bhtzableitung:H. ülfert. 22. Fernsprech- und Signalanlage; Dt. Telephonwerke,G.m.b.H. 23. Steinbildhauerarboiten: Karl Schwarz,Joh. Kreuz. 24. Holzbildhauerarbeiten: Breitkopf- Cosel.25. Terrazzo: Joh. Odorico, Pellarin u. Ko.::'^:;;'i;^'y^.:>:. i^H,.^;,:^- ..U7.-:•••;•,; •..;,>•-:,:•! fyu.. ^_ S C h U It Z 6. •'''*) Falls nichts bemerkt ist, sind die angegebenen Firmeuin Berlin ansässig.


379 V. Behr, Burgruine Landskron an der Ahr. 380Quellen: StaatsarchiT Coblenz, (und dahio übeiwieseri:)Landskronsches Archiv und handschr, Bericht von Perta überdas LandakrODSche Archiv, — Staatsarchiv Düsseldorf. —Beyer, Urkuodenbuch der mitteh-heioischen Territorien, Einleitung.— Sohannat-Bärscb, Eiflia lllustrata, Bd, III, Abi 1. —V. Stramberg, Eheinischer Antiquarius, Abt,III, Bd. 9. — Eltester,100 i-heinische BuTgen, Nr. XXXTII: Landskron (Hs. i. Staatsarch.Cohl.) —Gesohichtlicher Atlas der Rheinprovinz, ErläuterungenII und V. — Lehfeldt, Bau- und KuüStdenkmäler des RegierungsbezirksCoblenz, Kreis Ahrweiler. —Piper, Burgenkuüde, Burgenlexikop-— Zender, Die Eifel in Sage und Dichtung. — ("Weiteres. leJifeldt.)Erwähnung in: Annales Colonienses Maxinii A bei Pertz,Sciiptores 17. — Chronica praesulüm et aTchiepiseoporum Coloüiensisecclesie, od. Eckertz in den Annalen des bistor. Ver. f. d.KiedeiTheinIV. — ÄnnalesStadenses Ä bei Pertz, Scriptores 16. —Chronik der Stadt Sinzig, ed. Eckei-tz in den Aan. des bist. Ver.f, d. Nrh. <strong>VII</strong>I. — Buoh Weinsberg IIl. — Hontheim, HistoriaTrevireasis I. — Ficker, Engelbert. — Abel, König Philipp TonHobenstaufen. — Winkel mann, König Philipp von Schwaben undOtto IV. von Braunscliweig, I und II. — v. Mering, Geschichteder Bargen usw., IL — <strong>Zeitschrift</strong> des Aachener Geschichtsvereins,Jg. 12, S. 202 f. — Bonner Jahrbücher, Jg, 12, S. 115;16, S. 131; 44, S. 78. — Annalen des hist. Ver. f. d. tTiederrhein,in verschiedenen Jahrgängen. — Weistümer des KurfürstöntumsTrier. — Grimm, Weistümer I. — Urkunden enthalten in; Guden,Codei diplomatious II. — Laoomblet, Urkundenbuch iür die Geschichtedes Niederrbeins, II. —Böhmer, Regesteo. — Günther,Codex diplomaticus Eheno-MosellanuB IL — "Winkelmana, ActaTmperii inedita, L — Goertz, Mittelrheiniscbe Begesten, IL —Beyer, U. B. d. mittelrh. Terr. — Ficker, Rogesten.Die Originale der Abbildungen sind Eigentum des Provinzialarchivsfür Denkraälerstatistik.Die Burg Landskron an derÄhr ist wohl nie Zeuge glänzenderHofhaltungen und rauschenderFeste gewesen wie manch.anderes Schloß in rheinischenLanden, das heute in Ruinenliegt. Keine hochragenden Trümmereines stolzen Palasbaueserinnern mehr an alte Fürstenmachtund Reichesherriiehkeit.Und wer den Gipfel jenes Basaltkegeisüber der AhrmÖndungbesteigt, um sein Verlangennach Romanik zu befriedigen,kommt dabei schwerlich auf seine Kosten. — Und doch hatauch Landskron seinen Teil an einem Stückchen deutscherGeschichte des Mittelalters, und ihre Wirkung auf sie magZeit ihres Bestehens, ohne hervorzutreten, lebendig gebliebensein. Der Wert aber, der für uns in den Trümmern der BurgLandskron liegt, ist in erster Linie ein anderer: gerade derMangel an Romanik, wenn man ao sagen darf, macht sie bedeutsam,denn in erster Linie die Wirtschafts- und Wohnbaugegchiohteist es, für die die Feste eine nicht ganz gleichgtUtigeRolle spielt. Wir haben in ihr eine JraiBerliche Landesfestung,verwaltet und bewohnt jedoch ganz im Sinne einerGanerbenburg. Und diese Eigenart spiegelt sich aufedeutlichste in ihtet Bauanlage wieder: im weseDtlichen eineweitgespannte, einfache Ümwehrung, die ihrerseits wiederumin der zeitttblichen Weise geschützt ist, und mehrere Binzelhfifeund Hftuser als Anwesen der Burgmannen einschließt,an einer Seite aber, im Süden, von einer kleinen hochgelegenenBurgruine Laudsfcron an der Ahr.(Allö Rechte rorbehalteo.)und festesten Oberburg, dem kaiserlichen PaIatium undWohnung des Burggrafen und Vorstandes der BurggemeinschaftÜberschattet wird (Abb. 2). Schon bei der Gründung kurznach 1200 ist dieser Plan wirtschaftlich wie baulich vorhandenund hat sioh, ohne unter den sich ändernden Zeitverhftltnissenan Bestimmtheit viel zu verlieren, bis zur Zerstörungder Burg Anfang des 18. Jahrhunderts erhalten.Eine Ähnliche Anlage bietet die Salzburg in Franken, diePiper als Muster einer Ganerbenbiu-g bezeichnet und die ebenfalle,wenn auch in bedeutend frühei-er Zeit, als Königsburg,villa regia, gegründet wurde. Im Rhanland selbstwird sich kaum ein Gegenstück zu Landskron flndea lassen;von den Ganerbenburgen namentlich sind fast alle so engangelegt, daß im Laufe weniger Menschenalter jede Scheidungder Höfe und Häuser voneinander aufhören mußte und dieBurg schließlich nur mehr das Bild eines einsigen ring*förmigen Hauses darbot (wie u. a. Eltz).Von dem Bestehen einer Burg auf dem ehemals Gymnich *)genannten Berg der Landskron vor 1200 ist in Quellen nie dieRede. Doch fordert er, am Einfluß der Ahr in den Rhein gelegenund das untere Ahrtal und alles Land bis zum Rhein und hinab bisBonn beherrschend, zu kriegerischer Besetzung wie nur irgendeinerheraus. Er mag daher seit Römerzoiten, wo er als Wartefür Castell Remagen gedient haben dürfte, mit gewissenUnterbrechungen immer ein befestigter Platz gewesen sein.Eine Wahrscheinlichkeit für das Dasein einer Burg kurz vor1200 ist dadurch gegeben, daß bereits 1190 im Klosterbuchdes adeligen Augnstinerinnenklosters St. Thomaß bei Andernacheine Ida von Landskron unter den verstorbenen Äbtissinnen, die sämtlich niederrheinischen Adelsfamilien angehören,verzeichnet ist. Dagegen ist die Versicherung einerhandschriftlich im Landskroner Archiv liegenden Geschichteder Burg um 1700, daß Otto IL diese gebaut habe, offensichtlichein Irrtum. Denn die zum Beweis herangezogeneUrkunde ist ein Brief Friedrichs IL, der darauf hinweist,daß „Otto quondam dictus Imperator" Mittel zum Bau gegebenhabe, also ganz klar sein Gegenkönig Otto IV.*) — DieGründung der Burg, deren Trümmer auf uns gekommen sind,ist das Werk Philipps von Schwaben. Er legte sie imJahre 1206, ein Jahr also vor Abschluß des Kölner Krieges,yon Sinzig, seinem ersten Lager gegen Kdln, aus an, umden in Köln eingeschlossenen Otto IV. strenger einzukreisen;wie die Kölner Chroniken es auffassen „ad oppressionemColoniensis ecclesio", „ad detrimentum tochis provinziae*.Die Fertigstellung ffiUt zwischen die Jahre 1208, da Ottodurch Philippe Tod in den Besitz der Bürg gelangte, und12J2, da er auf der Burg weilte. Landskron ging als Burggrafschaftzu Lehen an Gerhard von Sinzig, einen Angehörigendes rheinischen Ministeradels, und blieb Jn decisenFamilie bis zu ihrem Aussterben 1370. Und gchon von1) Mit dem Familiennamen Oymnioh hat der Berg nioht» zutun, sondern diesdr leitet sich nac^ K r- OidtmaDn (Zs. d. AachenerGesoh.-Ver. 30, S. 155) nach Öymnioh bei Leohenich her. — Unterder Landskron liegt heute noch ein Dorf Giumigeii,2) Bie in Ansfelds Übersicht erwähnten Urkunden zu Land^croDvon U29 an sind zwei Bracke naoh Urkunden * die sifjli auf (Hespäter zar Herrschaft Landskron gehdrenden Güter zu Bodendorf bösiehen(Mitteilung des Direktors des Staittsaiwhivs in Koblenz).


381 V. ßelir, Burgt'uitie Landskron an der Ahr. 382Philipp, wahrscheinlich gleich hei der Investitur init Landskron,erhielt er die Berechtigung, die Wehrfähigkeit derFeste dadurch zu erhöhen, daß er wen er wollte von seinenVerwandten und Freunden sich innerhalb ihrer Mauern ansiedelnließe; daß diese Ansiedelung sofort stattfand, geht auseinem Brief König Friedrichs an G-erhard von 1214 hervor. Ebenfallsaber von vornherein scheint diese Wolingerechtigkeit, diein der Hegel wohl erkauft wurde (s. u. Urk. 1285), in derJamilie eines jeden ßurgmannes orblich gewesen zu sein,Avenn dies in den Lehnsurkundon auch nicht als Grundßatzausgesprochen ist; für 1346 ist das Erbrecht der Burgmannenurkundlich bezeugt (Guden II, S. 1105),Wie der Bau der Burg Landski-on schon vor ihrerFertigstellung wohl ein ausschlaggebender Orund mit gewesensein mag, den Friedensschlußzwischen Köln und Philippbereits 1207 zustande kommenzu lassen, so tritt wenigeJahre später ihre Wichtigkeitin diesen Kämpfen wiederumrecht deutlieh hervor, ungleichaber die treffliche Männlichkeitihres Befehlshabers Gerhardvon Sinzig. Friedrich IL, derseinen Gegner Otto in Köln hoffm\Qgslos eingeschlossen liatte,sieh aber de eh noch daraufAbb. 1, Ansicht von Südwesten.angewiesen sah, ihm an denwenigen noch übrigen äußeren Stützpunkten Abbruch zutun, richtet 1214 aus seinem Lager unter Landskion auf RatWerners von Bolanden die lockendsten Versprechungen an Gerhardfür den Fall, daß ihm die Burg übergeben würde, —denn so, wie auch Winkelmann, Philipp v. Schw. IL, diesenBrief auffaßt, muß er augenscheinlich genommen werden;hätte Gerhard bereits im Bogriff der Übergabe gestanden,80 wäre die Ausdrucksweise Friedrichs kaum möglich gewesen:„Tnsuper pro essequiis tuis, quae nos ipsi a te praesumimusrecopturos et ut tu libentius et sub maiore devotione te adnos transferas, promittimus tibi . . . quod cum primum deuscastrum Landscron nobis dederit. . ." Tatsächlich hatGerhard ihm die Burg damals nicht Übergeben, treu demrechtmäßigen Kaiser in. Köln. Und erst für 1215 meldendie Annales Stadenses die Kapitulation Landskrons, zugleich mitder von Trivcls. Denn am 25. Juli 1215 fand die KrönungFriodrichB statt, welche von vielen, unter ihnen Waltliervon der Vogelweide, erst als die rechtmäßige anerkanntwurde, die Krönung auf dem Stuhl Karls des Großen imAachener Münster. Und dem in seinen Augen nun erstrechtmäßigen Kaiser Öffnete Gerhard die Tore der Landskrone.Daß dies ohne einen vom Kaiser auf ihn ausgeübtenDruck geschah, geht aus dem Vertrauen und der Ehre hervor,die Friedrich ilim kurz darauf, 121«, erweist, indem erihm die ganze Verwaltung des linken Rheinufers von derMosel an abwärts überträgt.Mit Gerhard IV., Herrn zu Sinzig, stirbt das Geschlechtder Burggrafen von Landskron 1370 aus-'). — Es darf hierwohl dem Irrtum entgegengetreten werden, den Lehfoldtwahrscheinlich aus der Eiflia lUustrata herübernimmt, daßvon 127G an die Burggrafen sich Ritter von Landslirongenannt hätten; der Eittername war zu jener Zeit noch keineswegserblich, und die Ausdrüeklichkeit, mit welcher in demweiter unten wiedergegebenen Schlichtungsbrief von 1285bemerkt wird „denn Herr Gerhart war ein Ritter", währendsein Bruder keiner war, spricht entschieden genug gegendas Bestehen einer Erblichkeit dieses Titels. — 1370 gehtdie Herrschaft Landskron, mittlerweile zu einem beträchtlichenUmfang angewachsen, durch Heirat an die drei FamilienElnenberg, Scliönenburg, Tomburg über, mit deren Einverständnisbereits 1366 von Gerhard IV. ein sorgfältiges Testamentund Burgfrieden aufgesetzt ist, für uns besonders vielwert, insofern als liier sämtlicheGebäude der Burg, die derErblasser in Gebrauch hatteoder die Gemeingut waren, genanntsind. Schon das Jahr1397 bringt mit dem Todedes kinderlosen Dietrich vonSchönenburg eine zweite Erbteilung,bei der festgesetzt wird,daß die Oberburg fernerhinnie in mehr als die zwei nunmehrbestehenden Teile getrenntwerden solle. Ein Jahrhundertetwa bleiben die Einenbergsund die mehr als diese in den Vordorgnind tretenden Tomburgsim Besitz dos Lehens. Dann aber beginnt eine Zeit sehr zahlreicherErbteilungen, die für die Geschichte der Burg selberum so weniger ins Gewicht fallen, als über die Verteilung ihrereinzelnen Höfe und Häuser imd die Verwaltung der Feste vorderhandkeine Kunde aus ihnen zu erhalten ist; es ist jedoch zuhoffen, daß die im Werden begriffene Neuordnung des LandskronschenÄrchives manchen Aufschluß gerade hierüber ermöglichenwird. Die Familien, welche als Teilhaber an Landskronerscheinen, sind nach- und nebeneinander folgende:Plettenberg, Rlieineck, Quadt, Sonibreffe, Harff, Eltz-Pirmont,Walboton von Bassenheim, Grafen von Manderscheid, Iloensbroech,Brompt, Vorst-Lombeck, Nesselrode, die 1729 denNamen der Reichsgrafen von Nesselrode-Landskron undReichenstein annehmen; 1775 Cloedt und nach ihnen Frh. vonStein-Nassau. (Darstellungen der Besitzveränderungen eingehendim rheinischen Äntiquarius, der Eiflia lllustrata undden Erläuterungen zum geschichtlichen Atlas der Eheinprovinz.)1059/00 wird '/lo Anteil der Herrschaft Landskron, dasder Trierer Erzbischof Karl Kaspar von der Leyen gekaufthat, gegen Herausgabe einiger Jülichischer Güter an dasHerzogtum Jülich abgetreten und geht damit als unmittelbaresReichslehen verloren. 1789 ist Landskron Kondominium,dessen Teilhaber Jülich und die Ritterschaft sind. Bis 1801bleibt die Herrschaft reichsunmittelbar. Der Steinsche Anteilwird, als das linke Rheinufer in fi^anzösischen Besitz gerät,von dem nachmaligen Minister Frh. v. Stein außer seinensonstigen linksrheinischen Gütern im'Taxwert von 3164 Fr.3) Ritter von Landskron, die iri Köln und Aachen wohnen,kennt das Buch Weinsberg, ebenso eine Familie von Landskron,welche im Hause des Landkonithurs der Maastrichter Deutschordena-Zeitächrift f. Baaweeon. Jahrg. LXU.ballei in Bierbaum lebt und deren Erbbegräbnis in der Karmeliterkirche,wo ihre Schildo bangen, sich befindet. 1582. üi^ Erbbegräbnis derLandakroner Burggrafen ist in dur Kirche des Klosters Marienthal.25


383 V. Behr, Burgruine Landskron an der Ahr. 384verkauft, nachher jedoch wiederum zurückgekauft, und befindetsich heute, durcli Erbfolge, in den Häuden des GrafenV. d. Groelien-Potsdam.Eine Baugeschichte der Burg ist nicht möglich, ehe dasArchiv geordnet ist und die wichtigsten Baulichkeiten vollständigausgegraben sind, liier nur einige kurze Angaben,die einzigen, welche vorliegen: — In den ersten zwei Jahrhundertennach der Gründung seheinen festungstechnisch keineVeränderungen vorgenommen worden zu sein, obwohl dieBurg mehrfach an kriegerischen Ereignissen teilhatte. Währenddes dreißigjährigen Krieges hatten 1632 die Schweden unterBaudissin, 1633 die <strong>Sp</strong>anier und Kurkölner die Burg. Umdiese Zeit läßt ein Kommandant der Feste, um die Feindeder Deckung zu berauben, den Landskronor Hof, östlich amFuß des Borges, niederbrennen, 1646 wird Landskron aufBefehl des kaisorfichen Kriegekommissars von Westfalen inVerteidigungszustand gesetzt. 1677 geht die Niederburgunter den Händen der Franzosen zum größten Teil in Flammenauf und ist seitdem wohl nicht wieder aufgebaut worden, ihrenWert als feste Wohnung hatte die Burg ja längst verloren.1689 diente sie noch einmal einem französischen Haufenals Stützpunkt für Plünderungen. Und wie traurig ihr Rulimschließlieh gesunken war, zeigte sich, als 1714 nach demUtrechter Frieden Pfalzgraf Philipp Wolfgang, Herzog vonJülich, sie ohne Kenntnis des kaiserlichen Herrn, und gegenAbfindung des Burgherrn Freiherrn Moritz v, Brempt mit 10oder 12 Tausend Talern, sprengen und soweit möglich „fimditusrasieren" ließ — um dem Feinde die Gelegenheit einer Festsetzungim Lande zu rauben. Wozu Stramberg bemerkt:Sehr patriotisch und staatsmännisch gedacht und gcliandelt.Zur Ermögliclmng eines genaueren Einblicke in die obenflüchtig geschilderte Anlage der Burg schien es geraten, diedarauf sich beziehenden Urkunden im Wortlaut wiederzugeben;es wird sich dann ein Teil der Erörterungen an Handdes Grundrisses sparen lassen. — An ihi'o <strong>Sp</strong>itze mögeals zeitlich erste ein Sehüchtungsbrief treten, der zwar fürdie Beurteilung des Baues selbst keine sehr große Bedeutunghat, aber allgemein kulturgeschichtlicli eine gewisse Beachtungverdient.(1285.) In nomine domini ameN. Wir dir greue Ruprechtvan Virninburch, er Heinrich van Dune, Johan van Rinecke,Thilenian van Reibach dir aide, er Thileman dir Junge vanRoinbach, er Heinrich van Muntab&r, er Qodeurit van Vritsdorp,inde er Ingebrant van Derlowo. Ymbe als sülchezueiunge d! was intflschin erin Clerarde van Landiscrone,inde Ottin sinin brüdir, inde di an vns gelazin was, DI hauwir besoheidin als her na gesrluin steit. Anegainde sprechinwir, dat, dat her Gerart hauin sal dS Böroh zu Landiscronebid L&din inde bid güde, dat zfi dis hftsishüdin gehört, als id sin vadir hatte van me riebe,


385 V. Behr, Burgruine Landskron au der Ahr. 386Abb- 3, Burg Landskron.(Ans eiiior Landltaite im Laiidskronsohea Archivim Kgl, Slaa(garchi7 in Koblenz.)inde Otte nii,Ändirwenie saginwir, dat her Gerartinde Otte deiliiisolin bescheidinlicheals aülchorue, als ir radirind ir müdir hattiuso wa id si gelegin.Dirdeweruesagin wir oue erGerart ind Ottezneinde wrdin Yinbe ir erue, dat her Gerart spreche id hortezu me riebe, inde Otte spre(ihe id horte zu irme erue, dat saliruarin er HoTrich dir gftde der aide, bid wairheido ouo bidrechte, indo wat he dar Tmbo sagit des sal in beidin gßugin.Verdewerf sagin wir. dat her Gerart sal geuin Ottin dathüs Ide dat burchlein dat he gekouft hat vf Landiscroiie,inde sal imo dar zu geuin vndiral vunfcin marchgoldig, als gewenlich is, ouene inde n!dene in me lande allewegevf sGte mertinis dach wät er Gerart was ein Ritte ind irsgemoinT gfldis mo virdain hat dan Otte als ir gemeine mageBprochit Otte sal ouch ridin üz eime burchlene dinin sininhrin, inde sinin vrundin als ande dis richis burchman, indeda ane inaal her Gerart Ottin n!t anehindin. Vunftewerfsprochin wir dat di lüde d] her Gerart spricht, dS sich an ditriebe hant gemachit, inde Otte spricht si hau! sich gemachtan irjn vadir, des sal sich iruarin er HoTrich dir gudo. vindithe bid wairheide dat si me riebe solin volgin so insalman ir mt dcilin, vindit he dat, dat sie me riebe nit volgininsolin, so solint si d! Iftde gliche deilin. Sestewerf saginwir, dat ir man alle solin volgin herl Gerarde. Siuiudewuesagin wir, dat Otto alle der scholt, der sin brüdir indo hesemintliche schuldioh sint, sal geldin hundirt marc, da heir sint H'uiste n!t uirgoldin inhat, int&schin h\ inde Faischin.Eichtewerf sprechin wir, dat her Gerart sal hauin alle divorderügen van schftlde, d! si hant, inde des inhat Otte nitzfi dune, spricht a^ijr iman ane si vrabe scholt, di sal herGerart virantuertin, inde Otte ntt, inde vort insal Otte herinGerarde nSt dringin. Vf dat d!t ewich inde stede si, so hanwir, dir Greue Eüprecht, er Heirich van Dune, Johan vanKinecke, Thileman van Hetbach dir aide, Thileman dir Jungevan Reinbach Heinrich van Muntabür, Godeurit van Yritsdorp,Ingebrant vauDerinowe, Petirvan eich, Heinrich dirgüde, indewir A\ id anegoit, her Gerart inde Otte di gebnldere van Landiscrone,d&sin geginwordichin brff besigilt bid vnsin Ingesfgelin, diher ane gehangin sint. Der brjf wart gegeuin van gods gebärdeDasint iair zneihundirt iair, vunf inde eichzieh iiar, dis Maindagisna sente Gerdrude dage, da vile gftdir lade vüir.was. —(N. d. Orig. in Koblenz,) Mit anhangonden Siegeln.Dio folgenden nach Ouden, Codex dipJomaticus IL{134G.) Belebming Herrn Hufts von Ulmen mit demvon seinem Vetter Gerhard an ihn gefallenen Anteil znLandskron durch Kaiser Ludwig.(1351.) . . . Vort me SuUen wir (Gerhard von Landskron)unser Snurgen (Fien von Contzen) eyn Hus wedemenzu Lantzkrone in der niderburg, mit sulchen Vurwurden,dat niman xis dorn Huase dniss noch drin eregen nochurIngen sal . . .(1366. Testament Gerhards IV. von Landskron, betreffendden Burgfrieden des Hauses, im Einverständnis dermit Uüterzeioluienden Erben Friedrich von Tomburg, Gerhardvon Eynenberg und Dietrich zu Schoenenburg aufgesetzt.)Erste -wollen wir, dat yclieh unser . . Erben ime lassegenügen mit alsulcheme Dcile as ime up der Overburch zuLandscrone zu rechtem Losse gevallen is; welch Los mitirmo willen . . . gemacht ind gelost wart. Vort sal ... .(Teilung auswärtiger, zu Landskron gehörender Güter). Vortsol Gcrard van Eynenberg haven up der niderburghzu Landscrone dat huss, dat by Hm Husten hus weitsteet, mid der Hofs tat bis an dat Bachus. Yort solDiederich ind Ponzed (v. Schönenburg) dat Muleniiushaven, . . . vort solen Frederich ind Conegnnd (v. Tomburg)haven wilne des Guden hns ind dat Essigsbuss midden Stellen bis an den Mulberen bom. Yort sal FrederichGerart ind Diederich ... die Stelle, die enbussea dermittelster PortzenStent, . . .den Hof vor demBerge, op dat Losgleich deilen. Yortsolen die 2wanederste Capellenin der niderburg,in die Cluse, der große Turn, der Putz, . . .die zwa Pisternen, die ussersto Mulen, ind alle Wiohuser,mit dem Erker hinder derCapellen; der cleyne Turn ander niderster Portzon, Badhus (= B.icbus?), Blidenhusind Bilden pletze, Kelterhus, Noitstelle, Armbruste,ind wat zu des Huses huden gehorich is; allePortzen ind Portzhuser, alle Grindele, Wege indStege . . . unscn vurgenanten Erven ind nacomelingen gemeinesin, mit dem Gebncke umb die Burgh. Ind dieWechtere, Turnkneehte ind Portzener solen yn samct glichsueren ind hulden, as dat gewenlich is.(1374. Friedrich Herr zu Tomburg und zu Landskronseiner Gemahlin Kunigunde, Tochter Gerhards IV.) . . .vort han ich ir gewedemet zo Landscrone up der burghunser HUBS . . ., mit dem Erker da engegen vor, enbinuender nederster Portzen , . .(1397.) Ponzetta hat nach dem Tode ihres Gemahlsden Sehonenburger Anteil dem Herrn von Tombnrg vermacht;und es findet nun eine zweite Teilung zwischen Tomburgund Eynenberg statt, bei der bestimmt wird, die beidenTeile der Oberburg sollen ferner nicht weiter geteilt werden,im übrigen erhält Eynenberg das rote Haus, die Küche vordem roten Turm, den Erker bei Schönenburga Haus unddie Hälfte des neuen Hauses bei dem Mühlenhaus. Gemeinsambleiben der Erker bei der Clusenpforte und -capelleund sonst dasselbe etwa wie 1366.25*


387 V. Bebr, Bargruine Landskron an der Ahr. 388(1397.) Wir Friderich Herre zu Tomburgh ind zu Landzcrone,Gerart min Son; Gerhart van Eynonberg Herre zuLandzcrone, ind Johan min Son, Bekennen ....... datwir gelient han unser Moynen Bontzette van Landzcrone{und Schönenburg, Tochter Gerhards IV".} ire Leve dage unseHuyas, genant dat Rodehuyss, binnen der Overburch, mitder Kuchen, ind dat Molenhuyss in (=und) den Aldeu Hoffmit dem Garden um den Berg ....(1419. Krafft von Saffenberg und Elysabeth von Tomburg). , . . wir , . . dun kunt, dat "wir umb aunderliche.dienst und fruntschaftj die uns Johann van Eynenburg Herrzu Lantzkron unse liebe swager ind Neve, Ind Lysa (seineFrau) in vergangenen zyden gedandie Camerenboven yre Cameren, so wie die gelegen ig unden an bisoven uss up der overster Burch zu Lantzkrone, die wilneHerrn Gerartz van Eynenburg syns Vater plag zu gyn , , .(ihnen gegeben haben). Ind is diese . . . Kamer gelegenbeneven dem Wyndelsteyne, also dat der Wyndelsteyn byder Kammeren up get . . . (Die von Friedrich v. Tomburggebrochenen Türen in die Kammer sollen Johann und Lysa•wieder zumauern lassen.) . . . Vort so bekennen wir Crafftund ELysabotha, dat Jöhan und Lysa . . . van nu vort zuewigen dagen han sullen in dem grosen nuwen Huse enbynnendem oversten vurburge beneven der Portzen gelegen,eynen Solre, zu yre Keren und genuichden, die lengendedurch dat Husa van einem gefeile au dem anderen, zu allyrme nutze ind urber. Ind vort dat ander deill desselvenHuss van unden an bis oven uss sal unser gemeyne bliven,so wie dat vur gedeilt ind geschieden is Vort sobekennen wir . , , also as der Ganck zu dem Putue ind zuunsem Kelre up der Burch zu Lantzkron zu ewigen dagenfry sin sali imbetrod ind unverbuwet . . . doch so han wirzu merer vestunge der Burch . . gegont . . ., dat sie unssementlichea ...» eine Doer vur den Ganck han dunmachen . . .1526 wird ein sorgfältiges Bestandsverzeichnis desEigentums Damiano von Quadt und seiner Frau Elisabethvon Bltz aufgenommen, das ein höchst anschauliches Bildeiner Hausausstattung der Henaissancezeit gibt. Zunächstist ohne Nennung der einzelnen Räume der Befund im„Newen Baw" aufgezeichnet, worunter „ein heidnischesteinene stuick, 2 eisene stuick", 10 und C Fuß lang,sowie eins von 5 Fuß, „alle geschmidt"; ferner 5 Eisen-^Stückeltgen" und 16 Geschützkammern. Auf diesen artilleristischenHausbestand besonders ist noch zurückzukommen.— Außer einem geheizten großen Wohnraum liegt imNeuen Bau auch eine Kapelle, scheinbar jedoch nur inForm einer Nische im Wohnraum. Weiterhin ist das„Oberhauiß" genannt, von dem jedoch nicht klar ist,ob es das Obergeschoß des Neuen Hauses oder die Oberbnrgbedeutet, und ob sämtliche von da an einzeln aufgeführtenBäume hier liegen. Handelt es sieh um das Obergeschoß,so kann dies nur die drei ersten Eäume umfassen. Die Räume, fastalle, auch die Schlafkammem, heizbar, und zwar zum größtenTeil mit Öfen, sind folgende: Wohngemach, daneben eineSchlafkammer, daneben ein kleines Stöbehen mit reichbesetztemGlasschrank und „vor dem Gewölb" ein großer vollerGeöchirrachrank, dessen Inhalt meist das Quadische undOvelackische Wappen trägt. Dann ein Gang vor dem Ge wölb,eine Schlafkammer über dem Gew51b, ein Gang, eine neueKammer mit zwei Betten (an der Waud u. a. ein Bild vomverlornen Sohn), ein unteres Gewölbej worin Bücher undBriefe, vor der neuen Kammer ein Gang mit drei Schränkenfür Wäsche und Kleider, dann eine Magdfcammer, die„oberste newe Kammer" als Schlafgemaoh sehr gut eingerichtet,ein kleines Käramerchen, eine Kistenkaramer, „desSchreibers Kammer", deren Einrichtung nur aus Bett, Bücherschrankund einer Fleischbütte besteht, eine „oberste Schlafkammernegat der Treppen", Nebenkammer (Einrichtung wiedie einer Gastkammer), Bibliothek, in welcher außer Büchernauch ein ganzes kleines Museum und Haritätenkabinett besteht,„Schoenbergen Kammergen", „Kuichkammer" wohnlich eingei'ichtet,dort auch eine Bettstatt und ein <strong>Sp</strong>annbett, „Kuichkeller",ferner der große Weinkeller, das Bindhaus mit 5 Fuderfässem.Neben der Bibliothek das Plunderkämmerchen. „Des KellersKeminate die Trepp hinauf negst Thombergen Kammeren."Leider ist die Schleifung von Landskron dermaßen gutgeraten, daß das Bild, welches die niedrigen, meist erst ausSchutthaufen wieder herausgegrabenen Trümmer von derBurg geben können, in Einzelheiten ziemlich unvollkommenist. Der Plan jedoch in seinen wesentlichen Zügen liegtklar, so wie er bei der Gründung Landskrons verfaßt wurde:Die große Abplattung des Berges, von etwa 40 zu 70 niFläche, die nach der westlich vorbei fließenden Ahr hinschwach geneigt ist, wird umwehrt von der durchweg 1,80 mstarken und stellenweise (einmal in einer Länge von 17 m)schnurgerade verlaufenden Umfassungsmauer von 1206, weichean der Nordwestecke einen Ausbau aufweist, sonst jedochnur eine Anzahl vorschießender {hölzerner) Erker(1366) trug. Sie umschließt die Einzelhöfe und -häuserder Burgmannen, von denen A und JK (Abb. 2) wahrscheinlichnoch dem Anfang des 13. Jahrhunderts angehören.Nach dem Rhein zu, im Süden, ragt etwa 8 m über ihr einbreites unregelmäßiges Felshaupt auf, das nach allen Seitenunersteigbar jäh abstürzt und der gegebene Ort zur Errichtungder Oberburg war. In seinem Brief von 1214 sprichtFriedrich]!, von dem „caatrum Landscron simulcumpalatio";dieses Palatium, worunter zufolge der Hervorhebung seinerOleichwertigkeit mit dem Castrura hier kein Palas, sondern einHaus noch im Sinne der alten Caaa regia verstanden werdenmuß, hat man an dieser Stelle zu suchen, vielleicht im Bau B.Der Aufstieg zur Oberbürg war (s. 1419) ein „Wyndelsteyn",wahrscheinlich dort, wo heute die Rampe a—a hinaufführtDenn die Wendeltreppe im Haus B diente nur diesem selbst, daes undeokbar erscheint, ein Hauptwohnhaus könne ein Durcbgangsbaugewesen sein. Wendelstein ist übrigens jede Treppe,welche Kehren hat. — Der als breiter Fahrweg angelegte Aufstiegzur Landskrou führt, bei Heimersheim beginnend, vonder Ostseite her in weiten Windungen hinan, knickt schließlichoberhalb der Kapelle scharf um, während er zugleichdas erste Tor durchläuft, und zieht sich nun unter der Ringmauerbis zur Oberburg und dem in ihrem Schutze angelegtenschönen romanischen Haupttor hin, indem er zwei ZwingerTind das Mitteltor passiert und den Ankommenden zwingt,auf eine Strecke von mehr als 150 m. Weges seine schildloseSeite den Geschossen der Burgleute preiszugeben. Die Anlegedes Burgweges ergibt sich mit Bestimmtheit aus derForm des Geländes, das hier im Osten sanfter, von der Ahr


389 V. Behr, Burgruine Ijandskron an der Abr, 390Abb. 5.Braun-gelb glasierto Fliesoaus rotem Ton (XV. Jahrb.)13,5 X 12,n cm groß.Abb. 6, Grrtuo unf:;lasiürtGToalliese (XIII. Jabr.)12x12 cm groß.(1i-^P^_^___\j'/>LcKt tmtsKaminsothtisiyin Raum BlAbb. 7. Doppelbapitell vouder Oberburg.zu befestigen, die, von ßelagerern besetzt, diesen nur hättezum Verderben werden müssen, da sie von oben her ausgezeichnetzu bestreichen war; in die Burgumwehning eitibcÄOgenaber die Verteidigung sehr erschwert hätte und kaumrecht nutzbar zu machen gewesen wäre, da auf der wirkliehciiNiederburg ja Raum genug vorhanden war. Als „Vorburg"sie zu verwerten war anderseits auch ausgeschlossen,denn man konnte unmöglich den Burgweg hier, an dersteilsten Seite des Berges, hindurch leiten; eher hätte sie,in Deckung durch die Hauptburg, den Namen „Hinterburg"verdient. Daß der im Volfcsmunde ihr anhaftende Name„ani roten Stein" (Rodenstein?) mit dem Roten Haus von1397 etwas zu schaffen hat, wie auch gemeint wird, istnicht denkbar, denn das rote Haus liegt auf der Oberburg,Die Urkunden weisen auch mit genügender Deutlichkeitdarauf hin, daß die Niederburg die große Abplattung deseigentlichen Berghauptes ist; 1212 nennt Otto IV. die Marienkapelledie „capella sub Castro nostro Landzcrone",1470 eine Kundgebung dos Heimersheimer Pfarrers „capollaraB. M. V. prope castrum Landzkron, vulgariter nun-Gupatam funff Junfern Capell". Mit der Kapelle aber liegtauch jene Bergplatte unter oder in der Nähe der Burg undgehört nicht als Teil ihr an. Und wenn 13C6 die Wohnungen,über welche der Burggraf zu verfügen hat, fast alleauf der Niedorburg liegen, man diese aber in der Ebene ander Kapelle zu sehen haben soll, wozu soll dann die großeBergplatte oben gedient haben? Und hätte es einen Sinn,wenn die wichtigsten Wohnhäuser in der engen und amleichtesten anzugreifenden „Hinterburg" lägen?Abb. 8. 1 bis 15; EinzelhcitOQ vom Südban.her jedoch recht steil ansteigt, und auch sie dürfte einschließlichder Zwinger und Tore der Gnindungszeit angehören,so wie dieses von der übrigen Anlage feststeht. Penndie besondere Form des Bergkegels ließ eigenthch nur dieeine Lösung der fqrtifiliatorisehen Aufgabe zu. Und nachdemdiese leicht gefunden und mit Geschick vollzogen war,blieb f(ir spätere Zeiten nichts mehr "wesentlich zu verbessernübrig. Zudem war die Lage der Burg für die Kriegszeitendes 17. und 18. Jahrhunderts doch zu ungünstig, als daß es sichverlohnt hätte, die nötigen Befestigungskünste des Kanonenaltersin ausgedehnterem Maße hier anzuwenden. So ließ man die Burg,die einst eine der festesten war, verkümmern. — Der Umfangder Burganlage wird verschiedentlich sehr übertrieben eingeschätzt,insofern als die kleine Abplattung, welche den Abfalldes Gymnich nach der Ahr zu unterbricht und auf der dieMarienkapelle liegt, als die „Niederburg" angesehen wird.Doch welchen Zweck hätte es haben sollen, diese Fläche mitprofilV.SüdbonWas die Einzelheiten der Anlage betrifft, sowerden die beiden wichtigsten Fragen wohl immer unbeantwortetbleiben müssen: die nach dem Königshaus und dienach dem Bergfrid, Beide Bauten haben wir auf der Oberburgzu suchen. — Zunächst der Bergfrid. 1366 wird„der große Turn" genannt. Bei diesem Ausdruck brauchtnun, wenn auch in der Eegel, so doch nicht immer an einenBergfrid im gewöhnlichen Sinne gedacht zu werden. Hierkann sehr wohl auch der starte Turm gemeint sein, denwir über den schweren, für einen Bergfrid jedoch nichtausreichenden Grundmauern A annehmen müssen. Damitwürde die Oberbnrg lediglich eine feste Wohnstatt gewesensein, und wir hätten den Vorteil, für das Königshaus anPlatz zu gewinnen. Landskron hätte dann eben keinen Bergfridgehabt. Einleuchtender aber erscheint es, daß jenerTurm A eins der aufgezählten Wighäuser oder Wohnbautenist und „der große Turn" als runder Bergfrid, wie um 1200üblich, auf der Oberburg stand, und zwar auf dem jetztaller Mauerreste entblößten Platz />, einer Stelle also, diefür ein letztes Refugium auf dem ganzen Burggelände diegeeignetste ist. Die in Abb. 3 wiedergegebene kleine Zeichnungaus einer Landkarte von etwa 1600, die sich im IjandskronschenArchiv findet und einen kampanileartig herausgestelltenBergfrid zeigt, unterstützt diese Annahme; doch wasfür Bundesgenossen derartige Abbildungen sind ist bekannt,und auch dieser soll nicht die Ehre eines besonderen Vei>trauens entgegengebracht werden. — Die Vorstellung vom Plander Burg Landskron als von einem gestreckt-ovalen Ring,in welchem, weit von einander gerückt, zwei Türme vonselbständiger Bedeutung stehen, wird beachtenswert durch die


391 V. Behr, Burgruine Landskron an der Ähr. 392Abb. 9. Nordwand des Raumes Bi im Südbau.Abb. 10. Konsolen im Kaum Bj des Südbaues.fe \/\ 'VAbb. 12.Tatsache, daß Burg Tlinrand an der Mosel, die eine in dieserBeziehung genau entsprechende Anlage darstellt, ebenfalls vonKönig Philipp, kurz Tor dem Bau der Landskrone, gegründetworden ist (s. Boehmer). Wenn bei Landtikron der eine derbeiden Türme ein Wohnturm war, worauf der westlicheMaueransatz hinzudeuten scheint, so liegt das in der obenbezeichneten Natur der Niederburg begründet.Für das Königshaus bleibt nach Annahme eines BergfridsB der Bau G oder B\ beide vielleicht ein einzigerrechtwinklig geknickter Bankörper, sofern C sieh westwärtsweiter als bisher zu erkennen erstreckt hat, in welchem dannauch die Wohnung des Burggrafen, die ohne Zweifel auf derOberburg sich befand, war. Pie besten Räume dürften dieoberen Geschosse des Hauses B enthalten haben, das am. gesichertstenlag und guten Ausblick auf den Hof und denZwinger vor dem Haupttor bot, worauf ein besonderer Wortgelegt wurde (vgl. Nibelungenlied, Wolframs Parzival usw.).Darauf deuten auch die Funde von sehr guten romanischenWerk.stüoken, Kapitellen und Löwen köpfen, (Abb. 8) hin, diesämtlich vor diesem Haus /:?, meist bei ^, gemacht wordensind, sowie die Ausstattung des über Bi gelegenen RaumesB//mit einem schönen Kamin, von dem ein Sockelstück {1 in Abb. 8)an seiner alten Stelle erhalten ist. Fundstücke, die ebenfallsdiesem Hause angehören, sind meist Fußbodenfliesen (Aljb. 5 u. G),unter ihnen besonders die in Abb. 6 wiedergegebene bemerkenswert:Die Art der schai-frandigen erhabenen Zeichnung dergrauen unglasierten Tonfliese verweist sie ins frohere Mittelalter,die langspit:ie Form des dargestellten Wappenschiides ins13. Jahrhundert, und wenn sie diesem einmal angehört, sobleibt keine andere Zeit für ihre Entstehung als die der Burgerbauung,um 1210. Um so beachtenswerter wird aberhierdurchihre Auffindung, denn Fliesen mit heraldischen Darstellungensind aus dieser Frühzeit höchst selten. Die Deutungder Zeichnung erscheint nicht ganz einfach, klar ist jedoch' /'• '


\'•V.393 V. Behr, Burgruine Landskron an der Ahr. 394Abb. 13. Obertor von aiißoD.von der aus der obero Ravim zur Bedienung des Fallgatters,mit Suliießschlitzen und Peebnase, zugänglich war.Die Häuser der Niederburg sind größtenteils Fachwerkbautengewesen, wie das im Mittelalter für Wohnhäuserdie Hegel war. Stellenweise, namentlich im Westen desPlanes, haben sich fast meterhohe Lagen von Äsche undverkolillen Balken gefunden, wohl vom Brande des Jahres1C77. Doch weisen die großen Mauerstärken der Bauton Aund JK^ die mit der Ringmauer von 120G in Verband stehenund bereits als wahrscheinlich ebenfalls dieser Zeit angehörenderwähnt wurden, auf durchaus massive Bauart bin. Eeleuchtet auch wohl ein, daß gerade die zuerst angelegtenund zunächst noch einsam im Burgring liegenden Gebäudeeinerseits zu ihrer eigenen Sicherheit, anderseits zum Schutzdes gesamten Burgteils, dem sie angehören, aus Stein errichtetwurden. — Den Plan der Niederburg, wie er inseinen Grundmauern überliefert ist, mit den urkundlichenNachrichten über die einzelnen Baulichkeiten soweit in Beziehungzu setzen, daß die Bestimmung der Bauteile durchwegklar wird, ist leider nicht möglich. So werden unsauf der Niederburg nur zwei Häuser in ihrer Bedeutungbekannt. Das eine ist das Backhaus, in dem wir wohlnoch das 1366 genannte vor ;ms sehn; der Ofen ist sehrschön erhalten, und auf der innem Brüstung des kleinen,mit Tuff flachbogig gedeckten Fensters zum Hof hin lag nocheine halbe Tonfliese, deren Zeichnung dem 14. Jahrhundertangehört. Das andere ist der langgestreckte Bau F, der siehdurch die geringere Sorgsamkeit, mit der die wagerechteSchichtung des Mauerwerks ausgeführt ist, als ein späteresWerk erweist. Es ist wohl der „Newo Baw", der 1526genannt ist, worauf folgender, auch an sich sehr bemerkenswerteFund mit Bestimmtheit hinzuweisen scheint. In derNähe des Hofeinganges im Gemach e sind unter andern Eisenteilenverschiedene GeschützstÜckegefunden worden, von denen einjetzt im Kgl. Zeughaus in Berlin aufbewahrtesin Abb. 14 wiedergegebenist (eine andere Abbildungin Gohlke, Gesch. der gesamtenFeuerwatfen, Göschen 1911) unddie früheste Form, für diese aberwiederum wohl das einzig erhalteneBeispiel, der Feuergeschütze^über- Steinbombarde (XIV. Jahrhundert?).Abb. 14.haupt vorstellt: eine 63,5 cm lange gußeiserne Steinbüchseaus einem Stück, von 21,1 cm Kaliber. Es wird noch der Mittedes 14. Jahrhunderts angehören, wofür das Vorkommen einesdei-artigen „Plumphartes" in einer Münchenor Bilderhandschriftvon etAva 1B45—1350 spricht; die dort enthalteneDarstellung ist nach dem Anzeiger f. Geschichte d. DeutschenVorzeit 1800, S. 405 „Zur Gesch. d. Feuerw." v. R. v. Rettenberg,in Abb. 15 wiedergegeben. Gohlke setzt das Stückallerdings erst in den Anfang des 15. Jahrhunderts. Außerdemfanden eich noch einige Flugstücke mittlerer Bombardenvor, die nicht sehr viel jünger sind. Es dürfte kaum einZweifel sein, daß diese letzteren unter die 1<strong>520</strong> genannten„eisene Stückeltgen'* gehören, die alte Steinbombarde aberdas „heidnische stoinene Stück" ist. Wir haben damit imBau F den „Ncwen Bau weilandt Damiani Qiiadt" vor uns,wohl denselben, der 1419 als „das groÜe nuwe Hus cnbynnendem oversten vurburge beneven der Fortzen gelegen" bezeichnetist, zumal auf dieses allein die Wendung „dielengende durch dat Huss" passen will. Und man istjedenfalls berechtigt, in ihm einen Neubau zu selm,welcher entstanden ist, als um 13CG Aussicht auf großenZuwachs der Burgniannenschaft war; es dürfte das 1397den Eynenbergs zur Hälfte überwiesene Haus bei dem Mühlenhaussein. Also damals bereits eine Teilung dieses Hausesnach Stockwerken. Daß das Mühlenhaus tatsächlich in dieserGegend gelegen iiat, darauf weisen die Funde der Mühlsteinebei h vor der hohen Strebemauer hin. — Über dieI^age anderer Baulichkeiten, die dem Namen nach überliefertsind, sollen hier keine "Vermutungen ausgesprochen werden;die Ausgrabungen sind noch zu unvollständig, als daß dasauch nur mit der geringsten Sicherheit geschehen könnte.Es sei nur bemerkt, daß am Westlauf der Ringmauer nochetwa sieben Zungenmauern im Boden des Burgplanes liegen,die vor Jahren einmal aufgedeckt waren.Die Anlage der Zwinger, 1366 Grindel genannt, istje weiter vom Obertor entfernt umso mangelhafter erhalten,hauptsächlich weil diese Teile des späteren — SteinbruchesLandskron den nutznießenden Dörfern am nächsten und bequemstenlagen. Am besten erhalten ist das mittlere Tor.Auch dieses hat man sich entschieden als ein vollständigesPfortenliaus vorzustellen, das die Tiefe der Durchfahrt Lhatte, den Eaum M mit überdeckte und eine Eckvei-stärkungin Form eines Türmchons N aufwies; das Obergeschoß desTorbaues aber haben wir iins etwa von einem ebenen Platzaus unmittelbar zugänglich zu denken, welcher an der Außeapfortoder Geschützhalle c im Neuen Bau begann. DenVerschluß bildete ein nach innen schlagendes doppelflügeiigesTor in der Vorderwand, dessen eiserne Drehpfannen im Steineingelassen noch vorhanden sind, und in 4 m EntfernungÄbb. 15.vor diesem ein gleichartiges, welchesmit ihm zusammen eine Art Barbakaneergab, die wohl als spätereVerstärkung gelten darf. Das Torselber ist jedoch offenbar ein ältesterBestandteil der Feste, denn dieAußenmauer des letzten Zwingersist von vornherein so angelegt, daßsie glatt in die Ostwand des Tor-hauses einläuft, und auch sonst


395 y. Behr, Burgruine Landskron au der Ahr. 398fügt sich der Bau in die Anlage des Zwingers, die im ganzenund in allen ihren sonst bisher aufgefundenen Teilen ins13. Jahrhundert gesetzt werden muß, ausgezeichnet ein. DieStärke der äußeren Zwingemiauer sowohl wie die des Blockes Pbeträgt durchweg 1,10 m, d.i. das Maß der Westwand desHauses ./- — Das untere Tor wird bei eben diesem hohenMauerblock P zu suchen sein, der, in der vorzüglichen Arbeit derersten Bauten aufgeführt, einem Hauptbefestigungsteil angehörenmuß, zufolge seiner verhältnismäßig geringen Stärke aber alsBest der Kückmauer des Torbaues zu betrachten ist. Tondem 1366 erwähnten kleinen Turm an der niedersten Pforteist nichts mehr zu entdecken, wenn ihn nicht die Gmnd*mauern Q getragen haben. — Die nordöstliche Zwingermauerlief von dem untern Tor aus aufwärts wahrscheinlich in leichterKrümmung glatt in die vor dem Mitteltor gelegene genau kreisbogenförmigeMauer ein; die heutige Führung des Weges istnicht mehr ganz die ehemalige. Doch da, wo heute diek reisbogen form ige Mauer beginnt, fällt ein starker Block Sauf, der ihren Zug unterbricht. Ein Tor ist hier nicht gewesen,es fehlt der Anschlag; sondern wir haben es offenbarmit einem Wighaus, das der ältesten Anlage angehört, zutun; die Mauerstärke ist 1,60 m, gleich der des Baues .


• 0 •• .'•7•',';„• ,, 1 >i397 V. Behr, Burgruine Landskron an der Ahr. 398Abb. 16. Oberburg von "Westoa.Errichtunj^ des Nouen Baues [F) kommt eine dritte hinzu.Vielleicht hatte die Oberburg — etwa in Form einer Altarnischeinnerhalb eines "Wohnraumes •— noch, eine vierteaufzuweisen.Für sich besteht die Marienkapelle unter der Burg(Sehern, Eiflia sacra I und IL — Gesch. Atl. d. Rhprov.,Erläut. V. -— de Lorenzi, Gesch. d. Tiieror Pfarreien). DerKultort ist wahrscheinlich alt, vporauf der Name „Jungfernkapclle"oder „Fünfjungfcrnkapelle" in Verbindung mit demBestehen einer aus Basaltsäulen gebildeten natürlichenGrotte, die heute gleichsam das Sanctuarium. der Kapollebildet, und nach welcher diese selbst „Cluse" genanntwurde, hindeutet. Es handelt sich offenbar um ehemaligenMatronenkult auf dem Gymnich (vgl. Bonner Jahrbücher1848, S. 44 und 115; 1868, S. 78), der abgesehen vonseiner auffallend regelmäßigen Gestalt noch die besondereund seiner Erwählung zur Geisterwohnung sehr zu stattenkommende Eigenschaft besitzt, in starkem Maße magnetischzu sein. Es wird wie häufig so auch hier eine Ersetzungdes heidnischen durch den christlichen Kult stattgefundenhaben; doch hören wir von dem Dasein einerKapelle erst 1212, und zwar in einer Form, die auf eineeigentliche Neugründung dos Heiligtums bei Gelegenheit derErbauung von Landskron durch Philipp hinzuweisen scheint;Otto IV. sichert in diesem Jahr während seines Aufenthaltsauf der Feste Landskron der Kapelle seinen kaisorliclienSchutz und Freiheit von Abgaben und von Vogtei zu, undnennt eio „capellam sub Castro nostro de Landscronenfundatam". — „Die gegründete", doch nicht: „von uns"! Somag sie eine Schöpfung oder vielmehr WiederherstellungPhilipps sein — oder seiner Gemahlin. Sollte ihr Name„Marienkapelle" auf die Kaiserin Irene, die als ihren deutschenNamfMi den der Maria gewählt hatte, hinw^eisen? —• <strong>Sp</strong>äterwird die Kapelle kaum je erwähnt. Doch erfahren wir, daß1470 die Herren von Landskron das Präsentationsrecht fürsie haben, das ihnen -wohl schon früh zugestanden hat. Injenem Jahr zeigt der Heimersheimer Pfarrer Gerhardus de Gochan, daß er den Kleriker Laurentius Duyingin an der Kapelleinvestiert habe, den ihm die Bitter und Herren von LandskronLutter Quad und Johann von Einenberg präsentiert haben. —Der Bau selbst ist schmucklos und ganz unbedeutend. NachLehfeldt ist er 1794 entstanden, doch soviel zu erkennenist dies nur das Herateilungsjahr des ebenfalls nicht weiterbeachtenswerten Altarbildes, auf diesem ist es verzeichnet.<strong>Zeitschrift</strong> f. <strong>Bauwesen</strong>. Jahrg. LXU.Abb. 17. Oberburg von Süden.Die Mauern mögen wohl älter, noch gotisch, sein; doch istim 17. und 18. Jahrhundert an Kleinigkeiten mancherleierneuert worden, denn die Kapelle blieb immer in Gebrauchund ist noch heute eine Wallfahrtsstätte für Kinderkrankheiten.Es mag vielleicht verfrüht erscheinen, ein Bauwerk zuveröffentlichen, noch ehe die im Gange befindliche Ausgrabungalle Bauteile, die unter Schutthaufen verborgen liegen, wiederans Licht gebracht hat. Doch das Wesentliche und Wertvolleist schließlich das, was wir heute schon sehen, und ob dasEinzelne der Anlage durch Zutagetreten weiterer Reste vielklarer werden wird, ist die Frage. Was verschlägt es auchim Grunde, ob wir wissen, wo die zwei Kapellen oder desHerrn Haust von Ulmen Haus gelegen hat? Immerliin —zu wünschen wäre es wohl, die ganze Anlage in ihrenGrundmauern einmal Überblicken zu können. Und nach denEinzelfunden, die gemacht worden sind, ist zu erwarten,daß noch manches an wertvollem Wirtsohafts- und Kriegsgerätans Licht kommen würde. Zu wünschen aber wäreganz besonders, daß das, was aufgedeckt worden ist undnoch aufgedeckt werden wird, auch erhalten bleibe. Wiesehr die von Ihrer schützenden Erdhülle entblößten ßestenamentlich unter dem Wissensdurst der Ausflüglerscharenleiden und viele für die Beurteilung der Burganlage wertvolleEinzelheiten, eine an ihrem alten Ort erhaltene Fliese, einFensterbogen, Gewölbeanfänger, verloren oder unkenntlichwerden, ist schon im Laufe eines Sommers bemerkbar. Undeben in der Hoffnung ist auch die Veröffentlichung jetztbereits erfolgt, daß ein etwa ausgesprochener Wunsch nachMitteln zur Erhaltung der Ruine offenere Ohren finde alsbisher, wo man mit Lehfeldt in Landskron nur „eine Mauerund formlose Trümmer" sah. Nur wolle der Himmel dieseund möglichst viele andere Burgen davor bewahren, daßan Stelle der Erhaltung eine Restaurierung, ein Wiederaufbau,in Szene gesetzt wird! Denn selbst aus den „formlosenTrümmern" der Landskrone hat dieses Gespenst schon seinHaupt erhoben. Eine Burg von einem Erhaltungszustand,wie sie ihn hat, ist dafür doch die allerungecignetste. Mansoll sich hier gestrost mit der schönen Aussicht begnügen;sie ist es wert. — Zum Schluß ist es wohl am Platze, mitgroßer Anerkennung des Pächters der Ruine Joseph Möhrenzu gedenken, der seit 1906 aus eigenen Mitteln und mitvieler Yorsicht an der Freilegung der Ruine arbeitet undbei der Aufnahme ihres Grundrisses die schätzenswertesteHilfe geleistet hat.Heinrich v. Behr.26


399 Mahlke, Chinesische Dachformen. 400Chinesische Dachformen.Neuer Versuch zur Widerlegung der „Zelttheorie".*)Yom Regierungsbaumeister Mahlie in Altona.(Mit Abbiltiimgen aufEs ist wohl nicht weiter verwunderlich, daß die GestaltuBgdes Daches, eines in China jahrtausendelang stärkerals in Europa bevorzugten wesentlichen Gebäudeteiles, ineinem so entlegenen Lande wie China, dessen Tolk ebensoIqüge eich künstlich abschloß gegen die übrige Welt, zuFormen geführt hat, die uns neu und ungewohnt sind und,weil wir ähnliches nirgends finden, kennzeichnend erscheinenfür China und einen Teil der benachbarten Staatengebilde,die im Laufe der Zeit in irgend einem besonderen Yerhältniszum Beiche der Mitte gestanden haben. Zu diesen Eigentümlichteitengehört in erster Linie die Schweifung des Dachesund die Aufkrempung der Traufecken (vgl. Abb. 1 Bl. 4G).Das sind so merkwürdige Erscheinungen, daß sie selbstLaien in die Augen springen und daß ihrer in jeder Eeisebeschreibungüber China Erwähnung getan wird. Selbstverständlichhat sich die gelehrte Fachwelt Europas für dieseEigentümlichkeit besonders interessiert, zunächst in Englandund Frankreich; in deutschen Fachkreisen hat man erst vielspäter der Baukunst so weit entfernter Völker Beachtunggeschenkt. Heinrich Hildebrand, ein deutscher Ingenieur,der Erbauer der Schantung-Eisenbahn, fand für sein Werküber den Tempel Ta-chüeh-sy bei Peking noch im Jahre1897 nur so geringes Iivteiesse, daß seine umfassende undlehrreiche Ausarbeitung der Vergessenheit anheimgefallenwäre, wenn nicht die Vereinigung Berliner Architekten dieVeröffentlichung in einer allerdings nur geringen Anzahl vonAbdrucken in die Hand genommen hätte. Erat später begannin Deutschland eine allgemeine Teilnahme für die Vorgängein Ostasien. Da ließ Baltzer, ebenfalls Ingenieur,seine umfang - und inhaltreiohen, ungemein gründlichenArbeiten über japanische Architektur drucken, die auchweiteren Fachkreisen einen Einblick ermöglichte in ein bisherso wenig erforschtes Gebiet. Er bespricht zunächst 1902im Zentralblatt der Bauverwaltung S. 507 die Abhandlungeines Japanera Dr. J. Ito über „Die Tempelanlage vonHoriuji bei Nara in Japan". In der <strong>Zeitschrift</strong> für <strong>Bauwesen</strong>veröffentlicht er 1903 „Das japanische Haus, eine bautechnischeStudie". <strong>Sp</strong>äter erschien zunächst in derselben <strong>Zeitschrift</strong>1905 und 1906, dann aber als erweiterter Sonderabdruckaul dieser <strong>Zeitschrift</strong> im Jahre 1907 Baltzers „Architekturder Kultbauten Japans".Deutsche Architekten fingen an, sich in die ^Arbeitendieses für den japanischen Hochbau so begeisterten Ingenieurszu vertiefen; eine sehr ülDerraschende Frucht dieser Beschäftigungwar dann die Veröffentlichung von F. Laske „Derostasiatischo Einfluß auf die Baukunst des Abendlandes, vornehmlichDeutschlands, im 18. Jahrhundert*^. Diese Veröffentlichungerschien zunächst im Jahrgang 1908 der <strong>Zeitschrift</strong>für <strong>Bauwesen</strong>, dann aber bedeutend erweitert 1909JQ Berlin, im Verlage von Wilhelm Ernst u. Sohn. An*) Nach einem vom Verfasser am 11. Januar 1909 im BerliüerArchitekten-Vereiu gehaltenen Vortrage.Blatt 46 bis 48 im Ätias.)(Alle BMhte Torb«luüten.}anderer Stelle im Zentralblatt der Bauverwaltung vom 25. März1908 bespricht Laske das Baltzerscbe Werk über „Die Architekturder Kultbauten Japans". Er sagt dort u.a.: „Gernhätte der Architekt ja Baltz;ers Ansicht über die Entstehunggewisser stark in die Augen fallender und von der Baukunstdes Abendlandes abweichender Formen, wie vor allen Dingenüberdie Entstehung der Form des hohlgeschwungenenDaches der buddhistischen Tempel vernommen.*'Er führt Lafcadio Hearn und Victor Champierfür die Zelttheorie ins Feld und scheint selbst dafür eintretenzu wollen. Das ermutigte mich, zur Lösung dieser Fragebeitragen zu helfen.Die Beobachtung, daß ein gewisser Stillstand in allenDingen in China durch Jahrhunderte unverkennbar ist undein zähes Festhalten an Althergebrachtem auf Schritt undTritt in die Augen fällt, mag wohl zu der Annahme geführthaben, die geschweiften Dachformen seien eine Erinnerung andie Linien des alten Nomadeuzeltes (Zelttheorie).Pai^ologue schreibt hierüber: „Die allgemein üblicheBauforra, ting genannt, ist das wohlbekannte, zurückgebogene,überhängende, von kurzen SÄulen getragene Dach, dessenUrsprung unsicher ist. Vermutlich war das Zelt der einstigenasiatischen Horden das Vorbild. Jedenfalls erinnertdie Krümmung des Daches an die Höhlung der an Pflöckenbefestigten Zeltleinwand, und die Niedrigkeit der meistenHäuser, sowie der Mangel an einer Decke und an Seitenfenstemvervollständigt die Ähnlichkeit. Das Festhalten derChinesen an der Tradition bekräftigt vollends die Annahme,daß die auf uralten Vorschriften beruhende Bauart „ting"dem Zelt der Nomaden nachgebildet ist."Wer diese Erklärung zuerst gegeben hat, läßt sich nichtgenau feststellen. Jedenfalls wird sie schon in der Abhandlungvon J. M. CaUery „De l'architecture Ohinoise" in derRevue de Tarchitecture et des travaui publica" im Jahre1857 erwähnt. Nach einer Äußerung von Cösar Daly, welchesich auf S. 348/349 derselben Eevue 1857 findet, hat dieserCaliery längere Zeit in China gelebt j er hat sogar die Würdeeines Mandaiins ehrenhalber erworben. Daly macht auf dieAusarbeitung von Callery besonders aufmerksam; er sagt:„Wir legen der Abhandlung von M. Callery um so größereBedeutung bei, als es in der einschlägigen,Literatur überdiesen Oegenetand kein ernst zu nehmendes Buch gibt. Dieenglische Abhandlung von Chambers ist durchaus ein Werkder Fbantasie, und dennoch kennen unsere europäischen Fachgenossendie chinesische Architektur höchstens durch diesesBuch und durch die Malereien auf Por^ellanvasen, Lackarbeitenund Teebüchsen." Die Werke von Chambers sindgenau 100 Jahre früher, also 1757, veröffentlicht worden.Sie sind wirklich ein kühnes Phantasiegebilde und wahrscheinlichSchuld an all dem Unfug, der in jener Zeit alschinesische oder japanische Architektur an europäischenFürstenhSfen in die Welt gezaubert worden ist. Eine ander©


U:r%401 Mahlko, Ohinesieche Dachtbrmen. 402Bedeutung haben sie nicht. Auf große Genauigkeit machtChambers selbst gar keinen Anspruch.Callery verwirft die Zeltthcorie; er versucht eine andereErklärung zu geben, die aber in weitem Bogen um den Kernder Frage herumgeht, oline ihm irgendwie näher zu kommen.Auf diese Ausführungen brauche ich deshalb nicht nähereinzugehen.Nach der Schrift von Callery ist man in maßgebendenKreisen erst der Frage nach der Erklärung der Dacheigentümlichkeitenwieder nähergetreten Ende der achtziger Jahredes vorigen Jahrhunderts. Im Journal of the China branchof tho Royal Äsiatic Society, 1889/90 Vol. XXIV S. 253bis 288 liefert J. Edkina einen Aufsatz über ,ChineseArchitecture", aus dem für die vorliegende Abhandlung folgendeAusführun- , , • •gen bemerkenswertsind: „Die chinesischeArchitekturhat nichts zu tunmit der Nachahmungvon Zeltformen..... DieArchitektur derChinesen in frühesterZeit war ebengeometrisch undpraktisch brauchbar.PhantastischeKurven am unterenTeil der Dächerkamen erst spätermit Vorliebe inAufnahme; ihr Ursprungmuß imBuddhismus gesuchtwerden."An anderer Stellesagt derselbe Verfasser;„Die gebogenen Traufen chinesischer Bauten sindwahrscheinlich eine Nachahmung einiger früherer Pagoden,die zahlreich errichtet wurden seit dem sechsten Jahrhundert;da China keine Erkläning für die gebogenen Traufenzu bieten vermag, scheint es nötig, sie auf eine fremdeQuelle zurückzuführen."Diese Veröffentlichung von J. Edkins hat s. Zt. die Mitgliederder Royal Asiatic Society lebhaft bewegt, und zwarbesonders seine Ausführungen über die Chinesen-Dächer undüber die Zeltfrage. Man vrav nicht zufrieden mit seinen Ausführungenund hätte eine gründlichere Behandlung besondersder eigentümlichen Dachformen gewünscht. Dies geht hervoraus dem in derselben <strong>Zeitschrift</strong> 1889/90 vcrofFentlichtenAufsatz über „The Tent theory of Chinese Architecture"von S. Elfter v. Fries. Dieser Gelehrte ist der erste, deres versucht hat, mit verständigen Gründen an die Lösungder beregten Dachfrage heranzutreten. Er selbst ist keinArchitekt, kein Bausachverständiger. Er gibt für die weitereBehandlung der Dächerfrage Richtlinien an, u. a. führt erauch einen etymologischen Beweis, Aus seinem Aufsatz verdientfolgendes Beachtung: „Wenn wir annehmen, die Chi-nesen waren mit der Zeltform so vertraut, daß sie ebendieselbesogar beim Bau ihrer Häuser dauernd beibehielten,müssen wir in erster Linie in der Lage sein, nachzuweisen,daß die Eingeborenen jemals in Zelten gewohnt habenSoweit ich habe in Erfahrung bringen können, betrachtensich weder die Chinesen selbst als Nomaden, noch werdensie von fremden (westlichen) Qeschichtschreibern als solchegeschildert. Wir haben allen Grund zu glauben, daß sieschon in allerfrühester Zeit ein seßhaftes Volk waren, undzwar hauptsächlich Bauern (vgl. Shennung, der göttliche Landwirt),ein Beruf, der schon ganz von selbst das Umherziehenverbietet. Angesichts dieser Tatsachen sollten wir sehr kräftigeGrundlagen fordern für die Annahme, daß die Chinesenstatt Höhlen- und Hüttenbewohner irgendwann einmal Zeltbewohnergewesensind. Daß Zeltevon ihnen benutztworden sind aufihren zahlreichenKriegszügen, selbstim grauen Altertum,will ich gernzugeben, zumal sieihren Gebrauch insolchen Fällen vonihren nördlichennomadischen Nachbarnhaben lernenkönnen. Meinnächster Beweisgrundist etymologisch.Hat irgendeinerder Charaktere(Wortzeichen)oder ein Teil derselben,welcher denAbb. 1, Hof des Klosters Tai't'singltung bei Taingtau.Begriff „Haus,Wohnung, Heimusw." bezeichnet, auch nur die geringste Beziehimg zueinem zeltähnlichen Gebilde? Weisen nicht die Wurzeln(liadicals) *^^ mien und ^ hu unverkennbar beide hinauf eine Höhle und eine Wohnung mit Türen, wodurch sieganz deutlich anzeigen, daß ein Zelt nicht gemeint sein kann?Schließlich ist der Ausdruck ehang-fang für „Zelt" ein Kompositumund deshalb natürlich auch eine Erfindung neuererZeit Wenn es gar nicht möglich ist, Beweisgründe anzuführen,weder aus der Geschichte noch ans der <strong>Sp</strong>rachforschungzur Verteidigung der Zelttheorie, so möchte ich mirdie Frage erlauben, durch welche Um.?täude werden wir dannnoch gezwungen, anzunehmen, trotz dieses bezeichnendenSchweigens, daß die Zeltform der Grund der charakteristischenForm und Anordnung chinesischer Gebäude ist? Die sonderbareSchweifung des Daches ist, wie ich berichtet, so einBeweis nach dem ersten Eindruck. Ich wage nicht nur anzuzweifeln,daß das übliche Chinesendach seine Form vomZelt hergeleitet hat; ich gehe sogar weiter, ich behaupte,daß eine solche Schweifung schwerlich irgend einen Vergleichrait einem Zelte verträgt. Die Außenlinien des letzteren sindnotwendigerweise gerade, und nur der Eaum zwischen dem26*


403 Mahlke, Chinesische Dachformen. 404Eahmenwerk, bedeckt mit Lappen, Fellen und ähnlichenStoffen, ist gebogen und zeigt eine Kurve, und dies wiederhauptsächlich an Zelten mit einem Dreieckaprofii, welche diewenigst wahrscheinliche Artsind, der man sich bedient hat.Das „yurt", welches die Tartaren,Kirgisen und Kalmückenbauen, ist rund und häufig halbkreisförmigund hat nicht diegeringste Ähnlichkeit mit einemChinesenhause, Die Dachflächeder Häuser der EingeborenenAbb. 2.ist nicht gebogen, die Ziegelteileaber oder die Balken an ihren beiden Enden, manchmalaüch der Dachfirst, lassen die eigentümliche Krümmungerkennen. Die Dachfläche dagegen ist vollkommen ebenund trägt, besonders im Süden, deutliehe <strong>Sp</strong>uren von gespaltenemBambus, welcher für die Eindeckung abwechselnddie hohle und die erhabene Seite zeigt; die erhabenea Teileliegen oben wie Rippen, und diese Form hat sich so bewährt,daß man ihr selbst an Ziegeldächern folgt. Es leuchtetmir also ein, daß der Ursprung des Chinesenhauses derGegenwart von Höhlen und Hütten herzuleiten ist, und dasoffenbar verwirrende Schnörkelwerk der Dachecken und desDachfirstes kann, wenn es hergeleitet werden-muß, geradeso gut seine Ursache haben in den unebenen Formen desgroben Materials, das für den Bau der urzeitlichen HütteVerwendung fand. Wie dem auch sei, so bin ich doch mehrder Meinung, daß diese eigentümlich geformte Linie keinErbteil früherer Zeiten, sondern eine künstlerische Verschönerungist an den mehr und mehr vervollkommneten Häusernund Tempeln."Einen neuen Beitrag über Ohinesendächer finden wirin dem etwas später, 1891, erschienen Werke „History ofIndian and eastern architecture'* von James Fergusson, SeineAbhandlung beginnt Fergusson mit der Verabschiedung derZelttheorie und bringt dann einige neue Gedanken. Eräußert sieh folgendermaßen: „Die fragliche Dachform entsprangeiner konstruktiven Forderung, welche andere guttunwürden nachzuahmen. In einem Lande wie China, wo in bestimmterJahreszeit sehr schwere Regenmassen niedergehen,erfordern Ziegeldächer der üblichen Form einen hohen First,um das Wasser abzuleiten (carry off); der gleißende Sonnenscheineiner anderen Jahreszeit dagegen bringt Mauern undFenstern den so durchaus nötigen Schatten. Wenn (wie linksin Text-Abb. 2) die Dachschräge so weit wie nötig hinausgeführtist, um dem letzten Zwecke zu entsprechen, sind die oberenFenster zu sehr verdunkelt, und es ist unmöglich, aus ihnenherauszusehen. Um diesem Übelstande abzuhelfen, ziehendie Chinesen ihre Traufen fast wagerecht aus der Wandflächeheraus, wo ein Leck nur geringe Bedeutung hat; dann abersuchen sie den durch das Zusammentreffen dieser beidenSchrägen entstehenden hauchen Winkel auszugleichen durchEinlegen einer hohlen Kurve, welche nicht aliein dem doppeltenZweck des Daches wirkungsvoller entspricht, sondern — wiedie Chinesen denken und vielleicht mit Recht — die gefälligsteDaohform hervorruft."Ganz ähnliche Gedanken äußert H. Hildebrand inseinem ungefähr gleichzeitig 1897 erschienenen Werk über denTempel Ta-chüeh-sy. Er sagt darüber folgendes: „Woher diegeschweifte Form der Dächer ihren Ursprung genommen hat,ist vielfach Gegenstand der Erörterung gewesen, und manAbi). 3.Abb. 5Abb. 4.Abb. 6. Abb. 7. Abb. 8.hat jene Frage damit abzutun versucht, daß man als Vorbildder chinesischen Dächer ein Zelt mit geschweiften Leinewandfiächenannahm. Ob es der Form di^er Dächer (Text-Abb. 3)entsprechende Zelte jemals in China gegeben hat, mag hierdahingestellt sein. In der Technik begreift man bekapotlichunter dem Namen Zeltdach ein Dach, das von allen Seitennach einer gemeinschaftlichen <strong>Sp</strong>itze ansteigt (Text-Abb. 4),und wechselt die Bezeichnung, sobald z. B. die Dachlinien nichtnach einer <strong>Sp</strong>itze, sondern nach einer Firstlinie ansteigen, indemman ein solches Dach ein Walmdach nennt (Text-Abb. 5).Es liegt daher kein Grund vor, das chinesische Dach, dasbei Tempeln und Wohnhäusern fast ausschließlich die inText-Abb. 6 und 7 dargestellte Form hat, mit dem Namen„Zeltdach" zu belegen oder ihm als "Vorfahr ein Nomadenzeltzuzumuten und anzunehmen, daß aus solchem luftigen Gebildemit der Zeit das von allen Dächern der Welt schwerste undmassigste entstanden sei. Die- Form dieser Dftcher scheintvielmehr lediglich aus dem Bedürfnis hervorgegangen zu sein.Das zur Verfügung stehende Abdeckungsmaterial der Dächerbedingte eine steile Anlage derselben. Hätte man nun denzum Schutz des Holzgebäudes erforderlichen notwendigerweise-weit überstehenden Daohteil in derselben Steigung wie denübrigen Teil des Daches, etwa unter 45** weiter laufen lassen,so worden (Text-Abb. 8) selbst bei einer tiefen Stellung derSonne, unter45** gegen den Horizont^ von der oberen Mauer-Üäche der Tempel schon 3 m, also die sämtlichen Fenstervollständig in Schatten gehalten worden sein, und die ohnehinschon jetzt sehr dunklen Tempelräume noch weniger Lichterhaltien haben."Die Übereinstimmung der ungeßLhr gleichzeitig geäußertenAnsichten von James Fergusson und Heinrich Hildebrandüber die Eigentümlichkeiten der Ohinesendächer sollteerwarten lassen^ daß nun das große Bätsei gelOst ist undendlich Klarheit herrscht Über die Gründe, durch welche^


405 Mahlke, Chinesische Dachformen, 406Abb. 9. Dach der Cb'iön-oh'ing-Halle in Peking(Verbotene Stadt).Abb. 10. Dach der T'ai-He-HaUe in_Pebiag(Verbotene Stadt).llHBBaa'JIIIIIHiPWllhHlitiW MAbb. 11. Dach des T'ien-an-TorM ia Peiing(Vei-botone Stadt).man sich in China zu den soviel bestaunten Dachformen hatbewegen lassen. Prüft man aber die (gründe, welche JamesFerguBson und Heinrich Hildebrand anführen, an den hier beigefügtenAbbildungen oder an Lichtbildern oder Veröffentlichungenanderer chinesischer Bauten, so stößt man sehr baldauf Unklarheiten und Widersprüche, und man überzeugt sichdavon, daß des Eätsels Lösung noch immer auf sich warten läßt-F. Baltzer, der Verfasser der wertvollen Abhandlungenüber japanische Architektur, verbreitet sich eingehend Überdie Konstruktion der Dächer und ihre Einzelheiten, erwähntaber nur beiläufig das „hochragende mutige Satteldach mitetwas hohl gekrümmten Dachflächen." Er spricht diesenach innen gerichteten Krümmungen in den Dachflächen, amGiebel, in der Firstlinie und die nach oben gerichteteSchweifung der Traufkanten an den Ecken an als Merkmalbuddhistischer Baukunst und begnügt sich mit dieser Erklärung,die für diese Formen in Japan ebenso richtig wieftir China falsch ist: es sind in China erfundene Ärchitekturformen,die den Japanern durch buddhistische Mönche ausChina bekannt geworden sind. Vielleicht führt die eingehendereBeschäftigung mit den chinesischen Dachformenzu besserem Verständnis ihrer Eigenart.Bas Dach hat in China eine ganz andere Bedeutungals bei uns. Es muß dort schützen gegen die sengendeGlut und die blendende Helligkeit der Sonne, gegen dieheroiederprasselnden Tropenregen, gegen die Gewalt derStürme. Man kann sich in unseren Breiten keinen Begriffvon der Helligkeit machen, die dort am größten ist, wo dieSonne im Zenit steht. Die Sonnenstrahlen treffen da senkrechtauf, und eiS ist Idar, daß dort die grÖBeate Helligkeitsein muß, eine viel größere als an allen anderen Stellen derErde nach den Polen zu; denn jeder kleinste Meridianteilist mehr oder weniger geneigt gegen die Richtung, derSonnenstrahlen. So erhalten beispielsweise die Breiten, die^um 60" gegen die Zenitstellung der Sonne geneigt sind,nur die Hälfte der Strahlen, die auf eine gleichgroße Flächesenkrecht zur Strahlenrichtung, also im Zenit, auftreffen.Diese große Helligkeit wirkt schmerzend auf die Augen,selbst wenn man sich durch schwarze Briiien und schwaraeSchirme schützt, weil auch die ßeflexatrahlen, die vomhellsandigen Straßenboden in die Augen dringen, durchübergroße Helligkeit lästig werden. Das fällt ja allgemein inden Breiten nahe dem Äquator auf. Aber auch in nördlicherenGegenden, z. B, in unserm Tsingtau (Kiautschou),das auf etwa 36" nördlicher Breite annähernd gleich mit densüdlichen Azoren, Gibraltar und Malta, liegt, laeeen sich Erscheinungenfeststellen, die lediglich auf die Beleuchtungzurückzuführen sind, die hier erheblich heller ist als inder Heimat Die Höhenzüge des sehr hügeligen Geländesin und um Tsingtau scheinen kuliaaenattig aneinander gerückt;man täuscht sich in den Entfernungen uud hält zunächstalles für viel näher, als es in der Tat ist. Auch beimPhotographieren muß man auf die größere StrahlendichtigkeitRücksicht nehmen; man sieht sich genötigt, mit erbeblichkleineren Blenden zu arbeiten, um die Lichtfülle auf^das richtige Maß zu beschränken.Die Hitze in tropischen und subtropischen Breiten istja allgemein bekannt. Man schützt sich gegen sie durchDächer von ausreichender Dicke, die aber in dieser Stärkeauch nQtig sind für die in der Regenzeit oft mit großerHeftigkeit niedergehenden unglaublichen Wassermengen. Auchhiervon macht man sich vielfach in der Heimat ein ganzfalsches Bild. Die Eegenzeit fällt für Tsingtau ungefähr indie Monate Juli, August und September. Während derübrigen Monate ist fast ununterbrochen schönes Wetter undklarer Sonnenschein. Wenn es dann regnet, so regnet esoft ohne Unterbrechung zwei bis drei Tage oder noch längerund manchmal in wolkenbruohähnlicher Stärke. Dann brichtdie Sonne wieder siegreich hervor; aber die Erquicknng, dieman sich zuerst davon verspricht, bringt sie nicht. Es wirdsehr heiß, und die der Erde mitgeteilte Feuchtigkeit verdampftin solcher Menge, daß die Luft tagelang mit Wasserdampfso gesättigt ist, daß die Hauttätigkeit gehemmt wird;trotz größester Hitze hört die Schweißabsonderung auf undeine lästige Schlaffheit und Mattigkeit be^t alle; nureiserne Energie hält uns aufrecht. Diese feuchtheißeWitterung kommt nun dem Wachstum der Pflanzen rechtausschließlich zugute; alles knospt und sprießt empor miteiner hier nicht gekannten Schnelligkeit. Leider gedeihenauch gerade Schmarotzerpflanzen. Leder schimmelt; Stoffe,besonders wollene, ebenso; Brot, welches man morgens frischgekauft hat, ist schon am Abend mit Schimmel bedeckt;Zigarren werden feucht und weich und lassen sich nur besondersverpackt einigermaßen rauchbar erhalten. Bei einemso kräftigen Wachstum darf es daher auch nicht weiterwunder nehmen, wenn man vielfach auch auf Dächern, jaauf den höchsten <strong>Sp</strong>itzen der vielstöckigen Pagoden Gräserund Pflanzen findet, die zunächst nicht etwa als das Zeichenhohen Alters oder uralter Verwahrlosung der Gebäude anzusehensind; Pflanzensamen werden in die Furchen derDächer hineingeweht; Tropenregen und Sonnenwärme lassenden Samen axifgehen, und bald sehen wir Gras und Kraut,Blätter und Blüten aus den Dächern hervorsprießen.


407 JMahlke, Chinesische Dachformen. 408Eine Beschreibung des Klimas wäre ungenügend, -wollteman nicht auch der Stürme Erwähnung tun, die mit verheerenderGewalt dahinbrausen, durch die mitgeführtenStaubmassen das Licht der Sonne verdunkelnd. Auch unserejunge Kolonie Tsingtau hat Stürme erlebt, die so stark waren,daß ganze Dächer von den nach europäischer Art gebautenHäusern flogen." Man begreift, weshalb die Dächer derChinesen so dick, so massigj so schwer gemacht worden siDdlIn den nördlichen Provinzen kennt man im Winterneben der Kälte auch den Schnee. Selbst in Tsingtauschneit es, allerdings sehr selten und nur wenig. Eine. Ausnahme machte der "Winter im Anfang des Jahres 1905,der eine ungewöhnlich große Menge Schnee brachte. Einehöchst auffallende Erscheinung konnte man bei dieser Gelegenheitbeobachten: Der Schnee schmolz nicht zu Wasserwie bei uns, sondern verdampfte. Dies konnte man besondersan den Stellen erkennen, wo, wie z. B. in Schluchteneine größere Menge Schnee zusammengetrieben war. Hiersah man auch noch viele Wochen nach dem Schneefall, alsschon länget wieder die Sonne ihre wärmenden Strahlenhemiedersandte, weiße Schneeflächen, die allmählich aufgezehrtwurden und verdampften, ohne daß sich der häßlicheSchneematsch gebildet hätte. Ganz ähnliche Erscheinungentreten offenbar im nördlichen Japan auf. Baltzerhat beobachtet, daß es selbst in Tokio noch zu den Seltenheitengehört, daß der Schnee wirklich mehrere Tage langliegen bleibt, weil die Sonne in diesen Breiten eine solcheKraft besitzt, daß ihr Erscheinen die Reste des Schnees, dievielleicht ein am Tage vorher wütender Schneesturm zusammengetriebenhat, in kürzester Zeit zum Yerschwinden bringt.Es leuchtet ohne weiteres ein, daß in einem Landemit solchem Klima, wo man sich gegen Sonne und Regenin ganz anderer Weise als bei uns schützen muß, das Dacheine viel größere Bedeutung gewinnt als bei uns; diese Bedeutungäußert sich im Aufbau ganz allgemein und in derBehandlung der einzelnen Teile, und es ist nicht zu vielgesagt, wenn Heinrich Hildebrand in seinem verdienstvollenWerke über den Tempel Ta-chüeh-sy bei Peking, behauptet,„das eigenartigste Glied in der Baukunst der ostasiatischenVölker ist das Dach."Auch F. Baltzer äußert sich in seiner Abhandlung über„Das japanische Haus" in der <strong>Zeitschrift</strong> für <strong>Bauwesen</strong> von1903 ganz ähnlich: „Das niedrige, meist eingeschossigeHolzhaus .... macht auf den ersten Blick einen schuppenoderscheunenartigen Eindruck, dem anscheinend jede architektonischeWirkung abgeht. Und doch muß man schonvon vornherein eine Ausnahme zugestehen: nämlich in derErscheinung des Daches. Wenn dieses nicht mit Stroh oderHolzschindeln, sondern mit Ziegeln gedeckt ist, st> macht esmit seinem starken Relief, dem lebhaften Fugenspiel derzum Teil mit blendend Weißem Mörtel verstrichenen Stoßfugen,mit seinen durch kräftige Gliederungen hervorgehobenenFirst-, Trauf-, Ort- und Gratlinien, mit der graziösen Schweifungder Trauf kanten an den Ecken eine gefälhge, äußerst lebhafteWirkung, wie sie unsre heimischen Dächer, derenFlächen oftmals dem Auge gänzlich entzogen sind, nichtimmer zu erzielen vermögen."Mit Ausnahme der Turmpagoden hat man es fast immernur mit einstöckigen Qebäuden zu tun; auf diesen fällt demDache tatsächlich außer der wetterschützenden noch die ganzbesondere Aufgabe zu: es hat dem Unterbau, dem Gebäudeüberhaupt, das besonders kennzeichnende Gepräge zu gebenund zur Schönheit des Ganzen beizutragen und zwar erheblichmehr als etwa die Dächer auf mehrstöckigen europäischenBauten. Pal#ologue schreibt hierüber in seinemWerke: „L'art chinois": ;,Bei allen Gebäuden spielt dasDach die Hauptrolle; von seiner Beschaffenheit hängt dieSchönheit, die Großartigkeit oder Bedeutungslosigkeit einerBaulichkeit ab. Das Übergewicht, welches derartig einemin der abendländischen Architektur wenig auffällig behandeltenGebäudeteil eingeräumt wird, erklärt sich aus demUmstand, daß der Aufriß eine sehr geringe Erhebung hatund das Dach der augenfälligste Teil der Gebäude ist. Umin die Eintönigkeit einige Abwechslung zu bringen, greiftman, besonders bei PalÄsten und Tempeln, zur Verdopplungund selbst zur Verdreifachung des Daches."Eigentlich kommen in China nur Sattel- und Zeltdächervor. Turm- und Kuppeldächer kennt der Chinese nicht. Dieverbreitetste form ist die der einfachen Satteldächer (Text-Abb. 6). Gewöhnliche Walmdächer sind selten (Text-Abb. 5,9 und 10). Ziemlich häufigist der Krüppelwalm undzwar merkwürdigerweise dieForm, welche in Deutschlandsich nur selten findet.Dies ist der KrOppelwalm,dessen Traufe in gleicher Höhemit der Satteltraufe liegt (Text*Abb. 12.Abb. 7 u. 11). Für den besondersauf dem Lande in derdeutschen Heimat so beliebten Krüppelwalm ist mir ein Beispielin China nicht bekannt. Pultdächer haben nicht dieBedeutung wie bei uns. Wenn sie hier in Deutschland nichtElemente besonderer Daohgruppierungen, sondern lediglich eineFolge unserer baupolizeilichen Vorschriften sind, wirken siefast immer unschön. In China sind mir alleinstehende Pultdächernicht aufgefallen; sie treten immer als Teile einerDachgruppierung auf und bilden dann meist den Schutz derAbb. 14.Sctnitt op.18.Schnitt bb.Abb. 15.Abb. 10.19.Schnitt dd.


409 Mahlke, Chinesische Dachformen. 4L0nackte Erde ist, deren Mauern ausStrohlehm aufgeführt oder aus Granitfindliugenhochgepackt und derenDächer mit Stroh gedeckt sind. Aufden zwei Querbalken, — Binderbalken— welche das Haus in dreiRaumteile zerlegen, wird ein Dachstuhlaufgesetzt, auf dem die Pfcttenruhen, die zunächst mit einer LageKauliangstroh gedeckt werden; dieseswird mit Lehm verschmiert und mitBerggras oder Weizenstroh bedecktDer Dachfirst wird mit sattelförmigenneboneinandcrgereihten großen Ziegelnüberstülpt, •— Stroh- und ßohrdächersieht man auch auf einfachen Tempelanlagenund Klöstern (Text-Abb. 1).Solide Häuser mit Ziegeldächern tritVtman zumeist nur in Städten undAbb. 20. Tompeldach in Poschan, Firatbekrönung aus Terrakotta,reichen Marktflecken, weniger aufdem flachen Lande.Wann zuerst Dachziegel in China hergestellt wurden,ist nicht sicher festgestellt; diese Technik scheint im drittenJahrhundert v. Chr. begonnen und bald danach allgemein bekanntgeworden zu sein (vgl. Oskar Münsterberg, ChinesischeKunstgeschichte, 1910, Band 1 S. 73). Die Dachziegel sehenaußen und im Bruch wie die übrigen chinesischen Mauersteineblaugrau aus. Diese blaugraue Farbe ist keine Besonderheitdos zum Brennen verwendeten Tons. Der Tonläßt sich ebensogut rot brennen, braucht aber dazu schärferesFeuer. Wenn auch die Brandhaut der graublauen Ziegeleine gewisse Ilärto aufweist, so sind doch die dumpfklingendenZiegel innen meist nicht genügend durchgebrannt,so daß nach Verletzung der äußeren Brandhaut die Verwitterungdes inneren Teiles rasch vor sich geht. Die Dachziegelmögen, da sie dünner sind, im allgemeinen etwashärter gebrannt sein, als die gewöhnlichen Mauerziegel; siesich um einen maßiven inneren Gebäudekern herumziehendenVeranden, so daß sie dann im ganzen die Mantelfläche einerabgestumpften Pyramide bilden; sie tragen aber in Chinaimmer zur Erhöhung der Schöüheit des Ganzen bei.Au£er dieser Dachform kommt noch eine sehr eigentümlicheDachbildung vor, die eigentlich weiter nichts istals ein Zwillingssatteldach. Zwei parallele Satteldächer sindmit ihren beiden einander zugekehrten Traufen vereinigt."Wie die Wasserabführung aus dieser verwachsenen Traufebewirkt wird, ist aus der Text-Abb. 12 zu erkennen; einflacher Sattel ist so zwischen die inneren Seiten des Zwillingsdacheseingefügt, daß die ganze Wassermenge, welche auf denzwischen den beiden Firsten liegenden Teil herniederregnet,mit Gefälle den beiden Punkten zugeführt wird, wo dieGiebel mit ihrer Traufe aneinander stoßen.Die Zeltdächer sind von besonderer Eigenart; sie habenkreisrunde und vieleckige Grundriß formen und bestehen, wiedie Satteldächer, aus einem, zwei, oder höchstens drei Geschossen,Es kommt auch vor, daß der vieleckige Grundrißdes inneren Gebäudekerns im unteren Dachgeschoß beibehaltenwird, während das höhergeordnete, spitz zulaufende Dachgeschoßaus kreisrunder Traufe ansteigt. Liegt der Dachbildungein Vieleck zugrunde, so finden sich auch der Zahlder Ecken entsprechend viel Grate mit den eigenartigen "Aufkrempungen. Ist der Grundriß kreisrund, so liegt keinAnlaß zur Gratbildung vor; die Folgen davon sind das Pehlender Aufkrempungen und eine kreisrunde in der Ebene liegendeTraufe. Eine besondere Abart dieser Zeltdäolier sind dieDächer der vielgesohossigen Pagoden. Mansarddächor gibtes ebensowenig wie Kuppelbauten. An keinem Dach inChina stehen die Ziegel an der Traufe steiler als in derNähe des Firstes. Das wäre aber gerade an Mansard- undan Kuppeldächern der Fall.Man findet Ziegel- und Rohrdächer. Es gibt auch flacheLehmdächer, die jährlich wiederholt mit Lehm beschmiert•werden müssen, um die entstandenen Fugen abzudichten.Die größere Mehrzahl der Unbegüterten begnügt sichmit Wohnungen allereinfachster Art, deren Fußboden diehaben aber auch nur eine sehr geringe Festigkeit. Anbesseren Gebäuden findet man deshalb auch glasierte Dachziegelverschiedener Färbung, die naturgemäß der Witterungbesser widerstehen, als einfach gebrannte Steine. Auch Firsteund Grate sind manchmal mit glasierten Kacheln ausgestattet.Die Chinesen kennen, soweit ich beobachten konnte,nur Dachziegel von Formen, die uusern Klosterdächern eigensind; es gibt Nonnendächer und Mönch-Nonnendächer. Merkwürdigerweisehaben sie ihre Dachziegel ganz ähnlich bezeichnetwie wir: sie unterscheiden männliche und weibliche.Die Grundform des Dachziegels ist etwa die eines halbenmehr oder weniger flachen Zylinders oder eines halben abgestumpftenKegelmantels ohne jeden Ansatz oder EinschnittDiese Form findet in einfachster Weise als Nonnendaeh Verwendung.Ein mit reicher FirstbekrÖnung verziertes Tempeldachin Poschan (Text-Abb. 20) gibt eine Vorstellung davon.Beachtenswert ist die besonders schöne regelmäßige Lage derZiegel; so regelmäßig wie auf diesem Bilde findet man nichthäufig die Eindeckung, Da die Ziegel dieses Nonnendachesnicht durch Mönche überdeckt sind, müßte eigentlich zwischenje zwei Ziegelreihen eine offene Mörtelfuge entstehen. EinBlick auf die Abbildung lehrt, daß eine solche Fuge nicht


411 Mahlke, Chinesische Dachformen. 412vorhanden ist. Die Art, wie die einzelnenZiegel verlegt sind, zeigt einegewisse Ähnlichkeit mit deutscherSchieferdockuTig: die Deckgebinde steigenzum First in schräger Linie auf.Der höherliegende Ziegel überdecktden ihm zunächst gelegenen, geradenRand des Nachbarziegels desselbenGebindes; nur ein verhältnismäßigkurzes Stück bleibt unbedeckt. DieZiegel ruhen nicht wie unsere Nonnenziegelin allen Teilen symmetrisch aufder Unterbettung; sie haben, alle eineDrehung im nämlichen Sinne um ihreSymmetrieachse erfahren: so ist dieÜberdecknng der unteren durch dieim Gebinde nach oben folgenden Ziegelermöglicht und die Mörtelfuge durchden über ihr liegenden Ziegel randgegen den herniederfallendcn liegengeschützt. Die obersten NonnenziegelAbb. 31. Tsinanfa, Lotosteicli außerhalb der Stadt.sind von Mönchen überdeckt.Wenn die Regenfuge gedeckt ist durch darüber gelegte durch einen Nonnentraufziegel. Die Traufnonne fülirt dasDachziegel von derselben oder ähnlicher Form, so entsteht Regenwasser ab, sie ist an der Stirnseite lippenförmig nachein Dach, ganz ähnlich unserem Mönch-Nonnecdach. unten gebogen und auf dieser Schauseite meist reliefartig verziertH. Hildebrand schreibt hierüber in seiner bereits erwähntenmit einem Drachen- oder Pflanzen- oder geometrischenAbhandlung: „Über den 8 —10 cm starken runden oder (Buchstaben-)Ornament. Auch die Mönchsreihe schließt einviereckigen <strong>Sp</strong>arren aus Tannenholz liegt eine 3 —4 cm starte besonders geformter Traufziegel nach unten ab. Die Stirnseitendieser Traufziegel sind meist kreisrund geschlossen undVerschalung aus stumpf aneinander stoßenden Brettern. DerZwischenraum zwischen zwei <strong>Sp</strong>arren ist gleich der 1 — l^gfachen<strong>Sp</strong>arrenstärke. Die {auf die Schalung aufgebrachte)mit einfachen Ornamenten verziert (vgl. Laufer, Chinese potteryof the Hau Dynasty, Taf. LXV oder Oskar Münsterberg, ChinesischeKunstgeschichte 1910 Bd. 1, S. 73). Aber auch andereBetonlago ist im Mittel 10 —15 cm stark und besteht ausMönchtraufziegel kommen vor; das Beispiel Text-Abb* 22einem mageren Gemisch von sandiger Erde mit Luftkalk.zeigt einen Abschluß, der einer Adelskrone ähnlich sieht; überHierauf liegen zunächst die eine Rinne bildenden Hohlziegeleinem flachgebogeneii Stirnprofil sind eine ungleiche Zahl vonm, welche sich parallel der Dachneigung um 2 — 3 cm überdeckenoder auch stumpf zusammenstoßen, und über diesenpcrlenförmigen Verzierungen angebracht. Durch solche besondersgeformten Traufziegel erzielt man einen durchausdie mit der konvexen Seite nach oben gekehi-ten, eine Rippegleichmäßigen sauberen Beginn der Ziegelreihen, der nichtbildenden Hohlziegel /?, welche stumpf aneinander stoßenso schön ausfallen würde, wenn dies© besonderen Formen den(Text-Abb. 13 u. 14). Die Hohl- und Zwischenräume zwischenden Dachziegeln sind vollständig mit Botonmasse ausgefülltund alle Öffnungen und Fugen sorgfältig mit Mörtel verstrichen.Ohne das wäre ein Dichthalten eines solchenDaches nicht möglich; die Arbeit des Veretreichens derFugen muß aber häufig erneuert werden, und so siehtman auch heutzutage alljährlich vor Beginn der Regenzeitauf den Dächern Pekings, die noch genau so wie die altenTemj^eldächer hergestellt sind, Arbeiter mit dieser Verrichtungbeschäftigt. Der Fall, daß die beiden Reihen Hohlziegelüberein andergreifen wie etwa in Text-Abb. 15 angedeutet,kommt im Tempel Ta-chüeh-sy nicht vor, wohlaber der andere, daß die obere Ziegclreihe ganz fehlt unddurch eine oben ausgerundete Rippe aus Beton ersetzt ist,oder daß die Entfernung zwischen den einander zugekehrtonZiegelenden eine ganz beträchtliche, bis zu 5 cm und darüberwird, wobei der Zwischenraum a — b (Text-Abb. 16) durchMörtel geschlossen wird."Mit besonderer Sorgfalt sind die Traufziegel behandelt.Text-Abb. 17 zeigt die Ansieht der Traufe, Text-Abb. 18einen Schnitt durch einen Mönch-, Text-Abb. 19 einen SchnittAbb. 22.


v/!^''\:41B Mahlke, Chinesische Dachformen. 414Abb. 23. Sommerpalast in Peking.unteren Äiifangsziegelri nicht verliehen wären und man häßlichveraeliraierte Mörtel- oder Lehrnpfropfen als Xraufschlußzu sehen bekäme, die sich nach längerem Eegen auswaschenworden.An den Firsten ist den Chinesen eine Überdeckung gelungen,die insofern sehr merkwürdig ist, als es sich hierum Formen liandelt, die ebensogut an unserii mittelalterlichenDäcliern hätten verwendet werden können, auf dieman aber in Buropa meines Wissens nicht gekommen ist.Man hat einfach die Ziegel der letzten höchsten wagereclitenReihe, Nonnen sowohl wie Mönche, nm den First in sichselbst sattelförmig hernmgebogen, nicht überall, nicht immer;denn dieses Hilfsmittel setzt eine saubere Arbeit und sorgfältigeEinteilung der Schräg aufsteigenden Regenreihen voraus,da doch auch liier die Eindeckung von unten, von derTraufe aus auf beiden Seiten gleichmäßig beginut und imFirst genau zusammentreffen muß (Text-Äbb. 21 und 23).Abb. 24. PavilloB an den heiligen QueUen in Tsiaanfu.<strong>Zeitschrift</strong> f. Bauwasen. Jahrg. <strong>LXII</strong>.Solche Firstreiter sitzen auch auf einfachenNonnendiichern; der Nonnenflrstist verstärkt durch Mönchsättelgleicher Sehenkellänge {Text-Abb. 24).Eine Beschädigung dieser obersten Firstziegolreihe,ein Abheben einzelnerZiegel durch Sturm ist wenig zu befürchten; die Ziegel haben eine zugünstige Form. Bei uns werden Firstziegelverlegt, welche in sieh selbstkleine Satteldächer sind und eine breitegerade Traufe haben. Die chinesischenNonnen- und Mönchfirstziegel habengebogene kurze Traufen und bietendeshalb, wenn sie wirklich keineMörtel Verbindung mit der ünterkonstruktionhätten und nur lose auflägen,seitlichen Windstößen so gut wie garkeine ÄngrifFsmÖglichkeit, währendunsere Firstziegel, wenn sie gelockertsind und vom Sturm erfaßt werden,sofort eine Breitseite öffnen, wo sichder Wind henmtersetzt und viel leichter ein Abdrehen derZiegel um die noch auf dem Dache ruhende gegenüberliegendeTraufkante bewirken kann.Einen Versuch, wie man ihn zur Wiedereinführung derfrüher so beliebten mittelalterlichen Klosterdächer bei unsmehrfach mit Erfolg getan hat (vgl. Zcntralblatt der Bauverwaltungvom 22. Oktober 1904 S. 53G und vom 17. August1907 S, 447), durch besondere Übergangsformen der MönchundNonnenziegel von der Form des Halbzylinders oderhalbierten abgestumpften Kegelmantels in glatte und ebeneFormen den Anschluß der Grate und Firste zu erleichtern,haben die Chinesen nicht gemacht; sie kennen ja auch dieBiberschwänze oder eine ähnliehe Dachziegelform nicht. Diezum Aufhängen der Biberschwänze erforderlichen Nasenansätzewürden an den schwachgebrannten Tonziogeln nichtlange gehalten haben. So waren sie genötigt, sich nacheinem andern Mittel umzusehen, die starken ungleichförmigenFugen an den Firsten und Graten ihrer Nonnen- und Mönchnonnendäoherzu schließen; sie taten dies durch massiveAufbauten, die sich wie hochkantig aufliegende Balken tiberFirst und Grate hinziehen. Diese Linien waren ihnen undsind ja auch für unsere Dächer, abgesehen von den Kehlen,die meist gefährdeten Stellen der Dachhaut, die Stellen, andenen die meisten und gleichzeitig die unbequemsten Ausbesserungennötig werden. Ein Abheben der First - undGratholme durch Sturm wird durch das Gewicht dieser Masseerschwert. Aber gerade dieses Gewicht, was ja so nötig ist,wirkt nun bestimmend auf die Form der Grate und somitauf die Dachform überhaupt. Wir haben gesehen, daß dieChinesen wohl in der I^age sind, den Traufziegelii durch besondereAnsätze besondere Formen zu geben. Die Ansätzetragen sieh selbst; sie würden aber bald abreiJ^en, wenn dieZ ugfestigkeit der Ziegel in irgendeiner Weise stärker inAnspruch genommen würde. Der Stoff ist nicht danach angetan,starkem Zug kräftig zu widerstehen, während er Druckvon gewisser Stärke eher vertragen kann. Noch sohlechterist es mit der Bindekraft des Mörtels bestellt. Wenn auch27


415 Mahlke, Chinesische Dachformen. 416Abb. 25.Verzierung des unteren Dachgratesmit Ticrßguroa.der verwendete Kalk einwandfrei ist, so ist doch hei demgroßen Mangel an gutem Sande nur ein sehr mäßigen Ansprüchengenügender Mörtel zu erzielen. Statt guten Sandesist man in den allermeisten Fällen genötigt, sich des Lösseszu bedicneo, der ungeheuere Flächen in Cliina bedeckt undvon dem Ä. Gaedertz, Egl. Banrat, Direktor der Schantung-Eisenbalm-Gesellschaft, in seinem Vortrag über Schantung,gelialten in der Kolonialgesellschaft Berlin - Charlottenburg— 1902 — folgendes mitteilt: „Der Löß ist aus eckigenSandkörnern und tonigen Teilen zusammengesetzt; ein leichterEisengehalt im Ton ruft die braungelbe Farbe hervor. DerLöß ist sehr mürbe, aber doch so fest, daß er vertikal inhohen Wänden ansteht. Sehr feine Köhrchen durchziehenihn mit zahlreichen stets nach unten gehenden Verästelungen;die Röhrchen sind mit einer dünnen Schicht kohlensaurenKalkes bekleidet. Eine Schichtung ist nicht vorhanden, dagegeneine große Neigung zu vertikalen Zerklüftungen. Bänkekommen allerdings vor, aber nur beim Vorhandensein festermergeliger Konkretionen, deren Längsachse stets senkrecht ist."Nehmen wir an, die Chinesen paßten sich europäischerBauweise soweit an, daß sie die aufgebogenen Ecken ihrerDächer in die bei uns übliche Gratform zurückbögen, sowürde, wenn sonst alle Voraussetzungen dieselben blieben,die Zerstörung des Daches gerade an den untersten Stellender hohen Qratholme am ersten beginnen. Die schätzendeGratverstärkung würde unter dem Einflüsse ihrer eigenenSchwere bei der geringen Zugfestigkeit des ZiegelstofFee unddes verwendeten Mörtels abreißen (vgl, auch Hildebrand, dervon magerem Gemisch sandiger Erde mit Luftkalk spricht),und auch der etwa zunächst noch stehenbleibende obere Restwürde bald ins Rutschen kommen. Damit das nicht geschieht,verflachen die Chinesen die Neigung der Grate besonders imunteren Teil und schaffen so für diesen ein fast wagerechtesLager, auf dem die Reibung stark genug ist, um auch demSchub vom oberen stärker geneigten Teil zu widerstehen.Wie ein Blick auf die linke Seite der Abb. 4 Bl. 47 lehrt, woder Grat eines kleinen Daches, von anscheinend untergeordneterBedeutung, ohne Gratholme von einfachen Mönchziegelngebildet wird, sehen die Chinesen von der umständlichenAufkrempung sofort ab, wenn hohe Gratholme nichtvorhanden sind, wenn das AbrutschenTOD Gratholmen alsonicht zu befürchten steht. Sounscheinbar gerade dieses Beispielan sich ist, hat es docheine sehr wesentliche Bedeutungfür die Prüfung der Richtigkeitmeiner Erklärung derAufkrempung an den Traufen;ich weise daher besonders aufden flaohgedeckten Grat dieseskleinen Daches hin.Für die Regenreihen bestehtdie Gefahr des Abreißensdes unteren Teiles nicht indemselben Maße wie für diehohen Gratholme; sie könnenalso ebenso wie bei uns zurTraufe geführt werden; dieTtauf linie muß sich nun den überihr liegenden Traufpunkt desGrates suchen; sie schwingt sich im Bogen herauf und soentsteht die eigenartige Aufkrerapung der Dachecke.Die Eigentümlichkeit der chinesischen Dächer,die Äufbiegung der Traufe an den Ecken, erklärtsich also als eine Folge von Rücksichten, dieman auf die Eigenschaften des verwendeten Baustoffesin einem Klima der geschilderten Art genommenhat.Nicht immer ist der Grataufbau in gleicher Stärke vomFirst zum Traufpunkt heruntergeführt. Man beobachtet vielmehrhäufig eine Schwächung des unteren Teiles und zwaretwa so weit, als das Dach frei über seine Unterstützungenhinausragt; so wird die Tragekonstruktion entlastet, gleichzeitigaber die obere Dachhaut in gewisse Beziehung zu demunteren Kern gestellt; es ist keine Frage, daß außer reinkonstruktiven hier auch Schönheitsrücksichten maßgebend gewesensind, die ganz allgemein in China eine sehr vielgrößere RoUe spielen, als man gewöhnlich denkt. Auf dieDauer wird man sieh auch bei uns nicht dem Heiz entziehenkönnen, der in der Schönheit dieser Dachbildungen liegt Idiglaube nicht, daß wir Europäer in Ziegeldachbilduagen, besondersauf kleinen einstöckigen Gebäuden, jemals Schöneresgeleistet haben, als das, was Bauten zrigen, wie z. B^ diePavillons in Tsinanfu (Abb. 4 Bl. 47 und Text-Abb. 26),Tsiningscho (Abb. 1 Bl. 46) oder Peking (Text-Abb. 27).Dieser untere schwächere Teil des Gratkammea, langund stark genug, um bei seiner fast wagerechten Lage demsteileren massigeren Teil als Widerlager dienen und ihn vordem Abrutschen schützen zu können, pflegt meist besetzt zusein mit kleinen Tierflguren (Text-Abb. 25). In dem japanischenWßrke „ Beport of coUege of engineering Imperial univeraityof Tokyo, Decoration of Palace buildinga of Peking"von K. Ogawa in Tokyo 1906 lesen wir darüber: „Diese Tierfiguren(vorher angeführt sind Drachen, Löwen, Giraffen, Pferde,Phönixe) sieht man oft in einer Beihe hintereinander auf denEckgraten der Dächer, angeführt durch einen Phönix mitMenschenantlitz. Auf dem Dache der T'ai-h6-Halle (Peking,verbotene Stadt) wird die kleine Gesellschaft von einem an-


,.••'•'(.'''':417 Mahlke, Chinesische Dachformen. 418Abb. 26. Pavillon an den heiligen Quellen in Tsinanfu.deren Wesen, halb Mensch, halb Tier, aageführt. DerSammelname für diese Figuren ist „"Kuei-lung-Tzu"; siebilden die Verzierung der Dachgrate zusammen mit „Ch6ngwen"und „Pang-\7en"-Figiiron."Die Besehreibung dieser Dachverzierung in der japanischenVeröffentlichung läßt erkennen, daß man es hiermit einer EigentQmliclLkeit der chinesischen Architektur zutun hat. Man hat ja auch in der Japanischen Ärchitotturdie First- und Gratholme, und man kennt dort auch dieSchwächung des unteren Holmteiles; den Schmuck diesesschwächeren Holmteiles durch kleine Tierfiguren kennt manin Japan nicht; den hat nur China. Diesen Verzierungenwerden wahrscheinlich religiöse Anschauungen zugrunde liegen.Zur Erfindung dieser Gratverzierungen mag man auf höchsteinfache Weise gekommen sein: vor der Erfindung, als dieGratholme von oben bis unten in gleichmäßiger Stärke verliefen,wurde besonders der untere Teil vom Wetfer angegriffenund zerstört, und es läßt sieh denken, daß einzelneStücke mit klaffenden Fugen stehen blieben. Mit einigerPhantasie hat man dann in die so entstandene UnregelmäßigkeitOrdnung hineingebracht und eine höchst zierliche undanmutige Ausdrucks weise gefunden für Gedanken, die demreligiösen Änschauungskreise des Chinesen entsprachen. Allediese Figürehen haben das eine Gemeinsame: sie sitzen inbeschaulicher Buhe eines hinter dem andern, einem Drachonmaulden Rücken kehrend, das aus dem unteren Ende desstärkeren oberen Oratkammteiles gegen sie herauswächstMan könnte geneigt sein, sie für ein Zeichen des Friedenszu halten; sie sind hier keinen Gefahren ausgesetzt; innerhalbdieses (Tempel) - Gebietes sind sie geschützt; sie brauchensich nicht zu fürchten, der Draclie schützt sie.Wir sind gewohnt, uns unter einem Drachen etwasBösartiges vorzustellen. Der chinesische Drache hat aber mitunserm Lindwurm nur die Ähnlichkeit in der äußeren Formgemein. Über den chinesischen Drachen und seine Bedeutungschreibt Missionssuperintendent Yoßkarap (Tsingtau) in seinembemerkenswerten Werk „Unter dem Banner des Drachen undim Zeichen des Kreuzes" u. a. folgendes: „ Der Chinesenennt den Drachen das gute, schaffende, erhaltende Prinzip,der Himmel und Erde beherrscht, die mächtige Ursache allerVeränderungen in der Natur. Er sieht in ihm den Erhalterall der guten Mächte und Kräfte, die ein großes Reich zusammenhalten,damit es nicht zusammenbreche. Dieser Gedanke,daß der Drache etwas Gutes bedeute, ist fast unausrottbarmit dem Sinnen und Donken des chinesischen Volkesverwachsen. Jeder chinesische Schüler lernt den Yit-Kinauswendig, „das Buch der Verwandlungen", welches eineArt von Naturphilosophie der Chinesen ist. In diesem Buchbegegnen wir auf Schritt und Tritt dem Drachen, als dermächtig treibenden Kraft in der ganzen Natur. Alle Erscheinungenam Himmel und auf Erden werden durch denDrachen erklärt, der seine Gestalt verkürzen und verlängernkann und der je nach den Jahreszeiten seine Farbe wandelt."Die Zahl der kleinen Tierfiguren, die vor dem Drachenauf dem unteren Gratende sitzen, ist sehr verschieden; esscheint, als ob die Zahl der Tiere der gleichartigen Grateein und desselben Daches, ein und desselben Dachgeschosees,stets dieselbe ist, während sie je nach den Stockwerkenwechselt. Die Grattierchen pflegen gleichhoch und in gleichenAbständen hintereinander wie in Parade aufmarschiert zu sein;ihre Seheitel liegen in der Verlängerung der Oberkante desstärkeren Gratteiles. Zweifellos liegt dieser ßegelmäßigkeitein ästhetisches Empfinden zugrunde; der Schönheitssinn wirdhierdurch viel besser befriedigt, als wenn die Reihe derkleinen Zierfiguren nicht vorhanden wäre und der schwächereGratteil so nackt und kahl bliebe, wie bei japanischenDächern.Über die Holzkonstruktion dieser Qratanfkrempung verbreitetsich H. Hildebrand folgendermaßen; „Die Traufliniensind sowohl im Grundriß wie im Aufriß an den Enden ausgeschweift.Die Schweifung im Grundriß (Text-Abb. 29) istdurch allmähliche Verlängerung der <strong>Sp</strong>arren nach den Gebäudeeckenzu erreicht, während das Aufwärtaschweifen derweit ausladenden Traufecken, das auf den Ausländer einen sofremdartigen, aber, nachdem man sich an den Anblick gewöhnthat, und bei der maßvollen Ausführungsweise dieser Tempeleinen künstlerisch durchaus wohltuenden Eindruck hervorruft,in einfacher und sinnreicher Weise bewirkt ist. Die beidenAbb. 27. Peking, Huf im Tung-yo-miao.27*


419 Mahlke, Chinüsischo DachformeD. 420Abb. 28.7\Abb. 29.Abb. 30, Abb. 31.Abb. 33. Abb. 34.untersten Dachpfetten a — a (Text-Abb. 31) liegen Dämlich ingleicher Höhe; auf diese ist der Oratsparren 5 c so aufgehämmt,daß er von h nach c das KeignngsVerhältnis desDachgrates hat. Vom Beginn der Dachschweifung bei e anist auf die Pfetten a~a ein Sattelholz e f aufgelegt, das,•wie in der Ansicht (Text-Abb. 32) angedeutet ist, von enach f zu steigt (vgl. auch Text-Abb, 28). Ein <strong>Sp</strong>arren g h(Text-Abb, 34) hat daher eine steilere Neigung als z. B. ein<strong>Sp</strong>arren i k^ weil Punkt k höher als h liegt, so daß sichmittels des Aufschieblings e f die Form der Ausschweifungder Traufe leicht und beliebig herstellen läßt."Offenbar beruht Hildebrands Darstellung der <strong>Sp</strong>arrenkonstruktionwie sie Text-Abb. 31 zeigt, auf einem Irrtum;die <strong>Sp</strong>arren i k und g h dürfen im Grundriß nicht parallelsein, da u. TJ, das <strong>Sp</strong>arrenende bei k in "Wirklichkeit höherzu liegen käme als das Gratende selbst und außerdem die<strong>Sp</strong>arren zwischen f und b wohl angeschiftet, nicht aber auchaufgelagert werden können. Demselben "Werke ist die Text-Abb. 33 entnommen, welche den Grundriß einer aufgekremptenGratecke in einwandfreier Weise darstellt; hier ist jeder <strong>Sp</strong>arrenan zwei Punliten befestigt; das obere Ende ist am Gratsparrenangeschiftet; in der Nähe seiner Mitte ruht ein jeder <strong>Sp</strong>arrenauf der Dachpfette a—a oder auf dem Äufschiebling. Nurso ist es möglich, für die Dachtraufe eine gleichmäßig verlaufendeKurve zu erhalten, die von der allgemeinen Traufealimählich sich erhebt und schließlich am Qratende ihrenhöchsten Punkt erreicht. Dieses Gratende ist fast immerdurch einen Tierkopf verziert. Dazu kommt oft noch einanderer Zierrat: kleine Glöeltchon, deren Klöpfel mit Querstrahlen(Text-Abb. 30) versehen sind, die ieiso gegen denGloekenrand sclilagen, wenn der Wind gegen das aus derGlocke herausragende blätterförmig verbreiterte Klöpfelendefährt (7gl. auch Abb. 2 und 4 Bi, 46).Man sieht, die Bildung der Grate ist nicht einfach; siesetzt zunächst eine gute genaue Zimmerkonstruktion voraus;aber auch die Eindeckung der geschwungenen Dachflächen,besonders in der Nähe des Gratkammes fordert eine sorgfältigeArbeit, die selbst unsern geübtesten Bauhandwerkern zunächstMühe machen würde. Man verwendet die Grate deshalbnur da, wo sie wirklich nötig sind, d. h. über vieleckigengleichseitigen Grundrißformen vornehmlich des Quadrats, desSechsecks und des Achtecks (vgl. Beispiele Text-Abb- 2G,Abb. 1 u. 2 Bl. 4G und Abb. 4 Bl. 47), oder über rechteckigemmassiven Kern, dem dann in der Regel ein offener verandenartigerUmgang vorgelagert ist (vgl. Text-Abb. 9 bis 11 u. 35).Die Haui)tbedinguiig für die Verwendung der Grate ist undbleibt aber der erhebliche "Vorsprung des Daches auch über dieäußersten Unterstützungen hinaus, eine Voraussetzung, diebisher noch nicht von uns Europäern in der rechten Weisegewürdigt worden ist, die aber wesentlich zur Schönheit desDaches und des ganzen Gebäudes beiträgt. Wird diese Forderungnicht beachtet, d. h. wird die Traufe ohne weitausladendesUauptgesims unmittelbar unterstützt, dann verzichtetder Chinese auf jeden Fall auf die Gratbildung und wählt eineinfaches Satteldach, Die Äufkrempung der Ecken kann nurda stattfinden, wo wirklich die Möglichkeit dazu vorhandenist, d. h, an weitausladenden Dächern. Selbstverständlich sindauch Walmdächer mit aufgebogenen Graten herstellbar, wennsich die Traufe ohne Gesims unmittelbar über dem Kern desHauses oder seinen äußersten Unterstützungen befindet. Daswirkt aber so plump, so häßlich, daß ein Volk mit mehrtauaendjährigerKultur für solche Barbarei nicht zu haben ist. Mandenke sich nur unter die äußersten Gratenden aller der angeführtenBeispiele Stützen gestellt und wird sofort erkennen,Abb. 35. Confuciastempel in Kufa.


Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Ebene. -^2wie unschön ein solcher Aufbau wirken muß, wenn die Hauptbedingungfür das Vorkommen dieser Grate, die weite Ausladungdes Daehes, unerfüllt bleibt. Ein Beispiel für diesemißverstandene Gratauf krempung findet sich auf Seite 57 desvon F. W. Leuschner verfaßten "Weriies „Aus dem Leben undder Arbeit eines China-Missionars." Ein dicker gemauerterEckpfeiler springt um das Maß des Dachüberstandes gegendie roine Flucht des zweigeschoßigen Wohnhauses vor, umdas aufgebogene Gratendo zu unterstützen; eine kostspieligeStoffvergeudung, die leicht hätte vermieden werden Itönnen,wenn man die elegantere Formenspraohe chinesischer Architekturbesser hätte studieren und auf ihre hervorstechendenEigentümlichkeiten mehr hätte achten können, als dies technischungeschulten Missionaren möglich ist. Diese Grataufkrempungist aber auch deshalb nichts weniger als chinesisch,weil zu der Aufkrempung ein Grund nicht vorliegt;der Ilolmaufsatz fehlt; ein Abrutschen des nicht vorhandenenGratholmes kann also auch nicht stattfinden, die Grataufkrempungkann unterbleiben und die Traufe in derselbenEbene rechtwinklig herumgeführt werden, wie auf euroi^äischenBauten und wie wir es sehen auf der linken Seite derAbb. 4 Bl 47.(Schluß folgt.)Abb. 1, Koüia von der Nordseite.1. Kenia, das alte Iconium. In der Mitte vonKleinasien, an dem Schnittpunkt uralter Handelsstraßen,liegt Konia, das alte Iconium (vgl. die Übersichtskarte Abb. 1B149). Es ist jetzt eine Stadt von 60000 Einwohnern, dieHauptstadt eines Wilajets, Sitz des Wali und des BöjükTschelibi, des Oberhauptes der Mewlana-Derwische, welcherseit Jahrhunderten das Vorrecht besitzt, den Sultan bei derThronbesteigung mit dem Schw^ert zu umgürten. Die Geschichteder Stadt reicht weit zurück. Die Zehntausend undAlexander der Große hatten hier gerastet, Cicero weilte hierals Konsul von Cilicion, und Paulus und Barnabas predigtenhier nach Ausweis der Apostelgeschichte 13, 51. UnterTrajan und Hadrian stand die römische Kolonie Iconium inhoher Blüte; aber eine geschiehtlicho Bedeutung gewann dieStadt erst durch die Scldschuken. Suleiman (f 1086) machteIconium zur Hauptstadt eines Keiches, das den größten Teilvon Kleinasicn umfaßte. Dies Reich erlitt heftige Erschütterungenzur Zeit der ersten Kreuzzilge. Im dritten siegteFiiedrich Barbarossa unter den Mauern der Sladt nach einemharten Kampfe vom 18. bis 26. Mai 1190. Es folgte eineZeit innerer Wirren, dann aber die höchste Blüte der Stadtunter Ala-eddin Kai Khobad L von 1219 bis 1236. Erführte byzantinische Kultur naeh Konia, baute die Stadtprächtig aus mit Moscheen, Bädern, einem Palast und Grabmälernund befestigte sie durch 108 malerisch angelegteund verzierte Türme. Handelsbeziehungen wurden mit Venedigund Genua angeknüpft. Aber schon unter seinem Sohn,der den Vater ermorden ließ, begann der Niedergang. 1307wurde der letzte Fürst aus dem Hause der Seldsohuken erwürgt.Die Osmanon traten an ihre Stelle. 146G wurdeKonia von Muhamed II. erobert, und 1832 siegte IbrahimPascha von Ägypten über den türkischen Großvezier. JetztDie Bewässerung der Koiiia-Ebene.(Mit Abbilduügen auf Blatt 49 und 50 im Atlas.)(AUe ßechte votbeliatten.)ist der alte Glanz von Konia verschwunden. Die Mauernund Türme der Stadt, welche Moltke noch 1838 sah, sindnicht mehr. Nur schwache <strong>Sp</strong>uren sind von den altenHerrlichkeiten geblieben.In geographischer Hinsicht liegt Konia am Südrandeeiner ausgedehnten Salzwüste, die wahrscheinlich ein ausgetrockneterMeeresgrund ist, und die das kulturfühige Landvon Konia beschränkt. Im Südwesten ist die Grenze durchhohe Gebirgszüge festgelegt, die in zwei spitzen Kegelnbis nahe an Konia herantreten. Dies Gebirge setzt eich insüdöstlicher Richtung fort, macht in der Nähe von Karaman,einem Bahnhof der Bagdadbahn, eine Wendung naciiOsten und nähert sich dann dem TauruB, dessen Durchbrechunggegenwärtig eine der schwierigsten und bemerkenswertestenAufgaben für die Ingenieure der Bagdadbahn ist.Die Bahn führt jetzt über Eregli bis ülukischla. Sie wirdspäter in der Nähe der eilicischen Pforte die Ebene vonAdana erreichen.2. Alte Bewässerungen. Das Klima von Konia istim Sommer warm und trocken, aber sehr kalt im Winter.Das Thermometer fällt dann mitunter bis — 20° C. DioRegenhöhe beträgt jährlich etwa 400 mm. Niederschlägetreten nur in den Monaten November bis Juni auf. Die MonateJuli bis Oktober sind gewöhnlich regenlos. Die Schnee-Abb. 2. Vorstadt YOU Konia.


423 Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Ebene. 424Aubergines u. dgl. genügt in der Regel nur dem ÖrtlichenBedürfnis. Von den kultivierten Flächen wird meist nur dieHälfte bestellt, die andere Hälfte bleibt brach liegen. DasGetreide wird entweder als Wintergetreide im Oktober gesätund im Juli geerntet oder als Sommergetreide im März gesätund im Juli und August geerntet. Der durchschnittlicheErtrag des Landes beträgt 300 Okas vom Deunum oder beider Gerste 3G0 Oka. Eine Oka =1,284 kg, 1 Deunum,das türkische Feldmaß, ='919,3 qm. Sonach beträgt derdurchsclmittliehe Ertrag des Landes 4190 kg vom ha.Abb. 3. Bazar in Konia.schmelze dauert von März bis Juni. Der Boden ist ein nährstoffreicherVerwitterungsboden, der wohl imstande ist, reicheErnten hervorzubringen, aber nur dann, wenn ihm Wasserin genügender Menge zur Verfügung steht. Ohne Wasserdörrt der Boden tief aus. Seine Oberfläche bildet dann eineharte Kruste, die in den Straßen und auf den Wegen tiefzermahlen wird und deren dichte Staubwolken Wagen, Reiterund Fußgänger umhüllen.Unter diesen Verhältnissen ist es erklärlieh, daß diewenigen kleinen Flüsse hoch geschätzt sind, die vom Gebirgekommen und in den Monaten April bis Anfang August dasSchmelüjwasser in die Ebene führen. Dies Wasser wird durcheinfache Bewässerungskanäle möglichst weit in das Landgeleitet und durch einfache Stauanlagen und niedrige Umwallungenauf den Feldern so gründlich wie möglich ausgenutzt.Aber das kostbare Naß versiegt sehr bald. Alle Flüsse sindlängst ausgetrocknet, bevor sie die Salzwüste erreichenFlußnetze nach deutscher Art sind daher nicht vorhanden.Der am meisten geschätzte Wasserlauf ist der Meram Su,ein Fluß, der aus einem langen schmalen Grebirgstal westlichvon Konia hervortritt und der bei dem Orte Meram, etwaeine Stunde von Konia, eine prächtige Kultur hat entstehenlassen. Zahlreiche Landhäuser der vornehmen Türken mitüppigen Gärten und Parkanlagen sind hier zu finden. Aberschon in Kenia hört die Arbeit des Flusses auf. In ähnlicherWeise vrirken der Maja Tschai im Südosten der Stadt undder Tschai'tschamba Tscbai, etwa 44 km östlich von Konia(vgl. den Plan Abb. 6 Bl. 49).Die Text-Abb. 1 bis 7 sollen eine Vorstellung vonKonia, seinen Straßen, Häusern und Vororten geben. Einlebhaftes geschäftiges Treiben herrscht überall, besondere inden Bazaren und auf den Märkten. Kamele, Pferde undEsel) Reisewagen und Landfuhrwerke bewegen sich in buntemGedränge, die Landwagen mit schwerfälligen scheibenförmigenHolzrädern, über deren Rungen zur Aufnahme des Getreidesmächtige Zeltdecken gebreitet werden. In den Vorortenziehen sich zwischen schlichten Mauern aus Luftziegeln,hinter denen die im Frühjahr bewässerten Gärten liegen, dieLandstraßen hin, stets bevölkert von reisenden Türken,Die Kulturerzeugnisse des Landes sind hauptsächlichGetreide und Gemüse. Getreide, besonders Gerste, wird ingünstigen, wasserreichen Jahren in großen Mengen ausgeführt.Der Anbau von Gemüse, wie Erbsen, Tomaten, Artischoken,3. Das neue Bewässcrungs-Unternehmon. Umdie Ebene von Konia auch in wasserarmer Zeit regelmäßigbewässern zu können, hat man den Plan gefaßt, einen großenSee in dem Gebirge 80 km südwestlich von Konia als Aufspeicherungsbeckenzu benutzen. Es ist der Bey-Schehir-See, ein See, der etwa 120 m höher liegt als Konia, dessenEinzugsgebiet zwar klein ist, der aber selbst eine so großeOberfläche hat, daß nur wenige Zentimeter Wasserhöhe genügen,um die für die Bewässerung erforderliche Menge zuliefern (vgl. den Lageplan Abb. 6 Bl. 49). Der See hat seinenAbfluß am Südostende beim Orte Bey-Schehir. Hier konntemit verhältnismäßig geringen Mitteln ein Stauwerk und eineAbdämmung angelegt werden. Der Abfluß des Sees, derBey-Schehir Tschai, mündet in einen zweiten See, den Karawiran-See.Dieser hat in südöstlicher Richtung Vorflutdurch eine steil abfallende enge Schlucht, die im oberenTeil Baliklowa-, im unteren Tschartschamba-Schlucht heißt.Die Ufer des Karawiran-Sees bestehen im Süden aus klüftigenKalkfelsen, die viel Wasser versickern lassen. Der Verbleibdes Wassers ist noch nicht festgestellt. Aber die Wirkungder Klüfte, die zweifellos vorhanden ist, wurde früher hocheingescliätzt. Man glaubte, daß es möglich sein würde, mitihrer Ifüfe den Karawiran-See vollständig trocken zu legenund auf seinem Grunde fruchtbare Landflächen zu gewinnen.Das im Bey-Schehir-See angestaute Bewässerungswasser solltedann durch einen neuen Kanal um den Karawiran-See herumzur Weiterführung in die Baliklowaschlucht geleitet werden.Um dies Unternehmen auszuführen, schloß die OttomanischeRegierung mit der Anatolischen Eisenbahngesellschafteinen Vertrag ab, durch welchen die Gesellschaft sichverpflichtete, 80000 Deunum im Karawiran-See und 500000Deunum in der Konia-Ebene, zusammen also 580 000 Deu-Äbb. 4. Hausbrunnen in Konia.


I2& Geriiardt, Die Bewässerung der Eonia-Kbene. iUAbb. D. Markt iu Kouia.num, d.s. 53 319 haj zu bewässern. Die Kosten des ganzenUnternehmens waren auf 19,5 Millionen Franken oder15,8 Millionen Mark veranschlagt. Die Summe sollte nachFertigstellung der Arbeiten unter Anrechnung von 5 vH.Zinsen und 1,1 vH. »Tilgungekosten in 35 Jahren bezahltworden und zwar: durch eine feste jährlich zahlbare Summevon 25 000 türkischen Pfunden oder 4G1 500 Mark, fernerdurch den Überschuß der beim Verpachten der Zölle ausden bewässerten Ländereien erzielten Mehreinnahmen undendlich durch diejenigen Einnahmen, welche der Regierungaus dem Verkauf der neu gewonnenen kulturfähigen Ländereienzutließen würden. Die Ausführung der Arbeilen hatdie Anatolische Eisenbahngesellschaft einer neu gebildeten^Gesellschaft für die Bewässerung der Konia-Ebene", welcheihren Sitz in Frankfurt a/M. hat, gegen Übernahme dereigenen Verpflichtungen übertragen. Diese Gesellschaft hatnicht allein die Ausführung, sondern auch die Unterhaltungdes Werkes für die ersten fünf Jahre übernommen gegenErstattung der entstehenden Kosten unter Zurechnung von5 vH. Zinsen und 10 vH. allgemeinen Verwaltungskosten.Durch diese sehr zweckmäßige Maßnahme wird das Werkkünftig Vor Mißbrauch und Verfall so lange sichergestellt,bis die Bewohner sich an die neue Bewässerung und ihreBedienung gewöhnt haben werden. . ..Abb. 7. Straße in Kooia.Abb G, BriiüüOa vor den Torea von Kouia.Nach diesen Vereinbarungen wurde i. J. 1908 mitdem Bau der Bewässerangsanlagen begonnen. Während derAusführung entstand bei der türkischen Regierung der Wunsch,einige Änderungen des ui-sprünglichen Bewässerungsplanesvorzunehmen: es sollte ein Gebiet in der Nähe von Kenia,nämlich bei Kara-Arslam im Osten der Stadt von etwa5500 ha Größe, das bisher nur teilweise im Frühjahr GebirgsWassererhielt, im Sommer aber trocken blieb, dauerndwährend des Pflanzenwuchses mit 2 cbm in der Sekunde bewässertwerden. Ferner sollte eine am Tschartscharaba-Flußliegende Fläche von etwa 4200 ha Größe bei Simmi 1,5 cbmBewässenmgswasger erhalten. Endlich sollten an den Ausläuferndes Tschartschamba-Flusses nördlich der Bagdadbahnbei dem Dorfe Ovakeui Flächen von etwa ÖOOO ha Größe,die bisher nur im Frühjahr Bewässerungswasser erhielten,in trockener Zeit etwa 3,5 cbm bekommen. Diese Wünschekonnten berücksichtigt werden, weil sich inzwischen durchBeobachtungen an Pegeln, Verdunstungs- und Regenmessernergeben hatte, daß die Entwässerungsklüfte des Karawiran-Sees nicht so leJsttmgsfähig waren, um die Gewinnung von80000 Deunum bewässerbaren Landes in sichere Aussichtzu stellen. Deshalb wurden durch ein nachträgliches Abkom-,men mit der türkischen Regierung die Ziele der Bewässerungso geändert, daß der Umfang des Landgewinnes amEarawiran-See auf 20000 Deunum, d. s. 1840 ha beschränkt,ferner die felsigen Gebiete der übrigen zu bewässerndenFlächen nach den inzwischen ausgeführten örtlichen Untersuchungenausgeschlossen, im übrigen die oben dargelegtenWünsche berücksichtigt wurden. Die Gesamtgebiete aller zubewässernden Flächen sollten nach wie vor 580 000 Deunumoder 53319 ha betragen.4. Das Wasserbedürfnis und die Beschaffungdes Wassers im Bey-Schehir-See. Das Wasserbedürfniswar ursprünglich auf 1 Liter Wasserzuführung auf haund Sek. bei vierfachem Wechselbetriebe (Rotation), sonach auf0,25 Liter dauernder Zuführung auf ha und Sek. bemessenworden. Es wurde später, da genügend Wasser zur Verfügungstand, im Interesse einer gründlichen Bewässerungerhöht, nämlich auf 0,3 bis 0,33 Liter dauernder Zuführungauf ha und Sek. Ferner wurde statt des vierfachen Wechsolbetriebesein sechsfacher Betrieb eingeführt. Dies hatteseinen Grund in der Beschaffenheit des Bodens.


427 Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Ebene. 428Man verstelvt «ntor Bewässerung im Wechsel betrieb einVerfahren, bei dem das ganze zu bewässernde Gebiet inmehrere möglichst gleiche Teile »erlegt und jeder einzelneZeit liefern. In ^asBerreiciier Zeit, d. i. au Anfang jedenJahres, werden die Hochwassermeögen des Tsehartschaoaba-Flusses allein für die Bewässerung der Kenia-Ebene genügen.*rps7,oi-ff£^0.....*tfmoJuli Okt. Jan. y^. JuH Okt. Jan. AJIP.' JUB ükL. Jan. Apr. Jiill Okt. Jan. Apr. Jiifi Okt. Jan. Ajn". Juli tUtf- Jan- App. JuU OkL Jan.. Apr. Juli Okt.190% 1905 1306 ' 1907 1909 ISOa 1910 ISllAbb. 8. "Wasserständo dos Bey-Sclehir-Seep,Teil der Reihe nach mit dem ganzen zur Yerfügung stehendenWasser gespeist wird. Die nicht bewässerten Teilewerden inzwischen gründlich trocken gelegt. Die Vorteileeines solchen Verfahrens liegen darin, daß die Bewässerungwirksamer wird, daß nicht so viel Wasser durch Verdunstungverloren geht wie bei dauernd gleichmäßiger Verteilung indünner Schicht, besonders aber darin, daß eine kräftige Entwässerungder gründlichen Bewässerung folgt, daß sonachWasser und Luft in regelmäßiger Folge abwechselnd in denBoden eindringen. Die Wasserfäden, welche die Bewässerungim Boden erzeugt, werden zu Luftfäden bei der Entwässerung.Hierdurch gerade wird die Sauerstoffaufnahme derim Boden vorhandenen Pflanzennährstoffe in vorteilhaftesterWeise beschleunigt, das Wachstum der Pflanzen begünstigtund der reiche Ertrag bewässerter Ländereien begründet.Die Zahl der Teile, in die das Gebiet für den Wechselbetriebzu zerlegen ist, hängt von der Schnelligkeit ab, mitder das Wasser in den Boden eindringen und ihn von obennach unten durchstreichen kann. Dichte Bodenarten vonfeinem Gefüge gebrauchen hierzu mehr Zeit als durchlässigeBöden. Besonders die Aasbildung der Luftfäden nach jeder Bewässerungerfordert viel mehr Zeit in schweren Böden als inleichten. Daraus folgt, daß bei gleicher Dauer der Bewässerungdie für die Entwässerung bestimmte Zeit in schwerenBöden länger sein muß als in leichten; oder mit anderenWorten: Die Zahl der Wechselbetriebe muß bei schwerenBöden größer sein als bei leichten. Nun ist der Boden derKonia-Ebene im allgemeinen sehr schwer. Er kann dasaufgenommene Wasser nur sehr langsam abgeben, und eswar geboten, ihm hierfür längere Zeit zu gestatten, als beivierfachem Wechselbetriebe nur verblieb; es mußte deshalbder vierfache Betrieb in einen sechsfachen umgewandeltwerden. ^)Unter Berücksichtigung der Verluste durch Versickerungund Verdunstung auf dem langen Wege durch den Tachartsehamba,Verluste, die nur geschätzt werden konnten, weilgenaue Messungen hierüber nicht vorlagen, wurde das Wasserbedürfnisim Verbinduugskanai auf 22 cbm/Sek. oder amAusgange des Bey-Schehir-Seea auf 23 ebm/Sek. ermittelt.Diese Waasermenge muß der Bey- Schebir- See in wasserarmer1) Der ßücbgang der Baumwollernten ia Ägypten ist nebenanderen "Ursachen auch auf den dort geübten dreifachen Wechselbetriebzüriickzufähreo.Aber in den vier trockenen Monaten Juli bis Oktober w'irdman ausschließlich auf den Wasservorrat des Bey-Schehir-Sees angewiesen sein.23 cbm auf die Sekunde entsprechen in vier Monaten oder123 Tagen einem Verlust von 244,4 Mill. cbm. Das Einzugsgebietdes Sees ist ungefähr 3282 q^km groB. Der See hateine Obei-fläche von 68000 ha. Die Inseln, welche sich inihm befinden, haben zusammen ungefähr 3000 ha Größe,so daß für die Wasserfläche immer noch 65000 ha verbleiben.Der Boden des Sees föUt nach den Rändern verhältnismäßigsteil ab. In der Mitte ist er flacher und erreicht 7 bis 9 mTiefe. Wie die Wasserstände wechseln, zeigen die PegelaufzeichnungenTeit'Abb. 8. Mit Zustimmung der türkischenRegierung soll künftig der höchste Wasserspiegel 1127,25 merreichen dürfen und die Absenkung bis 1125,25, ausnahmsweisebis 1125 m geführt werden können. ZurGewinnung von 244,4 Mill. cbm Wasser ist bei 65 000 haeine Absenkung des Sees von nur 376 mm erforderlich. DieVerdunstung beträgt nach den bisher angestellten Beobachtungenin den vier trockenen Monaten etwa 500 mm. Eswürde daher eine Wasaeraufspeicherung im See erforderlichsein von 876 mm Höhe, um das für die Bewässerung nötigeWasser in den vier trockenen Monaten zu liefern. Aus denPegelaufzeichnungen ist ersichtlich, daß es immer möglichsein wird, bis zum Juli jeden Jahres die Wasserspiegelhöhe1127,0 m zu erreichen. Die Absenkung von 876 mm würdeden Wasserspiegel bis 1126,12 m senken. Diese Wasserspiegelhöhenliegen nicht nur innerhalb der von der türkischenRegierung vorgeschriebenen Grenzen, sondern auch innerhidbder bisher vorgekommenen Wasserhöhen des Sees, denn dasgrößte Hochwasser hatte bisher 1127,5 m und das tiefsteWasser 1126,11 m erreicht.Das Wehr am südöstlichen Ende des Sees beim OrteBey-Sohehir besteht nach Abb. 2 und 3 B1.49 aus 15 SchÜtz


429 Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Ebene. 430'mm^^.*~^'^märannJAbb. 9. "Wehr am Bey-Scliehir-See vom Oberwasser.Wassermenge abzuführen, sondern auch um zu hohe Anechwellujigendes Sees zu verhüten. Diese Anschwellungenwerden bei der großen Ausdehnung des Sees sich nur sehrlangsam einstellen, besondere Einrichtungen zum selbsttätigenAbfließen des Wassers bei höheren Wasserständen durchÜberfülle oder dgl. konnten daher entbohrt werden.Eine Landstraße mit 4,5 m breiter Fahrbahn und zweiFußwegen von je 1 m Breite führt neben dem Wehr überden Bey-Schehir-Flüß. An der einen Seite dieser Straßewurde über den <strong>Sp</strong>indeln der Schützen eine Bogenreihe ausHausteinen errichtet. Sie soll den Anfang des Bewässerungsgebietesarchitektonisch dem türkischen Geschmack entsprechendkennzeichnen. Die beiden Text-Äbb, 9 u. 10 zeigendas Wehr vom Ober- und Unterwasser.5. Der Karawiran-See und der "Verbindungskanal.Der zweite See im Zuge des Bewässerungswassersnach der Konia-Ebene, der Karawiran-See, hat wegen derKalksteint lüfte an seinem Südrande viel Schwierigkeiten verursacht.Der See ist 68 km vom Bey-Schehir-See entfernt.Er hat im Norden, Westen und Osten flach auslaufende Ufer,an der Ostseitfj sandigen Untergrund. Die Wirkung der Kalksteinklüftezeigt sich in dem Wechsel des Wasserspiegels.Bei der Hohe 1099,67 m beträgt die Oberfläche des Seesetwa 20000 ha, bei dem niedrigsten bisher vorgekommenenWasserstande 1096 m nur noch 13500 ha. Bei diesemStande hat der See nur 4 m Tiefe. Am Ostende befindetsieh der Abfluß nach dem Baliklowatal. Dieser Abfluß istAbb. 10. Bey-Schehir-"Wehr vom Unterwasser.aber gewöhnlich durch einen Damm geschlossen, so daß derWasserspiegel des Sees hoch anschwellen kann. Der Dammist durch die Sandmassen entstanden, welche bei westlichenWinden vom Seegrunde gegen das Ufer getrieben werden.Wenn das Wasser zu hoch stieg, so daß es den Bauern inden benachbarten Dörfern lästig wurde, so pflegten sie denDamm zu durchstechen; es tloß dann das Wasser nach demBaliklowatal ab. Aber die Sandanhägerung bildete sich immerwieder von neuem und versperrte nach wie vor die Vorflut.Die in den letzten Jahren ausgeführten Untersuchungenüber die Wirkung der Klüfte ergaben, daß bei mittleremWasserstande nur 10 cbm i. d. Sek. abgeführt wurden.Diese Wassermenge ist zu gering, um hierauf eine erfolgreicheEntwässerung zu gründen. Von der Gesellschaft fürdie Bewässerung der Konia-Ebene wurde deshalb in Ergänzungdes ursprünglich aufgestellten Entwurfs nachträglich angeordnet,daß die Entwässening des Sees durch eine jederzeitverfügbare Yorflut nach der Baliklowa-Schlucht unterstütztwerde. Es wurde eine Schleuse am Ende des Sees beimDorfe Serai erbaut und ein ausreichend tiefer Vorflutkanaloberhalb und unterhalb dieser Schleuse zur Entwässerungdes Sees angelegt. In das Unterwasser dieser Schleusemündet der Verbindungskanal. Durch diese Maßnahme wirdes möglich werden, den Wasserspiegel des Sees sicher zusenken und ihn dauernd in genügender Tiefe zu erhalten,80 daß eine Fläche von 1840 ha bewässerbaren Landes gewonnenwerden kann.•Abb. n.Alte Brücke über den Bey-Schehir-Fluß boi Kilissedjik.<strong>Zeitschrift</strong> f. <strong>Bauwesen</strong>. Jiihrg. <strong>LXII</strong>.Abb, 12. Haus in Karawiran.28


431 Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Ebene. 432Wassermassen, die das Abführungsvermögen des Kanals übersteigenund die zu einer Anschwellung des Wasserspiegelsim Kanal führen könnten, nach dem Karawiran-See abfließen.Durch flache Furten wurde dafür gesorgt, daß die zahlreichenBüfTelberden, welche in der Niederung weiden und denender Zutritt zu dem frischen Wasser nicht verwehrt werdenkonnte, bequeme Tränkstellen erhielten. Für die Bewässerungdes zwischen dem Terbindungskanal und dem Karawiran-Seegewonnenen neuen Landes von 1840 ha Größe sind sechsEinlaßschleusen vorgesehen. Durch diese soll das Gebiet insechsfachem Wechselbetriebe künftig bewässert werden.Abb. 13.Arbeiter am VerbindungskaraLDer Umstand, daß der tiefste Teil des Sees nicht trockengelegt wird, sondern dauernd als Wasserbecken erhaltenbleibt, wird später von großem Nutzen sein. Es wird dasHochwasser des Bey-Schehir-Flusses aiitg-enomraen werdenkönnen, so daß es nacli und nach dem Äbführungsvermögendes Tschartschamba-Flusses entsprechend abgeführt werdenkann; es wird auch das Wasserbecken zur Erhaltung einerglelchtnäßi^^en Feuchtigkeit der Luft in seinem Kossei beitragen,daher eine wohltätige Wirkung auf den Pflanzenwuchsder neu gewonnenen Landtlächen ausüben. Eine Voretellungvon der Umgebung des Sees geben die Text-Äbb, 11 u. 12.Abb. 11 stellt eine alte Brücke über den Bey-Schchir-KluO beimDorfe Kilissedjik dar, Abb. 12 ein Haus ira Orte Karawiran.Der Verbindungskanal wurde angelegt, um das im Bey-Schehir-See angesammelte Bewässerungswasscr bei derZuleitungnach der Konia-Ebene nicht unter die Wirkung der Klüftedes Karawiran-Sees zu bringen und um die Zuleitung diesesWassers unabhängig von der Hochwasserführung des Bcy-Schohir-Flusses zu machen. An der AbzweigungsstoUe desKanals aus dorn Fluß wurde eine Schleuse erbaut und ingeringer Entfernung hiervon eine zweite Schleuse im Verbindungskanalselbst. Die Schleuse im Bey-Schehir-Flnß hatden Zweck, den Wasserspiegel so hoch zu heben, wie esfür den Eintritt in den Yorbindungskanal geboten ist. DieSchleuse im Verbindungskanal soll dazu dienen, die Zuleitungdes Wassers in den Kanal zu regeln, ihn insbesondere vorHochwasser des Bey-Schehir-Flusses zu schützen, welches ernicht zu fassen vermag. Die Ableitung der Hochwassermengengeschieht nach dem Karawiran-See teiU durch einbreites Wehr mit Stoneyschleusen im Bey-Schehir-FIuß, dasneben dem Schützenwehr errichtet wurde, teils durch einenam Anfang des Verbindungekanals angelegten Überfall von100 m Länge.Der Kanal zieht sieh längs des Hühenrandes hin. Erhat in seinem Hauptteil 0,125 vT. Gefälle und 1,85 mWaseertiefe. Seine Ausführung erfolgte teils mit Hilfe vonTrockenbaggern teils vermittels Schubkarren. Text-Abb. 13zeigt Arbeiter am Verbindungskanal. Das von den Höhenkommende Tagewasser wurde nur an wenigen Stellen unterdückert,meist frei in den Kanal geleitet. Um aber denKanal durch die Zuführung großer Wassermassen nicht zuüberlasten, wurden die den Einmündungen gegenüber liegendenKanalböschungen als Überfälle ausgebaut, SO daß alleG. Die Baliklowa-Schlucht und der Tschartschamba-Fluß.Wenige Kilometer unterhalb des Karawiran-Sees beginnt die nach dem Dorfe Baliklowa genannte Schlnclit.Text-Abb. 14 u. 17 zeigen die Schlucht und das Dorf. DieSchlucht ist schmal, nur 50 bis 60 m breit, wird aberdurch 100 bis 200 m hohe steile Felsen umschlossen. VorAusführung der Bowässorungsarbeiten war diese Schlucht imallgemeinen trocken, denn sie wurde nur selten für die Ableitungdes Karawiranseo-Wassers in Anspruch genommen.Sie wurde daher landwirtschafllich für Getreide- und Gemüsebauausgenutzt. Sobald aber das Wasser des Sees durchdie Schlucht hindurchfloß, vernichtete es die Erträge. Fürdas Bewässerungsnnternchmen mußte die Schlucht zur Aufnahmedos Kanals eingerichtet werden. Der Gemüse- undGetreidebau wurde daher auf die breiten Teile des Talesbeschränkt. Hier kann 'er dafür mit voller Sicherheit ausgeübtwerden. Die Schlucht hat vom Karawiran-See biszur Mündung des Tschartschamba auf 22,23 km Länge18,9 m Gefälle. Dies Gefälle ist durch mehrere massiveAbstürze unterbrochen, so daß das abfließende Wasser nur0,5 vT. Gefälle erhält. Die Wasserstürze wurden als festeWehre mit senkrechten Rücken und Wasserkissen ausgebildet.Der Höhenplan Abb. 5 Bl. 49 erläutert die Gefällverhältnissevom Bej-Schehir-See bis 7.ur Konia-Ebene.Die Fortsetzung derBaliklowa-Schlucht bildet die Tschartschamba-Schlucht.Sie beginnt am Einfluß dea von SüdenAbb. 14. Baliklowa-Schlucht.


433 Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Kbcne. 434,ryAbb. 15. Alte Brücke über den Tscbarts ob ambaüuß bei Bawuk.Abb, IG. Neuo Brücke bei Bawuk.kommenden Tsehartschamba-Flusses. Das Tal ist ebenso eng,die Gebirge sind ebenso hoch wie in der Baliklowa-Schlucht.Nach einem Lauf von 36,58 km erweitert sich das Tal, dieGebirge treten zurück, stellenweise so weit, daß ausgedehntebewässerbare Niederungen entstehen. Endlich gewinnt derTscliartscharaba-Fluß die weite Konia-Ebene. Die Entfernungvom Beginn der Tscliartschamba-Sclüucht bis zur Bagdadbahnbeträgt 102,96 km. Hiervon entfallen 36,58 km auf dieTschartschamba-Schlucht selbst und CG,28 auf die Talerweiterungunterhalb der Sclilucht. Das GesamtgefälleAbb. 17. Baliklowa.beträgt 72,8 m, von denen wiederum auf die Schlucht 46,7und auf die Talerweiterung 26,1 m entfallen.Die zahlreichen aus den schmalen Seitenschluchten zuströmendenBäche fülireu zur Hoch wasserzoit mächtige Geschiebemassen,die sich als breite Schuttkegel in der Schlucht absetzenund den Lauf des Flusses oft ganz sperren. Umdie nachteiligen Wirkungen dieser Geschiebemasseu für dieZuleitung des Bewässerungswassers aufzuheben, war es nötig,kostspielige Trockenmauern in den Gebirgstälern und an ihrenMündungen auszuführen. Die Regulierung des Flusses selbstgeschah unter Anlage mehrerer AVasserstürze mit Gefällenvon 0,5 bis 2 vT, in der Tschartschamba-Schlucht und 0,15bis 0,5 vT. in der unteren Talerweiterung. Die Neigungender Gefälle waren abhängig von der Größe der Geschiebe.Man richtete sein Augenmerk bei der Regulienmg vornehmlichdarauf, einen guten Abfluß des Bewässerungswassers, sodannaber auch eine möglichst unschädliche Abführung des Hochwasserszu erreichen. Zu dem Ende wurden die Barrenim Fiußtal durchbrochen und die gewonnenen Boden- undGesteinsmassen so verteilt, daß an einer Seite des Flußtalsein hoch wasserfreier Weg entstand. Auf diese Weise wurdeneben der Wasserregulierung ein bequemer und sichererA'^erkehrsweg in der Schlucht gewonnen. Ein solcher Wegwar früher nicht vorhanden. Das Bewässerungsunternehmenhat somit den Bewohnern einen wichtigen Nebenvorteilgebracht.Die Brücken über den Tsehartschamba mußten fast ausnahmslosneu erbaut werden. Die alten Brücken hattensteinerne oder hölzerne Pfeiler. Die hölzernen Balken wurdenwagerecht übereinander geschichtet und zwar mit zunehmenderAusladung, so daß mit der Höhe die Pfeiler breiter, dieÖffnungen enger wurden, bis schließlich die Länge einesBalkens zur Überdeckung genügte. Text-Abb. 15 zeigt alsBeispiel die alte Brücke bei Bawuk, Test-Äbb. IG die neueBrücke mit steinernen Pfeilern und eisernem Überbau.Der Tschartschamba-Fluß kreuzt die Bagdadbahn untereiner ausreichend weiten massiven Brücke. Unterhalb derBahn teilt sich der Fluß in drei Läufe, die jeder einzelndurch eine Schleuse abgeschlossen Averden können. DieseSchleusen sind alte Bauwerke der heimischen Bevölkerung.Sie sind massiv und solide aufgeführt und in solchen Abmessungengehalten, daß die Weiten der Offnungen den vonihnen beherrschten Bewässerungsgebieten entsprechen. DieWerke bleiben auch in Zukunft ihrer Bestimmung erhalten.Sie werden aber künftig von den Bewohnern nicht alleinwie bisher zur Zeit der Frühjahraschmelze benutzt werdenkönnen, sondern auch in trockenen Zeiten, wenn Bewässerungswasserbisher im Tschartschamba fehlte.7. Die Verteilung des Wassere und die Hauptkanäle.Nach dem Abkommen mit der türkischen Regierungsind den Flächen bei Kara-Ärslam in der Nähe von Koniaregelmäßig 2 cbm/Sek., den Flächen bei Simmi 1,5 cbmund den bei Ovakeui 3,5 cbm/Sek. zuzuführen. Im übrigensind die trocken gelegten Ländereien am Karawiran-See imUmfange von 1840 ha und die in der Konia-Ebene mit32370 ha planmäßig zu bewässern. Nach diesem Erforderniswurde unter Berücksichtigung der Verluste durch Verdunstungund Yersickerung die Wasserführung der Kanäle28*


435 Uerhardt, Die Bewässerung der Konia-Ebeno. 436Wasserzuführung im ersten Wechsel betrieb.Bezeichnung der StreckeAm Auslaß des Bey-Schehir-SeesYerluste im Bey - Schehir-FlußAm Anfang des Verbiudungstanalabei KilissedjikBewähsorungsgebiet am Karawiran-SeeYerlu&te im Verbindungskanalund TschartschambaAm Anfang von Simmi . .Bewässerungsgebietb. SimmiTerluste im TscliartschambaAm "Wehr bei Jaila • - • ,Bewässerung der Abt. 1 .Verluste im Hauptkanalnach Kenia . . • • •Bewässerung bei Kära -ÄrslamVerluste im Tschartschambazwischen Jaila und Po -staldjikAm Wehr bei Postaldjik .Bewässerung der Abt. 11Unterhalb des "Wehres beiPostaldjikVerluste im TschartschambaBewässerangsgebiet bei OvakeuiZur Verfügung . • - •berechnet.ZusammenGrößerungsebieha1&404235<strong>1912</strong>55<strong>520</strong>96703575935453319cbea/Sek. Cbm/Sek. obm/Set. Cbm/Sek,0,71,56,42.03,61,23,518,91,00,70,10,50,20,21,44,11.0} 1,69,1} 4,8l 5,123,0rungawusserVeilustwasseiZusammenWasser-[jihriiQgim FJaa23,022,020,619,09,95,1Die vorstehende Übersicht zeigt die Leistung derKanäle im ersten Wechselbetrieb.Es erheilt hieraus, daß das aro Karawiran-See gewonneneBewässerungsgebiet von 1840 ha 0,7 cbm Wasser i. d. Set.erhalten wird, so daß einschließlich der Verluste in denZuleitem 0,381 auf ha und Sek. verteilt werden. Ander Abzweigung bei Simmi würde die im Tschartschambazugeführte Bewässerungsmenge noch 20,6 cbm/Set. betragen.Die Entnahme von 1,5 cbm für Simmi, für eine Fläche von4235 ha, würde einer dauernden Zuleitung von 0,35 cbm/hau. Sek. entsprechen. An der Abzweigung des ersten Hauptkanalsfür die Bewässerung der Konia-Ebene werden noch19 cbm sekundlich zur Verfügung stehen. Das ganze Bewässerungsgebietder Konia-Ebene ist in drei Abteilungenzerlegt. Das erste und größte Bewässerungsgebiet von<strong>1912</strong>5 ha gebraucht ira ersten Wechselbetrieb 6,4 cbmsekundlich. Das Oebiet von Kara-Arslam erfordert einschließlichder Verluste in dem langen Zuleiter 2,5 cbm.Der Hauptkanal der Abteilung I, welcher auch das Wassernach Kara-Arslam führt, muß daher 8,9 cbm sekundlich befördernkönnen. Unterhalb der Bagdädbahn bei Postaldjiksind die Abzweigungen für die Bewässerungsgebiete II und IIIder Konia-Ebene. Hier stehen unter Beachtung der Tschartschamba-Verluste9,9 cbm zur Verfügung. Aber nach Ableitungdes für II und III nötigen Wassers verbleiben nurnoch 5,1 cbm. Diese Wassermengen dienen dazu, um 3,5 cbmsekundlich nach den Dörfern bei Ovakeui abzugeben undetwa 0,2 cbm Verluste im Tschartschamba-Laufe auszugleichen.Es bleiben dann immer noch 1,4 cbm Wasser zur Deckungunvorhergesehener Verluste oder anderer Bewässerungs-•wünsche zur Verfügung.Die Verteilung des Wassers in der Koniaebene erfolgtdurch Kanäle erster, zweiter und dritter Ordnung. Die Lageder Kanäle erster Ordnung oder der Hauptfcanäle war gegebenteils durch die Örtlichkeit der Bewässerungsgebiete,teils durch die Beschaffenheit des Flusses und die Möglichkeitseiner Anstauung zur Hebung des Wassers, teils durch dasErfordernis, den Hauptkanal längs des künftigen Bewässerungsgebietsso hoch zu führen, daß sein Wasserspiegel das Gebietvollkommen beherrscht. Die erste Abteilung-liegt ausschließlichwestlich der Bagdadbahn. Sie besteht aus zwei Teilen,von denen der größere nördlich, der kleinere südlich vomTschartschamba liegt. Die zweite und dritte Abteilung liegenan der entgegengesetzten Seite der Bagdadbahn und zwarrechts und links vom Tschartschamba-Fluß.8. Die Bauwerke für die Hauptkanäle. Etwa3,5 km oberhalb des ersten Bewässerungsgebieta wurde indem Tschartschamba-Fluß bei Jaila ein Stauwerk erbaut. EsBtOSAbb. 18. Längenschnitt durch den Brückenfcanal.437,5, Wehr .lOnwnrf;Abb. 19. Eiseneinlage am Bruckenkanal,I 7 wjf imAbb. 20. Lageplan des Tschartschamba-Flusses bei Jaila.hat die Aufgabe, das Bewässerungswasser genügend hoch zuheben. Neben diesem Stauwerk liegt die Mündung desHauptkanals (vgl, Abb. 4 Bl. 50). Das Wehr besteht auseinem Schützenwehr von sechs 1,5 m breiten Öffnungen, diedurch 1,2 m breite steinerne Pfeiler getrennt sind. Zweidieser Öffnungen sind dem Flußlauf entsprechend tiefer angelegtals die übrigen. Zur HochwaeserabfOhrung dienenvier weitere Öffnungen von je 5 m Weite, die durch Stoney»schützen {^schlössen sind, und ein ÜberfaU. Abb. 1 BL 50zeigt den Querschnitt und Abb. 2 Bl. 50 einen Längen-»schnitt des Jailawehres. Teit-Abb. 21 gibt die Aneicht desWehres, Die Mündung des Hauptkanals für die Abteilung Iist durch eine SinlaBscMeuse geschlossen, die nach demLageplan Abb. 4 Bl. 50 und dem Querschnitt Abb. 4 Bl 49 aussieben Schützöffnungen von je 1,3 m Weite besteht. Ihre Sohle


437 Geriiardt, Die Bewässerung der Konia-Ebene. 438Abb. 21. Wehr bei Jaila.liegt so tief, daß von dem im Fluß angestauten Wasserstets die nötige Menge in den Hauptkaaal fließen kann.Die Schützöffnnngen sind überwölbt, eine Straße führt überdie EinlaßBchleuse. Die Öffnungen werden wie die Schützenim Tschartschamba-Wehr durch eiserne Schütztafeln geschlossen,welche durch Schrauben spindein gehoben und gesenktwerden können.Ans dem Lagoplan Text-Abb. 20 ist ersichtlich, daßdie Binlaßschleusse an der rechten Seite des Mussea liegt. Hierliegt auch das durch den ersten Seitenkanal zu bewässerndeGebiet der Abteilung I. Der größere Teil des Gebiets von Iliegt an der linken Seite des Flusses. Das Bowässerungswassermuß daher in hoher Lage den Tschartschambaflußkreuzen. Dies gescliieht durch einen Brüekenkanal, dessenBauart in Abb. 3 Bl. 50 sowie in Text-Äbb, 18 u. 19 dargestelltist. Der Kanal hat bei 2 m AVassertiefe G m Sohlenbreite.Die Sohle besteht aus Eisenbeton von 0,3 m Dicke. ZurDichtung wurde eine 5 cm starke Asphaltschicht aufgebracht,die sich auch über die Böschungen hinzieht. Die Seitenmauernsind ans Bruchsteinen aufgeführt.Auch für die Bewässerungen der Abteilungen 11 und IIIist die Anstauung des Wassers im Tschartschambafluß nötig.Dies geschieht durch ein gemeinsames Wehr unterlialb derBagdadbahn bei Postaldjik nach dem Lageplan Abb. 6 Bl. 50.Das Wehr besteht wiederum aus einem gewöhnlichen Schützenwehrvon sechs 1,5 m breiten Öffnungen und aus einemdaneben liegenden Hochwasser wehr mit vier Öffnungen von5 m Weite, die durch Stoneyschützen geschlossen werden,sowie aus einem angemessen langen Überfall. Die Schleusensind durch hoehwasserfreie Dämme zugänglich. Neben demWehr sind die Einlaßschlensen für die Abteilungen II undIII angelegt, deren Bauart der Einlaßschleuse bei Jailaentspricht.9. Die Kanäle zweiter und dritter Ordnung.Die Kanäle zweiter Ordnung dienen nur zur Verbindung derHauptkanälo mit den Kanälen dritter Ordnung, den eigentlichenBowässerungsZügen. Da die Hauptkanälo dem Geländemit geringem Gefälle folgen und auch die Kanäle dritterOrdnung zur Abgabe des Bewässerungswassers nur schwachesGefälle haben dürfen, so werden alle Verbindungskanäle ambesten quer zu ihnen, also in der Richtung des atäi-kstenGefälles angelegt, Sie erfordern dann den geringsten Querschnittund verursachen wenig Erdarbeiten. Sie müssenaber stete so geführt werden, daß sie die höchsten Stellendes Geländes erreichen. Zu dem Zwecke war es Öfterserforderlich, sie über tiefere Lagen hinweg aufzudämmen.Die Querschnitte der Kanäle zweiter Ordnung wurdenwie die der ersten Ordnung nach der Wasserführungberechnet.Die Kanäle dritter Ordnung oder die eigentlichen Bewässerungskanäleliegen am günstigsten schräg gegen diewagerechten Schichtenlinien, die man über das Gelände legenkann. Der Wasserspiegel muß so hoch liegen, daß er durchschnittlichum 25 cm das Gelände überragt. Mindestensmüssen die höchsten Stellen des Landes vom Wasser erreichtwerden können. Durch die hohe Lage des Wasserspiegelsentsteht für diese Kanäle stets die Notwendigkeit, sie aufzudämmen,und die Schwierigkeit bei ihrer Ausführung liegtdarin, den für die Aufdämmungen nötigen Boden auf wohlfeileund bequeme Weise zu gewinnen. Eine Berechnungdieser Kanäle nach der Wasserführung ist nur in sehr seltenenFällen erforderlich, denn die Wasserführung ist im Verhältniszu dem durch die Aufdämmung ohnehin gewonnenenQuerschnitt gering.Die Bodenmassen für die Kanäle dritter Ordnung könnenauf verschiedene Weise gewonnen werden: aus Einschnittstrecken,durch Führung auf den Böschungen benachbarterKanäle, durch Entnahme des Bodens aus benachbarten Entwässerungsgräbenoder durch Bodenenfnahme neben oderinnerhalb des Kanals selbst. Einschnittstrecken sind gewöhnliclinur in sehr geringem Umfange an den oberen Endender Kanäle vorhanden. Die Führung auf den Böschungeneines benachbarten Kanals zweiter oder dritter Ordnung kannselten und auch dann nur in beschränkter Ausdehnung geschehen.Vorteilhafter und in sehr vielen FäUen anwendbarist es schon, neben dem Kanal dritter Ordnung einen Entwässerungskanaldritter Ordnung anzulegen, gleichlaufendmit ihm. Dann kann der im Entwässerungskanal gewonneneBoden zur Äufdämmung des Bewässerungskanals benutztwerden. Dies sonst bequeme Mittel ist leider nicht überallanwendbar: denn die Entwässernngskanäle müssen grundsätzlichden Senkungen des Geländes folgen, um Versäuerungendes Bodens zu begegnen, während die Bewässerungskanäledie Höhen des Feldes beherrschen müssen. Gänzlichzu verwerfen ist, was leider oft geschieht, den Boden fürAbb, 22. Hauptschleuse bei Eara-Aislam.


439 Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Bbene. 440HcskjD,2SAbb. 23. Qaerscbuitt. 1:125.Abb. 24. LäagenBohaUt. L:350.Abb. 25. Querscbnitt durch eine Bowässorungssehleusezweiter Ordnung.DeichkroneAbb. 23 u. S4. Bewässeningstanal dritter Ordnuag.die Kanäle dritterOrdnung seitlich nebendem Gelände zuentnehmen. Dadurchentstehen längs derBewässerungskanälebreite Wasserlöeher,die eine Gefahr fürden Verkehr auf demBe"wässenmgafelde bilden und durch welche viel Land derlandwirtschaftlichen Benutzung entzogen -wird.Am Torteilhaftesten ist es, den Bodea für die Aufdämmungender Kanäle dritter Ordnung innerhalb der Kanäleselbst zu entnehmen, und zwar nach Text-Abb. 23 in solcherTiefe und Breite, daß das Erfordernis der Anßchüttung ge*deckt wird. Die Bodenentnahme darf aber nicht durchgehend,sondern nur in Abschnitten erfolgen, wie der LängenschnittText-Abb. 24 zeigt, so daß webrartige Bücken im Längenschnittdes Kanals stehen bleiben. Bei diesem Terfahren wirddas Land zu beiden Seiten des Bewässernngskanals geschont,Löcher werden vermieden, und der Boden bleibt der landwirtschaftliehenBestellung erhalten. Der Querschnitt desKanals ist für die Wasserführung übermäßig groß. Es nimmtdaher das Wasser nur eine sehr schwache Neigung an; aberdie in der Längsrichtung stehen gebliebenen Rücken tragenzur Hebung des Wasserspiegels bei. In den zwischen denBücken liegenden Becken erhält das BewÄsserungswassereine so geringe Oeschwindigkeit, daß sich die mitgeführtenSinkstoffe absetzen. Dadurch füllen sich die tiefen ÄussohacbtUDgenin den Kanälen nach und nach zu. Die stehengebliebenen breiten Rücken bieten eine bequeme Gelegenheit,um Feldwege als flache Furten über den Kanal zu führen.Es sind nur kurze Itampen erforderlich, mit denen die niedrigenSeitendämme erstiegen werden können.Die von den Bewässerungskanälen dritter Ordnung inder Konia-Ebene beherrschten Gebiete sind 60 bis 300 hagroß, durchschnittlich haben sie 150 ha Größe, Die lilngeder Kanäle beträgt im allgemeinen 2,5 kmi Einlaßöchleusensind an allen Abzweigungen erforderlich, sowohl an den oberenAbzweigungen der Kanäle zweiter wie dritter Ordnung. Siedienen zur Reglung der Bewässerung in den Weohselbetrieben.Text-Äbb. 25 zeigt den Querschnitt einer Bewässerunpechleueezweiter Ordnung. Text-Abb. 22 stellt die Hauptschleusebei Kara-Arslam dar.10. Die Entwässerungskanäle. Entsprechend denBewässerungskanälen wurden auch Entwässerungskanäle Überdas Gelände gelegt. Das sind Kanäle, die das aufgeleiteteBewässerungswasser, welches nicht in den Bodeneindringtj sammeln und ableiten. Die Sammlung und Abführungdes überschüssigen Wassers ist erforderlich, um denBoden vor Versumpfungen zu bewahren. Wie bei den BewässerungskanälenKanäle erster, zweiter und dritter Ordnungzu unterscheiden sind, so sind auch für die EntwässerungenKanäle dritter, zweiter und erster Ordnung erforderlich. DieEntwässerungskanäle dritter Ordnung sammeln das Wasserauf dem Bewäesenmgsfelde, sie müssen daher alle tiefenSenken des Geländes treffen; die Kanäle zweiter Ordnungvereinigen die gesammelten Wassermengen und führen sieden Hauptentwässerungskanälen erster Ordnung zu. Diesewiederum fuhren sie in den Fluß, den Tschartschamba Tschai,zurück.Die wirtschaftlich beste Verwendung des Wassers würdegeschehen, wenn die Entwässerungskanäle gar nicht benutztwerden; denn es handelt sich hier immer nur um anfeuchtende,nicht um düngende Bewässerung. Die Ableitung istdaher nur ein notgedrungen angewandtes Mittel, welcheseinzig den Zweck hat, das Land vor übermäßigen Wasseransammlungenund Versumpfungen zu bewahren. Da dergrößte Teil des aufgeleiteten Wassers immer in den Boden eindringenwird, so bleibt nur ein geringer Teil für dieBntwässerungszügeübrig. Es genügt im allgemeinen, wenn die Ehtwässerungszügenach dem dritten Teil derjenigen Wassermassenberechnet werden, welche die Bewässerungskanäle führen.Für die Entwässerungszöge dritter Ordnung ist eine Berechnungselten erforderlich, weil diese Kanäle meist zur Bodenlieferungfür die aufgedämmten Bewässerungskanäle dienen.11. Die Bewässerung im sechsfachen Wechselbetriebe.Wie oben unter 4. ausgeführt wurde, soll dieHml\rV/fgss/SlfS23M,3/fSiimSz^e7d^ . ._^^j^J^^^..f^j«*:.g^tjut'Ld-S/üt.S7^*J\i^Ss Srr S/3 SisfM^ia^^SOm4i73\Ji*f^fSka^aTS^it4tf|ii//ffSM^Ißcö/n1tS$\^*SmrAa^adm.i:^^\ZS^elm Ld,SalkSP4^» I *. J/SrsfäSäha. fSOcSat32 SS STZ STfS3 S* SS^M\4» f33\4»e 4J*\4Se"VI &GeBn LAStÄ. SJ SSS.f7\S8SSJffSwSJS\*BtSfZSt*x3eSa ß.*tdm.SIS^afj^g.Zt2\mi^X^^^sta»ZSO^Ifo'S&Slk S17 S/9Abb. 26, Wagserznführung des Haaptzaleiters der Abteilung I bei sechsfachem Wechselbetriebe.ZS».-


441 Gerhardt, Die Bewässerung der Konia-Ebene. 442Bewässerung im sechsfachen Wech seibetriebe unter Zugrundelegungeiner dauernden Zuführung von 0,3 bis 0,331Wasser auf ha u. Sek. geschehen. Bei solchem Betriebewürden daher die unmittelbar bewässerten Flächen 1,8 bis21 Waßser auf ha u. Sek. erhalten. Um nun die Kanäle nichtübermäßig groß und kostspielig werden zu lassen, wurde der"Wechselbetrieb auf die Kanäle'dritter Ordnung verlegt. DieseKanäie werden durch die Zuleitung von 2 1 Wasser auf hau. Sek. nicht verteuert, weil sie zufolge ihrer aufgedämmtenBauart groß genug sind.Die Kanäle zweiter Ordnung wurden so bemessen, daß1 1 Bewässerungswasser auf ha u. Sek. durch sie zugeführt•werden iann, Sie würden daher einen dreifachen "Wechselbetriebertragen oder bei sechsfachem Betriebe zweimal hintereinanderbenutzt werden können. Dies bei der Konia-Ebenegewählte Verfahren erleichtert die Einrichtung des Wechselbetriebes.Die Hauptkanäle haben nur ein Zufühmngevermögen von0,3 bis 0,33 1 Wasser auf ha u. Sek. Infolge dieserverhältnismäßig geringen Wasserführung werden diese größtenund teuersten Kanäle ziemlich wohlfeil. Sie werden dafflraber ständig in Anspruch genommen, laufen überhaupt nietrocken. Dies ist nicht als Nachteil, sondern unter Umständen,wie z. B. bei gedichteten Strecken, als Vorteil anzusehen.Aber bei der Berechnung der Haupttanäle ist Rücksiehtauf den Wechselbetrieb insoweit zu nehmen, als Querschnittund Gefälle der Kanäle der durch die Entnahmestellen.geschwächten Wasserführung angepaßt sein müssen und dieWasserspiegel an den Abzweigungen der Kanäle zweiterOrdnung die erforderliche Höhe haben müssen. Die Berechnungmuß daher in der Weise erfolgen, daß man für jeden'Wechselbetrieb die Beanspruchung der Kanäle an jeder Streckeermittelt. In Text-Abb. 26 ist dies beispielsweise für denHauptzuleiter der Abteilung I übersichtlich geschehen. Hiernachkönnen die Querschnitte an den verschiedenen Stellen bestimmtund die Gefälle des Wassers sowie die Höhe des Wasserspiegelsan den Abflüssen zweiter Ordnung ermittelt werden.Wie nun die Flächen der drei Abteilungen I, II und III^sich auf die Wechselbetriebe verteilen, zeigt die Übersichtauf S. 442. £s erhellt daraus, daß die Flächen ziemlichgleichmäßig den einzelnen Wechselbetrieben zugeteilt sind.Eine Gesamtdarstellung der Bewässerungskanäle erster undzweiter Ordnung gibt der Lageplan Abb. 5 Bl 50.12. Regulierung der Bewässerung und Ausführungder Arbeiten. Vor Eröffnung des BewäSBenmgsbetriebesmüssen diö Kanäle jeder einxftln für sich unddemnächst jeder im Zusammenhang mit den Nachbarkanälengeprüft und berichtigt werden. Die Prüfung hat sich aufetwa nötige Änderungen des Querschnittes und des Längengefällesnach der Wasserführung, der Höhenlage des Geländesund dem Zusammenhang mit den benachbarten Kanälen zuerstrecken. Denn die theoretische Berechnung der Kanälekann nicht an jeder einzelnen Stelle mit dem praktischenErfordernis Übereinstimmen. Änderungen nach dem Ergebnisder Probebewässerungen sind immer erforderlich.Die Begulierungsarbeit muß bei den Kanälen dritterOrdnung begonnen werden. Diese Kanäle sind so einzurichten,daß, wenn durch ihre EiniÄfischleusen die vorgeschriebeneWassermenge eingeleitet wird, alles Bewäßse-Hanpt-IIIinhierzu I,^iVerteilung der Flächen auf sechs Wechselbetrfebe.T. OrdnungBevässening».IL Ord-S. 1. 2« 3. 4. 8. 0. 10« U. 13« 14. 15, 16. 17« IH. 19S. 1. 2r.34S. 1. yn a« 4Zus.1ha14721404151151057319976982016093272105373199160953452ha1523Wechselbetriebe2404061053322277280715793122775893222157953903ha10451201901314776480315673113496603147156753744ha9301172895180317794469016342821142066023177163454135ha12501451905532301037033174969709167821513420755631741678540B6ha129718054632815869732069326711603353101177631320616035440^asammeneinzelnha2995197525471451801902402373140109982117961155582110103158180140023252845243020709508501185590in dnnÄbtei-Inngsnha<strong>1912</strong>59 6703 57532 370rungswasser planmäßig über die Ufer tritt, eo zwar, daßdie an jeder Stelle übertretende Wassermenge der Breite desGeländes entspricht. Nur dann kann eine gleichmäßigeSättigung des Landes mit Bewässerungswaaser erfolgen. DieYerteilung des übergetretenen Wassers auf dem Bewässerungsgebieterfolgt durch die Landbewohner selbst. Sie pflegendas ihnen zugeführte Wasser durch kleine Graben nach Beliebenweiter zu verteilen und durch niedrige Dämmeauf ihren Grundstücken so lange festzuhalten, bis das Wasserin den Boden eingedrungen ist. Es ist daher nötig, daßbestimmte Einlaßstellen in den Dämmen der Kanäle dritterOrdnung vorgesehen Werden, durch welche das Wasser aufdas Land sich ergießen oder von dea Landbewohnern inGräben aufgenommen werden kanu. File diese Einlaßstellengenügt eine Entfernung von 50 bis 100 m je nach der Breitedes dahinter liegenden Landes. Hoch belegene Geländestellensind hierfür am besten geeignet. Es ist dann Aufgabedea Ingenieurs, die Kai^e so einzurichten, daß dasWasser an jeder ÄüsfiußÖfBaung in genügender Höhe und ingenügender Menge austräten kann. Gewöhnlich fehlt es ander erforderlichen Höhe des Wasserspiegels. Das in denunregulierten Kanal eingeleitete Bewässerungswasser fließtbis zum Ende des Kanals, staut hier an und ergießt sichdurch die untersten Einschnitte d^ Kanaldämme Über dasLand. Die mittleren und oberen Einschnitte bekommen keinWasser mehr. So wird nur die unter© Hälfte oder das untere


443 Umgestaltung der Bahnhofsaulägen in Darmstadt. 444Brittei des ganzen Landes bewässert. Diesem Umständemuß dadurch begegnet werden, daß der Wasserspiegel inden Bewässerungskanälen streckenweise gehoben wird. Hierzuwerden die in der Längsrichtung der Kanäle stehen gebliebenenZwischendämme (s. Text-Abb. 24) benutzt. DieseDämme werden so weit erhöbt, als die Hebung des Wasserspiegelszur Beherrschung des benachbarten Landes erfordert.Der zur Äufhöhung nötige Boden wird in der Sohle desKanals oberhalb der Längsdämme entnommen. Wird dannnach solcher Vorbereitung das Wasser in den Kanal geleitet,so hebt es sich zwischen den Dämmen wie in Kanalhaltungenund stellt sich nahezu wagerecht, aber in der gefordertenHöhe von 25 cm über dem Gelände ein.Sind alle Bewässerungskanäle dritter Ordnung in dieserWeise geregelt, so sind die Kanäle zweiter Ordmmg nachihrer Wasserführung und Wasserhöhe au prüfen. Hier ist dieReglung einfacher, denn sie kann durch die Einlaßschleusendritter Ordnung erfolgen. Diese Schleusen sind je nachdem Bedürfnis zu erweitern oder zu verengen. Demnächstist es nötig, die Einlaßschleusen zweiter Ordnung zu regeln,indem man die Wasserspiegelhöhe der Kanäle zweiter Ordnungin Einklang bringt mit der Wasserspiegelhöhe des vorbeiführendenKanals erster Ordnung.Die planmäßige Bewässerung der Konia-Ebene wird imJahre <strong>1912</strong> erfolgen. Sie wird sich aber nicht mit einemMale auf das ganze Bewässerungsgebiet erstrecken. Denn dasBedürfnis für die Bewässerung hängt von der Benutzungdes Landes, von der Verteilung und Größe der Ortschaften,der Zahl und der Geschicklichkeit der liandbevölkerungab. Sie wird sich daher zunächst auf diejenigen Flächenbeschränken, die infolge genügender Besiedlung schon jetztregelmäßig bestellt werden können. Diese Flächen sind umfangreichgenug; denn schon jetzt sind Ortschaften in reicherZahl im Bewässerungsgebiet vorhanden, und es ist sicherzu erwarten, daß bei der Wertschätzung bewässerbarerLändereien der Zuzug fremder Landbewohner, die Bildungneuer Ansiedlungen rasch zunehmen wird. Neue bequemeWege und Straßen sind in dem Bewässerungsgebiet vielenortsangelegt worden. In bezug auf die Bestellung desLandes wird die Bewässerung voraussichtlich keine Änderunghervorrufen. Man wird nach wie vor Gemüse und Getreide,besonders Gerste bauen. Für Tropenkultureu, Baumwolleu. dgl. ist das Klima nicht geeignet. Aber statt dereinfachen Ernten in einem Jahre und der langen Braohzeitwerden künftig unter Umständen zwei Ernten gewonnenwerden können, und es werden bei Innehaltung einer geeignetenFruchtfolge die Erträge von der Flächeneinheit dieerwünschte Steigerung erfahren.Die oberste Leitung aller Arbeiten unterstand dem technischenDirektor der Gesellschaft für die Bewässerung derKonia-Ebene, Geheimen Baurat Dr.-Ing, 0. Biese in Frankfurta. M, Die örtliche Leitung war dem BaudirektorH. Waldorp in Konia übertragen und nach dessen Ertrankungdem Begierungsbaumeister E. Weidner. Als technischerBeirat war der Berichterstatter tätig.Gerhardt.Umgestaltung der BahnhoMnlagen In Darmstadt.(Mit Abbildungen aufDie Stadt Darrastadt hatte bislang zwei Hauptbahnhöfe,den Durchgangsbahnhof der Main-Neckar-Eisenbahn für dieHauptlinie Frankfurt — Heidelberg und den Kopfbahnhof derHessischen Ludwigsbahn für die Main-Eheinbahn Mainz—Darmstadt—Aechaffenbxirg, für die Riedbahn Darmstadt—Worms und für die Odenwaldbahn Darmatadt—Groß-Zimmemund Wiebelsbach—Heubach.Der bisherige Main-Neckarbahnhof, der in seiner Gestaltung,insbesondere im Personenbahnhof, im wesentlichendasselbe Bild zeigte wie bei seiner Entstehung vor mehr alssechzig Jahren, konnte den Anforderungen des dermaligenVerkehrs, den Anforderungen für die Sicherheit des Betriebessowie den Ansprüchen des reisenden Publikums in keinerWeise mehr gerecht werden. Die Gleisanlagen waren unzureichend.Für den großen Verkehr standen lediglich zweiGleise zur Verfügung, die beiden Bahnsteige waren äußerstschmal und kurz, der zweite nur durch Überschreiten desersten Hauptbahnsteigea zugänglich. Unmittelbar am süd*liehen Ende der Bahnateiganlagen kreuzte die Rheinstnißenebst der Dampfstraßenbahn von Darmstadt nach Griesheimden Bahnkörper mit seinen sieben Gleisen. Am Südendedes Güterbahnhofes bestanden vier weitere Planübergänge..Das Empfangsgebäude befand sich seiner Grundfläche nachebenfalls noch in seiner ursprünglichen Gestaltung und warBlatt 51 und 52 im Atlas.')(Alle Rechte Vorbehalleo.)durch den Mangel an Vorraum außerordentlich beengt. Auchder Bahnhof der Hessischen Ludwigsbahn konnte dem stetiggewachsenen Verkehr und dessen gesteigerten Ansprüchennicht mehr genügen. Eine durchgreifende Änderung zurBeseitigung der Mängel war dringend geboten.Geschichtliches über die Entwurfbearbeitung.Im März des Jahres 1898 erhielt die Eisenbahndirektion Mainzden Auftrag, einen Entwurf für die Umgestaltung der Bahnhöfein Darmstadt unter der Voraussetzung der Vereinigungder beiden Personenbahnhöfe imd des Dienstes in diesen demHerrn Minister der öffentlichen Arbeiten in Berlin vorzulegen.Nachdem die Angelegenheit durch verschiedene Vorent^ürfeeingehend geprüft war, wurde im Jahre 1901 bei Gelegenheitdes Abschlusses des Staatsvertrages zwischen Preußen,Baden und Hessen Über die-Vereinfacliung der Verwaltungder Main-Neokarbahn auf Grund des Entwurfes I der EisenbahnVerwaltung ein festes Abkommen über die alsbaldigeInangriffnahme der Umgestaltung der Bahnhofs- und Werkstättenanlagenin Darmstadt unter Beseitigung der altenHauptwerkstätte der Main-Neckarbahn und erheblicher Vergrößerungder Hauptwerkstätte der Königlich Preußischenund Großherzoglich Hessischen Staatseisenbahn getroffen.Dieser erste Entwurf, dessen Kostenanschlag für denBahnhofsumbau mit 9 200 000 Mark und für die Erbauung


U5 Umgestaltung der Bahnhofsanlagen in Darmstadt, 446Abb. 1. Überführung der Breiten Allee.der HauptwerkstäUe mit 2 930 000 Mark abschloß, sah eineVereinigung der beiden Personenbahnhöfe am bisherigen Platzund Belassung des Verkehrs an Ort und Stelle vor, wobeidas Bmpfangsgebäude der Main-Neckarbalin für die Abfertigungdes Personenverkehrs völlig aufgegeben und dieser mitdem Personenverkehr der Hessischen Ludwigsbahn in demerweiterton Empfangsgebäude der Hessischen Ludwigabahnuntergebracht werden sollte. Von einer weiteren Benutzungdes Grüterbahnhofa der Main-Neckarbahn sollte abgesehen undder gesamte Eilgut- und Stückgutverkehr im Güterbahnhofder Hessischen Ludwig^sbahn, der für den Wagenladungsverkehrim nördlichen Teil der Gemarkung Darmstadt, nebender Main-Neckarbahn, eine angemessene Erweiterung zu erhaltenhatte, vereinigt werden. Unter Beibehaltung der Höhenlageder Main-Neckarbahn sollten die Übergänge in Sohienenhöhean der Bheinstraße durch eine 6 m Lohe Überführungmittels einer Schleife von seitlieh ansteigenden Rampen undweiter südlich an der Stadtallee durch eine Unterführungmit Rampen in bisheriger Bichtung ersetzt werden. Gleichzeitigsollten durch Verlegung der Aschaffenburger Linieneben die Verbindungsbahn nach Kranichstein und Errichtungeiner Überführung an der Kreuzungsstelle der FrankfurterStraße und der Verbindungsbahn die Planübergänge in derFrankfurter Straße beseitigt werden. Gegen diesen Entwurferhob sich in der Stadt Darmstadt ein außerordentlich starkerWiderstand, der insbesondere die Rampen, mit der die Ehein-Btraße überführt werden sollte, ferner die Zufuhrstraße zudem Güterbahnhof an der Pallaswlesenstraßo und schließlichdie durch den Entwurf angeblich eintretende Verkehrsunterbindungzwischen der Stadt und dem westlichen Stadtteilbetraf.Inzwischen war von der Direktion Mainz die Frageweiter untersucht worden, inwieweit ihr erster Entwurf beiBelassung der Main-Neckarbahn in ihrer jetzigen Höhenlage,hiernach auch bei Belassung der vorgesehenen Bheinstraßenrampen,in seinen nördlich der Rheinstraße gelegenen Teilen— namentlich auch unter Hinauslegung der Odenwaldbahn —für die Stadt günstiger gestaltet werden könne. Jfür die<strong>Zeitschrift</strong> t. <strong>Bauwesen</strong>. Jahrg- L£1I.Nordseite war daher ein neuer zweiter Entwurf mit Zusammenziehungsämtlicher Hauptgleise — nämlich Vereinigung derLinien Worms, Mainz, Aschaffenburg und Odenwaldbahn naheder Verbindungsbahn, dann gleichlaufende Einführung dichtneben der Main-Neckarbahn — und mit Zusammenlegung desEilgut-, Stückgut- und WagenladungsVerkehrs im HessischenLudwigsbahnhof aufgestellt. Auch dieser Entwurf wurdestädtischerseits trotz seiner unleugbaren Vorteile abgelehnt,da er nicht so zugkräftig war, um den allgemein in derStadt bestehenden Widerstand gegen eine Eampenanlage undUmlegung der. Eheinstraße zu überwinden.Zur Prüfung der Bahnhofsfrage hatte unterdessen dieStadt drei Sachverständige, nämlich die Herren GeheimenBaurat Professor Koch-Darmstadt, Geheimen Ofaerbaurat ProfessorBaumeister-Karlsruhe und Ingenieur Öloim-Hamburg,gewonnen und sie mit der Begutachtung des Entwurfsder Eisenbahn Verwaltung betraut. Daraufhin stellten dieSachverständigen der Stadt einen vollständigen Gegenentwurfauf, der auf der Nordseite wegen Verlegung der Odenwaldbahnvon ähnlichen Gesichtspunkten ausging, wie sie sichim zweiten Entwurf der Eisenbahnverwaltung als technischdurchführbar erwiesen hatten, im übrigen aber eine Tieferlegungder Main-Neckarbahn um 4,5 m unter Beibehaltungder Höhenlage der Übrigen Bahnlinien vorsah, um eine geradlinigeund fast rampenlose Überführung im Zuge der Rheinstraßezu ermöglichen. Es war jedoch nicht zu verkennen,daß dieser von den Sachverständigen mit Rücksicht nurauf die bestehenden Straßenverhältnisse aufgestellte Entwiu:f,vom Standpunkte der Interessen des Eisenbahnverkehrs ausbetrachtet, insbesondere auch betrieblich, an erheblichenMängeln litt. Nachdem die Angelegenheit eisenbahnseitigweiter eingehend geprüft und festgestellt war, daß es wohlmöglich sei, den Wünschen der Stadt entsprechend durchdie Tieferlegung der Main-Neckarbahn eine schienenfreieÜberführung der Rhoinstraße an der jetzigen Kreuzungsstelieauszuführen, ohne daß die Interessen der Bisenbahn Verwaltungwesentlich beeinträchtigt werden, wurde von der Eisenbahnein dritter Entwurf ausgearbeitet, der an der Rheinstraße29


447 Umgestaltung der ßahnhofsanlagen in Darrastadt 448eine Senkung der Bahn um 2,5G m — nach der Höhenlageder vorhandenen Straßenkanäle — und eine Straßenrampevon 3,44 m Höhe vorsah. Das Maß der Senkung der Gleisereichte gerade hin, um die Rheinstraße in ihrer jetzigenEichtung mit angemessenen ßampenentwioklungen schienenfreiüberführen zu können, den ersten Bahnsteig (Richtungnach Frankfurt) der Main-Neckarbahn neben dem Empfangsgebäudezu erhalten, die Bahnsteigtunnelanlage zweckmäßiganzuordnen und einen sicheren Übergang von Personenwagenzwischen der Main-Neckarbahn und den übrigen Linien fürden Eisenbahnbetrieb möglich zu machen.Die Empfangsgebäude beider Bahnhöfe sollten möglichstwenig verändert und durch einen Eckbau, der die Empfangshalle,die Fahrkartenschalter und die Gepäckabfertigung enthieltund eo den Zu- und Abgang der Reisenden in denDiagonalen nach beiden Richtungen auf kürzestem Wege ermöglichte,miteinander verbunden werden. Der Güterverkehrauf dem Main-Neckarbahnhof und in Darmstadt-Süd sollteeingehen und der gesamte Stückgut-, Eilgut- und Wagenladungsverkehran einer Stelle, im bisherigen Ludwigsbahnhof,zusammengelegt werden. Für den Massengüterverkehr— namenthch den Kohlenverkehr — sollte eine besondereLadeanlage mit zugehörigen Lagerplätzen, bei Heraniüokungdieser Anlagen an die Main-Neckarbahn, nördlich im Pallaswiesenfeldegeschaffen werden.Im März 1904 wurde der neue Entwurf HI der Stadtbekanntgegeben und erörtert, worauf die Stadt ilin ihrenSachverständigen zur Begutachtung überaandte. Auf Grunddes von diesen erstatteten und mit Plänen ergänzten ausführlichenGutachtens, Entwurf IV genannt, beschloß dieStadt, die Tieferlegung der Main-Neckarbahn ungeiähr indem von ihren Sachverständigen vorgeschlagenen Maße alsim Interesse der Stadt unerläßlich notwendig anzusehen, undteilte im Oktober desselben Jahres bei Übersendung des Gutachtensan die Eisenbahn Verwaltung mit, daß eine Ablehnungdieses Vorschlages alle weiteren Verhandlungen zur Herbeiführungeiner Verständigung als aussichtslos erscheinen lasse.Am 30. November 1904 fand dann nochmals eine Besprechungzwischen den Technikern der Eisenbahnverwaltung und derStadt und den von ihr erwählten Sachverständigen statt, inder die in dem Gutachten enthaltenen Vorschläge der Sachverständigeneingehend geprüft und erörtert wurden. Seitensder Stadt wurde dabei die Erklärung abgegeben, daß einerÜberführung der Rheinstraße über die Main-Neckarbahn inder im Entwurf III der Eisenbahn vorgesehenen Form nichtzugestimmt werden könnte, vielmehr daran festzuhalten wäre,daß eine Hebung der Eheinstraße am Kreuzungspunkt mitder Bahn über das von der Stadt angenommene Maß von0,73 m, d. h. bis zur Höhe der Straßenkrone der nächstenstadtseitig gelegenen Straße, der früheren Kaaernenstraße,jetzigen Landgraf-Philipp-Anlage, nicht eintreten würde.Bisenbahnseitig wurde geltend gemacht, daß der von derStadt gewünschten tiefen Senkung der Main-Neckarbahn erheblicheBedenken wegen der dadurch eintretenden Erschwerungendes Betriebes und Verkehrs entgegenständen. Da beider tiefen Senkung der Main-Neckarbahn-Gleise der Höhenunterschiedzwischen diesen und den Gleisen der HessischenLudwigsbahn am Empfangsgebäude etwa 5 m betragen würde,so wäre bei der Überführung von Zögen und Wagen voneiner Linie zur anderen nicht allein die Überwindung desbedeutenden Höhenunterschieds, sondern auch die Zurücklegunglanger Verschiebewege sehr hinderlich. Die Erschwerungder Benutzung der in verschiedenen Höhen liegendenGleise des Bahnhofes würde gegen die rasche und sichereDurchführung des Betriebes um so mehr ins Gewicht fallen,als der Personenübergangs verkehr im steten Steigen begriffenwäre. Bei Ausführung des städtischen Entwurfes würde eserforderlich sein, zur Ausgleichung des erheblichen Höhenunterschiedeszwischen den Gleisen der Main-Neckarbahnund der Hessischen Ludwigsbahn eine längere Rampe mitstärkerer Steigung einzulegen, die für den Betrieb besondersungünstig sich gestalten würde, da sie dicht hinter den Bahnsteigenbeginnen und von stark belasteten Zügen befahrenwerden müßte ^ die unmittelbar vor dem Fußpnnkt der Rampegehalten hätten. Durch die tiefe Senkung der Main-Neckarbahn-Gleisewürde daher nicht allein eine Verschlechterungin der Bedienung imd Benutzung der Bahnhofsgleise herbeigeführtwerden, sondern es entständen auch Nachteile fürden durchgehenden Verkehr der Schnell- und Personenzügeund der Güterzüge. Schließlich wurde festgestellt, daß beiTieferlegung der Main-Neckarbahn in dem geforderten Umfangeund bei Einlegung einer für einen geordneten Eisenbahnbetriebzulässigen Steigung der Zusammenschluß derbeiden Bahnlinien nur durch eine teilweise Senkung undeinen Umbau des Hessischen Ludwigsbahflhofes erzielt werdenkönnte. Da nun eisenbahnseitig der Ausführung des städtischenEntwurfes erhebliche betriebliche und geldwirtschaftlicheBedenken entgegenstanden, die Stadt aber wiederum an ihrerForderung festhielt, war auf eine andere Lösung der Erweiterungder Darmstädter Bahnhofsanlagen Bedacht zu nehmen,die den Interessen und Wünschen der Staatseisenbahnverwaltungund der Stadt Rechnung tragen konnte. Das warnur mit einer Verlegung der bisherigen Bahnhofsanlagen zuerreichen. Nach diesen Gesichtspunkten wurde daher derEntwurf V der Eisenbahn Verwaltung ausgearbeitet,-der danndie Zustimmung der Hessischen Regierung und der Stadterhielt und der Ausführung zugrunde gelegt wurde.Beschreibung der neuen Bahnhofsanlagön. Derneue Personenbahnhof ist auf der Nordseite der BreitenAllee, der Verlängerung der Rheinstraße, in der „Tanne"rund 800 m westlich des bisherigen Bahnhofes der Main-Neckarbahn angeordnet (Abb. 1 Bl. 51 u. 52). Auf seiner Oatseiteund neben den Ein * und Ausfahrtgleisen auf der Nordeeitedes Personenbahnhofes ist der OrtsgOterbahnhof (Versohiebebabnhoffür Darmstadt ist Kranichstein) und westlich vonden Hauptgleisen daselbst der Betriebsbahnhof für den Lokoraotivdienstund daneben wieder die Hauptwerkstätte für dieLokomotivreparatur errichtetDie durch die Verlegung des Bahnhofes bedingte Änderungder Linienführung der vorhandenen Bahnen beginnt aufder Nordaeite von Darmstadt für die Main-Neckarbahn amAusgange des Bahnhofes Arheilgen bei km 23,6, für dieLinie Mainz ^ Darmstadt halbwegs der Station Weiterstadt1,3 km unterhalb der bisherigen Bloc^telle HammelBtrifft,bei der neuen Blockstelle Stookschneise und für die LinieWorms ^ Darmstadt am Nordostende des Kavallerieexerzierplatzesan der Gt&fenhäuser Straße. Die verlegten Linien verlaufenauBerhalb der im Westen von Darmstadt geplanten


449 Umgestaltung der Bahnhofsanlagen in Darmstadt. 450Abb. 2. Überführuag der Gleise Darmstadt — Frankfurt und Darmstadt—Mainz über die Gleise Darmstadt — Asch.afFenhurgund Äschaffenburg — Darmstadt.Bebauung, kreuzen dabei, annähernd parallel zur früherenMain-Necliarbahn laufend, den Pfarrwiesenweg, die GräfenhäuserStraße, den Pallaswiesenweg, die Weiterstädter Straße,den Landwehrweg, den Dornheimer Weg und die BreiteAllee, auf deren Nordaeite der neue Hauptbahnhof errichtetist. Südlich des Hauptbahnhofes zieht sich dann die verlegteMain - Neckarbahn am Waldessaum hinter dem Infanterieoxorzierplatz,der Kavalleriekasorne, dem Hopfengarten unddem Großherzoglichen Akaziengarten entlang, durchschneidetdabei die Holzhofallee, die Stadtallee, sowie die EschollbrückerStraße an der Kreuzung mit dem Bessunger Weg,nimmt sodann eine südöstliche Richtung und erreicht rund1500 m südlich der ehemaligen Haitestelle Darmstadt-Südwieder den Anschluß an die alte Linie.Die vom Bahnhof Darmstadt nach Nordosten und Ostenabzweigenden Bahnlinien, die Aschaffenburger Linie und dieOdenwaldbahnj laufen, nachdem sie den Bahnhof verlassenhaben, in der Richtung der alten G-üterverbindungsbahn nachKranichstein und durchschneiden mit dieser zusammen dieFrankfm'tor Straße. Die Aschaffenburger Linie mündet dannan der Gemarkungsgrenze zwischen Darmstadt und Arheilgenwieder in die frühere Main-Kheinbahn, während die Odenwaldbahn,um sämtliche Ziegeleien in weitem Bogen zu umgehen,weiter nach Osten zu verläuft, an der nördlichenEcke der Tasanorie unweit der Kranichsteiner Straße eichnach Süden wendet und östlich der Dieburger Straße in diealte Odenwaldbahn einschwenkt.Die durch die Lage der einzelnen Bahnsteiggleise zueinanderbedingte Einführung der verschiedenen Bahnen vonNorden lier in den Hauptbahnhof ist außerhalb des Bahnhofesderart angeordnet, daß Balinkreuzungeu in Schieuenhöhevermieden sind. Weiter sind die vorhandenen, vonden verlegten Linien gokreuzteu Wege und Straßen bis aufeinige unbedeutende Feld- und Waldwege schienenfrei unteroderüberführt worden, und zwar unter Yermeidung vonÄnrampungen — wo dies mit Rücksicht auf die Höhen- undSteigungsverhältnisse der Bahnlinien möglich war —• undunter Anwendung mäßiger Steigungen bei den Straßen, woAbb. 3. Überführung des Doinheimer Weges,29^


451 Umgestaltung der Bahnhofsanlagen in Damistadt. 453Abb, 4, Überführung dos Gleises Darmstadt—Asclialleiiburg über die Gleise "Worms — Darmstadt,Damistadt—Worms uod Äschaffeaburg —Dormstadt.Auffahrts- oder Abfahrtsrampon unvermeidlich waren. So sind32 verschiedene Kunstbauten geschaffen, von denen einigebedeutendere in den Text-Abb, 1 bis 10 dargestellt sind.Auch für geordnete Durchführung der Vorflntanlagendurch die einzelnen Bahnlinien und Ent"wässerung des imEinschnitt gelegenen Hanptbahnhofes und seiner Nebenanlagenist Sorge getragen, indem ausgedehnte Netze "von gemauertenund Rohrdurchlässen liergestellt und die früheren im Zugedes Griesheimer Weges und der E&choUbrücker Straße gelegenen,von den neuen Linien durchschnittenen Hauptkanäle— von der Anlage von Dückern war auf Wunsch der Stadtabgesehen — durch neue tief gelegene und erheblich erweiterteKanalanlagen ersetzt sind. Die hierbei durch dieEisenbahnumbauten verursachten Kosten sind von der Eisenbahnverwaltung,die durch die Vergrößerung der Kanah^uerschnitteund Ergänzung des Kanalnetzes entstandenen Kostenvon der Stadt Darmstadt getragen.Anlagen für den Personenverkehr. Im Hauptpersonenbahnhofsind die Gleise der einzelnen Richtungen anden Bahnsteigen und zueinander derart angeordnet, daß dieDurchführung von Durcligangszügcn der Richtungen Frankfurt— Darmstadt — Heidelberg und Mainz — Darmstadt —Heidelberg neben den in Darmstadt Kopf machenden Zügender Richtungen Mainz —Darmstadt —AschatTenbnrg und Worms— Darmstadt —Asohaffenburg sowie der umgekehrten Richtungengewährleistet ist, ohne daß Kreuzungen in Schienenhöhezwischen den verschiedenen Richtungen im Personenbahnhofeintreten. Zu dem Zweck sind die beiden Hauptgleiseder Frankfurt—Heidelberger und Mainz — AschaffenburgerRichtungen auseinander gezogen und auf getrennten Bahnkörpernin den Bahnhof derart eingeführt, daß das Gleis derRichtung Frankfurt — Heidelberg am weitesten nach Westenverschwonkt ist (Abb. 2 Bl. 51 u. 52). Nach Osten reiht sichdaneben das Gleis Mainz — Darmstadt zur Durchführung durchgehenderZüge Mainz ^—Heidelberg, daneben wieder das GleisDarmstadt — Aschaffenburg zur Durchführung der Kopf machendenZüge Mainz — Aschaffenburg, dann schließlich das GleisWorms — Darmstadt zur Durchführung der ebenfalls Kopfmachenden Züge Worms —Aschaffenburg. Hierzu entsprechendsind die Gleise der umgekehrten Richtungen angeordnet; alsonach Osten schließen sich weiter andas Gleis Darmstadt—Worms, danndas Gleis Äachaffenburg — Darmstadt,das Gleis Darmstadt—Mainz und dasGleis Heidelberg — Darmstadt — Frankfurt.Weiter gliedern sich dann dieGleise der Odenwaldbahn und die be-^sonderen Gütergleise Heidelberg —Darmstadt—Kranichstein bis vor dasErapfangsgebäude an. Südlich des Personenbahnhofeslaufen die Bahnsteiggleiseder Richtungen Frankfurt, Mainzund Aschaffenburg im Hauptgleie Darmstadt— Heidelberg zusammen, währendsich das Hauptgleis der umgekehrtenRichtung in die Bahnsteiggleise derRichtungen Frankfurt und Mainz gabelt.Für die Richtungen Frankfurt undHeidelberg sind zum Zweck der Überholungje zwei Bahnstcigpersonengleise und für die RichtungenMainz — Aschaifenburg, Worms — Äschaffenburg und die Odenwaldbahnfür jede Richtung je ein Bahnsteiggleis vorgesehen.Die Weichenverbindungen und Sicheningsanlagen sind indessenderart ausgebildet, daß die Babnstoiggleise der mitnur geringem Verkehr belasteten Wormser Strecke auch zuÜberholungen der Richtungen Mainz und ÄschaiTenburg nutzbargemacht sind.Von den 300 m langen, 10 und 12 m breiten Personenbahnsteigen,von Gleismitte zu Gleismitte gemessen — fQrden Gepäck- und Postverkehr sind gesonderte 8 m breiteOepäckbahnsteige angeordnet —, dient der westlichste denZügen der Richtung Heidelberg, nach Osten zu folgend dernächste den Zügen der Richtung nach Asciiaffenburg, derweitere den Zügen der Richtung nach Worms und nachMainz, der folgende den Zügen der Richtung nach Frankfurtund der nächste den Zügen der Odenwaldbahu. Für Sonderzügeist unmittelbar vor dem Empfangsgebäude ein weiterer250 ra langer Bahnsteig angeordnet. Als Bahnsteiggleis fürdiese Züge dient das Gütergleis Heidelberg —Kranichstein,das mit sämtlichen Hauptgleisen nördlicli und südlich desPersonenbahnhofes durch durchgehende Weichen Straßen verbundenist und für die A.bfeitigung von Sonderzügen freigehalten worden kann.Das Empfangsgebäude des neuen Hauptbahnhofes, dasmit dem Fürstenbau, dem Amtsgebäude und dem WirtschaftsundWohngehäude zu einer geschlossenen Gruppe vereinigtist, ist auf der Ostseite der Bahnanlagen, parallel zu dendurchgehenden Hauptgloison angeordnet. Als Hauptzufahi-tstraßezum Personenbahnhof ist die Breite Allee anzusehen;der Haupteingang ist daher an die Südseite des Gebäudesgelegt, unter Anpassung an den neuen Bebauungsplan derStadt Darmstadt, welcher hier einen Hauptstraßenzug, schrägbis zur Breiten Allee, vorsieht. In der Achse des OriesheimerWeges ist der Ausgang geschaffen. Aus dieser grundsätzlichenAnordnung ergibt sich eine Zweigestaltung derEintrittshalle und die Lage aller anderen Räume (Abb. 3Bl. 51 u. 52). Nach Eintritt in die Südhalle liegen westlichdie Gepäckräurae mit dem anschließenden Gepäcksteg, östlichdie Fahrkartenausgaben und nördlich die Wartesäle und Wirt-


45B tFrügestaltuQg der Bahuhofsaniagen in Darmstadt 454Abb. 5. ilberfübrung der Frankfurter Straße.Schaftsräume, während die Westhalle an ihrer Südseite dieAbort- und Waschanlagen, an der Nordseite einen Ycrtaiifssta.Jid,Fernsprechzellen nnd einen Raum für Fahrpläne und Fahrpreisanzeigerund an der Westseite die Bahnsteigsperren enthält.Die Empfangsräume für Fürstlichkeiten schließen sichsüdlich Tom Empfangsgebände in einem besonderen am erstenBahnsteig gelegenen Gebände an. Für den Fall, daß Fürstlichkeitenmit fahrplanmäßigen Zügen fahren, erfolgt derAb- und Zugang über den an die Fürstenräunie sich nordwärtsanschließenden Gang und den mit dem Gepäckstegverbundenen Fürstonsteg. Es ist vorgesehen, daß bei außerordentlichstarkem Verkehr über diesen Steg auch der teilweiseAbgang der Reisenden und zwar durch die offeneHalle nördlich vom Fürstenbau erfolgen kann. Die Längslagedes Empfangsgobäudes an den tiefgelegenen Gleisen —rund 6 m über diesen — macht es möglich, an dem erstenBahnsteig die Betriebsräume des Stations- und TelegraphendiensteS)sowie Aufenthalts-, Wasch- und Baderäume fürdas Betriebspersonal in ansbömmlicher Weise unterzubringen.An den Fürstenbau nach Osten zu schließt sich, etwain der Tiefe des Hauptgebäudes, das Amtsgebäude mit denBureanräumen der drei Betriebsämter, des Maschiaenamtesund des Torkchrsamtes und den Wohmmgen eines Amtsvorstandesund einiger Unterbeamten an. In einem an derÄhb. G. Überführung der Gütergleise Üarmstadt — KraDichstoin über die PersonengleiseDarmstadt —Aschaffeuburg uud die Gleise der Odenwaldbahn,Nordseite des Empfangsgebäudes angegliedertenbesonderen Bauteil liegendie Räume für die Stationskasse, weitereDienst" und Wirtschaftaräume für dieBetriebsverwaltung und im Obergeschoßdie Wohnungen des Bahnwirtes unddes Oberbahnhof Vorstehers.Die Bahnsteigüberdachung setztsieh, der Grundrißanordnung des Empfangsgebäudea entsprechend, aus deneinzelnen Zugangsstegen zu den Bahnsteigenund den eigentlichen Bahnsteighallenzusammen. Nach Süden zubildet der Fürsten- und G-epäckstegmit den Treppcnanlagen zu den Personenbahnsteigenund den Aufzügen zuden Gepäckbahnsteigen den Abschlußder Bahn Steigüberdachung. DerFürstenundGepäcksteg ist in Eisenbetonbauweiseausgeführt und seiner Form und Ausgestaltung nach demsich rechtwinklig anschließenden Fürstenbau angegliedert. AlsFortsetzung der Halle des Empfangsgebäudes in der Achse desGrieslieimer Weges ist der als Eisenbau ausgebildete Pereonenstegmit seinen Trcppenanlagcn zu den fünf Personenbahnsteigenan der Südseite einer 34 m breiten, 18 m hohen und94 m langen eisernen Qucrhallo (in Bogenform) angeordnet, andie sich nach beiden Seiton fünf eiserne Längsbogenhallenvon 18, 19 und 20 m Stützweite mit einer Höhe von 8,75 müber den erhöhten Personen bahn steigen anschlieBcn. DurchAnordnung dieser Querballe, in der sich der Personenstegals freie Plattform erhebt, ist für die Heisenden vom Personenstegaus eine vollkommene freie Übersieht über sämtlicheBahnsteig- und Personengleise geschaffen, eine Übersicht,die zu einer schnellen und ungehinderten Abwicklungdes Verkehrs wesentlich beiträgt Für gute Beleuchtung derBahnsteige und sichere und leichte Abführung des senkrochtaufsteigenden Lokomotivrauches in den Hallen ist Sorge getragen,indem in der Querhallo an allen vier Seiten großedurchlaufende Fenster und in der Decke zehn über denGleisen liegende Lüftungshauben vorgesehen sind, währendin den Längshallen steil geneigte Oberlichter in reichlicherBreite und durchlaufende Seiten Öffnungen angeordnet sindund über den Gleisen selbst zur Eauchabfubr ein etwa 1 mbreiter Teil der Halle uneingedecktgeblieben ist. An den Bogenbindernhängende, parallel zu den Bahnsteigkantenlaufende, verglaste Schürzenschützen die Personenbahnsteige gegenEinschlagregen. Die Eindeckung derQuerhalle und der Längshallen bestehtaus Bimszementkassettcnplatten mitEiseneinlagcn und Pappoleinabdeckung.Die Länge der Bahnsteigüberdachungvom Fürsteusteg nach Norden zu beträgt14G m. Der vor dem Empfangsgebäudeliegende Bahnsteig I ist ebenfallsvom Fürstensteg aus nach Südenzu auf einer Länge von 122 m miteiner Überdachung versehen. Diese


455 TTragestaltung der Bahnhofsanlagen in Darrastadt 456Überdachung ist entsprechend der Kensterhöhe des Empfangsgebäudesniedrig gehalten nnd nur vor dem eigentlichenFürstenbau mit seitlichen Fenstern hochgezogen, währendnach der Gleisseite die Überdachung in einer Schräge, demNormalprofll entsprechend, hochgeführt iat und so neben derin der wagerechten Kassettendecke angeordneten Glaseindeckungdem Bahnsteig reichlich Licht zuführt.An Stelle des alten Bahnhofs Darmstadt-Süd ist fürdie Richtung Darmstadt ^Heidelberg östlich der Bahnanlagenund 400 m südlich des Bessunger Weges mit einer neuenZuwegung von der Bessunger Straße aus der neue BahnhofDarmstadt-Süd für den Personen-, Gepäck- und Expreßgutverkehreingerichtet. Außerdem ist an der Frankfurter Straßefür die Züge der Eichtung Darmstadt —AschafFenburg undder Odenwaldbahn ein neuer Bahnhof Darrastadt-Nord ebenfallsfür iPersonen-, Gepäck- und Expreßgutverkehr angeordnet.Bei beiden Anlagen sind an den Zugangsstraßen kleinereEmpfangsgebäude errichtet, die die Diensträumo enthalten,während die Warteräume für das Publikum sich neben demPersonensteg befinden, der vom Empfangegebäude aus überdie Gleise führt und mit seinen Treppenanlagen den Zugangzu den im Einschnitt gelegenen Bahnsteigen bildet.Anlagen für den Poatverkehr. Für die Zweckedes Postdienstes ist nördlich in rund 100 m Entfernung vomEmpfangsgebäude und in der Längsausdehnung rechtwinkligdazu, so daß es den Platz vor dem Empfangsgebäude an derNordseite abschließt, ein besonderes Postamtsgebäude errichtet,welches die Schalter- und Dienaträume, Packkammem, Earrenhalleusw. und eine Wohnung des Postdirektors enthält. Vondem Postgebäude führt dann quer über die Gleise ein besonderereiserner Poststeg, der durch Aufzüge die Verbindungmit dem Postbahnsteig und seinen beiden Postgleisen undden übrigen Öepäckbahnsteigen vermittelt. Das Postamtsgebäudeist von der Post Verwaltung selbst ausgeführt, währendder Poststeg mit den Aufzügen, der Postbahnsteig mitseiner Überdachung und die Gleisanlagen von der Eisenbahnverwaltungauf Kosten der Heichspostverwaltung geschaffensind.AbsteUanlagen. An beiden Enden der Bahnsteigeund in. bequemer Verbindung mit den Bahnsteiggleisen sindGleise zum Äufstelleu von Bereitschaftswagen und Bereitsehaftslokomotivengeschaffen. Westlich des Personenbahnhofesund an seine Nordseito schließt eich der Betriebsbahnhofan, in dem die verschiedenen Züge, die in Darmstadtenden, ohne sofort die Rückfahrt anzutreten, aufgestelltwerden, und in dem die Anlagen zum Versorgen mit Gasund Wasser, Nachsehen und Beinigen der Wagen sowie dieAnlagen zum Neuordnen der Züge errichtet sind^Anlagen für den Güterverkehr. Auf der Ostseitedes Betriebsbahnhofes ist der Ortsgüterbahnhof errichtet, undzwar sind in der Nähe des PersonenbabnhofeB und in guterVerbindung mit ihm die Anlagen für den Eilgutverkehr, wieAbfertigungsgebäude, Eilgutschuppen, Laderampe und Ladestraße,angeordnet, während die Anlagen für den Prachtgutverkehrmehr nach dem Stadtinnem zu zwischen DomheimerWeg und Landwehrweg geschaffen sind. Der Ortsgüterbahnhofmit den Äbfertigungsstellen, den Schuppen, Überladebühnen, Laderampen, der Rampe für feuergefährlicheGegenstände, den Freiladegleisen nebst Ladestraßen und Lastkranen,Lademasten, Gleiswagen und Lagerplätzen usw. istso gestaltet, daß die Benutzung einer jeden Anlage möglichstbequem und unabhängig von der Benutzung der übrigen erfolgenkann.Der Eilgutschuppen hat eine nutzbare Grundfläche von45x11^76 = 530 qm und kann auf 750 qm erweitert werden,an ihn schließt sich nach Norden die Eilgutladerampemit einer Ladelänge von 142 ra zur Seitenverladung unddrei Stumpfgleisen fQr Kopfverladung an. Östlich hiervonist eine zweite Ladei'ampe mit einer Länge von 248 m, dreiStumpfgleisen zur Kopfverladung und einer Grundfläche vonrund 6200 qm errichtet. Die zunächst ausgebauten dreilangen und eine kurze Freiladestraße haben eine nutzbareBreite von 12 m erhalten und sind mit Reihenpflaster befestigt.Den Verfrachtern stehen an den Ladestraßen rund1800 m Gleis zur gleichzeitigen Aufstellung von etwa200 Wagen sowie zwei Drehkrane von 2000 und 7500 kgTragfähigkeit und ein Bockkran mit 10 000 kg Tragfähigkeitzur Verfügung, Ein weiterer Drehkran von 5000 kg Tragfähigkeitist auf der 415 qm großen Peuerrampe aufgestellt.Der Stückgutschuppen hat eine Grundfläche von 190xl8 = 3420qm erhalten, sein nördlichster Teil ist derSteuerverwaltung als Zollabfertigung und Zollschuppen überwiesen.Nördlich hiervon auf Eisenbahngelände, an der Zufuhrstraßenach den Lagerplätzen, hat die Stadt ein Lagerhauszur zollfreien Niederlage von Gütern errichtet.Für die Bedienung der Lagerplätze mit einer Grundflächevon 16 000 qm sind zwei Zufahrtstraßen mit vierGleisen vorgesehen. Am Schnittpunkt der WeiterstädterStraße mit dem verlegten Landwehrweg ist schließlich dieGerätesammelstelle für den Direktionsbezirk Mainz angeordnet.Anlagen für den Lokomotivverkehr und Maschinenanlagen.Nördlich des Domheimer Weges, auf derWestseite des Betriebsbahnhofes und der Hauptein- und Äusfahrtgleiseiat die Lokomotiv- und Triebwagenstation mitihren baulichen und Gleisanlagen hergestellt. Hierbei sindzwei Lokomotivschuppen mit 23 und 9 Ständen nebst zwischengebauterBetriebswerkstätte, zwei Drehseheiben von 20 mDurchmesser, westlich hiervon eine GeneratorSlgasanetalt mitihren Nebenanlagen zur Herstellung des Gases für die Beleuchtungder Personen- und Gepäckwagen, nördlich undsüdlich der Lokomotivschuppen Kohlenlagerplätze nebst Ladebühnenund Ladekranen, Wasserkrane, Reinigungsgruben undLagerplätze für Asche und Schlacken angeordnet. Auf derOstseite der Lokomotivschuppen ist ein Dienst- und Aufenthaltsgebäudemit Baderäumen für das Lokomotivpersonal, einReiser wellenschuppen mit Äufenthaltsraum für Kohlenladearbeiter,ein Öl- und Petroleumkeller, ein Magazingebäude,eine Wagenbetriebswerkstätte und der Triebwagen schuppenmit der Ladestation und den zugehörigen Gleisen hergestellt.Werkstättenanlagen. Westlich der Lokomotivstation,zwischen Domheimer Weg und Pallaswiesenstraße ist derWerkstättenbahnhof mit den Werkstättenanlagen errichtet.Bei Bemeasong des Geländes ist darauf Rücksicht genommen,daß an die im östlichen Teil des Werkstättenbahnhofes erbauteLokomotivwerkstatte später noch nach Westen zu eine Wagenwerkstätteangegliedert werden kann. In der Mittelachse desGanzen sind die Gebäude errichtet, die dem gemeinsamenBetriebe der beiden Werkstätten dienen, wie Magazingebäude,


Umg;estaltung der Bahiihofsanlagen in Darmstadt 458r^'Abb. 7. Unterführung des Pfarrwiesonweges.A-bb. 8. Unterführung der Gräfenhäuser Straße.angegliedert. Am Dornheimer Weg liegen dann das Werkmcisterwolmgebäude,das Arbeiter speisehaus mit PförtaerundWirts wohDung und dem Arbeiterein gange gegenüber dieFahrradhalle, das llauptmagazin, das Verwaltungsgebäudeund die Badeanstalt. la dem Dreieck zwischen DornheimerWog, Wixhäuserhaussclineise und Mittelsclineise, am Waldearandegelegen, ist eine Arbeiterwohnkolonie mit Wohnungenfür zunächst 24 Familien errichtet.Nördlich der Lokomotivwerkstätte an der Pallaswiesenstraßeist eine Weichenwerkstätte und das Oberbaumaterialiensararaelmagaxinmit ausgedehnten Lagerplätzen und den. zugehörendenGleisanlagen angeordnet.Gleisanschlüsse. Deröleisansehluß von dem früherenMain-Neckarbahnhof im westlichen Stadtteil, in der Landwehr-und Weiterstädter Straße mit den Abzweigungen indie dortigen Fabriken ist erhalten geblieben. Seine Verbindungmit dem neuen Güterbahnhofe erfolgt von derWeiterstädter Straße aus, indem das daselbst imnördlichen Straßenteil befindliche Stumpfgleis verlängertund mittels einer Eurve an die auf der Ostsejtedes Bahnhofs zwischen Pallaswiesen- undGräfenhäuser Straße angeordnete Übergabegleise angeschlossenist. Am Westende der WeiterstädterStraße zweigt ein zweites, südliches Stammgleis abund gewährt dadurch den südlich des WeiteratädtorWeges neu errichteten Fabriken und LagerplätzenGleisanschlüsse. Die vorhandene Wagenreparatur--werkstätte an der Frankfurter Straße und die inderen Nähe befindlichen Gleisanschlüsse der städtischenGasanstalt und des Schlacht- und Viehhofes,sowie die Gleisanschlüsse im Blumental viertel sinddurch die Qüterbahn Darmstadt — Kranichstein unddas daraus bei Blockstelle Löcherwiese abzweigendeAnschlußgleis mit den neuen Bahnhofsanlagen wiederverbunden. Schließlich sind im westlichsten Teildes neuen Bahnhofes in der Nähe des DornheimerWeges noch die zwei Übergabegleiso für den Anschlußdes neuen Elektrizitätswerks angeordnet, dasvon der Stadt in dem Waldgelände westlich desPersonenbahnhofes und südlich des DornheimerWeges neu erbaut ist und den Werkstätten unmittelbargegenüber liegt.Abb. 9. ÜberfühniDg einer künftigen Straße bei km 28,4 derFrankfurt—Heidelberg*Eisenlager, die Schmiede mit ihren Anbauten, Klempnerei,Qelbgießerei und Schreinerei, das Heizkesselhaus und dieÄbkocherei. Bechtwinklig hierzu steht die eigentliche 9 2Stände fassende Lokomotivwerkstätte, die in der Mitte dieDreherei und zu beiden Seiten je zwei Eeiben Reparaturständemit zwischenliegenden Schiebebühnen enthält; nördlichist ihr die Tender werkstätte und südlich die KesselschmiedeZur Versorgung des Bahnhofsgebietes mit elektrischemStrome für Beleuchtungs- und Kraftzwecke,mit Preßluft, Gas und Wasser ist ein weitverzweigtesNetz der verschiedenen Leitungen verlegt. Derelektrische Sti-om wird aus dem neuerbauten städtischenElektrizitätswerk bezogen und an verschiedenenÜbergabestellen aus dem städtischen Leitungs­Linienetz entnommen. Für die Außenbeleuchtung desgesamten Bahnhofsgebietes sind 55 Bogenlampenund 250 Metallfaden- und Metalldrahtlarapen mit rund160000 Gesamtkerzenstärke H. K. aufgestellt.Wasser, sowohl Trink- wie Qebrauchswasser, liefertauch die Stadt, der Anschluß an das städtische Hetz geschiehtim Wasserturm am Dornheimer Weg, der einen flußeisernenDoppel Wasserbehälter von 2 x 200 cbm Fassungsraumerhalten hat. Das Gas für die Hauptgebäude wird ebenfalls


459 Schaper, ^Zweigleisige Eisenbahnbrücke über den Rhein unterhalb Dnjsburg-Ruhroit 460BI. 51 u. 52 kenntlich gemacht sind. Von diesen neun Stellwerkensind fünf, Stellwerke I bis Y, Signal- und Weichenstellwerke,während die librigen vier nur Weichenverschiebcstollwerkesind. Die Stellwerke I und V bis IX sind alsmechanische und die Stellwerke II, III und IV als Kraftstellwerkeund zwar als elektrisch gesteuerte Luftdruckatellwerkevon der Firma Stalimer gebaut, wobei die für die dreiStellwerke gemeinsame Kraftstation mit den Pumpen, die,wie oben gesagt, auch die Preßluft für die Wagenreinigungliefern, im Stellwerk III untergebracht ist. Stellwerk IV"— im Wasserturm am Doruheimer Weg gelegen — ist alsBefehlsstellwerk auegebildet (Text-Äbb. 10). Ein weitverzweigtesFernsprechnetz verbindet sämtliche Dienstsfellen,Weichensteller-Wärterposten usw. miteinander und wird vonder im Ilauptbühnhof angeordneten, nach den neuesten Erfahrungengebauten Hauptfernsprochstelle bedient.Der Kostenanschlag für die Umgestaltung der Bahnhofsar.lagenschließt mit der Summe von 17 070000 Mark ab,wovon 4200000 Mark auf den Grunderwerb entfallen, währendder Kostenanschlag der Lokomotivroparaturwerkstätte4887 000 Mark und der für die ülgasanstalt 110 000 Markbeträgt.ALb. 10. Wasserturm und Befelilsstellwerk IV auf dem östlichenWiderlager dür Üborführuag des Dornheimer Weges.von der Stadt bezogen, während das Gras zur BeleuclitTiugder Eisenbahnwagen usw. der balmscitig erbauten Olgasanstaltund die Preßluft den in der Mitte des Bahnhofes im StellwerkII[ aufgestellten Proßluftpumpon entnommen wird.Für die Bedienung der Weichen- und Signalanlagen sindneun Stellwerke errichtet, deren Bezirke im Lageplan Abb. 1Bauausführung. Mit den Bauarbeiten wurde im Frühjahr1907 begonnen und zwar wurden zunächst die Arbeiten zurErrichtung der Lokomotivwerkstätte in Angriff genommen,denen im Oktober 1907 die Arbeiten für den Bahnhofsneubaufolgten. Die Werk Stättenbauten wurden bis zum Sommer 1909fertiggestellt und im August desselben Jahres in Betrieb genommen.Die neuen Bahnhofsanlagen sind zum 1. Mai <strong>1912</strong>dem Betriebe und Verkehr übergeben worden.Mit der Eröffnung des Darmstädtcr Hauptbahnhofes istdas Werk der Umgestaltung der Bahnhofsanlagen in Darmstadtzum Abschluß gebracht, ein Werk, das der Eisenbahnverwaltungbei der Durchführung des Verkehrs und des Betriebesund der Stadt bei ihrer Erweiterung und Fortentwicklungzu großem Vorteil gereichen wird.Zweigleisige Eiseiibahnbrücke über den Rhein unterhali) Duisburg-Iluhrortim Zuge der Linie Oberhausen - West —HohenMdberg,3. Bau des großen Überbaues. Die beiden Rüstträgerwurden dann für die Aufstellung des großen Überbauesfertig hergerichtet. In der Ebene der Untergurtungender Querträger wurde ein Bretterboden hergestellt, derzum Schutz der unter der Brücke durchfahrenden Schiffeund Dampfer gegen herunterfallende Gegenstände und alsArbeitsboden beim Vernieten des Untergurtfußes, der Fahrbahnund des unteren Windverbandes dienen sollte. DieBretter lagen auf Balken auf, die auf den abstehendenSchenkeln der unteren Winkel der Querträger ihre Unterstützungfanden (vgl. Abb. 10 Bl. 38). Die beiden Laufbahnenfür den AufsteUkran, der bereits zur Errichtung der(SohiuO.) '"• '';Ton Schaper in Duisburg-Ruhrort.(Mit Abbildungen auf Blatt 53 und f4 im Atlas*)un einem KootenpunkttQuerschnittzwischen zweiKaotoupanktoii.•'•••.'•Abb, 63,Laufbabü des AufsteUkranes.(Alle Rechte vorbehatten.)seitliehen Stromüberbautengedienthatte, wurden aufden oberen Ourtungender Rüstträgerverlegt, aber nur inden Knotenpunktendurcli kleine Stahlgußlagerunterstützt(Text-Äbb. G3).Jede dieser Bahnenbestand aus zwei


toJ461 im Znge der Linie Oberhausen-West —Hohenbudberg. 462Abb. 64. Hooliziehea des Aufatellkranes.I-Bisen N.P. 40, die mit einem Balkon ausgefuttert unddurch Winkeleisen und Schrauben in Abständen von rund2 m und durch Flacheisen, die an die inneren Stegwandungender X-Eisen genietet waren und in den Balken eingriffen,mit diesem zu einem gegen seitliche Äusbiegungen gesichertenQuerschnitt verbunden waren. Als nächste Arbeit folgtedas Hochheben des Aufstellkranes von der in Höhe der Untergurtungendes linken seitlichen Überbaues auf dem festenZeiliichrlft f. BaiiWBSOn.Abb. 65. HilEsuDterstützuog des Aufstellkranes.Jahrg. I.XII,Gerüst liegenden Laufbahn auf die Laufbahn der Rüatträger.Zu diesem Zwecke wurden auf dem festen Gerüst Tier kräftigeStänderbäume außerhalb neben den Hauptträgern, desseitlichen Überbaues aufgestellt, am oberen Ende durch jadrei Drahtseile verankert und in der Mitte gegen die Hauptträgerabgesteift (Text-Abb. 64). Dann wurde der Aufstellkrandurch vier Flaschenzuge, die an den <strong>Sp</strong>itzen der Ständerbäumebefestigt waren, und durch ebensoviel Bauwindcnhochgezogen, wobei sein oberer Teil natürlich durch kräftigeDrahtseile gegen den seitlichen Überbau und den benachbartenRüstträger festgelegt wurde. Weiter wurden auf beidenSeiten aus verstrebten Pfosten bestehende Hilfsunterstötzungen,die unten neben dem Gerüst aufgestellt waren (Text-Abb. 64),hochgezogen und auf das feste Gerüst abgestützt (Text-Abb. 65).Auf diesen Hilfsunterstützungen wurde dann der Kran abgesetztund von ihnen aus auf die Laufbahn der Rüstträgergeschoben.Der Kran zum Hochziehen der Eisenteile, die in Kähnenzur Baustelle kamen, lief auf einem innerhalb der rechtenGerüstbrücke neben dem Mittelbock errichteten Holzgerüst.Die Bahn für die Rollwagen, die die hochgezogenen Eisenteilezum Äufstellkran beförderten, lag zunächst auf denQuerträgern der Geriistbrücken, später nach dem Einbau derFahrbahn des Überbaues auf den Schwellenträgern.Zur Unterstützung der festen und beweglichen Lagerdes Überbaues wurden auf den Lagersteinen 1,532 m hoheStapel aus australischem Hartholz errichtet. Von diesen Stapelnwird später noch bei der Beschreibung der Absenkungaarbeiten,die Rede sein. Am 3. August 1911 wurden die festen Lageraufgestellt. Von ihnen aus wurden die unteren Gurtungenvorgestreckt (Text-Abb. 66). Diese kamen wegen ihres großenGewichtes in zwei Teilen, also jede Wange für sieh, zurBaustelle. Dem Vorstrecken der unteren Gurtungen folgteder Einbau der Quer- und Schwellenträger (Text-Abb. 67)und diesen Arbeiten das Aufstellen der Pfosten. Alle Pfosten,die gestoßen waren, kamen in zwei Teüen zur Baustelle undwurden auch in zwei Teilen eingebaut. Sie durchdrangen diezweiteilig ausgebildeten Riegel des oberen Wind Verbandesder Rüstträger (siehe Abb. 2 Bl. 54).Text-Abb. 6S zeigt in der Mitte die eingebautenunteren Hälften der Pfosten.Alsdann wurden die Diagonalen und dieObergurte zunächst von den festen Lagernbis zur Brückenmitte (Text-Abb. 68)und im weiteren Verlauf von den beweglichenLagern bis zur Brückenmitteaufgestellt. Dieses Au fstellungsverfahrenwurde deshalb geAvählt, weil sichder Schluß der Hauptträger in der Mittedurch Senken und Heben der benachbartenKnotenpunkte weit leichter ausführenläßt, als am Brückenende. DieDiagonalen wurden mit Ausnahme derEnddiagonalen in bezug auf ihren Querschnittin einem Stück angeliefert. Beiden Enddiagonalen war wegen des großenGewichtes nur die eine der beiden Wangenmit dem Mittelsteg verbunden, dieandere Wange wurde für sich angeliefert30


. } ? _ • , • • •463 Schaper, Zweigleisige Eisenbahnbrücko über den Rhein untorlialb Duisburg-Ruhrort 464verband der Rüstträger, inder Mitte die Windportaledieser Träger über demMittelbook und im Hintergrundedas Endportal. Dienoch fehlenden, auf denoberen Wind verband, dieLaufbahnen der oberen Besichtigungswügon, die Fahrbahnrandtrügerusw. entfallenden700 t wurdendann während der Vernietnngsarbeiteneingebaut.Schon während des Zusammenbauesder HaupttrUgerwurde mit den Bohr- undNietarbeiten an den Untergurtenangefangen. Mankonnte dies unbeden kliehtun, da der Untergurt fürsich schon genau in diebeabsichtigte ÜberhöhungAbb. 60. Vorstrecken dor Untergurte.Abb. 67. Der Kaotünpunkt über dem festen Ijagor,gelegt war und, wie schonerwähnt, durch tägliclics Nachmessen und Naelistellen derund eingebaut. Trotzdom erreichte das Gewicht der einenKopfschrauben in dieser erhalten wurde. Alle Locher für dieWange und des Mittolstoges zusammen noch die Große vonNiete, die auf der Baustelle geschlagen werden mußten, waren17 t. Die Diagonalen ohne Zwischen knoten punkte kamen inebenso wie bei den seitlichen Stromüberbauten im Werk 3 mmganzer Länge, die • Diagonalen mit Zwischenknotcnijunktenkleiner gebohrt worden und wurden auf der Baustelle nachin halber Länge zur Baustelle, Die Obergurtstäbe "wurdendem Zusammenbau um dieses Maß durch elektrisch undin bezug auf den Querschnitt in drei Teilen angeliefert, undmittels Druckluft angetriebene Bohrmaschinen aufgebohrt.zwar jede der beiden Wangen und der Kopf für sich. Text-Zur Vernietung wurden durchweg Drucklufthämmer verwendet.Äbb. 69 gibt ein Bild von der Größe des ersten Obergurtknotenpunktes.Das schwerste eingebaute Stück war das.Schlecht geschlagene Niete wurden nicht durch Abschlagender Köpfe mit Meißel und Vorschlaghammer, sondern durcheben erwähnte der Enddiagonale von 17 t, andere StückeAbbrennen der Köpfe mittels Sauerstoff und Wasserstoffder Diagonalen und Untergurte erreichten häufig das Gewichtentfernt. Dies ist sehr zu empfehlen. Bei geringer Übungvon 15 t. Alle Pfosten, Diagonalen und Obergurtstäbeschon gelingt es, den Kopf ohne die geringste Beschädigungmußten zum Zwecke des Einbauens vom Äufstellkran tiberdes unier ihm liegenden Eisenteiles abzubrennen. Die Nietlöcherund die benachbarten Niete werden in keiner Weiseden oberen Windverband der Rüstträger gehoben werden.Zur Verhütung einer Beschädigung dieses wichtigen Bauteilesin Mitleidenschaft gezogen. Durch das Abschlagen der Kopfe•wurde dabei natürlich mit größter Vorsieht vorgegangen.mit Meißel und Vorschlaghammer werden bekanntlich dieWährend des Zusammenbauena des Überbaues mußte seineÜberhöhung, die nach einer Parabelgestaltet werden und in der Mitte184 mm betragen sollte, täglich nachgemessenund durch Nachstellen derKo2jfschrauben, auf denen der Überbauruhte, geregelt werden, weil die Rüstträgersich unter der vermehrten Lastweiter durchbogen. Durch angestrengteTag- und Nachtarbeit gelang es, dieHauptträger schon am Montag den9. Oktober zu schließen (Text-Abb. 70).In der Zeit vom 3. August bis 9. Oktober,also in 68 Tagen, waren über3100 t aufgestellt worden. Text-Abb. 72 zeigt den Überbau mit fertigaufgestellten Hauptträgern, und dieAbb. 2 Bl. 54 veranschaulicht einenBlick in den Überbau hinein. Mansieht hier deutlich den oberen Wind­Abb. 68. Äuföholhmg dea großen Stromüberbaues.


465 im Zuge der Linie Oberhausen-West—Hohenbudberg. 466Nietlöcher sehr oft oval gestaucht und die benachbarten Nietedurch die Erschütterung gelockert. Im ganzen mußten beim,mittleren Stromüberbau 155000 Niete auf der Baustelle ge-Rhein entfernt war, "wenn nicht ganz außergewöhnliche unduner-wartcte Schwierigkeiten eingetreten wären, die die Fertigstellungdes Überbaues bis Endo Januar <strong>1912</strong> hinausschoben.Alb. 69. Erster Obergurtkiiotenpunkt.Abb. 70. Schluß der oburen Gurtuüg.schlagen werden. Zur Erzeugung der Druckluft von 8 Atm.<strong>Sp</strong>annung zum Betrieb der Niethämmer und Bohnnasehinenund des elektiischen Stromes für die Bohrmaschinen, Kraneund die Beleuchtung war außer der bereits bei der Beschreibungder Aufstellungsarbeiten für die seitlichen Stromüberbautenerwähnten schwimmenden Kraftanlage eine festeKraftanlage auf dem linken Ufer errichtet. Iti iiir war eine75 pferdige Lanz-Lokomobile, ein Dynamo und eine Luftpumpe,die in, der Minute 8 cbm Luft ansaugte, aufgestellt.Diese beiden Kraftanlagen reichten aus, um gleichzeitig dieKrane zu bedienen, 18 Niethämmer und 14 Bohrmaschinenzu treiben und die Baustelle zu erleuchten.Zur Vernietung der Zwischenknotenpunkte der Diagonalenund der oberen Gurtungen waren besondere Nietrütjtungennotwendig. Diese wurden in selir einfacher Weise an diePfosten angeklemmt (Text-Abb. 70 und Abb. 2 BL 54).Die Vernietungsarbeiten wären fraglos so gefördertworden, daß der Überbau am Ende der ersten Hälfte desDezembers 1911 von den Rüstträgern abgehoben werdenkonnte und der Mittelbock gleich nach Weihnachten aus demAbb. 72. Fertig aufgestellter, großer Stromüberbau auf den Eüstträ^'criLjrtrf.26^ 2V^ -'oiAbb. 71. Vorriehtungzum Aufbäugen der RiistträgerJiri dem Überbau.Am 26. und 27. Januar <strong>1912</strong>wurde der überbau durch eine Glyzorinpumpenanlage,von der bei derBeschreibung der Absenkungsarbeitenbald noch eingehend die Rede Beinwird, in zwei Hüben von 6 und11 cm von den Riistträgern abgehobenund nach Entferaung der Kopfschrauben,auf denen der Überbaugeruht hatte, wieder um 11 cm gesenkt.Die Überhöhung, die währendder Auf Stellungsarbeiten zur Erzielungeines glatten Schlusses des Überbauesvon 184 auf 161,5mm eingeschränktwerden mußte, ging dabei auf G2 mmzurück. Die Durchbiegung betrugalso 99,5 mm. Die gehobene undwieder gesenkte Last setzte sich ausdem Eisengewicht des Überbaues unddem Gewicht der Nietrüstung undder Fahrbahn zusammen, sie betrug4050 t. Die Küstträger wurden daraufan den Überbau angehängt und zwardurch Hängevorrichtungen. die um dieQuerträger des Überbaues und derRüstträger griffen, wie dies die Text-Abb. 71 veranschaidicht. Die Beseitigungdes hölzernen Mittelgerüstesnahm fast vier Wochen in Anspruch.Die Rüstträger wurden von zwei niedrigenAusiegera aus, die auf Rollenauf den Obergurten des Überbauesliefen (Text-Abb. 74), abgebrochen.An den vorderen Enden der Auslegerwaren Flaschenzüge eingehängt, dievon Dampfwinden angetrieben wurden.Die ausgebauten Teile wurden gleichin Schiffe abgelassen. Am 14. Märzwaren die Abbrucharbeiten beendet.30*


467 Schaper, Zweigleisige Eiserbalinbrücke über den Rhein unterhalb Duisburg-Ruhrort usw. 468An demselben Tage begannen auch die Arbeiten für dasAbsenken der Brücke. Die dazu erforderlichen Anlagen warenin den vorhergehenden Tagen errichtet worden. Wie schonbei der Beschreibung der Ausbildung der eisernen Überbautenerwähnt wurde, waren unter jedem der beiden Endquerträgerje zwei Stellen und unter jeder der beiden Wandungen dervier Endknotenpunfete je eine weitere Stelle zur Aufnahmevon je einem Drittel der Auflagerkraft ausgebildet worden.Unter jedem dieser Punkte wurde eine Glyzerinpresse von3601 Tragfähigkeit auf Holzstapeln aus scharfkantigen Eichenhölzernaufgestellt (Text-Abb. 75). Der Auflagerdruckwurde also an jedem Überbaulager von drei Pressen aufgenommen.Damit das Anheben und Absenken des Überbaues vollständiggleichmäßig vor sich ging und damit alle Pressenden gleichen Druck erhielten, wurden alle sechs Pressenjedes Überbauendes an eine gemeinschaftliche Pumpe angeschlossen,die von acht Mann bedient wurde. Aue derAbb. 3 Bl. 53 sind das auf einem Stapel aus australischenHarthölzern liegende bewegliche Auflager und die beidenPressen unter dem Endknotenpunkt zu ersehen. Die Abb. 2Bl. 53 gibt diese Pressen in größerem Maßstabe wieder. Hierist auch die zur Pumpe von den Pressen führende Kupferleitungdeutlich zu erkennen. Abb. 1 Bl. 53 läßt die Presseunter dem End^uerträger erkennen. Die Holzstapel warenin den obersten Lagen aus 9 cm starken Bohlen, sonst aus18 cm hohen Balken gebildet. Text-Abb. 75 stellt den Zustandder Stapel vor dem Absenken und Abb. 3 Bl. 53 denZustand während des Absenkens dar. Die Stapel unter denLagern hatten im Grundriß eine Ausdehnung von 1,8 »1,8 m,unter den Endknotenpunkten von 1,2-1,6 m und unter denEndquerträgern von 0,8-1,4 m. Das australische Hartholzhatte unter dem Einfluß der senkrechten Lasten und einesWinddruckes von 50 kg/qm eine Druekbeanspruchung senkrechtzur Faserrichtung von 60tg/qcm, und das Eichenholzeine Beanspruchung von 48 kg/qcm aufzunehmen. Diesehohen Beanspruchungen sind oho© nennenswerte oder garängstliche Formänderimgen ausgehalten worden.Die Pressen (Abb. 1 Bl. 53) bestanden aus vier Teilen:dem Druckzylinder, dem Kolben, dem Sicherheitsring undeinem auf dem Kolben kugelig gelagerten Teller. Die Dichtungzwischen Zylinder und Kolben wurde durch eine Ledermanschettehergestellt, die einen größten Druck von 570 Atm.aushalten mußte. Die Kolben waren an ihrem unteren Ende6 cra hoch glatt, im übrigen Teile mit Gewinde für denSicherheitsring gestaltet. Die höchste zulässige Stellung derKolben wurde dann erreicht, sobald das untere Ende desGewindes den Druckzylinder verlassen wollte. In dieserStellung ragte der Gewindeteil des Kolbens 15,5 cm über denSicherheitsring hervor. Diese 15)5 cm standen also jedesmalfür das Absenken zur Verfügung. Hiervon wurden 4 cm fürdas Zusammenpressen der Stapel unter den Pressen und fürdie Ausdehnung der Stapel unter den Lagern verbraucht und2 cm waren nötig, um die Pressen für das Umbauen derStapel anheben zu können. Die Brücke konnte also jedesmalnur 9 cm gesenkt werden. Bei jedem Senken spielten sichfolgende Vorgänge ab: Die Kolben wurden so weit gehoben,daß ihr Öewindeteil 11 cm über den Sicherheitsring hervorragte.In dieser Stellung wurden sie durch Vermittlungvon dünnen Flacheisen zur Anlage an den Überbau gebracht.Alsdann wurden die Pressen von der Pumpe aus so weit undsolange unter Druck gesetzt, bis die Balkenlage unter denLagern frei wurde. Bestand diese Balkenlage aus 18 cmhohen Hölzern, so wurde sie entfernt und durch eine Bohlenlagevon 9 om Stärke ersetzt. Bestand sie aus 9 cm starkenBohlen, so wurden diese einfach herausgenommen. Nun wurdeder Druck aus den Pressen abgelassen. Der Überbau senktesich mit den zu einem Ganzen zusammengeschlossenen Lagerteilen(vgl. Seite 93 d. Z.) und setzte sich auf die umgebautenHolzstapel auf. Die Pressen wurden dann samt ihren Unterlagsplattendurch Kettenzüge von dem Überbau aus so weitangehoben, daß die oberste Balkenlage ihrer Stapel entferntwerden konnte. Die Pressen wurden schließlich um 9 cmgesenkt. Das <strong>Sp</strong>iel begann"^ '^^ '''"'""^''' nun von neuem. Beim Abhebendes Überbaues von denStapeln unter den Lagernwurden die Sicherheitsringestets nachgedreht und beimSenken wurden sie so geführt,daß zwischen ihnen und denZylindern nur ein geringer<strong>Sp</strong>ielraum von 3 — 4 mm blieb.Wie notwendig die Beachtungdieser Vorsichtsmaßregel ist,zeigte sich bei einem Anheben.Als der Druck in den Pressenseinen größten Wert erreichthatte, platzte plötzlich eineLedermanschette. Durch denAbb. 73. Schi^gestcHtQ Presse großen Verlust an Glyzerinzum seitlichen Versehiebea desÜberbaues. ging der Druck fast plötzlichin allen Pressen auf 0 herunter.Wären die Sicherheitsringe nicht angezogen gewesen, so hätteder Überbau einen sehr heftigen Stoß erhalten. Dies Ereignisbrachte den Absenkungsarbeiten einen dreitägigen Aufenthalt.Nachdem die beschädigte Presse von der Pumpe abgekuppeltwar und neben ihr zwei von Hand bediente Pressen eingebautwaren, wurde der Überbau so weit gehoben, daß diebeschädigte Presse ausgebaut und ausgebessert werden konnte.Die Überbauenden wurden immer abwechselnd um zweimal9 cm gesenkt. Dabei wurden beim Senken der festen Lagerdie Pressen an den beweglichen Lagern^ unter einen Druckvon 300 Atm. gesetzt und hier die Sicherheitsringe fest angedreht,um die etwa auftretenden Längsträfte hier aufnehmenzu können und die Kolben der Pressen mit dengelüfteten Bingen auf der in Senkung begriffenen Seite vonihnen zu entlasten. Die Absenkungsarbeiten dauerten eiu'schließlich des erwähnten dreitägigen Aufenthaltes vom 14. bis21. März. Während des Absenkens wanderte der Überbau, wohlinfolge des sehr heftigen Windes, der während der ganzenZeit des Absenkens herrschte, und infolge anderer Ursachen,die in geringen Abweichungen der Stellung der Pressen vonder Senkrechten und in geringen Höhenunterschieden der verschiedenenHolzstapel zu suchen waren, 8 cm stromab. Umdieses Maß wurde der Überbau, bevor die letzte Lage Über denLagersteinen entfernt wurde, durch ein sehr einfaches Verfahrenwieder stromauf geschoben. Die Unterlagsplatten der Presseni^KRTfe^ftSÄWÄ*«^


••• ''s''•:''?:•:•:••••••:-h^:469 • Molle, Beseitigung und Verhütung von Durchfeachtungen tiefer gelegener Grundstücke usw. 470•^J»iiiiiii iiimij«n*.—_ «1^^mm 11Abb. 74. Ausleger zum Abbrechen der Eüstträger,>tt^11 JAbb. 75. Glyzeriopressenanlage zum Absenken des Überbaues,^ ^ '"''««c^wurden auf Holzkeile mit einem Anzug von rd. 1:1G gestellt(Text-Abb. 73), die Kolben, die in den Zylindern um ein geringesMaß pendeln können, mit gelüfteten Sicherheitsringen indie höchste zulässige Stellung gebracht und entgegen der Verschieberichtungetwas aus der Achse der Zylinder gedrückt.Die Pressen wurden darauf unter Druck gesetzt. Sobald derÜberbau sich von seiner Unterlage abheben wollte, pendeltendie Kolben infolge der Seitenkraft S (siehe die Text-Abb. 73)aus ihrer Lage zur Achse der Zylinder in die entgegengesetzteLage. Die Überbaulager schleiften dabei über ihre Unterlageund verschoben sich um 1,5—2 cm. Sobald der Druck dannabgelassen war, wurden die Kolben in die erste Stellunggebracht und der Vorgang wiederholte sich. Diese Arbeitennahmen nur einige Stunden in Anspruch. Am 22. Märzruhte der Überbau auf den Lagersteinen in seiner endgültigenLage, Damit war der schwierigste und gefahrvollste Bauabschnitt,die Aufstellung des großen Strom Überbaues glücklichzu Ende geführt. Die Brückenbauanstalt Hein, Lehmann u. Ko.entledigte sich dieser großen Aufgabe in anerkennenswerterund musterhafter Weise. Die Güte der Wert stattarbeitenwetteiferte mit der Schnelligkeit und Sicherheit der Aufstolhmgsarbeiten.Die Abb. 1 Bl. 54 zeigt die fertigen dreiStromüberbauten und die Abb. 3 Bl. 54 gibt einen Blick inden fertigen großen Stromüberbau wieder.Y. Kosten der Brücke,Die Kosten der Brücke belaufen sich ausschließlich derAufwendungen für den Grunderwerb und für den Oberbauauf 4 640 743 J&. Von dieser Summe entfallen auf:1. Vorarbeiten {Vermessungen, Peilungen,Baugrunduntersuchungen, Flurentschädigungenusw.) 14 997 ,S2. Pacht für Bauplätze 4 524 ^3. Baustoffuntersuchungen (Betonpresse,Betondruckproben, chemische Analysenusw.) 6 962. „4. Wahrschaudienst, Schleppdampfer undSicherheitödampfer für den Mittelbock 110 222 ^5. Unterbauten einschl. Senkkästen und , •Sicherungsanlagen gegen das Unterspülender Pfeiler 2 010105 „6. Eiserne Überbauten 1973459 ^7. Abdeckung der oisornen Überbauten . 1794118. Abgrabung auf dem rechten Rhcinufereinschl. Entschädigung der Grundbesitzer9. FrachtkostenSumme332 9438 1204 640 743 J^.Beseitigung und Verhütung von Durclifeuehtungen tiefer geiegener Oruudstüelie, in der Mlie von Kieselfeldern.(Mit ÄbbilduBgen aufBekanntlich ist die Verteilung des Gnmdwassers imErdinnern eine sehr mannigfache. Es tritt ebenso, wiedas Oberflächenwasser, in Gestalt von Wasserläufen undWasserbecken auf, je nach der Gestaltung der Oberflächeder undurchlässigen, wasserleitenden aus Ton oder Fels gebildetenSchicht. Sofern diese in größerer Tiefe gebettet istoder aber mehr in der Nähe der Erdoberfläche eich ausbreitet,ist ihre Lage mehr oder weniger von Bedeutung beider Anlage von Kieselfeldern bezüglich des zu wählendenGeländes und seiner Umgebung. Man wird deshalb nichtBlatt 55 im Atlas.) '•'••• '-•'••••• VfAlle ßechta Torbehftlten.)ohne weiteres ein Stück Land zur Einrichtung als Hieselfeldin Aussicht nehmen, weil es, für die Sauer Stoffaufnahmegeeignet, ein passendes Filtergut enthält und genügendenAbfluß für das in Sickerwasser umgesetzte Rieselwasser gewährleistet.Vielmehr wird man auch in Erwägung zu ziehenhaben, ob nicht die Möglichkeit vorliegt, daß später das umdas Sickerwasser vermelirte Grundwasser im Nachbargebietauf seinem Wege nach dem nächsten Vorfluter mit der Zeiteinen so hohen Stand einnehmen könnte, daß Versumpfungenvon Ackern j Wiesen und Gärten sowie Durchfeuchtungen,


471 Molle, Beseitigung und Verhütung von Durchfeuchtungen tiefer gelegener Grundstücke usw. 472UnterspOluDgen von Gebäuden usw. die unausbleibliche Folgesind. Daher werden bei den Yorarbeiten fflr die Anlage vonBieselfeldern die Untersuchungen der geognostißchen Beschaffenheitdes Bodens sicli nicht allein auf das für Berieselungbestimmte Grundstück zu erstrecken haben. Man wird nochaußerdem, wenn irgend tunlich, ringsherum auf dorn Nachbargelände,oder, da dies meisteos infolge des Widerstandesder Besitzer nicht durchführbar ist, wenigstens auf den inder Nähe vorbeiführenden Wegen Bohrungen und Beobachtungender Grundwasserstände vorzunehmen haben. Führennun diese Bohrversuche, die zweckmäßig durch Schichtenlinienzu Papier zu bringen sind, zu dem Ergebnis, daß dieOberfläche der undurchlässigen Schicht eine zusammenhängende,einigermaßen gegen den Horizont geneigte Fläche inausreichender Tiefe bildet, so können die zur Abführung desSickerwassers anzulegenden Entwässerungsgräben innerhalbdes RieseKeldes in dieselbe mit Gefälle eingeschnitten werden,und igt genügend Vorflut nach dem nächsten Bach oder Flußvorhanden, dann können bei regelrechter Anlage der Rieselfelderirgendwelche nachteilige Folgen durch das Rieselwasserfür die Nachbarschaft nicht entstehen.Größte Vorsicht ist dagegen geboten, wenn die unterirdischewasserleitende Schicht sehr zerklüftet, von zahlreichenSandbänken durchsetzt, bald in größerer, bald ingeringerer Tiefe gelagert ist und in der Umgebung stellenweisebis dicht unter die Erdoberfläche steigt oder sogar dieoberste Erdschicht schneidet. Falls man sich wegen ganzbesonderer Vorzüge des Bodens und in Ermanglung sonstigergeeigneter Grundstücke aus wirtschaftlichen Gründen dennochzur Einrichtung eines solchen Geländes für den Ri^elbetriebentschließt, so wird trotz des Vorhandenseins der notwendigenAnzahl von Entwässerimgsgräben, selbst mit befestigterSohle, früher oder später je nach dem Querschnitt undder Beschaffenheit des Wasserträgers, der wasserführendenSchicht, und der Größe der Geschwindigkeit des durch denverstärkten Zufluß vermehrten Grundwassers nicht zu vermeidensein, daß die im Nachbargelände vorhandenen Wasserläufeund Wasserbecken allmählich eine größere Wassermengeaufweisen und daß tief gelegene, aber bisher stets trockeneStellen von unten her naß werden. Die natürliche Folgedavon können schwere Schädigungen des an die Rieselfelderangrenzenden Gebietes durch andauernde Durchfeuchtung inwirtschaftlicher und gesundheitlicher Hinsicht sein.Gegen derartige mißliche Grundwasserverhältnisse, dieverschiedentlich in der Nähe von neu angelegten städtischenRieselfeldern aufgetreten sind, zur Geltendmachung erheblicherSchadenersatzansprüche und zu langwierigen Rechtsstreitigkeitengeführt haben, hat man teils durch Einsehneidentiefer Abfangegräben in das Erdreich, teils durch besondereDrainageanlagen und andere kostspielige MaßnahmenAbhilfe zu schaffen versucht und auch gefunden.Ein sehr einfaches und weniger kostspieliges Hilfsmittelzur Beseitigung und dauernden Verhütung solcher Übelstände,die in ursächlichem Zusammenhange mit der Aufbringung vonstädtischen Abwässern auf Rieselfelder stehen, ist im Jahre1908 bei den Liegnitzer Rieselfeldern zur Anwendung gelangt.Hier hatten auch unterhalb eines neu eingerichteten Teilesauf tiefer gelegenen Ländereien im Südwesten und in einerim Westen gelegenen Ortschaft an vereinzelten Stellen Durch*feuchtungen von Äckern, Wiesen und Gärten sowohl, alsauch Überflutungen von Kellern, und ein Steigen des Wasserspiegelsin den Dorfbrünnen stattgefunden. Die Anlage vonÄbfangegräben war hier technisch und wirtschaftlich auegeschlossen.Daher wurde an deren Stelle eine Sickerrohrleitungauf drei Seiten um das Bieselgrundstück in denQrundwasserträger quer zu den Grundwasseretrömungen an derwestlichen, südlichen und zur Vorsicht noch auf eine kurzeStrecke an der Östlichen Grenze unter die Sohle des Hauptentwässerungegraben3verlegt, und zwar in ihrem oberenTeile auf und teilweise in die Tonschicht, in dem weiterenVerlauf aber mitten in die bis zu 14 m mächtige, wasserführendeSand- und Kiesschicht in Höhe des vor der Einlichtungbeobachteten mittleren Grundwasserstandes (Abb. 1u. 2 Bl. 55). Diese Anlage ist seit vier Jahren in Betriebund hat sich durchaus bewährt. Schon kurze Zeit nach ihrerFertigstellung im Jahre 1908 konnte während des regelmäßigenEieselbetriebes ein stetiges Zui:ückweiohen der Grundwasserwelleaus den beschädigten Grundstücken von Tag zuTag deutlich wahrgenommen werden, bis schließlich nachzwei Monaten die Nässe vollständig verschwunden war undwieder dieselben Gmndwaaserverhältnisse zurückkehrten, wiesie vor der Einrichtung des früher als Exerzierplatz dienendenGeländes bestanden hatten.Die Wirksamkeit dieser Sicken-ohrleitung setzt voraus,daß die Eintrittsgeschwindigkeit der in diese eintretendenWasserfäden größer ist, als die beobachtete größte Geschwindigkeitdes mit Sickerwasser vermischten Grundwassers innerhalbder Grenzen des Rieselfeldes. Der Beweis für dieWirkung ist durch Beobachtungen erbracht worden. Abgesehenvon dem vollständigen Aufhören der oben erwähntenÜberschwemmungen in dem Naehbargebiet, konnte durch eineals kleines Wehr mit vollständigem Überfall ausgebildeteMeß Vorrichtung an der Ausmündung der Sickerrohrleituugzahlenmäßig nachgewiesen werden, daß das dem Grundwasserdurch das Filtergut des Rieselfeldes zugefühile Überschüssige' Sickerwasser nicht mehr, wie vordem, das Rieselfeld verläßtund auf fremdes Gebiet Übertritt, sondern in die Sickerrohrleitungströmt, von wo es nach dem Vorfluter abmündet.Für die Bestimmung der Abmessungen und der Lagedieser Sickerrohrleitung, im besonderen für die Wahl derWeite der Rohre, der Größe und Anzahl der Schlitze fürdie Eintauchtiefe und das Gefälle der Leitung war maßgebenddie durch Verdunstung und Aufsaugung durch die Pflanzenum einen gewissen Bruchteil verminderte Rieselwassermenge.Die Länge der Leitung beträgt bei Gefällen von durchschnittlich1:45 bis 1:2000 1180,45 m, von denen eine Streckevon 1118,25 m einen Durchmesser von 0,5 m erhalten hat,während der übrige Teil aus 0,4 m, weiten Rohren besteht(Abb. 1 u. 2 BL 55). Ihre untere Mantelhälfte ist vollwandig,die obere dagegen mit 18 Schlitzen in sieben Reihenfür 1 m Länge versehen (Abb. 3 bis 5 Bl. 55). Die Schlitzesind an der äußeren Rohrwandung 1 cm und an der inneren2 cm weit, um ihre Versetzung mit Sand und anderen Sink^Stoffen zu verhindern, im Übrigen 12 cm lang. Die mitZementmörtel 1:3 gedichteten Rohre sind mit einer 0,5 mbreiten und 2 m höhen Schicht von Findlingen kleinererKorngröße umschüttet, um durch diese Erweiterung der Porendes Orundwasserträgers Über den Schlitzen der Ldtung den


473 H. Engels, Versuch© über den Beibungswider&tand zwischen strömendem Wasser und Bettsohle. 474Eintritt des Sickerwassers zu erleichtem. Für Reiinigungund Beobachtung der Betriebäfähigkeit der Leitung sind 19Einsteigebrunnon aus Stampfbetonringen mit den üblichenSteigeisen und Sandfängen eingeschaltet. Acht Stück vondiesen dienen außerdem noch dem Zwecke, das aua denSammlern der Drainage abströmende, durch acht Yorbrunnenvon eeinen Sinkstoffen vorher befreite Wasser aufzunehmen(Abb. 7 u. 8 Bi. 56). Die Verbindung zwißchen diesenVorbrunnen und den Leitungsbrunnen besteht aus 0,15 niweiten Tonrohren Zur Herbeiführung einer guten Belüftungder Drainstränge und einer vollatÄadigen Durchlüftung derSickerrohrleitung, femer zur Erleichterung und Beschleunigungdes Saugvorgangos sind in sämtlichen Brunnendeckelndurchlochte Blechrohre mit Hauben eingelassen. Die untereStrecke der Rohranlage ist auf eine Länge von 216,5 mvoUwandig hergestellt, um den Wasserstand in den in derNähe befindlichen Dorfbrunneu nicht zu beeinflussen. DieseAnordnung voUwandiger Rohre konnte ohne Bedenken auchgeschehen, da hier das Grundwasser in seiner Hauptriehtungnicht auf fremdes Gebiet, sondern dem Hauptentwässerungsgrabendes alten Rieselfeldes zuströmt Eine in angemessenenZeitabschnitten vorzunehmende Reinigung der Sickerrohrleitung,der Vorbrunnen und der kurzen Tonrohrleitungenzwischen den Brunnen ist unerläßlich. Zum Schluß mögenoch die Tatsache nicht unerwähnt bleiben, daß der Saugvorgangder Sickerrohrleitung in der Nähe von Schlägen,wo der fiieselbetrieb Buhepausen erfordert, so lange andauert,bis die, eine Parabelfläche bildende, untere Wasserentnahmegrenzeim Wasserträger erreicht ist (Abb. 6 BL 55), vgl auchHandbuch der Ing.-Wissenschaften IH. Band 1904, S. 172/73.Die Kosten der Sickerrohranlage betrugen im ganzen35036,43 Mark, so daß auf 1 ra Länge 29,68 Mark kommen.Mit diesen verhältnismäßig geringen Mitteln sind die Durchfeuchtungentiefer gelegener Grundstücke in der Nähe derKieselfelder in kurzer Zeit beseitigt worden, und die Anlagedient nunmehr auch dauernd zur Verhütung des Überströmeneüberschüssigen, fremden Wassers über die Grenzen derRieselfelder auf das Nachbargelände.Liegnitz, Januar <strong>1912</strong>.Molle, Stadtbauinspektor, Hegierungsbaumeieter a. D.Versuche über den Belbungswiderstand zwischen strömendem Wasser und Bettsohle«Meine Versuche über den Stoß des fließenden Wassers^)auf einzelne kleine, auf wagerechter glatter Öerinnesohle liegendeEQgelchen hatten ergeben, daß er proportional ist demProdukte aus der Wassertiefe in das Gefälle, durch welchesProdukt ja auch die beschleunigende Seitenkraft der Schwereausgedrückt wird, die auf einen auf geneigter Ebene abwärtsgleitenden Wasserkörper einwirkt. Gegen die von mir vorgenommeneÜbertragung dieses Ergebnisses auf die Angriffe,welche die Bettsohle durch die Strömung erfährt, und dieich mit Eäumungskraft bezeichnet hatte, läßt sich aber mitHecht einwenden, daß es nicht erlaubt ist, die Größe desWasserstoBes auf eine lotrechte Fläche ohne weiteres aufeine wage rechte Fläche zu Übertragen.Bei der großen, ja grondlegendeu Bedeutung dieserFrage erschien es mir daher erforderlich, die Versuche soanzustellen, daß sie die Einwirkung des strömenden Wassersauf eine wagereohte Fläche ergeben -würden. Dieseeigenartige Aufgabe ist nun in folgender Weise gelöstworden.Das zu den VerBuohen benutzte Gerinne erhielt diegleiche Ausbildung wie das im Zentralblatt der Bauverwal^tungi) beschriebene; auch -wurde in ähnlicher Weise, wiedort mitgeteilt, die Beruhigung des strömenden Wassers durchDrahtsiebe und durch eine schwimmende, unmittelbar hinterdem Einlaufsieb angebrachte Holztafel bewirkt. In der wage»rechteh Gerinnesohle befand eich eine rechteckige AussparungABCD (Text-Abb. 3 und Abb. 1 BL 56)- von 504 x 102 mmGröße, in der eine 487 x 98 mm große, gleichfalls rechteekigeVersuchsplatte p (Text-Abb. 1, 2 und 3) aus 6 mm starkemIJ 2fiutralb]att der Baaverwaltang 1908, 8. 1C5 und 677 u. f.Von H. Engels in Dresden.(Mit AhbiMangea auf Blatt 56 im Atlas-)(Alle Bwhto TorbehaltsB.)Zinkblech durch das strömende Wasser in der Längen richtungdes Gerinnes wagerecht bewegt wurde.Die Ausbildung der eigentlichen Versuchseinrichtung wardurch die Forderung bedingt, daß die vom fließenden Wasserim Beharrungazustande auf die Versuchsplatte p ausgeübteBeibung an einer Analj^senwage unmittelbar gemessen werdenkonnte. Die WE^^«cht wirkende Heibungskraft mußtö daherzunächst in eine lotrecht wirkende übergeführt werden.Dies geschah durch Vermittlung eines rechtwinkligen gleichschenkligenWinkelhebelö EFGH (Teit-Abb. 1 und Abb. 3BL 66), durch den die auf die Platte p wirkende Reibungdes strömenden Wassers in einen lotrechten Druck umgesetztwurde, der bei E die eine Wagschale belastete und deshalbdurch Wägung unmittelbar gemessen werden konnte.Hieraus ergab sich weiter die folgende Anordnung. Aufder Strecke / der Qerinnesohle {Text-Abb. 1) war der hölzerneBoden ersetzt durch eine 5 mm starke Zinkplatte, die denAusschnitt für die Versucbsplatte p enthielt. Die Versuchsplattewurde getragen und in wagerechter Richtung geführtdurch die lotrechten Schenkel WF^ EF des Winkelhebelsund 4urch ein besonderes Gehänge JK,JK. Zu diesemZwecke waren die Schenkel EF und das Gehänge JK doppeltangeordnet, d. h. es führte rechts und links außerhalbder lotrechten Wände W des Versuchsgerinnes je ein Stabherab. Je zwei dieser Stäbe waren durch je einen QaerstabEM und JJ (Text-Äbb. 2 und 3) senkrecht zur Längenrichtungdes Gerinnes miteinander verbunden. Auf denQuersUlben ruhte durch Vermittlung von Aohatlagem a, ßund y (Text-Abb. 2 und 3) die Veiftuchsplatte p.Um den Ausfluß des Wasser durch den <strong>Sp</strong>alt zwischender Gerinnesohle und der Grundplatte zu verhindera, müßt«


475 H. Engels, Versuche über den ßeibungswiderstaad zwischen strömendem Wasser und Bettsohle.476das Tersuchsgerinno mit einem Blechkasten M umbaut gpL^ 1^werden, dessen unterer 'wagerechter Teil, in dem sich diedie Versuchsplatte tragenden Querstäbe bewegten, also stetsmit Wasser gefüllt war, während in seinem lotrechten Teilen,in denen die Schentel EF^ EF und die Gehänge JK, JKw}////////////A.schwangen, das Wasserstets mit dem jeweiligeuWasserstandeim Gerinne sieh ausglich.Der Wiutelhebelund das Gehänge warengegen das feste Gerinnehei FF und KKabgestützt und ruhtenin Achatlagern, durchdie das Oawicht derVersuchsplatte p undder lotrechten StäbeEF, BF nnd JK,JK mitsamt den Äbstützvorrichtungenfürdie Versuchsplatte paufgenommen wurde.Das Gewicht derbeidenwagerechten SchenkelFO, FQ, die aufdie Länge JVif (Text-Abb. 1) zu einem einzigenStabe vereinigtwaren, und das Gewichtder beiden Streben desWinkelhebels wurdendurch das Gegengewicht P (Text-Abb. 1 bis 3) ausgeglichen,daß durch das kleine Laufgewicht Q eine sehr gute Ausgleichungermöglichte, so daß durch das Eigengewicht ©inDruck von nur wenigen Grammen auf die Wagsehale ausgeübtwurde.Um die feinen Achatspitzen der Lager F und K beimEinlegen von Platten in das Versuchsgerinne oder bei anderenArbeiten vor Beschädigungen zu schützten, konnten sie durchden in Text-Abb. 4 und Abb. 3 BL 56 ersichtlichen ExzenterR aus den Achatpfannen abgehoben und durch einfacheStahlspitzen auf die Stäbe SS abgestützt werden,während der Ausschlag des wagerechten Schenkels desWinkelhebels und damit die Schwingungslänge der Versuchsplattep durch eine Klammer bei 0 durch Stellschraubenmit Slfenbeinspitzen geregelt wurde.Die Einzedausbildung der Versnchseinricbtung ist in denAbb. 1 bis 3 Bl. 56 ausführlich dargestellt, so daß voneiner weiteren Erläuterung derselben abgesehen werden kann.Das nur sei noch bemerkt,daß die röhrenförmigen Teileaus 1 mm starkem Messingrohrausgebildet sind.Die Versuche selbst sindmit sechs verschiedenen Plattenausgeführt worden. ZuAbb. 3. Oberansicht.dem Binde wurde auf dieGrundplatte p (Text-Abb. 1 u. 2) eine genau 100 x 500 mmmessende, also 500 qcm große rechteckige Platte aus 0,8 mmstarkem Zinkblech aufgestiftet. Diese Platte wurde bei derVersuchsgruppe I ohne Oeschiebebelag der Strömung ausgesetzt,während bei den weiteren fünf Versuohsgruppen II bis VIdie Platten mit folgenden Oeschieben belegt waren:IId>0,85IIIl,B


477 H. Engels, Versuche übör dea ßeibun^swiderstand zwischen strömendem Wasser und Bettsohle. 478sichersten durch ihren Porengehalt ausdrücken lassen, sowurde dieser in bekannter Weise ermittelt Er betrug fürdie Platte der Versuchsgruppe I11,25 vH.V „ V :; n 36,40 „V „ 77 » IV 41,70 „77 „ 7, „ VI 52,80 „Abb. 4. YersnchsVorrichtung.In diesen Starten ist die dünne Haut des Ölfarbenanstrichcsenthalten, mit dem die GeschiebekÖriier auf derZintplatte festgeklebt -wurden. Die Nichtübereinstimmung;dieser Schichtstärken mit den angeführten Korngrößen istdarauf zurückzuführen, daß beim Aufkleben der kleinen SandundKieskömer II bis IV an manchen Stellen eine Übereinanderlagerung'von Körnern nicht KU vermeiden "war.Entsprechend den jeweilig verwendeten Versuchsplattenwurde bei jeder Versuchsgnippe die feste Sohle des Gerinnesmit gleichartig belegten Blechplatten bedeckt, so daß dieRoibungsplatte in keiner Weise über die feste Sohle hervorragte.Da sich die verschiedenen Rauhigkeiten der Piattenoberflächen,also auch der Geriiinesohle zahlenmäßig am77 71 J7 7) * 04,9Ü „Die Versuche selbst waren sehr mühsam und erforderteneine große Zahl von Vorversuchen, bevor es gelang, brauchbareErgebnisse zu erzielen. Für jede einzelne Versuchsgruppewurden acht verschiedene Messungen, aber unterWiederholung der gleichen Verhältnisse, durchgeführt, indemfür die gleiche FüllKöhe im Gerinne stets die gleiche Schieberstellungam Wassereinlaufe bewirkt wurde. Da der Einlaßschieberstets unter der gleichen Druckhöhe stand, so wurdedie gleiche Wasserführung im Gerinne bei den einzelnenVersuehsgruppen erreiclU.Die Füllhöho und <strong>Sp</strong>iegelgefälle wurden mit zwei derfrüher beschriebenen i) Pegel gemessen und außerdem mitzwei Schwimmpegeln, Bauart Schoßberger^), die außer- .halb des Vorsuchsgerinncs in besonderen Behältern schv/ammen,die mit den beiden Pegelmeßstelleu in Verbindung standen.Letztere hatten einen Abstand von 6488 mm. Der oberePegel befand sich beim Punkte 3,294 m, der untere bei9,782 m des Versuchsgerinnes, während die Mitte derschwingenden Platte bei 7,517 m lag. Das Einlaufsieb befandsieh bei 0 m und die Abflußöffnung bei 14,838 m.Die Pegel wurden bei allen Füllhöhen durch die Wassergleicheder stehenden Wasserfüllung gegeneinander abgewogen.Die Wage mußte ebenfalls bei stehendem Wasser tariertwerden, da sie auch dann durch das Eigengewicht derwagerechten Schenkel und der Schrägstäbe des Winkelliebelsbelastet wurde. Diese Belastungwechselte aber ständig, wenn auchnur um Hundertstel Gramm odermeistens um noch weniger, je nachder Luftwärme und je nach derEintauchung oder der Größe desAuftriebes der Schrägstäbe, ja sogarje nachdem die Benetzung derletzteren auch nach dem Auetauchenandauerte. Somit mußtefür jeden Versuch die Tara festgestelltwerden.' Bei einem jeden Versuchewurden zunächst die einzelnen mitSand- oder Kieskörnern belegtenSohlonplatten sehr vorsichtig eingelegt,um die sehr empfindlicheMeßvorrichtung nicht zu beeinflussen.<strong>Sp</strong>dann wurde ganz langsamdas Gerinne aus der Wasser-'leitung mit Wasser bis auf dievorgesehene Höhe angefüllt', um<strong>Zeitschrift</strong> f. <strong>Bauwesen</strong>. Jahtg. <strong>LXII</strong>.Abb. 5. Vet'öuchsplatten.2) Österreichische Wochenschriftfür deu öffentlicheo Baudienst, 1909',Heft 34 !,31


479 H. Engels, Versuche über den Reibiingswiderstand zwischen strömendem Wasser und Bettsohle. 480Tafel A, Erg«biii8se der Wagungren und Eioh ungen.2oWasgertiefetcmQ .ccm/Sek.Tarsralieni1der "W"^2e imr (mg)MittelIm 5ti£ meQdäii ^ Nasserspielte lie Wage ein beiein^r B alastnng v on (rag)1 2 MittelKeibUDgegrofies1•Wasaer-WassertieJto(cm•WassermengeQocm/Sek,TaiB der Wage imriihend en "WaBsei (mg)12 i MittelIm str Imenden '^ A^asserspielte die Wage eia beieiner B BlaStUDg V on (mg)12MittelKeilungsgiöße(mg)102 55612 75512 87512 80012 87512 77812 875129101301512 92513 01012 91813 013140138139102 55612 7701282012 75012 82512 82012 83412 79812 82012 79213 06813 02512 99013 07813 02513 00413 07313 02512 99727<strong>520</strong><strong>520</strong>522»4017 7661341012 47012 47012 5101244012 49012 79012 83012 79512 82012 79312 82535<strong>333</strong>5Ui4017 76612 28012 44012 44012 43512 36012 43812 92012 99512 94012 99513 93012 995570557&643017 67112 79512 78012 79512 77012 79512 77513 36513 33013 35213 32013 35913 325564550bbl3017 67112 69012 69512 70012 76012 69512 72813 61013 67013 61013 66513 61013 668915940928110206 04813 98612 78112 86512 80012 87512 88012S7512 85612 8401283112 870128281285813 46713 49513 57513 65513 47513 49513 61013 65513 47113 49513 59313 055640625765797633781IV10206 04813 98612 74512 83012 78012 84512 84012 82012 83012 83512 79312 82512 80512 8401415614 20514 24514 3021416014 20514 36514 3031415514 20514 25514 303136213801450146313711457108 44212 80012 82012 84412 86512 82212 84313 97013 98513 97513 98513 97-313 98511511143114710S44213 82512 83412 86012 83612 84312 83515 43715 47015 43715 47015 43715 4702594363526153027 87712 79512 81012 84512 8501282012 83014 2101413014 22014 17014 21514 1501395132013583027 87712 70012 74012 71012 72512 70512 73315 25015 31015 25015 33015 35015 32025452587256613,317 3861286212 85512 84012 87012 85112 8631512015 05515 12015 0851512015 07022692207323813,317 38613 86012 7201281512 74012 82512 86012 73012 82018 76018 69518 <strong>520</strong>18 20018 <strong>520</strong>18 76018 44818 <strong>520</strong>5900571857005773102 55612 99212 93913 05613 01513 02412 9771317713115131991314913 18813132164155160102 55612 40012 45512 43512 47012 41812 46312 73012 76012 730 12 73012 760 12 7603122973054017 76612 54812 54212 59212 6351257012 58913 00212 99912 98013 04512 99113 0224214334274017 76613 0301212512 1251213512 0781213012 72512 79512 74512 79512 73512 795'657665«613017 67112 850128801288012 97712 8651292913 56013 54913 54013 60513 55013 5776856486673017 67112 29512 44512 44512 42512 37012 43513 56013 71513 58013 73513 57013 725120013901245n1020103013,36 0i813 9868 44227 87717 38612 895130351305613 01512 86412 9301300413 00413 00113 0031B05613 01512 90512 89212 97012 94813 01913 05613 01512 8851291113 00412 98713 93513 94514 35114 45514 53014 61016 29016 25013 93513 945'l4 35114 45514 56014 61016 29016 25013 93513 94514 35114 45514 5451461016 29016 250987926129514401660169932863263957136816803275V.i1020103013,3,6 04813 9868 44237 87717 38612 43512 45512 36012 42512 47512 43012 39512 39512 44012 49512 47512 45512 42012 49512 47012 45512 37512 39.T12 45012 49512 45512 45512 39012 46012 47312 443•12 3851239512 44513 495141101416014 23014 35015 73015 74515 86515 70019 60019 275141201415814 28014 36015 72015 74515 86515 7201955010 295141151415914 25514 35515 72515 74515 86515 71019 57519 285166017041865180532523302348033157130679016821880327733986960102 55612 91212 92612 94012 90812 92612 9171310613 0651310613 0671310613 066180140165102 55612 36512 25012 28512 26012 27512 25512 62012 57012 62012 57512 62012 5733453183324017 76612 45012 48512 53612 59412 49312 53912 96913 0i012 96913 04012 96913 0J04765014894017 76611930119701197011980119501197512 61012 63012 61012 6301261012 6306606556583017 67112 76312 83012 83512 83012 7991283013 69013 69513 69613 69513 69313 695894865880.3017 67112 22012 28012 25012 2801223512 2803347013 51013 47013 51013 47013 510133512301238III1020604813 986128401281612 95012 92412.89512 870140841402614084140441408414 035118911651177VI1020 .6048139861227012250122501228012 2701225012 29012 29512 2701225012 27012 2881397013 9301408014120139701393014 0901414013 97013980140851413017001680181518421690182»108 44212 8721294012 91212 9261289212 93314 86014 90014 8451490014 85214 9001960196710844212 2701231012 2701234012 2701232615 340164701536015 47016 35016 470308031453ilS3027 87712 80812 83012 86412 81612 83612 8231508015 07015 07015 0701507515 0702230224722433037 8771225012 28012 240122801224512280156501508015 65015 680IS 66015 68034053400340313,317 38613,317 386123101221012 34012 29012 32512 250<strong>1912</strong>018 810<strong>1912</strong>018 810<strong>1912</strong>01881067956560«678


•481 H. Engels, Versuche über den Reibungswidorstand zwischen strömendem Wasser und Bettsohle. 4821MiNf^41—1>>>l-Ht—11—«1-^l-H1—1o,.E3UDnjaM•Vt vocn -^»-^ rHT+IC1 ^IM'Ooc-1 C"1 .-H•—•-*l-H1 ^'-H'CDCD^Oo"WCDino o ^o" cTCOrorHODCD l>W «Oi -1 )C1 OlCD CDrH trl>--^§ S1^CD00 00IQ COCO oaI-H WmOiini-irM "*O cT"T >o.5) ^ÜO[>•Mlac^C^rHiD»- #-— i-(M CTjlP- 00boOlmtÖcya>Cai•SSgT313• ^tscy:opl(^.2; SOfc,.äi j1(1)'Hr^^oT3^ 'Bt^sIMH -tJ Ol ©-5 5 -^T3m2 .2 -5 «g^ o»'Si2Schwingungen der stehenden "WassermaBse möglichst zu vermeidenund sie schnell zu beruhigen. War die Beruhigung vollständigeingetreten, so wurde von einem an der Wage stehendenBeobachter die Tara bestimmt, indem er die vorherfestgestellt gewesene Wage freigab und durch Aufsetzen vonGewichten bis auf Milligramm genau, zum Einspielen brachteund dann wieder feststellte. Hierauf wurden von zwei anderenBeobachtern, von denen der am Pegel I stehende zugleichden Einlaßschieber und der am Pegel II den Abfluß regelte,die Pegel I und II gegeneinander abgewogen. Alsdann wurdeganz langsam der Ein laufSchieber auf die für jeden Versuchbereits vorher bestimmte Stellung gebracht und dementsprechendauch der Abfluß mit dem hier befindlichenZylindetverschluß geregelt. Nachdem der Beharrungszustanddes durchfließenden Wassers eingetreten war, was durchschnittlichetwa eine halbe Stunde, bisweilen aber auch eineweit größere Zeit erforderte, und die stehenden Schwingungenin der fließenden Wassermasse versehwunden waren, wurdedie Wage für die Messung der Reibung freigegeben. DieAVage konnte hierbei je nach der kleineren oder größerenDurchflußgesohwindigkeit bis auf 10 bis 50 Milligramm genauzum Einspielen gebracht werden. Nunmehr wurde dasWaaserspiegelgefälle gemessen, indem die beiden Beobachteran den Pegeln I und II mit den Pegelßpitzen genau denkleinen Schwankungen des Wasserspiegels folgten. Auf denfiuf des Beobachters an der Wage wurden diese Pegel festgeklemmtund zunächst die Schoßbergerachen Pegel und danndie festen Pegel abgelesen, weil jene ja den kleinerenSchwankungen des Wasserspiegels weiterhin ungehindertfolgten. Biese Vorgänge wurden bei jedem Versuchesechzehnmal wiederholt, so daß sich für jeden Versuch das<strong>Sp</strong>iegelgelKllo als Mittel aus 32 Ablesungen ergab. Trotzder aufgewendeten Sorgfalt war es leider unmöglich, brauchbareund einwandfreie OefäUemessungeu zu erzielen, da derdie Pumpe treibende Elektromotor von den Schwankungenim städtischen Betriebsnetze abhängig ist, die zur Zeit derVersuche besonders groß waren. Schließlich wurde nachAbstellung des Wasser-Zu- und Abflusses der Behai-rungszustandder ruhenden Wassermasse abgewartet und nochmalsdie Tara für die gleiche Füllhöhe wie beim Beginne desVersuches bestimmt.Der Unterschied zwischen der gemitteiten Taraam Anfange und Ende des Versuches und dem Gewichte,das die Wage beim strömenden Wasser zumEinspielen gebracht hatte, ergab die KeibungsgrÖBe.Nachdem so für jede Platte acht Versuche in einer gewissenBeihenfolge durchgeführt waren, wurden sie in umgekehrterReihenfolge wiederholt. In der Zusammenstellungder Versuchsergebnisse sind die gem^senen KeibungsgröBensowohl einzeln als auch als Mittel aus diesen beiden Versuchenangegeben. Die Durchflußmengen wurden durchEichung bestimmt, so daß die mittlere Geschwindigkeit desfließenden Wassers mathematisch genau berechnet werdenkonnte. Wenn auch die Gerinnesohle wagerecht lag unddaher eine beschleunigte Bewegung des Wassers vorhandenwar, so waren die <strong>Sp</strong>iegelgefälle doch so klein — selbst beider größten Geschwindigkeit und Rauhigkeit der Sohle betrugdas Gefälle etwa nur 0,001, im Mittel betrug es abernur etwa 0,0004 —, daß die Durchflußquerschaitte auf der31*


483 H. Engels, Versuche über den Reibungswiderstand zwischeo strömendem Wasser und Bettsohle. 484HiOmtse/trdSßmaabAbb. 6. Kur-ven nach den Gleichungen K- • a- v^:f-Heil/lLiigsgi-öBeAbb. 7. Kurven nach den Gleiohnngen £"=0»'.eigentlichen nur 500 mm langen Versnohsstrecke als einandergleich angesehen werden können, so daß für die Ver-Buchsstrecke unbedenklich gleichförmige Bewegung zugrundegelegt werden darf.Die Versuchsergebnisse sind zur EiTnittlung der Beziehung»wischen der Sohlenreibung K und der mittleren Geschwindigkeit1) des strömenden Wassers so benutzt worden,daß für diese Beziehung• K^meinmal eine Gleichung von der Formund dann eine Gleichung von der Formuntersucht wurde, wobei die Größen a und x nach demVerfahrender kleinsten Quadrate bestimmt wurden. Nach der86 TffT^/SdpgaaerBten Eorm ergaben sichauf diese "Weise die ft)lgendenGleichungen;Versach H-gmppeI: Ä"=0,216?? 1.739II: ^=0,315^1,^8IH: ^=0,537^2.036IV: A'= 0,639 ^:2,W4V: ir= 0,783 z-MssVI: ir= 0,6911^1.908während mit der quadratischenParabel der zweitenForm die folgendenGleichungen sich ergaben:VersnohsffruppeI:II:III:IV:V:VI:^=0,282 «2ir=0,382 «2^=0.518 v2r= 0,658 «2r=-0,811 «2A'= 0,786 1)2Beide Gleichungsgruppensind in denText-Abb. 6 u. 7 zeichnerischaufgetragen.In beiden Fällennimmt die Grfiße a zumit dem zunehmendenPorengehalt der Sohlensobicht,während imersten Falle der Exponentvon V eine gesetzmäßigeVeränderlichkeitnicht erkennen läßt, sichaber um den Mittelwert„2'' anordnet. Es istdaher die Folgerung erlaubt,daß die Eeibungsgrößesich anmitdemqfs ünkf/f^n näherndQuadrate der mittlerenGeschwindigkeitändertDubuat^) hat als Erster den Angriff, den die Flächeneinheitder Bettsohle durch das strömende Wasser unter derVoraussetzung gleichförmiger Bewegung erleidet, durch dieBeziehungausgedrückt, die ja nichts anderes darstellt als die beschleunigendeSeitenkraft der Schwere, die auf einen WasserkÖrpervon 1 qm Grundflache uiid i in Höhe einwirkt, der auf einerunter / geneigten Ebene abwärts gleitet Dubuat begründetdie vorstehenden Beziehungen in folgender Weise:rtEs ist noch zu untersuchen, wie man in Gewicht denWiderstand auswerten kann, den das Wasser von seltenseines Bettes erfährt, oder den Angriff der Strömung auf3) Principes d'hyarauütiue, Paris 1816. Tome I, S. 97 bis 104.


485 H. Engels, Versuche über den Keibungswiderstand zwischen strömendem Wasser und Bettsohle. 486ihr Bett, damit diese das Bett im Sinne ihrer Bewegungmit sich fortreißen kann, wenn es nicht dem Angriffevermöge seiner Trägheit widersteht. Es folgt aus derGrundbedingung für die gleichförmige Bewegung, daß,wenn das Wasser sich in einem Bette gleichförmig bewegt,derÖesamtwiderstand, den es daselbst erfahrt, gleichist seiner beschleunigenden Kraft; die beschleunigendeKraft ist aber gleich dem Gewicht der ganzen in Bewegungbefindlichen Wassermasse multipliziert mit dem Bruche,der das Gefälle des Bettes ansdrttckt,"Dubuat drückt nun, dieser Anschauung entsprechend,die Eeibung, „frotteraent improprement dit", auf die Flächeneinheitder Flußsohle durch das Gewicht eines Wasserkörpersvon dem Rauminhalte t-J aus.In Wirklichkeit treten aber außer der Reibung noch dieinneren Bewegungen im strömenden Wasser Beschleunigungverzehrend auf: durch die an der Bettsohle wirkende Reibungwird daher ein um so kleinerer Anteil der Beschleunigungverbraucht, je größer diese inneren Bewegungen sind.Ist y das Raimagewicht des Wassers, gleich lOOOVg/cbm,t die Wassertiefe in m,dann ist 1000 t das Gewicht einer Wassersäule von tra.Höhe, in kg/qm.Bezeichnet ferner /das relative Gefälle, E"denReibnnga-•widerstand, in kg/qm, Wi die Summe der inneren Bewegungswiderstände,in kg/qm, dann muß bei gleichförmiger Bewegungdie Bedingung erfüllt werdenoderFür Wi = 0 wirdK-\-Wi = YtJ'Wi ytJ K.Allgemein ist der Keibungswiderstand oder der Angriff derStrömung auf die Flächeneinheit der BettsohleK^ayiJ.Der Beiwert a ist stets kleiner als Eine und nähert sichdiesem Grenzwerte um so mehr, je kleiner die inneren Bewegungensind.In gleicher Weise läßt sich der durch die inneren Bewegungenhervorgerufene Widerstand ausdrücken durchwonnWi - ßytJ,^^1- a.Der Beiwert ß ist stets größer als Kuli und nähert sichdiesem Grenzwerte um so mehr, je größer a ist a und ßerreichen gleichzeitig ihren GrÖßt- und. Kleinstwert.um einen zahlenmäßigen Anhalt ül>er die bei meinenVersuchen aufgetretenen Wei-te von o und ß zu erhalten,blieb mir, da brauchbare Gefällemessungen nicht zu erreichenwaren, nur der Weg übrig, die <strong>Sp</strong>iegelgefälle / mit Hilfeeiner Gesehwindigkeitsformel zu berechnen. So viel auch mitRecht gegen die Benutzung der Gesehwindigkeitsformel einzuwendenist, wenn es sich um natürliche Wasserläufehandelt, bei denen ja nie die Vorbedingungen der Formelerfüllt werden, so darf im vorliegenden Falle, hei dem es siehum ein durchaus regelmäßiges künstliches Gerinne handelt,die Formel unbedenklich angewendet werden. Bas gilt insbesonderefür die neue Bazinsche Formel, weil ihr Beiwertgerade für künstliche Gerinne durch genaue Versuche bestimmtworden ist. Allerdings mußte ich mich bei der Verwendungdiesev Formel auf die Versuchsgruppe I beschränken,da für die ungleichartig benetzten umfange der anderenVerauchsgruppen brauchbare Beiwerte c der allgemeinenFormelnicht vorliegen.Nachdem für die einzelnen gemessenen Größen v und ßunter Einsetzung der Bazinschen c-Werte der Klasse 1 dieGefälle mit Hilfe der FormelJ^2 J.Rermittelt waren, wurde die größtmögliche Angrifffikraft desströmenden Wassers ausberechnet und mit den gemessenen Z"-Werten verglichen.Daraus ergaben sich die Beiwerte a und ß. In der Tafel Csind die Ergebnisse dieser Berechnungen zusammengestellt.Wie man sieht, hat die ßechnnng für die Versucheder Ziffern 1 und4 Werte 1000-i./ergeben, die kleiner sindals die zugehörigen gemessenen ^-Werte: ein unmöglichesErgebnis, das eben die Mängel einer solchen Rechnungoffenbart, anderseits aber zeigt, daß die berechneten WertelOOO'if J jedenfalls nicht zu groß sind. Bei allen anderenVersuchen ist aber das berechnete 1000 •;/ größer als daszugehörige gemessene Ä", so daß in Wirklichkeit die Beiwerte« der Versuche 2 und 3 sowie 5 bis 8 etwas kleinerTafel C.Zifferf, niEme(Klasse 1,.Bazin)VmVa rs ue tK^y^-. 1000-JSglUppQ' I1000. ÄJItg/qmgemessenkg/qm1000. iJ-Ä"= Wikg/qmlooü-fJ«Wt.iooo.f Jß123456780,100,400,300,100,200,100,300,1330,060,110,100,060,090,060,100,0769,873,673,169,872,569,873,170,90,0810,UI0,1870,1920,2220,2680,2950,4150,022440,0<strong>333</strong>60,065440,123500,1065S. 0,245690,162950,489440,002240,013340,019630,012350,021300,024570,048890,065090,002780,006880,011140,012660,015620,022940,027160,04476—0,006460,00849~0,005680,001630,021730,020330,5160,518—0,7330,9340,5560,6880,4840,482_0,2670,0660,4440,312


487 H. Engels, Versuche über den Reibungswiderstand zwischen strömendem Wasser und Bettsohle. 488sein werden als die berechneten und in die Tafel C eingetragenen.Ea ist ferner ersichtlich, daß a zunimmt (oder ß abnimmt)mit abnehmender Wassertiefe: das bedeutet nur eineBestätigung unserer bisherigen Anschauung, daß mit zunehmenderWassertiefe die inneren Bewegungen zunehmen.Eine Gesetzmäßigkeit für das Verhalten von c* beikonstanter Wassertiefe und veränderlicher Geschwindigkeitläßt sich aus der Tafel 0 nicht ableiten- Versuch 6 zeigtein kleineres a als Versuch 1 oder 2, während anderseitsVersuch 7 ein größeres a aufweist als Versuch 3. Es wäreaber voreilig, hieraus zu folgern, daß bei gleicher Wassertiefeder Wert a unabhängig sei von der mittleren Geschwindigkeit.Am wichtigsten ist aber das Ergebnis, daß a für einund dasselbe Gterinne veränderlich ist und daß daherK=aytJnicht proportional ist dem Produkte aus der Wassertiefe indas Gefölle.Ich habe bereits vor Jahren mit bezug auf die FormelK=ytJ^ die das sogenannte Schleppkraftgesetz ausdrückensoll, gesagt:*)„Sie ist nichts als eine Formel, deren Ableitungauf Voraussetzungen beruht, die in der Wirklichkeit nichterfüllt werden. Sie ist deshalb weit entfernt davon, einGesetz darzustellen.^Meine Versuche zeigen, daß sie auch nicht in der FormK=ot\(ij^f,t


489 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und Sinkstoffbewegungeu. 490Zur Erforschuüg der Geschiebe- und Sinkstoffbewegungeu.I. Die Du Boyssehe &lel«him?.Während man früher gewohnt -war, als Maßstab fürden Angriff des strömenden Wassere gegen Sohle und Uferdie Geschwindigkeit zu betrachten und zwar bald die mittlere,bald die Sohlengeschwindigkeit, stellte Du Boys für denBeharrungszustand eines gleichmäßig tiefen, unendlich breitenFlußlaufes die einfache Beziehung iS ~ y ^ ,7 als Maßstab fürden "Wasserangriff auf. Da die Ableitung dieser Formelsehr einfach ist, soll sie hier wegen des besseren Einblickesin die nachfolgenden Untersuchungen wiedergegeben werden.Es liegt der Gedanke zu Grunde, daß im Beharrungszustanddie beschleunigenden und hemmenden Kräfte einander gleichenmüssen.In einem Wasserlauf von unendlicher Breite und vollendeterOleichmäßigteit, dessen Tiefe t und dessen Gefällwinkel« ist, betrachte man einauf der Flächeneinheit der Sohlestehendes Wasserpriama {Abb.ll,Im Beharrungszustande herrschtan den vier Seitenwänden desPrismas gleicher Druck, so daßsich hier die Druckkräfte gegenseitigaufheben. Das Gewichtdes Prismas ist bei einem EinheitsgewichtAbb. 1.y^ ' i1) G ==^\-l- cosacos«Die Seitenkraft senkrecht zur Sohle ist2) N= Q • cosa,diejenige in Richtung der Sohle3) 'T^' ff-sin a.Da die Reibung von Flüssigkeiten auf festen Körpern unabhängigvon dem Nornaaldruck ist, so bleibt N ohne Einflußauf die Bewegung des Wassers und wird nur durch denentsprechend gerichteten Sohlendruct aufgenommen. Diean der Sohle in Richtung des Gefälles auftretenden Stoßkräftedagegen, die man in ihrer Gesamtheit als Reibungoder in dem vorliegenden Sonderfall als Schleppkraft 8 zubezeichnen pflegt, sind die einzigen Kräfte, die sich derBeschleunigungskraft T == Ö - sin a entgegenstellen. Demnachmuß sein4) 5 = Ö • sin ü. Es warQ = t -y.Vom Regierungsbaumeiater a. D. ©v^s^ng. Leiner.Ferner ist5) sina ^ t/^ Gefälle, Also wird-6) S = yt-J,und zwar bei Met^reinheit t/qm. Bemerkt sei dazu noch, daßdie Inneren Kräfte des fließenden Waasera/also die innerenReizungen, Stöße usw. bei der Ermittlung der Schleppkraftkraner Berücksiohtlgang bedflrfen, da ihr HnflaB bemts in tund J, dem Gleichgewichtaer^bniä der wirksamen Krflfteund Gegenkräfte, ZUM Ausdruck kommt(AUa Becbtb -vorbehalten.>Trotz des von Du Boys^) erbrachten, zuerst in äußerstanschaulicher Form von Möller^) auch in deutschen Fachschriftenveröffentlichten Beweises, und trotz der eingehendenUntersuchungen Kreuters^) und anderer will sich die Behandlungvon Fragen der Geschiebebewegung mittels des obigenGesetzes in der Praxis nur sehr langsam einbürgern, haupt-Bächlicb. wohl wegen des scheinbaren Widerspruches mit denbekannten Regeln der Hydraulik,' n* Die Geschiel)e1>ewegrun^ HIKI die hierbei tttti^en KrHfte.Das Wasser hat dicht über der Sohle eine in verschiedenenHöhen stark wechselnde Geschwindigkeit, die^an mit dem zusammenfassenden, wenig bezeichnendenKamen Sohlengeecbwindigkeit v^ zu bezeichnen pflegt.Die Sohlengeschwindigfceit ist kein rechnerisch feststehenderBegriff, und es erscheint für die weiteren Untersuchungenzweckmäßig, unter diesen verschiedenen Sohlengeschwindigkeitendiejenige herauszugreifen, die — ein rechnerischerMittelwert — durch Stoß gegen die Rauhigkeiten der Sohlefortwährend soviel lebendige Kraft überträgt, daß ein Beharrungszustandmöglich wird. Diese Sohlengeschwindigkeitheiße „mittlere Schleppgeschwindigkeit" oder kurz SchleppgeschwindigkeitVa.Bezeichnet (p einen von der Art der Sohlenbildungabhängigen Rauhigkeitswert, / das Einheitsgewicht desWassers über der Sohle, F eine Fläche der Sohle, g dieErdbeschleunigung, Äj? die Schleppkraft för die Fläche F^dann wird nach den Gesetzen des Stoßes7) (p-y-F~ = 8s:Es bezeichne Einzelachleppkraft S, diejenige Kraft,die als Stoß des Wassers oder der darin schwebenden Sinkstoffegegen einen auf der Sohle ruhenden einzelnen Geschiebekörperin Eracheinung tritt. Im Gegensatz dazubedeutet dann „mittlere' Sbhleppkraft" oder kurz SchleppkraftB den Mittelwert aus einer Beihe derartiger mehroder weniger wagerecht gerichteter Einzelschleppkräfte j denman jedoch nicht auf die Summe der getroffenen senkrechtenProjektionen, sondern auf die Flächeneinheit der wagereehtenProjektion bzw. der Sohle, zu beziehen pflegt, da er sichin dieser Form durch die Du Boyssche Gleichung zahlenmäßigausdrücken läßt.Das an der Sohle fließende Wasser vemisaeht nichrtallein Stoßkräfte gegen Gesohiebeteile der Sohle, sondern eskann auch gegen feste Körper treffen, die im Wasserschweben. Eine in solcher Weise auftretende Stoßkraft mXi^mit Treibkraft T bezeichnet werden. Diese Treibkraftwechselt entsprechend der wechselnden Sohlengeschwindigkeit,ist also in verschiedenen Höhen über der Sohle verschiedengroß. Sie ist ftJr die Vorgänge des gleichmäßigen Wasser-1} P. da Boys, Ann. des ponts et chaossees 1879, Seite I49ff.2) <strong>Zeitschrift</strong> d. Arch.- n. Ing,-Verein3 in Hannover 1890, S. 455;Möller, Gi-UDdriß des Wasserbaues, Band 11, S. 71ff.3) Handb. d. Ing.-Wiss., Teil lU, Bd. 6, S. Uff. <strong>Zeitschrift</strong>des österr. Ing.- und Arch.-Vereins.


491 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und SinkstofFbewegungen. 492abflusses geFissermaßen eine innere Kraft, da bei ihrerAuslösung sich das Arbeitsvermögen der gesamten fließendenMasse nicht ändert. Im Gegensatz dazu sind alle Schleppträite,-wenDgleich sie ihrer Art nach ebenfalls Stoßkräftesind, für die Abflußregelung äußere Kräfte.Weil die Einzelechleppkraft .in der Regel nur einengeringeren Teil der Oberfläche eines Geschiebekörpers trifft,wobei dieser sich noch gegen Nachbarn stützen bann, undweil die Geschwindigkeit mit der Entfernung von der Sohlezunimmt, fio können Treibkräfte wesentlich größere Einzelwirkungenhaben als Schleppkräfte.Die Größe einer Treibkraft kann im Einzelfall nachden Gesetzen des Stoßes berechnet werden, und z\rar wirdfür einen Körper vom Querschnitt F die Treibkraft8) T^C^.,^.Darin t einen von Form und Rauhigkeit abhängigen Beiwert.Während die Bildung des Begriffes einer mittlerenSchleppkraft große praktische Bedeutung hat, läßt sich derMittelwert aus Treibkräften für keine Projektion bilden, dadie Größe der ausgelösten Einzeltreibkräfto von der Mengeaufgewirbelten Geschiebes abhängt. Man ist also bei derErmitthing der durch Treibkräfte verursachten öeschiebeführungauf Erfahrungswerte über die Beziehungen derselbenzur Wassermenge und Geschwindigkeit angewiesen.IIL Beziehungren einzelner hydraulischer Fftlitoren zueinanderund zu der Grescliiebcbeweg'Uiig.Creschlebeheweg-uttgTstlieorieDfBei Beliandlung flußbaulioher Aufgaben steht häufig dieFrage im Vordergrunde, ob die Sohlengeschw^indigkeit oderdie mittlere Geschwindigkeit oder das Du Boyssche Schleppkraftgesetzden besten Maßstab für die Geschiebe- undSinkstoffbewegung abgibt, wie weit sich die einzelnen Theorienwidersprechen oder vereinbaren lassen u. dgl.Betrachten wir zuerst die Du Boyssche Gleichung. Sieerregt häufig Bedenken, weil sie weder einen Geschwindigkeits-noch einen Rauhigkeitswert besitzt. Das ist aber nurscheinbar der Fall, denn J igt Geschwindigkeitsquelle, tbereits eine Folge der Rauhigkeitszustände. Auf ähnlichenErwägungen beruhen ja auch die neueren Geschwindigkeitsformelnohne Bauhigkeitswert c.Die Tatsache, daß ein Beharrungszustand fließendenWassers nur bei Kraftabgabe an der Sohle möglich istj wurdezur Ableitung der Du Boysschen Gleichung benutzt DieseKraftabgabe kann nur an den BertlhrungBstellen zwischenWasser und Bett erfolgen und zwar nach unserer heutigenErkenntnis allein auf dem Wege des Stoßes gegen Eauhigkeitender Sohle oder gegen die dort lagernden Geschiebekörper.*)Die Sohlengeschwindigkeit muß also ebenso alsBasis einer Schleppkrafttheorie verwertbar sein, wie dieKraftwerte der fraglos einwandfreien Du Boysschen Gleichung.4) Tatsächlich tritt Stoß im Verein mit Reibung auf. Da mandie Reibungskraft jedoch in ähnlicher Form wie die Stoßkraft alsFunktion der Geschwindigkeit zu schreiben pflegt, so genügt es,hier nur von Stoßkräften zu sprechen. Vgl. die erschöpfendenAusführungen Plentners in der Österr. Woch. für den off; Baudienst1910. 8. 165—169, 184 — 188.Durch Gegenüberstellung dieser beiden Theorien, undzwar vorerst für den Sonderfall eines unendlich breiten,absolut gleichmäßigen und im Beharrungszustande befindlichenWasserlaufes, werden sich daher auch Einblicke in die Beziehungender einzelnen hydraulischen Werte zueinanderund zur Geschiebebewegung ergeben mtlssen.Der Stoß der Schleppgeschwindigkeit gegen eine GrundflächeF war bereits durch die Definitionsgleichung 7 ausgewertet.Für die Flächeneinheit wird also der Stoß, d. h.die mittlere Schleppkraft9)25^ . _ s.Nach Gleichung 6 ergibt sich der Wert der mittlerenSchleppkraft zuWährend y hier das mittlere Einheitsgewicht bedeutet,stellte das y in Gleichung 9 das Einheitsgewicht des ander Sohle fließenden Wassers dar. Nimmt man angenäherty in beiden Fällen gleich groß an, dann wird10)vl =^9' t' J oder


493 Lein er, Zur Erforschung der Geschiebe - und Siukstoffbewegungeu. 494eine andere Sehleppkraftsgrqße gekennzeichnet ist wie dieBeendigung.Wir nnterBcheideii daher zweckmäßig einen Ruhegreazwertder Schleppkraft -Ä^, bei welchem gelagertes Geschiebein Bewegung kommt, und einen Bewegungsgrenzwertder Schleppkraft *5o, bei welchem bewegtes Geschiebezur Ruhe kommt. Nach den genannten Versuchen ergab sichS'*' etwa 30 vH. größer als 5j. "Wir nennen15)-^die Lagerungsziffer einer Geschiebeart. Es ist an2Unehiuen,daß X nicht konstant ist, sondern bei scharikantigemoder platt lagerndem Geschiebe und solchem mit eigenerKlebekratt einen größeren Wert hat als bei rundem undabsolut reinem Geschiebe. Eigentliche YerschUckung derOberfläche bleibt zweckmäßig bei den Untersuchungen ausgeschlossen.Nach den bisherigen Beobachtungen könnteman im Mittel X — 1,3 rechnen.Gesucht werde der Bewegungsgrenzweit Oo derSchleppgeechwindigkeit für ein Geschiebe, dessen GrenzwerteiSo, So und CTobekannt sind. Nach Gleichung 12 warfür den Ruhegronzzustand^ffDer Festwert dieser Grenzgleichung wurde mit ifl bezeichnet,nämlichSo'2g r2 r2~ =- yo^üo = ffo .Dementsprechend wäre für den Bewegimgsgrenzzustand So16)17)Es wird also


495 Leiner, Zur Erforschung der Oeschiebe- uüd Sinkstoffbewegungen. 496Was vorher allgemein gefolgert "war, lehrt diese Gleichunggen aller:Selbst für gleichbleibendes Geschiebe ist — ein ver-0änderlicher Wert, woraus sieb die Unmöglichkeit ergibt,unter Umgehung der zahlenmäßigen Ermittlung des Schleppkraftwertesunmittelbar aus der mittleren Geschwindigkeitauf die Standfähigkeit dieser Gesohiebeart schließen zuwollen. Dieses war bei Benutzung der Sohlengeschwindigkeitmöglich.Anderseits bietet die Benutzung der mittleren Geschwindigkeitden Vorteil, daß sowohl sie als auch der Bei wert cleichter zu ermitteln ist als die tatsächlich wirksame SohlengeschwindigkeitVa.„Es gibt Beispiele, daß bei Deichbrüehen oder Überschwemmungensich über bloßliegendo Saiidflächen ein außerordentlichstarker Strom ergoß, ohne den geringsten Schadenanzurichten.'*«) Gleichung 22 gibt die Erklärung für derartigeVorgänge.Es kommt bei der Geschiebebewegung nicht nur aufdas Stoßvermögen des Wassers an, sondern eben sosehrdarauf, wieviel Stoßfläche der Untergnind dem Wasaer darbietet.Vorangegangene starke Schwächung des StoUverraögensoder geschützte Lage derartiger Sandstellen können natürlichebenfalls miteinwirken. Die Sohlengeschwindigkeit wirdin den obigen Fällen sicher ebenfalls groß gewesen sein;wenn sie trotzdem nicht die Sohle anzugreifen vermochte,so läßt sich dieses durch die hohe LageningszitTer A bzw.den hohen Schleppgeschwindigkeitswert GI des glatt ge^lagerten,.scharfen, mit einer Wetterkruste erhärteten Sandeserklären.Mögen nun einige der bekanntesten Geschiebebewegungstheoriennoch im einzelnen betrachtet werden.Sternberg'^) lieferte imter anderem folgende bemerkenswerteRechnung: Ein ellipsoidisch gestalteter Geschiebekörpervom Inhalt V und dem Einheitsgewicht /o, dessen kleineAchse 6, und dessen große Achse a=2h ist, ruhe miteinem Eeibungsbeiwert /* auf einer Geschiebeunterlage undbiete der Sohlengeschwindigkeit v einen Stoßquerschnitt F.Demnach Jat der WasserstoßeFy3^'worin fi ein Beiwert, y das Eiuheitsgewjcht des Wassersist. Der Widerstand des Körpers gegen Verschieben istdagegenW=f.V.{y,~Y).Der Grenzaustand des Gleichgewichtes beim Beginn der Bewegungerfordert P = W-^ alsoeF-y---^f-V-iyo^y)F = a-b-oder, da7t imd-T^^ -f« • 6^. ;T ist,6) Haadb. d. Ing.-Wissenseh. 1905, Teil 111, Bd, 1, Seite 345(Jasmund),7) Ausbildung des Ijängsgefalles am Oberrhein, Zeitschr. fürBauw. 1875, Seite 483. Auch im Auszöge; Handb.der Ing--Wissenschaften.Teil III, Band 1, Seite 344 (1903).unter beispielsweiser Annahme der Wertee = 0,8f^\yo = 2200 kgy = 1000 kg1 /|-7i:-a6H22 (2200 —1000)-9,81V 0,8.« brv 1000jj = 4,43-Vft.Bei dieser Sohlengeschwindigkeit würde der Geschiebekörpersich zu bewegen beginnen. Die Ableitung nimmtalso als Grundlage die in ihrer Größe schwer feststellbareSohlengeschwindigkeit und mißt als AngrifFskraft des GleichgewichtszustandesEinzelsehleppkräfte an freiliegenden Kieseln,Da die Du Boyssche Gleichung im Gegensatz dazu diemittlere Schleppkraft aneinander gelagerter Kiesel ausdrückt,so folgt:Der Sternbergschen Theorie entsprechen lür bestimmteGeschiebearten etwas kleinere Grenzwerte So und o^ als demDa Boysschen Gesetz,Verbreiteter als diese für die theoretische Entwicklungeines Längen Schnittes sehr lehrreiche Sternbergsehe Theorieist in der Praxis das empirische Verfahren, für bestimmtenatürliche Geschiebearten Geschwindigkeitsgrenzwerte festzustellen.Die theoretisch geforderte Berücksichtigung desEinheitsgewichtes unterbleibt dabei in der Regel.Erfolgte die Feststellung der Grenzwerte, bei denendas Geschiebe von der Strömnng fortgeführt wird, unterAufrühren desselben, so bestimmt man offenbar nicht Bewegungsgrenz werte der Sohlengeschwindigkeit (sj), sonderndie etwas geringeren Treibge&chwindigkeitggrenxwerte. DasVerfahren ist unsicher, da die Geschiebe, sobald sie denstärkeren Treibkräften entronnen sind, wenige Meter stromabwärtsliegen bleiben können.Beobachtet man den Beginn der Wanderung ohne Aufrühren,80 erhält man die der Theorie annähernd entsprechendenRuhegrenzwerte s\.Beide Verfahren lassen sich, wie wir gesehen haben,angenähert in Einklang mit der Theorie, insbesondere auchmit der Du Boysschen Gleichung bringen. Die Vernachlässigungdes Einheitsgewichfes hat meistens wenig Einfluß,doch wird die Rechnung durch die Benutzung der Sohlendvgesohwindigkeit sehr ungenau, da der Wert-JT an der Sohlestark wechselt.Franzius*) bezieht infolgedessen, trotzdem er sich derUnsicherheit der Angaben voll bewußt ist, seine Beobachtungenlieber auf mittlere Geschwindigkeit.Diese Angaben müssen nach den vorangegangenen Untersuchungenleider noch weniger befriedigende Ergebnisseliefern. Dasselbe gilt noch mehr von allen Beziehungen aufOberflächengesehwiüdigkeit u. dgl.Zu. erwähnen ist noch, daß y meistens 1 t/cbm gesetztwerden kann. Gerade im Zustande der Geschiebebewegungsteigt allerdings auch der Gehalt an Sinketoffen sehr erheblich,und alles Geschiebe, das durch die Treibkraft dauerndschwebend erhalten wird, erhöht das Einbeitsgewicht: Er-^fahrungawerte' wärgn daher sehr erwünscht8) Handbuch der Baukunde, Wagserbau» Seite 162 (1890).


497 Leiner, Zar Erforschung der Geschiebe- und SiLkstoffbewegungen. •498IV. Übertragung der unter Voraiissetzinigr Idealer ölelchmäßig:-keitsziut&nde nnd nneudUelier Bettbreite gefandenen firgebnlss«auf unregelmäßige nnd seitlich begrenzt« natürliche Qnei^ehnitte.a) Einführung eines Sicherheitswertes.Da in natürlichen Querschnittett infolge TJngleichmäßigkeitender Sohle, örtlicher Gefälländerungen, Wirbel, Seitenströmungenusw. die errechnete Schleppkraft S niemals dertatsächlich örtlich vorhandenen Schleppkraft entsprechen kann,BO gilt, streng genommen, hier weder der SchleppkraftswertS==ytJ, noch der ScMeppgeschwindigkeitswert v^^ da beidesnur Mittelwerte sind. Durch Verwendung der örtlichenSohlengeschwindigkeit ?;s könnte man in Sonderfällen der Wirklichkeitnäher kommen.Da es jedoch nicht zweckmäßig ist, jeden einzelnenSonderteil der Sohle für sich zu behandeln, so rechnet manam besten auch in natürlichen Wasserläufen mit den MittelwertenS und Va (bzw. der für gewisse Stellen gemitteltenSohlengeschwindigkeit Vs) und berücksichtigt die tatsächlichenVerhältnisse durch Zusatz eines Sicherheitswertes it, schreibtalso 8'^%-ytJ und . -•^s' = Vit • V«-Bei befürchteter,Äustiefting wäre it>-l, bei befürchteterAnlandung )t < 1 zu wählen. Zweckmäßige Erfahrungswertefehlen zur Zeit. Während die Statik ihre Sicherheitswertemit dem Stoff verbindet, erscheint es hier zweckmäßiger,die Beiwerte der errechneten Schleppkraft bzw. der Sohlengeschwindigkeitanzugliedern, weil dieses anschaulicher istund richtigere Schätzung ermöglicht.b) Sohleppkraftsgröße auf Böschungen und auf derSohle eines geschlossenen Querschnittes.Die bisherigen Betrachtungen setzten einen unendlichbreiten Wasserlauf von gleichmäßiger Tiefe voraus. Für diePraxis ist jedoch die Frage wichtig, ob das Oesetz S^ytJauch für die verschiedenen Stellen in einem geschlossenennatürlichen Querschnitt ohne weiteres angewendet werdendarf. Leider findet die rein theoretische Behandlung derFrage hier ihre Grenze, da bekannte physikalische Gesetzeals Grundlage nicht dienen können und man somit sofortauf mehr oder weniger passende Voraussetzungen gelangt,deren Wertigkeit allein durch umfassende Versuche geprüftwerden könnte.yDie Benutzung der Gleichung 5=-^-1-'^ für beliebigeQuerschnittastellen würde ebenso eine beweisbedürftige An*nähme darstellen, wie die Benutzung der Gleichung S = ytJ.Daß beide Verfahren bei Wasserläufen mit steilen Wändenund scharfen Ecken keinesfalls anwendbar sind,*) zeigtAbb, 2. ^


499Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und Sinkstoffbewegungen.50023)24) G^y't-[a-^n-t)/ 2-t't-n 2-t-t-n\und die Beschleunigungsfeomponente G * */, demnach wird dieSehleppkraft im ganzen Querschnitt2b) S=yt-{a-\-nt)-J.Unter Benutzung der oben gemachten Annahme tlberdie Schleppkraftsverteilung -wird diese an der SohleDarin bedeutet x einen Beiwert, der Ton der Gestaltung• des Flußbettes abhängig ist; er würde in einem unendlichbreiten Fluß von gleichmäßiger Tiefe gleich 1 werden müssen,hat jedoch bei endlich begrenzten Betten einen entsprechendFür die Mitte beträgt die Schleppkraft30) Sf-^y.-Y-f-Jje Flächeneinheit der Sohle. Gemäß Annahme beträgt dieörtliche Schleppkraft an der Stelle y31) Ä«x•^J'yund auf die Länge ds einer Seheibe von der Breite 132) dS^-A-ty-J-y-ds-i.Nun bestehen bei vorliegender Parabel folgende Beziehungen;33) ds -= V^^~2 + S/2,34)35)y^^2Px,2P=b^7'b^y^^—.X.b^^2Pf,Durch Differenzierung:b^2-y-dy=^-dx^Abb, 3.kleineren "Wert. — An den Böschungen erfolgt eine lineareAbnahme der Schleppgröße, so daß mit Bezug auf Abb. 3die Schlepphraft im ganzen Querschnitt sein mußoder26)S=l-a-y.-y't-J-^2l-'Vt^n'^ +P-Y.-Y-t-JDie Werte S der Gleichungen 25 und 36 einander gleichgesetzt, ergibt27) , '^^•^•^Für n — oo -wird %=^1.2. Parabelförmiger Querschnitt.Wichtiger als der soeben betrachtete trapezförmige Querschnittist für die Praxis eine schalenförmige Form;, wofür36) dx'b^ y-dp-Durch Einsetzung dieses Wertes in Gleichung 33 wirdds-^ \/^-y''dy^^ + dy^.37) ds = dy* 1/ 4/'^-j/^4-yYoriiBV ist ty^f^x, oder, da x = y^-^^/Also wirddS=-A'-^^{b^^y^)'J'ydyV38) rf5 = ^il^I^ .(ia_y2).y4y^2,y2 + ^4.(/2/.Die Integration ist zweimal von 0 bis b auszuführen,daher wird39) Ä--^-^^"^^0Abb. 4.aus rechnerischen Gründen die Parabel gewählt werde (Abb. 4).Betrachtet werde ^ine Waeserscheibe von der Breite I. Essei b die halbe Flußbreite, f die Tiefe in der Kitte..Das Gewi&ht der Scheibe ist dann28) " 0=^y-l'^2b'f^y-ib-funddie Beschleunjgungaseitentraft G-J, demnach die SchleppkVaflim ganzen Querschnitt29) ,1 ; „ S^y.^.b.f.J,Zur Lösung des Integrals wird es weiter umgeformt:40) ^=/(6.-,.,.V47V+^..,=/l^!=g^^!),.,,Es werde gesetzt 4.p


501 Leiner, Zur Erforschung der Geschiente- und Sinkstoffbewegungen. 502ß'ADie Einzelintegrale B, Cund D \rerden jetzt berechnet:y''^ay^^h^0: ,_ et• dy^'dy4a4a J•h2a V V^y^2/'yay^-\-b^und somit y.—Gleichung 4142) x- ,1^Aoder nach Einsetzen des Wertes A ausifiabyab'^ vav^+i* y«y«2/'Beranaeh wird^^_rjV^^!±lV ^. o+ftM«~^^)-^^> ft^'A^ - •J =2/^'y^M=T*^ &^-(4a-&,^}4 4Es ist C=j/.y^i/s^fc* _ ^*2a 2a4 4-2-a\ 4*^a / Lya+ ~ 8a^^^,^_•Z>, also wirdyB,-^ay2^h^ hi-{Aa — b^)-y-yay^-]-b^4 8a4--ln(fl/y+ya.ya2/^+6^).ya•De?v nicht gut deukb;ire Logarithmus einer linearenFunktion verschwindet bei Einsetzen der Grenzen:Ä= fiy)dy^-b^.yab'^ + b* , b^-{ia^b^)-yah-'-\-b^4 8a8a-ya4a6^-h^*8a-ya, /--.r i/T7\A= ^^*-V« + ^'' fe^-y^H-^^- (4a-6g)4 8a41)^^So8a8a-Vaya-Ä^, 62.(4flj_^^2) Ä..(aH-ya.ya+62)'^ ,._. Inyaya-b^(2«-6.,.V^^Vä:^*^Ya • . b-Durch GleichsetKung der- beideu Werte für S aus denOleichuügen 29 MTÄ 39 bzw. 40 ergibt eichund nach Einführung des ursprünglichen Wertes Ap = a4:3) X-upbDrückt man die halbe Flußbreite b als ein Tielfachesder größten Tiefe / aus, so wächst, wie aus dem Aufbauder Gleichung ersichtlich, der erste Faktor des zweitenNennergliedes sehr rasch zu einer großen Zahl an (z, B, beifr-=100/" auf rd. 500 000 000 000), und mit dieser Zahl istdann ein log. nat. zu multiplizieren. Daraus folgt, daß manzur Erreichung eines richtigen Schlußergebnisses sowohl dieWurzel als auch dea Logarithmus auf eine entsprechendgroße Anzahl von Dezimalstellen genau zu berechnen hat.Das Endergebnis nähert sich naturgemäß mit wachsendem bdem Werte 1,Um eine Übereicht über die tatsächlichen Werte x zubieten, wurde für die untersuchten Querschnjttsformen, unda bzwar für mehrere Verhältniswerte -—- und —, der Wert vtermittelt und in nachstehender Tabelle zusammengestellt.Des besseren Vergleiches wegen sind jedoch bei den Trapezquerschnittendie Sohlenbreite a und bei den Parabelquerschnittendie halbe <strong>Sp</strong>iegelbreite b jedesmal durch die ganze<strong>Sp</strong>iegelbreite B des Querschnittes ausgedrückt worden.Zusammenstellung der Beiwerte xfür die Sohleppkraftgleiehung 5' = K.y.^ J t/qm, berechaet für verscbiedeaeVerhältnisse von <strong>Sp</strong>iegelbreite B und Wassertiefe t bzw, f.(Vgl. Abb. 3 und 4.)schnittsformTrapezTi-apezTrapezTrapezTi-apezParabelßö- |[Breiten-.TeihtUtoigB^UB=2f0,710,760,880,90«»00,92S^6f0,920,950,95a^OB^-Qt0,940,960,970,97O;^0B=iOf0,960,970,980,980,98o==00,98B=20tB=^20f0,98küiztaus0,99 1 —0,90,99 10,9920,99 0,9931,0 0,996Man sieht, daß überall bereits bei einer Flußbreite gleichder zehnfachen gr^Jßten Tiefe der Wert Ä nahezu gleich 1wird und selbst bei sehr schmalen und tiefen Flflssen nurwenig kleiner als L iat. Auch der Einfluß der Form desFlußbettes ist nichfr wesentlich, so daß die für mathematischeQuerschnitte abgeleiteten Ei^ehnisse auch auf natürlicheQuerschnitte übertragen werden dürfen. Der Einäiüß der


503 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und Sinkstoffbewegungen. 504Vergrößerung des Umfanges durch Unregelmäßigkeiten erscheintunwesentlich.Man kann demnach, ohne einen nennenswerten theorethiscbenFehler zu begehen, in allen fällen der Praxis, auchbei geschlossenen Flußquerschnitten, den Wert /r = 1, also.die Formel S'^ytJt/qm anwenden, wogegen Laboratoriumsversucheallerdings die genauere Berücksichtigung desWertes k erfordern.c) Wirkung der Schle-ppkraft bzw. der Sohlen-, geschwindigkeit auf Böschungen.Die Wirkung der Schleppkraft ist naturgemäß an einerBöschung größer als auf der wagereehten Sohle. Kreuter^^)drückt diese Veränderung der Wirkung durch die Beziehungaus:44)SQ io sin Q — sin cft(, sin p -j- sin öDarin bedeutet So ^'^^^ U Schleppkraftsgrenzwert undTiefe auf wagerechter Sohle, 8^' und to dasselbe an einerBöschung vom Neigungswinkel of, q den natürlichen Böschungswinkelüber Wasser.Wie man aus dem Vergleich Kreuters mit dem WÖhlerschenGesetz wohl annehmen darf, ist die Formel auf demWege des Versuches an der Hand von Messungen in natürlichenGerinnen abgeleitet worden.Man kann jedoch auch versuchen, auf theoretischemWege einen Einblick in die Verhältnisse zu erhalten.Die Bezeichnuügen seien die gleichen %vie vorhin,außerdem bedeute: Q' den natürlichen Böschungswinkel desbetreffenden Erdreiches unter Wasser (ruhiges Wasser,jedoch Erschüttenmg des Erdreichs), (x^ den ßeibungswerteinzelner Teile desselben beim Böschungswinkel p, G dasGewicht eines einzelnen Teiles oder eines Gemengestückes.Auf der Böschung ruhe ein Geschiebe vom Gewicht G.Für den Grenzzustand des Gleichgewichts Lm ruhendenWasser bei Erschütterung des Erdbodens ist (Abb. 5)45) Ö • sin ^ = |U • G • cos ^,also ist46) ß =^ tg Q.ibb. 5. Abb. 6 a. Abb. 6 b.Bei einer unter a geneigten und einer Sohleppkraft Soausgesetzten Böschung gilt für den Grenzzuetand des Gleichgewichtsmit Bezug auf Abb. 6 a und 6 b13) Im Original, lautet die Gleichung:S * _^ sin p — sin «>%


505 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und Sinkstoffbewegungen. 5Ö6d) Wirkung der Schleppkraft oderSohlengesoh^windigkeit auf stark geneigter Sohle.Es war bisher vorausgesetzt worden, daß die Ermittlungder Schlepptraftawei'te S^ auf wagerechter oder sehr schwachAbb. 7.geneigter Sohle erfolgt. Auf einer im Winkel ß geneigtenSohle wird dagegen der Schleppkraftsgrenzwert (vgl. Abb. 7)54) Soi^ G'Binß = ^. Ö' cos/?•Soi = |U • G * Icosß — — • sin/3Es war nach Crleichung 49: So = ^ ' Gund nach Gleichung 46: jit^tgg.Also wird55) Soi = So' (cos ß — ctgQ • sin ß)56) Soi =- 'S'o • sin/9(ctg/9 —ctgg)oder mit Hinzuftigung eines Erfahrungswertes ^57) Ä,i = ^-siii/?-(ctg,?"^^-etg^).Bei Anwendung auf die Keehnung mit Sohleiigeschwindigkeitenwird in Anlehnung an Gleichung 53..'2 f,58) ^' = ^ sin ß • (ctg ^—^ ctg f)00 t^iO ioIn Worten: Ein Bettungsstoff mit dem natürlichenBöschungswinkel Q (unter Wasser bei Erschütterung) undden Grenzwerten So bzw, a^ hat auf einer unter ß geneigtenSohle die Grenzwerte'S'o' = So' sin ß (ctg ß — ^ • ctg e) bzw.Oo = t^o • yHmß{Qigß — ^'ctgö)•e) Sohleppkraftgröße bei verzögerter undbeschleunigter Bewegung,Hat das Wasser bei sonst bettparallelem, Abfluß infolgeirgend einer Ursache, beispielsweise infolge, glatter Felaeohle,eine beschleunigte Bewegung, so wird unterhalb eine-größereSchleppkraft zu erwarten sein als sie die Du BoysscheGleichung anzeigt. Man könnte hier mit höherem Sicherheitswertrechnen, doch gibt es noch andei'e Wege. Dastheoretisch fiichtigste wäre die Rechnung mit Sohlengeschwiudigkeiten.Zweckmäßiger dürfte aber meistens dieHechnungmit der mittleren Geschwindigkeit sein Is -^ ~wenigstens bei Entwurfaarbeiten.-•i),Dies ist natürlich eineAnnähenmg, da das Verhältnis —^ hier voraussichtlich einanderes ist als im Beharrungszustande, und da außerdem dieGleichung 22 nur für unbegrenzte Querschnitte gilt, wogegenim geschlossenen Querschnitt der Wert c für die einzelnenSenkrechten sicherlich ein anderer ist als der Querschnitta-Mittelwert, o der Gleichung v = c-^HJ^ Das gleiche giltfür verzögerte Bewegung.f) Schleppkraftgröße bei Unparallelität von Bett •und Strömung.In allen TäUen wo starke, von der Parallelität wesentlichabweichende Strömungen Sohle oder Ufer treffen, verliertdie SchleppkraftsgleichuBg jede Berechtigung, und man mußdie Regeln des Wasserstofies anwenden; Für die Praxisdürfte sich eine empirische Theorie etwa wie nachfolgendempfehlen: Das Wasser vom Einsturzgewieht y treffe eineUferwand unter einem Winkel d und mit einer Geschwindig',keit V, Denkt man sich v in seine beiden Seitenkräfte senkrechtzur Wand und parallel dazu zerlegt, so erhält mandie Sohlengeschwindigkeiten if • ein a und -v • cosa.Demgemäß'ist für ein EiSLchenstück F der Koimalstoß59) N^C-y-F'Bm'd-'^9und der als Reibungsstoß zu bezeichnende Tangential stoß61) ^_LLZ:^(j.8m2


507 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und Sinfcstoffbewegungeu. 508forschen und gegebenenfalls hieraus Schlüsse auf die Sohlengeachwindigkeitzu ziehen, als umgekehrt.Bei der Benutzung von Einzeltörpern als Versuchsträger•wird man leider stets auf Binzelschleppkräfte, unterumständen sogar auf Treibkräfte hinauskommen. Betrachtenwir daraufhin die zweiten Engelsschen i*) Versuche.Da die Versuchskugel ihre ganze Vertikalprojektion demStoßvermögen des Wassers aussetzte, so konnte die mittlereSchleppkraft der Sohle nicht gemessen werden. Es wurdevielmehr nur die Einzelschleppkraft bestimmt, die in diesemSonderfall sogar nahezu wesensgleich der Treibkraft war.Daß sich die Einzelschleppkraft, deren Wert den der mittlerenSchleppkraft um ein rielfaches (etwa 28) übersteigen mußte,als proportional dem Werte t • J ergab, ist wohl dadurch zuerklären, daß die Kugel klein genug gewählt war, um ziemlichim Bereiche derjenigen Sohlengeschwindigkeiten zu bleiben,deren Einwirkung auf die Gefäßwände die mittlere Sehleppkraftbedingte. Der theoretische Mehrbetrag bei Versuch III(Verbältniszahl 2,2 gegen 1,9) läßt sich durch den vernachlässigten,hier sehr großen Einfluß der Seiten wände verstehen.^^) Anderseits hätte sich jedoch auch nach den vorangegangenenEntwicklungen eine angenäherte Übereinstimmungder gemessenen Stoßkräfte mit den Werten ergeben müssen,welche die Anwendung der Stoßformel für die Sohlengeschwindigkeit liefert. Der Grund dafür, daß dieses nichtder Fall war, ist wahrscheinlich darin zu suchen, daß dieRechnung mit einem Mittelwerte der Sohlengeschwindigkeitin dem Sonderfall des Versuches ein unzutreffendes Ergebnislieferte.In Abb. 8 sind die wahrscheinlichen Geschwindigkeitslinienund die Kugel stark verzerrt dargestellt worden. BeiAbb. 8 a. Abb, 8 b.Versuch I bedingt geringe Tiefe UDd starkes Gefälle einekräftige Mischung aller Wasserteilchen. Die Öeschwindigkeitsliniewird hier die Soiile flach tangieren und dannfiHl^V)^ ^n. yf Hb ^K4.'- ^ / " •/ r/1lX^'^s%l111/nh,yAbb. 9a. Abb. 9b, Abb. 9o.plötzlich scharf ansteigen. Bei Versuch III bedingt dagegendie große Tiefe und das geringe Gefälle ein kurzes Tangierenund gleichmäßiges Ansteigen der Linie.14) Zentralbl. d. Baüterw. 1908, Seite 677 ü. fgd.15) Vgl. Zentralbl. d. Bauverw. 1908, Seite 318; Zentralbl. d.Bauverw. 1909, Seite 491 (Krey). Gleichung 27 mit n = o gibtebeöfalls einen Einblick, wenn auoh die Annahme S=f{t) hier sicherlichnichts zutrifft.Es möge das Stoßmoment fließenden Wassers mit dreieckigerGeschwindigkeitaverteilung für den Drehpunkt m einerKugel ermittelt werden.Mit Bezug auf die bekannten Gesetze des Wasserstoßesund die Bezeichnungen der Abb. 9 wird das Stoßmomentfür die Vertikalprojektion63) M^=Ja-'y'2^\r-^~y'''dy^^-(r + y)Darin bezeichnet; a einen Stoß wert, y das Einheitsgewichtdes Wassers, v bzw. v' Geschwindigkeiten in Entfernungeny bzw. X vom Mittelpunkt.Nimmt man näherungsweise einen Ausgleich der verschiedenenWerte a an und rechnet daher a konstant, dannwird unter Einsetzung von64) V == ^^—-— und V =2r66) Es heiße "^^"- = C, dann wirdr67) M^= C-Jyr''~y'^-{:r+yf-dy-\-C-Nr^Z:7^-{r-£)^-d%.0 0Setzt man ^ = /'-sing), dann wird68) V/-^-?/^ — r.yi —8in-> = r-co8.^,69) r + y = r-{\ -|-ein y),70) r — y = r-{l — sin*^),71) dy ^ r ' cos (p • d(p.Entsprechende Werte ergeben sich, wenn * = r*sini/'gesetzt wird. Demnach wirdMm= C-fr-cos (f-r^ • (1 -}-9iny)3 -r- cosgp -dg)•j- C-fr' cos iff-r^-{i — sin ifj)^ • r • cos ip-dip,Mm=C'r^fcos'^fil^smq)y'dp.Es istcos^g). (1 -I- sin g?)» = cos^qp - {1 -f- 3 • sin 97 + 3 • sin^* g>-\- sin^ y),cos^i^- (1 — 8inr^)3«= cos^t/^- (1 — 3 • Bini^-j- 3 -sinSi/; — sin'i^),cos^y • (1 -4- sin g))3 =^ coe^g)-]- 3 • ^intp • 003^93 + 3 • sin^*p • cos ^+ sin^ tp • coB^ g),cos^i//. (1 — sin tp)^ = cos^ i/^—3 -ein tp- cos^ i^-f 3 • ^in^ip • coH'^ijj— sin^ tp • cos'^ ip.Es war «/ = r-sin gp und x = r-&mip.Femer sind die Grenzen:y = r sin^ ^ = l l _2ff iy) dy - ff (y) d


509 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und Sinkstoffbewegungen. 5]0Entsprechende Integrale von /"(qo) und f{ip) können alsoals ff{^)dQ vereinigt Tirerden. Daher •wird0Es ist fHiR^g -dQ^ — -J • sin 2§ -1-1 ^.t/sin^e-l-^^j-Also wirdVerfahren nicht genau genug sein, um darauf eine einwandfreieTheorie zu gründen. Zweckmäßiger wäre vielleichtfolgende Anordnung;Das Versuchsgerinne wird mit Kugeln, oder billigermit grobem, äußerst gleichmäßig gesiebtem Kies in vollerLänge ausgekleidet, wobei der Kies beispielsweise auf einendicken AsphaltaDstrich gelegt und mit heißer Walze gleichmäßigfestgedrückt wird. Soll nur die Gleichung S=ytJnachgewiesen werden, so liegt eine grobe Auskleidung ander Sohle, während die tunlichst weit voneinander entfernten-^m= C-r«• /[^ sin 2$ + iJ;e + f sinSg - cosg],0oder mit Einsetzung des Wertes C aus Gleichung 6672) ifm-=232gWollte man dagegen das Stojßmoment unter Benutzungeiner^in Mittelpunkthöhe angreifenden mittleren (reschwindigkeitVffi herechneu, so würde sich ergehen:73)oder, da t>^=:-^,74) j / ;TgMan erhält also auf diese Weise rechnerisch nur etwa57 vH. des tatsächlich -wirksam gewesenen Stoßwertes. Ähnlichwie bei dieser dreieckigen Geschwindjgkeitslinie, dieaus örönden der Einfachheit gewählt wurde, kdnnen dieVerhältnisse bei Versuch III gelegen haben, und es ist inAnbetracht des obigen Bechnungsergebnisses und der großenSchwierigkeit derartiger Messungen sehr gut denkbar, daßim Falle III die Stoßformel in der Form der dort gewähltenAnwendung einen zu geringen Wert ergeben konnte, währenddie gleichmäßiger verteilte Geschwindigkeit des Falles I einrichtigeres Ergebnis ermöglichte.Mußte auch aus den unmittelbaren Rechnungswertender Engelsschen Versuche gefolgert werden, daß die Stoßformelfür die Sohlengeschwindigkeit nicht anwendbar sei(Zentralblatt der Bauverwaltung 1908, S. 680, Satz 3), so dürftemau diese Folgerung nach der obigen Betrachtung wohl dahinergänzen:Die Stoßformel ist auch für die Sohlengoschwindigkeitanwendbar, doch tann infolge starken öesdiwindigkeitsweobselsdie Rechnung mit einer mittleren Sohlengeaohwindigkeitin einzelnen Sonderfällen falsche Ergebnisse liefern.Wo ein solcher Fall zu verüiuten ist^ müßte man integrieren,falls sich die Grundlagen dazu ermitteln lassen, andernfallsbliebe nur Schätzung übrig.Wollte man bei Versuchen mit einer Einzelkugel ©inemittlere Sohleppkraft feststellen, so müSte man bdspielsweisedas ganze Versuchsgerinne mit gleichen Kugeln wiedie allein frei bewegliehe Versuchskugel fest auskledden.Abgesehen von den großen Kosten würde aber auch diesesZtitaebrin t. ButveBW. Jahtg. <strong>LXII</strong>."••^9Abb. 10.Seitenwände mit GlaBBcbeiben belegt sind; bei Querschnittversuchensind dagegen auch die Böschungen rauh gemacht.Als Versuchsträger dienen einzelne Teile der Sohle oderBöschungen, und zwar werden sie zur Verringerung vonVersuchsfehlern möglichst groß gewählt. Abb, 10 zeigtschematisch und verzerrt Längs- und Querschnitt eines Versuchsgerinnesfür den Nachweis der Beziehung S=ytXAus der Mitte der Sohle ist ein langes, schnmles Stück a(z. B. 1 m lang und 10 bis 20 cm breit) herausgeschnittenund mit 0,3 bis 0,5 cm <strong>Sp</strong>ielraum wieder eingefügt, nachdemsämtliche Kanten mit hochgebörteltem Blech b eingefaßtwurden und der bewegliche, wasserdichte Abschluß durchzwischengeschraubte Streifen e aus bestem Patentgummi vonetwa ^/lo bis y^ ^^ Stärke (je nach Wasserdruck) hergestelltist. Das lose eingehängte Sohlenstück schwimmt in einemQueeksilberbad d und wird durch kleine Bollen oder Kugeln egeführt. Gegen eine Nase f des Sohlenstückes wirkt derHebelarm L^ einer Wage. Zuerat werden für verschiedeneFlillhöhen des Gerinnes diejenigen Gewichte g ermittelt,die nötig sind) um bei ruhigem Wasser die Keibungswiderständeder ganzen Vorrichtung zu überwinden und das Sohlenstückin Bewegung zu setzen. Alsdann wird bei bewegtemWasser nach Eintritt des Beharrungszustandes Gefälle, Fülltiefeund Schleppkraft für verschiedene Änderungen vonFalltiefe und Gefälle unter Auflegen von Gewichten G gemeesen.Die entsprechende, auf das Sohlenstück von derFläche F entfallende, Schleppkraft ist dannhund die Schleppkraft auf die FlächeneinheitS' G~gÄhnliche Vorrichtungen könnte man anwenden, um dasGesetz der Veränderlichkeit der Schleppkraft innerhalb einesQuerschnittes zu finden. Auch hier würde man Streifen vonetwa 5 bis 10 cm Breite und 0,5 bis 1 m liänge aus derBöschung des Versuchsgerinneg herausschneiden und zwarin verschiedenen Höhen mit und ohne Bestehenbssen festerZwiachenstfleke der Wand. Das Gewicht der losö einge-33h


511 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und SinkstoffbewegUngen. 512hängten Streifen wäre ähnlich wie vorhin durch ein Quectsilberbadaufzunehmen; dazu tritt hier noch ein Systemkleiner Rollen oder Kugeln, die den Seitendnicfc des Wassersaufzunehmen und die losen Boschungsstreifen in richtigerLage zu halten hätten. Die Eeibungsgröße der Versuchs-Vorrichtung würde ahnlich wie vorhin besliramt.b) Beobachtung der Q-eschiebebewegungin natürlichen Wasserläufen. Feststellung derSchleppkraftsgrenzwerte und Sohlengescliwindigkeitsgrenzwerte.Wenn die theoretischen Grundlagen auch am sicherstendurch Laboratoriumaversuche gefunden werden, so bleibt dochder praktischen Flußbautechnik auch nach Erkenntnis derGesetze noch ein reichlicher Anteil an der weiteren Erforschungder Yerhältniase.Wie man Schleppkraftsgrenzwerte an Kiesbänken, dieüber Niedrigwasser hervorragen, annähernd feststellen kann,darüber hat Ereuter **) wertvolle Fingerzeige gegeben. WoGeschiebebänke bei Nie-^—^*drigwasser nicht hervortreten,oder wo starkeVeränderung der Strömungbei fallendemWasser noch eine Umlagerungder Bänke erwartenläßt, sowie inallen Fällen, wo Ge-Bchwindigkeitsgrenzwertegesucht werden, wird mannoch nach anderen Mittelnsuchen müssen. Vor allemist an Laboratoriumsver-Buche mit natürlichen Geschiebenzudenken, dochmüßten sie in größtemMaßstab ausgeführt werden.Über viele Fragenwürde eine unmittelbareBeobachtung des FlußgrundeaAufschluß gebenkönnen, wofür Verfasserdie aus der schematischenAbb. 11 ersichtliche Vorrichtungersonnen hat,die er „Waseerkamera" nennen möchte.In einem Metallrohr a von etwa 4 bis 5 cm Lichtweiteund einer Länge, die größer ist als die größte 'W^assertiefe,befindet sich unten ein durch ein auswechselbares Plaoglasgeschützter Doppelanastigmat b von etwa 6 cm Brennweitefund etwa -^ Lichtstärke. (Kurze Brennweite und großeLiohtatärk^ sind Bedingung, um möglichst dicht an denFlußgrund heranzukommen, ohne ein zu kleines Bildfeld zuerhalten, ferner, um trotz großer Lichtstärke befriedigendeSchärfe auch bei wenig genauer oder schwankender Einstellungzu erhalten.) Mittels eines optischen Zwischen-16) Handb.d. Ing.-Wissensch., Teiinr, Bd. 6, Seite 49 (1910).Systems wird das BUd des Objektivs b auf die Mattscheibeeiner kameraartigen Vorrichtung c gebracht, wo es scharfeingestellt werden kann.Oberhalb des Objektivs b befindet sich eine elektrischeLichtquelle rf, deren Licht durch einen Reflektor e auf dieFlußsohle geworfen wird. Als Beleuchtung dienen Intensiv-Metallfadenlampenvon etwa 500 HK oder besser ringförmigumgelegte Quecksilber-Bogenlampen, die ein starkaktinisches Licht geben. Die Lichtquelle muß so kräftig wiemöglich sein, also mindestens einige Tausend HK betragen.An dem massiv gebauten Reflektor sind zwei kräftige Einzelstützenf abschraubbar befestigt, deren spitze Fortsätze bei derBeobachtung oder bei der Aufnahme bis in den unbeweglichenFlußgnmd gestoßen werden. Die Länge der <strong>Sp</strong>itzen richtetsich nach der Tiefe der beweglichen Schicht. Film oderPlatten müssen von höchster Empfindlichkeit (30 bis 40''W)sein und ein relativ feines Korn haben, da alle Aufnahmenam besten vergrößert würden. Die Originalgröße der Aufnahmendürfte 4 X 4 bis 5 ^ 5 cm betragen, so daß sich fürdie Einstellung und Beobachtung eine große, an der Kametjibefestigte starke Lupe h empfehlen würde. Bei nicht zutrübem Wasser könnte der Apparat dazu dienen, die Vorgängeder Öeschiebebewegung auf der Mattscheibe zu beobachtenoder auch im Bilde festzuhalten. Zu große Annäherungan die Sohle würde die öeschiebebewegung beeinflussen.Senkrechte Verschiebbarkeit des optischen Rohres « in eineman dem Reflektor fest angeschlossenen Rohr, selbsttätigeFortschiebung des Filmbandes mit darauf folgender Belichtungin bestimmten Zeiträumen und ähnliche Vorrichtungen würdendie Verwendbarkeit des Apparates erhöhen. Ein einschaltbaresKniestück mit Prisma g (Gewinde über dem Reflektor)würde gestatten, bei Bedarf Reflektor und Objektiv um 90*zu drehen, um undichte <strong>Sp</strong>undwände und andere senkrechteBauteile unter Wasser zu untersuchen oder zu photographieren,wodurch die Vielseitigkeit der Wasserkamera eich steigernließe. Der hohe Preis und die geringe Sichtigkeit bei trübemWasser sind allerdings Nachteile, die nicht verschwiegenwerden dürfen.Es sei hier eingeschaltet, daß für die Verwendung aufBaustellen auch statt des engen Rohres a ein etwa 30 cmweites Blechrohr genommen werden könnte, das unten durcheine einfache ölasscheibe abzuschließen wäre. Bei guterLichtquelle und zweckmäßigem Reflektor könnte man dannnicht allein von oben Beobachtungen machen, sondern auch,allerdings mit sehr kleinem Bildwinkel, mittels Handfcameraphotographieren. Zur Beobachtung senkrechter Wände würdeein großes Kniestück mit gutem, unter 46** liegenden ölasspiegelgenügen. Die Torrichtung wäre äußerst billig undfür viele Fälle ausreichend.Für die Zwecke der Geschiebeforschung kommen nebenoptischen Apparaten auch mechanische Vorrichtungen inBetracht, die gegen jene noch den großen Vorzug der Billigkeithaben. Naturgemäß gibt es hier eine große Zahl konstruktiverMöglichkeiten, von denen einige Anordnungenherausgegriffen und in Vorschlag gebracht werden sollen.Die Anordnung nach Abb. 12 könnte beispielsweise dazudienen, den B^nn der Bewegung des Oberflächengescbiebesund den weiteren Verlauf zu melden oder zu registrieren.Der Apparat heiße „Geschiebe-Grenzwertmesser".


513 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe* und Sinkatoffbewegungen. 5UZwei grobzähnige Bäder a sitzen auf gemeinsamer, inder Mitte als Schnecke h ausgebildeter Stablwelle. Diese istin einem bis über Wasser reichenden Stahlrohr c gelagert,durch elektromagnetische Platten, die außerhalb der Röhrensich für bestimmte Stellungen einstellen lassen, ausgelöst.Kach der ersten elektrischen Meldung oder Auslösung,die so einzurichten wäre, daß sie zwecks Vermeidung vonZufälligkeiten erst nach einer größeren Anzahl von Umdrehungendes Hades« erfolgt, könnte dann noch eine durch Uhrwerkbetriebene Registriervorcichtung zur Aufzeichnung derGeschiebegeschwindigkeiten in Tätigkeit treten, doch würdeeine solche Einrichtung den Mechanismus wesentlich verteuern.Alle derartige Messungen setzen voraus, daß regelmäßige,unverschlickte Stellen als Yersuchsorte gewählt werden,T'.'^


515 Leiner, Zur Erforschung der Geschiebe- und Sinkstoffbewegungen. 516die Praxis noch an Wert gewinnen, wenn erst Erfahrungawertean die Stelle der zur Zeit unvermeidlichen Annahmenwerden treten können. Laboratoriumsversuche würden mancheFrage bereits klären können.Yielleicht gelingt es aber auch durch mechanische Hilfsmitfeel,die Art der BeweguogsVorgänge an der Flußsohleunmittelbar zu ergründen. So könnte beispielsweise der ausder schematischen Abb, 13 ersichtliche Geschiebe-Wälzungsmesserversucht werden: Ein starkes Stahlrohr a istunten mit einer scharfen <strong>Sp</strong>itze versehen. Aus dem Rohrsteckt an einer Seite ein dickes Zahnrad b heraus, das obenund unten durch Nasen geschützt wird. Von diesem Radeführt eine senkrechte "Welle c zu einer Zähl- oder Schreibvorrichtungd. Das Rohr a kann durch ein hornmgelegtesSchlaggewicht e in den Flußgrund gerammt werden, undzwar erfolgt die Einsenkung so tief, bis das Rad b in diebewegliche Sohle taucht und sich infolge der "Wanderungder Geschiebe zu bewegen beginnt, was oben an der Eegistriervorrichtungangezeigt wird. Man rammt in kleinenStrecken, etwa von 5 zu 5 cm, unter jedesmaliger Registrierung, bis keine Bewegung des Rades b angezeigt wird.Auf diese Weise erhält man öin Bild der Geschwindigkeitsabgabevon Schicht zu Schicht und die Dicke der ganzenbeweglichen Masse. Ösen g dienen zur Befestigung vonKetten oder Seilen, um das Rohr a bequem herausziehenzu können.Durch umfangreiche Messungen innerhalb eines Querschnittesließe sieh im Verein mit den früher beschriebenenVerfahren ein Überblick über die Größe der Geschiebeabfuhrgewinnen. Zur Feststellung, ob auch gleichzeitig senkrechteBewegungen, also eigentliche Wälzungen des Geschiebes auftreten,könnten ähnliehe Vorrichtungen dienen, bei denenmehrere Räder b vorhanden sind, die senkrechte, wagereohteund schräge Achsen haben und ihre Bewegung mittels Kegelradesoder Schnecke an mehrere Wellen abgeben. DieSchwierigkeit liegt hauptsächlich in der Vermeidung vonFestklemmungen und Behinderungen der Triebräder b. Esist jedoch zu hoffen, daß die Beobachtungen der etwaigenMißerfolge gleichzeitig die konstruktiven Mittel zu ihrer Beseitigungwerden finden lassen, Radform sowie Größe undGestaltung der <strong>Sp</strong>ielräume dürften wesentlichen Einfluß haben.Wasserspülung wird wohl unvermeidlich sein. Vielleichtgenügt bereits die Kraft des fließenden Wassers, die mangegen einen trichterförmigen Ansatz f wirken läßt. Solltedieses nicht ausreichen, so käme statt dessen Druckwasserspülungin Betracht, die auch gleichzeitig zum Niederbringendes Rohres a als Unterstützung der Ramme und zur Schonungder Räder benutzt werden könnte. Für alle diöse Einzelheitenwäre die Praxis der beste Lehrmeister.d) Ermittlung der schwebend fortgeführten Geschiebe-und Sintstoffmengen,Nach Feststellung der auf der Sohle fortbewegten Geschiebemassenbleibt noch die Ermittlung der schwebendfortgeführten Geschiebe und Sinfcstoffe. Wenn auch ihreFortführung dicht über der Sohle am weseutliehsteix ist, sokönnen doch auch in höheren Schichten nennenswerte Geschiebemengenfortgeführt werden. Eine Verlandung vonAltwassern, die durch geschlossene <strong>Sp</strong>errdämme vom Flußlaufgetrennt sind, wäre sonst nicht gut denkbar, selbstwenn mau teilweise ein Herüberrollen der Geschiebe überden <strong>Sp</strong>eirdamm voraussetzt.Die Feststellung abgeführter Geschiebemengen darf sichdaher nicht allein auf die von der Schleppkraft fortgewälztenGeschiebemassen beschränken, sondern muß auch die durchTriebkräfte schwebend fortgeführten Geschiebe berücksichtigen.Besonders wichtig erscheint dieses in allen Fällen, wo dieGröße der Sandführung des Flusses festgestellt werden soll.Die Ermittlungen könnten in bekannter Weise durchEntnahme von Wasserproben bei verschiedenen Wasserständenaus verschiedenen Tiefen geschehen. Leider ist dieses Verfahrennur zur Ermittlung der feinsten Siukstoffe zweckentsprechend.Verfasser möchte daher für gröbere Sinkstoffeund treibendes Geschiebe folgende einfache Vorrichtungempfehlen, die „Geschiebe-Fänger" heißen möge. AusDrahtgaze, deren Maschen weite man entsprechend der Größeder noch aufzufangenden kleineren Schwebestoffe wählt, wirdein langer zylinderförmiger, besser prismatischer Körper miteinem offenen, etwa noch durch eine Klappe abschließbarenund einem geschlossenen Ende gefertigt. Die Größe deroffenen Fläche wäre etwa 0,5 x 0,5 m, die Länge des Apparates1 bis 2 m zu wählen. Dieser Geschiebefänger wird an einerEisenstange oder einem Drahtseil ähnlich wie ein VoltmannscherFlügel zu Wasser gebracht, wobei die offene Seite mittelsRollenführung an der Stange oder dem Seil gleitet und derKörper selber die stromgerechte Einstellung besorgt. Beistufenweiser Messung würde man einen Einblick in die Verteilungder Schwebestofführung erhalten, bei gleichmäßigemHerablassen dagegen sofort' die mittlere Stotfühmng in derSenkrechten feststellen. Es würde sich empfehlen, rechtlauge Beobachtungszeiten zu wählen und zwar um so länger,je geringer die Menge schwebender Körper ist. Durch Vergleichemit gleichzeitigen Geschwindigkeitsmessungen ließeeich die Sinkstofführung in Beziehung zur Wasserführungbringen. Durch Rohre oder Flügel, die in der Einfiußöffnunganzuordnen wären, hätte man außerdem die tatsächlicheGeschwindigkeit in dem Qeschiebefänger zu ermitteln undbei der Rechnung entsprechend zu berücksichtigen. Diegroße Länge des Apparates ist nötig, um dem Wasser einemöglichst große Durohfltißfläche zu bieten. Die Summe allerMaschenöffnungen müßte das ein- bis zweifache der Einflußöffnungbetragen.Genauere Angaben sowohl hierüber als auch über diefrüher besprochenen Apparate zu machen, wäre zurzeitzwecklos, denn bei allen Erstausführungen muß damit gerechnetwerden, daß bei Übertragung dea Grundgedankensin die Praxis mehr oder weniger große Mängel zutagetreten, die aber an- der Hand eben derselben praktischenVersuche sich meistens leicht beseitigen lassen.Im Februar <strong>1912</strong>.


517 Paulmann u. Blaum, Der neue <strong>Sp</strong>üler für das Königliche Wasserbauamt Harburg, -518Der neue <strong>Sp</strong>üler für das Königliche Wasserbauamt Harburg.Für das Wasserbauamt Harburg haben die Stettiner Oderwerkenach den Vorschriften der Bauverwaltung im Jahre1910/11 einen <strong>Sp</strong>üler geliefert. Die Neubaukosten einschließlichAusrüstung, jedoch ohne die Rohrleitung, habenetwa 287 000 Mark betragen. Der <strong>Sp</strong>üler ist für die gleicheLeistung wie die für das Wasserbauamt Emden im Jahre 1907beschafften gebaut,^) weicht jedoch in seiner Anordnung ineinigen wesentlichen Punkten von diesem ab.(Mit Abbildungen anf Blatt 57 und 58 im Atlas.)(Alle Rfldtto TorbaliAlteD.)piek. Die Wohnräume sind für doppelte Besatzung eingerichtet.Die Kohlen fassen den Bedarf für etwa zwölf Betriebstagevon je zwölf Arbeitsstunden. Der Aufbau überdem Maschinenraum hat einen von Steuerbord nach Backbordführenden Verbindungsgang, der zugleich als Werkstattraumeingerichtet ist.2. Kessel-, Maschinen- und Fumpenanlage. DieAnordnung der gesamten Maschinen- und Kesselanlage ist1. Das Schiffsgefäß. Das Schiffsgefäß ist nach derKlasse 100 A K des Germanischen Lloyd erbaut. Die Schiffs-4wände sind innen in gleicher Weise wie bei dem neuen Eimerbaggerfür das Wasserbauamt Emden '•*) durch T- fürmigeBisenkonstruktionen abgestützt. Die Abmessungen des SehifFsgefäßesbetragen: Länge in der Wasserlinie 43,5 m. Breiteüber alles 10,4 m, Breite im Hauptspant 10 m, Seitenhöhe3,75 m, Tiefe im Raum 3,95 m, Tiefgang fertig ausgerüstetmit 150 t Kohlen und 30 t Wasser 2,05 m.Das Schiffsgefäß ist durch fünf wasserdichte Schottenund eine Kohlenbunkerwand von vorn nach hinten gerechnetin folgende Räume geteilt (Abb, 1 und 2 Bl. 57 und 58):a) Kabelgatt mit eingebautem Trimmtank, b) Wohnräume fürdrei Heizer und drei Matrosen, c) Maschinenraum, d) Kesselraum,e) Kohlenbunker, f) Wohnraum für Baggermeister,Steuermann und ersten und zweiten Maschinisten, g) Aclitcr-1) Sieh <strong>Zeitschrift</strong> f. <strong>Bauwesen</strong> 1909 Seite 231.2) Sieh <strong>Zeitschrift</strong> f. <strong>Bauwesen</strong> 1911 Seite 357.besonders dadurch bemerkenswert, daß ihr Gewicht mit zumAusbalanzieren des ganzen Gerätes beim Arbeiten benutztwii-d. Derartig große <strong>Sp</strong>üler neigen sich beim Ausaugen,wenn das Saugerohr mit Boden und die <strong>Sp</strong>ülrohre mit Wassergefüllt werden, stark nach der Saugeseite. Beim Abschlagender Pumpe infolge Verunreinigung des Bodens schwingt der<strong>Sp</strong>üler jedesmal in seine Anfangslage zurück. Hierdurchwird der Landanschluß der Rohrleitung sehr stark beansprucht.Es ist deshalb sehr wichtig, die Gewichte so zuverteilen, daß der <strong>Sp</strong>üler in der Ruhelage sich um etwaebenso viel nach der Landseite neigt, wie er sich beimArbeiten nach der Sangeseite hinneigen wird. Dadurch wirdder Ausschlag, den der zum Anschluß der Landleitung dienendeLederschlauch machen muß, so geteilt, daß nach oben undunten etwa der gleiche Biegungswinkel auftritt, während beider bisher üblichen Anordnung der Lederschlauch die ganzeBiegung nach einer Seite hin aufnehmen mußte und dadurchviel stärker beansprucht wurde.Um die oben geschilderte Schräglage des <strong>Sp</strong>ülers zuerzielen, müßte eine sehr große Menge Ballast eingebaut


519 Paulmana u. Blaum, Der neue <strong>Sp</strong>üler für das Königliche Wasserbauamt Harburg. <strong>520</strong>werden, durch den der Raum in der Bilge unzugänglich unddas Schiff unnötig belastet -wird. Dieser Übelstand ist imTorliegendea Falle dadurch vermieden worden, daß die Kesselsoweit wie möglich nach der Landseite gelegt wurden. Hierdurchwird zugleich der Kesselaufbau auf der Wasserseiteweiter von der Reeling zurückgeschoben und für die Bedienungder Trossen beim Anlegen der Prahme ein sehr wertvollerfreier Raum geschaffen.Die Kesselanlage besteht aus zwei liegenden Schiffskesselnmit rücktehrenden Heizröhren von je 200 qm Heizfläche,60 qm Bostfläche und 13 Atm. Betriebsdruck.Im Maschinenraum stehen: a) Eine Dreifach-"Verbundmaschinevon 950 PSi Leistung zum Antrieb der Förderpumpe,b) eine Dreifach-Verbundmaschine von 250 PSi zumAntrieb der <strong>Sp</strong>ülpumpe, c) eine Zwillingsmaschine von 35 PSizum Antrieb der Winden für das Verholen der Prahme unddas Bewegen des Saugerohres, d) eine liegende Duplexdampfpumpevon 7 PSi zum <strong>Sp</strong>ülen der Kreieelstopibücbse, e) eineLenzpumpe von 4 PSi, f) eine Umlaufpumpe von 6 PSi,g) eine Luftpumpe von 4 PSi, h) eine Dampfdynamo-Maschinevon 10,5 PSi. Sämtliche Dampfmaschinen sind aneine gemeinsame Oberflächen-Kondensations-Anlage angeschlossen.An Deck steht außerdem eine Dampfwinde von15 PSi mit Seiltrommel zum Heranholen der vom Schleppdampferlosgeworfenen Prahme. Die Abmessungen der einzelnenMaschinen gibt die nebenstehende Zahlentafel,Die "Windenmaschine wird von Deck aus mit den einzelnenWinden durch Kegelradlibersetzung gekuppelt. Die Dynamoist eine Gleichstrom-Nebenschluß-Maschine von etwa 64 KWLeistung bei 110 Volt <strong>Sp</strong>annung. Sie speist vier Bogenlampenvon je 12 Ämp und 44 GHühlampen von je 16 NK.Die Pumpe ist ganz aus Schmiedeeisen gebaut, Sie hateinen offenen vierarraigen Kreisel von 2,2 m DurchmesserBestimmungAntrieb der Förderpumpe„ d«r <strong>Sp</strong>ülpumpe .„ der Winden . .StopfbüchsenspülungLenzpumpe . . .Umlaufpumpe. . .Luftpumpe . , .Lichtmaschine . .Deckwinde . . . .Laifltnng1 in PSi95025035746410,51 15Dmdreh.in derMinate200250200766418030500200Zylinderabmessimgenin mm380 X 600 X 950250 X 410 X 6Ö0200x200100x100150 X 150200250 X 250140180 X 180Hubin mm60035020080150200406100250und 0,415 ra Flügelbreite. Das Pumpengehäuse ist kreisförmig.Die <strong>Sp</strong>ülpumpe hat gußeisernes GehÄuse und einenKreisel mit acht Flügeln. Sie leistet 5000 cbm/Stunde.3. Saug- und Druckrohranlage. Das Saugerohr hat0,7 m lichten Durchmesser. Das Dmckrohr von 0,65 mDurchmesser reicht 9 m über Wasserspiegel und ist ineinem festen eisernen Gerüst gelagert. Dieses Gerüst hat.einen Ausleger, der zum Tragen des ersten Rohres der Landleitungdient. Die beweglichen <strong>Sp</strong>ülrohre haben lange konischeeiserne Mundstücke. Das ganze Gerüst für die <strong>Sp</strong>ülrohreund das Saugerohr ist so gebaut, -daß alle über Bord hinausragendenTeile etvpa 0,5 m über der ReeUng liegen, damitdie leeren Prahme ungehindert am <strong>Sp</strong>üler entlang geholtwerden können.4. Leistung. Die vertragliche Leistung soUte 500 cbmSand von 1,8 Einheitsgewicht in einer Stunde reiner Arbeitszeitbetragen. Geleistet wurden 658 cbm/Stunde Kies undSand von 1,852 Einheitsgewioht bei einem Kohlenverbrauchvon 0,78 kg für 1 PSi/Stunde.Faulmann und Blaum, Regierungsbaumeister.Boehdraoltti^ dM WüsMluituu in Hüll« ft. 4. S.

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