RAFAEL KUBELÍK
RAFAEL KUBELÍK
RAFAEL KUBELÍK
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vielgespielten Stücken verleiht Kubelík, indem er das Satzgewebe transparent<br />
werden lässt, eine überraschende Frische und Unverbrauchtheit. Die Presse indessen<br />
kritisierte den Chefdirigenten immer öfter wegen seines angeblich zu<br />
engen Repertoires und des, wie man fand, zu hohen Anteils moderner Musik<br />
(beispielsweise dirigierte Kubelík 1952 Roy Harris’ „Siebente Symphonie“ und<br />
1953 Ernest Blochs „Suite hébraïque“ in Uraufführungen). Das allein hätte man<br />
möglicherweise noch hingenommen, aber dass Kubelík immer häufiger Solisten<br />
schwarzer Hautfarbe einsetzte, verzieh man ihm nicht. Hinzu kam, dass<br />
Kubelík seit einem gemeinsamen Auftritt mit den Wiener Philharmonikern im<br />
Jahre 1953 in Zürich den Wunsch verspürte, wieder in Europa zu arbeiten; familiäre<br />
Gründe taten ein Übriges, und so ging er nach Luzern, wo er inzwischen<br />
wohnte, und teilte seine Zeit zwischen der Schweiz und London auf.<br />
DEUTSCH 9<br />
London bedeutete eine vorübergehende Verlagerung seines Repertoireschwerpunktes<br />
auf die Oper. 1954 leitete er eine äußerst erfolgreiche Wiederaufführung<br />
von Janáčeks „Katja Kabanova“ an der Sadler’s Wells Opera, in deren Nachfeld<br />
man ihn 1955 zum musikalischen Leiter der Covent Garden Opera ernannte.<br />
Dort dirigierte er unter anderem die Londoner Erstaufführungen von Janáčeks<br />
„Jenufa“ (1956) und Berlioz’ „Les Troyens“ (1957) – zum ersten Mal überhaupt<br />
ließ er beide Teile dieses mächtigen Stücks an einem Abend geben. Dass Opern<br />
unter Kubelíks Leitung in englischer Sprache gesungen wurden – er hatte die<br />
Absicht, eine Art englisches Nationalensemble auf höchstem Niveau aufzubauen<br />
–, brachte ihm nicht nur Sympathien ein, und als Sir Thomas Beecham ihn<br />
deswegen einmal öffentlich angriff, zog er sich 1958 zutiefst gekränkt zurück.<br />
Es folgten einige Jahre, in denen Kubelík vor allem seinen internationalen<br />
Verpflichtungen nachkam, beispielsweise mit den von Jugend an verehrten<br />
Wiener Philharmonikern und der Israelischen Philharmonie; in diesen Jahren<br />
bildete sich der „Mythos Kubelík“ heraus: Man handelte ihn als eine Art zweiten<br />
Furtwängler; dazu trug eine gewisse äußere Ähnlichkeit – von der hochgewachsenen,<br />
leicht vornübergeneigten Gestalt und der Gesichtsform her –<br />
ebenso bei wie ein gewisses Sendungsbewusstsein, die große Impulsivität und<br />
Gefühlsbetontheit der Interpretationen und die krause, absichtlich verschleiernde<br />
Schlagtechnik, die nicht auf metronomische Genauigkeit abzielte, sondern<br />
eine Verschmelzung aus geistiger Vorstellung und musikalischer Emotion<br />
ausdrückte. (Auch Furtwängler hatte sich übrigens als Komponist betätigt.) Die<br />
Musiker in den Orchestern, mit denen Kubelík arbeitete, schätzten und achteten<br />
ihn. Zum einen kam ihm sein phänomenales Gedächtnis zugute, so dass<br />
bald das geflügelte Wort kursierte, Kubelík sei einer der wenigen Dirigenten,<br />
die die Partitur im Kopf hatten und nicht umgekehrt; zum anderen wurde er<br />
niemals laut und schikanierte auch niemanden, sondern versuchte, auch hierin<br />
ganz Demokrat, alle Beteiligten durch Engagement, Begeisterung und künstlerisch<br />
überzeugende Lösungen zur Mitarbeit zu animieren.<br />
1961 traf ihn ein schwerer persönlicher Verlust: Seine Frau starb an den Folgen<br />
eines Verkehrsunfalls; ihrem Andenken widmete er seine zweite Requiem-Ver-