Die jungen WilDen - Bergrettungsdienst im AVS Meran
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<strong>Die</strong> <strong>jungen</strong> Wilden<br />
<strong>Meran</strong>er Bergsteiger <strong>im</strong> Aufbruch<br />
38 39<br />
Toni Kiem<br />
9. April 1961<br />
Nach einem Winter mit vielen Skitouren<br />
und Kletter-Winterbegehungen<br />
zog es uns zu einer Frühjahrsklettertour<br />
<strong>im</strong> warmen Fels<br />
der prächtigen Ciavazes-Südwand.<br />
<strong>Die</strong> in der Mitte durch das markante<br />
Gamsband gegliederte Wand ist<br />
wegen ihrer südseitigen Exposition<br />
schon zeitig <strong>im</strong> Jahr wieder trocken.<br />
Wir, das waren Ander Staffler, Heini<br />
<strong>Meran</strong> (beide aus Bozen), Sepp<br />
Hölzl, Bernhard Schreffler, Markus<br />
Villgratner, Ulli Kössler und ich.<br />
Am Einstieg zur Südwestkante, der<br />
sogenannten Del Torso-Route, laut<br />
dem von Langes verfassten Führer<br />
so <strong>im</strong> IV. bis V. Schwierigkeitsgrad,<br />
liegen noch 50 cm Neuschnee.<br />
<strong>Die</strong> Wand selbst ist schneefrei. Wir<br />
bilden eine Dreier- und zwei Zweierseilschaften.<br />
Nach dem unteren<br />
Teil stapfen wir auf dem Gamsband<br />
<strong>im</strong> Schnee zum oberen Teil dieser<br />
schönen Kletterwand. Viel Schmelzwasser<br />
rinnt uns entgegen, was<br />
unsere Kletterbegeisterung aber in<br />
keiner Weise mindert.<br />
Ander Staffler<br />
Am Ausstieg auf dem obersten Geröllband<br />
unter dem letzten Block des Gipfelaufbaus liegt noch viel mehr Schnee, Nassschnee!<br />
Wir sind überrascht, stehen unentschlossen und beraten, wie es weitergehen soll: entweder<br />
durch die vor uns in tiefem Schnee liegende Rinne absteigen, bis zum Bauch einbrechen,<br />
triefnass werden oder uns bis zum Gamsband abseilen?<br />
Ander steht neben mir und sagt noch: „Nehmen wir doch die Rinne, wenn es gut geht, sind<br />
wir schneller unten“. Ulli, Sepp und Ander queren als Erste etwa 50 m direkt in die breite<br />
Schlucht der Südwestrinne. Da schaue ich kurz nach oben und sehe mit Entsetzen, wie Steine<br />
aus den Gipfelblöcken ins obere Schneefeld rollen. Sofort bildet sich ein Lawinenkeil, ich<br />
schreie nur noch „Lawine, Lawine“ und schon fegt ein gewaltiger Schnee- und Windwirbel an<br />
uns vorbei und donnert durch die Rinne in die Tiefe. <strong>Die</strong> Sicht zu den drei Freunden ist weg.<br />
Man hört nur noch das Rauschen und Poltern unten in der Schlucht. Dann Stille.<br />
Als sich nach einer Weile das Schneegefl<strong>im</strong>mer aufgelöst hat, sehen wir nur noch Ulli und<br />
Sepp in der Rinne stehen, Ander fehlt! <strong>Die</strong> Nassschnee-Lawine hat ihn mitgerissen.<br />
Sepp hat mir nachher erzählt, Ander habe sich noch an seinem Hosenbein festhalten wollen.<br />
Wir sind geschockt, ratlos. Was nun? <strong>Die</strong> Rinne absteigen und nach unserem Freund suchen,<br />
bei dieser Lawinengefahr über uns? Sepp quert wieder zu uns herüber, während Ulli trotz der<br />
großen Gefahr allein durch die Rinne absteigt.<br />
Er findet Hammer und Reepschnur, von unserem Freund aber keine Spur. Er steigt weiter zur<br />
Selljochstraße ab und holt Hilfe.<br />
Wir anderen haben uns bis aufs Gamsband abgeseilt und sind so zum Sellajoch gelangt. Da<br />
war dann auch schon eine Rettungsmannschaft <strong>im</strong> Anstieg zum untersten Ende der Rinne.<br />
Am nächsten Morgen, 10. April 1961, wurde die Suche, beginnend unten in der Rinne, mit<br />
Lawinensonden fortgesetzt. Irgendwann am Vormittag stand ich neben Erich Abram, der gerade<br />
die Sonde aus dem Schnee zog. Da war doch so etwas Feines wie Gras in der Sondenspitzkrause,<br />
oder waren es Haare? Nach wiederholtem Absondieren sind Stofffasern daran<br />
gehangen. Ander lag hier, nach einem Absturz von zirka 600 Höhenmetern, etwa 2 m unter<br />
der Schneelawine begraben.<br />
Tags darauf traten wir, tief niedergeschlagen, in die Leichenkapelle von Canazei. Da lag unser<br />
Freund Ander <strong>im</strong> Bergsteigergewand, den Oberkörper etwas gestaucht, eine kleine Wunde an<br />
der Stirn. Er war nur 21 Jahre alt geworden.<br />
Wenn ich heute <strong>im</strong> Sommer mit dem Bus zum Sellajoch hinauffahre oder mit Gästen <strong>im</strong> Winter<br />
die Sellaronda mache, schaue ich <strong>im</strong>mer wieder zur Del Torso-Führe an der Ciavazeswand<br />
hinauf und denke an damals, an Ander Staffler, den Bergfreund und Junggärtner aus Bozen,<br />
der so früh sein junges Leben in seinen geliebten Bergen verloren hat.<br />
<strong>Die</strong> folgenden von Hermann Stehr verfassten Verse halten unseren Freund Ander und alle<br />
anderen toten Bergkameraden in uns lebendig:<br />
Dem toten Kameraden<br />
Du gehst in meinem eignen Schritt<br />
auf allen meinen Wegen mit.<br />
Und dennoch,komm ich dann nach Haus,<br />
dein Kommen bleibt doch <strong>im</strong>mer aus.<br />
In meinem Auge unverhofft<br />
spür ich dein junges Schauen oft,<br />
und dennoch, durch den bunten Flor<br />
trittst du nie sichtbar mir hervor.<br />
Mein Herz schlägt manchmal einen Takt,<br />
als sei‘s von deinem Puls gepackt,<br />
und dann verlassener als je<br />
nach dir zu klopfen voller Weh.<br />
Dein ist mein Schlaf, mein Wachen dein,<br />
einsam bin ich mit dir allein.<br />
Und was ich sinne, unbewusst<br />
erfüllt es mich aus deiner Brust.