4 Unermessliche Qualitäten_Unterrichtsmaterial_de.pdf
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Die vier unermesslichen <strong>Qualitäten</strong>,<br />
verschie<strong>de</strong>ne Quellen, <strong>Unterrichtsmaterial</strong><br />
MN 21:19-20, Ausschnitt aus <strong>de</strong>m Kakacupama Sutta, „Das Gleichnis von <strong>de</strong>r Säge“, übersetzt<br />
von Vimalo Kulbarz<br />
"An<strong>de</strong>re mögen euch zur rechten o<strong>de</strong>r zur falschen Zeit ansprechen, sie mögen wahr o<strong>de</strong>r unwahr<br />
sprechen, sanft o<strong>de</strong>r schroff, zum Guten o<strong>de</strong>r zum Scha<strong>de</strong>n, mit einem Geist <strong>de</strong>r Liebe o<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s<br />
Hasses. Dann solltet ihr euch darin üben: 'Dies wird mich nicht aus <strong>de</strong>r Fassung bringen, ich<br />
wer<strong>de</strong> keine bösen Worte äußern. Freundlich und mitfühlend wer<strong>de</strong> ich bleiben, frei von<br />
Abneigung, und diesen Menschen mit einem Herzen begegnen, das von lieben<strong>de</strong>r Güte<br />
durchtränkt ist. Frei von Feindseligkeit und Übelwollen wer<strong>de</strong> ich dann, in<strong>de</strong>m ich sie als<br />
Ausgangspunkt nehme, die ganze Welt mit liebevollem Gemüt durchdringen, unerschöpflich,<br />
erhaben, unermesslich, mit weitem Geist.' So solltet ihr euch üben. Ihr Bhikkhus, sogar wenn<br />
Banditen euch barbarisch Glied für Glied mit einer Doppelgriffsäge in Stücke teilen wür<strong>de</strong>n,<br />
wür<strong>de</strong> <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r einen verdorbenen Geist ihnen gegenüber entstehen ließe, meine Lehre nicht<br />
befolgen."<br />
Das „Karaniya Metta Sutta“ (Sutta Nipata 1.8; KHP 9)<br />
Das Hohe Lied <strong>de</strong>r Liebe von Buddha Shakyamuni<br />
Bist du geschickt im eigenen Wohl<br />
und möchtest wahren Frie<strong>de</strong>n (Nirwana) erlangen,<br />
dann sei fähig, ehrlich und aufrecht,<br />
leicht zu unterweisen, sanft und von geringem Stolz<br />
zufrie<strong>de</strong>n, leicht zu unterstützen,<br />
mit wenigen Pflichten, einfach lebend,<br />
besonnen und umsichtig,<br />
liebenswürdig, ohne Wohltäter zu umwerben,<br />
selbst die geringste Handlung unterlassend,<br />
die von <strong>de</strong>n Weisen gerügt wür<strong>de</strong>.<br />
(Kultiviere dann <strong>de</strong>n Gedanken:)<br />
Möge es allen Wesen wohl ergehen,<br />
mögen sie in Sicherheit sein, mögen alle Wesen glücklich sein!<br />
Was immer es für Wesen geben mag,<br />
alle ohne Ausnahme, schwach o<strong>de</strong>r stark,<br />
groß, gedrungen, von mittlerem Wuchs o<strong>de</strong>r klein,<br />
winzig o<strong>de</strong>r massig, sichtbar und unsichtbar,<br />
nah o<strong>de</strong>r fern lebend, geboren o<strong>de</strong>r Geburt suchend,<br />
mögen alle diese Wesen glücklich sein!<br />
Möge niemand irgendwo seine Gefährten<br />
betrügen o<strong>de</strong>r verachten.<br />
Mögen niemand <strong>de</strong>m an<strong>de</strong>ren Scha<strong>de</strong>n wünschen<br />
aus Abneigung o<strong>de</strong>r Hass.
So wie eine Mutter, die ihr Leben geben wür<strong>de</strong>,<br />
um ihren Sohn, ihr einziges Kind, zu schützen,<br />
genauso sei du erfüllt von Gedanken grenzenloser Liebe für alle Wesen.<br />
Nähre einen allumfassen<strong>de</strong>n Geist <strong>de</strong>r Liebe<br />
für alle, in allen Universen –<br />
oberhalb und unterhalb und überall um uns herum –<br />
uneingeschränkte Liebe, frei von Feindseligkeit und Hass.<br />
Ob du stehst, gehst, sitzt o<strong>de</strong>r dich hinlegst,<br />
solange du bewusst bist,<br />
entwickle diese Achtsamkeit mit aller Kraft –<br />
das ist, was wir hier Verweilen im Reinen nennen.<br />
Nicht mehr an verkehrten Ansichten festhaltend<br />
voller Tugend und Einsicht in die Wahrheit,<br />
das Verlangen nach Sinnesvergnügen überwun<strong>de</strong>n,<br />
wirst du nie wie<strong>de</strong>r in eine Gebärmutter zurückkehren.<br />
Mögen alle Wesen glücklich sein und die Ursachen <strong>de</strong>s Glücks besitzen.<br />
Mögen sie frei von Leid und <strong>de</strong>ssen Ursachen sein.<br />
Mögen sie nie von <strong>de</strong>r wahren, leidfreien Freu<strong>de</strong> getrennt sein.<br />
Mögen sie bei Nah und Fern frei von Anhaften und Ablehnen in großem Gleichmut<br />
verweilen.<br />
Jamgön Kongtrul Lodro Thaye im Lojong Kommentar:<br />
„Selbst wenn wir letztendliche Buddhaschaft erlangen, so gibt es doch nichts weiter zu tun,<br />
als mit einem Mitgefühl jenseits aller Bezugspunkte ausschließlich zum Wohl an<strong>de</strong>rer zu<br />
wirken.“<br />
Shanti<strong>de</strong>va:<br />
„Wer schnellen Schutz für sich und an<strong>de</strong>re wünscht, soll das E<strong>de</strong>lstes <strong>de</strong>r Geheimnisse<br />
praktizieren, sich selbst und an<strong>de</strong>re auszutauschen.“<br />
Damit ist nichts an<strong>de</strong>res gemeint, als die im Folgen<strong>de</strong>n erklärte schrittweise Übung <strong>de</strong>s<br />
Austauschens von sich und an<strong>de</strong>ren. Alle an<strong>de</strong>ren Übungen <strong>de</strong>s Geistestrainings sind lediglich<br />
Variationen dieses einen Themas.<br />
Das Üben <strong>de</strong>s relativen Erleuchtungsgeistes<br />
Dieses hat drei Teile: die Erklärungen zu <strong>de</strong>n Vorbereitungen, zur Hauptpraxis und zur Praxis<br />
zwischen <strong>de</strong>n Sitzungen.<br />
Die Vorbereitungen: Nach<strong>de</strong>m wir wie beschrieben die vorbereiten<strong>de</strong>n Übungen usw.<br />
ausgeführt haben, ist es notwendig, sich als Basis für das Geben und Annehmen (Tong-len) in<br />
Liebe und Mitgefühl üben. Hierfür stellen wir uns als erstes unsere Mutter aus diesem Leben<br />
vor uns vor:<br />
„Von <strong>de</strong>m Augenblick an, wo sie mich in ihrem Leib empfing, hat sie meinetwegen große<br />
Anstrengungen auf sich genommen, hat Krankheit, Kälte, Hunger und vieles mehr<br />
durchgestan<strong>de</strong>n, mich ernährt, mit Kleidung versorgt und rein gehalten. Sie hat mir Gutes
eigebracht und mich von schädlichen Handlungen ferngehalten, so dass ich jetzt Buddhas<br />
Lehren begegnet bin und <strong>de</strong>n Dharma praktiziere. Dafür bin ich ihr zutiefst dankbar!<br />
Und nicht nur in diesem Leben, son<strong>de</strong>rn bereits in unzähligen früheren Leben hat sie genau<br />
dasselbe getan. Während sie mein Wohl bewirkte, wan<strong>de</strong>rte sie selbst in Samsara und erlitt<br />
eine Vielzahl von Lei<strong>de</strong>n!“<br />
Mit mitfühlen<strong>de</strong>r Haltung kontempliere dies mit aller Kraft.<br />
Wenn sich ein Mitgefühl einstellt, das kein bloßes Lippenbekenntnis ist, und du damit vertraut<br />
gewor<strong>de</strong>n bist, dann übe dich darin, dieses schrittweise mit folgen<strong>de</strong>m Gedanken immer mehr<br />
auszu<strong>de</strong>hnen: „Sämtliche Lebewesen haben sich seit anfangsloser Zeit wie meine jetzige<br />
Mutter um mich gekümmert. Kein einziges hat mir noch nicht als Mutter geholfen.“<br />
Meditiere zunächst über jene, wo es dir leicht fällt: <strong>de</strong>ine Angehörigen, Vertrauten und Helfer<br />
sowie jene, die in <strong>de</strong>n drei nie<strong>de</strong>ren Daseinsbereichen enormes Leid erfahren. Meditiere dann<br />
über Menschen in Not und jene, die in diesem Leben zwar glücklich sind, aber aufgrund ihrer<br />
großen Vergehen sofort nach <strong>de</strong>m Tod die Höllenbereiche erfahren wer<strong>de</strong>n.<br />
Wenn du darin geübt bist, meditiere über jene, wo es dir schwerer fällt, Mitgefühl zu<br />
entwickeln: Übeltäter, Fein<strong>de</strong>, Dämonen usw. Dann meditiere über alle Lebewesen:<br />
„Ohne es zu wollen, erfahren sie, meine Eltern, vielfaches großes Leid und sind obendrein im<br />
Besitz einer riesigen Saat von Ursachen für zukünftiges Leid. Wie sehr ich sie bedauere! Was<br />
kann ich nur für sie tun? Jetzt ist es an mir, ihre Güte zu erwi<strong>de</strong>rn und ihnen zu helfen, in<strong>de</strong>m<br />
ich ihren Schmerz vertreibe und ihr Glück und Wohlergehen bewirke.“<br />
Übe dich mit diesen Gedanken, bis es <strong>de</strong>in Geist kaum mehr aushalten kann.<br />
Die Hauptpraxis:<br />
(7) Übe Geben und Annehmen im Wechsel<br />
und lasse die bei<strong>de</strong>n auf <strong>de</strong>m Atem reiten<br />
„Alle meine Eltern, auf die sich mein Mitgefühl richtet, erfahren Schmerz aufgrund ihres<br />
unmittelbaren Lei<strong>de</strong>s sowie aufgrund <strong>de</strong>r Quellen zukünftigen Lei<strong>de</strong>s. Deshalb will ich die<br />
vielfältigen Lei<strong>de</strong>n im Geistesstrom meiner Mütter zusammen mit all <strong>de</strong>m Karma und <strong>de</strong>n<br />
Emotionen, die ihre Quellen sind, auf mich nehmen.“<br />
Mit diesem Gedanken meditiere, dass dies alles zu dir kommt, und entwickle, wenn dies<br />
eintritt, mit aller Kraft ein freudiges Streben.<br />
„Ohne zu zögern gebe ich vollständig meinen Körper, meine Freu<strong>de</strong>n sowie die Tugend und<br />
das Glück aller drei Zeiten all <strong>de</strong>n Lebewesen, meinen Eltern.“<br />
Mit diesem Gedanken meditiere, dass je<strong>de</strong>r einzelne dieses Glück erhält, und entwickle, wenn<br />
dies so ist, mit aller Kraft ein freudiges Streben.<br />
Um diese Vorstellungen <strong>de</strong>utlicher zu machen, <strong>de</strong>nke zu<strong>de</strong>m beim Einatmen, dass<br />
ausnahmslos alle Vergehen, Schleier und Lei<strong>de</strong>n sämtlicher Wesen sich in Form von dichter<br />
Schwärze sammeln.<br />
Diese tritt dann durch die Nasenlöcher ein und verschmilzt in <strong>de</strong>in Herz, wodurch die Wesen<br />
für immer von allem Übel und Leid befreit wer<strong>de</strong>n.<br />
Wenn du ausatmest, stelle dir vor, wie all <strong>de</strong>in Glück und <strong>de</strong>ine Tugen<strong>de</strong>n in Form von<br />
Mondlicht aus <strong>de</strong>n Nasenlöchern herausströmen und in strahlen<strong>de</strong>r Weiße in alle Lebewesen<br />
verschmelzen.
Denke, dass sie hierdurch alle auf <strong>de</strong>r Stelle Buddhaschaft erlangen, und entwickle tiefe<br />
Freu<strong>de</strong>.<br />
Mache dieses ‚Reiten lassen <strong>de</strong>s Gebens und Annehmens auf <strong>de</strong>m Atem‘ zur Hauptpraxis <strong>de</strong>r<br />
Sitzungen und übe dich darin. Praktiziere es auch danach, wenn immer du dich daran<br />
erinnerst. Dies ist die Hauptpraxis <strong>de</strong>s Geistestrainings.<br />
Shanti<strong>de</strong>va sprach ausführlich hierüber mit Worten wie:<br />
„Wenn ich mein Glück nicht vollständig<br />
gegen die Lei<strong>de</strong>n an<strong>de</strong>rer austausche,<br />
wer<strong>de</strong> ich keine Buddhaschaft verwirklichen<br />
und auch in Samsara wer<strong>de</strong> ich nicht glücklich sein.“<br />
Die Praxis zwischen <strong>de</strong>n Sitzungen:<br />
(8) Drei Arten von Objekten, drei Gifte<br />
und drei Wurzeln <strong>de</strong>s Heilsamen<br />
Bei angenehmen o<strong>de</strong>r nützlichen Objekten kommt es zu Anhaften und Begier<strong>de</strong>, bei<br />
unangenehmen o<strong>de</strong>r potentiell schädlichen Objekten reagieren wir mit Abneigung und Hass<br />
und bei neutralen Objekten entsteht gleichgültige Stumpfheit. So erheben sich ständig<br />
aufgrund von drei Arten von Objekten die drei Geistesgifte. Die Praxis besteht darin, diese<br />
Emotionen unmittelbar bei ihrem Auftreten zu erkennen und, z.B. beim Erscheinen von<br />
Begier<strong>de</strong>, zu <strong>de</strong>nken:<br />
„Mögen sich alle Emotionen <strong>de</strong>s Begehrens sämtlicher Wesen, so viele es auch geben mag, in<br />
meiner Begier<strong>de</strong> sammeln.<br />
Mögen dadurch alle Wesen die Wurzeln <strong>de</strong>s Heilsamen frei von Begier<strong>de</strong> besitzen.<br />
Möge meine gegenwärtige Emotion ihre Emotionen beseitigen und mögen sie frei davon<br />
bleiben, bis sie die Buddhaschaft erreicht haben.“<br />
Mache die gleichen Wünsche auch für Wut und die an<strong>de</strong>ren Emotionen und bringe sie so auf<br />
<strong>de</strong>n Weg. Dadurch wer<strong>de</strong>n die drei Geistesgifte zu drei grenzenlosen Wurzeln <strong>de</strong>s Heilsamen.<br />
(9) Übe bei allen Aktivitäten mit Merksprüchen<br />
Übe dich zu allen Zeiten mit Sätzen wie <strong>de</strong>n Worten <strong>de</strong>s Edlen:<br />
„Mögen ihre schädlichen Handlungen in mir heranreifen und meine heilsamen Handlungen<br />
ausnahmslos in ihnen reifen.“<br />
Und in <strong>de</strong>n Schriften <strong>de</strong>r Kadampas heißt es:<br />
„Allen Gewinn und Sieg opfere ich <strong>de</strong>n Wesen, meinen Gebietern, und alle Verluste und<br />
Nie<strong>de</strong>rlagen nehme ich auf mich.“<br />
O<strong>de</strong>r wie es Gyalsä Thogme ausdrückte:<br />
„Mögen alle schädlichen Handlungen und alles Leid <strong>de</strong>r Wesen in mir heranreifen und mögen<br />
alle meine heilsamen Handlungen und all mein Glück in <strong>de</strong>n Wesen heranreifen.“<br />
Wann immer möglich, praktiziere mit passen<strong>de</strong>n Sprüchen wie diesen und entwickle ein<br />
starkes Sehnen.<br />
(10) Beginne mit <strong>de</strong>m Prozess <strong>de</strong>s Annehmens bei dir selbst<br />
Um fähig zu sein, das Leid an<strong>de</strong>rer auf dich zu nehmen, solltest du stufenweise vorgehen.<br />
Beginne <strong>de</strong>n Prozess als erstes mit dir selbst: Nimm jetzt in Gedanken bereits alles Leid an,
das in Zukunft noch für dich heranreifen wird. Wenn du darin geübt bist, nimm die Lei<strong>de</strong>n<br />
an<strong>de</strong>rer an.“<br />
Das Licht <strong>de</strong>s Wahren Sinnes (Ngedön Drönme) von Jamgön Kongtrul<br />
Lodrö Thaye im Kapitel über Bodhicitta:<br />
Die vier <strong>Unermessliche</strong>n:<br />
‣ Liebe ist <strong>de</strong>r Wunsch, alle Wesen in die Begegnung mit <strong>de</strong>m ihnen noch unbekannten, neuen<br />
Glück zu führen und sie in heilsamen Handlungen, <strong>de</strong>r Ursache <strong>de</strong>s Glücks, anzuleiten.<br />
‣ Mitgefühl ist <strong>de</strong>r Wunsch, sie von ihrem gegenwärtigen Leid zu befreien und sie zu bewegen,<br />
in Zukunft nichtheilsame Handlungen, die Ursache <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>s, zu unterlassen.<br />
‣ Freu<strong>de</strong> ist das sich Erfreuen am gegenwärtigen körperlichen und geistigen Glück an<strong>de</strong>rer.<br />
‣ Gleichmut ist, sämtliche Lebewesen, die alle wie unsere Mütter sind, ohne Unterschied als<br />
gleichwertig und gleich wichtig zu betrachten. Dies beinhaltet, allen gegenüber dieselbe<br />
Haltung zu haben und we<strong>de</strong>r an einigen zu haften, noch an<strong>de</strong>re abzulehnen, <strong>de</strong>nn sämtliche<br />
Wesen sind uns gleich nah o<strong>de</strong>r fern.<br />
In dieser Weise über die unermesslich vielen Lebewesen zu meditieren, die <strong>de</strong>n Weltenraum bis<br />
an seine Grenzen füllen, ohne in Freund, Feind und neutral zu unterschei<strong>de</strong>n – das wird die „Vier<br />
<strong>Unermessliche</strong>n“ genannt. Sie sind das Herz <strong>de</strong>s Dharmas und sollten von <strong>de</strong>m Moment an, wo<br />
wir mit <strong>de</strong>r Praxis <strong>de</strong>s großen Fahrzeugs beginnen, zum Zentrum unserer Übung wer<strong>de</strong>n.<br />
Hierbei sollten wir Liebe und die an<strong>de</strong>ren <strong>Unermessliche</strong>n in unserem Geistesstrom<br />
hervorbringen, in<strong>de</strong>m wir, <strong>de</strong>n Anweisungen <strong>de</strong>r Kadampa Tradition folgend, <strong>de</strong>n (siebenfachen)<br />
Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung kontemplieren:<br />
– Ich muss unbedingt, mit allen Mitteln, Buddhaschaft erlangen.<br />
– Als <strong>de</strong>ssen Ursache braucht es <strong>de</strong>n Erleuchtungsgeist<br />
– sowie <strong>de</strong>ssen Ursache: Mitgefühl<br />
– und als Ursache <strong>de</strong>s Mitgefühls: Liebe<br />
– und als <strong>de</strong>ren Ursache das sich Bewusstwer<strong>de</strong>n und Erinnern <strong>de</strong>r (hilfreichen) Handlungen<br />
an<strong>de</strong>rer sowie das Erwi<strong>de</strong>rn wollen dieser Güte,<br />
– wobei es als <strong>de</strong>ssen Ursache das Verständnis braucht, dass sämtliche Wesen unsere Väter und<br />
Mütter sind.<br />
Wer dies versteht, beginnt das Kultivieren von Liebe damit, zunächst die Güte <strong>de</strong>r eigenen Mutter<br />
zu kontemplieren. Dann <strong>de</strong>hnen wir diese Kontemplation in ähnlicher Weise mehr und mehr auf<br />
alle Lebewesen aus und schließen darin alle ein, die leben und atmen.<br />
Shanti<strong>de</strong>va schreibt im Shiksa-samuccaya im 9. Kapitel: „Worin besteht die innere Freu<strong>de</strong><br />
(mudita)? Es ist die innere Heiterkeit, das Glück <strong>de</strong>r Verwirklichung, das aus <strong>de</strong>m Nicht-<br />
Verhaftetsein <strong>de</strong>s Geistes kommt, aus <strong>de</strong>r Hingabe an die Lehren <strong>de</strong>r Erleuchteten, aus <strong>de</strong>r<br />
Klarheit und Sicherheit, die ihre Grundlage in <strong>de</strong>r Tugend und Wahrhaftigkeit haben. Es ist die<br />
Glückseligkeit <strong>de</strong>r Meditation, das Gefühl <strong>de</strong>r Zufrie<strong>de</strong>nheit, die geistige Haltung <strong>de</strong>r Demut und<br />
Großzügigkeit, die überall das Gute sieht und sich <strong>de</strong>r eigenen Unvollkommenheit bewusst ist. Es<br />
ist die Freu<strong>de</strong> am Geben...“<br />
Der Kostbare Schmuck <strong>de</strong>r Befreiung, Gampopa, Kapitel 7
Die Meditation <strong>de</strong>r Liebe und <strong>de</strong>s Mitgefühls<br />
als Gegenmittel für das Haften am friedvollen Glück <strong>de</strong>s Nirwana<br />
Was verstehen wir unter »Haften an friedvollem Glück«? Gemeint ist <strong>de</strong>r Wunsch,<br />
ausschließlich für sich selbst Nirwana 1 , die Befreiung von Leid, erreichen zu wollen und aus<br />
mangeln<strong>de</strong>r Liebe für die übrigen Lebewesen nicht für das Wohl an<strong>de</strong>rer zu han<strong>de</strong>ln. Dies ist<br />
die Einstellung <strong>de</strong>r kleineren Fahrzeuge, wie sie in folgen<strong>de</strong>m Zitat zum Ausdruck kommt:<br />
»›Um meines eigenen Wohles willen muss ich<br />
das Wohl an<strong>de</strong>rer – obwohl sie so viele sind – fallenlassen.<br />
Wenn ich <strong>de</strong>m eigenen Wohl <strong>de</strong>n Vorrang gebe,<br />
wird es sich am besten verwirklichen.«<br />
Wenn aber Liebe und Mitgefühl in uns erwacht sind, können wir es aus Zuneigung zu an<strong>de</strong>ren<br />
Wesen nicht ertragen, nur uns selbst zu befreien. Deshalb meditieren wir über Liebe und<br />
Mitgefühl. Meister Manjushrikirti sagte:<br />
»Ein Praktizieren<strong>de</strong>r <strong>de</strong>s großen Fahrzeugs sollte sich auch nicht für<br />
einen einzigen Augenblick von Liebe und Mitgefühl trennen.«<br />
Und:<br />
»Das Wohl an<strong>de</strong>rer bewirken wir nicht durch Hass,<br />
son<strong>de</strong>rn in<strong>de</strong>m wir uns mit Liebe und Mitgefühl um sie kümmern.«<br />
A. Das Entwickeln von Liebe<br />
1. Einteilung<br />
Wir unterschei<strong>de</strong>n drei Arten von Liebe:<br />
Liebe, die auf Lebewesen ausgerichtet ist,<br />
Liebe, die auf die Natur <strong>de</strong>r Dinge ausgerichtet ist, und<br />
Liebe frei von Bezugspunkten.<br />
In <strong>de</strong>m von Aksayamati erbetenen Sutra steht hierzu:<br />
»Die auf Lebewesen ausgerichtete Liebe fin<strong>de</strong>t sich bei Bodhisattvas, die gera<strong>de</strong> eben <strong>de</strong>n<br />
Erleuchtungsgeist entwickelt haben. Die auf die Natur <strong>de</strong>r Dinge ausgerichtete Liebe fin<strong>de</strong>t<br />
sich bei Bodhisattvas, welche in die Praxis eingetreten sind. Liebe frei von Bezugspunkten<br />
fin<strong>de</strong>t sich bei Bodhisattvas, die imstan<strong>de</strong> sind, die Ungeborenheit <strong>de</strong>s Seins zu ertragen.«<br />
(vgl. S.103)<br />
2. Bezug<br />
Hier wer<strong>de</strong>n wir nur die erste Art von Liebe besprechen, welche die Gesamtheit aller<br />
Lebewesen als Bezugspunkt hat.<br />
3. Ausdruck<br />
Eine liebevolle Geisteshaltung drückt sich in <strong>de</strong>m Wunsch aus, dass alle Wesen Glück fin<strong>de</strong>n<br />
mögen.<br />
4. Metho<strong>de</strong>: Die Meditation über die Güte unserer Mütter<br />
1 Friedvoles Glück bezieht sich auf das N irwana <strong>de</strong>r Hörer und A leinverwirklicher,<strong>de</strong>ren W ege auch die kleineren<br />
Fahrzeuge genanntwer<strong>de</strong>n.
Die Wurzel von Liebe ist, Dankbarkeit zu entwickeln, in<strong>de</strong>m wir uns an die Güte an<strong>de</strong>rer<br />
Lebewesen erinnern und über ihre Fürsorge nach<strong>de</strong>nken. Von allen Wesen erwies uns in<br />
diesem Leben unsere Mutter die größte Güte. Worin besteht die Güte einer Mutter? Sie ist<br />
vierfach:<br />
die Güte, unseren Körper hervorzubringen,<br />
die Güte, unseretwillen große Mühsal auf sich zu nehmen,<br />
die Güte, unser Leben zu schützen, und<br />
die Güte, uns mit <strong>de</strong>r Welt vertraut zu machen.<br />
So steht es auch in Befreien<strong>de</strong> Weisheit in 8000 Versen:<br />
»Du fragst, warum?<br />
Die Mutter hat uns geboren<br />
und dadurch viel Mühsal auf sich genommen.<br />
Sie schützte unser Leben<br />
und machte uns mit allem Wichtigen in <strong>de</strong>r Welt vertraut.«<br />
Die Güte, unseren Körper hervorzubringen<br />
Unser Körper war nicht gleich, mit einem Mal, ausgewachsen, voller Kraft und von gesun<strong>de</strong>m<br />
Aussehen. Nur allmählich wuchs er im Bauch <strong>de</strong>r Mutter vom ovalen zum länglichen<br />
Embryonalstadium und so weiter heran. Dabei formte er sich aus <strong>de</strong>n essentiellen<br />
Bestandteilen, die aus ihrem Fleisch und Blut stammten, und wur<strong>de</strong> durch die Kraft ihrer<br />
Nahrung gestärkt. Während unser Körper entstand, ertrug unsere Mutter so manches an<br />
Scham, Unwohlsein und Leid. Auch nach unserer Geburt war sie es, die uns Winzlinge nährte<br />
und schützte, bis wir so stark waren wie Ochsentreiber.<br />
Die Güte, Mühsal auf sich zu nehmen<br />
Als wir auf die Welt<br />
kamen, hatten wir nichts anzuziehen, waren nicht geschmückt, besaßen nichts<br />
und hatten keinerlei Vorräte. Außer einem schreien<strong>de</strong>n Mund und einem leeren Bauch<br />
besaßen wir rein gar nichts und waren völlig nackt und unbedarft. Wir kamen in ein frem<strong>de</strong>s<br />
Land, ohne eine einzige Person zu kennen. Da gab uns die Mutter zu essen, damit wir keinen<br />
Hunger litten, gab uns zu trinken, damit wir keinen Durst hatten, klei<strong>de</strong>te uns, damit uns nicht<br />
kalt war, und schenkte uns Dinge, damit uns die Armut nicht drückte. Es war aber nicht etwa<br />
so, dass sie ihrem Kind nur das schenkte, was sie selbst nicht mehr brauchte. Nein, sie gönnte<br />
sich selbst kaum Essen, Trinken und neue Kleidung, <strong>de</strong>nn es ging ihr nicht darum, sich dieses<br />
Leben angenehmer zu machen. Auch verzichtete sie darauf, ihre geringe Habe zu nutzen, um<br />
durch wohltätiges Spen<strong>de</strong>n für ihr Wohlergehen in späteren Leben vorzusorgen. Tatsächlich<br />
widmet sich eine Mutter <strong>de</strong>m Ernähren und Aufziehen ihres Kin<strong>de</strong>s, ohne auf ihr eigenes<br />
gegenwärtiges und zukünftiges Glück zu achten.<br />
Auch fand sie das für unser Wohlergehen Notwendige nicht etwa auf angenehme und<br />
einfache Weise, son<strong>de</strong>rn nahm schädliche Handlungen, Leid und Plackerei in Kauf, um für ihr<br />
Kind zu sorgen. Aus Liebe zu uns beging sie so manche nichtheilsame Handlung wie Fischen,<br />
Schlachten und <strong>de</strong>rgleichen. Sie nahm vielerlei Leid auf sich, wenn sie auf <strong>de</strong>m Markt<br />
han<strong>de</strong>lte o<strong>de</strong>r von früh bis spät auf <strong>de</strong>m Feld und an<strong>de</strong>rswo arbeitete. Den morgendlichen<br />
Rauhreif nahm sie als ihr Schuhwerk und die Sterne <strong>de</strong>r fallen<strong>de</strong>n Nacht als Kopftuch, ihre<br />
eigenen Beine waren ihr Pferd und ihre ins Haar geflochtenen Bän<strong>de</strong>r die Peitsche. Ihre<br />
Wa<strong>de</strong>n setzte sie <strong>de</strong>n Hun<strong>de</strong>n aus und ihr Gesicht bot sie <strong>de</strong>n Männern dar – und das alles<br />
ihrem Kind zuliebe.
Zu<strong>de</strong>m behan<strong>de</strong>lte sie diesen unbeholfenen, von irgendwoher gekommenen Fremdling mit<br />
größerer Liebe als ihre eigenen Eltern, ihren Lama und an<strong>de</strong>re Menschen, wie gütig diese<br />
auch sein mochten. Liebevoll blickte sie ihr Kind an, umhegte es mit warmer Zärtlichkeit,<br />
neckte und streichelte es, wiegte es in ihren Armen und sprach mit sanfter Stimme: »Du<br />
Freu<strong>de</strong>, mein Liebling, mein Sonnenschein, oh du Schatz, mein Herzchen, LuLu, wie machst<br />
du <strong>de</strong>ine Mutter glücklich!«<br />
Die Güte, unser Leben zu schützen<br />
Anfangs wussten wir Mund und Hän<strong>de</strong> nicht zu gebrauchen und hatten we<strong>de</strong>r die Fähigkeit<br />
noch die Kraft für irgendwelche schwierigeren Aufgaben. Als wir schwach und empfindlich<br />
waren wie ein Wurm, zu nichts nutze und unfähig zu <strong>de</strong>nken, da hat uns unsere Mutter nicht<br />
im Stich gelassen, son<strong>de</strong>rn umsorgte uns mit allem, was nötig war. Sie nahm uns auf ihren<br />
Schoß, schützte uns vor Feuer und Wasser, bewahrte uns vor Stürzen, hielt alles fern, was uns<br />
hätte Leid zufügen können, und betete für uns. Aus Angst, wir könnten krank wer<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r<br />
sterben, hat sie geistliche Hilfe gesucht, hat Wahrsagungen und Horoskope machen lassen<br />
und um Schutzformeln, Schriftlesungen und religiöse Zeremonien gebeten. Es ist kaum zu<br />
fassen, an was alles sie gedacht hat, um ihr Kind am Leben zu erhalten.<br />
Die Güte, uns mit <strong>de</strong>r Welt vertraut zu machen<br />
Als wir auf die Welt kamen, waren wir noch nicht diese gescheiten, ihres Urteils sicheren<br />
Leute mit wachem Blick und scharfen Sinnen. Außer zu weinen, nach fürsorglicher Hilfe zu<br />
schreien und mit Armen und Beinen zu strampeln, konnten wir nichts. Als wir noch nicht<br />
einmal wussten, wie man isst, lehrte unsere Mutter uns essen. Wir wussten nicht, wie man<br />
Klei<strong>de</strong>r anlegt und sie brachte uns das Anziehen bei. Wir konnten nicht gehen und sie lehrte<br />
uns laufen. Wir konnten nicht sprechen und sie lehrte uns sprechen: »Sag ›Ma‹ und dann<br />
›Mama‹ « und so fort. Sie brachte uns viele praktische Fertigkeiten und nützliche Dinge bei,<br />
bis wir in all diesen zunächst frem<strong>de</strong>n Bereichen genauso o<strong>de</strong>r ähnlich geschickt wur<strong>de</strong>n wie<br />
sie.<br />
Zu<strong>de</strong>m war unsere Mutter nicht etwa nur jetzt, in diesem Leben, unsere Mutter: Da wir schon<br />
seit anfangslosen Zeiten im Daseinskreislauf kreisen, ist sie schon unzählige Male unsere<br />
Mutter gewesen. Im Sutra <strong>de</strong>s Anfangslosen Daseinskreislaufs heißt es:<br />
»Wür<strong>de</strong> jemand alle Er<strong>de</strong>, Steine, Pflanzen und Wäl<strong>de</strong>r<br />
dieser Weltensphäre in Form kleiner Wachol<strong>de</strong>rsamen zusammenlegen,<br />
so wäre es immerhin möglich, dass ein zweiter diese zählte<br />
und nach einiger Zeit damit fertig wür<strong>de</strong>.<br />
Hingegen zu zählen, wie oft ein einziges Wesen<br />
bereits unsere Mutter war, ist völlig unmöglich.«<br />
Und in <strong>de</strong>m Brief an einen Freund lesen wir:<br />
»Wollte man für je<strong>de</strong>s Zusammentreffen mit unserer Mutter<br />
ein Lehmkügelchen so klein wie Wachol<strong>de</strong>rsamen zählen,<br />
so wür<strong>de</strong> die gesamte Er<strong>de</strong> dafür nicht ausreichen.«<br />
Je<strong>de</strong>s Mal, als sie unsere Mutter war, erwies sie uns die eben beschriebene Güte. Da also die<br />
Güte <strong>de</strong>iner Mutter unermesslich ist, übe dich darin, <strong>de</strong>n aufrichtigen Wunsch zu entwickeln,<br />
ihr Herz zu erfreuen, ihr nützlich zu sein und sie glücklich zu machen.<br />
Aber nicht nur sie, son<strong>de</strong>rn alle an<strong>de</strong>ren Lebewesen ebenfalls waren <strong>de</strong>ine Mütter, und die<br />
Güte, die sie alle dir erwiesen, war ebenso groß wie die <strong>de</strong>iner jetzigen Mutter. Falls du dich<br />
nun fragst, ob sich die Zahl all dieser Lebewesen ermessen lässt, dann be<strong>de</strong>nke: Lebewesen
fin<strong>de</strong>n sich überall, soweit <strong>de</strong>r Raum reicht. So steht im Sutra Wunschgebet <strong>de</strong>r rechten<br />
Lebensweise:<br />
»Erst dort, wo <strong>de</strong>r Himmelsraum seine Grenze erreicht,<br />
ist auch die Grenze aller Lebewesen.«<br />
So sollten wir uns voller Aufrichtigkeit darin üben, eine Haltung zu entwickeln, in <strong>de</strong>r wir<br />
allen Wesen – bis an die Grenzen <strong>de</strong>s Raumes – alles wünschen, was zu ihrem Wohl und<br />
Glück beiträgt. Wahrhafte Liebe ist, wenn dieser Wunsch entsteht. Der Schmuck <strong>de</strong>r<br />
Mahayana Sutren sagt:<br />
»Bodhisattvas behan<strong>de</strong>ln alle Wesen wie ihr einziges Kind.<br />
Aus <strong>de</strong>m Mark ihrer Knochen wünschen sie mit großer Liebe,<br />
immer auf diese Weise zu ihrem Nutzen zu wirken.«<br />
»Groß« ist die Liebe dann, wenn sie uns Tränen in die Augen treibt o<strong>de</strong>r sich uns die Härchen<br />
auf <strong>de</strong>r Haut aufstellen. Und »unermesslich« wird sie, wenn sie in dieser Weise für alle<br />
Wesen gleichermaßen entsteht.<br />
5. Das Maß <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
Liebe ist voll entwickelt, wenn wir nicht mehr nach eigenem Glück streben, son<strong>de</strong>rn einzig<br />
<strong>de</strong>n Wunsch haben, dass alle Wesen glücklich sein mögen.<br />
6. <strong>Qualitäten</strong><br />
Die <strong>Qualitäten</strong> solcher Praxis sind unermesslich. Im Mondlicht Sutra steht:<br />
»Mit unermesslichen, vielfältigsten Opfergaben<br />
Millionen und Abermillionen von Welten zu füllen<br />
und <strong>de</strong>n großen Edlen darzubringen<br />
wird von einem lieben<strong>de</strong>n Geist bei weitem übertroffen.«<br />
Es bringt bereits unermessliche Verdienste, sich <strong>de</strong>r Meditation lieben<strong>de</strong>r Güte auch nur für<br />
einen Moment zu widmen. So sagt die Juwelenkette:<br />
»Selbst wenn wir dreimal täglich<br />
aus dreihun<strong>de</strong>rt Kochtöpfen fürstliche Mahlzeiten verteilen wür<strong>de</strong>n,<br />
käme dies nicht an die positive Kraft<br />
eines einzigen klaren Augenblickes <strong>de</strong>r Liebe heran.«<br />
Selbst wenn wir noch nicht Erleuchtung erlangt haben, entstehen aus Liebe bereits acht<br />
Vorzüge, die in <strong>de</strong>r Juwelenkette erwähnt wer<strong>de</strong>n:<br />
»Du wirst von Göttern und Menschen geliebt<br />
und auch von ihnen beschützt.<br />
Du bist glücklich und erlebst viele Freu<strong>de</strong>n.<br />
We<strong>de</strong>r Gift noch Waffen scha<strong>de</strong>n dir,<br />
mühelos erreichst du <strong>de</strong>ine Ziele<br />
und wirst in Brahmas Welt geboren.<br />
Selbst wenn du noch nicht befreit bist,<br />
erlangst du diese acht Vorzüge <strong>de</strong>r Liebe.«
Zu<strong>de</strong>m ist die Meditation <strong>de</strong>r Liebe vortrefflich, um sich selbst wie auch an<strong>de</strong>re zu schützen,<br />
wie im Falle <strong>de</strong>s Brahmanen Mahadatta bzw. <strong>de</strong>s Königs Maitribala. 2 Wird Liebe in dieser<br />
Weise praktiziert, ist es auch nicht schwierig, sich in Mitgefühl zu üben.<br />
B. Das Entwickeln von Mitgefühl<br />
Der Merkvers hierzu lautet:<br />
Einteilung, Bezug und Ausdruck,<br />
Meditationsmetho<strong>de</strong>, Maß <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
und <strong>Qualitäten</strong> – in diesen sechs Punkten<br />
ist unermessliches Mitgefühl zusammengefasst.<br />
1. Einteilung<br />
Wir unterschei<strong>de</strong>n drei Arten von Mitgefühl:<br />
Mitgefühl, das auf Lebewesen ausgerichtet ist,<br />
Mitgefühl, das auf die Natur <strong>de</strong>r Dinge ausgerichtet ist, und<br />
Mitgefühl frei von Bezugspunkten.<br />
Das auf Lebewesen ausgerichtete Mitgefühl entsteht, wenn wir das Leid <strong>de</strong>r Wesen in <strong>de</strong>n<br />
nie<strong>de</strong>ren Daseinsbereichen und an<strong>de</strong>rswo sehen.<br />
Das auf die Natur <strong>de</strong>r Dinge ausgerichtete Mitgefühl entsteht, wenn wir über die vier edlen<br />
Wahrheiten meditieren und die bei<strong>de</strong>n Arten von Ursache-Wirkungsbeziehungen 3 verstehen,<br />
<strong>de</strong>nn hierdurch wen<strong>de</strong>t sich unser Geist von <strong>de</strong>m Glauben an Beständigkeit und konkrete,<br />
feste Existenz 4 ab und wir sehen, wie an<strong>de</strong>re Wesen in Täuschung leben, weil sie Ursache und<br />
Wirkung nicht verstehen und an vermeintlich Beständigem und Soli<strong>de</strong>m festhalten.<br />
Das Mitgefühl frei von Bezugspunkten entsteht, wenn wir in meditativer Ausgeglichenheit die<br />
Leerheit aller Phänomene erkennen und sich dadurch ein beson<strong>de</strong>res Mitgefühl für Wesen<br />
zeigt, die an vermeintlich Wirklichem festhalten. So heißt es:<br />
»Wenn ein Bodhisattva in meditativer Ausgeglichenheit<br />
durch die Kraft <strong>de</strong>r Meditation (seine Erkenntnis) vollen<strong>de</strong>t,<br />
entsteht in ihm ein beson<strong>de</strong>res Mitgefühl für jene,<br />
die vom Dämon <strong>de</strong>s Fürwirklichhaltens besessen sind.«<br />
2. Bezug<br />
Hier wer<strong>de</strong>n wir nur die Meditation <strong>de</strong>r ersten dieser drei Formen <strong>de</strong>s Mitgefühls besprechen<br />
– das Mitgefühl, das sich auf alle Lebewesen bezieht.<br />
2 In einem seiner früheren Leben w ar Buddha Shakyam uni als M ahadatta <strong>de</strong>r Sohn von K önig M aitribala. Um <strong>de</strong>n<br />
darben<strong>de</strong>n M enschen zu helfen, verschenkte er mit <strong>de</strong>r Erlaubnis seines liebevo len V aters, <strong>de</strong>r ihn bei a lem unterstützte,<br />
säm tliche Schätze an die U ntertanen. Als das aber nicht ausreichte, um ihr Leid zu beseitigen, machte er sich auf, um<br />
w unscherfü len<strong>de</strong> E<strong>de</strong>lsteine von <strong>de</strong>n Nagas zu holen.Dabeischützte ihn seine uneigennützige Liebe vorangreifen<strong>de</strong>n Dämonen<br />
und vor<strong>de</strong>m Gift<strong>de</strong>rSchlangen,die das Nagaschloss bewachten.Seine Reise hatte Erfolg und brachte Glück und W ohlergehen<br />
fürdas ganze Land.<br />
3 Das Verständnis <strong>de</strong>rbei<strong>de</strong>n Arten von Ursache-W irkungsbeziehungen istein Wissen darüber,(1)was Leid (Samsara)hervorruft<br />
und (2)was jenseits von Leid (in Nirwana)führt.<br />
4 Mit<strong>de</strong>m Glauben an Beständigkeitund konkrete,festeExistenz istdie Vorste lung einerunabhängigen und unvergänglichen<br />
Existenz von Lebewesen und Dingen gem eint.
3. Ausdruck<br />
Eine mitfühlen<strong>de</strong> Geisteshaltung drückt sich in <strong>de</strong>m Wunsch aus, dass alle Wesen frei von<br />
Leid und <strong>de</strong>ssen Ursachen sein mögen.<br />
4. Metho<strong>de</strong>: Die Meditation über das Leid unserer Mütter<br />
Wir meditieren mit Hilfe <strong>de</strong>r Verbindung zu unserer Mutter, die uns dieses Leben schenkte:<br />
Wenn wir uns vorstellen wür<strong>de</strong>n, dass unsere leibliche Mutter gera<strong>de</strong> hier vor uns von<br />
an<strong>de</strong>ren zerschnitten, in Stücke zerhackt, gekocht und verbrannt wür<strong>de</strong> o<strong>de</strong>r dass durch<br />
extreme Kälte an ihrem Körper Frostbeulen entstehen, aufgehen und bersten wür<strong>de</strong>n, so<br />
wür<strong>de</strong> bestimmt großes Mitgefühl in uns entstehen. In solch einer Lage befin<strong>de</strong>n sich die<br />
Wesen, die in <strong>de</strong>n Höllen geboren wur<strong>de</strong>n und die mit Sicherheit alle bereits unsere Mütter<br />
waren. Wo sie doch solch unermessliches Leid erfahren, wie könnte da nicht Mitgefühl in<br />
unserem Herzen entstehen? Übe dich in Mitgefühl, <strong>de</strong>m Wunsch, sie alle vom Leid und<br />
<strong>de</strong>ssen Ursachen zu befreien.<br />
Und ebenso: Wenn unsere Mutter an einem Ort wäre, wo sie unter Hunger und Durst litte, wo<br />
Krankheit und Fieber sie plagen wür<strong>de</strong>n, wo sie voller Furcht und Schrecken wäre, ohne<br />
jegliche Hoffnung und je<strong>de</strong>n Mut, so wür<strong>de</strong> gewiss großes Mitgefühl in uns entstehen. In<br />
solch einer Lage sind die Wesen, die als hungrige Geister geboren wur<strong>de</strong>n und die alle mit<br />
Sicherheit unsere Mütter waren. Wo sie doch von solchem Leid geschlagen sind, wie sollte da<br />
nicht Mitgefühl in unserem Herzen entstehen? Übe dich in Mitgefühl, <strong>de</strong>m Wunsch, sie alle<br />
vom Leid zu befreien.<br />
Weiterhin: Wenn unsere Mutter an einem Ort wäre, wo sie alt und schwach und völlig<br />
machtlos von an<strong>de</strong>ren geknechtet, zur Arbeit gezwungen, getreten, geprügelt, geschlachtet<br />
und zerschnitten wür<strong>de</strong> und <strong>de</strong>rgleichen mehr erlei<strong>de</strong>n müsste, so wür<strong>de</strong> bestimmt Mitgefühl<br />
entstehen. In solch einer Lage sind die Wesen, die als Tiere geboren wur<strong>de</strong>n und die alle mit<br />
Sicherheit unsere Mütter waren. Wo sie doch von solchem Leid getroffen sind, wie sollte da<br />
nicht Mitgefühl in unserem Herzen entstehen? Übe dich in Mitgefühl, <strong>de</strong>m Wunsch, sie alle<br />
vom Leid zu befreien.<br />
Stellen wir uns zu<strong>de</strong>m vor, unsere Mutter wür<strong>de</strong>, ohne achtzugeben, auf <strong>de</strong>n Rand eines<br />
tausend Meilen tiefen Abgrun<strong>de</strong>s zulaufen und es gäbe nieman<strong>de</strong>n, <strong>de</strong>r ihr zurufen könnte:<br />
»Pass auf, ein Abgrund!« Sie wäre kurz vor <strong>de</strong>m Absturz in diesen Abgrund, wo sie großes<br />
Leid erfahren wür<strong>de</strong> und aus <strong>de</strong>m sie kaum je wie<strong>de</strong>r herauskommen könnte. Welch großes<br />
Mitgefühl wür<strong>de</strong> da entstehen! In gleicher Weise stehen Götter, Menschen und Halbgötter am<br />
Ran<strong>de</strong> <strong>de</strong>s unermesslichen Abgrun<strong>de</strong>s <strong>de</strong>r nie<strong>de</strong>ren Daseinsbereiche. Sie sind so unvorsichtig,<br />
dass sie sich nicht von nichtheilsamen Handlungen und Vergehen abwen<strong>de</strong>n, und sie haben<br />
keinen spirituellen Ratgeber. Wenn sie abstürzen und das Leid <strong>de</strong>r drei nie<strong>de</strong>ren<br />
Daseinsbereiche erfahren, aus <strong>de</strong>nen so schwer zu entrinnen ist, wie sollte da nicht Mitgefühl<br />
in unserem Herzen entstehen? Übe dich in Mitgefühl, <strong>de</strong>m Wunsch, sie alle vom Leid zu<br />
befreien.<br />
5. Das Maß <strong>de</strong>r Entwicklung<br />
Mitgefühl ist voll entwickelt, wenn die Fesseln <strong>de</strong>r Selbstliebe durchtrennt sind und man <strong>de</strong>n<br />
echten Wunsch verspürt – ohne dass dies bloß Worte wären – alle Wesen von Leid zu<br />
befreien.<br />
6. <strong>Qualitäten</strong>
Die <strong>Qualitäten</strong> solcher Praxis sind unermesslich. So lesen wir in <strong>de</strong>r Klaren Äußerung zur<br />
Verwirklichung <strong>de</strong>s Mitfühlend Schauen<strong>de</strong>n (Tschenresi):<br />
»Gäbe es nur eine einzige Qualität<br />
und wir bekämen durch sie<br />
alle <strong>Qualitäten</strong> <strong>de</strong>r Buddhas in die Hand –<br />
welche könnte das sein? Es ist das große Mitgefühl.«<br />
Im Sutra Vollkommene Zusammenfassung <strong>de</strong>s Dharma steht:<br />
»Großer Erhabener! Es ist so: Dort, wo das kostbare Rad<br />
eines Weltenherrschers ist, dort sind auch seine Truppen.<br />
Großer Erhabener! Ebenso sind dort, wo es das große Mitgefühl<br />
eines Bodhisattvas gibt, auch alle <strong>Qualitäten</strong> <strong>de</strong>r Buddhas.«<br />
Und im Sutra Geheimnis <strong>de</strong>r Sogegangenen fin<strong>de</strong>t sich:<br />
»Herr <strong>de</strong>s Geheimen! 5<br />
Die Wurzel, aus <strong>de</strong>r das ursprüngliche Gewahrsein<br />
<strong>de</strong>r Allwissen<strong>de</strong>n entsteht, ist das Mitgefühl.«<br />
Abschließen<strong>de</strong> Betrachtung<br />
Wenn wir nun aufgrund von Liebe und Mitgefühl wünschen, dass alle Wesen Glück erlangen<br />
und frei von Leid sein mögen, dann haben wir kein Interesse mehr daran, nur für uns selbst<br />
glücklichen Frie<strong>de</strong>n zu erlangen. So wirkt die freudige Bereitschaft, zum Wohle <strong>de</strong>r Wesen<br />
Buddhaschaft zu verwirklichen, als Gegenmittel für unser Anhaften an Frie<strong>de</strong>n (Nirwana).<br />
Wenn in dieser Weise Liebe und Mitgefühl in unserem Wesensstrom entstehen, dann wer<strong>de</strong>n<br />
an<strong>de</strong>re uns lieber und wichtiger als wir selbst. (Hierzu fin<strong>de</strong>t sich in <strong>de</strong>r Lampe <strong>de</strong>s<br />
Erleuchtungsweges:)<br />
»Wer das Leid im eigenen Wesensstrom erkennt<br />
und dadurch mit seinem gesamten Wesen <strong>de</strong>n Wunsch verspürt,<br />
das Leid aller an<strong>de</strong>ren zum völligen Versiegen zu bringen,<br />
<strong>de</strong>r ist ein Mensch <strong>de</strong>r höchsten Art.«<br />
Dieses und ähnliche Zitate beschreiben die Gesinnung hochstehen<strong>de</strong>r Menschen, wie zum<br />
Beispiel <strong>de</strong>s Brahmanen Mahadatta. (s.S.102)<br />
Khakyab Dorje im Kommentar zur Chenrezi-Praxis:<br />
„Das Mantra <strong>de</strong>r sechs Silben von Avalokiteshvara vereint in sich die Kraft <strong>de</strong>s<br />
ursprünglichen Gewahrseins aller Buddhas und fließt über mit <strong>de</strong>r gesammelten Energie und<br />
Kraft seines Mitgefühls und all seiner erleuchteten Aktivität. Die Silbe OM entsteht aus <strong>de</strong>r<br />
spontanen Schöpferkraft <strong>de</strong>s fünffachen ursprünglichen Gewahrseins <strong>de</strong>s Edlen. Die Silbe<br />
MA entsteht ... aus seiner grenzenlosen Liebe. Die Silbe NI entsteht aus <strong>de</strong>r spontanen<br />
Schöpferkraft seines großen, allumfassen<strong>de</strong>n, anstrengungslosen Mitgefühls. Die Silbe PAD<br />
entsteht ... aus seinem grenzenlosen Gleichmut. Die Silbe ME entsteht ... aus seiner<br />
grenzenlosen Freu<strong>de</strong>. Die Silbe HUNG entsteht ... aus seinem grenzenlosen Mitgefühl, das<br />
alle Wesen wie die eigenen Kin<strong>de</strong>r betrachtet.“<br />
5 DerHerr<strong>de</strong>sGeheimen ist<strong>de</strong>rgroße Bodhisattva Vajrapani,<strong>de</strong>rdie geheimen Tantras vorMißbrauch schützt.
Tchenresi-Praxistext:<br />
„Nach<strong>de</strong>m wir so mit einsgerichtetem Geist gebetet haben, strömen Lichtstrahlen aus <strong>de</strong>m<br />
Körper <strong>de</strong>s Edlen und reinigen unreine, karmische Erscheinungen und verwirrte<br />
Wahrnehmung. Die äußere Welt wird das Land Wahrer Freu<strong>de</strong> (Sukhavati). ...Die Wesen in<br />
<strong>de</strong>n sechs Bereichen wer<strong>de</strong>n durch das Licht von allen körperlichen und geistigen<br />
Krankheiten, schädlichen Handlungen und Schleiern gereinigt. Es beseitigt ihr Leid, macht sie<br />
glücklich... und bringt sie mit wahrer Freu<strong>de</strong> in Verbindung – wie das Licht einer Lampe, das<br />
alle Dunkelheit vertreibt. Die Lebewesen wer<strong>de</strong>n zu Körper, Re<strong>de</strong> und Geist <strong>de</strong>s mächtigen<br />
Tschenresi – Erscheinungen, Klang und Bewusstheit wer<strong>de</strong>n untrennbar von <strong>de</strong>r Leerheit.“<br />
DAS ÜBEN DER VIER UNERMESSLICHEN von Matschig Labdrön<br />
Ein kurzer Auszug aus ihren „Gesammelten Unterweisungen“ (Matschig Namsche)<br />
Die vier <strong>Unermessliche</strong>n sind: unermessliche Liebe, unermessliches Mitgefühl, unermessliche<br />
Freu<strong>de</strong> und unermesslicher Gleichmut.<br />
<strong>Unermessliche</strong> Liebe<br />
Es gibt kein einziges Lebewesen, das noch nicht unser Vater o<strong>de</strong>r unsere Mutter gewesen wäre –<br />
und dies gilt für jene, die uns gescha<strong>de</strong>t haben, genauso wie für alle an<strong>de</strong>ren. Unvorstellbar viele<br />
Male haben sie bereits als unsere eigene Mutter gehan<strong>de</strong>lt. Dabei haben sie sich um uns<br />
gekümmert und uns genährt, ohne Rücksicht auf ihre Gesundheit o<strong>de</strong>r ihren Besitz zu nehmen<br />
und ohne sich von Schwierigkeiten wie schädlichen Handlungen, Lei<strong>de</strong>n und übler Nachre<strong>de</strong><br />
abhalten zu lassen. Kontempliere dies: „Sämtliche Lebewesen waren auf diese Weise meine<br />
Mütter.“<br />
Wenn du <strong>de</strong>ine Mütter in ihrem Leid siehst, <strong>de</strong>nke voller Sehnsucht und mit einsgerichtetem<br />
Geist: „Um all meine Mütter von ihren Lei<strong>de</strong>n zu befreien und ihnen zu helfen, opfere ich ihnen<br />
meinen Körper und Besitz sowie alle Wurzeln <strong>de</strong>s Heilsamen. Bis Samsara geleert ist, wer<strong>de</strong> ich<br />
zum Wohl <strong>de</strong>r Wesen wirken, damit alle meine alten Mütter glücklich wer<strong>de</strong>n und die Ursachen<br />
<strong>de</strong>s Glücks, eine Vielzahl heilsamer Handlungen, besitzen.“ Dies ist Liebe mit Lebewesen als<br />
Bezug.<br />
In <strong>de</strong>r letztendlichen Wirklichkeit gibt es nichts, was existiert; doch in <strong>de</strong>r relativen Wirklichkeit<br />
erlange ich das Erwachen dank aller Lebewesen, die meine alten Mütter waren. 6 Von daher<br />
erweisen sie mir außeror<strong>de</strong>ntliche Güte und ich wer<strong>de</strong> ihnen auf je<strong>de</strong>n Fall helfen. Aber sie<br />
verstehen nicht, dass sämtliche Phänomene in Wirklichkeit nicht eine Spur wahrer Existenz<br />
haben, son<strong>de</strong>rn wie Traum und Illusion sind. Weil sie die illusorischen Erscheinungen für<br />
wirklich halten, begehen sie nur nichtheilsame Handlungen und erfahren als Folge unerträgliches<br />
Leid. Ich wer<strong>de</strong> ihnen das selbstgewahre, zeitlose Gewahrsein zeigen, das von Ichanhaften und<br />
Unwissenheit befreit, und sie alle auf <strong>de</strong>n Weg <strong>de</strong>s Erwachens führen.“ Solches Denken nennen<br />
wir Liebe mit Dharma als Bezug.<br />
Alle drei Aspekte <strong>de</strong>ssen, was wir Liebe nennen – die Lebewesen, unsere ehemaligen Mütter, als<br />
Objekt <strong>de</strong>s Übens von Liebe, sowie <strong>de</strong>rjenige, <strong>de</strong>r die Liebe übt, wie auch die Natur <strong>de</strong>r Liebe<br />
selbst – sind nicht aus sich heraus existent, sie sind leer von einer individuellen Eigennatur.<br />
Hierbei zeigt sich die ungehin<strong>de</strong>rte Strahlkraft <strong>de</strong>r Leerheit als <strong>de</strong>r kontinuierliche Geist <strong>de</strong>r<br />
Liebe, und die Natur <strong>de</strong>s helfen<strong>de</strong>n Geistes ist völlige Präsenz. Frei von dualistischem Haften und<br />
6 Wir erlangen dank <strong>de</strong>r Lebewesen das E rw achen,weilsie uns ermöglichen, Liebe, Mitgefühl und die an<strong>de</strong>ren befreien<strong>de</strong>n<br />
<strong>Qualitäten</strong> zu praktizieren.Zu<strong>de</strong>m haben wir je<strong>de</strong>s M al auf <strong>de</strong>m Weg zum Erw achen M ütter gefun<strong>de</strong>n, die sich um uns<br />
gekümmerthaben.
komplizieren<strong>de</strong>n Extremen 7 wie in <strong>de</strong>r Mitte <strong>de</strong>s Alls und damit in <strong>de</strong>m aus sich heraus gewahren<br />
Geistesstrom zu weilen wird Große Liebe o<strong>de</strong>r Liebe ohne Bezug genannt. Es ist nötig, sich lange<br />
Zeit darin zu üben, bis unser Geist ganz damit verschmolzen ist. Das nennen wir dann<br />
unermessliche Liebe.<br />
<strong>Unermessliche</strong>s Mitgefühl<br />
Die Mütter, die mir so große Güte gezeigt haben, sind unglücklich und wer<strong>de</strong>n von Leid gequält.<br />
Sie verweilen in <strong>de</strong>n Ursachen für Leid [nichtheilsame Handlungen] und erfahren das daraus<br />
resultieren<strong>de</strong> Leid. Sie sind ungeschickt in <strong>de</strong>n Metho<strong>de</strong>n <strong>de</strong>s Auflösens von Leid und besitzen<br />
nicht die Bedingungen, von Leid frei zu kommen. Da sie keinem authentischen Meister folgen,<br />
sind sie wie Blin<strong>de</strong> ohne Führer. Sie alle, unsere Mütter, haben keine Kontrolle über ihren Geist<br />
erlangt. Unter <strong>de</strong>m Einfluss heftiger Emotionen verhalten sie sich wie Verrückte und führen eine<br />
Vielzahl nichtheilsamer Handlungen aus. Deren Frucht ist ganz allgemein Samsara und<br />
insbeson<strong>de</strong>re sind es die unerträglichen Lei<strong>de</strong>n <strong>de</strong>r drei nie<strong>de</strong>ren Daseinsbereiche. In ihrem Elend<br />
haben sie keine Zuflucht, die Grund zur Hoffnung gäbe. In ihrem Leid, das wie ein reißen<strong>de</strong>r<br />
Strom ist, erfahren sie nicht für einen einzigen Moment einen Unterbruch. Oh, welch ein<br />
Mitgefühl empfin<strong>de</strong> ich für diese Mütter! – Be<strong>de</strong>nke dies und meditiere hierüber, bis die Tränen<br />
kommen.<br />
Unsere Mütter, die so lei<strong>de</strong>n, betrachten Leid und <strong>de</strong>ssen Ursachen als Schmuck 8 : Sie haften an<br />
einem Selbst, wo es kein Selbst gibt; sie halten Nichtexistentes für existent; sie glauben,<br />
Vergängliches sei dauerhaft, und sind <strong>de</strong>r Überzeugung, Leid sei Glück. Voller Begehren und<br />
Verlangen nach <strong>de</strong>n wun<strong>de</strong>rbaren Sinnesfreu<strong>de</strong>n dieses Lebens, die nur ein Traum sind, wer<strong>de</strong>n<br />
sie immer wie<strong>de</strong>r in <strong>de</strong>n nie<strong>de</strong>ren Daseinsbereichen geboren. Oh, welch tiefes Mitgefühl empfin<strong>de</strong><br />
ich für diese Mütter! Wie mir das zu Herzen geht! Ich wer<strong>de</strong> alles tun, um sie von all ihrem Leid<br />
zu befreien! – Dies ist Mitgefühl mit Lebewesen als Bezug.<br />
Diese Mütter, die nie frei von Leid sind, haften so sehr an ihrem vermeintlichen Ich, dass ihnen<br />
die Vergänglichkeit nicht für einen Moment bewusst wird. Selbst wenn sie einmal <strong>de</strong>n Dharma<br />
praktizieren möchten, ist ihr Geist aufgrund <strong>de</strong>s Glaubens an Wirklichkeit so verwirrt und ihr<br />
Denken ist so verdreht, dass ihre Praxis nicht <strong>de</strong>m Weg folgt: Die Emotionen nehmen zu, Stolz<br />
und Hochmut stellen sich ein und wie<strong>de</strong>r schaffen sie die stärksten Ursachen für Samsara. Oh,<br />
welch tiefes Mitgefühl empfin<strong>de</strong> ich für diese Mütter! Wie mir das zu Herzen geht! Welch<br />
Mitgefühl!<br />
Ihr Mütter, die ihr nicht vom Glauben an vermeintliche Wirklichkeit ablasst, ich wer<strong>de</strong> euch von<br />
<strong>de</strong>n Wurzeln <strong>de</strong>s Lei<strong>de</strong>ns, vom Haften an Wirklichkeit befreien, in<strong>de</strong>m ich euch Weisheit lehre:<br />
die aus sich heraus gewahre Bewusstheit. So wer<strong>de</strong>t ihr die Nichtwirklichkeit erkennen, alle<br />
Phänomene bestens unterschei<strong>de</strong>n lernen und euch so vom Leid und <strong>de</strong>ssen Ursachen befreien.<br />
Ich wer<strong>de</strong> euch alle zur Buddhaschaft führen! – Diese Haltung nennen wir Mitgefühl mit Bezug<br />
auf Dharma.<br />
Hierbei sind alle drei – die Lebewesen, auf die sich das Mitgefühl richtet, <strong>de</strong>r Mitfühlen<strong>de</strong> selbst<br />
und die Natur <strong>de</strong>s Mitgefühls – in ihrem wahren Wesen nicht existent, leer von einer individuellen<br />
Eigennatur. Dabei zeigt sich die ungehin<strong>de</strong>rte Strahlkraft <strong>de</strong>r Leerheit als <strong>de</strong>r kontinuierliche<br />
Geist Großen Mitgefühls: die von dualistischem Haften freie Grunddimension, <strong>de</strong>m<br />
7 Komplizieren<strong>de</strong> Extreme (Tib.: spros pa'i mtha') sind Ausdruck <strong>de</strong>s dualistischen Denkens,<br />
das nicht <strong>de</strong>r Wirklichkeit entspricht. Es sind nicht ausgewogene „extreme” Positionen, die<br />
nicht zum Erwachen führen. Man spricht von vier o<strong>de</strong>r ausführlicher auch von acht Extremen<br />
(Tib.: mtha’-bzhi bzw. mtha’-brgyad), die das dualistische Denken in Gegensätzen<br />
beschreiben: Entstehen und Verlöschen, ewiges Sein und Nichtsein, Kommen und Fortgehen,<br />
Einheit und Vielfalt.<br />
8 In ihrerUnwissenheithalten sie das,was in WirklichkeitLeid isto<strong>de</strong>rzu Leid führt,fürgut,schön und notwendig und sie sind<br />
sogarnoch stolz darauf.
Himmelsraum vergleichbar. – Dies nennen wir Mitgefühl ohne Bezug. Wenn es heißt, das Herz<br />
<strong>de</strong>r Leerheit sei Mitgefühl, so ist dies das unermessliche Mitgefühl.<br />
<strong>Unermessliche</strong> Freu<strong>de</strong><br />
Da meine Mütter in ihrem Geistesstrom nicht diese Art von Liebe und Mitgefühl hervorgebracht<br />
haben, verstehen sie nicht, dass alle Lebewesen ihre gütigen Mütter sind. Sie haften an Fein<strong>de</strong>n<br />
und Freun<strong>de</strong>n und erfahren aufgrund <strong>de</strong>r Kraft negativen Karmas maßloses Leid in Samsara. Was<br />
für eine Freu<strong>de</strong>, wenn ich das Leid all meiner Mütter tragen kann und wenn sämtliche Lebewesen<br />
all mein Glück und alles Heilsame besitzen!<br />
Um alle Mütter zum Glück zu führen, mache ich <strong>de</strong>n Wunsch, dass, bis Samsara geleert ist, ihr<br />
Leid mitsamt <strong>de</strong>ssen Ursachen und Folgen sowie ihre schädlichen Handlungen mitsamt <strong>de</strong>ren<br />
Ursachen und Folgen in mir heranreifen. Welch Freu<strong>de</strong>, wenn all meine Mütter schnellstens<br />
außeror<strong>de</strong>ntlich glücklich wer<strong>de</strong>n! In<strong>de</strong>m ich meinen Körper, Besitz und Reichtum, meine Kraft<br />
und alle Macht zusammen mit <strong>de</strong>n Wurzeln <strong>de</strong>s Heilsamen aller drei Zeiten <strong>de</strong>m Wohl meiner<br />
Mütter widme, <strong>de</strong>nke ich nicht einmal für einen einzigen Moment an Frie<strong>de</strong>n und Glück für mich<br />
selbst. Möge ich ohne Rücksicht auf meinen Körper und meine Lebenskraft das Wohl <strong>de</strong>r Wesen<br />
verwirklichen. Mögen alle Mütter glücklich sein und die vielfältigen Ursachen <strong>de</strong>s Glücks<br />
besitzen! – Mit diesen Gedanken übe dich in Freu<strong>de</strong>.<br />
Ohne Ängstlichkeit nehme ich dabei alles Leid sämtlicher Lebewesen auf mich, insbeson<strong>de</strong>re von<br />
jenen, die allen an<strong>de</strong>ren Scha<strong>de</strong>n zufügen, sowie die Krankheiten, leidvollen Umstän<strong>de</strong>, Fein<strong>de</strong><br />
und Hin<strong>de</strong>rnisse, die mir begegnen, wenn ich mich für ihr Wohl einsetze. Was für eine Freu<strong>de</strong>,<br />
wenn alles Schwierige in mir heranreift und ich all dies Leid erfahre! Wenn lei<strong>de</strong>n<strong>de</strong> Wesen, von<br />
ihrem Leid befreit, in beson<strong>de</strong>rer Freu<strong>de</strong> weilen, bin ich umso glücklicher! – Mit solchen<br />
Gedanken bringe diese keineswegs gewöhnliche Einstellung hervor!<br />
Dabei ist es wichtig, dass solche Freu<strong>de</strong> in keinerlei Bevorzugung [von irgendjeman<strong>de</strong>m o<strong>de</strong>r<br />
irgen<strong>de</strong>twas] abgleitet. Wenn du all das zu<strong>de</strong>m ohne Haften an Wirklichkeit als traumgleich und<br />
illusorisch erkennst, wird dies unermessliche Freu<strong>de</strong> genannt.<br />
<strong>Unermessliche</strong>r Gleichmut<br />
Wenn du Liebe, Mitgefühl und Freu<strong>de</strong> in dieser Weise praktizierst, führt dies zu großer Liebe, die<br />
allen Wesen wohlwollend zugetan ist und dich ein starkes Anhaften an Lebewesen fühlen lässt. Ist<br />
diese Haltung völlig frei von Vorlieben, so ist es Bodhicitta, die Mahayana Geisteshaltung. Nun<br />
ist dieser liebevolle, anhaften<strong>de</strong> Geist selbst leer von einer Eigennatur – und die wahre Natur <strong>de</strong>r<br />
Leerheit ist Abwesenheit von Haften. Sind Nichthaften und Nichthaften<strong>de</strong>r untrennbar gewor<strong>de</strong>n,<br />
bleibt so <strong>de</strong>r Geist unerschütterlich bei allem, was in ihm erscheint. Verweile direkt auf diesem<br />
leeren Urgrund. Dadurch kommt das Wohlwollen zur Ruhe, das zu fürsorglichen Gedanken <strong>de</strong>s<br />
Haftens an Lebewesen führt, und die dualistischen Regungen wer<strong>de</strong>n eins mit <strong>de</strong>r Natur <strong>de</strong>r Dinge<br />
(dharmata). – Dies ist Gleichmut; und <strong>de</strong>r Gedanke: „Ich nehme die große Last auf mich, auch<br />
ganz alleine, alle fühlen<strong>de</strong>n Wesen vom Leid Samsaras zu befreien“, wird die höhere Motivation<br />
[eines Bodhisattvas] genannt.<br />
Sowohl die Einstellung, großen Nutzen für alle Wesen zu bewirken, als auch Anhaften und Hass<br />
in Bezug auf Lebewesen, fin<strong>de</strong>n sich bei<strong>de</strong> bei gewöhnlichen Leuten, wobei allen dreien eine<br />
individuelle Eigennatur zugeschrieben wird: <strong>de</strong>n Wesen, auf die sich Anhaften o<strong>de</strong>r Ablehnung<br />
richten, <strong>de</strong>m anhaften<strong>de</strong>n o<strong>de</strong>r ablehnen<strong>de</strong>n Subjekt, sowie <strong>de</strong>m Anhaften und Ablehnen selbst.<br />
Du solltest gut untersuchen, ob <strong>de</strong>r Körper, <strong>de</strong>r Geist und das Leid <strong>de</strong>r Lebewesen, an <strong>de</strong>nen du<br />
haftest, wirklich aus sich heraus existieren o<strong>de</strong>r nicht. Du wirst herausfin<strong>de</strong>n, dass sie in<br />
Wirklichkeit nicht existieren. Dann gibt es kein Objekt <strong>de</strong>s Anhaftens mehr; und ohne Verlangen<br />
zeigt sich das große Freisein von begrifflichem Denken.<br />
Führe in Bezug auf Lebewesen, die du ablehnst, die gleiche Analyse von Körper, Geist und Leid<br />
durch und untersuche dann auch Körper, Geist und Leid <strong>de</strong>iner eigenen Person. Auf diese Weise<br />
wird sich das große Freisein von begrifflichem Denken zeigen. Wenn so bei<strong>de</strong>, Begier<strong>de</strong> und
Ablehnung, in ihrer eigenen Grundnatur befreit wer<strong>de</strong>n und sich die Natur <strong>de</strong>r Dinge auftut – <strong>de</strong>r<br />
Eine Geschmack in <strong>de</strong>r Dimension großer Leerheit – dann wird dies Großer Gleichmut frei von<br />
Anhaften und Ablehnen genannt. Die Be<strong>de</strong>utung von all <strong>de</strong>m tief zu verstehen und in solcher<br />
Erkenntnis zu verweilen ist unermesslicher Gleichmut.<br />
Du solltest verstehen, wie wichtig es ist, <strong>de</strong>n in Begriffen <strong>de</strong>nken<strong>de</strong>n Geist gut in diesen vier<br />
<strong>Unermessliche</strong>n zu trainieren (blo sbyang); entwickle dann ein inniges Streben im Geist (blos<br />
smos-pa) und tritt vollständig in diese Geisteshaltung ein (blo ′jug), bis du schließlich wirklich<br />
geübt darin bist (blo ′byong).