Dorothea Georgieff: Prof. Ernst Hammerschmidt und die ...
Dorothea Georgieff: Prof. Ernst Hammerschmidt und die ...
Dorothea Georgieff: Prof. Ernst Hammerschmidt und die ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
24<br />
ARTIKEL<br />
DOROTHEA GEORGIEFF: PROF. ERNST HAMMER-<br />
SCHMIDT UND DIE HANDSCHRIFTEN DES TANA-<br />
SEE. EINE PERSÖNLICHE NACHERZÄHLUNG SEI-<br />
NES REISEBERICHTES 1963-1969.<br />
Seit ich mir vorgenommen habe, eine persönliche<br />
Kurzfassung des Reiseberichtes von <strong>Prof</strong>.<br />
<strong>Ernst</strong> <strong>Hammerschmidt</strong> 1 zu schreiben, habe ich<br />
mich oft gefragt, warum jetzt, warum jetzt noch?<br />
Ich möchte hiermit vor allem deutlich machen<br />
wie schwierig es damals im Unterschied zu heute<br />
war, Handschriften der alten Kirchengeschichte<br />
aufzunehmen <strong>und</strong> auszuwerten. Aber auch persönliche<br />
Erfahrungen haben mich dazu bewogen,<br />
<strong>Hammerschmidt</strong>s Reisebericht aus meiner Sichtweise<br />
nachzuerzählen.<br />
Mein Mann, Dr. Georgi <strong>Georgieff</strong>, war in verschiedenen<br />
Provinzen des Landes als Arzt des<br />
Äthiopischen Ges<strong>und</strong>heitsamtes, Addis Abeba,<br />
tätig. Zuletzt bis Ende 1965 als Provincial Medical<br />
Officer in Dabra Marqos, Provinz Goggam.<br />
Er half den Menschen, aber er sorgte sich auch<br />
um den Erhalt der Schätze der drei tausend alten<br />
Kulturgeschichte des Landes, wo seit dem 4.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert eine der ältesten Kirche der Welt zu<br />
Hause ist. Auf seinen Dienstfahrten ins Landesinnere<br />
begegnete er vielen Vertretern der Äthiopisch-Orthodoxen<br />
Kirche, mit denen er interessante<br />
Gespräche führte. Oft waren es auch Hilferufe<br />
der Gouverneure, <strong>die</strong> ihn ins Landesinnere<br />
führten, wenn Epidemien ausgebrochen waren,<br />
wie z.B. in Aksum, wo eine Typhus-Seuche<br />
durch verunreinigte Brunnen ausgebrochen war.<br />
Es starben zahlreiche Menschen. Gegenmaßnahmen<br />
mussten getroffen werden <strong>und</strong> oft bedeutete<br />
das für ihn <strong>und</strong> seine Krankenpfleger des Anti-<br />
Epidemic-Service tagelangen Einsatz. So kamen<br />
oft intensive Kontakte mit Priestern zustande.<br />
Bei Gesprächen mit dem Leiter des Deutschen<br />
Kultur-Institutes in Addis Abeba, Herrn Dr. Rolf<br />
Rauschenbach <strong>und</strong> <strong>Prof</strong>. <strong>Ernst</strong> <strong>Hammerschmidt</strong>,<br />
1 <strong>Ernst</strong> <strong>Hammerschmidt</strong>, Äthiopische Handschriften<br />
vom Tanasee: Reisebericht <strong>und</strong> Beschreibungen der<br />
Handschriften in dem Kloster des heiligen Gabriel auf<br />
der Insel Kebran. Mit 12 Farbtafeln, 14 Schwarzweisstafeln<br />
<strong>und</strong> einer Karte des Tanasee . Wiesbaden,<br />
1973. (Verzeichnis der orientalischen Handschriften in<br />
Deutschland. Band XX 1).<br />
Universität Saarbrücken 2 , der für <strong>die</strong> Eröffnung<br />
des Goethe-Instituts im Jahre 1962 erstmals als<br />
Gast in Addis Abeba weilte, berichtete mein<br />
Mann, der sich im Lande durch seine Tätigkeit<br />
sehr gut auskannte, von seinen Erfahrungen. Es<br />
wurde deutlich, wie dringend notwendig eine<br />
Aufnahme der äthiopischen Altertümer, vor allem<br />
im Gebiet des Tanasee, „the heart of Amhara-land“,<br />
ist.<br />
Mein Mann ermunterte <strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong>,<br />
<strong>die</strong> notwendigen Maßnahmen für solch eine Dokumentation<br />
bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />
zu treffen. Zunächst dachte man an<br />
eine Generalaufnahme, <strong>die</strong> sowohl Handschriften,<br />
als auch archäologische, kunstgeschichtliche,<br />
ethnologische <strong>und</strong> geographische Gesichtspunkte<br />
berücksichtigte, was aber aus zeitlichen<br />
Gründen hinsichtlich der verschiedenen Fachvertreter<br />
nicht möglich war. Die Enkelin des Kaisers<br />
Haile Sellasie I, Emabet Hirut Maryam Desta, interessierte<br />
sich sehr für <strong>die</strong>sen Plan. Und so kam<br />
es, dass <strong>Prof</strong>essor <strong>Hammerschmidt</strong> am 5. November<br />
1962 dem Kaiser das Projekt vorstellen<br />
konnte, der sofort seine Zustimmung erteilte <strong>und</strong><br />
jede Unterstützung zusicherte.<br />
Vorbereitungen <strong>und</strong> Reise an den Tana-See<br />
Im Frühjahr 1963 ermöglichte das Deutsche Kultur-Institut<br />
während eines weiteren Aufenthaltes<br />
von <strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong> eine Reise an den Tanasee.<br />
Es waren gerade Schulferien <strong>und</strong> so konnte<br />
unser Sohn, Peter <strong>Georgieff</strong>, der durch seine<br />
Schulzeit in Äthiopien gut Amharisch sprach,<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong> <strong>und</strong> Dr. Rauschenbach als<br />
Dolmetscher (Amharisch / Deutsch) begleiten. Er<br />
öffnete durch seine Sprachkenntnisse sozusagen<br />
<strong>die</strong> Tür für weitere Kontakte. Sie besuchten mehrere<br />
Klöster auf dem Tanasee. Das Ergebnis bei<br />
<strong>die</strong>ser Bestandsaufnahme war sehr positiv, doch<br />
für den Anfang wurde das Forschungsprojekt<br />
nun auf einen Punkt begrenzt: Aufnahme der<br />
äthiopischen Handschriften in dem Kloster des<br />
Heiligen Gabriel auf der Insel Kebran.<br />
Der folgende Teil beruht in seinen Gr<strong>und</strong>zügen<br />
auf dem Reisebericht von <strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong>,<br />
wurde jedoch von mir stark verkürzt <strong>und</strong> kommentiert.<br />
Dabei habe ich u.a. auch <strong>die</strong> Schreib-<br />
2 <strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong> war Begründer der wissenschaftlichen<br />
Reihe „Äthiopistische Forschungen“.<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
Artikel<br />
25<br />
weise der äthiopischen Namen <strong>und</strong> Orte sehr vereinfacht.<br />
Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hielt es<br />
für notwendig, dass eine schriftliche Anweisung<br />
des Kaisers an <strong>die</strong> Kirchen <strong>und</strong> Klöster des Tanasee<br />
zur Absicherung erbeten werden solle. Nach<br />
einigen Komplikationen konnte im Juli 1965 der<br />
Presse- <strong>und</strong> Kulturreferent Dr. C.H. Neukirchen<br />
einen positiven Bescheid ankündigen, versehen<br />
mit der Bedingung, dass <strong>die</strong> Universität <strong>die</strong> „originalcopy“<br />
der Filme erhalten sollte. Im Frühjahr<br />
1966 fand <strong>die</strong> „Third International Conference of<br />
Ethiopian Stu<strong>die</strong>s“ in Addis Abeba statt, an der<br />
auch <strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong> teilnahm. Er war<br />
auch <strong>die</strong>smal Gast des Deutschen Kultur-Instituts.<br />
Zu <strong>die</strong>ser Zeit konnte er <strong>die</strong> Verhandlungen<br />
über das Forschungsprojekt mit vollem Erfolg<br />
abschließen.<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong> (im folgenden <strong>Prof</strong>. H.)<br />
pflegte von Anfang an engsten Kontakt zu den<br />
kirchlichen Stellen, vor allem zu Abuna Tewoflos,<br />
seinerzeit Erzbischof von Hararge <strong>und</strong><br />
ständiger Vertreter des erkrankten Patriarchen<br />
Baselyos (gest. 12.10.1970) <strong>und</strong> Liqa Siltanat<br />
Habte Maryam Warqenah (Propst der Dreifaltigkeits-Kathedrale).<br />
Er traf in seinem Haus u.a. mit<br />
dem gerade zum General Administrator of Ethiopian<br />
Church Affairs ernannten, dem bisherigen<br />
Nebura’ed von Aksum, Demetros Gabra Maryam,<br />
<strong>und</strong> dem Mamher des Klosters Tana Qirqos<br />
zusammen.<br />
Die Reise<br />
Die Schreiben vom Patriarchat an <strong>die</strong> Kirchen<br />
<strong>und</strong> Klöster enthielten folgende Adressaten: Kebran,<br />
Tana Qirqos, Dabra Maryam, Meshraha,<br />
Fure Maryam, Daga Estifanos, Narga Selassie,<br />
Rema. Am 24. September 1966 trat <strong>Prof</strong>. H. mit<br />
zwei Mitarbeitern (Herrn Stein, Photostelle der<br />
Universitätsbibliothek Saarbrücken, <strong>und</strong> Herrn<br />
cand. phil. Jürgen Jacobi, Institut für Orientalistik<br />
der Universität des Saarlandes, als wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter) endlich <strong>die</strong> Reise an.<br />
Vier Wochen waren nötig, um alle Vorbereitungen<br />
für den Aufenthalt auf dem Tanasee zu treffen.<br />
Vorsorglich hatte <strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong><br />
über <strong>die</strong> Fa. Mosvold Company in Norwegen ein<br />
Motorboot bestellt. Laut Mitteilung des Spediteurs<br />
sei es am 14.10. in Addis Abeba eingetroffen.<br />
Allerdings stellte sich dann heraus, dass es<br />
bei den Zollformalitäten Schwierigkeiten gab, da<br />
<strong>Prof</strong>. <strong>Hammerschmidt</strong> <strong>und</strong> zwei Mönche auf einem<br />
Boot am Tanasee. Hinter den Personen ein Schilfboot.<br />
Foto: Peter <strong>Georgieff</strong> 1963<br />
angeblich das Boot ohne Papiere vollgeladen<br />
worden sei. Dies war aber nur ein Vorwand,<br />
denn das Boot war unauffindbar. Vermutlich hatte<br />
man den Waggon mit dem darin befindlichen<br />
Boot in Dire Dawa abgehängt. Um keine Zeit zu<br />
verlieren nahm <strong>Prof</strong>. H. das Angebot eines<br />
Fre<strong>und</strong>es an, der sein Boot vom Langanosee, 223<br />
km südlich von Addis Abeba gelegen, holte. So<br />
luden sie am 21.10. das Boot samt Expeditionsausrüstung<br />
auf einen LKW, der am darauf folgenden<br />
Tag in Baher Dar ankam.<br />
Weitere Komplikationen bei den Vorbereitungen<br />
kamen hinzu. Es ging um <strong>die</strong> Frage eines äthiopischen<br />
Begleiters, der aufgr<strong>und</strong> seines Amtes in<br />
der Lage war, etwa aufkommendes Misstrauen in<br />
den Klöstern abzubauen. <strong>Prof</strong>. H. bat daher um<br />
einen Priester (Mönch). Abuna Tewoflos <strong>und</strong><br />
Liqa Siltanat Habte Maryam Warqenah nahmen<br />
sich <strong>die</strong>ser Frage an <strong>und</strong> ernannte Abba La’eka<br />
Maryam Mandafro zum Begleiter. Abba La’eka<br />
Maryam Mandafro war mehrere Jahre äthiopischer<br />
Seelsorger in New York gewesen <strong>und</strong> war<br />
erst vor kurzem nach Äthiopien zurückgekehrt.<br />
Er erwies sich als geschickter Unterhändler, besonders<br />
in kritischen Situationen. Leider musste<br />
er aus ges<strong>und</strong>heitlichen Gründen vorzeitig nach<br />
Addis Abeba zurück. Die Lebensbedingungen<br />
auf der Insel (vor allem <strong>die</strong> zahlreichen Flöhe)<br />
setzten ihm zu sehr zu.<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
26 Artikel<br />
Zu den Vorbereitungen gehörte es nun auch nach<br />
passenden Zelten zu suchen, <strong>die</strong> sie schließlich in<br />
einem Sportgeschäft fanden. Zusammen mit Medikamenten,<br />
reichlich Konserven <strong>und</strong> anderen<br />
Campingartikeln wurde das gesamte Gepäck am<br />
20. Oktober 1966 auf den Weg geschickt. In einem<br />
Tag erreichten sie in einem von der Universität<br />
zur Verfügung gestellten Landrover mit<br />
Fahrer Baher Dar, eine 587 km lange Strecke. An<br />
der Brücke über den Blauen Nil trafen sie den<br />
nach Addis Abeba zurückkehrenden LKW der<br />
Fa. Mosvold. Motorboot <strong>und</strong> Ausrüstung seien<br />
wohlbehalten im Krankenhaus in Baher Dar untergebracht,<br />
berichtete man ihnen.<br />
Von Abuna Marqos in Dabra Marqos, der Hauptstadt<br />
von Goggam, unter dessen Jurisdiktion der<br />
Südteil des Tanasees stand, erhielten sie Briefe<br />
für <strong>die</strong> ihm unterstehenden Inselkirchen, nachdem<br />
er das Empfehlungsschreiben von Abuna<br />
Tewoflos gelesen hatte. Die Warnung des General-Gouverneurs,<br />
Dagazmac Daraga Markwannen,<br />
dem sie den Brief von Leg Kasa gegeben<br />
hatten, es seien zwischen Dabra Marqos <strong>und</strong><br />
Dangela Unruhen ausgebrochen, wurde von der<br />
Polizei widerrufen. Es handelte sich um Auseinandersetzungen<br />
über <strong>die</strong> Bodensteuer. Die Bauern<br />
wollten <strong>die</strong> Steuer zahlen, aber <strong>die</strong> Gr<strong>und</strong>besitzer<br />
erhoben Einspruch, da sie befürchteten, mit<br />
der Entgegennahmen der Steuer durch <strong>die</strong> Regierungsbeauftragten<br />
würden auch Eigentumsansprüche<br />
der Bauern auf das Land anerkannt. So<br />
erzählte man. Es sei nun wieder Ruhe eingekehrt,<br />
allerdings empfahl man ihnen, bei Anbruch der<br />
Dunkelheit in Baher Dar zu sein. Unterwegs kam<br />
es zu keinen Zwischenfällen, sie trafen nur ein<br />
stärkeres Militärkontingent, welches sie ohne anzuhalten<br />
passierten <strong>und</strong> kamen gegen 19.30 Uhr<br />
in Baher Dar am Südufer des Tanasees an.<br />
Boot auf dem Tanasee<br />
Foto: Peter <strong>Georgieff</strong> 1963<br />
Am 25.10. fuhren <strong>Prof</strong>. H., Abba La’eka Maryam<br />
<strong>und</strong> Herr Jacobi nach Gondar, um dort notwendige<br />
Besuche zu machen. Da sich der Erzbischof<br />
von Begemder, Abuna Petros, in Addis<br />
Abeba im Krankenhaus befand, gingen sie zu<br />
seinem Vertreter, Mamher Belay Marsa, einem<br />
hilfsbereiten Kirchenmann. Als ständiger Vertreter<br />
des häufig abwesenden Erzbischofs war<br />
Mamher Belay Marsa in der ganzen Provinz bekannt<br />
<strong>und</strong> geachtet. Von ihm bekamen sie Listen<br />
mit folgenden Angaben:<br />
Insel/Ort:<br />
Zahl der Handschriften:<br />
Rema 22<br />
Sera Seyon ?<br />
Afqaranna Egzi 9<br />
Mesele Fasiladas 13<br />
Qwarata Wallata Petros 14<br />
Bet Manzo 12<br />
Krestos Samra 20<br />
Tana Qirqos 64<br />
Me’erafa Maryam 14<br />
Am späten Nachmittag suchten sie den General-<br />
Gouverneur der Provinz Bagemder, Kolonel<br />
Tamrat Yeggazuz auf, um ihm den an ihn gerichteten<br />
Brief von Leg Kasa zu übergeben. Er ließ<br />
am nächsten Tag dann seinerseits Schreiben an<br />
<strong>die</strong> Gouverneure der Subprovinzen (Awwragga)<br />
Gondar <strong>und</strong> Dabra Tabor ausstellen. Nach einem<br />
Besuch in den Schlossanlagen (Gemp) von Gondar,<br />
des bekannten „Bades des Fasil“ sowie der<br />
Kirchen Dabra Berhan <strong>und</strong> Dabra Qusqam fuhren<br />
sie am 26.10. wieder nach Baher Dar zurück.<br />
In Baher Dar waren <strong>die</strong> Vorbereitungen inzwischen<br />
soweit, dass sie am 27.10. eine erste Ausfahrt<br />
zu der etwa 6,5 km von Baher Dar entfernten<br />
Waldinsel Kebran machen konnten. Da es<br />
keine Kartenwerke über den See gab <strong>und</strong> sie keine<br />
genauen Kenntnisse der Geländebeschaffung<br />
hatten, mussten sie sich – mit der Beschreibung<br />
von Dr. Schäuffele, Leiter des Deutschen Krankenhauses<br />
in Baher Dar, ausgerüstet – auf <strong>die</strong><br />
Suche nach einem geeigneten Landeplatz machen.<br />
Die Insel mit dichtem Baumbestand wurde<br />
nur als „St. Gabriel Island“ bezeichnet. Eine Umkreisung<br />
der Insel, <strong>die</strong> vulkanischen Ursprungs<br />
ist, zeigte ihnen eine ideale Stelle, <strong>die</strong> dann später<br />
auch ihr Zeltplatz werden solle. Durch üppige<br />
Vegetation stiegen sie zum Gipfel hinauf, wo<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
Artikel<br />
27<br />
sich <strong>die</strong> Kirche Qeddus Gabre‘el befindet, umgeben<br />
von Bäumen <strong>und</strong> Sträuchern, wo sich auch<br />
<strong>die</strong> bescheidenen Bauten der Mönche befinden.<br />
Die Überlieferung berichtet, dass <strong>die</strong> erste Kirche<br />
Qeddus Gabre‘el vom Gründer des Klosters<br />
Abuna Za-Yohannes, in der Regierungszeit des<br />
Amda Seyon I. (1314-44) erbaut worden war. Sie<br />
wurde verschiedene Male restauriert <strong>und</strong> erneuert.<br />
In der Regierungszeit des Iyo’as I. (1756-69)<br />
ist <strong>die</strong> Kirche durch einen Blitzschlag in Brand<br />
gesetzt <strong>und</strong> danach wieder hergestellt worden.<br />
Heute präsentiert sich <strong>die</strong> Kirche als ein stattlicher<br />
<strong>und</strong> eindrucksvoller Bau vom dreigeteilten<br />
Typ der R<strong>und</strong>kirche. Der äußere Wandelgang<br />
wird von 28 viereckigen Steinsäulen getragen,<br />
der mittlere Umgang von 12 ebensolchen (als<br />
Sinnbild der 12 Apostel); der innerste Bau mit<br />
dem Altar (Qeddesta qeddusan oder Maqdas) ist<br />
wie üblich viereckig.<br />
Eine Peilung mit dem Kompass ergab, dass das<br />
Grab des Gründers, Abuna Za-Yohannes, im<br />
Ostteil des Qeddest in den Fußboden eingelassen<br />
ist. Der Sarg des Kaisers Takla Haymanot I.<br />
(1706-08) befindet sich im Allerheiligsten, im<br />
Qeddesta qeddusan. Im Hof der Kirche steht ein<br />
Glockengeläute, das an hölzernen Querstangen<br />
aufgehängt ist <strong>und</strong> aus drei verschiedenen Glokkenarten<br />
besteht. An <strong>die</strong> größte (<strong>die</strong> mittlere) ist<br />
vorne <strong>und</strong> rückwärts mit Pflanzenfaserstricken je<br />
eine etwas kleinere festgeb<strong>und</strong>en. Die mittlere<br />
Tafel hat einen kreuzförmigen Griff, durch den<br />
das Ganze in Bewegung gesetzt werden kann.<br />
Steinglocke Kebran Kloster<br />
Foto: Peter <strong>Georgieff</strong> 1963<br />
Die Baulichkeiten des Klosters befanden sich<br />
insgesamt in recht bescheidenen Zustand. Sie bestanden<br />
aus Behausungen der drei Mönche <strong>und</strong><br />
aus dem von Stein erbauten Eqa-bet (Schatzhaus),<br />
wo <strong>die</strong> Handschriften aufbewahrt wurden.<br />
Verschiedene Reste von Maueranlagen ließen erkennen,<br />
dass <strong>die</strong> Insel einmal eine stattliche Klosteranlage<br />
besessen haben muss. Das galt nicht<br />
nur für das Gebiet oben am Gipfel, sondern auch<br />
für das Ufer im Südwesten, wo Herr Jacobi bei<br />
Wanderungen durch Gebüsch <strong>und</strong> Gestrüpp Reste<br />
von hafenartigen Anlagen fand.<br />
Der gegenwärtige Klostervorsteher, Mamher Gabra<br />
Iyasus wurde auf der Insel Dag im Tanasee<br />
geboren. Wie alt er ist, wusste er nicht. Er war<br />
vorher Mamher von Daga Estifanos, ging aber<br />
von dort wegen Schwierigkeiten mit den Mönchen<br />
vor 12 Jahren (im Jahr 1956) nach Kebran.<br />
Es handelte sich um Fragen des Landeigentums,<br />
da er der Ansicht war, dass <strong>die</strong> Daga-Mönche<br />
das Land zu Unrecht beanspruchten. Da der damalige<br />
Erzbischof von Hararge, Abuna Tewoflos,<br />
zugunsten der Mönche von Daga entschied,<br />
nahm Mamher Gabra Iyasus seinen Abschied.<br />
Da Pergament teuer <strong>und</strong> kostbar ist, hat<br />
man unbeschriebene Blätter von Handschriften<br />
bekanntlich für Notizen über Landeigentum, Stiftungen<br />
<strong>und</strong> dergleichen benutzt. Dies hat den<br />
Vorteil, dass solche Urk<strong>und</strong>ennotizen nicht leicht<br />
verloren gehen konnten. In einigen Handschriften<br />
auf Daga sind solche Notizen herausgeschnitten<br />
<strong>und</strong> man gab dafür Mamher Gabra Iyasus <strong>die</strong><br />
Schuld.<br />
Mamher Gabra Iyasus wurde von <strong>Prof</strong>. H. als<br />
fre<strong>und</strong>licher, älterer Herr beschrieben. Er hatte<br />
etwas Verschmitztes an sich <strong>und</strong> war ab <strong>und</strong> zu<br />
höher prozentigen, geistigen Getränken zugetan.<br />
So entstand schnell eine Fre<strong>und</strong>schaft zwischen<br />
ihm <strong>und</strong> <strong>Prof</strong>. H., der in seinen Vorräten auch<br />
entsprechende alkoholische Getränke mit sich<br />
führte. Er machte öfter Besuch am Festland <strong>und</strong><br />
benutzte dafür auch gern <strong>die</strong> Transportgelegenheit<br />
mit dem Motorboot. Die Mönche unterhielten<br />
durch Wanderungen vielfältige Beziehungen<br />
zum Volk <strong>und</strong> erfüllten damit eine wichtige seelsorgerische<br />
Aufgabe.<br />
Ziemlich verschieden von Mamher Gabre Iyasus<br />
– <strong>und</strong> doch sein leiblicher Bruder – war der<br />
zweite Mönch, Abba Hayla Maryam, ein würdiger,<br />
mitunter etwas rauer, aber im Kern fre<strong>und</strong>licher<br />
Asket, der meist allein, aber dafür umso gewissenhafter<br />
das St<strong>und</strong>engebet in der Kirche besorgte.<br />
Auch er war früher Mamher von Daga<br />
Estifanos gewesen <strong>und</strong> zwar in der Zeit der faschistischen<br />
Okkupation. Als <strong>die</strong> Italiener auf<br />
Daga Fuß fassen <strong>und</strong> dort verschiedene Arbeiten<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
28 Artikel<br />
ausführen wollten, widersetzte er sich <strong>die</strong>sen Plänen,<br />
wurde verhaftet, später nach Baher Dar gebracht<br />
<strong>und</strong> dort freigelassen. Als er von Baher<br />
Dar in einem Tankwa (Papyrusboot) wegrudern<br />
wollte, wurde er in den Rücken geschossen; <strong>die</strong><br />
Kugel trat an der Brust wieder heraus. Aber <strong>die</strong><br />
Zeit hatte alle Bitterkeit in der Erinnerung verblassen<br />
lassen, wie <strong>die</strong> faschistische Episode für<br />
<strong>die</strong> Äthiopier überhaupt weithin schon Geschichte<br />
ist. Trotz asketischer Gr<strong>und</strong>haltung hatte Abba<br />
Hayla Maryam nichts von einem Zeloten an sich<br />
<strong>und</strong> ließ sich abends, nach getaner Arbeit zu<br />
Bunna (Kaffee) gerne ein Gläschen Araqi anbieten.<br />
<strong>Prof</strong>. H. verstand sich mit ihm sehr gut <strong>und</strong><br />
rechnete es sich zur Ehre an, dass Abba Hayla<br />
Maryam ihn zu überreden versuchte, für immer<br />
auf Kebran zu bleiben.<br />
Der dritte Mönch hieß Gabra Maryam. Er war<br />
durch Lepra gezeichnet (<strong>die</strong> Lepra hatte einen<br />
Teil der Nase zerstört) <strong>und</strong> <strong>die</strong>nt daher nicht bei<br />
der Liturgie. Die beiden Diakone der Kirche,<br />
noch im Knabenalter, waren zu einem Kirchenfest<br />
nach Daga gefahren. <strong>Prof</strong>. H. konnte später<br />
dem Mamher <strong>die</strong> Freude bereiten, <strong>die</strong> beiden von<br />
Daga zurück nach Kebran zu bringen. Es war<br />
eine der nicht seltenen unangenehmen Fahrten<br />
bei bewegter See mit immer wieder über das<br />
Boot hinweg schwappenden Wellen. Als sie sie<br />
am Landeplatz von Kebran dem Gabra Maryam<br />
übergaben, stürzten sie sich schluchzend in seine<br />
Arme, <strong>und</strong> er nahm sie wie ein Vater zu sich.<br />
Die Aufnahme der Handschriften<br />
Am 30.10. schafften sie <strong>die</strong> Fotoausrüstung zur<br />
Gabre‘el-Kirche hinauf. Und nun kam der Augenblick,<br />
in dem <strong>die</strong> erste Handschrift, das berühmte<br />
Evangeliar von Kebran herausgebracht<br />
wurde. Seite für Seite wurde aufgenommen, bis<br />
zur Mittagszeit 68 Blätter. Bis zum Abend war<br />
das ganze Evangeliar durch. Insgesamt wurden<br />
58 Handschriften gefilmt. Als letzte Handschrift<br />
brachte Mamher Gabra Iyasus noch eine mit den<br />
Büchern der Könige.<br />
Am 11.11. konnten sie ihre Arbeit abschließen<br />
<strong>und</strong> schlugen ihre Zelte auf der Insel Kebran ab.<br />
Das Motorschiff der Navigatana brachte ihre gesamte<br />
Ausrüstung unter dem Kommando des<br />
verlässlichen Ato Aklilu nach Baher Dar. Nach<br />
einem herzlichen Abschied vom Klostervorstand,<br />
den drei Mönchen <strong>und</strong> den Diakonen fuhren sie<br />
mit ihrem Motorboot ebenfalls nach Baher Dar.<br />
Von sonstigen Ereignissen auf Kebran ist zu berichten,<br />
dass zweimal ein Begräbnis stattfand.<br />
Männer brachten einen Toten, der eingehüllt auf<br />
einer Bahre lag, vom Festland <strong>und</strong> bestatteten ihn<br />
etwas unterhalb der Kirche. Der Volksglaube<br />
meint, dass <strong>die</strong> Verstorbenen bei einer derartigen<br />
Begräbnisstätte leichter Zugang zum Para<strong>die</strong>s<br />
haben werden.<br />
Dank der Forschungserlaubnis <strong>und</strong> den Briefen<br />
konnten sie ihre Arbeit auf <strong>die</strong> anderen Inseln<br />
ausdehnen. Am 12.11. setzen sie ihre Arbeit auf<br />
der Insel Dabra Maryam fort. Gleich wurde es<br />
ihnen klar, dass sie in einer anderen Atmosphäre<br />
als auf Insel Kebran arbeiten würden. Nach der<br />
lokalen Überlieferung wurde Dabra Maryam in<br />
der Regierungszeit von Amda Seyon I. (1314-44)<br />
von Abuna Tadewos gegründet, wobei ihm damals<br />
der Kaiser 50 Kirchen von Tegre bis Sawa<br />
Eine der Handschriften<br />
aus den Tanasee Klöstern.<br />
Foto: Peter <strong>Georgieff</strong> 1963<br />
t<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
Artikel<br />
29<br />
unterstellt worden sein sollen. Da der Kaiser<br />
Ba’eda Maryam I. (1468-78) hier getauft worden<br />
war, habe er seinem Vater, Zar’a Yaqob (1434-<br />
68) gebeten, es zum Gadam (Kloster) zu erheben<br />
<strong>und</strong> Dabra Maryam zu nennen. Die Kirche ist,<br />
wie in Kebran, aus rötlichem Stein erbaut. Die<br />
kirchliche Gemeinschaft bestand aus 14 Personen,<br />
darunter 2 Nonnen. Nur 4 Personen gehörten<br />
dem monastischen Stand an, <strong>die</strong> übrigen Priester<br />
waren verheiratet. Sie konnten 31 Handschriften<br />
auf <strong>die</strong>ser Insel fotografieren.<br />
führen, aber der geforderte Mietpreis war zu<br />
hoch <strong>und</strong> so blieben sie bei ihrem Motorboot.<br />
Der Qesa gabaz begrüßte sie an der Landestelle<br />
<strong>und</strong> führte sie zu den Tukuls der Gemeinde. Mit<br />
dem Verlassen der Insel hatte <strong>die</strong> Gemeinde auch<br />
ihr Eqa-bet aufgegeben, so dass sich <strong>die</strong> Frage<br />
der Aufbewahrung der Handschriften ergab. Man<br />
hatte sie so gelöst, dass jede Familie einige<br />
Handschriften, für <strong>die</strong> sie dann verantwortlich<br />
war, mit zu sich nach Hause nahm. Da etliche<br />
Mitglieder der Gemeinde jetzt weiter entfernt<br />
Am 22.11. brachen sie nach Rema auf. Die Bevölkerung<br />
hatte jedoch <strong>die</strong> Insel verlassen <strong>und</strong><br />
sich auf dem Festland angesiedelt. Sie kam nur<br />
an Sonn- <strong>und</strong> Festtagen zur Liturgie in <strong>die</strong> Madhane<br />
Alam (Erlöser der Welt) Kirche. Sie versuchten<br />
mit dem Landrover zur Gemeinde zu gelangen,<br />
um entsprechende Verhandlungen zu<br />
Priester mit Handschrift<br />
Foto: Peter <strong>Georgieff</strong> 1963<br />
wohnten, mussten sie erst benachrichtigt werden,<br />
dass sie <strong>die</strong> Handschriften herbeibringen sollten.<br />
Es lief glatt <strong>und</strong> reibungslos, allerdings mussten<br />
aus einigen erst Scharen von Wanzen heraus gefegt<br />
werden, bevor sie bearbeitet werden konnten.<br />
Am 23.11. konnten sie an ihrer neuen Arbeitsstätte<br />
mit den Aufnahmen der ersten fünf<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
30 Artikel<br />
Handschriften beginnen. Afa Mamher, mit Gewehr<br />
<strong>und</strong> einer Handschrift „bewaffnet“, hatte<br />
sie schon am Ufer erwartet. Am Ende der Tagesarbeit<br />
wurden sie im Haus des Qesa gabaz mit<br />
Bunna, dicker fetter Milch <strong>und</strong> Tef bewirtet. Die<br />
Gemeinde von Rema ist eine Mischgemeinde<br />
von der Art wie Dabra Maryam, sie umfasst 15<br />
Personen, der Mamher ist Mönch <strong>und</strong> der Qesa<br />
gabaz ist verheiratet.<br />
Auf dem Weg zur Kirche auf der Insel hingen<br />
überall ausgedehnte Spinnennetze mit zahllosen<br />
Spinnen. Die Kirche ist nach äthiopischer Tradition<br />
von Abba Nob, einem Bruder des Kaisers<br />
Yeshaq (1413-30) gegründet <strong>und</strong> von Ras Gugsa<br />
wieder hergestellt worden. Vor allem ist Rema<br />
aber mit dem Namen der äthiopischen Heiligen<br />
Walatta Petros (1594-1644) verb<strong>und</strong>en, <strong>die</strong> gegenüber<br />
den Bestrebungen von Kaiser Susenyos<br />
(1607-32) <strong>die</strong> äthiopische Kirche Rom zu unterstellen,<br />
standhaft das alexandrinische Bekenntnis<br />
verteidigt hat. Walatta Petros gründete hier <strong>und</strong><br />
an anderen Orten einige Klöster. Sie starb in<br />
Rema <strong>und</strong> wurde dort bestattet, wo auch <strong>die</strong> Gebeine<br />
des Kaiser Sarsa Dengel (1563-97), Abuna<br />
Bartolomewos <strong>und</strong> Abba Nob beigesetzt sind. Im<br />
Qeddest ruhen in Holzsarkophagen der Vater von<br />
Walatta Petros, Dagazmac Baher Sagad, ihr Bruder<br />
Dagazmac Yohannes Baher Sagad, Mamher<br />
Awsabyos, Ras Gugsa <strong>und</strong> einige andere. Insgesamt<br />
sollen hier 20 Personen beigesetzt worden<br />
sein. Den Forschern gelang es, 22 Handschriften<br />
auf Rema zu fotografieren.<br />
Am 28.11. steuerten sie <strong>die</strong> Insel Tana Qirqos an.<br />
Der Name der Insel ist mit vielen Überlieferungen<br />
verb<strong>und</strong>en. So soll dort nach lokalen Berichten<br />
<strong>die</strong> israelische B<strong>und</strong>eslade 600 Jahre aufbewahrt<br />
worden sein. Erst nach Verlassen der B<strong>und</strong>eslade<br />
wurde hier ein Heiligtum gebaut. Der erste<br />
Vorsteher war Azarya, der Sohn des Jerusalemer<br />
Hohenpriesters Zadoq. Auf der Flucht vor<br />
Herodes soll sich <strong>die</strong> Heilige Familie drei Monate<br />
<strong>und</strong> 10 Tage auf Tana Qirqos aufgehalten haben.<br />
Abreha <strong>und</strong> Asbeha, denen <strong>die</strong> äthiopische<br />
Tradition <strong>die</strong> Einführung des Christentums zuschreibt,<br />
haben das Heiligtum in eine Kirche des<br />
heiligen Qirqos umgewandelt. Die Kirche wurde<br />
einige Male restauriert bzw. wieder hergestellt.<br />
Es heißt ferner, der hl. Frumentius sei auf der Insel<br />
begraben. Das Eiserne Kreuz des Frumentius,<br />
welches im Jahr 1963 noch zu sehen war, gab es<br />
jedoch nicht mehr. Auch der hl. Yared, der<br />
Schöpfer der Kirchenmusik, ist mit einigen Reliquien<br />
<strong>und</strong> einem Grab vertreten. Sogar der Speer<br />
des aksumitischen Königs Gabra Masqal (Mitte<br />
6. Jh.), mit dem <strong>die</strong>ser versehentlich den Fuß des<br />
Yared durchbohrte, als jener in Verzückung tanzte<br />
<strong>und</strong> davon nichts spürte, war zu bew<strong>und</strong>ern.<br />
Das Kloster erlebte Anfang des 14. Jh. eine Blütezeit;<br />
eine Zeit lang lebte hier auch der heilige<br />
Yafqeranna Egzi.<br />
Ein Mann, der ihnen den richtigen Landeplatz<br />
zeigte, erzählte, dass Shefta (Räuber) auf <strong>die</strong> Insel<br />
gekommen wären, <strong>die</strong> Mönche bedrängt <strong>und</strong><br />
ihnen ihre Sachen weggenommen hätten. Daraufhin<br />
waren etwa 10 Mönche weggegangen. Der<br />
Mann schlug vor, <strong>die</strong> Glocke oben am Felsen zu<br />
läuten, aber niemand kam. Sie stiegen allein den<br />
steilen Weg zur Kirche <strong>und</strong> läuteten <strong>die</strong> Glocke<br />
<strong>und</strong> warteten längere Zeit, aber ohne sichtbaren<br />
Erfolg. Das Eqa-bet war verschlossen. Diese Misere<br />
mit den Shefta muss in der Zeit geschehen<br />
sein, als in Baher Dar <strong>die</strong> Olympia-Sieger in einer<br />
der zweiten Hälfte des 20. Jh. angemessenen<br />
Weise gefeiert wurden. Auf dem See lief kein<br />
einziges Polizeiboot. Man ging davon aus, dass<br />
ein Gebiet mit selbst regierenden monastischen<br />
Gemeinschaften nicht bedroht oder problematisch<br />
ist. Unverrichteter Dinge fuhren sie zur<br />
nächsten Insel, Daga Estifanos.<br />
Der Empfang auf Daga Estifanos war sehr<br />
fre<strong>und</strong>lich. Qesa Gabaz, Abba Samu’el Qabana<br />
Warq (aus Asmara) ließ das Gepäck zur Kirche<br />
hinaufschaffen <strong>und</strong> am 29.11. konnten sie <strong>die</strong><br />
beiden ersten Handschriften aufnehmen. Dann<br />
aber gab es Schwierigkeiten. Ältere Mönche verhinderten<br />
<strong>die</strong> Weiterarbeit. Erst nach drei Tagen<br />
erhielten sie Erlaubnis, mit der Arbeit fortzufahren,<br />
nachdem sie der Kirche eine Spende von<br />
100 Äth. Dollar übergaben. Das Geld wurde im<br />
Eqa-bet eingeschlossen. Als Entschädigung für<br />
<strong>die</strong> Unannehmlichkeiten wollte ihnen Qesa Gabaz<br />
Abba Samu’el ein Diptychon mit Abba Entone<br />
(Antonios) <strong>und</strong> Abba Maqaryios (Merkurios),<br />
das aus dem Kloster Waldebba stammte, schenken.<br />
Sie wollten das Geschenk aber nicht annehmen<br />
<strong>und</strong> nach langem Hin <strong>und</strong> Her nahm er dafür<br />
ein entsprechendes Geldgeschenk an.<br />
Die Aufnahmen der Handschriften konnten nun<br />
weitergehen. Ein Eintrag im Register zeigte an,<br />
dass eine ganze Anzahl von Handschriften aus<br />
Daga Estifanos nach Europa gebracht wurden.<br />
Das anfängliche Widerstreben der älteren Mön-<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
Artikel<br />
31<br />
che auf Daga kam nicht von ungefähr, sondern<br />
war letzten Endes im ausgeprägten Selbstbewusstsein<br />
<strong>die</strong>ses wohlhabenden <strong>und</strong> historisch<br />
bedeutsamen Klosters begründet. Als Abba<br />
La‘eka Maryam darauf hinwies, dass <strong>die</strong> Arbeit<br />
im Auftrag des Kaisers geschehe, meinte einer<br />
der Mönche, „sie seien hier auf Daga <strong>und</strong> über<br />
ihnen sei Gott – <strong>und</strong> wo sei da der Platz des Kaisers?“.<br />
Als Gründer des Klosters auf Daga gilt Abba<br />
Hiruta Amlak. Die Kirche ist im basilikalen Stil<br />
gebaut <strong>und</strong> ähnelt der Kirche in Debra Berhan in<br />
Gondar <strong>und</strong> birgt bemerkenswerte Malereien. Sie<br />
wurde mehrere Male wieder hergestellt, auch<br />
durch Fasiladas (1632-67) <strong>und</strong> im vorletzten<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert, als sie um 1880 durch einen Blitzschlag<br />
in Brand gesteckt worden war. Das alte<br />
Eqa-bet, das <strong>Prof</strong>. H. im Jahr 1963 mit Dr. Rauschenbach<br />
<strong>und</strong> Peter <strong>Georgieff</strong> gesehen hatte,<br />
war verschw<strong>und</strong>en. An seiner Stelle stand ein<br />
größerer, viereckiger Steinbau, der von der „Jerusalem<br />
Memorial Association“ errichtet wurde<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> wertvollen Objekte sicher besser beherbergen<br />
kann. In einem Sarkophag befindet sich<br />
<strong>die</strong> Mumie des Kaisers Fasiladas. In anderen <strong>die</strong><br />
Schädel oder sonstige sterbliche Überreste von<br />
Yekuno Amlak (1270-85), Dawit I. (1380-1412)<br />
Zar’a Yaqob (1434-68) Za-Dengel (1603—04)<br />
<strong>und</strong>, nicht ganz sicher, von Bakaffa (1721-30).<br />
Im Sarkophag des Fasilidas liegen <strong>die</strong> Gebeine<br />
seines kleinen Sohnes „Isur“, der nur sechs St<strong>und</strong>en<br />
geherrscht haben <strong>und</strong> im Alter von sieben<br />
Jahren gestorben sein soll. Im Eqa-bet wird auch<br />
das Schwert von Zar’a Yaqob aufbewahrt. In einem<br />
oberen Stockwerk des neuen Gebäudes befindet<br />
sich das Zimmer des Qes Gabaz Abba Samuel.<br />
Die Arbeit ging dann ohne Schwierigkeiten <strong>und</strong><br />
zügig voran. Von den Mönchen wurden sie sehr<br />
fre<strong>und</strong>lich bewirtet, wobei sich gerade der anfängliche<br />
Widersacher, Abba Walda Mika’el zu<br />
einem der fürsorglichen Betreuer entwickelte. Es<br />
gab Bunna <strong>und</strong> ausgezeichneten Honig in Waben<br />
der von wilden Bienen auf Daga gesammelt wurde.<br />
Natürlich sorgte auch hier eine Reihe von<br />
Geschenken, wie z.B. ein Wecker für eine gute<br />
Atmosphäre. Zu ihrer Überraschung stellte sich<br />
heraus, dass gerade auf Daga ein Korpus sehr<br />
schöner alter Handschriften vorhanden war, der<br />
noch aus der Zeit vor den Verwüstungen des<br />
muslimischen Emirs Ahmad ibn Ibrahim al-Gazi,<br />
genannt Gran (der Linkshändige) im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />
stammt. Insgesamt 67 Handschriften<br />
wurden aufgenommen. Am 7.12. schlossen sie<br />
ihre Arbeit ab. Tische <strong>und</strong> Stühle schenkten sie<br />
dem Kloster, worauf ein richtiger Danksagungsritus<br />
abgehalten wurde. Abba Walda Mika’el<br />
zählte alle Geschenke auf <strong>und</strong> schloss mit einem<br />
Dankgebet mit dem Abuna za-ba-samayat (Vater<br />
unser im Himmel) <strong>und</strong> dem Segen.<br />
Zar'a Yaqob im Estifanos Kloster<br />
Foto: Dr. Georg <strong>Georgieff</strong> 1963<br />
Am 9.12. fuhren sie noch einmal nach Dabra<br />
Maryam um <strong>die</strong> restlichen Handschriften aufzunehmen.<br />
Der 10.12. wurde einem Besuch der Insel<br />
Narga mit dem Kloster der Qeddest Sellasie<br />
gewidmet. Dort trafen sie Mamher Hayle Iyasus<br />
an, einen der beiden Priester, <strong>die</strong> <strong>Prof</strong>. H. im Jahr<br />
1963 auf dem von ihnen gemieteten Motorschiff<br />
von Daga nach Narga mitgenommen hatte. Er<br />
konnte sich noch genau erinnern, dass sein Kollege<br />
ein Psalterium geschenkt bekam. Jetzt erhielt<br />
er als Ausgleich einen Geldbetrag, um sich<br />
ein Psalterium kaufen zu können. Herr Stein<br />
machte noch einige Aufnahmen von der Kirche<br />
<strong>und</strong> den Anlagen auf Narga bevor sie nach Baher<br />
Dar zurückfuhren.<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009
32 Artikel<br />
<strong>Prof</strong>. Lanfranco Ricci (Rom) hatte <strong>Prof</strong>. H. gebeten,<br />
in Qwarata nachzuforschen, ob dort ein Gadl<br />
(Vita) der Wallatta Petros vorhanden sei; wenn ja<br />
sollten sie es fotografieren. So machten sie sich<br />
am 11.12. auf <strong>die</strong> Suche nach dem Ort Qwarata<br />
auf dem südlichen Teil des Ostufers, wobei sie<br />
vom Assistant Manager des Hotels begleitet wurden.<br />
Die Kirche war leicht zu finden, auch ein<br />
Gadl war vorhanden, der von Mamher Walda<br />
Mika’el bereitwillig für <strong>die</strong> Aufnahme zur Verfügung<br />
gestellt wurde.<br />
<strong>Prof</strong>. H. hatte im Hotel in Baher Dar Mamher<br />
Balay von Gondar getroffen, der mit dem Generalgouverneur<br />
von Begemder, dem Gouverneur<br />
von Debra Tabor <strong>und</strong> anderen Regierungsbeamten<br />
<strong>und</strong> Notabeln zur Gr<strong>und</strong>steinlegung verschiedener<br />
Kirchen in der Umgebung hierher gekommen<br />
war. Bei <strong>die</strong>ser Gelegenheit berichtete er<br />
von einer kostbaren Handschrift des Haymanota<br />
abaw (Glaube der Väter) in Gondar, <strong>die</strong> zahlreiche<br />
Miniaturen (mit den Vätern des Konzils von<br />
Nikaia) enthalte, <strong>und</strong> äußerte den Wunsch sie<br />
möchten <strong>die</strong> Handschrift aufnehmen, damit für<br />
alle Fälle eine Kopie vorhanden sei. Am 11.12.<br />
verabredete Kolonel Yalitela mit Mamher Balay<br />
telefonisch, dass <strong>die</strong> Handschrift am übernächsten<br />
Tag zur Aufnahme bereitliegen solle. Am<br />
12.12. flogen sie nach Gondar. Die Handschrift<br />
konnten sie aber erst am 14.12. fotografieren, da<br />
es Schwierigkeiten gab. Zwischenzeitlich nutzten<br />
sie <strong>die</strong> Zeit <strong>und</strong> besuchten <strong>die</strong> Madhane-Alem-<br />
Kirche, wo sie eine große Handschrift des Gebra<br />
hemam (Akten der Passion) mit zahlreichen Miniaturen<br />
aufnehmen konnten. Die Priester waren<br />
sehr fre<strong>und</strong>lich. Als den Forschern noch weitere<br />
Handschriften angeboten wurden, brachte man<br />
ihnen auf Wunsch auch Qerellos (Kyrillos).<br />
Die Rückreise<br />
Nun galt es <strong>die</strong> Rückreise vorzubereiten. Herr<br />
Stein flog am 15.12. von Baher Dar nach Addis<br />
Abeba <strong>und</strong> von dort aus nach Frankfurt. Herr Jacobi<br />
folgte ihm am 18.12. Einen Teil der Ausrüstung<br />
übergab <strong>Prof</strong>. H. dem Ärzteteam im Krankenhaus<br />
in Baher Dar, den Rest brachte der Fahrer<br />
der Fa. Mosvold nach Addis Abeba, darunter<br />
auch das Motorboot. <strong>Prof</strong>. H. besuchte noch mit<br />
einer Dame des russischen Lehrerteams am Polytechnic<br />
Institute Lalibela <strong>und</strong> kam am 24.12.<br />
nach den obligaten Besichtigungen, dem Erwerb<br />
einiger Handschriften <strong>und</strong> einem aufschlussreichen<br />
Besuch bei einem Silberschmied nach Baher<br />
Dar zurück.<br />
Am 26.12. begann der letzte Abschnitt der ganzen<br />
Forschungsreise. Mit den Filmrollen als<br />
sorgfältig gehütetes Übergepäck flog <strong>Prof</strong>. H.<br />
nach Addis Abeba, wo er im Hause von Dr.<br />
Weithaler Aufnahme fand. Da sein Visum nach<br />
drei Monaten abgelaufen war, musste er es verlängern<br />
lassen. Dann verhandelte er mit Fa. Mosvold<br />
über den Verkauf des Motorbootes, der<br />
auch für beide Seiten zu einem annehmbaren<br />
Preis zustande kam. Analoges geschah mit dem<br />
Rest der Expeditionsausrüstung.<br />
Natürlich konnte er das Land nicht verlassen,<br />
ohne bei den eingangs genannten Personen Besuche<br />
gemacht zu haben, um über das erfolgreiche<br />
Ergebnis ihrer Arbeit zu berichten. Der äthiopische<br />
R<strong>und</strong>funk hatte sich für <strong>die</strong> Handschriftenaufnahme<br />
interessiert, auch „Ethiopian Herald“<br />
veranstaltete ein Interview. Am 17.1.1969 wurde<br />
der Metallkoffer mit den Filmen <strong>und</strong> der Fotoausrüstung<br />
zum Flugplatz gebracht <strong>und</strong> kam unversehrt<br />
in Frankfurt M. an. <strong>Prof</strong>. H. nahm am<br />
25.1. 1969 Abschied von Äthiopien, nachdem er<br />
noch am Timkat-Fest teilgenommen hatte.<br />
Zwei Jahre später, am 15.10.1971 fand dann im<br />
IES eine Feier statt, in der <strong>Prof</strong>. H. in Anwesenheit<br />
des Deutschen Botschafters, Dr. Rudolf<br />
Fechter, das komplette Filmmaterial dem Academic<br />
Vice-President, Dr. Mulugeta Waldago übergab.<br />
Das äthiopische Patriarchat <strong>und</strong> das Institute<br />
of Ethiopian Stu<strong>die</strong>s der Haile Selassie I. University<br />
(IES) erhielten je einen Filmsatz der 182<br />
Handschriften auf 1153 belichteten Filmmetern.<br />
Der Radiosender „Voice of the Gospel“ (Sender<br />
des Lutherischen Weltb<strong>und</strong>es für Ostafrika), das<br />
äthiopische Fernsehen <strong>und</strong> <strong>die</strong> äthiopische Presse<br />
würdigten ebenfalls <strong>die</strong> Arbeit <strong>die</strong>ses Forschungsprojektes.<br />
Damit das Filmmaterial nicht als „totes“ Material<br />
gelten sollte, wurden <strong>die</strong> aufgenommenen Handschriften<br />
der wissenschaftlichen Öffentlichkeit<br />
durch <strong>die</strong> detaillierte Beschreibung in den Handschriftenkatalogen<br />
VOHD erschlossen.<br />
Ich hoffe, dass ein Vergleich <strong>die</strong>ses Forschungsberichtes<br />
von <strong>Prof</strong>. E. <strong>Hammerschmidt</strong> mit den<br />
Möglichkeiten heutiger äthiopischer Forschung<br />
im Hinblick auf <strong>die</strong> Aufnahme von Handschriften<br />
deutlich macht, wie viel sich in den letzten 50<br />
Jahren in Äthiopien geändert hat <strong>und</strong> wie vielfältig<br />
<strong>die</strong> Möglichkeiten heute sind.<br />
Kirche <strong>und</strong> Schule in Äthiopien, Heft 62 / November 2009