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Auslassungsphobie (Paralipophobie) oder Die exzessive Angst, ein ...

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<strong>Auslassungsphobie</strong> (<strong>Paralipophobie</strong>)<br />

<strong>oder</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>exzessive</strong> <strong>Angst</strong>, <strong>ein</strong> Wort zu ü bersehen<br />

Norbert Fries, Berlin<br />

In :<br />

G öttin ger Be iträ ge zur Sprachw isse nscha ft 2002<br />

Fü r Marga Reis<br />

Abstract:<br />

This contribution discusses entries from the Duden dictionary<br />

Das groß e Wörterbuch der deutschen Sprache, 1999, whose<br />

primary element bearers are compound words ending<br />

with -phobie. I give a detailed discussion of the problems arising<br />

from the dictionary analysis, and suggest dictionary entries that<br />

are more user-friendly.<br />

„ In mehr als 200 000 Stichwö rtern mit über 300 000 Bedeutungserklärungen<br />

erschließ t die Dudenredaktion mit diesem Nachschlagewerk<br />

die sprachliche Welt unserer Gegenwart.“<br />

GWDS Band 1, Vorwort<br />

In diesem Beitrag geht es um Wörterbuch<strong>ein</strong>träge im neuerdings zehnbändigen<br />

<strong>ein</strong>sprachigen Wö rterbuch Das groß e Wörterbuch der deutschen Sprache des Duden-<br />

Verlags, hier als GWDS abgekürzt. Wie dem vorangestellten Zitat zu entnehmen ist,<br />

will uns das GWDS in s<strong>ein</strong>er nunmehr dritten Auflage in mehr als 200.000 Stichwö rtern<br />

und über 300.000 Bedeutungserklärungen die sprachliche Welt unserer Gegenwart<br />

erschließ en. Im Folgenden werde ich zeigen, dass gegenüber dieser Einschätzung Zweifel<br />

angebracht sind und dass die an Wörterbuchartikeln des GWDS zu kritisierenden<br />

Punkte im Prinzip vermeidbar sind.<br />

Als Beispielfall sollen jene Einträge dienen, die als Leitelementträger <strong>ein</strong> Kompositum<br />

mit dem Kopf phobie aufweisen, und die ich gemäß (1) als Dudenphobien bezeichne:


(1) Du|den|pho|bie, die; -, -n [↑Phobie]: Im GWDS als Leitelementträger <strong>ein</strong>es<br />

Wö rterbuchartikels angeführtes Kompositum mit dem Bestandteil ↑phobie:<br />

Aerophobie, Agoraphobie, Aichmophobie, Androphobie, Anglophobie,<br />

Anthropophobie, Arachnophobie, Basophobie, Bathophobie, Bibliophobie,<br />

Erythrophobie, Frankophobie, Gallophobie, Gephyrophobie, Germanophobie,<br />

Gynäkophobie, Hämatophobie, Heterophobie, Homophobie, Hydrophobie,<br />

Hypsiphobie, Kairophobie, Kanzerophobie, Karzinophobie,<br />

Klaustrophobie, Kleptophobie, Koprophobie, Lalophobie, Monophobie,<br />

Mysophobie, Nekrophobie, Nosophobie, Nyktophobie, Panphobie,<br />

<strong>Paralipophobie</strong>, Pathophobie, Phobophobie, Phonophobie, Photophobie, Pyrophobie,<br />

Sitophobie, Situationsphobie, Skotophobie, Tabophobie,<br />

Taphophobie, Thalassophobie, Thanatophobie, Topophobie, Toxophobie,<br />

Triskaidekaphobie, Urophobie, Venerophobie, Xenophobie, Zoophobie<br />

Im GWDS sind 36 Komposita mit dem Kopf angst und 5 Komposita mit dem Kopf<br />

furcht als Leitelementträger gelistet. Sie sind unter (2) und (3) angeführt.<br />

(2) Leitelementträger mit dem Kopf angst im GWDS:<br />

Berührungsangst, Bindungsangst, Budenangst, Das<strong>ein</strong>sangst, Druckangst,<br />

Erwartungsangst, Examensangst, Existenzangst, Flugangst, Gewissensangst,<br />

Heidenangst, Herzangst, Herzensangst, Höhenangst, Höllenangst,<br />

Identitätsangst, Kastrationsangst, Krebsangst, Lebensangst, Platzangst,<br />

Potenzangst, Präkordialangst, Prüfungsangst, Raumangst, Redeangst,<br />

Schulangst, Schwellenangst, Seelenangst, Situationsangst, Sprechangst,<br />

Sterbensangst, Strafangst, Todesangst, Trennungsangst, Versagensangst,<br />

Zukunftsangst<br />

(3) Leitelementträger mit dem Kopf furcht im GWDS:<br />

Entscheidungsfurcht, Gespensterfurcht, Gottesfurcht, Hasenfurcht, Todesfurcht<br />

Gegenüber dieser vergleichsweise geringen Menge ist die Zahl der Wö rterbuch<strong>ein</strong>träge,<br />

die <strong>ein</strong> Phobie-Kompositum als Leitelementträger aufweisen, 54 nämlich, erschlagend.<br />

- 2 -


Sie erweckt den Eindruck, dass der Bearbeiter der Einträge dieselbe Vorliebe für dieses<br />

Lemma besitzt wie schon der Verfasser des Phobie-Eintrags im DUDEN BAND 8, Sinnund<br />

sachverwandte Wörter, der diesem Lemma 1972 27 Zeilen und gleich zwei<br />

Wö rterbuchartikel widmete, wie unter (4) ersichtlich.<br />

(4) Wö rterbuchartikel Phobie im<br />

DUDEN BAND 8, Sinn- und sachverwandte Wö rter (1972):<br />

1 Phobie, Objektangst, Situationsangst, Zwangsbefürchtung, <strong>Angst</strong>neurose ·<br />

auf <strong>Angst</strong>anfälle allgem<strong>ein</strong> bezogen: Phobophobie, Erwartungsangst · auf<br />

das Sterben bezogen: Thanatophobie, Todesangst · auf frische Luft bezogen:<br />

Aerophobie, Luftscheu · auf spitze Gegenstände bezogen: Aichmophobie ·<br />

auf Verunr<strong>ein</strong>igungen bezogen: Mysophobie, Rhypophobie · auf<br />

Schwindelanfälle bezogen: Dinophobie · auf Wasser bezogen: Hydrophobie,<br />

Wasserangst, Wasserscheu · auf bestimmte Räume bezogen: Topophobie,<br />

Ortsangst · auf freie Plätze bezogen: Agoraphobie, Platzangst · auf geschlossene<br />

Räume bezogen: Klaustrophobie · auf groß e Höhen <strong>oder</strong> Tiefen bezogen:<br />

Hypsiphobie, Hypsophobie, Akrophobie, Höhenangst, Höhenschwindel,<br />

Brückenangst; Hypochondrie, Zwang<br />

2 Phobie, ↑<strong>Angst</strong><br />

Dass von den im DUDEN BAND 8 genannten sinnverwandten Wö rtern 8 nicht ins GWDS<br />

aufgenommen wurden (in (4) unterstrichen), sei hier nur als Kuriosum erwähnt. <strong>Die</strong>ses<br />

weist allerdings darauf hin, dass der Duden-Verlag s<strong>ein</strong>e eigenen Datenbestände nicht<br />

als empirisch auszuwertende Korpora ernst nimmt.<br />

So sollte man m<strong>ein</strong>en, dass die im GWDS angeführten Phobie-Komposita diesen Bereich<br />

weitgehend erschö pfen, was freilich an der Wirklichkeit der deutschen Wortbildung<br />

scheitert. <strong>Die</strong> Selektion der Dudenphobien richtet sich unangemessenerweise ausschließ<br />

lich nach beiden Vorgängerauflagen des GWDS. Sie ist zudem aus nicht<br />

ersichtlichen Gründen auf Komposita mit <strong>ein</strong>em weiteren Fremdwortbestandteil beschränkt.<br />

- 3 -


Da auß erdem die empirische Datenbasis für solche Komposita erstens aus älteren Quellen<br />

und zweitens aus medizinischen und psychologischen Fachtexten besteht, fehlt <strong>ein</strong>e<br />

ganze Reihe von Wö rtern, man vergleiche hierzu (5):<br />

(5) Beispiele für im GWDS nicht gelistete Wö rter aus<br />

(a) neueren Quellen und (b) nicht medizinisch-psychologischen Fachtexten<br />

[Quellen: Internet, Buchtitel, Namen von Ver<strong>ein</strong>en und Gesellschaften]:<br />

(a)<br />

(b)<br />

HIV-Test-Phobie, Internetphobie, Sozialphobie<br />

Arbeitsphobie, Blutphobie, (Kampf)Hundephobie, Kellerphobie, Spritzenphobie,<br />

Vaterphobie, Zahnarztphobie, Zahnbehandlungsphobie<br />

Erstens wurden Komposita wie z.B. HIV-Test-Phobie, Internetphobie, Sozialphobie und<br />

selbst von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in ihrer Klassifikation verwendete<br />

Wö rter wie Abortphobie, AIDS-Phobie, Arztphobie, Herzphobie, Ringelrö teln-Phobie,<br />

Schwangerschaftsphobie, Tierphobie, Zwangsphobie nicht aufgenommen. Zweitens<br />

fehlen auch auß erhalb von Fachsprachen häufig verwendete Komposita wie z.B.<br />

Arbeitsphobie, Blutphobie, (Kampf)Hundephobie, Kellerphobie, Spritzenphobie,<br />

Vaterphobie, Zahnarztphobie, Zahnbehandlungsphobie. Da die Katalogisierung der<br />

WHO maß geblich ist für die medizinische Diagnostik, für das Versicherungswesen und<br />

für die Sozialgesetzgebung in Deutschland, ist dieses Defizit für <strong>ein</strong> Wörterbuch, das<br />

sich als „ Spiegelbild unserer Zeit und ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse“<br />

(GWDS, Band 1, Vorwort) versteht, gravierend.<br />

Im GWDS aufgenommen wurden hingegen Lemmata wie Hämatophobie (= Blutphobie)<br />

<strong>oder</strong> Nykto- und Skotophobie (= Dunkelheitsphobien), die wiederum nicht von der<br />

WHO genannt werden und welche selbst in der engeren Fachliteratur der letzten zwei<br />

Jahrzehnte nur ausgesprochen selten verwendet werden.<br />

<strong>Die</strong> WHO benennt übrigens lediglich die im Folgenden unter (6) genannten 34 Phobien,<br />

von welchen insgesamt 16 nicht im GWDS berücksichtigt wurden. Recherchiert man im<br />

Internet, so kommt man schnell auf über Tausend Phobie-Komposita:<br />

- 4 -


(6) Von der WHO verwendete Termini<br />

[<strong>Die</strong> unterstrichenen Wörter sind nicht im GWDS gelistet;<br />

vgl. WHO ICD 10, Kapitel V(F) [International Statistical Classification of<br />

Diseases and Related Health Problems], aktuelle Versionen als<br />

durchsuchbarer Hypertext publiziert unter<br />

http://icd.web.med.uni-muenchen.de <strong>oder</strong><br />

http://www.informatik.fh-luebeck.de/icd]:<br />

Abortphobie, Agoraphobie, Aichmophobie, AIDS [Erworbenes<br />

Immundefektsyndrom]-Phobie, Akarophobie, Akrophobie, Anthropophobie,<br />

Arztphobie, Bathophobie, Dysmorphophobie, Erythrophobie, Gephyrophobie,<br />

Gravidophobie, Gynäkophobie, Herzphobie, Hydrophobie [Tollwut],<br />

Kanzerophobie, Kardiophobie, Karzinophobie, Klaustrophobie, Mysophobie,<br />

Nosophobie, Ochlophobie, Parasitophobie, Photophobie, Ringelrö teln-<br />

Phobie, Schwangerschaftsphobie, Sitophobie, soziale Phobie, Syphilophobie,<br />

Tierphobie, Xenophobie, Zoophobie, Zwangsphobie<br />

Der Erklärung im Vorwort des GWDS zur Wortauswahl zufolge (GWDS, Band 1, S.<br />

23), müsste es sich bei den nicht berücksichtigten Wörtern um Ad-hoc-Bildungen handeln:<br />

„ Nicht aufgenommen werden dabei Ad-hoc-Bildungen‚ also oft<br />

individualsprachliche und situativ bedingte Prägungen‚ wie sie in der Literatur auftreten<br />

<strong>oder</strong> in den Medien immer wieder zu lesen und zu hören sind“. Dem widerspricht die<br />

k<strong>ein</strong>eswegs geringe Auftretenshäufigkeit dieser Komposita unter anderem etwa in<br />

Buchtiteln <strong>oder</strong> in Namen für Gesellschaften und Institutionen, wovon man sich leicht<br />

mittels <strong>ein</strong>er Internetsuchmaschine überzeugen kann; Beispiele sind unter (7) genannt.<br />

(7) Phobie-Belege aus Buchtiteln, URLs usw.:<br />

“Hans Jäger, AIDS-Phobie, Stuttgart 1988.“<br />

“Deutsche Gesellschaft für Zahnbehandlungsphobie München“<br />

[vgl. http://www.zahnarztangst.de]<br />

„ Nach Aids-Phobie geht jetzt die <strong>Angst</strong> vor Computerviren um“.<br />

[COMPUTERWOCHE Nr. 14 vom 01.04.1988.]<br />

- 5 -


Zweifel sind somit gegenüber der <strong>ein</strong>leitenden Versicherung des GWDS angebracht,<br />

dass „ für die Aufnahme von Begriffen aus Fach- und Sondersprachen [...] ihre Häufigkeit“<br />

ausschlaggebend s<strong>ein</strong> soll, „ d.h. ihre Verwendung in der geschriebenen und<br />

gesprochenen Alltagssprache. Sondersprachliche Wö rter und Fachtermini, die auß erhalb<br />

ihres begrenzten Fachgebietes nicht auftreten, ersch<strong>ein</strong>en daher nicht im Wörterbuch.“<br />

(GWDS, Band 1, S. 23). Erstens tritt z.B., wie der Beleg unter (7) zeigt, das im GWDS<br />

nicht berücksichtigte Wort AIDS-Phobie sogar in Computerzeitschriften auf. Zweitens<br />

werden im GWDS aufgenommene Lemmata wie z.B. Basophobie, Hypsiphobie, <strong>Paralipophobie</strong><br />

ausschließ lich in eng begrenzter Fachliteratur verwendet. <strong>Die</strong> Redaktion des<br />

<strong>ein</strong>bändigen Universalwö rterbuchs hatte möglicherweise ebenfalls Bedenken, denn hier<br />

finden sich von den 54 Phobie-Komposita des GWDS gerade noch sechs Substantive<br />

wieder. Und um die Adjektive auf -phob nicht zu unterschlagen: Von den 22 Adjektiven<br />

im GWDS auf -phob treten im <strong>ein</strong>bändigen Wörterbuch nur noch 2 als Leitelementträger<br />

auf; die Lemmata sind unter (8) und (9) genannt.<br />

(8) Leitelementträger auf -phob im GWDS :<br />

androphob, anglophob, anthropophob, arachnophob, elektrophob, frankophob,<br />

gallophob, gamophob, germanophob, gynäkophob, heliophob, heterophob,<br />

homophob, hydrophob, kairophob, lipophob, lyophob, ombrophob,<br />

photophob, thalassophob, thanatophob, xenophob<br />

(9) Phobie-Komposita im <strong>ein</strong>bändigen<br />

Duden – Deutsches Universalwö rterbuch, Mannheim 2001 4 :<br />

Agoraphobie, Anglophobie, heterophob, Hydrophobie, Hypsiphobie,<br />

Klaustrophobie, Pyrophobie, xenophob<br />

Das Thema der Wortauswahl abschließ end sei noch auf die Seltsamkeit hingewiesen,<br />

dass in allen Wörterbüchern des Duden-Verlags bisweilen das Adjektiv auf -phob,<br />

manchmal das Substantiv auf -phobie als Leitelementträger verwendet werden, im<br />

GWDS in 16 Fällen beide. Systematische Gründe für diese Praxis sind nicht<br />

auszumachen. Bei Komposita mit dem Fremdwortanteil -phil- geht das GWDS sogar<br />

noch <strong>ein</strong>en Schritt weiter und führt häufig drei Komposita als eigenständige Lemmata<br />

an, z.B. ephebophil, (der) Ephebophile, Ephebophilie, frankophil, (der) Frankophile,<br />

- 6 -


Frankophilie. Erneut irritierend ist, dass dementsprechend Arten von Phoben (etwa:<br />

(der) Frankophobe) im GWDS überhaupt nicht auftreten. Fraglich ist in diesem<br />

Zusammenhang auch, weshalb sowohl Adjektive wie z.B. androphob <strong>oder</strong> kairophob<br />

als Leitelementträger im GWDS auftreten, ebenso wie die entsprechenden Substantive<br />

Androphobie und Kairophobie, während z.B. das Adjektiv klaustrophob neben<br />

Klaustrophobie unerwähnt bleibt, <strong>oder</strong> neben gamophob <strong>ein</strong> Substantiv Gamophobie<br />

nicht aufgenommen wurde. Den Bedeutungsparaphrasenangaben bei den jeweiligen<br />

Adjektiven ist in den meisten Fällen lediglich <strong>ein</strong> indirekter Verweis zu entnehmen, vgl.<br />

die Beispiele unter (10):<br />

(10) Wö rterbuchartikel zu Adjektiven auf -phob im GWDS:<br />

an|dro|phob die Androphobie betreffend.<br />

kai|ro|phob (Psych., Med. selten): Kairophobie empfindend.<br />

tha|las|so|phob (Med., Psych.): an Thalassophobie leidend.<br />

tha|na|to|phob (Med., Psych.): an Thanatophobie leidend.<br />

Aufgrund der Erfahrungen, welche die Redaktion des Groß wö rterbuchs seit nunmehr<br />

über <strong>ein</strong>em viertel Jahrhundert in drei Auflagen mit Phobie-Komposita hat, wäre zumindest<br />

zu erwarten, dass die vorhandenen Einträge korrekt und in ihrer Artikelstruktur<br />

kongruent sind. Auch dies ist <strong>ein</strong>e übersteigerte Erwartung. <strong>Die</strong> zu konstatierenden<br />

Nachlässigkeiten beziehen sich auf alle Angabenbereiche, welche die Wö rterbuchartikel<br />

des GWDS textuell strukturieren:<br />

Bei <strong>ein</strong>er Reihe von Lemmata fehlt die Pluralbildungsangabe, bei manchen überdies die<br />

Genitivbildungsangabe; Beispiele sind unter (11) genannt:<br />

(11) a. Pluralbildungsangaben fehlen in Wö rterbuchartikeln im GWDS zu:<br />

Anglo-, Anthropo-, Biblio-, Franko-, Germano-, Gynäko-, Hetero-, Hydro-,<br />

Kopro-, Lalo-, Mono-, Myso-, Nekro-, Nykto-, Paralipo-, Photo-, Topo-,<br />

Triskaideka-, Xenophobie<br />

b. Plural- und Genitivbildungsangaben fehlen in Wö rterbuchartikeln zu:<br />

Baso-, Batho-, Klaustro-, Situationsphobie<br />

- 7 -


Dass hier wiederum Unaufmerksamkeit und nicht systematische Ü berlegung am Werk<br />

war, zeigt sich in verschiedenen Details: Unter anderem beispielsweise darin, dass der<br />

Artikel zu Gallophobie <strong>ein</strong>e Genitivbildungsangabe aufweist und daran anschließ end<br />

auf Frankophobie verweist, bei Frankophobie hingegen k<strong>ein</strong>erlei morphologische<br />

Angaben gemacht werden. Bei Homophobie finden wir zwar den Hinweis , aber<br />

k<strong>ein</strong>e Genitivbildungsangabe.<br />

Bei <strong>ein</strong>igen Lemmata wird der Verweis [↑Phobie] gegeben, bei anderen nicht; Beispiele<br />

unter (12).<br />

(12) Lemmata ohne Verweis [↑Phobie] im GWDS:<br />

Franko-, Gallo-, Germano-, Hämato-, Homo-, Phobo-, Situations-,<br />

Zoophobie<br />

Mit der Erklärung des Erstbestandteils der <strong>ein</strong>zelnen Komposita wird im GWDS ebenso<br />

flüchtig umgegangen und zumeist fehlen sowohl <strong>ein</strong>e Ü bersetzung wie <strong>ein</strong> Verweis; die<br />

entsprechenden Lemmata sind unter (13) genannt:<br />

(13) Erstbestandteile werden nicht übersetzt in den Wö rterbuchartikeln im<br />

GWDS zu:<br />

Aero-, Andro-, Anglo- Anthropo-, Arachno-, Batho-, Biblio-, Erythro-,<br />

Franko-, Gallo-, Germano-, Gynäko-, Hämato-, Hetero-, Homo-, Kanzero-,<br />

Karzino-, Klaustro-, Klepto-, Kopro-, Lalo-, Mono-, Nekro-, Noso-, Nykto-,<br />

Patho-, Phobo-, Phono-, Photo-, Pyro-, Sito-, Situations-, Skoto-, Tabo-,<br />

Thalasso-, Thanato-, Topo-, Toxo-, Uro-, Venero-, Xenophobie<br />

Gleichfalls un<strong>ein</strong>heitlich wird in den Wörterbuchartikeln die Fachgebietsangabe<br />

gehandhabt. Der Verwendungsreichtum ist unter (14) veranschaulicht, die Gründe hierfür<br />

sucht man im GWDS erneut vergeblich.<br />

- 8 -


(14) Heterogenität der Fachgebietsangaben in Wö rterbuchartikeln im GWDS:<br />

(bildungsspr.):<br />

(Biol.):<br />

(Med. Psychol.):<br />

(Med.):<br />

(Med., Psych.):<br />

(Psych.):<br />

(Psych., Med. selten):<br />

ohne Angabe:<br />

Anglo-, Franko-, Germano-, Hetero-, Homophobie<br />

Hydrophobie<br />

Aichmo-, Hypsiphobie<br />

Aero-, Kanzero-, Karzino-, Lalo-, Myso-, Phobo-,<br />

Phono-, Photo-, Pyro-, Sito-, Tabo-, Topo-,<br />

Toxophobie<br />

Agora-, Baso-, Batho-, Gephyro-, Kopro-, Noso-,<br />

Nykto-, Pan-, Patho-, Tapho-, Thalasso-,<br />

Thanatophobie<br />

Anthropo-, Biblio-, Erythro-, Gynäko-, Hämato-,<br />

Klaustro-, Klepto-, Mono-, Nekro-, Paralipo-,<br />

Situations-, Skotophobie<br />

Kairophobie<br />

Andro-, Arachno-, Gallo-, Triskaidekaphobie<br />

Nach welchen Kriterien die Klassifizierungen nach bildungsspr., Med., Psych., Psych.<br />

Med., Biol. usw. erfolgten, ist undurchsichtig, wobei besonders irritiert, dass die<br />

Fachgebietsangabe für Phobie und für <strong>ein</strong>ige weitere nur (Med.) lautet, für -phob<br />

(Bildungen meist bildungsspr.).<br />

In verschiedenen Fachgebieten referiert das Wort Phobie auf Phänomene, welche von<br />

Experten als (a) <strong>exzessive</strong>, (b) abnorme, (c) zwanghafte (d) <strong>Angst</strong>zustände bzw.<br />

<strong>Angst</strong>reaktionen klassifiziert werden. Jedoch sind auch fachsprachlich nicht alle Phobie-Komposita<br />

Phobien in diesem Sinn. So handelt es sich bei Anglo-, Gallo-, Franko-,<br />

Germanophobie um starke Antipathien, bei Photophobie in der Medizin um<br />

Ü berempfindlichkeit, bei Hydrophobie <strong>oder</strong> Ombrophobie in der Biologie um<br />

Vermeidungsverhalten und nicht um krankhafte <strong>Angst</strong>zustände.<br />

Entgegen Behauptungen in der lexikographischen Literatur, beispielsweise in der<br />

Habilitationsschrift von Henning Bergenholtz (1980: S. 121), Phobie werde im fachlichen<br />

Zusammenhang in Ü ber<strong>ein</strong>stimmung mit der Gem<strong>ein</strong>sprache verwendet, referiert<br />

Phobie insbesondere alltagssprachlich und vor allem bei Ad-hoc-Komposita lediglich<br />

- 9 -


auf extreme Abneigungen. Z.B. referierte das Wort Mausklickphobie (Erstbeleg im Online-<strong>Die</strong>nst<br />

Heise Online am 11.06.1999, vgl. http://www.heise.de/newsticker/data/em-<br />

11.06.99-001) auf <strong>ein</strong>igen Internetseiten auf die Motivationsursprünge von<br />

Verbraucherschützern, Kunden vor elektronischen Vertragsabschlüssen über das Internet<br />

zu warnen. Dem kompetenten Sprecher sei unterstellt, gegebenenfalls zu erkennen,<br />

dass es sich um <strong>ein</strong>e Spontanbildung handelt. Als Wörterbuchbenutzer-in-actu sollte er<br />

erwarten dürfen, unter dem Leitelementträger Phobie bzw. für Adjektive unter -phob<br />

<strong>ein</strong>e weiterführende Erklärung zu finden. <strong>Die</strong> Wörterbuchartikel (15) und (16) aus dem<br />

GWDS leisten dies nicht:<br />

(15) Leitelementträger Phobie im GWDS :<br />

Pho|bie, die; -, -n [zu griech. phó bos Phó bos = Furcht] (Med.): extreme<br />

<strong>Angst</strong> vor bestimmten Objekten od. Situationen: -n hingegen können zu<br />

blinder Panik führen, wie bei jener Frau, die aus <strong>Angst</strong> vor <strong>ein</strong>er Spinne im<br />

Boot ins Meer sprang - als Nichtschwimmerin (Zeit 5.12. 97, 19).<br />

(16) Leitelementträger -phob im GWDS :<br />

-phob [zu griech. phob<strong>ein</strong> = fürchten] (Bildungen meist bildungsspr.):<br />

drückt aus, dass etw. abgelehnt wird, dass <strong>ein</strong>e Abneigung gegen etw. besteht:<br />

anglophob, hydrophob.<br />

Erstaunlich sind diese Wörterbuchartikel nicht zuletzt deshalb, weil spezifische Unterschiede<br />

zu den Vorgängerauflagen des GWDS zeigen, dass zwar nicht die Lemmata,<br />

aber immerhin <strong>ein</strong>ige Bedeutungsparaphrasenangaben in den Wö rterbuchartikeln zu den<br />

Phobie-Komposita überprüft und <strong>ein</strong>em neuen Kenntnisstand des Lexikographen angepasst<br />

wurden. Allerdings unterscheiden sich in den beiden letzten Auflagen des GWDS<br />

nur die Artikel zu den Einträgen Phobie, Arachnophobie, Lalophobie, Phonophobie und<br />

Topophobie. Zumeist sind die Wörterbuchartikel zu Phobie-Komposita im GWDS<br />

textidentisch mit denen im DUDEN BAND 5, Fremdwö rterbuch, von 1974. Unterschiede<br />

in der neusten Auflage des GWDS sind wenig aussagekräftig: Z.B. wurde für<br />

Arachnophobie die Bedeutungsparaphrase um Abscheu erweitert auf, bei Phobie wurde in modifiziert.<br />

- 10 -


Wie zahlreiche Belege aus m<strong>ein</strong>en Recherchen zeigen, unterliegen Phobie-Komposita<br />

übrigens nicht, wie die Wö rterbuchartikel (15) und (16) vermuten lassen, der Beschränkung,<br />

dass sie nur auf intentional handelnde Lebewesen bezogen werden können, vgl.<br />

die Beispiele unter (17):<br />

(17) a. lipophobe / lyophobe / hydrophobe / ombrophobe Stoffe / Pflanzen<br />

b. die Lyophobie / Hydrophobie / Ombrophobie dieses Stoffes / dieser<br />

Pflanzen<br />

Erstens sind aus den Wörterbuchartikeln (15) und (16) Verwendungsweisen wie die<br />

unter (17) gelisteten nicht ableitbar. Im Wörterbuchartikel (16) werden Abneigung und<br />

dass etwas abgelehnt wird als kennzeichnend für Adjektive auf -phob genannt, in (15)<br />

<strong>Angst</strong> für Phobien. Da Abneigung, Ablehnung und <strong>Angst</strong> jedoch Intentionalität<br />

voraussetzen, werden zweitens Verwendungsweisen wie in (17) sogar ausgeschlossen.<br />

Drittens und anstelle <strong>ein</strong>er angemesseneren Bedeutungsexplikation begegnen uns die<br />

Bedeutungsparaphrasenangaben zu den <strong>ein</strong>zelnen Dudenphobien und Adjektiven<br />

auf -phob in <strong>ein</strong>er verwirrenden und nicht-systematisierten Vielfalt, die in diesem<br />

Rahmen nur angedeutet werden kann. Z.B. handelt es sich bei Gephyrophobie um<br />

„ <strong>Angst</strong> vor dem Betreten <strong>ein</strong>er Brücke” , bei Thalassophobie um „ krankhafte <strong>Angst</strong> vor<br />

größeren Wasserflächen“ , Topophobie wird als „ von starker <strong>Angst</strong> geprägtes<br />

Bestreben, bestimmte Orte od. Plätze zu meiden“ paraphrasiert und Panphobie als<br />

„ krankhafte Furcht vor allen Vorgängen der Auß enwelt“ . Da im Wörterbuchartikel zu<br />

Furcht (vgl. unten unter (18)) diese als „ <strong>Angst</strong> angesichts <strong>ein</strong>er Bedrohung od. Gefahr“<br />

expliziert wird, fragt man sich zudem, wie es bei Androphobie überhaupt um „ Furcht<br />

vor Männern, Hass auf Männer“ gehen kann: Sind Männer etwa generell bedrohlich?<br />

Geradezu lächerlich wird dies im Kontrast zur Paraphrasierung des Lemmas Gynäkophobie:<br />

Denn hierbei soll es sich nun um „ neurotische Abneigung gegen alles Weibliche“<br />

handeln, während es bei Heterophobie schließ lich um „ [krankhafte] <strong>Angst</strong> vor<br />

dem anderen Geschlecht“ gehen soll. Entsprechend sollen sich Nyktophobie und Skotophobie<br />

darin unterscheiden, dass erstere als „ [krankhafte] Furcht vor Dunkelheit“ und<br />

letztere als „ krankhafte <strong>Angst</strong> vor der Dunkelheit“ paraphrasiert wird. Ä hnliche<br />

Unterschiede finden sich zwischen Arachnophobie („ [krankhafte] Furcht, Abscheu vor<br />

Spinnen“) und Zoophobie („ übersteigerte <strong>Angst</strong> vor Tieren (z.B. Spinnen)“).<br />

- 11 -


Wie schon diese wenigen Beispiele zeigen, nehmen die Angaben zu den <strong>ein</strong>zelnen<br />

Komposita in k<strong>ein</strong>er Weise auf<strong>ein</strong>ander Bezug, weder intertextuell noch etwa mittels<br />

<strong>ein</strong>er <strong>ein</strong>heitlichen Terminologie. Und zwar insbesondere auch dann nicht, wenn semantisch-konzeptuelle<br />

Zusammenhänge die empirisch konstatierbaren ähnlichen<br />

Verwendungsweisen der betreffenden Wörter erklären könnten. Ein mögliches Produkt<br />

<strong>ein</strong>er solchen Vorgehensweise ist bestenfalls <strong>ein</strong>e lückenhafte Wortliste.<br />

Das Resultat der Duden-Redaktion wird allerdings zum Wirrwarr durch die explizierten<br />

Bedeutungsparaphrasen: <strong>Die</strong>se verwenden nämlich inadäquaterweise Furcht und <strong>Angst</strong><br />

als Synonyme, was übrigens schon aus den entsprechenden Wörterbuchartikeln zu<br />

Furcht und <strong>Angst</strong> folgt, vgl. (18) und (19) und unten (25). <strong>Die</strong>selbe Nachlässigkeit im<br />

Sprachgebrauch des Dudens ist, hierzu ergänzend gesagt, bei der Verwendung von<br />

Adjektiven wie krankhaft, neurotisch, zwanghaft, stark, übersteigert usw. festzustellen.<br />

(18) Wö rterbuch<strong>ein</strong>trag Furcht im GWDS:<br />

Furcht, die; - [mhd. vorhte, ahd. for(a)hta, mit ↑fürchten zu <strong>ein</strong>em<br />

untergegangenen Adj. mit der Bed. »Furcht empfindend« (noch in ahd.<br />

foraht bewahrt)]: 1. <strong>Angst</strong> angesichts <strong>ein</strong>er Bedrohung od. Gefahr (in der<br />

Allgem<strong>ein</strong>sprache wird »Furcht« meist als gehobener Ausdruck für »<strong>Angst</strong>«<br />

verwendet): Alle hatten nur <strong>ein</strong>e <strong>ein</strong>zige F.: zurückzubleiben (Seghers,<br />

Transit 146); die F. vor dem Tode; lähmende F. ergriff, überfiel, packte ihn;<br />

F. [und Schrecken] verbreiten; jmdm. F. <strong>ein</strong>jagen; in ständiger F. vor etw.<br />

leben; Es konnte so weit führen, dass der Vater den Sohn ... in F. hielt<br />

(Musil, Mann 1294); die Schreie der Schakale ließ en ihn ohne F. (Bieler,<br />

Bonifaz 200); F. um jmdn., etw. haben; [übertriebene] F. [vor etw.] haben;<br />

<strong>ein</strong> F. erregender Anblick; <strong>ein</strong>e [groß e] F. <strong>ein</strong>flößende, [groß e] F. gebietende<br />

Gestalt; aus F. vor Strafe; vor F. zittern. 2. (veraltend) Scheu; Ehrfurcht:<br />

abergläubische F.; in der F. vor Gott, in der F. des Herrn leben.<br />

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(19) Wö rterbuch<strong>ein</strong>trag <strong>Angst</strong> im GWDS:<br />

<strong>Angst</strong>, die; -, Ä ngste [mhd. angest, ahd. angust, eigtl. = Enge, verw. mit<br />

↑eng]: mit Beklemmung, Bedrückung, Erregung <strong>ein</strong>hergehender<br />

Gefühlszustand [angesichts <strong>ein</strong>er Gefahr]; undeutliches Gefühl des<br />

Bedrohts<strong>ein</strong>s /in der Fachsprache der Psychologie u. Philosophie wird<br />

[ö fter] zwischen »<strong>Angst</strong>« als unbegründet, nicht objektbezogen und<br />

»Furcht« als objektbezogen differenziert; in der Allgem<strong>ein</strong>sprache ist diese<br />

Differenzierung nicht üblich/: <strong>ein</strong>e wachsende, würgende, bodenlose,<br />

panische A. befällt, beschleicht, quält jmdn.; die A., schwächer zu s<strong>ein</strong>;<br />

jmdm. sitzt die A. im Nacken; A. macht blind (Schnurre, Ich 115); Natürlich<br />

fehlt auch nicht die Depression vor dem Kampf, die A. vor der eigenen<br />

Courage (Spiegel 14, 1977, 208); die A. der Besitzenden vor dem Neid der<br />

Besitzlosen (Wilhelm, Unter 100); die A., schwächer zu s<strong>ein</strong>; Ihre Ä ngste<br />

vor <strong>ein</strong>er verstrahlten ... Umwelt sind eklatant (Wiener 1, 1989, 44); blieb<br />

Lea <strong>ein</strong> Gefühl der Bedrohung, das ... A. auslö ste (Ossowski, Liebe ist 354);<br />

A. um jmdn., etw., vor jmdm., etw. haben; Sie entdeckte an sich ... <strong>ein</strong>e<br />

neurotische A. vorm Fliegen (Schreiber, Krise 149); er hat A. (er fürchtet<br />

sich); sie hat A. (sie befürchtet), dass alles entdeckt wird; jmdm. durch, mit<br />

etw. A. <strong>ein</strong>jagen; jmdn. in A. [u. Schrecken] versetzen; in A. leben; in<br />

groß er A.; in tausend Ä ngsten schweben (in starker Unruhe, Sorge s<strong>ein</strong>);<br />

unter welchen Ä ngsten litt <strong>ein</strong> Mensch, der von sich behauptete, k<strong>ein</strong>e A. zu<br />

haben (Meckel, Suchbild 80); vor [lauter] A.; war ihm alle A. jenes<br />

schauerlichen Augenblicks (vor jenem schauerlichen Augenblick)<br />

entnommen (E. T. A. Hoffmann, Bergwerke 19); R die A. hat tausend<br />

Namen; *mehr A. als Vaterlandsliebe haben (scherzh.; sehr ängstlich,<br />

furchtsam s<strong>ein</strong>); jmdm. A. [und Bange] machen (jmdn. in <strong>Angst</strong> versetzen):<br />

<strong>Die</strong> Unvermeidlichkeit des Bestehenden hat ihr A. gemacht (Chr. Wolf,<br />

Nachdenken 92); Zwei, drei, viele Raketen in den falschen Händen machten<br />

der Regierung A. (Woche 19. 12.97, 14); es mit der A. [zu tun] bekommen/kriegen<br />

(plö tzlich ängstlich werden, in Panik geraten): Als es ihm<br />

schwarz vor Augen wurde, bekam er es mit der A. zu tun (Fels, Sünden 122).<br />

- 13 -


<strong>Die</strong> Bedeutungserklärungen in den Wörterbuchartikeln (18) und (19) entsprechen nicht<br />

<strong>ein</strong>mal der fachsprachlichen Terminologie der Medizin und Psychologie, welche mit<br />

Furcht (engl. fear) sogenannte Realangst bezeichnet, <strong>ein</strong>en objektbezogenen Zustand<br />

der <strong>Angst</strong>, der sich z.B. als Reaktion auf <strong>ein</strong>e konkrete <strong>oder</strong> vorgestellte Bedrohung<br />

bzw. Gefahr <strong>ein</strong>stellt; man vergleiche hierzu beispielsweise die Wörterbuchartikel aus<br />

dem PSCHYCHREMBEL 1998 258 :<br />

(20) Wö rterbuch<strong>ein</strong>trag <strong>Angst</strong> im PSCHYCHREMBEL 1998 258 :<br />

<strong>Angst</strong>: (engl.) anxiety, fear; unangenehm empfundener, <strong>ein</strong>e unbestimmte<br />

Bedrohung od. Gefahr signalisierender emotionaler Gefühlszustand; erhält<br />

u.U. Krankheitswert, wenn sie ohne erkennbaren Grund bzw. inf. inadäquater<br />

Reize ausgelö st u. empfunden wird. A. kann in unterschiedl.<br />

Schweregraden auftreten u. ist i.d.R. begleitet von psych. u. phys. Sympt.:<br />

Unsicherheit, Unruhe, Erregung (evtl. Panik), Bewuß ts<strong>ein</strong>s-, Denk- od.<br />

Wahrnehmungsstö rungen, Anstieg von Puls- u. Atemfrequenz, verstärkte<br />

Darm- u. Blasentätigkeit, Ü belkeit, Zittern, Schweiß ausbrüche; Vork.: u.a.<br />

als Furcht* i.S. <strong>ein</strong>er Reaktion auf <strong>ein</strong>e reale Bedrohung, i.R. neurot.<br />

Stö rungen (z.B. bei Phobie* bzw. <strong>Angst</strong>neurose*) od. als sog. frei flottierende<br />

A.; Ther.: bei subjektivem Leidensdruck Ruhe, Distanzierung,<br />

Psychotherapie*, u.U. Anxiolytika.<br />

(21) Wö rterbuch<strong>ein</strong>trag Furcht im PSCHYCHREMBEL 1998 258 :<br />

Furcht: (engl.) fear; sog. Realangst; Bez. für <strong>ein</strong>en Zustand der <strong>Angst</strong>*, der<br />

objektbezogen ist u. sich z.B. als Reaktion auf <strong>ein</strong>e konkrete Bedrohung<br />

bzw. Gefahr <strong>ein</strong>stellt.<br />

Mö glicherweise hätte die Recherche nach Belegen (Kompetenzbeispielangaben) die<br />

Lexikographen bewogen, die hier fokussierten Wörterbuchartikel zeitgemäß zu<br />

überarbeiten. Doch nur die Artikel zu Klaustrophobie und Xenophobie weisen überhaupt<br />

Kompetenzbeispielangaben auf. <strong>Die</strong> meisten Einträge sind auß erdem, wie erwähnt,<br />

textidentisch mit den schon im DUDEN BAND 5, Fremdwö rterbuch, von 1974<br />

auftretenden. Sie entsprechen hiermit eher dem Bild <strong>ein</strong>es Zerrspiegels unserer<br />

- 14 -


gegenwärtigen kulturellen und gesellschaftlichen Verhältnisse als ihrem „ Spiegelbild“<br />

(GWDS, Band 1, Vorwort).<br />

So ist insbesondere der Wörterbuchartikel (22) Agoraphobie heute veraltet. Bedenkt<br />

man, dass Agoraphobie zu den wenigen Phobie-Komposita gehö rt, die gem<strong>ein</strong>sprachlich<br />

s<strong>ein</strong> dürften, so ist dieser Umstand besonders schwerwiegend.<br />

(22) Wö rterbuch<strong>ein</strong>trag Agoraphobie im GWDS:<br />

Ago|ra|pho|bie, die; -, -n [aus 1 ↑Agora u. ↑Phobie] (Med., Psych.): zwanghafte,<br />

mit Schwächegefühl od. Schwindel verbundene <strong>Angst</strong>, freie Plätze<br />

o. Ä . zu überqueren; ↑Platzangst (2).<br />

In der gegenwärtigen deutschsprachigen Fachliteratur, vor allem jedoch, wie aus (23)<br />

ersichtlich, von der WHO, wird der Terminus Agoraphobie in <strong>ein</strong>er erheblich weiter<br />

gefassten Bedeutung verwendet. Er dient zur Bezeichnung <strong>ein</strong>er ganzen Reihe phobischer<br />

Stö rungen, welche durch die Vermeidung ö ffentlicher Plätze, von Menschenmengen<br />

<strong>oder</strong> von Reisen gekennzeichnet sind. Agoraphobien bilden demnach <strong>ein</strong>e Klasse<br />

von Phobien, die in Opposition zu anderen Phobie-Klassen steht, welche im GWDS<br />

nicht <strong>ein</strong>mal erwähnt werden, etwa zu sozialen Phobien und zu spezifischen, isolierten<br />

Phobien:<br />

(23) Agoraphobie gemäß WHO ICD-10, Einleitung zu V. F40.0-F48:<br />

“Eine relativ gut definierte Gruppe von Phobien, mit Befürchtungen, das<br />

Haus zu verlassen, Geschäfte zu betreten, in Menschenmengen und auf<br />

ö ffentlichen Plätzen zu s<strong>ein</strong>, all<strong>ein</strong>e mit Bahn, Bus <strong>oder</strong> Flugzeug zu reisen.<br />

Eine Panikstö rung kommt als häufiges Merkmal bei gegenwärtigen <strong>oder</strong><br />

zurückliegenden Episoden vor. Depressive und zwanghafte Symptome sowie<br />

soziale Phobien sind als zusätzliche Merkmale gleichfalls häufig<br />

vorhanden. <strong>Die</strong> Vermeidung der phobischen Situation steht oft im Vordergrund,<br />

und <strong>ein</strong>ige Agoraphobiker erleben nur wenig <strong>Angst</strong>, da sie die phobischen<br />

Situationen meiden kö nnen.“<br />

<strong>Die</strong> Wö rter auf -phobie und -phob sind eben doch nicht so selbsterklärend, wie der<br />

schlichte Eintrag (24) zu Pathophobie vermuten lassen kö nnte:<br />

- 15 -


(24) Wö rterbuch<strong>ein</strong>trag Pathophobie im GWDS:<br />

Pa|tho|pho|bie, die; -, -n [↑Phobie] (Med., Psych.): Nosophobie.<br />

Ü ber die genannten inhaltlichen Defizite hinaus ist die textuelle Gestaltung der<br />

Wö rterbuchartikel im GWDS nicht benutzerfreundlich, was jeder nachvollziehen kann,<br />

der <strong>ein</strong> beliebiges Lemma nachschlagen möchte. Hier sei dies lediglich mit <strong>ein</strong>er Kopie<br />

der Artikel zu <strong>Angst</strong> und Furcht aus dem GWDS demonstriert, deren Inhalt schon aus<br />

(18) bzw. (19) bekannt ist:<br />

(25) Wö rterbuchartikel <strong>Angst</strong> und Furcht im GWDS, Kopie:<br />

- 16 -


Erstens erfüllt die Anordnung der Wörterbuchartikel nicht die Anforderungen, die den<br />

Zwecken effektiver Nachschlagetechniken genügen. Sie erschwert, empirisch nachweisbar,<br />

die artikelinterne Orientierung des Lesers und erhö ht die Zugriffszeiten. Zweitens<br />

entsprechen die starke sprachliche Verdichtung und die textuelle Struktur der <strong>ein</strong>zelnen<br />

Wö rterbuchartikel nicht den Kriterien, die sich auf die übersichtliche textuelle Gestaltung<br />

von Suchbereichszonen der Textsorte Wörterbuchartikel beziehen. Hierfür wären<br />

semiotische Mittel notwendig, welche dem Wörterbuchbenutzer-in-actu <strong>ein</strong> spontanes<br />

Erkennen des Artikelaufbaus erleichtern. (vgl. z.B. Wiegand (1998a,b; 1999; 2000)).<br />

<strong>Die</strong> seit vielen Jahren von <strong>ein</strong>schlägiger Seite geübte konstruktive und empirisch<br />

wohlbegründete Kritik an der inhaltlichen und textuellen Gestaltung von Printwö rterbüchern<br />

hat offensichtlich und bedauerlicherweise die Praxis der Wörterbuchverlage nur<br />

marginal be<strong>ein</strong>flusst.<br />

Bei den zumeist <strong>ein</strong>- bis zweizeiligen Phobie-Einträgen, mag man <strong>ein</strong>wenden, wird die<br />

textuelle Struktur der <strong>ein</strong>zelnen Artikel nicht allzu sehr ins Gewicht fallen. Dennoch ist<br />

zu bedenken, dass die 54 Phobie-Wö rterbuchartikel insgesamt über 100 Zeilen Text<br />

beanspruchen. Zu berücksichtigen ist ferner, dass die Duden-Wö rterbücher <strong>ein</strong>e ähnliche<br />

Auflistungsakribie auch in anderen, mit Phobie und -phob vergleichbaren Fällen<br />

walten lassen. Um nur wenige Beispiele zu benennen: Komposita auf -logie finden sich<br />

ca. 500 Einträge, auf -manie 49, mit dem Element -phil- 99, auf -algie 52. Der hierdurch<br />

beanspruchte Druckraum kö nnte der Sache angemessener genutzt werden.<br />

Abschließ end sei unter (26) <strong>ein</strong> Vorschlag für <strong>ein</strong>en Wörterbuchartikel zum Lemma<br />

Phobie expliziert, welcher die vorstehend explizierten inhaltlichen und auf die textuelle<br />

Gestaltung bezogenen Bedenken berücksichtigt. M<strong>ein</strong> Vorschlag verwendet übrigens,<br />

bis auf die Gestaltung des Druckraums, im Wesentlichen dieselben Mittel, welche auch<br />

die Duden-Wö rterbücher heranziehen.<br />

- 17 -


(25) Vorschlag für <strong>ein</strong>en Wö rterbuchartikel Phobie:<br />

Pho|bie, die; -, -n<br />

(Sortenplural)<br />

1 (Med., Psych., Biolog.)<br />

<strong>exzessive</strong> inadäquate<br />

↑<strong>Angst</strong>reaktion, die durch<br />

best. Gegenstände od.<br />

Situationen ausgelö st wird<br />

Analyse der Phobie <strong>ein</strong>es<br />

fünfjährigen Knaben.<br />

(Freud).<br />

Wenn die richtige<br />

Medikation gegeben ist,<br />

berichten viele Menschen<br />

mit sozialer Phobie von<br />

<strong>ein</strong>er verbesserten<br />

Lebensqualität.<br />

Wer kann mir sagen, wie<br />

ich bei <strong>ein</strong>er Hochwasser-<br />

Phobie im<br />

Expositionsverfahren <strong>ein</strong><br />

günstiges<br />

Behandlungsresultat<br />

erzielen kann?<br />

Komposita:<br />

↑Agoraphobie,<br />

↑Klaustrophobie<br />

[zu altgriech. phó bos =<br />

↑Furcht, ↑<strong>Angst</strong>]<br />

2 (Chemie, Technik;<br />

Biolog.) chemische<br />

Unverträglichkeit;<br />

Vermeidungsverhalten;<br />

meist in Komposita<br />

<strong>Die</strong> extrem hohe<br />

Hydrophobie macht<br />

RoTrac ® Kapillarporen-<br />

Membranen abstoß end<br />

gegenüber <strong>ein</strong>er Vielzahl<br />

von Chemikalien.<br />

Durch entsprechende<br />

Modifizierung kann die<br />

arteigene und im<br />

Wasser<strong>ein</strong>satzfall<br />

unabdingbare<br />

Hydrophobie des Vlieses<br />

kompensiert werden.<br />

Komposita:<br />

↑Hydrophobie,<br />

↑Ombrophobie<br />

Vgl. ↑-phob, ↑-phobe<br />

Antonymisch: ↑Philie,<br />

↑-phil<br />

3 extreme Abneigung<br />

Ich befürchte, dass ich <strong>ein</strong>e<br />

Art Kondom-Phobie habe.<br />

Zur Epidemiologie der<br />

Hegel-Phobie - Wie<br />

<strong>ein</strong>stens Spinoza, so wurde<br />

Hegel bald nach s<strong>ein</strong>em<br />

Tode als <strong>ein</strong> toter Hund<br />

behandelt.<br />

Ich habe k<strong>ein</strong>e Phobie<br />

gegen Leistung - aber ich<br />

habe 'ne Phobie dagegen,<br />

wenn sich Leute in ihrer<br />

Freizeit genauso verhalten<br />

wie im Job.<br />

Falls Sie unter <strong>ein</strong>er<br />

Formular-Phobie leiden,<br />

verwenden Sie bitte Ihr<br />

Emailprogramm.<br />

Komposita:<br />

↑Anglophobie,<br />

↑Gallophobie,<br />

↑Xenophobie<br />

<strong>Die</strong> Wö rterbuchartikel für -phob und Phobie sollten auf die Heterogenität der Bedeutungen<br />

verweisen, welche in adjektivischen und substantivischen Wortbildungen in<br />

unterschiedlichen Varietäten realisiert werden. <strong>Die</strong> semantisch-konzeptuellen<br />

Zusammenhänge zwischen den <strong>ein</strong>zelnen Lemmata müssten benannt werden. Einige<br />

wenige Komposita könnten unter den Leitelementträgern -phob und Phobie gelistet<br />

- 18 -


werden, sie und weitere sollten mittels stringenter Verweisverfahren auf diese Haupt<strong>ein</strong>träge<br />

bezogen werden. Der größte Teil der Dudenphobien gehö rt jedoch allenfalls in<br />

Fachwö rterbücher, ebenso wie die Manien, Philien und Bildungen ähnlichen Typs.<br />

Wörterbü cher<br />

DUDEN BAND 5: Das Fremdwö rterbuch. Mannheim usw.: Duden-Verlag 1974.<br />

DUDEN BAND 8: <strong>Die</strong> sinn- und sachverwandten Wö rter. Mannheim usw.: Duden-Verlag<br />

1972.<br />

Duden, Deutsches Universalwö rterbuch. Mannheim usw.: Duden-Verlag 2001 4 .<br />

Duden, Das groß e Wörterbuch der deutschen Sprache. Mannheim usw.: Duden-Verlag<br />

1999 3 . [GWDS]<br />

PSCHYCHREMBEL: Klinisches Wö rterbuch: mit 250 Tabellen. Bearbeitet von der Wö rterbuch-Redaktion<br />

des Verlages unter der Leitung von Helmut Hildebrandt. Berlin<br />

usw.: de Gruyter 1998 258 .<br />

Literaturverzeichnis<br />

Bergenholtz, Henning (1980): Das Wortfeld . Eine lexikographische<br />

Untersuchung mit Vorschlägen für <strong>ein</strong> groß es interdisziplinäres Wörterbuch der<br />

deutschen Sprache. Stuttgart: Klett-Cotta 1980.<br />

Fries, Norbert (2002): Gefühlswortschatz im Duden: Das groß e Wörterbuch der deutschen<br />

Sprache in zehn Bänden. Ersch<strong>ein</strong>t in: Herbert-Ernst Wiegand (Hrsg.),<br />

Untersuchungen zur kommerziellen Lexikographie der deutschen<br />

Gegenwartssprache I. Tübingen: Niemeyer 2002.<br />

Wiegand, Herbert-Ernst (1998a): Altes und Neues zur Makrostruktur alphabetischer<br />

Printwö rterbücher. In: Wörterbücher in der Diskussion III. Vorträge aus dem<br />

Heidelberger Lexikographischen Kolloquium III. Hrsg. v. Herbert Ernst Wiegand.<br />

Tübingen: Niemeyer 1998, S. 348-372.<br />

- 19 -


Wiegand, Herbert-Ernst (1998b): Lexikographische Textverdichtung. Entwurf zu <strong>ein</strong>er<br />

vollständigen Konzeption. In: Arne Zettersten and Vigger Hjørnager Pedersen<br />

(Hrsg.), Symposium on Lexicography VIII. Proceedings of the Eigth Symposium<br />

on Lexicography May 2-4, 1996. Tübingen: Niemeyer 1998.<br />

Wiegand, Herbert-Ernst (1999): Artikel <strong>ein</strong>sprachiger Lernerwö rterbücher,<br />

Textgestaltwahrnehmung und Suchbereichstrukturen. Plädoyer für übersichtliche<br />

Printwö rterbücher im Zeitalter der Neuen Medien. In: Bernd Skibitzki, Barbara<br />

Wotjak (Hrsg.), Linguistik und Deutsch als Fremdsprache. Festschrift für<br />

Gerhard Helbig zum 70. Geburtstag. Tübingen: Niemeyer 1999, S. 259-281.<br />

Wiegand, Herbert-Ernst (2000): Ü ber Suchbereiche, Suchzonen und ihre textuellen<br />

Strukturen in Printwö rterbüchern. In: Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.),<br />

Wö rterbücher in der Diskussion IV. Vorträge aus dem Heidelberger<br />

Lexikographischen Kolloquium. Tübingen: Niemeyer 2000, S. 233-301.<br />

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