Dokumentation der Ausstellung im Wolfgang-Bonhage-Museum ...
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DOKUMENTATION<br />
<strong>der</strong> <br />
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DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 1
Tafel 01<br />
Einführung<br />
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Für die finanzielle Unterstützung danken wir<br />
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Stadt Bad Wildungen<br />
Bistum Fulda<br />
Bürgerverein St. Kilian Korbach<br />
Gemeinde Burgwald<br />
Gemeinde E<strong>der</strong>tal<br />
Erzbistum Pa<strong>der</strong>born<br />
Evangelische Kirche in Hessen und Nassau<br />
Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck<br />
Familienfürsorge Lebensversicherung<br />
Stadt Frankenau<br />
Stadt Frankenberg<br />
HUK Coburg<br />
Kasseler Bank<br />
Stadt Korbach<br />
Kurt-Wolff-Stiftung<br />
des Waldeckischen Geschichtsvereins<br />
Hessische Landeszentrale für politische Bildung<br />
Landkreis Waldeck-Frankenberg<br />
MICOS Oldenburg<br />
UNION Versicherungsdienst<br />
Gemeinde Vöhl<br />
Waldeckische Domanialverwaltung<br />
Gemeinde Willingen<br />
Der Druck des <strong>Ausstellung</strong>splakates wurde<br />
finanziert vom Rotary-Club Korbach-Bad Arolsen<br />
2<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 3
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DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 5
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DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 7
Spende für aufwendige Forschungsarbeit<br />
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Mit 2500 Euro unterstützt<br />
die Kasseler Bank in Korbach<br />
die Arbeit des Lebenshilfewerkes<br />
Waldeck-Frankenberg<br />
– und auf diesem Weg auch das<br />
Korbacher <strong>Bonhage</strong>-<strong>Museum</strong>.<br />
Lebenshilfewerk und <strong>Museum</strong><br />
haben nämlich gemeinsam eine<br />
<strong>Ausstellung</strong> zum Thema NS-Euthanasie<br />
in Waldeck-Frankenberg<br />
ausgearbeitet. Unter dem<br />
Titel „Ihr Tod reißt nicht die geringste<br />
Lücke“ werden ab Mittwoch,<br />
9. September, die Ergebnisse<br />
<strong>der</strong> umfangreichen, zwei<br />
Jahre dauernden Forschungsarbeit<br />
präsentiert, mit <strong>der</strong> die<br />
oft völlig unbekannten Biografien<br />
von Euthanasie-Opfern aus<br />
dem Landkreis beleuchtet werden<br />
sollen. Dies hatte sich eine<br />
Arbeitsgruppe auf Initiative von<br />
Dr. <strong>Wolfgang</strong> Werner, Geschäftsführer<br />
des Lebenshilfe-Werkes,<br />
zur Aufgabe gemacht.<br />
Karl-Heinz Bie<strong>der</strong>beck und<br />
Eckhart Schmidt von <strong>der</strong> Kasseler<br />
Bank überreichten die<br />
Spende des Geldhauses an Dr.<br />
Werner und Dr. Wilhelm Völcker-Janssen<br />
vom <strong>Museum</strong>. Das<br />
Geld, das die Bank <strong>im</strong> Rahmen<br />
ihres gesellschaftlichen Engagements<br />
traditionell dem Lebenshilfe-Werk<br />
zur Verfügung stellt,<br />
fließt jetzt in die Finanzierung<br />
<strong>der</strong> aufwendigen <strong>Ausstellung</strong>.<br />
Die Gesamtkosten belaufen<br />
sich auf 35 000 Euro, bislang<br />
wurde eine Summe von 25 000<br />
Euro aufgebracht. Lebenshilfe-<br />
Werk und <strong>Museum</strong> suchen deshalb<br />
noch weitere Spen<strong>der</strong>, die<br />
sich beteiligen wollen. (mba)<br />
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DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 9
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Wrexer, Twister und Korbacher<br />
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Es war ein bewegen<strong>der</strong>,<br />
teilweise schmerzlicher<br />
und aufrütteln<strong>der</strong> Gottesdienst,<br />
den die Besucher in <strong>der</strong> Kilianskirche<br />
erlebten. „Wir wollen die<br />
Namen nennen und die Bil<strong>der</strong><br />
zeigen“, hatte Bischof Martin<br />
Hein in seiner Predigt angekündigt.<br />
Und was die Anwesenden<br />
nach <strong>der</strong> Eröffnung <strong>im</strong> angrenzenden<br />
<strong>Bonhage</strong>-<strong>Museum</strong> zu<br />
sehen bekamen, erfüllt diesen<br />
Anspruch voll und ganz.<br />
Im unteren Teil des <strong>Museum</strong>s<br />
präsentieren die Macher <strong>der</strong><br />
<strong>Ausstellung</strong> Bil<strong>der</strong>, (Lebens-)<br />
Geschichten und Persönliches,<br />
das unter die Haut geht – dank<br />
akribischer Archivarbeit und<br />
gekonnter Darstellung. Es sind<br />
die Geschichten von Fürstenbergern,<br />
Twistern, Korbachern,<br />
Landauern o<strong>der</strong> Bewohnern<br />
von Wrexen; von Nachbarn, die<br />
während dieser „unwürdigen<br />
und grausamen“ Zeit zu Opfern<br />
wurden, weil sie an<strong>der</strong>s waren.<br />
„Die <strong>Ausstellung</strong> kommt gerade<br />
zur rechten Zeit“, mahnte<br />
<strong>der</strong> Bischof. „Denn auch heute<br />
werden die Menschen nach<br />
ihrer Wirtschaftlichkeit beurteilt.<br />
Wir sind auf einer schiefen<br />
Bahn.“<br />
70 Jahre sind seit <strong>der</strong> Umsetzung<br />
des Euthanasieprogramms<br />
durch Ärzte, Richter, Bürokraten<br />
und ganz „normale“ Menschen<br />
von nebenan vergangen.<br />
„Mit dem Krieg nach außen begann<br />
auch <strong>der</strong> Krieg nach innen“,<br />
blickten Bürgermeister<br />
Klaus Friedrich und <strong>Wolfgang</strong><br />
Werner auf den Beginn des Euthanasieprogramms<br />
am 1. September<br />
1939, dem Beginn des<br />
Zweiten Weltkrieges.<br />
„Sie haben we<strong>der</strong> den Willen<br />
zu leben noch zu sterben. Sie<br />
bilden eine schwere Belastung.<br />
Ihr Tod hinterlässt nicht die geringste<br />
Lücke“, zitierte Werner<br />
aus einer wissenschaftlichen<br />
Abhandlung aus den 20er-Jahren,<br />
die <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> als<br />
mahnendes Motto gilt. Dieser<br />
Ideologie setzte er ein jüdisches<br />
Sprichwort entgegen: „Tot sind<br />
nur jene, an die sich niemand<br />
erinnert.“ Die <strong>Ausstellung</strong> wolle<br />
dieses Schicksal verhin<strong>der</strong>n.<br />
500 Opfer aus Waldeck-Frankenberg<br />
haben die Organisatoren<br />
vor dem Vergessen retten<br />
können. „Wir wollen ihnen<br />
hiermit späte Gerechtigkeit wi<strong>der</strong>fahren<br />
lassen“, erklärte <strong>Museum</strong>sleiter<br />
Wilhelm Völcker-<br />
Jansen. „Unsere Projektgruppe<br />
wird sich nicht auflösen, son<strong>der</strong>n<br />
weiterhin mit dem Thema<br />
befassen“, versprach er.<br />
An dem Gottesdienst beteiligten<br />
sich neben „Hausherrn“<br />
Bernd Böttner und Domkapitular<br />
Gisbert Wisse die Theatergruppe<br />
<strong>der</strong> Lebenshilfe und <strong>der</strong><br />
Chor <strong>der</strong> Alten Landesschule.<br />
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Die Euthanasie-<strong>Ausstellung</strong><br />
Vor mehr als zweieinhalb Jahren<br />
gab <strong>Wolfgang</strong> Werner, Geschäftsführer<br />
des Lebenshilfewerkes,<br />
den Anstoß für die<br />
<strong>Ausstellung</strong>. Sie soll die Umsetzung<br />
des Euthanasieprogramms<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />
und ihre Folgen zeigen.<br />
Das „Euthanasie-Projekt“ mit<br />
Helfern aus dem ganzen Landkreis<br />
sah sich dem großen Problem<br />
gegenüber, dass die geretteten<br />
Dokumente vor allem<br />
die Sicht <strong>der</strong> Täter zeigten. Mit<br />
recherchierten Biografien <strong>der</strong><br />
Opfer und szenischer Inszenierung<br />
soll das „dunkle Kapitel“<br />
aufgearbeitet werden.<br />
Die Kosten für die <strong>Ausstellung</strong><br />
belaufen sich auf etwa 35 000<br />
Euro. Sie ist bis zum 25. April<br />
<strong>im</strong> <strong>Museum</strong> zu sehen, danach<br />
wan<strong>der</strong>t sie durch den Landkreis.<br />
(den)<br />
20<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 21
22<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 23
Korbach. Die Zeit des Nationalsozialismus<br />
gehört zu den<br />
dunkelsten Kapiteln <strong>der</strong> deutschen<br />
Geschichte. Mit ihm werden<br />
Krieg, Völkermord und Judenverfolgung<br />
in Verbindung<br />
gebracht, doch dabei wird oft<br />
die ebenso grausame „Euthanasie“<br />
vergessen: Zwischen<br />
200 000 und 300 000 behin<strong>der</strong>te<br />
und psychisch erkrankte<br />
Menschen starben auf Befehl<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialisten.<br />
Auch in Waldeck-Frankenberg<br />
finden sich die Spuren dieser<br />
Gräueltaten. Die Historikerin<br />
und Lehrerin <strong>der</strong> Alten Landesschule,<br />
Marion Möller, beschäftigt<br />
sich seit geraumer Zeit mit<br />
Fällen in und um Korbach. Der<br />
Leiter des <strong>Wolfgang</strong>-<strong>Bonhage</strong>-<br />
<strong>Museum</strong>s, Dr. Wilhelm Völcker-<br />
Jansen, hat sich mit Opfern aus<br />
Waldeck-Frankenberg und ihren<br />
Geschichten befasst. Neben<br />
einer sorgfältigen und ausgiebigen<br />
Materialsichtung zum<br />
Thema sind es ihre Forschungsergebnisse,<br />
auf die diese Ausgabe<br />
von „Mein Waldeck“ maßgeblich<br />
aufbaut. Außerdem war<br />
<strong>der</strong> Privatdozent Dr. Georg Lilienthal<br />
bereit für ein Gespräch.<br />
Er leitet die „Euthanasie“-Gedenkstätte<br />
in Hadamar.<br />
E<br />
<br />
s klingt wie Hohn, dass die<br />
Nationalsozialisten bei ihrer<br />
groß angelegten „Vernichtungsaktion<br />
lebensunwerten<br />
Lebens“ von Euthanasie<br />
sprachen, dem griechischen<br />
Wort für einen schönen o<strong>der</strong><br />
leichten Tod. Der „Führer“ und<br />
Reichskanzler Adolf Hitler hatte<br />
<strong>im</strong> Oktober 1939 den „Euthanasie“-Beschluss<br />
gefasst und auf<br />
den 1. September rückdatiert.<br />
Er ermächtigte seinen Leibarzt<br />
Karl Brandt und den Leiter <strong>der</strong><br />
„Kanzlei des Führers“ KdF, Philipp<br />
Bouhler, zur Umsetzung<br />
Ausgeson<strong>der</strong>t und als „lebensunwert“ ermordet<br />
<br />
<br />
<br />
des „Euthanasieprogramms“.<br />
Die Saat für die Vernichtung von<br />
angeblich „unwertem Leben“<br />
war da allerdings längst gelegt.<br />
Bei Hitlers Streben nach einer<br />
„arischen Herrenrasse“<br />
handelte es sich keinesfalls um<br />
eine neue Ideologie – schon <strong>im</strong><br />
19. Jahrhun<strong>der</strong>t fanden sich<br />
die ersten Ansätze. Ein Strang<br />
ist <strong>der</strong> Sozialdarwinismus. Diese<br />
Theorie deutet die Evolutionslehre<br />
des Charles Darwin<br />
um und überträgt sie auf die<br />
menschliche Gesellschaft. Hatte<br />
Darwin vermutet, die am besten<br />
an die Umwelt angepasste<br />
Art überlebe in <strong>der</strong> Natur am<br />
ehesten, lehren die Sozialdarwinisten,<br />
nur die Stärksten setzten<br />
sich durch. Dieser Gedanke<br />
verband sich mit Rassetheorien,<br />
die nicht nur in Deutschland<br />
diskutiert wurden. Verfechter<br />
einer „Herrenrasse“ for<strong>der</strong>ten,<br />
sie durch „Reinhaltung“ und<br />
„Zuchtauswahl“ zu stärken.<br />
U<br />
m 1920 erschien das Werk<br />
„Die Freigabe <strong>der</strong> Vernichtung<br />
lebensunwerten Lebens“<br />
von Karl Binding und Alfred Hoche.<br />
Ihre Ideen waren nicht neu,<br />
wohl aber ihre Radikalität. Und<br />
mit den Nazis fanden diese Ideen<br />
nach 1933 das erste Mal konsequent<br />
den Weg in Gesetze, ob<br />
in das „Gesetz zur Verhütung<br />
erbkranken Nachwuchses“ o<strong>der</strong><br />
ins „Ehegesundheitsgesetz“. So<br />
ebnete sich Schritt für Schritt<br />
<strong>der</strong> Weg zur Ausgrenzung <strong>der</strong><br />
Behin<strong>der</strong>ten und schließlich<br />
zur „Vernichtung lebensunwerten<br />
Lebens“. Die erste Phase<br />
trug den Decknamen „T4“, was<br />
für die Berliner Adresse Tiergartenstraße<br />
4 stand. Dort saßen<br />
die Verwalter des systematischen<br />
Mordes an Kranken.<br />
Der „T4“-Aktion wird heute<br />
auch die „Kin<strong>der</strong>-Euthanasie“<br />
zugeteilt, die schon Mitte 1939<br />
einsetzte, während die „Erwachsenen-Euthanasie“<br />
erst <strong>im</strong> Jahr<br />
1940 wirklich anlief. So fielen<br />
zwischen 1939 und 1945 rund<br />
5000 erbkranke und psychisch<br />
<br />
<br />
<br />
o<strong>der</strong> körperlich beeinträchtigte<br />
Säuglinge und Kin<strong>der</strong> dem<br />
Mordprogramm zum Opfer.<br />
Während bei Neugeborenen<br />
und Säuglingen <strong>der</strong> gängigste<br />
Weg zur Tötung die Unterversorgung<br />
und die Überdosierung<br />
von Medikamenten waren, kamen<br />
viele Kin<strong>der</strong> und Jugendliche<br />
durch die Methoden <strong>der</strong><br />
„Erwachsenen-Euthanasie“ um.<br />
Bis zum „Euthanasie-Stopp“<br />
1942 wurden vor allem Neugeborene<br />
und Kin<strong>der</strong> bis drei<br />
Jahre ermordet, danach auch ältere<br />
Kin<strong>der</strong> und Jugendliche.<br />
Der Ablauf war weitgehend<br />
gleich: Zu Beginn <strong>der</strong> „T4“-Phase<br />
hatten sämtliche Ärzte von<br />
Heil- und Pflegeanstalten sowie<br />
von Krankenhäusern Menschen<br />
in Meldebögen zu erfassen,<br />
auf die best<strong>im</strong>mte Kriterien<br />
zutrafen und bei denen keine<br />
Chance auf Heilung bestand.<br />
Schon bevor <strong>der</strong> Euthanasie-Erlass<br />
griff, waren viele Patienten<br />
von kirchlichen Einrichtungen<br />
in Landesheilanstalten<br />
verlegt worden – für Waldeck-<br />
Frankenberg waren es zwei:<br />
Nach Haina kamen Männer,<br />
nach Merxhausen Frauen. Von<br />
dort gelangten viele in „Zwischenanstalten“,<br />
bevor sie in einer<br />
von sechs Tötungsanstalten<br />
<strong>im</strong> Reich „verschwanden“.<br />
Z<br />
u den ersten Opfern <strong>der</strong><br />
„Euthanasie“ zählten vor<br />
allem jüdische Patienten. Viele<br />
wurden in <strong>der</strong> Tötungsanstalt<br />
in Brandenburg ermordet, einer<br />
<strong>der</strong> ersten Einrichtungen. Einer<br />
von ihnen ist Bernhard Löwenstern<br />
aus Korbach, dessen Geschichte<br />
Marion Möller auf <strong>der</strong><br />
nächsten Seite schil<strong>der</strong>t. Für die<br />
meisten Patienten aus Nordhessen<br />
war die Tötungsanstalt in<br />
Hadamar in <strong>der</strong> Nähe von L<strong>im</strong>burg<br />
an <strong>der</strong> Lahn zuständig.<br />
In den berüchtigten grauen<br />
Bussen kamen die Patienten auf<br />
dem Anstaltsgelände oberhalb<br />
<strong>der</strong> Stadt an. Eine oberflächliche<br />
ärztliche Untersuchung<br />
sollte vor allem dazu dienen,<br />
eine plausible Todesursache zu<br />
finden, die später den Angehörigen<br />
mitgeteilt werden sollte.<br />
Dann wurden die Patienten fast<br />
<strong>im</strong>mer direkt in den Keller geführt,<br />
wo sie auf engem Raum<br />
zusammengepfercht in einer<br />
Gaskammer den Tod fanden.<br />
Diese erste Phase erstreckte<br />
sich bis August 1941, also über<br />
etwa an<strong>der</strong>thalb Jahre, dann<br />
ließ Hitler die Gasmordaktion<br />
einstellen. Daran war auch<br />
<strong>der</strong> zunehmende Protest aus<br />
<strong>der</strong> Bevölkerung verantwortlich.<br />
Damit endete das Martyrium<br />
für die vielen Behin<strong>der</strong>ten<br />
und psychisch Erkrankten aber<br />
nicht – lediglich die Vorgehensweise<br />
än<strong>der</strong>te sich.<br />
I<br />
m August 1941 beginnt die<br />
zweite, „dezentrale Phase“.<br />
Auch nach Hitlers „Euthanasie-Stopp“<br />
wurde die planmäßige<br />
Ermordung von Kin<strong>der</strong>n<br />
ununterbrochen weiterbetrieben,<br />
lediglich die von Erwachsenen<br />
blieb bis Sommer 1942<br />
ausgesetzt. Danach wurden sie<br />
nicht mehr vergast, son<strong>der</strong>n<br />
durch Unter- und Mangelversorgung<br />
und durch Giftspritzen<br />
getötet. Wie viele Menschen<br />
wirklich durch die „Euthanasie“<br />
umgekommen sind, lässt sich<br />
heute nur schwer feststellen. Es<br />
gibt Anstalten, denen keine aktive<br />
Teilnahme am „Euthanasie“-Programm<br />
nachzuweisen<br />
ist. Allerdings herrschten in den<br />
Kriegsjahren desolate Zustände<br />
– dürfen sich Forscher auf die<br />
überlieferte <strong>Dokumentation</strong> jener<br />
Zeit verlassen?<br />
D as „Euthanasie“-Programm<br />
betraf bald nahezu<br />
jeden, <strong>der</strong> für die Gesellschaft<br />
keinen Nutzen mehr brachte.<br />
Das Kriterium „Arbeitsunfähigkeit“<br />
konnte bereits ein Todesurteil<br />
sein. Ob Kindbettdepressionen<br />
von Müttern, psychische<br />
Erkrankungen durch den Krieg<br />
o<strong>der</strong> nur Folgen eines schweren<br />
Unfalls – all das konnte bedeuten,<br />
dass Menschen in <strong>der</strong> Maschinerie<br />
des Todes verschwanden.<br />
Dieses Los traf auch viele<br />
nach Deutschland verschleppte<br />
Zwangsarbeiter.<br />
Die Nazis versuchten, Wi<strong>der</strong>stand<br />
gegen das Mordprogramm<br />
auszuhebeln. Anfangs<br />
handelte es sich um eine gehe<strong>im</strong>e<br />
Aktion, den Ärzten war es<br />
freigestellt, sich zu beteiligen.<br />
Ein ausgeklügeltes Verwaltungssystem<br />
machte es für Verwandte<br />
und Bekannte unmöglich, ihre<br />
Angehörigen wie<strong>der</strong>zufinden,<br />
waren sie erst einmal in das Programm<br />
hineingeraten.<br />
Offiziell starben die Patienten<br />
wenige Wochen nach ihrer Verlegung<br />
an irgendeiner fadenscheinig<br />
begründeten Erkrankung<br />
wie „Lungenentzündung“<br />
– die wahre Todesursache kam<br />
damals nicht ans Licht.<br />
Georg Lilienthal wird regelmäßig<br />
mit Schicksalen konfrontiert.<br />
„Gerade heute fragen <strong>im</strong>mer<br />
wie<strong>der</strong> Menschen an, um<br />
herauszufinden, was mit ihren<br />
Angehörigen passiert ist,“ sagt<br />
er. In den vorherigen Generationen<br />
herrschte oft noch peinliches<br />
Schweigen, heute begibt<br />
sich die Kin<strong>der</strong>- und Enkelgeneration<br />
auf die Suche nach den<br />
damals plötzlich verschwundenen<br />
Angehörigen.<br />
A<br />
uch Propaganda spielte eine<br />
nicht zu unterschätzende<br />
Rolle be<strong>im</strong> „Euthanasie“-Programm.<br />
Mit Filmen und durch<br />
Plakate führten die Nazis den<br />
Menschen bewusst o<strong>der</strong> unterbewusst<br />
<strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> „die<br />
Last“ vor Augen, die sie und vor<br />
<br />
allem die „Volksgemeinschaft“<br />
durch die „lebensunwerten und<br />
unrentablen Menschen“ angeblich<br />
zu tragen hätten.<br />
och es gab auch Menschen,<br />
die sich gegen die<br />
D<br />
Maschinerie aufbäumten, darunter<br />
etliche Geistliche. Neben<br />
<strong>der</strong> bekannten Predigt des<br />
Münsteraner Bischofs von Galen<br />
finden sich auch Zeichen<br />
des Protestes in Waldeck-Frankenberg.<br />
Ein beson<strong>der</strong>s mutiges<br />
Beispiel gibt <strong>der</strong> Helser Pfarrer<br />
und Leiter des Bathildishe<strong>im</strong>s,<br />
Karl Preising. Bei <strong>der</strong> Beschlagnahmung<br />
seines He<strong>im</strong>s 1942<br />
schaffte er es mit <strong>der</strong> Helser Bevölkerung,<br />
sämtliche Schützlinge<br />
und sogar die Werkstätten in<br />
Familien unterzubringen – ein<br />
ganzes Dorf stellte sich somit<br />
gegen das System.<br />
Und auch <strong>der</strong> Korbacher Bürgermeister<br />
Paul Z<strong>im</strong>mermann<br />
und <strong>der</strong> Leiter des städtischen<br />
Altenhe<strong>im</strong>s, Pastor Karl Klein,<br />
schafften es gemeinsam, mehrere<br />
Patienten vor einer Verlegung<br />
und damit ihrem sicheren<br />
Tod zu bewahren.<br />
B<br />
is zur Kapitulation <strong>der</strong> deutschen<br />
Wehrmacht am 8.<br />
Mai 1945 wurden Menschen in<br />
Anstalten umgebracht. Die Alliierten<br />
entdeckten in den Anstalten<br />
Unterlagen über die<br />
„Friedhöfe“ o<strong>der</strong> Massengräber.<br />
Eine Rekonstruktion <strong>der</strong><br />
Opfergeschichten ist nur selten<br />
möglich. Ein „Glücksfund“<br />
für Historiker sei es, dass nach<br />
dem Fall <strong>der</strong> Mauer 1989 in Stasi-Archiven<br />
rund 30 000 Akten<br />
aufgetaucht seien, erklärte Lilienthal.<br />
Allerdings lässt sich das<br />
Ausmaß des „Euthanasie“-Programmes<br />
nur erahnen. Etwa<br />
eine Viertelmillion Menschen<br />
starben in Deutschland wegen<br />
einer Ideologie, die für die meisten<br />
heute kaum noch nachzuvollziehen<br />
ist.<br />
Auf <strong>der</strong> folgenden Seite befasst<br />
sich Marion Möller mit einigen<br />
exemplarischen Opfergeschichten<br />
aus Korbach und<br />
Umgebung.<br />
<br />
<br />
<br />
Einen <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>wärtigsten<br />
Akte deutscher Geschichte<br />
stellt die Vernichtung angeblich<br />
„unwerten Lebens“ <strong>im</strong> „Ditten<br />
Reich“ dar. Führende „Theoretiker“<br />
lieferten den Nationalsozialisten<br />
unter Aufgabe objektiver<br />
wissenschaftlicher<br />
Redlichkeit dazu bereitwillig<br />
die Legit<strong>im</strong>ation. Hatten sich<br />
die Nationalsozialisten in den<br />
1930er-Jahren noch auf<br />
Zwangssterilisierungen zur Verhin<strong>der</strong>ung<br />
„erbbedingt unerwünschter<br />
Anlagen“ beschränkt,<br />
so än<strong>der</strong>te sich die Vorgehensweise<br />
mit Kriegsbeginn 1939.<br />
Unter dem Deckmantel <strong>der</strong><br />
„Euthanasie“ folgte die massenhafte<br />
und systematische Ermordung<br />
kranker Männer, Frauen<br />
und Kin<strong>der</strong>. Unter den Ermordeten<br />
befanden sich auch Opfer<br />
aus Korbach und <strong>der</strong> Region.<br />
Exemplarisch für die vielen<br />
Opfer <strong>der</strong> NS-„Euthanasie“ sollen<br />
hier einige Schicksale vorgestellt<br />
werden.<br />
Bernhard Löwenstern<br />
– Opfer des Gasmords<br />
Wegen <strong>der</strong> nationalsozialistischen<br />
Rassenideologie wurden<br />
jüdische Patienten gleich zweifach<br />
verfolgt: als Juden und als<br />
Kranke. Nachdem <strong>im</strong> Oktober<br />
1939 in <strong>der</strong> Kin<strong>der</strong>fachabteilung<br />
in Brandenburg-Görden<br />
mit <strong>der</strong> systematischen Ermordung<br />
pflegebedürftiger Kin<strong>der</strong><br />
begonnen worden war, gerieten<br />
jüdische Anstaltspatienten in<br />
den Fokus <strong>der</strong> Vernichtung.<br />
Unter ihnen befanden sich<br />
auch Bernhard und Klara Löwenstern<br />
aus Korbach und Affol<strong>der</strong>n,<br />
die in <strong>der</strong> „Euthanasie“-<br />
Tötungsanstalt in Brandenburg<br />
ermordet wurden.<br />
Mit <strong>der</strong> Machtübernahme <strong>der</strong><br />
Nationalsozialisten 1933 verschlechterte<br />
sich schrittweise die<br />
Situation jüdischer Patienten.<br />
Die Entscheidung zu ihrer systematischen<br />
Ermordung wurde<br />
<strong>im</strong> Frühjahr 1940 gefällt.<br />
Zu den jüdischen Opfern gehörte<br />
auch Bernhard Löwenstern,<br />
geboren am 20. Juni 1915<br />
in Korbach. Er wuchs in <strong>der</strong><br />
Kirchstraße 13 auf und besuchte<br />
das „Staatliche Landesgymnasium“,<br />
heute die „Alte Landesschule.<br />
Die Familie betrieb<br />
über viele Jahrzehnte einen florierenden<br />
Tabakwarengroßhandel.<br />
Er und seine Familie waren<br />
bereits seit Beginn <strong>der</strong> 1930er-<br />
Jahre verstärkten antisemitischen<br />
Anfeindungen, Boykotten<br />
und gewaltsamen Übergriffen<br />
ausgesetzt. Nicht selten erscholl<br />
ein verächtliches „Jud, Jud, Jud“<br />
hinter ihm her.<br />
1933 kam es zu einem folgenschweren<br />
Übergriff. Als Bernhard<br />
Löwenstern sich eines<br />
Abends Schaufenster in <strong>der</strong><br />
Bahnhofstraße ansah, wurde<br />
er hinterrücks von SS-Leuten<br />
überfallen und fast zu Tode geprügelt.<br />
Passanten brachten ihn<br />
blutüberströmt nach Hause.<br />
Diese Attacke zeichnete ihn für<br />
sein Leben. Der Tod des Vaters<br />
und sich verstärkende antisemitische<br />
Repressalien waren<br />
seiner Psyche keineswegs för<strong>der</strong>lich,<br />
sodass er von 1937 bis<br />
August 1938 in die Landesheilanstalten<br />
in Haina und Marburg<br />
aufgenommen werden musste.<br />
Unmittelbar nach <strong>der</strong> „Pogromnacht“<br />
wurde Bernhard<br />
Löwenstern am Morgen des<br />
10. November 1938 neben vielen<br />
weiteren Juden aus Korbach<br />
und Umgebung verhaftet,<br />
die Gehe<strong>im</strong>e Staatspolizei aus<br />
Kassel überführte sie ins Kon-<br />
Mein Waldeck<br />
zentrationslager Buchenwald.<br />
Dort musste er mitansehen, wie<br />
ein Mithäftling zu Tode gepeinigt<br />
wurde. Am 21. Januar 1939<br />
wurde er aus dem KZ entlassen,<br />
doch seine Freiheit war nur von<br />
kurzer Dauer. Im Spätherbst<br />
wurde er in die Straf- und Untersuchungsanstalt<br />
in Kassel-<br />
Wehlheiden eingewiesen. Auf<br />
<strong>der</strong> Grundlage des Paragrafen<br />
42b des Strafgesetzbuches über<br />
die „Sicherungsverwahrung“<br />
wurde er in die Landesheilanstalt<br />
nach Haina überführt.<br />
Trotz erheblicher Schwierigkeiten<br />
gelang es <strong>der</strong> nach Indien<br />
ausgewan<strong>der</strong>ten Schwester,<br />
eine Ausreisemöglichkeit<br />
für den Bru<strong>der</strong> und die Mutter<br />
zu erwirken. Umso größer war<br />
<strong>der</strong> Schock, als <strong>der</strong> Ausbruch<br />
des Zweiten Weltkrieges 1939<br />
die Ausreise verhin<strong>der</strong>te.<br />
Bernhard Löwenstern wurde<br />
am 25. September 1940 von<br />
Haina in eine Sammelanstalt für<br />
jüdische Patienten nach Gießen<br />
verschleppt. Von dort wurde er<br />
am 1. Oktober 1940 in die Brandenburger<br />
Tötungsanstalt verlegt,<br />
wo er vermutlich noch am<br />
gleichen Tag vergast wurde. Er<br />
war zu diesem Zeitpunkt 25 Jahre<br />
alt. In <strong>der</strong> offiziellen Version<br />
hieß es, dass er nach Cholm bei<br />
Lublin verlegt worden sei. Die<br />
Mutter bekam eine falsche Sterbeurkunde<br />
zugesandt.<br />
Anna M. – Opfer <strong>der</strong><br />
dezentralen „Euthanasie“<br />
Der „Führer“ und Reichskanzler<br />
Adolf Hitler ordnete nach<br />
Protesten zwar den Abbruch<br />
<strong>der</strong> Gasmordaktionen an. Doch<br />
damit war das Töten <strong>der</strong> Anstaltspatienten<br />
keineswegs beendet.<br />
Nur die Methoden än<strong>der</strong>ten<br />
sich. Im Gehe<strong>im</strong>en wurde<br />
in zahlreichen psychiatrischen<br />
Einrichtungen <strong>im</strong> Schatten eines<br />
sich ausweitenden Weltkrieges<br />
mit Medikamenten, Todesinjektionen,<br />
systematischer<br />
Vernachlässigung und durch<br />
Nahrungsmittelentzug gemordet.<br />
Der Zeitraum nach dem 24.<br />
August 1941 wird als dezentrale<br />
o<strong>der</strong> zweite Phase <strong>der</strong> „Euthanasie“<br />
bezeichnet. Während die<br />
Morde <strong>der</strong> „Kin<strong>der</strong>-Euthanasie“<br />
nicht unterbrochen worden waren,<br />
nahm die „Erwachsenen-<br />
Euthanasie“ nach angeblichem<br />
„Euthanasie“-Stopp <strong>im</strong> Sommer<br />
1942 ihren Fortgang.<br />
Die körperlich und geistig<br />
eingeschränkte Anna M. wurde<br />
1898 in <strong>der</strong> Nähe von Lüdenscheid<br />
in Westfalen geboren,<br />
sie lebte bis Ende <strong>der</strong> 1930er-<br />
Jahre <strong>im</strong> Haushalt ihrer Mutter.<br />
Als die einen Schlaganfall erlitt,<br />
wurden beide Frauen in <strong>der</strong> „Jakob-Wittgenstein’schen<br />
Altersversorgungsanstalt“<br />
in Korbach<br />
untergebracht. Der Gesundheitszustand<br />
<strong>der</strong> Mutter verschlechterte<br />
sich jedoch <strong>der</strong>art,<br />
dass sie nach Volmarstein verlegt<br />
werden musste, die Tochter<br />
blieb in Korbach zurück.<br />
Sie bewohnte zwischen 1938<br />
bis 1943 das Pflege- und Altershe<strong>im</strong><br />
<strong>der</strong> Stadt Korbach in <strong>der</strong><br />
Enser Straße 10, bis sie über die<br />
Provinzialheilanstalt in Warstein<br />
in die Tötungsanstalt in<br />
Hadamar überführt wurde.<br />
Anna wurde zum Verhängnis,<br />
dass sie nach <strong>der</strong> Verlegung <strong>der</strong><br />
Mutter dre<strong>im</strong>al aus dem He<strong>im</strong><br />
fortlief. Im eigentlichen Sinne<br />
stellte sie keine Gefahr dar, aber<br />
sie bedurfte <strong>der</strong> Aufsicht.<br />
Am 15. März 1943 wurde die<br />
45-jährige Anna M. in die geschlossene<br />
Abteilung <strong>der</strong> „Provinzialheilanstalt“<br />
in Warstein<br />
überführt. In dem Krankenbericht<br />
über sie heißt es:<br />
„15.3.43 Aufnahme in<br />
– E – ruhige Aufnahme ! Pat[tientin]<br />
machte bei <strong>der</strong> Aufnahme<br />
keine Schwierigkeiten.<br />
Bedurfte be<strong>im</strong> Baden <strong>der</strong><br />
Nachhülfe, war am Körper und<br />
in <strong>der</strong> Kleidung sauber.<br />
19.3.43 Sitzt untätig<br />
mit unbeweglichem, etwas<br />
ängstlichem Gesichtsausdruck<br />
da und ist zu keiner Beschäftigung,<br />
selbst <strong>der</strong> einfachsten anzuleiten.<br />
Sie bedarf auch bei allen<br />
Verrichtungen <strong>der</strong> Anleitung<br />
und Hilfe. Schwierigkeiten hat<br />
sie bisher nicht gemacht.<br />
3.6.43 Hat sich langsam eingel[e]bt<br />
und ist etwas zutraulicher<br />
geworden.“<br />
Am 26. Juli 1943 wurde Anna<br />
in die Tötungsanstalt nach Hadamar<br />
verlegt, dann ging alles<br />
ganz schnell, wie die Akte zeigt:<br />
27.7.43 in die H.A.<br />
Hadamar verlegt<br />
17.8.43 Erkrankte an Darmgrippe,<br />
Fieber, Herzschwäche.<br />
Heute exitus“ [Tod]<br />
Zwangsarbeiterin Fjokla<br />
und Tochter Alexandria<br />
Zur Aufrechterhaltung <strong>der</strong><br />
deutschen Wirtschaft und beson<strong>der</strong>s<br />
<strong>der</strong> Rüstungsindustrie<br />
und <strong>der</strong> Landwirtschaft wurden<br />
während des Zweiten Weltkrieges<br />
etwa sechs Millionen<br />
Frauen, Männer und Kin<strong>der</strong> zur<br />
Zwangsarbeit nach Deutschland<br />
verschleppt. Als nicht mehr<br />
„arbeitsfähig“ eingestuft, wurden<br />
sie ab 1944 <strong>der</strong> Vernichtung<br />
preisgegeben. Anstatt sie zu heilen,<br />
wurden sie zur Tötung vorgesehen.<br />
Dabei handelte es sich<br />
nicht um eine reichsweite Vernichtungsaktion,<br />
vielmehr<br />
scheint sie auf Nassau, Kurhessen<br />
und das Land Hessen beschränkt<br />
gewesen zu sein.<br />
Die ersten tuberkulosekranken<br />
Korbacher Zwangsarbeiter<br />
wurden <strong>im</strong> Juli 1944 in die Tötungsanstalt<br />
in Hadamar eingewiesen.<br />
Ihr gemeinsames<br />
Schicksal war, dass sie „arbeitsunfähig“<br />
wurden. Von den rund<br />
600 in Hadamar ermordeten<br />
Zwangsarbeitern kamen fünf<br />
aus Korbach, selbst ein zweijähriges<br />
Kind wurde getötet.<br />
Wie schnell und gedankenlos<br />
Menschen „vernichtet“ wurden,<br />
verdeutlicht die Geschichte <strong>der</strong><br />
29-jährigen russischen Zwangsarbeiterin<br />
Fjokla Sch. und ihrer<br />
kleinen Tochter Alexandria.<br />
Wann ihre Odyssee in<br />
Deutschland begann, liegt <strong>im</strong><br />
Dunkeln. Vermutlich wurde<br />
Fjokla Sch. mit ihrer Tochter<br />
1943 o<strong>der</strong> 1944 nach Deutschland<br />
verschleppt. Die Mutter<br />
arbeitete in den „Continental-<br />
Gummi-Werken“ in Korbach<br />
und war in einer werkseigenen<br />
Baracke untergebracht. Der He-<br />
<br />
Wer nicht arbeiten kann, kommt indie Todesanstalt<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
xenkessel einer „Baracken- und<br />
Zwangsarbeiterexistenz“, beengte<br />
Lebensbedingungen fern<br />
<strong>der</strong> He<strong>im</strong>at, die extreme Unterversorgung<br />
an Essen, Kleidung<br />
und Medizin, schlechte Hygiene<br />
und die Ausbeutung – je<strong>der</strong><br />
Punkt für sich genommen<br />
kann Menschen schon krank<br />
machen. Am 27. Oktober 1944<br />
unterrichtete <strong>der</strong> Betriebsarzt<br />
<strong>der</strong> Continental-A.G., Dr. F., das<br />
staatliche Gesundheitsamt in<br />
Korbach über den Gesundheitszustand<br />
<strong>der</strong> russischen „Ostarbeiterin“<br />
Fjokla:<br />
„Die russische Arbeiterin Nr.<br />
5157 [ohne Namensnennung]<br />
hat sich am 26.10. arbeitsunfähig<br />
krank gemeldet, nachdem<br />
ihr Allgemeinzustand schon<br />
vorher erheblich zurückgegangen<br />
war.“<br />
Drei Wochen später befand<br />
sich Fjokla mit ihrer zweijährigen<br />
Tochter bereits in <strong>der</strong> Tötungsanstalt<br />
in Hadamar. Für<br />
die Mutter und die zweijährige<br />
Tochter Alexandria findet sich<br />
<strong>der</strong> identische Eintrag:<br />
„17.XI.44 Vom Arbeitsamt<br />
eingewiesen wegen Tub.<br />
pulmoa“ [Lungentuberkulose].<br />
Für den Arbeitsprozess nicht<br />
mehr tauglich, war ihr Todesurteil<br />
gefällt, obgleich es keinen<br />
Hinweis auf eine Erkrankung<br />
<strong>der</strong> Tochter gab.<br />
Nicht mehr anonym mit Gas<br />
wurde getötet, Patienten bekamen<br />
eine Überdosis an Medikamenten,<br />
Ärzte spritzten sie zu<br />
Tode, Pfleger ließen sie verhungern<br />
o<strong>der</strong> überließen sie einfach<br />
ihrem Schicksal. Anschließend<br />
wurden sie in einem Massengrab<br />
„verscharrt“.<br />
Fortsetzung folgt.<br />
Wie berichtet, hat am 9. September<br />
die <strong>Ausstellung</strong> „Ihr Tod<br />
reißt nicht die geringste Lücke…“<br />
<strong>im</strong> Korbacher <strong>Wolfgang</strong>-<br />
<strong>Bonhage</strong>-<strong>Museum</strong> eröffnet. Sie<br />
beschäftigt sich mit weiteren<br />
Ermordeten, ihren Geschichten<br />
und <strong>der</strong> Maschinerie, die hinter<br />
dem „Euthanasie“-Programm<br />
steckt. Dazu gibt es einen ausführlichen<br />
<strong>Ausstellung</strong>srea<strong>der</strong> .<br />
„Mein Waldeck“ <br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Euthanasie<br />
as griechische Wort „eu-<br />
bedeutet über-<br />
Dthanasia“<br />
setzt guter o<strong>der</strong> schöner Tod.<br />
In <strong>der</strong> Medizin wird <strong>der</strong> Begriff<br />
auch für die Sterbehilfe<br />
verwandt.<br />
Die Nationalsozialisten haben<br />
den Begriff pervertiert –<br />
bei ihnen steht Euthanasie<br />
für die systematische Ermordung<br />
von psychisch kranken<br />
und behin<strong>der</strong>ten Menschen.<br />
Die Forschung verwendet<br />
deshalb für diese Wortbedeutung<br />
heute meist die Schreibweise<br />
in Anführungsstrichen.<br />
Die „Euthanasie“ war eingebettet<br />
in den Rassenwahn<br />
<strong>der</strong> Nationalsozialisten. Sie<br />
träumten davon, eine „arische<br />
Rasse“ zu züchten, die<br />
nach ihrer Ideologie an<strong>der</strong>en<br />
überlegen sein sollte. Pseudowissenschaftliche<br />
„Forschungen“<br />
sollten das untermauern.<br />
Und die „Rassehygiene“<br />
sollte gewährleisten, dass nur<br />
rassisch angeblich „hochwertige“<br />
Erbanlagen weitergegeben<br />
wurden. Im Gegenzug<br />
wurden zur Fortpflanzung<br />
nicht geeignet erscheinende<br />
Menschen aussortiert und<br />
zwangssterilisiert. Nächster<br />
Schritt: die „Euthanasie“ zur<br />
systematischen Vernichtung<br />
„lebensunwerten Lebens“.<br />
24<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 25
26<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 27
28<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 29
30<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 31
32<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 33
34<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 35
Zur Eröffnung <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong><br />
„Ihr Tod reißt nicht die geringste<br />
Lücke – NS-Euthanasie<br />
in Waldeck-Frankenberg“ <strong>im</strong><br />
Korbacher <strong>Wolfgang</strong>-<strong>Bonhage</strong>-<br />
<strong>Museum</strong> hat „Mein Waldeck“<br />
in Nummer 19/2009 das Thema<br />
aufgegriffen. Dieser Beitrag<br />
schil<strong>der</strong>t weitere Schicksale –<br />
und zeigt, dass es möglich war,<br />
Menschen zu retten.<br />
D<br />
ie jüdischen Bewohner<br />
<strong>der</strong> Heil- und Pflegeanstalten<br />
wurden nach <strong>der</strong><br />
Machtübernahme <strong>der</strong> Nationalsozialisten<br />
<strong>im</strong> Januar 1933 in<br />
doppelter Weise entrechtet und<br />
verfolgt. Bereits 1934 gab es erste<br />
Bestrebungen, das bisherige<br />
Miteinan<strong>der</strong> jüdischer und<br />
nichtjüdischer Patienten in den<br />
staatlichen Anstalten aufzuheben.<br />
Die Juden sollten in eigene<br />
Einrichtungen wie in die Jacobysche<br />
Heil- und Pflegeanstalt<br />
in Bendorf-Sayn am Rhein eingewiesen<br />
werden.<br />
1937 begannen auch Anstalten<br />
in konfessioneller Trägerschaft,<br />
jüdische Patienten abzuweisen<br />
o<strong>der</strong> in staatliche<br />
Einrichtungen zu verlegen. Dies<br />
geschah häufig unter dem Vorwand,<br />
sonst die Steuerbefreiung<br />
zu verlieren. Seit 1939 waren Juden<br />
gänzlich von <strong>der</strong> öffentlichen<br />
Wohlfahrt ausgeschlossen,<br />
die Fürsorgepflicht des<br />
Staates für jüdische Patienten<br />
wurde aufgehoben.<br />
Die Kosten <strong>der</strong> Anstaltspflege<br />
hatten seitdem die freien jüdischen<br />
Wohlfahrtsverbände zu<br />
tragen, seit Oktober 1939 die<br />
Zwangsorganisation „Reichsvereinigung<br />
<strong>der</strong> Juden“.<br />
Das Bathildishe<strong>im</strong> in Arolsen<br />
gehörte zu den Einrichtungen,<br />
die <strong>im</strong>mer jüdische „Pfleglinge“<br />
aufgenommen hatten. An<strong>der</strong>s<br />
als in vielen konfessionellen<br />
Einrichtungen hatte Arolsen die<br />
jüdischen Bewohner nach 1933<br />
auch nicht in staatliche Anstalten<br />
verlegt, um sie von nichtjüdischen<br />
Patienten getrennt<br />
unterzubringen. Noch <strong>im</strong> Mai<br />
1939 hatte <strong>der</strong> Leiter des He<strong>im</strong>s,<br />
Pfarrer Karl Preising, die Arolser<br />
Jüdin Klara Schürmann neu<br />
aufgenommen.<br />
Zu Beginn des Jahres 1940<br />
wurden in den kurz zuvor eingerichteten<br />
Tötungsanstalten<br />
in Brandenburg und Grafeneck<br />
die ersten Opfer <strong>der</strong> NS-„Euthanasie“<br />
in <strong>der</strong> Gaskammer<br />
ermordet. Damals unterhielt<br />
das Bathildishe<strong>im</strong> in Neu-Berich<br />
das Haus „Waldfrieden“ für<br />
geistig und mehrfach behin<strong>der</strong>te<br />
Menschen, in dem auch fünf<br />
jüdische Frauen lebten:<br />
Fanny Baruch<br />
Fanny Baruch wurde 1871 in<br />
Landau geboren. Sie war seit<br />
ihrer Kindheit geisteskrank.<br />
Ihre Familie ist in Landau seit<br />
1778 nachweisbar. Um die Mitte<br />
des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts lebten<br />
in Landau 14 jüdische Familien,<br />
unter ihnen drei namens<br />
Baruch. In <strong>der</strong> zweiten Hälfte<br />
des 19. Jahrhun<strong>der</strong>ts wan<strong>der</strong>ten<br />
viele jüdische Familien aus <strong>der</strong><br />
Stadt aus, unter ihnen auch die<br />
Baruchs, denn 1907 sind keine<br />
Menschen dieses Namens<br />
mehr in Landau gemeldet. Wo<br />
Fanny Baruch damals lebte, ist<br />
nicht bekannt. Erst 1923 finden<br />
sich ihre Lebensspuren wie<strong>der</strong>,<br />
als sie <strong>im</strong> Alter von 51 Jahren<br />
ins Bathildishe<strong>im</strong> aufgenommen<br />
wurde. Ihre in Hannover<br />
verheiratete Schwester Rosel<br />
zahlte über viele Jahre hinweg<br />
einen regelmäßigen Beitrag<br />
für die Unterbringung, zudem<br />
übernahm die Staatskasse auf<br />
Antrag <strong>der</strong> Ortsarmendirektion<br />
in Landau die Pflegekosten.<br />
1929 wurde <strong>der</strong> Landauer Stadtschreiber<br />
Friedrich Schütz zum<br />
Vormund bestellt.<br />
Zur Eröffnung <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong><br />
„Ihr Tod reißt nicht die geringste<br />
Lücke – NS-Euthanasie in Waldeck-Frankenberg“<br />
<strong>im</strong> <strong>Wolfgang</strong>-<strong>Bonhage</strong>-<strong>Museum</strong><br />
kam<br />
<strong>der</strong> Enkel <strong>der</strong> Schwester Rosel<br />
nach Korbach. Er erinnert sich<br />
noch gut, dass er seine Großtante<br />
Ende <strong>der</strong> 1930er Jahre als<br />
Kind in Neu-Berich besucht<br />
habe. Tante Fanny sei damals<br />
wohlauf gewesen, er habe sich<br />
mit ihr unterhalten können.<br />
Rosa Hedwig Löb<br />
Rosa Hedwig Löb wurde 1888<br />
in Wrexen geboren. Nach dem<br />
Tod des Vaters, des Kaufmanns<br />
Salomon Löb, übernahm <strong>der</strong><br />
fünf Jahre ältere Bru<strong>der</strong> Max<br />
das elterliche Haus Nr. 77 in<br />
Wrexen – heute Orpethaler<br />
Straße 2. Er betrieb dort eine<br />
Metzgerei.<br />
Ältere Wrexener erinnerten<br />
sich später, dass „Hedwig Löb<br />
geistig behin<strong>der</strong>t war“ und <strong>im</strong>mer<br />
„auf ihrem Stuhl neben dem<br />
Schlachthaus in ihrem braunen<br />
Kleid aus <strong>der</strong>bem Manchesterstoff“<br />
gesessen habe. Als es dem<br />
Bru<strong>der</strong> Max Löb 1938 gelang,<br />
mit seiner Frau und seinen drei<br />
Kin<strong>der</strong>n in die USA auszuwan<strong>der</strong>n,<br />
blieb ihm die Mitnahme<br />
seiner behin<strong>der</strong>ten Schwester<br />
verwehrt, denn die Best<strong>im</strong>mungen<br />
in den USA verboten die<br />
Einreise behin<strong>der</strong>ter Angehöriger.<br />
Wie viele Angehörige versuchte<br />
auch Max Löb, den Unterhalt<br />
<strong>der</strong> zurückbleibenden<br />
Schwester zu sichern, indem er<br />
1937 das Elternhaus in Wrexen<br />
an das Bathildishe<strong>im</strong> verkaufte.<br />
Der Verein Waldeckische<br />
Krüppelhilfe sicherte in einem<br />
Vertrag vom 19. Juli 1937 die<br />
„lebenslange Hege und Pflege“<br />
zu und versprach, Rosa Hedwig<br />
Löb in die „Zweiganstalt [in<br />
Neu-Berich] aufzunehmen und<br />
dort in allen Lebenslagen angemessen<br />
unterhalten und verpflegen“<br />
zu wollen.<br />
Am 9. September 1937 wurde<br />
Rosa Hedwig Löb in Neu-<br />
Berich aufgenommen. Wie<br />
ernst das Bathildishe<strong>im</strong> diese<br />
Verpflichtung nahm, zeigt<br />
die Tatsache, dass es <strong>im</strong> März<br />
1941 die Gemeinnützige Krankentransport<br />
GmbH über die<br />
eingegangene Verpflichtung<br />
in Kenntnis setzte. Es teilte <strong>der</strong><br />
Tarnorganisation des „Euthanasie“-Mordprogramms<br />
mit, dass<br />
Rosa Hedwig Löb auf Lebenszeit<br />
<strong>im</strong> Haus „Waldfrieden“ in<br />
Neu-Berich eingekauft sei und<br />
dass das Bathildishe<strong>im</strong> daher<br />
die weiteren Pflegekosten übernehmen<br />
werde.<br />
Das war ein halbes Jahr nach<br />
<strong>der</strong> Ermordung <strong>der</strong> Rosa Hedwig<br />
Löb – einem Verbrechen,<br />
von dem das Bathildishe<strong>im</strong> damals<br />
keine Kenntnis besaß.<br />
Klara Löwenstern<br />
Klara Löwenstern wurde 1904<br />
in Affol<strong>der</strong>n geboren. Die geistig<br />
Behin<strong>der</strong>te lebte seit ihrem<br />
siebten Lebensjahr <strong>im</strong> Bathildishe<strong>im</strong>,<br />
nachdem sie zuvor<br />
wegen „angeborener Idiotie“ in<br />
<strong>der</strong> Anstalt Hephata aufgewachsen<br />
war. Klara Löwenstern wurde<br />
in Treysa als „psychisch frisch<br />
und munter“ beschrieben, sie<br />
gehe in die Schule, mache dort<br />
aber keine Fortschritte.<br />
1933 zogen die Eltern Elias<br />
und Goldine Löwenstern nach<br />
Korbach, wo sie <strong>im</strong> Elfringhäuser<br />
Weg eine Kohlenhandlung<br />
betrieben. Doch bereits 1938<br />
mussten sie das Geschäft wie<strong>der</strong><br />
aufgeben und ihr Haus verkaufen.<br />
Die Eltern wurden <strong>im</strong><br />
September 1941 nach Wrexen<br />
deportiert und kamen wie drei<br />
<strong>der</strong> Geschwister in den Lagern<br />
von Treblinka und Majdanek<br />
o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Ghetto von Izbica um.<br />
Nur <strong>der</strong> jüngsten Schwester Selma<br />
gelang mit ihrem Mann von<br />
Kassel aus die Flucht in die USA,<br />
wo sich das Ehepaar in Chicago<br />
eine neue Existenz aufbaute.<br />
Von Amerika aus stellte Selma<br />
Löwenstern nach dem Krieg einen<br />
Antrag auf Entschädigung,<br />
in dem sie schrieb:<br />
„Die Judenverfolgung <strong>im</strong> Nov.<br />
38 zerstörte das Familienleben<br />
meiner Eltern mit ihren Kin<strong>der</strong>n.<br />
Das Haus Elfringhäuser<br />
Weg 13 in Korbach/Waldeck, wo<br />
meine Eltern einen lebenslänglichen<br />
Einsitz hatten, musste<br />
verkauft werden, und mein Vater<br />
lebte allein mit meiner Mutter<br />
unter menschenunwürdigen<br />
Bedingungen in Korbach zur<br />
Miete. Korbach wurde in Sept.<br />
1941 judenrein gemacht, und<br />
meine Eltern mussten nach Wrexen/Waldeck<br />
und später Kassel<br />
fliehen, von wo mein Vater in<br />
1942 nach Theresienstadt verschickt<br />
wurde und seinen Tod<br />
fand. Von 1941 an musste er den<br />
Judenstern tragen.“<br />
Anna Romberg<br />
Anna Romberg wurde 1889<br />
in Fürth geboren. Ihre Familie<br />
zog 1892 nach Berlin, wo <strong>der</strong><br />
Vater eine Schreinerei betrieb.<br />
Die geistig behin<strong>der</strong>te Tochter<br />
lebte seit 1919 <strong>im</strong> Bathildishe<strong>im</strong>.<br />
Wie <strong>der</strong> Kontakt von Berlin<br />
aus nach Waldeck zustande<br />
kam, ist unbekannt.<br />
Klara Schürmann<br />
Klara Schürmann wurde 1861<br />
in Helsen geboren. Wie Michael<br />
Winkelmann in seinem Buch<br />
„Auf einmal sind sie weggemacht“<br />
beschrieben hat, führte<br />
sie in ihrer He<strong>im</strong>atstadt einen<br />
Kleinhandel in Manufakturwaren.<br />
1915 zog sie nach Arolsen,<br />
wo ihr Vater ein Haus gekauft<br />
hatte und wo sie bis 1938 zunächst<br />
mit ihrem Bru<strong>der</strong> lebte.<br />
Im Alter von 77 Jahren musste<br />
Klara Schürmann ihr Haus verlassen<br />
und verkaufen.<br />
Im Mai 1939 wurde Klara<br />
Schürmann von Pfarrer Preising<br />
mit <strong>der</strong> Diagnose „Altersschwäche“<br />
in die Abteilung für pflegebedürftige<br />
Ältere des Bathildishe<strong>im</strong>s<br />
aufgenommen, nachdem<br />
<strong>der</strong> Bezirksfürsorgeverband seine<br />
Zust<strong>im</strong>mung gegeben hatte.<br />
Die Kosten für ihre Pflege<br />
in Neu-Berich brachte sie über<br />
den zu ihrem Pfleger bestellten<br />
Gärtner Hermann K. aus dem<br />
eigenen Vermögen auf.<br />
Deportiert und ermordet<br />
Ende August 1940 erhielt das<br />
Bathildishe<strong>im</strong> eine Verfügung<br />
des Innenministeriums. Danach<br />
sollten in Heil- und Pflegeanstalten<br />
untergebrachte Juden in<br />
<br />
In die Tötungsanstalt nach Brandenburg gebracht<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
„Sammelanstalten“ überstellt<br />
werden – unter dem Vorwand,<br />
dass keine „Juden mit Deutschen<br />
in Heil- und Pflegeanstalten<br />
gemeinsam untergebracht“<br />
sein sollten. Das Schreiben hatte<br />
<strong>der</strong> Landrat des Kreises <strong>der</strong><br />
Twiste dem Bathildishe<strong>im</strong> in<br />
Abschrift zugesandt, es enthielt<br />
die Auffor<strong>der</strong>ung, für die rechtzeitige<br />
Überführung <strong>der</strong> Juden<br />
zu sorgen. Als „Sammelanstalt“<br />
für Patienten aus Westfalen sowie<br />
aus Nord- und Mittelhessen<br />
diente den Organisatoren des<br />
Mordes an den behin<strong>der</strong>ten jüdischen<br />
Patienten die Heil- und<br />
Pflegeanstalt Gießen.<br />
Die Direktion <strong>der</strong> Gießener<br />
Anstalt informierte das Bathildishe<strong>im</strong><br />
am 13. September 1940<br />
über die Umstände des Transports<br />
und bat um umgehende<br />
Zusendung <strong>der</strong> Namen <strong>der</strong> jüdischen<br />
Bewohnerinnen des<br />
Hauses „Waldfrieden“.<br />
Nachdem die Namen <strong>der</strong><br />
fünf Frauen <strong>der</strong> Anstalt in Gießen<br />
mitgeteilt worden waren,<br />
erhielt das Bathildishe<strong>im</strong> die<br />
Anordnung <strong>der</strong> Gemeinnützigen<br />
Krankentransport GmbH,<br />
bei <strong>der</strong> Überführung die Personalakten,<br />
die Krankengeschichten,<br />
Geld und Wertsachen und<br />
alles Gepäck mitzugeben, da<br />
dieses für den Weitertransport<br />
am 1. Oktober 1940 durch die<br />
Transportgesellschaft bereit stehen<br />
müsse. Zudem sollten die<br />
Kranken gewissenhaft markiert<br />
werden, „am besten mit Leukoplast-Streifen<br />
auf Rücken“.<br />
Über den vorgesehenen weiteren<br />
Aufenthaltsort <strong>der</strong> Neu-<br />
Bericher „Pfleglinge“ wurden<br />
keine Mitteilungen gemacht.<br />
Am 25. September 1940 wurden<br />
die Frauen in die Landesheilund<br />
Pflegeanstalt nach Gießen<br />
„verlegt“, wo weitere Transporte<br />
aus Herborn, Haina, Merxhausen,<br />
Marsberg und weiteren<br />
Anstalten eintrafen.<br />
Über die Zustände in dem<br />
Gießener Sammellager ist<br />
nichts bekannt. Die Historikerin<br />
Monica Kingreen hat<br />
erforscht, dass insgesamt 126<br />
jüdische Männer und Frauen<br />
fünf Tage und fünf Nächte dort<br />
verbracht hätten. Die 79-jährige<br />
Klara Schürmann war die älteste.<br />
Am 1. Oktober 1940 wurden<br />
sie aus Gießen in die Tötungsanstalt<br />
nach Brandenburg gebracht,<br />
wo sie vermutlich noch<br />
am gleichen Tag in <strong>der</strong> Gaskammer<br />
ermordet wurden.<br />
Fortsetzung nächste Seite.<br />
<br />
<br />
<br />
D<br />
ie Ermordung kranker<br />
und behin<strong>der</strong>ter<br />
Menschen hatte Anfang<br />
1940 begonnen und währte<br />
bis nach Kriegsende. In dieser<br />
Zeit wurde <strong>der</strong> Krieg gegen das<br />
„lebensunwerte“ Leben in <strong>der</strong><br />
Öffentlichkeit weitgehend passiv<br />
hingenommen, obwohl die<br />
grauen Busse, die rauchenden<br />
Schlote <strong>der</strong> Krematorien und<br />
das Verschwinden und Sterben<br />
von Anstaltspatienten nicht<br />
unbemerkt blieben.<br />
Mancher Zeitgenosse wird<br />
damals stillschweigend zugest<strong>im</strong>mt<br />
haben, an<strong>der</strong>e mögen<br />
Angst gehabt haben, Ablehnung<br />
zu äußern. Es kam zu keiner<br />
aktiven Opposition, die dem<br />
Morden Einhalt geboten hätte.<br />
Nur wenige Mediziner lehnten<br />
ab, wenn sie gefragt wurden,<br />
ob sie an <strong>der</strong> „Aktion T4“<br />
mitwirken wollten. Keiner hatte<br />
bei einer Ablehnung Nachteile<br />
zu befürchten. Im Justizministerium<br />
wurde <strong>der</strong> „Hitler-Erlass“<br />
weitgehend akzeptiert.<br />
Einzelne Juristen wurden versetzt,<br />
die das Verschwinden von<br />
Menschen untersuchten und<br />
nach <strong>der</strong> rechtlichen Grundlage<br />
fragten. In den Verwaltungen<br />
bestätigte sich das Wort<br />
des Theologen Dietrich Bonhoeffer:<br />
„Der Mann <strong>der</strong> Pflicht<br />
wird schließlich auch noch dem<br />
Teufel gegenüber seine Pflicht<br />
erfüllen müssen.“<br />
Auch <strong>der</strong> Protest einzelner<br />
Geistlicher vermochte das Töten<br />
nicht zu beenden. So gab<br />
es den Brief des Berliner Dompropstes<br />
Bernhard Lichtenberg<br />
an Reichsgesundheitsführer<br />
Leonardo Conti, in dem er gegen<br />
die systematische Ermordung<br />
Kranker und geistig o<strong>der</strong><br />
körperlich Behin<strong>der</strong>ter protestierte.<br />
O<strong>der</strong> es gibt die bekannte<br />
Predigt des Münsteraner Bischofs<br />
von Galen.<br />
Clemens August Kardinal Graf<br />
von Galen hatte am 3. August<br />
1941 in <strong>der</strong> Kirche „Sankt Lamberti“<br />
in Münster als Erster den<br />
Mut, das Morden in den Anstalten<br />
öffentlich zu benennen:<br />
„Seit einigen Monaten hören<br />
wir Berichte, dass aus Heil- und<br />
Pflegeanstalten für Geisteskranke<br />
auf Anordnung von Berlin<br />
Pfleglinge, die schon länger<br />
krank sind und vielleicht unheilbar<br />
erscheinen, zwangsweise<br />
abgeführt werden. Regelmäßig<br />
erhalten dann die Angehörigen<br />
nach kurzer Zeit die Mitteilung,<br />
<strong>der</strong> Kranke sei verstorben, die<br />
Leiche sei verbrannt, die Asche<br />
könne abgeliefert werden. Allgemein<br />
herrscht <strong>der</strong> an Sicherheit<br />
grenzende Verdacht, dass<br />
diese zahlreichen unerwarteten<br />
Todesfälle von Geisteskranken<br />
nicht von selbst eintreten,<br />
son<strong>der</strong>n absichtlich herbeigeführt<br />
werden, dass man dabei<br />
jener Lehre folgt, die behauptet,<br />
man dürfe sogenanntes lebensunwertes<br />
Leben vernichten,<br />
also unschuldige Menschen<br />
töten, wenn man meint, ihr Leben<br />
sei für Volk und Staat nichts<br />
mehr wert. Eine furchtbare Lehre,<br />
die die Ermordung Unschuldiger<br />
rechtfertigen will, die die<br />
gewaltsame Tötung <strong>der</strong> nicht<br />
mehr arbeitsfähigen Invaliden,<br />
Krüppel, unheilbar Kranken,<br />
Altersschwachen grundsätzlich<br />
freigibt!“<br />
Nach dem angeblichen „Euthanasie-Stopp“<br />
Hitlers am 24.<br />
August 1941 wurde zwar <strong>der</strong><br />
Gasmord in den meisten Tötungsanstalten<br />
beendet, doch<br />
ging das Morden mit an<strong>der</strong>en,<br />
unauffälligeren Mitteln weiter.<br />
Zu den Menschen, die sich<br />
<strong>der</strong> Bürokratie und Maschinerie<br />
<strong>der</strong> NS-„Euthanasie“ entgegenstellten,<br />
gehören Menschen<br />
wie Pfarrer Friedrich von<br />
Bodelschwingh, <strong>der</strong> das Ausfüllen<br />
<strong>der</strong> Meldebögen verweigerte.<br />
Zu ihnen gehören Schwestern<br />
<strong>der</strong> Klinik in Warstein, die<br />
Briefe an Angehörige versandten,<br />
in denen sie darum baten,<br />
die Bewohner in die Familie zurückzuholen,<br />
um sie vor „Verlegung“<br />
zu schützen.<br />
Zu ihnen gehörte auch <strong>der</strong><br />
Helser Pfarrer und Leiter des<br />
Bathildishe<strong>im</strong>s, Karl Preising. In<br />
seiner Karfreitagspredigt hatte<br />
er schon 1930 gewarnt:<br />
„Auch bei uns kann man oft<br />
die Meinung hören, es würde <strong>der</strong><br />
beste Dienst an den Elendesten<br />
sein, wenn sie durch ein Tränklein<br />
sanft aus diesem Leben herausbeför<strong>der</strong>t<br />
würden. … Selbst<br />
bei Vertretern von hohen Behörden<br />
haben wir mit ähnlichen<br />
Gedanken zu ringen.“ Dagegen<br />
setzte Karl Preising das Wort,<br />
„die Menschheit verkomme in<br />
Rohheit, wenn sie nicht genötigt<br />
wäre, <strong>im</strong> Dienste an den<br />
Elendsten die feinsten Tugenden<br />
<strong>der</strong> Demut und Liebe zu wecken<br />
und zu för<strong>der</strong>n“.<br />
Als das Bathildishe<strong>im</strong> 1942 als<br />
Lazarett beschlagnahmt wurde,<br />
gelang es Karl Preising, die Bewohner<br />
des He<strong>im</strong>s, aber auch<br />
die Einrichtungen <strong>der</strong> Küche,<br />
des Büros, <strong>der</strong> Waschküche und<br />
sogar <strong>der</strong> Behin<strong>der</strong>tenwerkstätten<br />
wie <strong>der</strong> Korbmacherei, die<br />
Bürstenmacher- und Malerwerkstatt,<br />
die Damenschnei<strong>der</strong>ei<br />
und die Weißnäherei bei Familien<br />
in seiner Gemeinde in<br />
Helsen unterzubringen. Die Bewohner<br />
schliefen in Privathäusern<br />
o<strong>der</strong> <strong>im</strong> Lutherhaus, wie<br />
das Gemeindehaus des Dorfes<br />
genannt wurde.<br />
Insgesamt waren es zwischen<br />
50 und 100 Menschen, Menschen<br />
mit körperlichen o<strong>der</strong><br />
geistigen Behin<strong>der</strong>ungen, die<br />
auf diese Weise vor <strong>der</strong> „Verlegung“<br />
bewahrt werden konnten.<br />
Es ist zu vermuten, dass<br />
die meisten dieser „Pfleglinge“<br />
nach Haina o<strong>der</strong> Merxhausen<br />
gebracht worden wären ohne<br />
das mutige Handeln des Pfarrers<br />
Preising, seiner Gemeindemitglie<strong>der</strong><br />
– und wohl auch<br />
<strong>der</strong> Behörden wie dem Bürgermeisteramt,<br />
ohne <strong>der</strong>en Zust<strong>im</strong>mung<br />
diese Rettungsaktion<br />
nicht möglich gewesen wäre.<br />
Das heißt: Sie wären in Heilund<br />
Pflegeanstalten gekommen,<br />
<strong>der</strong>en Patienten in großer<br />
Zahl in <strong>der</strong> Tötungsanstalt in<br />
Hadamar ermordet wurden.<br />
Nicht alle Ärzte, Schwestern<br />
und Pfleger in den Heil- und<br />
Pflegeanstalten st<strong>im</strong>mten mit<br />
den verbrecherischen Zielen<br />
<strong>der</strong> nationalsozialistischen „Gesundheits“-Politik<br />
überein.<br />
Schwester Emilie<br />
Es gibt Menschen, die mit<br />
Hingabe kranke und behin<strong>der</strong>te<br />
Patienten pflegten – eben<br />
auch in Zeiten, in denen „lebensunwertes“<br />
Leben vernichtet<br />
wurde. Zu ihnen gehörte<br />
Schwester Emilie Engelmann<br />
vom Waldeckschen Diakonissenhaus.<br />
1888 in Ottlar geboren,<br />
trat sie 1906 in die Schwesternschaft<br />
des Arolser Diakonissenhauses<br />
ein. In Pyrmont wurde<br />
sie zur Krankenschwester ausgebildet<br />
und 1914 eingesegnet.<br />
Im Ersten Weltkrieg pflegte<br />
Emilie Engelmann verwundete<br />
Soldaten <strong>im</strong> Lazarett des<br />
Bathildishe<strong>im</strong>s. Nach Kriegsende<br />
machte sie in Kassel eine<br />
Ausbildung zur Kin<strong>der</strong>gärtnerin.<br />
In den Jahren <strong>der</strong> We<strong>im</strong>arer<br />
Republik arbeitete sie als Kin<strong>der</strong>gärtnerin<br />
in Arolsen und als<br />
Handarbeitslehrerin in Helsen.<br />
Zwischen 1927 und 1931 leitete<br />
sie den Korbacher Kin<strong>der</strong>garten.<br />
1931 übernahm sie die Leitung<br />
des neu eröffneten Hauses<br />
„Waldfrieden“ in Neu-Berich.<br />
„Wir wollen versuchen, unseren<br />
Kin<strong>der</strong>n, die nicht mehr <strong>im</strong><br />
Elternhaus sein können o<strong>der</strong><br />
überhaupt kein Elternhaus haben,<br />
dass sie bei uns ein Stückchen<br />
He<strong>im</strong>at finden“, beschrieb<br />
sie ihre Aufgabe. „Sie war eine<br />
gütige und tatkräftige Hausmutter,<br />
die nichts sein wollte<br />
als eine rechte Mutter für die ihr<br />
anbefohlenen Kin<strong>der</strong>“, sagt ihre<br />
Nachfolgerin Else Emde.<br />
„Tante Mielchen“ wurde Emilie<br />
Engelmann von allen gerufen.<br />
Sie baute den Gutshof<br />
unter <strong>der</strong> Leitung des Anstaltsleiters,<br />
Pfarrer Karl Preising, in<br />
wirtschaftlich schwieriger Zeit<br />
zu einem He<strong>im</strong> aus, das bald<br />
über 100 Bewohnern ein neues<br />
Zuhause bot. Und dies in einer<br />
Zeit, in <strong>der</strong> öffentliche Träger<br />
ihre „Pfleglinge“ aus Kostengründen<br />
abberiefen, die Pflegegel<strong>der</strong><br />
für geistig behin<strong>der</strong>te Patienten<br />
zusammenstrichen und<br />
auch Angehörige die Zahlungen<br />
einstellten o<strong>der</strong> kürzten.<br />
Möglich war diese Leistung<br />
nur, weil Emilie Engelmann<br />
und ihre Mitschwestern bis zur<br />
Selbstaufopferung für ihre Mitmenschen<br />
tätig waren. Es ist<br />
nicht bekannt, wie das Bathildishe<strong>im</strong><br />
mit den Meldebögen<br />
umging, in denen seit 1940 mit<br />
Sicherheit auch „Pfleglinge“ in<br />
Arolsen und Neu-Berich erfasst<br />
werden sollten. Bekannt ist,<br />
dass die Verwaltung des Bathildishe<strong>im</strong>s<br />
<strong>im</strong> Falle <strong>der</strong> 1940 ermordeten<br />
fünf jüdischen Bewohnerinnen<br />
aus Neu-Berich<br />
die an sie gestellten Anfor<strong>der</strong>ungen<br />
pflichtgetreu erfüllt hat.<br />
Aus Berichten von Zeitzeugen<br />
ist aber auch bekannt,<br />
dass Schwester Emilie Engelmann<br />
in <strong>der</strong> Kriegszeit wie<strong>der</strong>holt<br />
schwer behin<strong>der</strong>te Patienten<br />
mit dem Handwagen in den<br />
Wald fahren ließ, um sie dort<br />
zu verstecken. Vorausgegangen<br />
waren Anrufe aus Arolsen, die<br />
Mein Waldeck<br />
die He<strong>im</strong>leitung über bevorstehende<br />
Kontrollen informierten.<br />
Von wem diese Anrufe damals<br />
stammten, lässt sich nur<br />
vermuten. Besaß das Bathildishe<strong>im</strong><br />
einen Beschützer o<strong>der</strong><br />
eine Beschützerin <strong>im</strong> Fürstenhaus?<br />
Es sind wohl diese Informationen,<br />
die dazu beitrugen,<br />
dass es nach dem Mord an<br />
den fünf jüdischen Frauen aus<br />
dem Haus „Waldfrieden“ unter<br />
den Bewohnern des Bathildishe<strong>im</strong>s<br />
in Arolsen und Neu-Berich<br />
keine weiteren Opfer <strong>der</strong><br />
NS-„Euthanasie“ gab.<br />
Gerettet: Rudi K.<br />
Diese Beispiele zeigen, dass<br />
es mit Zivilcourage Einzelner<br />
möglich war, kranke und behin<strong>der</strong>te<br />
Menschen vor dem Tode<br />
zu bewahren. Zu denen, die Angehörige,<br />
Nachbarn und Freunde<br />
hatten, die zu ihnen hielten,<br />
und die mit ihrer Hilfe die<br />
Verfolgung durch die nationalsozialistische<br />
Rassenideologie<br />
überlebten, gehört <strong>der</strong> Korbacher<br />
Rudi o<strong>der</strong> Rudolf K.<br />
Rudi K. kam am 12. Dezember<br />
1919 als einziges Kind des<br />
Reichsbahnsekretärs Friedrich<br />
K. mit Down-Syndrom zur Welt.<br />
Der Vater arbeitete als Fahrkartenverkäufer<br />
am Korbacher<br />
Bahnhof. Die Familie wohnte in<br />
einem Eisenbahnerhaus in <strong>der</strong><br />
Arolser Landstraße.<br />
Zu Rudis liebsten Spielkameraden<br />
gehörten die Kin<strong>der</strong> des<br />
Lokomotivführers Karl G. <strong>im</strong><br />
gleichen Haus. Beson<strong>der</strong>s Tochter<br />
Herta kümmerte sich um<br />
Rudi. Ihr Vater war Vorsitzen<strong>der</strong><br />
des Sozialwerks <strong>der</strong> Eisenbahner,<br />
er engagierte sich sehr<br />
für seine Mitmenschen. Er hatte<br />
seinen Kin<strong>der</strong>n beigebracht,<br />
dass Rudi zu ihrer Gemeinschaft<br />
gehöre. Diese Einstellung<br />
war für die Kin<strong>der</strong> zur Selbstverständlichkeit<br />
geworden, und<br />
sie ließen nicht zu, dass Rudi<br />
gehänselt wurde.<br />
Als in den 1920er Jahren <strong>im</strong>mer<br />
mehr behin<strong>der</strong>te Kin<strong>der</strong> in<br />
eine Heilanstalt überführt werden<br />
sollten, war auch Rudi K.<br />
betroffen. Doch sein Vater war<br />
gegen eine solche Einweisung,<br />
und es gelang ihm mit Hilfe<br />
von Karl G., dass Rudi zu Hause<br />
bleiben konnte. Der hatte eine<br />
<br />
Der Mordmaschinerie <strong>der</strong> Nazis entgegengetreten<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
Führungspersönlichkeit <strong>der</strong><br />
Reichsbahndirektion in Kassel<br />
aufgesucht – wohl die höchste<br />
für ihn erreichbare Stelle – und<br />
dort den Fall vorgetragen.<br />
Den Eltern wurden schwer<br />
erfüllbare Bedingungen gestellt:<br />
Sie mussten eine Versicherung<br />
abschließen, dass ihr Sohn nie<br />
staatliche Fürsorge in Anspruch<br />
nehmen würde. Außerdem hatten<br />
sie Erklärungen von Lehrern<br />
beizubringen, die bereit waren,<br />
Rudi <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Regelbeschulung<br />
in einen Klassenverband<br />
aufzunehmen, obwohl<br />
er nach damaliger Einschätzung<br />
nicht schulfähig war.<br />
Rudi K. wurde nach zwe<strong>im</strong>aliger<br />
Rückstellung „wegen geistiger<br />
Min<strong>der</strong>wertigkeit“ 1928 in<br />
die Bürgerschule zu Korbach<br />
eingeschult. In den Schulakten<br />
findet sich ein Vermerk, dass<br />
mit dem Eisenbahnverein, dem<br />
Sozialwerk <strong>der</strong> Reichsbahn, ein<br />
Briefwechsel geführt wurde.<br />
Es ging darin um Kin<strong>der</strong> von<br />
Bahnbediensteten, die in eine<br />
Heilanstalt überführt werden<br />
sollten. Rudi K. blieb, obwohl er<br />
kaum seinen Namen schreiben<br />
und sich sprachlich nur schwer<br />
ausdrücken konnte, die gesamte<br />
Schulzeit auf <strong>der</strong> Bürgerschule,<br />
heute die Westwallschule.<br />
Aus <strong>der</strong> Schulakte geht hervor,<br />
dass Rudi nicht nach seinem<br />
Alter in eine Klasse eingestuft,<br />
son<strong>der</strong>n vermutlich best<strong>im</strong>mten<br />
Lehrern zugeteilt wurde.<br />
So wurde Rudi 1928 in die<br />
7. Klasse eingeschult und von<br />
1934 bis 1936 in <strong>der</strong> 5. Klasse<br />
unterrichtet. Seine Freundin<br />
Herta erinnert sich: „Rudi hatte<br />
Schwierigkeiten, sich verständlich<br />
zu artikulieren. Wenn <strong>der</strong><br />
Lehrer ihn nicht verstand, konnte<br />
Rudi aufbrausen. Er verlangte<br />
dann <strong>im</strong>mer, dass ich aus meiner<br />
Klasse herbeigeholt würde,<br />
weil ich Rudi gut verstand.“<br />
Nach seiner Schulentlassung<br />
1936 blieb Rudi K. bei seinen Eltern<br />
wohnen. Dies än<strong>der</strong>te sich<br />
während <strong>der</strong> gesamten Zeit <strong>der</strong><br />
nationalsozialistischen Schreckensherrschaft<br />
nicht. Für eine<br />
in dieser Zeit vorgesehene Einweisung<br />
in eine Heilanstalt gibt<br />
es keine Hinweise.<br />
Ehemalige Mitschüler berichten,<br />
dass Rudi K. bei Umzügen<br />
durch die Stadt – mit einem<br />
Stöckchen dirigierend – vorweg<br />
marschiert sei. Vielleicht hat<br />
auch sein Bekanntheitsgrad in<br />
Korbach dazu beigetragen, dass<br />
Rudi K. die Zeit des Nationalsozialismus<br />
überlebte. Rudi K.<br />
starb 1995 in Korbach <strong>im</strong> Alter<br />
von 76 Jahren.<br />
Literatur<br />
Karl Murk, Die jüdische Gemeinde,<br />
in: Landau. Der Geschichte<br />
zweiter Teil, 1994, Seiten<br />
21 ff.<br />
Monica Kingreen, Jüdische<br />
Patienten <strong>der</strong> Gießener Anstalt<br />
und <strong>der</strong>en Funktion als „Sammelanstalt“<br />
<strong>im</strong> September 1940,<br />
in: Psychiatrie in Gießen, 2003,<br />
Seiten 251 ff.<br />
Geschichte und Schicksale<br />
jüdischer Familien in Wrexen,<br />
bearbeitet von Renate Ise,<br />
Hans-Joach<strong>im</strong> Moshe<strong>im</strong>, Horst<br />
Schaake, 2008.<br />
„Mein Lohn ist, dass ich darf.“<br />
Diakonissen aus dem Waldeckschen<br />
Mutterhaus. Broschüre<br />
zur <strong>Ausstellung</strong> Frauen gestalten<br />
Frauengestalten, herausgegeben<br />
vom Kirchenvorstand<br />
<strong>der</strong> evangelischen Kirchengemeinde<br />
Bad Arolsen.<br />
Michael Winkelmann, „Auf<br />
einmal sind sie weggemacht“.<br />
Lebensbil<strong>der</strong> Arolser Juden <strong>im</strong><br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t, 1992.<br />
Für die Erlaubnis zur Aktensicht<br />
und vielfältige hilfreiche<br />
Hinweise danke ich dem Bathildishe<strong>im</strong><br />
in Bad Arolsen, beson<strong>der</strong>s<br />
Pfarrerin Irene Dittmann-<br />
Mekidéchè, dem Archiv des<br />
Landeskirchenamtes in Kassel,<br />
<strong>der</strong> Korbacher Westwallschule<br />
sowie vielen Privatleuten.<br />
„Mein Waldeck“ <br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
<br />
36<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg 37
Mittwoch, 2. Dezember 2009<br />
11<br />
Die Krankenmorde <strong>der</strong> Nazis<br />
Vortrag zur <strong>Ausstellung</strong> „Ihr Tod reißt nicht die geringste Lücke ...“<br />
KORABCH (r). Im Begleitprogramm<br />
<strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> „Ihr<br />
Tod reißt nicht die geringste<br />
Lücke ...“ – NS-„Euthanasie“<br />
in Waldeck-Frankenberg<br />
laden das <strong>Wolfgang</strong>-<strong>Bonhage</strong>-<strong>Museum</strong><br />
Korbach und das<br />
Lebenshilfe-Werk am heutigen<br />
Mittwoch, 2. Dezember, zu<br />
einem weiteren Vortrag in das<br />
<strong>Museum</strong> ein. Beginn ist um<br />
19.30 Uhr.<br />
Dr. Gerhard Lilienthal, Leiter<br />
<strong>der</strong> Gedenkstätte in Hadamar,<br />
wird zum Thema „Der NS-<br />
Krankenmord in Hessen und<br />
das Gedenken an die Opfer“<br />
sprechen.<br />
Die meisten Opfer aus <strong>der</strong><br />
Region Waldeck-Frankenberg<br />
wurden in <strong>der</strong> Tötungsanstalt<br />
Hadamar bei L<strong>im</strong>burg<br />
ermordet. Auf Betreiben des<br />
Anstaltsdezernenten für Hessen-Nassau,<br />
Fritz Bernotat,<br />
war die ehemalige Landesheilanstalt<br />
seit Herbst 1940 zu<br />
einem Mordzentrum umgebaut<br />
worden. Im Keller des Gebäudes<br />
richteten Handwerker eine<br />
Gaskammer mit zwei Krematorien<br />
ein. Zudem entstanden<br />
Aufnahmeräume für die Opfer<br />
und Büros für die „Verwaltung“,<br />
das Standesamt, die sog.<br />
Trostbriefabteilung und den<br />
Urnenversand.<br />
Erst ausziehen<br />
Blick auf den Tötungstrakt.<br />
(Fotos: Archiv des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen)<br />
Die Patienten, die in Bussen<br />
in einer Garage <strong>im</strong> Hinterhof<br />
<strong>der</strong> Anstalt ankamen, wurden<br />
zumeist noch am Tag <strong>der</strong> Ankunft<br />
getötet. Die Opfer mussten<br />
sich ausziehen, man überprüfte<br />
ihre Personalien, und ein<br />
Arzt nahm eine oberflächliche<br />
Untersuchung vor, um eine<br />
plausible Todesursache festzulegen.<br />
Anschließend wurden<br />
die Opfer fotografiert, bevor<br />
sie den Gang in den Keller antraten.<br />
Hier befand sich die als<br />
Duschraum getarnte Gaskammer,<br />
in die man bis zu 100 Personen<br />
sperrte. In <strong>der</strong> Sprache<br />
<strong>der</strong> Täter wurde die Ermordung<br />
„Desinfektion“ genannt. Nachdem<br />
nach etwa 10 Minuten <strong>der</strong><br />
Tod eingetreten war, brachen<br />
sogenannte „Brenner“ den<br />
Opfern die Goldzähne heraus,<br />
legten von den Ärzten ausgewählte<br />
Menschen auf den<br />
Seziertisch und verbrannten<br />
die Leichen in den Öfen.<br />
10 000 Tote<br />
Allein in Hadamar wurden<br />
auf diese Weise in den acht<br />
Monaten zwischen Januar und<br />
August 1941 über 10 000 Menschen<br />
getötet. Leitende Ärzte<br />
und Direktoren in Hadamar<br />
waren in dieser Zeit Dr. Ernst<br />
Baumhard und Dr. Friedrich<br />
Berner. Ihnen zur Seite standen<br />
weitere Ärzte, Dr. Günther<br />
Hennecke und Dr. Bodo Gorgaß,<br />
Schwestern und Pfleger,<br />
Verwaltungspersonal sowie die<br />
Mitarbeiter aus Küche, Werkstätten<br />
und Transportabteilung<br />
– insgesamt bis zu 100 Personen,<br />
die <strong>im</strong> Anstaltsbereich<br />
wohnten und zur Gehe<strong>im</strong>haltung<br />
verpflichtet waren.<br />
Im Sommer 1941 ließ sich <strong>der</strong><br />
Gasmord nicht länger gehe<strong>im</strong><br />
halten. Kirchenvertreter wie<br />
<strong>der</strong> Münsteraner Bischof von<br />
Galen hatten öffentlich gegen<br />
die Tötung Behin<strong>der</strong>ter protestiert,<br />
Menschen, die in <strong>der</strong><br />
Umgebung <strong>der</strong> Tötungszentren<br />
lebten, hatten erfahren, was in<br />
den Anstalten und Amtsstuben<br />
geschah. Es war aufgefallen,<br />
dass Menschen in Heilanstalten<br />
verschwanden und unerwartet<br />
starben. Hitler ließ daher am 24.<br />
August 1941 die „Aktion T 4“<br />
einstellen. Doch die Weisung<br />
zum Abbruch <strong>der</strong> Gasmordaktion<br />
bedeutete nicht das Ende<br />
des Tötens in den Anstalten.<br />
1942 nahm <strong>der</strong> Krankenmord<br />
mit an<strong>der</strong>en Methoden seinen<br />
Fortgang: In zahlreichen psychiatrischen<br />
Anstalten, so auch<br />
in Hadamar, wurde nun mit<br />
überdosierten Medikamentengaben,<br />
tödlichen Injektionen,<br />
durch systematische Vernachlässigung<br />
und Nahrungsmittelentzug<br />
weiter qualvoll gemordet.<br />
Opfer waren neben<br />
psychisch kranken und geistig<br />
behin<strong>der</strong>ten Menschen nun<br />
auch Altershe<strong>im</strong>bewohner, Invaliden,<br />
„halbjüdische Fürsorgezöglinge“,<br />
Soldaten, durch<br />
den Bombenkrieg traumatisierte<br />
Menschen und Zwangsarbeiter.<br />
Die <strong>Ausstellung</strong> <strong>im</strong> <strong>Wolfgang</strong>-<br />
<strong>Bonhage</strong>-<strong>Museum</strong> Korbach<br />
ist von Dienstag bis Sonntag<br />
jeweils von 11 bis 16.30 Uhr<br />
geöffnet.<br />
PFERDE-<br />
ERLEBNISSE<br />
als Weihnachtsgeschenk!<br />
„Vier-Tage-Reitkurs“ <br />
(von 7 bis 16 Jahren)<br />
Mo., 4. 1., – Do., 7. 1. 10 <br />
jeweils von 10.00 bis 18.00 Uhr<br />
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Anfänger und Fortgeschrittene in<br />
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„Dem Gehe<strong>im</strong>nis <strong>der</strong><br />
Schneeflocken auf <strong>der</strong> Spur“<br />
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(von 3 bis 7 Jahren)<br />
Sa., 9. 1. 10, von 14.30 bis 18.00 Uhr<br />
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(von 5 bis 11 Jahren)<br />
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Wir beraten Sie gerne.<br />
Infos und Anmeldung: Ulla-Karen Stein<br />
Am Epper Wege 2 · 34497 KB-Lengefeld<br />
Telefon/Fax (0 56 31) 69 54<br />
o<strong>der</strong> (0171) 1612580<br />
www.reitstall-talhof.de<br />
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Kostenlose Führungen durch die <strong>Ausstellung</strong> (zzgl. Eintritt)<br />
Samstags: 12. 09. 2009 / 10. 10. 2009 / 12. 12. 2009 / 13. 02. 2010 /<br />
10. 04. 2010 jeweils um 14.30 Uhr<br />
Sonntags: 22. 11. 2009 / 03. 01. 2010 jeweils um 11.15 Uhr<br />
Donnerstags: 29. 10. 2009 / 18. 03. 2010 jeweils um 19.30 Uhr<br />
Vortragsprogramm (jeweils 19.30 Uhr <strong>im</strong> <strong>Museum</strong>, Eintritt frei)<br />
30. 9. 09 Prof. Dr. Gerhard Menk, Nationalsozialismus<br />
in Waldeck (Veranstaltung findet <strong>im</strong> Bürgerhaus statt)<br />
14. 10. 09 Ernst Klee, Die NS-„Euthanasie“<br />
11. 11. 09 Prof. Dr. Christina Vanja,<br />
Die Geschichte <strong>der</strong> Psychiatrie vor 1933<br />
2. 12. 09 PD Dr. Gerhard Lilienthal, Der NS-Krankenmord in<br />
Hessen und das Gedenken an die Opfer<br />
20. 1. 10 Ruth Piro-Klein, Die Rolle <strong>der</strong> Pflegenden <strong>im</strong> NS-Staat<br />
10. 2. 10 Dr. Udo Engbring-Romang, Die Verfolgung <strong>der</strong> Sinti und<br />
Roma in Hessen während des Nationalsozialismus<br />
10.3.10 Monica Kingreen, Jüdische Patienten in Hessen, ihre<br />
Verschleppung und Ermordung<br />
24. 3. 10 Margret Hamm, Lebensunwert – zerstörte Leben.<br />
Die Opfer von Zwangssterilisation und „Euthanasie“ <strong>im</strong><br />
NS-Staat und ihre Ausgrenzung<br />
14. 4. 10 Prof. Dr. Therese Neuer-Miebach, Aktuelle bioethische<br />
Herausfor<strong>der</strong>ungen<br />
14. 9. 09 Kostenlose Führung für Lehrer/innen 19.30 Uhr<br />
21. 9. 09 „Euthanasie und Sterbehilfe aus katholischer Sicht“<br />
Lehrerfortbildung für die <strong>Ausstellung</strong>, 14.30 – 18.15 Uhr, kostenfrei.<br />
In Kooperation mit dem Institut für Religionspädagogik und Medienarbeit<br />
<strong>im</strong> Erzbistum Pa<strong>der</strong>born; Anmeldung: Dekanatsbüro,<br />
Westwall 8, 0 56 31-89 49 (Frau Trachte)<br />
31. 10. 09 Tagesfahrt zur Gedenkstätte Hadamar 9 Uhr<br />
mit Führung durch die Gedenkstätte und die <strong>Ausstellung</strong>,<br />
Abfahrt am <strong>Museum</strong>, Kostenbeitrag € 20,–. Infos und Anmeldung<br />
unter 0 56 31-5 32 89 bis 16.10.2009 (Mindestteilnehmeranzahl).<br />
15. 11. 09 Veranstaltung zum Volkstrauertag 17 Uhr<br />
Kilianskirche, Korbach, Eintritt frei. „Wie liegt die Stadt so wüst“<br />
– Musik und Texte zum Thema „Erinnern, nicht vergessen – Opfer<br />
des Nationalsozialismus“ (Ausführende: Ev. Kantorei Korbach & Jugendliche<br />
aus Korbach; Gesamtl.: Stadtkantor Eberhard Jung)<br />
Fotos:<br />
Kurt-Willi Julius<br />
Hans-Cornelius Petersen<br />
Mit freundlicher Unterstützung von:<br />
Waldeckische Landeszeitung<br />
Frankenberger Zeitung<br />
HNA<br />
Korbacher Bote<br />
E<strong>der</strong>-Diemel-Tipp<br />
Mai 2010<br />
58<br />
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Tötungsanstalt Hadamar mit rauchendem Schornstein (1941) Archiv LWV<br />
Diese <strong>Ausstellung</strong> wurde auf Initiative des Lebenshilfe-Werkes<br />
Kreis Waldeck-Frankenberg e.V. in Zusammenarbeit mit dem<br />
<strong>Wolfgang</strong>-<strong>Bonhage</strong>-<strong>Museum</strong> Korbach erarbeitet.<br />
An <strong>der</strong> inhaltlichen Erarbeitung <strong>der</strong><br />
<strong>Ausstellung</strong> haben mitgewirkt:<br />
Theodor Brömmelhaus<br />
Nicole Dominicus<br />
Dr. Arnd Friedrich<br />
Margret Hamm<br />
Dr. Horst Hecker<br />
Kurt-Willi Julius<br />
Dr. Georg Lilienthal<br />
Prof. Dr. Gerhard Menk<br />
Marion Möller<br />
Hans Petersen<br />
Karl-Heinz Stadtler<br />
Prof. Dr. Christina Vanja<br />
Karl-Hermann Völker<br />
Dr. Wilhelm Völcker-Janssen<br />
Dr. <strong>Wolfgang</strong> Werner<br />
Die <strong>Ausstellung</strong> haben durch die Erlaubnis zur Akteneinsicht,<br />
durch Hinweise, Hilfe und Leihgaben unterstützt:<br />
Landeswohlfahrtsverband Hessen, Gedenkstätte Hadamar, Bundesarchiv,<br />
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden, Hessisches<br />
Staatsarchiv Marburg, Stadtarchiv Korbach, Stadtarchiv Frankenberg,<br />
Stadtarchiv Kassel, Stadtarchiv Hemer, ITS Internationaler<br />
Suchdienst Bad Arolsen, Archiv Gedenkstätte Brandenburg, Bathildishe<strong>im</strong><br />
Bad Arolsen, Psychiatriemuseum Warstein, Psychiatriemuseum<br />
Haina, Bund <strong>der</strong> Euthanasiegeschädigten und Zwangssterilisierten,<br />
Medienzentrum Frankenberg, LWL-Medienzentrum<br />
für Westfalen, Westwallschule Korbach, Thomas Korte, Universitätsbibliothek<br />
Greifswald, Universitätsbibliothek Marburg,<br />
Universitätsbibliothek Mainz, Staats- und Universitätsbibliothek<br />
Hamburg, Thüringer Universitäts- und Landesbibliothek Jena,<br />
Stadtbücherei Korbach und viele Privatpersonen<br />
9. September 2009 – 25. April 2010<br />
Di – So, 11 – 16.30 Uhr<br />
sowie für Gruppen und Schulklassen auch nach Vereinbarung.<br />
Das <strong>Museum</strong> bietet zur <strong>Ausstellung</strong> ein museumspädagogisches<br />
Programm für Schulklassen und Jugendgruppen ab Klasse 8 sowie<br />
Führungen für Erwachsene an.<br />
<strong>Wolfgang</strong>-<strong>Bonhage</strong>-MUSEUM KORBACH<br />
Kirchplatz 4, 34497 Korbach<br />
Tel. 0 56 31 / 53 2 89<br />
www.museum-korbach.de<br />
LEBENSHILFE-WERK<br />
Kreis Waldeck-Frankenberg e.V.<br />
Das Zitat „Ihr Tod reißt nicht die geringste Lücke …“ wurde dem<br />
Buch „Die Freigabe <strong>der</strong> Vernichtung lebensunwerten Lebens“<br />
von K.Binding und A.Hoche (Leipzig 1920) entnommen.<br />
Eine <strong>Ausstellung</strong> zum Thema<br />
NS-„Euthanasie“<br />
in Waldeck-Frankenberg<br />
9. September 2009 – 25. April 2010<br />
<strong>Wolfgang</strong>-<strong>Bonhage</strong>-MUSEUM KORBACH<br />
LEBENSHILFE-WERK<br />
Kreis Waldeck-Frankenberg e.V.<br />
Am 1. September 2009 ist es 70 Jahre<br />
her, dass Adolf Hitler mit dem sogenannten<br />
„Euthanasie“-Erlass die<br />
systematische Ermordung von Menschen,<br />
die als lebensunwert deklariert<br />
wurden, freigab.<br />
Zwischen 200.000 und 300.000 psychisch<br />
kranke und geistig behin<strong>der</strong>te Menschen starben<br />
zwischen 1939 und 1945 in Gaskammern, durch tödliche Medikamentengabe<br />
o<strong>der</strong> Unterernährung. Darüber hinaus wurden<br />
etwa 400.000 Menschen zwangssterilisiert. Unter den Opfern<br />
<strong>der</strong> NS-„Euthanasie“ waren auch Bürgerinnen und Bürger aus<br />
<strong>der</strong> Region: Menschen, die in Waldeck-Frankenberg geboren<br />
wurden, hier lebten, in Einrichtungen betreut wurden o<strong>der</strong> die<br />
zwangsweise in Fabriken und auf Bauernhöfen arbeiten mussten.<br />
Menschen, die systematisch erfasst und in Hadamar o<strong>der</strong><br />
in ren Mordzentren umgebracht wurden.<br />
Euthanasie-Gegner Clemens<br />
August Kardinal Graf von Galen<br />
Bil<strong>der</strong>sammlung des Bistumsarchivs<br />
Münster, Urheber: Gustav Albers<br />
Euthanasie-Gegner Karl Preising,<br />
Pfarrer und Leiter des Bathildishe<strong>im</strong>s<br />
in Arolsen (um 1930) Archiv<br />
Bathildishe<strong>im</strong><br />
Die <strong>Ausstellung</strong> dokumentiert die Vorgeschichte <strong>der</strong> „Euthanasie“<br />
bis 1933, die Phase <strong>der</strong> rassenhygienischen Propaganda und<br />
Zwangssterilisation bis zur Bürokratie und Maschinerie des Mordens.<br />
Sie beschreibt den Todesweg <strong>der</strong> Opfer, die Mordzentren, die<br />
Haltung <strong>der</strong> Bevölkerung durch Zust<strong>im</strong>mung, Gleichgültigkeit<br />
o<strong>der</strong> Protest und sie wirft einen Blick auf den Umgang mit <strong>der</strong><br />
NS-Vergangenheit und den Tätern, die nach 1945 oftmals unbehelligt<br />
blieben.<br />
Die <strong>Ausstellung</strong> bemüht sich insbeson<strong>der</strong>e darum, den Opfern <strong>der</strong><br />
NS-„Euthanasie“ aus <strong>der</strong> Region Waldeck-Frankenberg zu gedenken,<br />
an sie als Menschen, als Bürgerinnen und Bürger zu erinnern<br />
und ihnen damit ihre Würde zurück zu geben.<br />
Nikolaus K., seit 1942 Zwangsarbeiter<br />
in Nordenbeck, ermordet in Hadamar<br />
am 3.11.1944<br />
Archiv LWV<br />
Bernhard L., geboren 1915 in Korbach,<br />
ermordet in Brandenburg<br />
am 1.10.1940<br />
Stadtarchiv Korbach<br />
Gekrat-Busse vor <strong>der</strong> Landesheilanstalt Eichberg<br />
Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden<br />
„Hier trägst Du mit“ Propagandabild<br />
von Jakob Graf aus: Biologie für Höhere<br />
Schulen, München, 1940<br />
Anna M.,seit 1938 Bewohnerin des Korbacher<br />
Alten- und Pflegehe<strong>im</strong>s, ermordet in<br />
Hadamar am 17.8.1943 Archiv LWV<br />
Mathilde K., geboren 1890 in Fürstenberg,<br />
ermordet in Hadamar<br />
am 11.11.1943 Archiv LWV<br />
Abbildung: Einladungsflyer <strong>Ausstellung</strong> NS-„Euthanasie“<br />
60<br />
sprenger druck, Korbach<br />
DOKUMENTATION <strong>der</strong> <strong>Ausstellung</strong> zum Thema „NS-Euthanasie“ in Waldeck-Frankenberg