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Migranten fuer PDF - Burkhard Hergesell

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ten jugoslawischen Migrantinnen, aber auch andere, die darüber<br />

hinaus befragt wurden, reagierten sehr emotional auf<br />

den nicht mehr vorhandenen roten jugoslawischen Pass, auf<br />

den sie ihr Leben lang stolz waren. Das Nichtidentischsein mit<br />

einer historischen Entwicklung in Jugoslawien lässt die nationale<br />

Heimat deutlicher werden: „[...] wenn ich an die Grenze<br />

komme und da steht Republik Slowenien, auf eine Schulter<br />

klopf ich mir und die andere hängt runter [...]“. 77<br />

Heimat, das sind die Freunde, die Bekannten und Verwandten,<br />

die man nach der Arbeit trifft, mit denen man die Freizeit verbringt,<br />

die man besucht, wenn man Probleme hat und Hilfe<br />

braucht, oder mit denen man gemeinsam feiert. Heimat hat<br />

aber nicht nur diese private, sondern auch eine politische<br />

Dimension. „[...] zur Heimat gehörten nicht in erster Linie gefühlvolle<br />

Erinnerungen, sondern alle Bemühungen um gerechtere<br />

soziale Verhältnisse und eine freundlichere Umwelt“. 78<br />

Oder wie es der Bremerhavener Werftarbeiter türkischer Herkunft,<br />

Necmiddin Gezmen, in seinen Worten ausdrückte: „Heimat<br />

ist, wo man satt wird und nicht arm ist.“ 79 Die Heimat wird<br />

brüchig, und man verliert sie, wenn sich herausstellt, dass es<br />

keine gemeinsame Basis der angenommenen gemeinsamen<br />

kulturellen Wertmuster gibt, wenn das Bemühen um gerechtere<br />

soziale Verhältnisse vor einer ethnischen, einer sozialen<br />

oder anderen Grenze Halt macht, wenn die deutschen Arbeitskollegen<br />

einen auffordern, zurückzugehen, weil die Arbeit<br />

nicht für alle reichen würde, wenn der Rassismus stärker ist<br />

als die Solidarität.<br />

Heimat ist aber auch die Erinnerung an die eigene Kindheit, an<br />

die Straße, auf der man als Kind gespielt hat. Heimat ist da,<br />

wo man geboren wurde und die Kindheit erlebte, eine Kindheit,<br />

die man positiv in Erinnerung hat, die meistens schön ist<br />

und verklärt wird.<br />

Thesen und Fragen<br />

Aus der migrations- und kulturwissenschaftlichen Forschung<br />

ist bekannt, dass Arbeitsmigranten vorwiegend aus dem<br />

„ländlich-agrarischen Milieu“ (...) „wirtschaftlich weniger entwickelten<br />

Regionen Südeuropas und der Türkei [stammen]“. 80<br />

Damit war in der frühen Migrationsforschung und Ethnologie<br />

häufig die Annahme einer homogenen und in sich geschlossenen<br />

<strong>Migranten</strong>kultur verbunden. Es wird in dieser Untersuchung<br />

zugegebenermaßen nicht erstmals aber auch zu zeigen<br />

sein, dass die <strong>Migranten</strong>communities weder von der sozialen<br />

Struktur noch von der kulturellen Identität her homogen sind.<br />

Vielmehr stammen die <strong>Migranten</strong> aus verschiedenen sozialen<br />

Schichten ihrer Herkunftsländer und gehören unterschiedlichen<br />

kulturellen Milieus an. Darüber hinaus sind ihre Kulturen,<br />

wie sie sich in der Migration weiter entwickeln, „Basteleien“<br />

(Bricolagen). 81 Sie sind zusammengesetzt aus Elementen ihrer<br />

Herkunftskultur, manche Elemente werden in der Fremde<br />

in Frage gestellt und manchmal aufgegeben, und es treten<br />

in der Aufnahmegesellschaft auch neue Kulturelemente hinzu.<br />

Es entwickelt sich in einer neuen Situation eine Umgehens-<br />

und Lebensweise heraus, die als mehr oder weniger<br />

gelungen anzusehen ist und in dieser Situation unterstützend<br />

wirkt.<br />

Die Vorstellung, dass die zur Arbeit in Deutschland angeworbenen<br />

Menschen vorwiegend Armutsemigranten seien, das<br />

heißt, dass der Grund ihres Wanderns in ihrer Verarmung und<br />

Arbeitslosigkeit in der Heimat liegt, ist verkürzt. Es wird zu<br />

zeigen sein, dass diese Vorstellung viele Ursachen und Motive<br />

der Migration ausblendet. In vielen, möglicherweise den meisten<br />

Fällen mag diese Annahme zutreffen. Oftmals liegen die<br />

Gründe der Emigration aber in einer Mischung mehrerer Motive<br />

und Ursachen, und erst das Zusammenkommen von mehreren<br />

Faktoren, beispielweise die Flucht vor einer Ehekrise verbunden<br />

mit Arbeitslosigkeit oder die Verlockungen eines<br />

Abenteuers in Zeiten einer nationalen Wirtschaftskrise, wird<br />

zum Anstoß dafür, ins Ausland zu gehen und die Heimat<br />

zunächst auf Zeit zu verlassen.<br />

Zudem sind die Migrationsmotive nach Geschlecht unterschiedlich:<br />

82 „Insgesamt stellten Frauen ab Mitte der [19]60er<br />

Jahre einen Anteil von ca. 20 % der angeworbenen Gastarbeiter.“<br />

83<br />

Migrantinnen in Bremerhaven sind nicht immer, vielleicht<br />

nicht einmal vorwiegend als Abhängige ohne eigene<br />

Entscheidung mit den Männern gewandert. Vielmehr geht der<br />

Autor davon aus, dass Frauen allein, als Ehefrau mit oder ohne<br />

Familie teilweise gegen den Wunsch von Ehemann oder der<br />

Familie, manchmal im Konflikt mit Familienangehörigen,<br />

manchmal mit Zustimmung, aber oftmals selbstbestimmt emigrierten.<br />

Diese These soll aber nicht den Blick auf ein bisher<br />

wenig berücksichtigtes Phänomen im türkischen Leben in<br />

Deutschland verstellen oder gar verharmlosen, den „Importbräuten“.<br />

Es handelt sich dabei, wie Necla Kelek feststellt, um<br />

Bräute, die von ihren Eltern für Geld nach Deutschland verkauft<br />

werden, und sie nennt es modernen Sklavenhandel. 84 Im<br />

oben definierten Sinne handelt es sich also nicht um Arbeits-<br />

23

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