Migranten fuer PDF - Burkhard Hergesell
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terverletzung und Prellungen davon. Aber seitdem hatte er<br />
einen großen Respekt vor der Unfallgefahr und wollte nach<br />
dem Tod seines Schwagers gar nicht mehr auf der Werft weiterarbeiten.<br />
Außerdem war man im Freien Wind, Regen,<br />
Schnee und Eis ausgesetzt, was den Beruf noch gefährlicher<br />
machte. Eine Schiffbauhalle gibt es in Bremerhaven nicht.<br />
Irgendwann war dann im Hinterkopf nur noch der Gedanke:<br />
Bloß weg hier! Aber wenn man den Beruf schon zehn Jahre<br />
macht und eine Familie hat, kann man ihn nicht so einfach<br />
aufgeben. Im Nachhinein gesehen waren die Werftenkrise und<br />
der Konkurs der SEEBECKWERFT, bei dem die Arbeitsplätze<br />
von über 2000 Beschäftigten auf etwa 650 reduziert wurden,<br />
für ihn von Vorteil. Während viele Kollegen entlassen wurden,<br />
wollte die Werft nicht auf ihn verzichten und übernahm Serdar<br />
Büyükkayikci in die Auffanggesellschaft. Aber die Zeiten wurden<br />
nicht besser für den Schiffsneubau. Die Belegschaft verzichtete<br />
zwar auf die Bezahlung der Überstunden und leistete<br />
weitere unbezahlte Arbeit, wurde aber nur noch ausgenommen,<br />
und Serdar sah keine Perspektive mehr in dieser Branche.<br />
Er wollte sich die Chance für einen Neuanfang in einem<br />
weniger gefährlichen und zukunftssicheren Beruf verschaffen.<br />
Zukunftsbranche Flugzeugbau<br />
Serdar Büyükkayikci bewarb sich bei den BREMER STAHL-<br />
WERKEN, bei MERCEDES-BENZ in Bremen und bei der Firma<br />
AIRBUS DEUTSCHLAND GMBH in Nordenham. Von allen drei<br />
Unternehmen bekam er eine Zusage für einen neuen Arbeitsplatz.<br />
Die längere Probezeit von sechs Monaten bei MERCE-<br />
DES-BENZ und der kürzere Arbeitsweg nach Nordenham auf<br />
der anderen Weserseite, aber in Sichtweite von Bremerhaven,<br />
ließen ihn sich für das Airbusunternehmen entscheiden. Trotz<br />
dass er jetzt als Berufsfremder in seinen neuen Beruf des Fluggerätemechanikers<br />
einstieg, war sein Verdienst schon höher<br />
als noch auf der Werft.<br />
Eine neue Ausbildung musste er nicht machen, zumal es Ähnlichkeiten<br />
in den Kenntnissen beider Berufe gibt. Das räumliche<br />
Vorstellungsvermögen war im Schiffbau schon sehr gut<br />
geschult worden, um die technischen Zeichnungen lesen zu<br />
können. Auch der Aufbau eines Flugkörpers und die Begriffe<br />
der Bauteile wie Spanten und Träger sind überraschenderweise<br />
nicht so weit von einem Schiffskörper entfernt. Serdar<br />
wurde von einem älteren Kollegen in der Produktion des Flugzeugrumpfes<br />
eingearbeitet.<br />
Wie bei einem Puzzle werden die einzelnen Rumpfschalen<br />
zusammengestellt und vom Automaten genietet. Was die<br />
automatische Nietanlage nicht erreicht, wird anschließend<br />
von Hand gemacht, genauso wie die Halterungen handgenietet<br />
werden, die später die elektrischen Leitungen und Geräte<br />
aufnehmen oder die Fensterrahmen. Dabei schießt Serdar<br />
oder einer der Kollegen von außen mit dem Presslufthammer<br />
das Aluniet, während ein zweiter von innen mit dem Vorhalteeisen<br />
gegenhält. Eigentlich ist das Prinzip das selbe wie das<br />
Nieten von Stahlplatten im Schiffbau vor 80 Jahren, nur dass<br />
die meisten Produktionsschritte bei AIRBUS automatisiert<br />
sind, statt Stahl Aluminium und Kohlefaser verarbeitet werden<br />
und die Arbeitsbedingungen wesentlich angenehmer sind.<br />
Nur der Lärm während des Nietens ist noch derselbe und lässt<br />
die Arbeiter Gehörschutz tragen. Die fertigen Rumpfschalen<br />
werden mit Containern ins AIRBUS-Werk nach Hamburg weitertransportiert,<br />
wo sie zu Rumpftonnen vernietet werden.<br />
In einer beheizten, hellen und, da wo die modernen Nietautomaten<br />
stehen, relativ lärmgedämpften Halle arbeitet Serdar<br />
Büyükkayikci jetzt schon seit sieben Jahren. Nach den neuesten<br />
ergonomischen Erkenntnissen sind die Arbeitsplätze eingerichtet,<br />
so dass die Produktionsarbeiter keine bzw. möglichst<br />
selten gesundheitsgefährdende Arbeitshaltungen einnehmen<br />
müssen.<br />
Bei AIRBUS würde kein Mensch auf die Idee kommen zu<br />
sagen, dass die inzwischen mehr als 60 Arbeiter türkischer<br />
Herkunft 127 nicht gut arbeiten würden. Danach befragt, was er<br />
von dem Urteil eines deutschen Schiffbauers hält, nach dem<br />
die türkischen Schiffbauer auf den Werften nicht genauso gut<br />
arbeiteten, ist die Antwort für den Autor sehr überraschend.<br />
Serdar zögert und denkt kurz nach: „Und ich kann [er lacht]<br />
Ihren [Informanten] auch verstehen. Das stimmt!“ Er erklärt,<br />
dass die meisten auf den Werften als Schiffsschweißer arbeitenden<br />
Türken keine Ausbildung haben. Sie hätten inzwischen<br />
vielleicht eine zehn- oder zwanzigjährige Berufserfahrung,<br />
aber richtige Schiffbauer seien das nicht. „Und die meisten,<br />
also ich kann sagen 90 %, konnten auch keine Zeichnung<br />
lesen. [...] Die meisten, die da arbeiten, das sind keine Schiffbauer!<br />
Die ganzen Leihfirmen, die holen hier die Leute aus den<br />
Kneipen oder Cafés, und dann stellen sie die da als Schiffbauer<br />
ein oder als Schweißer. Aber das sind gar nicht Ausgebildete,<br />
sage ich mal. Oder einige sind Leute, die noch nie ein<br />
Schiff gesehen haben oder noch nie Schiffbauer waren. Und<br />
das ist wirklich so! Aber die Leute können nichts dafür! [Er<br />
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