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shakespeare und das welt theater der gastfreundschaft

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Julia Reinhard Lupton<br />

Theatrum M<strong>und</strong>i<br />

die ihre Güte wie ihre Grausamkeit herausfor<strong>der</strong>te, angemessen<br />

<strong>und</strong> kompetent zu reagieren“. 43 Die Hausfrau <strong>der</strong> Renaissance,<br />

die nicht nur ihre eigenen Kerzen herstellt, son<strong>der</strong>n auch<br />

mit Beleuchtungstechniken experimentiert, hilft Räume für<br />

menschliche Auftritte zu schaffen, an denen sie möglicherweise<br />

selbst partizipieren kann. 44 Eine an<strong>der</strong>e Hannah, die<br />

Haushaltstheoretikerin Hannah Woolley (1622–1675), spricht<br />

daher von einer Vorführung (performing) ihrer Technik zur<br />

„Unterhaltung Ihrer Majestät sowie des Adels“ <strong>und</strong> bietet ihre<br />

Dienste all jenen an, „die sich an gepflegter <strong>und</strong> edler Unterhaltung<br />

erfreuen können“. 45 Auch wenn Woolley ihrerseits eine<br />

vollendete Meisterin <strong>der</strong> Sparsamkeit (thrift) war, betont sie<br />

doch theatrale <strong>und</strong> ästhetische Dimensionen <strong>der</strong> Haushaltskunst.<br />

Für den Hofkoch Robert May (1588–1644?) rechtfertigt<br />

die biblische Anweisung, <strong>das</strong> Licht nicht unter den Scheffel zu<br />

stellen, die Veröffentlichung seines Kochbuchs: Zu veröffentlichen<br />

heißt zu glänzen, in den Diskurs einzutreten, diesen aber<br />

auch zu formen. 46 Für Woolley, Markham <strong>und</strong> May umspannen<br />

die Künste von husbandry <strong>und</strong> housekeeping einen komplexen<br />

Tugenddiskurs, <strong>der</strong> auch pragmatisches Wissen von <strong>der</strong><br />

Tugend <strong>und</strong> <strong>der</strong> latenten Kraft <strong>der</strong> Objekte einschließt. Sie<br />

berücksichtigen auch die Sphäre <strong>der</strong> Öffentlichkeit, die<br />

43<br />

Julia Reinhard Lupton, „Animal Husbands in The Taming of the Shrew“, in: dies.,<br />

Thinking with Shakespeare, S. 27.<br />

44<br />

Thomas Tusser ermahnt Hausfrauen: „Wife, make thine own candle,/Spare penny<br />

to handle. Provide for thy tallow, ere frost cometh in,/ And make thine own candle,<br />

ere winter begin“. Thomas Tusser, Five H<strong>und</strong>red Points of Good Husbandry with a Book<br />

of Housewifery, hg. v. William Mavor, London: Lackington, Allen and Co. 1812, S. 264.<br />

Merry E. Wiesner zufolge war <strong>das</strong> Kerzenmachen eine rein weibliche Beschäftigung,<br />

was sich bis ins 14. Jahrh<strong>und</strong>ert zurückverfolgen lässt. Den Talg für die Kerzen erhielten<br />

die Frauen von Metzgern o<strong>der</strong> oftmals auch durch <strong>das</strong> kommunale „Talgamt“ (tallow<br />

office). Merry E. Wiesner, Working Women in Renaissance Germany, Newark: Rutgers<br />

University Press, 1986, S. 124.<br />

45<br />

Hannah Woolley, The Ladies Directory, London: Peter Dring at the Sun 1662, Frontispiz<br />

<strong>und</strong> Epistel. Hannah Woolley bringe ich mit Hannah Arendt in meinem Aufsatz<br />

„Thinking with Things: Hannah Woolley to Hannah Arendt“ zusammen, <strong>der</strong> in<br />

Postmedieval erscheinen wird.<br />

46<br />

Robert May, The Accomplisht Cook, or the Art and Mystery of Cookery, London: Printed<br />

by R.W. for Nathan Brooke 1660, S.A.<br />

gestärkt, erprobt <strong>und</strong> erweitert wird durch die Verbreitung dieses<br />

häuslichen Wissens auf dem Weg des Buchdrucks. Zu betonen,<br />

wie Performanz Gastfre<strong>und</strong>schaft mit <strong>der</strong> Hauswirtschaft<br />

ebenso wie dem Theater verbindet, heißt freilich nicht, die polis<br />

auf den oikos zu reduzieren, son<strong>der</strong>n for<strong>der</strong>t uns vielmehr dazu<br />

auf, jene Momente <strong>und</strong> Räume im oikos zu finden <strong>und</strong> zu kultivieren,<br />

die sowohl für menschliche als auch für nichtmenschliche<br />

Akteure politische Potenziale bergen.<br />

Lady Macbeth ist die dunkle Gastgeberin <strong>und</strong> Anti-Kuratorin<br />

des Stückes; ihre außergewöhnliche Präsenz im Drama stattet<br />

die Räume, die Themen <strong>und</strong> sogar <strong>das</strong> Vokabular des Stücks<br />

mit einer unheimlichen Energie aus, die häuslich, aber auch<br />

grauenerregend ist. Sie ist außerdem eine geborene Schauspielerin<br />

– ob sie Duncan am Burgtor freudig begrüßt, während ihr<br />

Mann im Inneren lauert, o<strong>der</strong> ob sie die zeremonielle Ordnung<br />

des Festmahls hochhält, während Macbeth einen leeren Stuhl<br />

anbrüllt. Schließlich verliert sie sich mit ihrer phobischen<br />

Fackel in einem Theater <strong>der</strong> Halluzinationen <strong>und</strong> führt dort<br />

auf, was <strong>der</strong> Arzt „her walking and other performances“ (V.i.11–<br />

12) nennt. Lady Macbeth ist ein wandelndes Schattenbild, eine<br />

Figur <strong>der</strong> Phänomenalität; wenn Macbeth sagt: „Out, out, brief<br />

candle“, dann flackert ihr Leben in seinem Leben, um <strong>das</strong><br />

menschliche Leben im Allgemeinen zu reflektieren, während<br />

die Schatten, die vom Leben <strong>der</strong> Dinge geworfen werden, an<br />

den Grenzen ihres <strong>und</strong> unseres Bewusstseins zittern. Das theatrum<br />

m<strong>und</strong>i versammelt diese Analogien <strong>und</strong> Transformationen<br />

<strong>und</strong> stellt sie aus, es hebt den Scheffel von ihnen, so<strong>das</strong>s<br />

sie für uns leuchten können in <strong>der</strong> diffusen Reflexivität ihrer<br />

Praktiken <strong>und</strong> Referenzen.<br />

Wenn Macbeth die Zeit als bedeutungslos <strong>und</strong> unendlich<br />

leer erfährt – „Tomorrow, and tomorrow, and tomorrow“ –, wissen<br />

wir, <strong>das</strong>s er tatsächlich jenseits <strong>der</strong> Hoffnung auf Gnade<br />

o<strong>der</strong> auch nur auf eine ruhige Nacht ist. Wenn wir aufmerksam<br />

auf die biopolitische Zukunftsträchtigkeit des Stücks achten,<br />

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