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shakespeare und das welt theater der gastfreundschaft

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Christopher Wild<br />

Theatrum M<strong>und</strong>i<br />

Diß ist mein Reich/wehlt/was jhr wündschet zu besitzen.<br />

(I 65–73)<br />

Der Fall hoher Häupter, <strong>der</strong>, wie die barocken Poetiken nicht<br />

müde werden zu betonen, <strong>das</strong> Sujet des Trauerspiels bildet, ist<br />

unmittelbare Funktion des Auftretens <strong>der</strong> Ewigkeit. Diese Dramaturgie<br />

des Fallens wird von ihr in Szene gesetzt <strong>und</strong> orchestriert.<br />

Aber auch <strong>das</strong> Antidot gegen die ubiquitäre Vergänglichkeit,<br />

die Beständigkeit als irdisches Abbild <strong>der</strong> Ewigkeit, folgt<br />

ihrer Regie – <strong>und</strong> auch wie<strong>der</strong> recht buchstäblich. Denn die<br />

Ewigkeit verabschiedet sich bald, da hier ihres Bleibens nicht ist:<br />

EWIGKEIT: Schauplatz <strong>der</strong> Sterbligkeit/Ade! ich werd auff<br />

meinen Thron entrücket<br />

Die werthe Fürstin folget mir die schon ein höher Reich<br />

erblicket/<br />

Die in den Banden frey/nicht jrrdisch auff <strong>der</strong> Erd/<br />

Die stritt vnd lid für Kirch vnd Thron vnd Herd. (I 81–84)<br />

Ihr folgt nach Catharina von Georgien, „die schon ein höher<br />

Reich erblicket“. Somit ist die gesamte Dramaturgie ihres Martyriums<br />

als Nachfolge figuriert, nicht nur als Nachfolge Christi,<br />

son<strong>der</strong>n eben auch als Nachfolge des auftretenden Abtritts <strong>der</strong><br />

Ewigkeit; d.h. eines Auftritts, <strong>der</strong> aufgr<strong>und</strong> <strong>der</strong> im Angesicht<br />

<strong>der</strong> Ewigkeit fliehenden Zeit sogleich zum Abtritt wird. Die<br />

Ewigkeit tritt eigentlich nur auf, um abzutreten, insofern sie<br />

den Boden, auf dem sie zu stehen kommt, zunichtemacht. Im<br />

Vergleich dazu bleibt die sterbliche Catharina etwas länger,<br />

aber nur so lange, um „auff den Schauplatz vnsers Vaterlandes<br />

[zu treten]/vnd […] in jhrem Leib vnd Leiden ein vor dieser Zeit<br />

kaum erhöretes Beyspiel vnaußsprechlicher Beständigkeit<br />

[darzustellen]“, wie die Vorrede eröffnet. Beständigkeit bezeichnet<br />

also <strong>das</strong> kurze Innehalten zwischen Auf- <strong>und</strong> Abtritt; <strong>das</strong><br />

Stehen, <strong>das</strong> sich dem nichtenden Blick <strong>der</strong> Ewigkeit entgegenstemmt<br />

bzw. solange aushält, um, mit Cal<strong>der</strong>ón zu sprechen,<br />

‚gut zu handeln‘ o<strong>der</strong>, mit Gryphius, um ‚ihre heilig-ewige<br />

Liebe mit ihrem Blut herauszustreichen‘ (S. 133). Catharinas<br />

letzter, apokalyptischer Auftritt, welcher sich als Vision von<br />

Chah Abas’ schlechtem Gewissen einstellt, gleicht dem <strong>der</strong><br />

Ewigkeit: Der Himmel öffnet sich, <strong>und</strong> <strong>das</strong> „Beyspiel vnaußsprechlicher<br />

Beständigkeit“ erscheint in <strong>der</strong> transfigurierten<br />

Gestalt ihres wie<strong>der</strong>erstandenen <strong>und</strong> unsterblichen Leibes.<br />

Eingegangen ins ewige Leben, kann ihr Auftritt im Diesseits<br />

<strong>der</strong> Bühne nicht von Dauer sein, <strong>und</strong> so endet <strong>das</strong> Stück, <strong>das</strong><br />

nach ihr benannt ist.<br />

IV. Auftritte von unten: Das Theater Senecas<br />

Insofern <strong>das</strong> theatrum m<strong>und</strong>i zwischen Himmel <strong>und</strong> Hölle eingeschoben<br />

ist, werden die Auf- <strong>und</strong> Abtritte darin nicht nur von<br />

oben orchestriert, son<strong>der</strong>n auch von unten. Die prominenteste<br />

Theatertradition, welche eine solche Auftrittsregie von unten<br />

in Szene setzt <strong>und</strong> damit frühneuzeitliche Theaterkultur über<br />

die Kultur-, Glaubens- <strong>und</strong> Sprachgrenzen hinweg geprägt hat,<br />

ist nicht zufällig <strong>das</strong> senecanische Theater. Auch Senecas Theater<br />

ist Welt<strong>theater</strong>, nur führt nicht Gott die Regie, son<strong>der</strong>n<br />

chtonische Mächte, welche die dramatischen Figuren bei dem<br />

Schmieden ihrer Rachepläne leiten – weshalb man vielleicht<br />

besser von ‚Unter<strong>welt</strong><strong>theater</strong>‘ reden sollte. Statt eine <strong>der</strong> vielen<br />

frühneuzeitlichen Rachetragödien à la Seneca zu behandeln,<br />

sei es mir gestattet, ad fontes zu gehen, <strong>und</strong> zwar zu Senecas<br />

Thyestes, dessen Prolog Auskunft darüber gibt, wie ein Theater<br />

aussieht, <strong>das</strong> von den Mächten <strong>der</strong> Unter<strong>welt</strong> dirigiert wird.<br />

Denn in diesem Prolog inszeniert <strong>das</strong> Stück, wie Allesandro<br />

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