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shakespeare und das welt theater der gastfreundschaft

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Julia Reinhard Lupton<br />

Theatrum M<strong>und</strong>i<br />

fest <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Betriebswirtschaft erhärtet Paolo Virnos<br />

Diagnose, <strong>der</strong> Arbeitsplatz sei heutzutage als eine Bühne zu<br />

begreifen, auf <strong>der</strong> Arbeit <strong>und</strong> Spiel ununterscheidbar werden. 2<br />

Die Gastfre<strong>und</strong>schaft <strong>der</strong> Renaissance war ebenfalls eine<br />

Erlebnisökonomie, eine oftmals improvisierte, aber immer<br />

durchdachte Orchestrierung von Feinkost, Festivitäten <strong>und</strong><br />

Pheromonen, von Licht <strong>und</strong> Klang innerhalb narrativer <strong>und</strong><br />

symbolischer Repertoires, die dem des Theaters ähnelten. Ihre<br />

multimedialen Inszenierungen waren eine Art von serious<br />

games, konzipiert, um soziales Prestige zu affirmieren <strong>und</strong> den<br />

Austausch kulturellen Kapitals sicherzustellen. Insofern Bewirtung<br />

als soziale Kunst häufig luxuriöse Kostüme <strong>und</strong> zeremonielle<br />

Stegreifreden in offenen Repräsentationsräumen einschloss,<br />

unterhielt die Gastfre<strong>und</strong>schaft enge Beziehungen zur<br />

Bühne. Gastfre<strong>und</strong>schaft instituierte ein theatrum m<strong>und</strong>i im<br />

engen Wortsinn, d.h. einen Entwurf sozialen Lebens als performance<br />

auf dem m<strong>und</strong>us als Lebens<strong>welt</strong>; sie evozierte aber auch<br />

<strong>das</strong> Welt<strong>theater</strong> in einem eher kosmischen Sinne, insofern sie<br />

durch den Aufruf mythischer <strong>und</strong> saisonaler Subtexte versuchte,<br />

<strong>das</strong> gesamte Universum in ihre fluktuierenden Kreise<br />

zu involvieren. An<strong>der</strong>s als die von Pine <strong>und</strong> Gilmore gelobten<br />

konzerngeleiteten Gesellschaftsinszenierungen aber prüft<br />

Shakespeare die Skripte <strong>der</strong> Gastfre<strong>und</strong>schaft auf die Risiken<br />

<strong>und</strong> Wi<strong>der</strong>stände, die sie verbergen, auf die supplementären<br />

Zeiten <strong>und</strong> Räume, die sie generieren, <strong>und</strong> auf die Möglichkeiten<br />

zufälliger Begegnung, die sie provozieren. Auf dem Spiel<br />

stehen im Theater <strong>der</strong> Gastfre<strong>und</strong>schaft sowohl ein dramatischer<br />

Inhalt – die Szenarien z.B. <strong>der</strong> Stücke Shakespeares – als<br />

auch ein Repräsentationsraum, <strong>der</strong> die öffentliche Bühne<br />

luten Metapher siehe Hans Blumenberg, Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt<br />

a.M.: Suhrkamp 1997.<br />

2<br />

Paolo Virno, Grammar of the Multitude: For an Analysis of Contemporary Forms of Life,<br />

übers. v. Isabella Bertoletti, Cambridge, MA: Semiotext[e] 2003, S. 58f.<br />

ebenso wie die großen Bankettsäle für aristokratische Ostentationen<br />

<strong>und</strong> Konsumptionen einschließt.<br />

Den Haushalt für einen Besuch vorzubereiten heißt, Raumpläne,<br />

aber auch Zeitpläne, Routinen <strong>und</strong> Abläufe neu einzuteilen,<br />

um so für Gäste Platz zu schaffen, um normalen Raum<br />

<strong>und</strong> Zeit umzuwidmen für außergewöhnliche Verrichtungen,<br />

die sich ihrerseits auf die Skripte von „Feiertag“ <strong>und</strong> „Feierlichkeit“<br />

stützen. Eine solche Umwidmung erfor<strong>der</strong>t vor allem<br />

einen Akt des Freiräumens, <strong>das</strong> Einrichten einer Lichtung o<strong>der</strong><br />

Öffnung, in <strong>der</strong> Personen <strong>und</strong> Dinge vor- <strong>und</strong> füreinan<strong>der</strong><br />

erscheinen können. 3 Diese räumlichen Reorganisationen, die<br />

Selbst-Inszenierungen in Szene setzen, verbinden die Aufführung<br />

<strong>der</strong> Gastfre<strong>und</strong>schaft als ein Theater des Lebens mit dem<br />

eigentlichen Theater, <strong>das</strong> sich selbst um ein offenes Plateau<br />

herum etabliert, <strong>das</strong> von Auftritten <strong>und</strong> Abgängen in <strong>der</strong> Anwesenheit<br />

an<strong>der</strong>er bestimmt ist. Indem die Gastfre<strong>und</strong>schaft die<br />

inneren Räume eines Haushalts Angehörigen, Nachbarn,<br />

Fremden sowie den Geschenken <strong>und</strong> Risiken aussetzt, die sie<br />

mit sich führen, verfolgt sie in den Bezirken des oikos eine emergente<br />

Politik, die ich mit Hannah Arendt 4 als <strong>das</strong> unerwartete<br />

<strong>und</strong> neuartige Erscheinen von Personen füreinan<strong>der</strong> in ihrer<br />

Pluralität definiere. An<strong>der</strong>s als die Politik, die zur eigentlichen<br />

polis gehört, bleibt die Politik des oikos nahe an häusliche Formen<br />

von Arbeit, Herstellung <strong>und</strong> Sorge geb<strong>und</strong>en sowie an die<br />

Objekte <strong>und</strong> Umgebungen, die sie unterstützen. Gastfre<strong>und</strong>schaft<br />

teilt sich auf in Arbeit <strong>und</strong> Handlung, in manuelle Verrichtungen<br />

<strong>und</strong> Akte <strong>der</strong> Selbst-Manifestation, die durch diese<br />

3<br />

Siehe Charlie Hailey zur Heideggerianischen Logik <strong>der</strong> „Lichtung“ (clearing) in <strong>der</strong><br />

zeitgenössischen Architektur des Lagers, dessen räumliche Routine untrennbar mit<br />

<strong>der</strong> <strong>der</strong> Gastfreiheit verb<strong>und</strong>en ist. Campsite: Architecture of Duration and Place, Baton<br />

Rouge: Louisiana State University Press 2008, S. 5–7. Ebenfalls unter Bezug auf Heidegger<br />

beschreibt Bert O. States <strong>das</strong> Theater als „einen Ort <strong>der</strong> Enthüllung, nicht <strong>der</strong><br />

Referenz“ („a place of disclosure, not a place of reference“). Bert O. States, Great Reckonings<br />

in Little Rooms: On the Phenomenology of Theater, Berkeley: University of California<br />

Press 1985, S. 4.<br />

4<br />

Siehe v.a. Hannah Arendt, Vita activa o<strong>der</strong> Vom tätigen Leben, München: Piper 2002.<br />

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